Eine wundersame Nacht - Christian Rautmann - E-Book

Eine wundersame Nacht E-Book

Christian Rautmann

4,7

Beschreibung

Eine wundersame Nacht. - Geschichten zur Weihnachtszeit. Sieben Geschichten zur Weihnachtszeit von Christian Rautmann

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Seitenzahl: 80

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Für

Ulrike, Alexander und Isabel

INHALTSVERZEICHNIS

Der Weihnachtsbaum

Nachtfahrt

Ein Schmetterling an Weihnachten

Das erste gemeinsame Weihnachtsfest

Ein besonderer Auftrag

Jesus auf dem Dach

Eine wundersame Nacht

DER WEIHNACHTSBAUM

Herbert Bär atmete schwer, als er den Koffer vor der Türe seiner Wohnung abstellte. Er zog ein Tuch aus seiner Hosentasche und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

"Da merke ich wieder einmal, dass ich älter werde", stöhnte er kopfschüttelnd und suchte den Türschlüssel in seiner Tasche.

"Verflixt, wo ist er denn?", murmelte er. Doch so sehr er auch suchte. Er konnte ihn nicht finden. Er musste ihn in der Wohnung liegen gelassen haben.

Herbert dachte kurz nach. Hatte er nicht irgendwann einmal seinem Nachbarn einen Schlüssel gegeben? Hoffentlich war er zu Hause. Er ging über den Flur und klingelte.

Herbert war erleichtert, als er Schritte hörte und die Türe sich öffnete. Günter Pflug, ein kugelrunder und immer fröhlicher Mann, strahlte ihn an.

"Ah, der Herr Nachbar! Einen wunderschönen guten Tag wünsche ich!", lachte er. "Was kann ich denn für Sie tun?"

Herbert räusperte sich und machte eine hilflose Geste in Richtung seiner Wohnungstüre. "Ich war im Keller und habe den Schlüssel in der Wohnung liegen lassen. Ich hatte Ihnen doch mal einen gegeben, oder?"

"Aber sicher doch!" Günter Pflug lachte. "Zum Glück, was? Einen Moment."

Er verschwand in seiner Wohnung und kehrte kurz darauf mit dem Schlüssel zurück. Als er ihn Herbert gab, nickte er in Richtung des Koffers, der unübersehbar im Hausflur stand.

"Das sieht nach einer großen Reise aus? Wohin geht´s denn?" Herbert schüttelte den Kopf.

"Nein, nichts Großes. Aber morgen fahre ich nach Köln und besuche über die Feiertage meinen Sohn und seine Familie."

"Na, das ist doch toll! Meine Tochter kommt mich auch besuchen. Wir gehen am ersten Feiertag schön essen.", sagte Günter Pflug und seine Augen glitzerten vor Freude. Dann sah er zu Herberts Türe. "Ich glaube, bei Ihnen klingelt das Telefon."

"Stimmt. Wer kann denn das sein?" Herbert winkte seinem Nachbarn dankbar zu, öffnete hektisch seine Wohnungstüre und lief zum Telefon.

"Hallo, Paps", meldete sich die Stimme seines Sohnes.

"Ah, Karsten. Wie schön. Was gibt es denn?", fragte Herbert.

"Du", begann sein Sohn zögernd. Erst nach einer Pause fuhr er fort. "Also, Paps. Das mit Weihnachten. Also, na ja. Das wird leider nichts. Es tut mir wirklich leid."

Herbert glaubte, sich verhört zu haben. "Was? Was meinst du damit, dass das nichts wird? Ich habe den Koffer gerade aus dem Keller geholt. Es ist alles fertig."

"Ja, weißt du. Wie soll ich es dir erklären?", stammelte Karsten. "Wir sind über Weihnachten nicht da."

Herbert schwieg.

Nach einer Weile fuhr Karsten fort: "Es ist eine tolle Gelegenheit für uns, weißt du? Ingo, ein Kollege von mir, hat ein Ferienhaus auf Mallorca. Eigentlich wollte er ja über Weihnachten selbst hin. Weil er jetzt aber keine Zeit hat, hat er mich gefragt. Du, das ist so ein Glück. Monika und die Kinder wollen auch unbedingt hin."

"Tja", sagte Herbert tonlos. "Toll für euch. Und wie kommt ihr hin? Habt ihr denn einen Flug?"

"Ja, mit viel Suchen. Felix hat stundenlang im Internet geschaut. Aber er hat etwas gefunden. Ist sogar ziemlich günstig. - Du, Paps. Da konnten wir nicht absagen. Das verstehst du doch? Du kannst dann doch im Januar zu uns kommen."

Herbert nickte resigniert. "Ja, ja. Ich habe mich halt auf euch gefreut. Aber nun ist es eben so. Viel Spaß! Und grüße Monika und die Kinder."

Er legte auf und betrachtete noch für einen Moment das Telefon, das da so harmlos auf der Anrichte im Flur stand. Nicht zu glauben, dass sich durch einen einzigen Anruf nun sein ganzes Weihnachtsfest geändert hatte. Er hatte sich so auf seine Enkelkinder gefreut.

Herbert ging ins Schlafzimmer und räumte langsam die Kleidungsstücke wieder in den Schrank, die er schon bereitgelegt hatte. Den Koffer würde er erst morgen wieder in den Keller tragen. Er beschloss, früh schlafen zu gehen.

Am nächsten Tag wachte er früh wie immer auf, ging in die Küche und kochte sich eine Tasse Kaffee. Eigentlich liebte er dieses Ritual, das er sich aus der Zeit bewahrt hatte, als er noch jeden Morgen frühzeitig hatte in der Fabrik sein müssen. Doch heute fühlte er eine seltsame Leere in sich. Es war der 24. Dezember und er wusste nicht, was er tun sollte. Er setzte sich in seinen Sessel, wo er nochmal einschlief.

Als er wieder wach wurde, ging er ziellos durch die Wohnung. Schließlich sah er aus dem Fenster. Auf der Straße waren viele Menschen unterwegs. Einige trugen Geschenke, viele schleppten große Einkaufstüten und ein junges Paar trug einen Weihnachtsbaum nach Hause.

Herbert lächelte müde. "Die sind ja ganz schön spät dran", sagte er zu sich selbst. Dann betrachtete er sein Wohnzimmer. "Kein bisschen weihnachtlich. Ich glaube, ich bin auch spät dran."

Ein Ruck durchlief Herbert. Schnell ging er zum Kühlschrank. "Und nichts zu essen", stellte er fest. "Was soll das denn für ein Weihnachtsfest werden?"

Er musste sofort los und sich einen Weihnachtsbaum und etwas Gutes zu Essen besorgen. Wenn er Weihnachten schon alleine verbringen musste, dann würde er es sich wenigstens schön machen.

Kurz darauf saß Herbert auch schon im Auto und war unterwegs zum Marktplatz. Dort hatte er vor einigen Tagen einen Christbaumstand gesehen. Und einen Baum wollte er nun zu allererst kaufen. Denn ein Weihnachtsfest ohne Baum konnte er sich nicht vorstellen.

In der Innenstadt herrschte lebhafter Verkehr. Von weihnachtlicher Stille war keine Spur. Im Gegenteil. Die Menschen schienen viel aufgeregter und hektischer zu sein als sonst. Herbert fand das schade. Aber er konnte es auch ein wenig verstehen, da die Geschäfte heute nur bis Mittag geöffnet hatten. Und wer nun noch Geschenke zu besorgen hatte, der war natürlich in Eile.

Herbert versuchte, ruhig zu bleiben und sich nicht anstecken zu lassen. Vor sich sah er bereits den Marktplatz. Und der Stand war auch noch da. Herbert fiel ein Stein vom Herzen. Er hatte schon gefürchtet, dass er keinen Baum mehr bekommen würde. Hoffentlich hatten sie auch noch einen Kleinen, der in seine Wohnung passte.

Direkt vor dem Stand wurde gerade ein Parkplatz frei. Schnell steuerte Herbert darauf zu. Doch gerade, als er hineinfahren wollte, wurde er von einem anderen Wagen angehupt. Er blickte hinüber und erkannte hinter der Windschutzscheibe des wie ein Geländewagen aussehenden Fahrzeuges einen Mann, der wild gestikulierte und auf etwas deutete. Zunächst verstand Herbert nicht, was er meinte. Doch dann sah er, dass der Parkplatz, auf den er fast gefahren wäre, für Behinderte reserviert war. Und auf der Windschutzscheibe des Geländewagens klebte der blaue Aufkleber mit dem Rollstuhlfahrer.

Herbert nickte und winkte dem Mann zu, dass er den Parkplatz haben könne. Dann fuhr er weiter. Im Rückspiegel sah er den Geländewagen einparken und den Fahrer erstaunlich flink aus dem Wagen springen. Herbert schüttelte den Kopf. Behindert war der Kerl ganz bestimmt nicht. Der hatte ihn ganz schön reingelegt. Aber es half nichts. Er würde einen anderen Parkplatz finden müssen.

Als Herbert schließlich sein Auto einige Straßen weiter abgestellt hatte und beim Christbaumstand ankam, ging er direkt zum Verkäufer: Ein großer und dünner Mann, der eine grüne Jacke trug, einen bunten Schal um den Hals gelegt hatte und auf dessen Kopf eine rote Mütze mit einem glitzernden Stern darauf saß. Herbert fand, dass er in dieser Aufmachung selbst ein bisschen wie ein Weihnachtsbaum aussah.

"Nein", antwortete der Mann auf Herberts Frage nach einem kleinen Weihnachtsbaum. "Leider habe ich gerade den letzten verkauft. An den Herrn da".

Er deutete auf einen Mann, der einen Baum in seinem Geländewagen verstaute.

Herbert stöhnte. Das war ja schon wieder dieser Kerl, der ihm eben den Parkplatz weggenommen hatte. Und nun auch noch den letzten Weihnachtsbaum.

Der Christbaumverkäufer zog Herbert zu den größeren Bäumen.

"Sehen Sie doch mal diese hier an. Die sind auch nur etwas mehr als zwei Meter groß. Und sehr gut gewachsen! Schauen Sie!"

Er nahm einen der Bäume und stellte ihn vor Herbert auf.

"Nein". Herbert schüttelte den Kopf. "Vielen Dank, aber ich habe wirklich nur eine kleine Wohnung. Da passt so ein großer Baum nicht."

Und so ein teurer schon gar nicht. Aber das dachte er sich nur und sagte es nicht.

Der Christbaumhändler stellte den Baum wieder weg und kratzte sich am Kopf.

"Na ja. Vielleicht bekomme ich noch mal was rein. Wenn sie möchten, können sie mir ihre Telefonnummer geben. Ich rufe sie dann an. Versprechen kann ich aber nichts."

Während Herbert seine Nummer aufschrieb, hörte er, wie der Verkäufer sich mit einer Frau unterhielt, die sich erkundigte, ob denn so kurz vor Weihnachten die Bäume nicht etwas billiger wären.

Herbert gab dem Verkäufer den Zettel mit seiner Telefonnummer. Die Frau wirkte fast verzweifelt. Sie stand vor der Preistafel für die Christbäume, sah immer wieder in ihr Portemonnaie und schüttelte den Kopf. Er schätzte, dass sie vielleicht Mitte dreißig sein musste. Etwa im Alter seines Sohnes. - Der sich gerade auf dem Weg nach Mallorca befand, dachte er grimmig.

Er ging zu ihr. "Finden Sie auch keinen passenden Baum?", fragte er freundlich.

"Nein, leider", antwortete die Frau. "Dabei gefallen mir die Bäume ja sehr gut, aber ich habe einfach nicht so viel Geld." Zärtlich strich sie einem der Bäume über die Zweige.

Herbert lächelte verlegen. "Tja. Und mir sind sie leider zu groß. Ich wohne nur in einer kleinen Wohnung", erklärte er.

"Ich suche einen Baum für unser Kinderheim. Eine großen. Aber die hier sind alle zu teuer.", erläuterte die Frau.

Sie sah ihn traurig an. "Die Kinder brauchen doch einen Baum."

"Spenden denn nicht immer irgendwelche Firmen Bäume für die Kinderheime?", fragte Herbert.