Ellas Geist - Kati Buschmann - E-Book

Ellas Geist E-Book

Kati Buschmann

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Beschreibung

Es gibt Tage, an denen läuft einfach alles schief! Als Elisabeth "Ella" Engel, eine junge Frau, Mitte 20, an diesem einem Tag im Monat Mai in ihr kleines altersschwache Auto einsteigt, ahnt sie nicht einmal ansatzweise, dass sie heute: 1. gefeuert wird (wieder einmal muss man sagen ...) 2. es gleich zweimal kurz hintereinander mit der Polizei zu tun bekommt (allerdings unschuldig, also kein großes Ding!) und schließlich: 3. in einen Verkehrsunfall verwickelt wird (einen ziemlich schweren, muss man sagen!) Doch das ist nicht das Ende! Ganz im Gegenteil: Es scheint viel mehr, als wird durch dieses letzte Ereignis ihr Dasein aus heiterem Himmel völlig aus den Fugen geraten. Erfreulicherweise zum viel, viel Besseren! Für Ella und ihre Großmutter Agnes ist dieser Tag im Mai der Anfang einer unglaublichen Geschichte, die teilweise noch viel verrücktere Dinge zu bieten hat, als sich das die beiden "Engel-Frauen" in ihren kühnsten Träumen hätten vorstellen können. Besonders als dann auch noch ein ihnen vollkommen unbekannter Mann in ihr Leben tritt, der ihnen nicht nur manches Rätsel aufgeben wird, sondern den beiden völlig neue Möglichkeiten für ihr zukünftiges Leben offenbart ... Na, neugierig?

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Inhaltsverzeichnis

VORWORT

PROLOG

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

ELLA UND DAS FETTE ERBE

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

ELLA UND DER GEIST IM HAUS

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

ELLA UND DER NETTE BULLE

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

ELLA UND DER PECHVOGEL

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

ELLA UND DER HUNNEN – KÖNIG

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

ELLA UND DER SAMARITER

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

ELLA UND DER MANN IM SCHWARZEN ANZUG

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

ELLA UND DER GROßE KLADDERADATSCH

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

VORWORT

- Bitte unbedingt lesen! –

Hallo, schön, dass Du die Zeit gefunden hast, dieses Buch in die Hand zu nehmen, es aufzuschlagen und zu lesen. Also, ich gehe mal davon aus, dass Du es lesen wirst, denn alles andere macht keinen Sinn.

Ich hoffe, Du entschuldigst meine etwas lockere Anrede und das „Du“. Aber ich weiß weder, ob Du zum weiblichen, männlichen oder zu einem anderen Geschlecht gehörst, noch kenne ich Dein Alter. Außerdem halte ich es mal wie der bekannte Horst Lichter: Das „Du“ ist mir doch am angenehmsten. Nur dessen „Hallöchen“ war mir dann doch etwas zu albern, weswegen ich die kurze und knappe Version gewählt habe.

Du fragst Dich jetzt sicher, wieso ich mich an dieser Stelle direkt an Dich wende. Um es mal kurz zu machen: Ich möchte Dir jemanden vorstellen. Nämlich Ella Engel. Sie ist die Hauptprotagonistin in unserem Buch, was auch Sinn macht, denn ansonsten hätte ich mich im Titel ja mal so richtig vergriffen. Da Du in der Geschichte selbst nur recht wenig über ihren Hintergrund erfahren wirst, hier einige nützliche Informationen:

Elisabeth „Ella“ Engel ist eine junge, sympathische Frau Mitte 20. Seit ihrer Geburt lebt sie bei ihrer Großmutter Agnes in Berlin, denn ihre Mutter verstarb bei Ellas Geburt und ihr Vater ist unbekannt. Lass Dich an dieser Stelle von dem Begriff „Großmutter“ nicht täuschen, die Gute hält so manche Überraschung für Dich bereit. Aber zurück zu Ella. In ihrem Umfeld ist sie vor allem für ihre „große Klappe“ bekannt. Sie hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und setzt sich immer wieder für die vermeintlich „Schwachen“ ein. Dies bringt ihr nicht nur die Anerkennung derer ein, die sie unterstützt, sondern hat sie auch schon den einen oder anderen Job gekostet. Man kann behaupten, Ella wechselt die Arbeitsstellen, wie andere ihre Zahnbürste. Okay, der Vergleich kann durchaus hinken, denn so manch einer wechselt seine Zahnbürste nur alle paar Jahre (Igitt!). Jedenfalls, Ella hatte schon einige, nein viele, also sehr viele verschiedene Jobs. Küchenhilfe, Postzustellerin, Warenverräumerin im Supermarkt, Reinigungskraft oder Hundesitter sind hier nur mal ein paar Beispiele. Zuletzt verdient sie ihr täglich Brot in einem Call-Center für Versicherungen. Hört sich ziemlich spaßbefreit an, ist es auch.

Ella hat zwei Obsessionen: Film/Fernsehen und Autos, wobei letzteres aus ersterem resultiert. Schon seit ihrer Kindheit ist sie ein ‚Fernseh-Junkie‘. Für Ella sieht ein perfekter Abschluss eines stressigen Arbeitstages wie folgt aus: Beine hoch, Kiste an (also in ihrem Fall natürlich der Flatscreen), Tüte Krabbenchips (die liebt sie) aufgerissen und durchs Fernsehprogramm zappen. Hört sich alles nicht so spannend an. Aber, all dies wird sich bald ändern – mächtig gewaltig ändern sogar!

Doch lies selbst und staune, lache, wundere Dich …

Kati Buschmann (s.w.f. - small word factory)

PROLOG

I

Die Sonne meinte es in diesem Jahr besonders gut. Obwohl der April noch ein paar Tage Zeit hatte, bevor er dem Wonnemonat Mai weichen musste, gab es bereits jetzt schon sommerliche Temperaturen von bis zu 28 Grad Celsius. Ein Wetter, das dazu einlud, irgendwo am Wasser zu sitzen, ein kühles Getränk in der Hand und mit den Gedanken weit, weit weg. Man könnte irgendwo in der Ferne Urlaub machen, zum Beispiel. Die Seele baumeln lassen. Und an alles denken, nur nicht an die Arbeit. Was für ein Traum ...

Eben, eben – ein Traum. Und nur ein Traum! Denn der normal arbeitende Mensch musste im echten Leben gerade in diesem Augenblick irgendwo im Lande an irgendeiner Maschine stehen, um irgendetwas herzustellen, was irgendein anderer arbeitender Mensch wiederum für seine Arbeit dringend benötigte.

Oder es ging einem wie Ella Engel, einer jungen Frau von knapp 25 Jahren, die jetzt, in diesem Moment kurz vor der Mittagspause, an ihrem kleinen und beengten Schreibtisch saß. Der wiederum stand in einem dieser unsäglichen Großraumbüros, wie es sie in Berlin zu Hunderten gab. Zum Glück war Ellas kleines Königreich ganz weit hinten untergebracht, am äußersten Ende des riesigen Büros, in einer Ecke versteckt und somit recht unauffällig für ihren Chef.

Dirk Holland hieß dieser unangenehme, leicht dickliche Zeitgenosse, dem die Haare auch schon etwas dünn wurden, aber er war eben der Chef hier. Er liebte es besonders, immer wieder durch die Reihen seines Call-Centers zu gehen und mit prüfendem Blick seine meist weiblichen Angestellten bei der Arbeit zu überwachen. Denn, wie jeder weiß: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! Hin und wieder nickte er ihnen zufrieden oder auch aufmunternd zu. Gerade so, wie er es in den unzähligen Aufbauseminaren gelernt hatte: Ein guter Chef weiß zu stimulieren und zu inspirieren.

In der Regel funktionierte das auch ganz gut. Nur eben bei Ella nicht, der war solcherlei Chefgehabe schnurzpiepegal. Das mochte daran liegen, dass Büroarbeit nicht unbedingt ihr Lebensziel war. Und eine Karriere in einem Call-Center schon gleich gar nicht. Aber was wollte man machen? Sie musste Geld verdienen. Egal wie.

Eigentlich sollte sie, laut ihrer Arbeitsplatzbeschreibung, die täglichen acht Stunden Arbeitszeit dazu benutzen, diverse Leutchen anzurufen und denen diverse Versicherungen schmackhaft zu machen. Doch das war nun gleich so gar nicht ihr Ding. Sie glaubte schlechthin eben nicht an den Wahrheitsgehalt und die Ehrlichkeit eines Versprechens, das ausgerechnet von einer Versicherung kommen sollte.

Und so saß sie viel lieber vor ihrem PC und surfte den lieben langen Tag in diversen Autoseiten, immer auf der Suche nach ihrem Traumwagen. Besonders ein Modell hatte es ihr da angetan: Ein Ford Mustang! Ihr Lieblingsfilm war Bullitt, von 1968, mit Steve McQueen. Ella sah sich immer wieder diese eine Sequenz mit der längsten Auto-Verfolgungsjagd in der Filmgeschichte an: Die Jagd zwischen einem 1968er Ford Mustang Fastback und einem Dodge Charger R/T, dem ebenfalls 68er Modell. Die Amischlitten rasten kreuz und quer durch die Straßen von San Francisco. Zehn Minuten Autoverfolgung pur! Ein Muss für jeden Freund von PS-starken Boliden!

Ellas größter Traum wäre es, irgendwann selbst mal so einen Superschlitten ihr Eigen nennen zu können. Allerdings würde sie da noch jahrzehntelang in ihrem klitzekleinen Büroabteil hocken müssen, um gefühlt eine Million Versicherungspolicen an den Mann oder die Frau zu bringen.

Dazu sollte sie dann aber doch endlich mal wieder in die Tastatur ihres Computers hämmern und die vor sich liegenden Listen mit Namen und Adressen irgendwelcher wildfremder Menschen abarbeiten. Auch wenn es ihr echt zuwider war, Leute über den Tisch zu ziehen. Was soll´s, schließlich bezahlte sich die Miete nicht von allein. Und ihre Oma Agnes war ja auch noch da. Sie war nur eine der vielen Baustellen, die Ella täglich zu betreuen hatte …

Erstaunlicherweise klingelte da plötzlich Ellas Telefon im PC und riss sie aus ihren Tagträumen. Ella seufzte, wechselte ihre Autoansicht am PC in den Arbeitsmodus, schob gelangweilt ihr Headset zurecht und meldete sich mit ihrem etwas leiernden Standart-Begrüßungssatz.

«Dabbeljuh-Emm-Emm - We make Money. - Was kann ich denn für Sie tun?»

Am anderen Ende der Leitung meldete sich ein älterer Mann, der ein wenig aufgeregt klang.

«Guten Tag. - Äh, Sie haben mir da ein Angebot zugeschickt. Mit der Post. Das würde ich gerne annehmen. Es geht um die Rentenverbesserung.»

Ella konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Natürlich wusste sie sofort, wer der Mann da am anderen Ende war.

«Guten Tag, Onkel Walter! Das ist ja ´n Zufall!»

Onkel Walter brauchte einen kurzen Moment, bis er begriff, mit wem er sprach.

«Ella, bist du das?»

«Klar, wer denn sonst?»

«Na, das ist ja wirklich ein Zufall! Also, wenn du da arbeitest, bei dieser Firma … Dabbeldu irgendwas und so, dann muss das ja gut sein. Weißt du was, mein Mädel, da nehme ich doch gleich mal zwei davon!»

«Nein, nimmst du nicht!»

Ella hob vorsichtig ihren Kopf über den Rand ihres kleinen Kabüffchens und ließ den Blick durch das Büro kreisen. Wie erwartet, nahm niemand Notiz von ihr. Ella rückte ihr Headset nahe an den Mund und sprach langsam und verschwörerisch ins Mikrofon.

«Onkel Walter, das Produkt ist totaler Schrott. Die wollen dich nur abzocken.»

«Aber hier steht, dass das eine ganz sichere Geldanlage ist!», widersprach Onkel Walter.

Ella atmete kurz durch. Ihr Ton wurde nun etwas schärfer.

«Onkel Walter! Schmeiß die Post weg und gut ist. Vertrau mir.»

Leider war Onkel Walter mit seinen 70 Jahren Lebenserfahrung bekanntermaßen ein wenig starrsinnig und nicht leicht davon zu überzeugen, dass Ella ihm nur Gutes wollte. Darum konterte er erneut mit einem zweifelnden: «Aber die haben doch hier extra geschrieben …»

Ella war ja eigentlich überall als geduldige und freundliche junge Frau bekannt, doch jetzt platzte ihr der Kragen. Laut brüllte sie in ihr Headset:

«Da gibt´s kein aber! Die Versicherung ist voll Kacke, wie der ganze andere Plunder hier auch! Schmeiß die Scheiße in den Müll, wo sie hingehört! - Fuck!!»

Wütend riss sich Ella das Headset vom Kopf und feuerte es auf den Schreibtisch. Im Großraumbüro war es schlagartig still.

Plötzlich stand Herr Holland neben Ella. Er schaute sie an und seine Erschütterung, aber auch seine Enttäuschung, waren ihm deutlich anzusehen. Fast tonlos sagte er:

«Frau Engel, in mein Büro. Sofort …»

II

Das Gespräch, zu dem Ella ins Büro ihres Chefs gebeten wurde, dauerte nicht lange und endete erwartungsgemäß. Ella packte ihre Siebensachen zusammen und verließ das Call-Center. Sie war gefeuert. Keine Ahnung, wie oft ihr das in den vergangenen paar Jahren schon passiert war. Ziemlich oft, wenn sie darüber nachdachte. Viel zu oft, wenn sie noch mehr darüber nachdachte. Und erstaunlicherweise ereilte sie der Rausschmiss meistens kurz vor Beendigung der jeweiligen Probezeit in den verschiedensten Jobs, denen Ella im Laufe der letzten Monate ihre Arbeitskraft geopfert hatte …

Ella kam also aus dem Bürohochhaus. In den Händen hielt sie einen Karton mit ihren paar Habseligkeiten. Sie ging zu ihrem alten, grauen Opel Corsa, der nur wenige Meter entfernt am Straßenrand stand. Er machte einen traurigen Eindruck, wie er da so einsam und verlassen herumstand. Ella öffnete die Beifahrertür, klappte den Sitz zurück und lud ihr Zeug auf die hintere Sitzbank. Dann ging Ella um das Auto herum und setzte sich hinter das Lenkrad. Sie sah leicht abwesend in die Ferne und stieß einen tiefen Seufzer aus. Wenn sie in diesem Augenblick jemand gefragt hätte, wie es jetzt weitergehen sollte … Sie hätte wahrscheinlich nur ratlos mit den Schultern gezuckt.

Ach, was soll´s, dachte sie sich schließlich. Wird schon werden … irgendwie.

Ella seufzte noch einmal und wollte gerade den Motor starten, als ihr Blick zufällig auf den rechten Scheibenwischer fiel. Dort steckte ein Knöllchen. Schlagartig wurde ihr klar, warum ihr Auto hier so weit und breit allein auf der Straße parkte.

«Och, nee, Leute, echt jetzt?»

Ella stieg seufzend aus ihrem Auto aus, riss wütend das Knöllchen vom Scheibenwischer, stieg wieder ein und warf den Strafzettel ins Handschuhfach. Dort lagen bereits diverse andere Mitglieder der Familie „Schriftliche Ermahnung und Verwarnung“, ausgestellt von Mitarbeitern des Ordnungsamtes und der Polizei.

Ella wollte den Opel starten, doch der Motor sprang nicht an. Mit jedem weiteren Versuch wurde das Geräusch unter der Motorhaube erbärmlicher, bis der Starter völlig verstummte. Nun hatte wohl die Batterie vollkommen ihren Geist aufgegeben. Ella spürte, wie sie langsam ihre Fassung, ihre Ruhe und ihre Selbstbeherrschung zu verlieren drohte.

«Komm schon, komm schon …», murmelte sie verbissen vor sich her.

Ella versuchte erneut den Opel zu starten. Es erklang nur ein röchelndes Geschepper. Wütend schrie sie: «Ich hau dich in die Schrottpresse, du blöde, beschissene Drecks-Mist-Scheißkarre!!»

Mit einem verzweifelten letzten Versuch drehte Ella noch einmal den Zündschlüssel. War es ein Erbarmen des Himmels oder ein kleines technisches Wunder - der Opel sprang an.

«Na bitte, geht doch. Warum denn nicht gleich so!»

Ella war sichtlich erleichtert und gab ordentlich Gas. Der Opel raste mit durchdrehenden Rädern auf und davon. Lieutenant Frank Bullitt vom San Francisco Police Department hätte da bestimmt seine helle Freude dran gehabt …

III

Ella fuhr durch die Stadt. Aus ihrer Handtasche, die auf dem Beifahrersitz lag, ertönte ein forsches Klingeln ihres Handys. Ella warf einen kurzen Blick auf ihre Tasche und brummte vor sich her: «Ja, Moment …»

Ella fuhr auf eine Kreuzung zu. Sie sah, dass die Ampel gerade auf Grün umgeschaltet hat und fuhr über die Kreuzung.

Von links kam ein großer Lastwagen angerast und krachte Ella mit voller Fahrt in die Fahrerseite. Den gewaltigen Knall konnte Ella noch hören. Das Letzte, was sie irgendwie wahrnahm, war plötzlich eine gespensterhafte Stille, und dann wurde es um sie herum stockdunkel …

ELLA UND DAS FETTE ERBE

1

Ella schreckt hoch. Sie sieht sich erschrocken um und registriert, dass sie an ihrem Schreibtisch sitzt, in ihrem kleinen Abteil im Großraumbüro. «Puh», atmet Ella tief durch. «Alter …» Sie schüttelt den Kopf. «Oi, joi, joi. Sowas Verrücktes …»

Ella atmet gleich noch einmal durch. Jetzt ist es aber ein erleichtertes Durchatmen. Ella muss lächeln. Verdammt noch mal, denkt sie bei sich. Du bist zum Glück nur eingeschlafen und hattest bloß einen Albtraum. Alles ist gut! Mit einem dritten tiefen Erleichterungs-Durchatmer ist sie wieder in der Gegenwart angekommen!

Ellas Chef, Dirk Holland, geht vorbei. Er sieht kurz zu ihr hin und blafft sie im Vorbeigehen an. «Sie sind ja immer noch da, Frau Engel! Hatte ich nicht gesagt, Sie sollen Ihr Zeug zusammenpacken! Was ist nicht zu verstehen an: ‹Sie sind gefeuert›?!»

Ella reißt die Augen weit auf. «Was? Aber …»

Sie sieht ihrem Ex-Chef verwundert hinterher. Niemand im Großraumbüro scheint sich für Ellas derzeitiges Dilemma zu interessieren. Der Seufzer, den Ella jetzt ausstößt, hat nichts mehr mit Erleichterung zu tun; das Gegenteil ist der Fall. Dann schaut Ella ein wenig ratlos auf ihren Schreibtisch. Dort steht ein Karton, gepackt mit ihren Siebensachen.

2

Ella kommt also aus dem Bürohochhaus. In den Händen hält sie einen Karton mit ihren wenigen Habseligkeiten. Sie geht zu ihrem alten grauen Opel Corsa, der nur ein paar Meter entfernt am Straßenrand steht. Ella zögert kurz, öffnet dann die Beifahrertür und stellt den Karton auf die hintere Sitzbank. Einer kurzen Eingebung folgend, geht Ella langsam zum Kofferraum und schaut vorsichtig um den Wagen herum. Erleichtert registriert sie, dass die Fahrerseite nicht beschädigt ist. Ella steigt ein wenig nachdenklich in den Wagen. Ihr Blick wandert zum Scheibenwischer. Als sie dort kein Knöllchen sieht, atmet sie kurz durch und schüttelt den Kopf, als wolle sie irgendwelche dummen Gedanken verscheuchen.

Dann dreht sie den Zündschlüssel herum und startet den Wagen. Der Opel springt sofort an.

Trotzdem beschleicht Ella ein irgendwie seltsames Gefühl. Es kommt ihr vor, als würde etwas nicht stimmen. Sie kann nicht sagen, woher dieses Gefühl kommt, aber es ist da. Ella atmet kurz durch und spricht sich selbst Mut zu: «Ganz ruhig, Ella, alles gut …»

Ella fährt los. Es geht ihr etwas besser, aber das ungute Gefühl bleibt.

Irgendetwas stimmt doch hier nicht, das steht für Ella fest.

Aber was das sein könnte, ist ihr nicht klar. Doch da sie sich jetzt besser auf das Verkehrsgeschehen konzentrieren sollte, wischt sie diese Gedanken schnell aus ihrem Bewusstsein und fährt vorsichtig weiter.

3

Ella fährt durch die Stadt. Aus ihrer Handtasche, die auf dem Beifahrersitz liegt, ertönt das forsche Klingeln ihres Handys. Ella wirft einen kurzen Blick auf ihre Tasche und brummt vor sich her: «Ja, Moment …»

Ella will zu ihrer Handtasche greifen, doch sie zögert. Da ist es wieder, dieses seltsame Gefühl. Ella tritt auf die Bremse und hält am Straßenrand an. Ihr Blick wandert umher. Die Gegend kommt ihr irgendwie bekannt vor. Schlagartig wird ihr klar, sie steht kurz vor der Kreuzung aus ihrem Albtraum.

Wie kann das sein? Ist es ein Déjà-vu?

Das Handyklingeln reißt sie aus ihren Gedanken. Sie nimmt ihre Handtasche und wühlt darin herum, um nach dem Telefon zu suchen. Dabei schaut sie kurz hoch und sieht, dass die Ampel gerade auf Grün umschaltet. Im selben Augenblick rast ein Lastwagen mit hoher Geschwindigkeit von links nach rechts über die Kreuzung. Ella ist verwundert und nimmt langsam das Handy ans Ohr. Fast tonlos stammelt sie dabei: «Was, zum Teufel …»

Aus ihrem Handy ertönt eine weibliche Stimme, die ein «Hallo? – Hallo!» von sich gibt. Ella nimmt ihr Handy: «Ja?»

«Ella, na endlich. Ich bin´s.»

Ella ist erschrocken, nimmt schnell das Handy vom Ohr und sieht es verwundert an. Dann hält sie es wieder ans Ohr und sagt langsam: «Hallo?»

Die Stimme am anderen Ende wird etwas ungeduldig. «Was, Hallo? Selber Hallo! Was ist denn da los, bei dir?»

Ella macht ein erstauntes Gesicht. «Oma?»

«Ja.»

«Oma Agnes?»

«Na, sicher doch. Oder hast du noch andere … Omen? – Alles in Ordnung, mein Kind?»

«Weiß nicht so recht. Ist irgendwie ´ne ziemlich seltsame Geschichte ...»

Agnes Engel fällt Ella ins Wort. «Ja, ja, kannst du mir alles später erzählen. Jetzt brauche ich erst mal deine Hilfe. Sage mal, kannst du mich abholen? Die Adresse ist Rosenstraße 1. Erster Stock, Zimmer 1-1-0.»

«Wann denn?»

«Na, am besten wäre – sofort! Oder störe ich dich bei irgendwas?»

«Nee, nee, schon gut, ich komme.»

«Ja, dann mach mal schnell.»

Ella will etwas erwidern, doch ihre Oma Agnes hat schon aufgelegt.

Ella sieht ihr Handy an. «Irgendwas stimmt hier ganz und gar nicht», murmelt sie halblaut vor sich her.

Dann wirft sie ihr Handy in die Handtasche zurück, legt den ersten Gang ein und fährt zügig davon.

4

Aus dem Handy in Ellas Tasche ertönt die Stimme der Navi-App: «Sie haben Ihr Ziel erreicht.»

Ella stoppt den Wagen vor dem Eingang eines alten Gebäudes, zieht den Zündschlüssel ab und steigt aus. Sie sieht sich um und stellt fest, dass sie vor einem Polizeirevier steht.

«Och, bitte, Oma … Bei den Bullen? Echt jetzt?»

Ella geht um ihr Auto herum, öffnet die Beifahrertür und zieht ihre Handtasche vom Sitz. Dann verschließt sie ihr Auto auf der Beifahrerseite. Als sie sich umdreht und zum Gebäude gehen will, stößt sie mit einem ziemlich attraktiven jungen Mann zusammen, der anscheinend gerade aus dem Revier gekommen sein muss und forsch unterwegs ist.

(Der Mann heißt Robert Stahlberger. Wir werden ihn später noch kennenlernen, denn er spielt in unserer Geschichte eine nicht ganz unwichtige Rolle …)

Ella lächelt ihn an. «Na, hoppla. Sie haben´s aber eilig!» «Tut mir leid … Meine Schuld», erwidert der junge Mann.

Ella registriert, dass er nicht nur attraktiv ist, sondern auch noch einen Karton mit irgendwelchen Büro-Sachen in den Händen hält. Da kann sie sich ein freches Grinsen nicht verkneifen. Die Worte sprudeln ihr geradezu aus dem Mund.

«Oh, das kenne ich. Hab´ ich auch schon erlebt, schon oft, schon sehr oft. Gerade heute erst wieder. Und irgendwie sogar gleich zweimal! Aber, egal. Das Leben geht weiter. Also, Kopf hoch, Kollege! Wird schon werden!»

Ella boxt dem jungen Mann kameradschaftlich an die Schulter und geht dann auf das Haus zu.

Der Mann stößt ein ratloses «Ähm …» aus und sieht Ella verdutzt hinterher, wie sie gerade im Gebäude verschwindet. Kopfschüttelnd marschiert er dann zu einem 5er BMW Touring, der ebenfalls vor dem Haus steht. Er wirft nur einen kurzen Blick auf den hinter seinem Auto parkenden, alten Opel Corsa.

5

Etwa fünfzehn Minuten später kommt Ella wieder aus dem Polizeigebäude heraus. An ihrer Seite, ihre Oma Agnes, eine Frau von knapp 70 Jahren. Aber man sieht der rüstigen Dame ihr Alter nicht im Geringsten an. Wahrscheinlich alles eine Frage der Gene. Der guten Gene, um genau zu sein! Jedenfalls ist Ellas Großmutter chic angezogen, kommt flott daher und strahlt eine wahre Lebenslust aus. Die beiden Engel-Frauen gehen zu Ellas Auto. Ella ist amüsiert: «Du bist echt auf Onkel Walter mit der Handtasche los?»

«Sicher. Der konnte froh sein, dass ich in dem Augenblick keine Bratpfanne hatte! Leider muss ich da mal sagen!!»

Ella erwidert lachend: «Geht man so mit alten Freunden um?»

Agnes lächelt zurück. «Alt stimmt. Über Freunde will ich besser nicht reden!» Sie bleibt stehen: «Der hat doch wirklich die Pacht für unsern Bungalow um 20 Euro erhöht. Einfach so! Unglaublich, sowas …», empört sie sich.

«Wann genau hat er denn sowas zum letzten Mal gemacht?»

«Keine Ahnung, vor dreißig Jahren?»

Ella erwidert trocken: «Ach, doch erst vor kurzem …» Sie geht zum Auto und schließt die Fahrertür auf.

Agnes sieht Ella erstaunt an. «Was? Mehr hast du nicht dazu zu sagen? So gehen also alte Freunde miteinander um, ja? Pff … Alte Freunde am Arsch!»

Ella sieht kurz zu Agnes und lächelt wieder. Aber Agnes lässt nicht locker. Sie redet sich in Rage, und es tut ihr sichtbar gut, sich ein wenig aufzuregen. «Ich sag dir mal, was dieser Walter Birkenhahn in Wahrheit ist: Ein alter Miet-Hai. Jawohl, das ist er! Und zwar einer von der übelsten Sorte!» Agnes nickt ernst.

Ella geht schnell auf sie zu und nimmt sie spontan in den Arm. «Oma, ich bin so froh, dass ich dich habe!»

Jetzt ist Agnes doch ziemlich perplex. «Schon gut, mein Kind, schon gut. Ich kriege keine Luft!»

Ella lässt Agnes los und öffnet die Beifahrertür.

Agnes steigt ein. Sie sieht Ella kurz prüfend an. «Irgendwie bist du heute besonders seltsam, Ella. Ist bei dir wirklich alles in Ordnung?»

«Keine Ahnung. Aber egal. Denn so, wie´s jetzt ist, ist es einfach nur geil, irgendwie …»

Ella lächelt Agnes betont freundlich an und will gerade die Beifahrertür schließen, als Agnes auf den Scheibenwischer zeigt. «Meine liebe Ella, ich hoffe, das ist heute dein erster?»

«Sag mal … das gibt´s doch nicht! Mann …»

Ella wirft die Beifahrertür zu, reißt das Knöllchen vom Scheibenwischer und setzt sich genervt hinters Lenkrad. Sie reicht den Strafzettel an Agnes weiter, die ihn automatisch ins Handschuhfach stopft. Dann sieht sie Ella gespielt streng an. «Findest du nicht, es wäre endlich mal an der Zeit, die Dinger da irgendwie … einzulösen? Nicht, dass es noch Ärger gibt mit den Behörden.»

«Du musst dich gerade melden!», grinst Ella. «Wer ist denn heute von der Polizei verhaftet worden? Wegen schwerer Körperverletzung?»

«Na, na, na, Fräulein, wir wollen mal nicht übertreiben! Fahr lieber los, ich will endlich wieder nach Hause. Und dann gibt es erstmal eine schöne Tasse Kaffee!»

Ella und Agnes lächeln sich an. Ella startet den Opel, der erstaunlicherweise sofort anspringt.

6

Die Heimfahrt verläuft eher schweigend. Irgendwie hängen Agnes und Ella ihren eigenen Gedanken nach. Dann sieht Agnes kurz zum Karton auf dem Rücksitz. Mit unschuldigem Blick in Fahrtrichtung beginnt sie ein Gespräch, denn die Neugier, was das mit dem Karton auf sich haben könnte, plagt sie schon sehr. «Und, Mädel? Ansonsten alles gut bei dir?»

«Klar. Warum fragst du?»

«Och, nur so …» Natürlich ist Ellas Antwort für Agnes sehr unbefriedigend. «Wieso hast du eigentlich Zeit, mit mir hier in der Gegend rumzukutschieren?», setzt Agnes neu an.

«Entschuldigung, du hattest mich doch angerufen! Der angebliche Notfall, schon vergessen?»

«Und da konntest du so einfach aus dem Büro verschwinden?», hakt Agnes nach.

«Klar doch. Kein Ding», erwidert Ella.

Doch ihr unsicherer Unterton gibt Agnes recht. Sie feuert verbal einen Schuss ins Blaue ab. «Du bist wieder mal rausgeflogen. Stimmt´s oder hab ich Recht?»

«Wie kommst du denn da drauf?

«Der Karton da», Agnes weist kurz nach hinten. «Oder habt ihr im Büro gerade ‹Aufräum-Woche›? - Also? Ich höre.»

Da sprudelt es aus Ella heraus. «In dem bescheuerten Call-Center zocken sie die Leute ab. Da hab ich echt keinen Bock drauf. Schon gar nicht, wenn es um Freunde der Familie geht.»

«Freunde der Familie? Wen meinst du denn damit?», erkundigt sich Agnes.

«Na, Onkel Walter hat angerufen. Der hatte so ´ne Info-Post im Briefkasten. Wenn ich ihm die Versicherung verkauft hätte, hätte der sich dumm und dämlich bezahlt. Für nüscht und wieder nüscht! Da musste ich einfach hinschmeißen!»

Agnes sieht ihre Enkelin seufzend an. «Ach, Ella-Mädel, ich versteh dich ja.» Sofort setzt sie leicht schnippisch hinterher: «Auch wenn ich persönlich jetzt Walter nicht mehr unbedingt als Freund der Familie bezeichnen würde.»

Agnes sieht Ella an, die nickt ernst. «Klar. Verstehe ich.»

Agnes hebt mahnend den Finger. «Aber das Gerechtigkeits-Gen ist bei uns Engels eben sehr stark ausgeprägt. Niemand kann was gegen sein Naturell tun.»

«Alles klar», nickt Ella wieder.

Die Fahrt wird schweigend fortgesetzt. Agnes muss trotzdem noch einmal nachhaken. «Ella?»

«Hmm?»

«Und wie soll´s nun weitergehen mit dir?»

«Ernsthaft?» Ella wirft Agnes einen kurzen Blick zu. «Ich habe keine Ahnung!»

Agnes seufzt und schüttelt lächelnd den Kopf. «Du bist echt unmöglich! Das ist dir schon klar, oder?»

«Ja, nee …» Ella gibt ordentlich Gas. «Wird eben nie langweilig mit uns zwei Hübschen!»

7

Ella und ihre Oma Agnes bewohnen einen wunderschönen Bungalow aus dem 1970er Jahren. Der gehört eigentlich Walter Birkenhahn, von dem Agnes das Anwesen schon vor Jahren gepachtet hatte. Nach dem Tod seiner Frau wollte Walter nicht mehr in dem Haus leben. Die Erinnerungen an seine Frau waren ihm zu allgegenwärtig. Aber verkaufen wollte er sein Heim auch nicht. Da kam ihm Agnes gerade recht, als sie vorschlug, zukünftig dort zu wohnen. Das ist jetzt fast dreißig Jahre her.

Der Flachbau ist hübsch angestrichen, der Garten farbenfroh und penibel gepflegt. Es gibt viele Blumen, aber auch einen Apfelbaum und ein paar Gemüsebeete. Hauptsächlich ist hier Agnes die Dame mit dem grünen Daumen. Der von Ella ist da leider etwas verkümmert. Darum überließ sie schon frühzeitig Agnes die völligen Hoheitsrechte im Gartenbereich.

Ein besonderes Highlight des Anwesens ist die große Terrasse mit gemütlichen Gartenmöbeln und einem riesigen Sonnensegel. Auf dem Tisch stehen Kaffee und Kuchen bereit. Dort liegen aber auch ein Smartphone und ein Tablet-PC. Und, nein, die Teile gehören nicht Ella, wie man meinen würde. Auch im Bereich „Moderne Medien“ ist Oma Agnes die führende Kraft im Haushalt der beiden Engels-Frauen.

Agnes sitzt entspannt da und genießt ihre Tasse Kaffee. Sie stellt gerade die Tasse ab. «Das habe ich jetzt gebraucht.» Ihr Blick wandert zufrieden durch den Garten. «Ach ja, zuhause ist es doch am allerschönsten», seufzt Agnes.

Ella taucht an der Terrasse auf, in der Hand einige Briefe.

Agnes ruft ihr zu: «Wo bleibst du denn, Ella? Kaffee wird kalt!»

«War nur schnell die Post holen.»

Ella wirft diverse Briefe und Werbeprospekte auf den Gartentisch. Sie wollte das Einwerfen dieser Papierverschwendung ja längst unterbinden, aber Agnes besteht darauf, ist das Preisevergleichen doch ein weiteres Hobby der fitten Rentnerin! Wie auch immer …

Ella lässt sich ebenfalls in einen Sessel plumpsen und greift nach einem schönen Stück von Agnes´ selbstgebackenem Streuselkuchen.

Agnes angelt sich die zahlreichen Briefumschläge. Ihre Enkelin mampft den Kuchen und beobachtet ihre Oma dabei, wie sie die Post durchgeht.

«Hey, ist doch eh nur blöde Werbung.»

«Mit vollem Mund spricht man nicht», erwidert Agnes gespielt streng.

Ella grinst frech und beißt gleich nochmal herzhaft vom Kuchen ab. Dann streckt sie sich, genussvoll schmatzend und macht ein sehr zufriedenes Gesicht.

Agnes wirft ihr einen misstrauischen Blick zu. «Ist irgendwas?»

«Nö, was soll´n sein?», erkundigt sich Ella.

«Weiß nicht, darum frag ich ja.»

«Das Leben ist so richtig … schön», seufzt Ella wohlig.

«Wenn du das sagst», erwidert Agnes und widmet sich wieder kopfschüttelnd der Post.

Dann hält sie triumphierend einen Brief hoch. «Von wegen, nur Werbung! Und was ist das hier? Fensterpost für dich, meine liebe Ella! Sieht amtlich aus. Bestimmt von den Behörden!» Agnes reicht ihr den Brief. Ella leckt sich die Finger ab, reißt den Briefumschlag auf und überfliegt die Zeilen. Plötzlich macht sie ein erstauntes Gesicht: «Ach, du Scheiße!»

«Alles ok?», erkundigt sich Agnes besorgt.

«Da hat mir ein Notar geschrieben. Ich hab´ was geerbt!», erwidert Ella etwas ungläubig

«Was? – Was ‹geerbt›?»

«Ja. Ein Grundstück.»

«Ein Grundstück?»

«Ja. Hier, in Berlin. Und sofort nutzbar, schreibt der Anwalt.»

Ella sieht Agnes erstaunt an. «Von meinem verstorbenen Onkel, väterlicherseits? - Hä?»

«Ich versteh nur Bahnhof! Zeig mal her.» Agnes nimmt Ella den Brief aus der Hand.

Ella kann ihre Freude kaum fassen. «Ich habe noch nie was gewonnen. Und schon gar nicht irgendwas geerbt.»

«Ja, wie denn auch?», winkt Agnes ab. «Ich lebe ja noch. Und andere Verwandte hast du ja keine.»

«Ach, ja? Und was ist mit diesem toten Onkel, väterlicherseits?»

Agnes wirft noch mal einen prüfenden Blick auf den Brief. «Konrad Neumann …» sinniert sie vor sich her. «Hmm … Der Name sagt mir überhaupt gar nichts. Deine Mutter hat ja nie darüber gesprochen, wer dein Vater ist. Oder war. Oder so.»

«Ich weiß. Aber der Notar muss doch irgendwelche Infos haben, nee?! Den rufen wir gleich mal an und fragen, oder?!»

«Moment, Moment. Das machen wir ganz anders.» Agnes schüttelt den Kopf und greift zum Tablet-PC. «Da fragen wir doch mal besser den guten alten Doktor Google.» Agnes tippt auf ihrem Tablet herum.

Schnell wird sie fündig. «Aha. Da haben wir ihn ja schon. Dr. Jonas Steffens, Notar. Der Mann hat heute bis 18 Uhr seine Kanzlei geöffnet. Ist gar nicht weit.» Agnes springt auf. «Los, da fahren wir jetzt hin!»

Ella sitzt da, mit offenem Mund und sieht Agnes fragend an. Agnes fasst Ella am Ärmel und zieht sie vom Gartensessel hoch.

«Nun guck nicht wie vom Zug überfahren, Ella! Komm schon, wir müssen los! Mein Gott, ist das aufregend!» Agnes marschiert entschlossen davon.

Ella greift sich den Brief und folgt ihrer Großmutter.

8

Keine dreiviertel Stunde später sitzen Ella und Agnes in einem Büro, das den Eindruck macht, als wäre hier vor gar nicht langer Zeit ein Wirbelsturm durchgerast. Diverse Unterlagen und Akten liegen in mehreren Stapeln verteilt überall im Raum herum. Selbst Agnes, deren Ordnungszwang sich eher in Grenzen hält, stockt beim Anblick dieses chaotischen Durcheinanders kurz der Atem.

Dr. Jonas Steffens, der Notar, sitzt hinter seinem Schreibtisch und sieht abwechselnd Ella und Agnes an. Ella studiert gerade konzentriert den Inhalt mehrerer zusammen getackerter Blätter. Agnes lächelt den Notar immer dann an, wenn der gerade zu ihr schaut. Dr. Steffens räuspert sich und tut so, als gäbe es vor ihm auf dem Schreibtisch irgendetwas Wichtiges zu beobachten. Der Notar macht einen zerstreuten Eindruck, er scheint derzeit ein wenig überfordert. Überhaupt sieht er eher aus, als wäre er ein junger Student im ersten Semester, der nervös vor einem Prüfungskollegium sitzt und nicht wie ein erfolgreicher Notar, dem man sofort sein uneingeschränktes Vertrauen entgegenbringt.

Ella hat die Unterlagen gelesen und reicht sie an Agnes weiter, die endlich auch einen neugierigen Blick in die Papiere werfen kann.

Dann sieht Ella Dr. Steffens fragend an. «Ist das alles, Herr Notar?»

Nun ist es an Dr. Steffens, erstaunt zu sein. «Was meinen Sie mit alles?»

«Na, kein Brief, kein Foto, keine Erklärung?», hakt Ella nach,

«Nur das hier?» Ella deutet auf die Dokumente, die Agnes mit großem Interesse studiert.

Dr. Steffens schüttelt ob so viel Ignoranz den Kopf. Er nimmt Ella ins Visier und antwortet langsam und ein bisschen von oben herab. «Das da ist ein Testament, Frau Engel. Und Sie sind die einzige Erbin, wie Sie ja eben selbst gelesen haben. Und etwas anderes kann ich dazu auch nicht sagen. Leider. Tut mir leid»

Agnes legt die Papiere auf den Schreibtisch zurück. Sie wendet sich an den Notar und wirft ihm einen strengen Blick zu. «Entschuldigen Sie, wenn ich mich mal einmische. Was meine Enkelin meint, ist, Sie müssten doch mehr über das Ganze wissen. Oder etwa nicht?»

Der Notar erhebt sich und geht langsam hinter seinem Schreibtisch hin und her. «Liebe Frau Engel. Und auch Sie, liebe ältere, äh, andere Frau Engel. Ich kann Ihnen wirklich nichts weiter zu dem Vorgang sagen.»

Dr. Steffens steckt die Hände in die Hosentaschen und setzt seine Wanderung hinter dem Schreibtisch fort. «Lassen Sie mich doch gerne noch einmal zusammenfassen», erklärt er in referierendem Ton. «Sie, Frau Elisabeth Engel, wurden von Ihrem Onkel, Herrn Konrad Neumann, als Alleinerbin seines Besitzes in diesem Testament bedacht. Ihr Onkel ist bedauerlicherweise vor einem knappen dreiviertel Jahr bei einem Unfall ums Leben gekommen. Ich kann Ihnen aber weder etwas zu diesem Unfall sagen noch wann oder wo Ihr verehrter Herr Onkel beerdigt wurde.»

«Ach, ist das so?», fällt Agnes ihm ins Wort. «Und das kommt Ihnen nicht seltsam vor, junger Mann?»

Dr. Steffens unterbricht seine Wanderung. «Frau Engel, ich muss Sie beide um Entschuldigung bitten. Aber, um ehrlich zu sein, ich kenne ja Herrn Neumann gar nicht. Er muss ein Klient meines Vaters gewesen sein.»

«Na, dann fragen wir doch einfach Ihren Vater», entgegnet Agnes mit entwaffnendem Lächeln.

Der Notar setzt sich wieder auf seinen Stuhl, legt die Arme auf den Tisch und faltet seine Hände übereinander. Er sieht zuerst Ella an, dann wandert sein Blick zu Agnes. «Das ist leider nicht möglich, Frau Engel», erwidert er seufzend. «Mein Vater ist vor einigen Wochen schlagartig an Alzheimer erkrankt. Er befindet sich derzeit stationär in einer Pflegeeinrichtung.»

«Klingt für mich irgendwie vertraut», erwidert Agnes.

Ella sieht Agnes fragend an, doch die winkt nur ab. Da hat Ella schlagartig, wie aus heiterem Himmel, starke Kopfschmerzen. Ihr kommt es vor, als müsse ihr Kopf jeden Augenblick in tausend Teile zerspringen.

Agnes bemerkt sofort, dass es Ella nicht gut zu gehen scheint. «Ella?! Alles in Ordnung?»

«Was?», schreckt Ella hoch. «Ja, ja, alles gut. Keine Ahnung. Mir war bloß irgendwie gerade ein bisschen … Ich weiß auch nicht», winkt Ella ab. «Aber alles gut. Echt»

Agnes nickt zufrieden, tätschelt kurz Ellas Hand und wendet sich wieder an den Notar. «Das mit Ihrem Vater tut mir leid.»

«Na, mir erst!» Dr. Steffens erhebt sich wieder von seinem Schreibtisch und geht erneut hin und her. «Ich musste die Kanzlei meines Vaters kurzfristig übernehmen. Was meinen Sie, was hier los ist? Ein einziges Durcheinander. Mein Vater kann überhaupt keinerlei Auskünfte geben. Es ist, als hätte er schlagartig alles vergessen. Das ist doch verrückt! Wenn ich Frau Schneider nicht hätte, seine langjährige Sekretärin …» Dr. Steffens winkt resigniert ab.

Ella und Agnes nicken beide gleichzeitig verständnisvoll.

Dann hellt sich Agnes Gesicht auf. «Vielleicht kann die uns ja weiterhelfen?»

Dr. Steffens bleibt stehen und nickt nachdenklich. «Das wäre eine Möglichkeit.» Laut ruft er, dass Ella und Agnes zusammenfahren. «Frau Schneider! Könne Sie bitte mal herkommen?»

Frau Schneider betritt das Büro. Sie ist eine interessant aussehende Frau in den 60ern, eine gepflegte und elegante Erscheinung. Höflich wendet sie sich ihrem neuen Chef zu. «Ja, Herr Doktor?»

«Frau Schneider, sind Sie mit dem Fall ‹Testament Konrad Neumann› vertraut?»

«Konrad Neumann?» Frau Schneider macht ein nachdenkliches Gesicht. Dann schüttelt sie den Kopf. «Das tut mir leid, aber dieser Name ist mir völlig unbekannt. Ich weiß nicht, wann Ihr Herr Vater diese Mandantschaft übernommen haben könnte.»

«Verstehe. Danke, Frau Schneider.» Der Notar seufzt und zuckt ratlos mit den Schultern. Dann lässt er sich erschöpft auf seinen Schreibtischstuhl fallen.

Frau Schneider nickt in die Runde, verlässt diskret das Büro und schließt hinter sich die Tür. Dr. Steffens sieht ihr hinterher und wendet sich dann wieder seinen beiden Besucherinnen zu. «Tja, wie gesagt, ein einziges Durcheinander.»

Agnes will es bei dieser Aussage des Notars nicht bewenden lassen. «Na gut. Ist denn dieses Testament trotzdem gültig? Obwohl keiner hier irgendwas davon zu wissen scheint?»

«Aber selbstverständlich, Frau Engel. Davon können Sie ganz beruhigt ausgehen.»

Ella nimmt noch einmal die entsprechenden Dokumente zur Hand und blättert darin herum. Als sie gefunden hat, was sie sucht, sieht sie den Notar fragend an. «Ja, aber dieser Zusatz hier, mit dieser komischen Privatdetektei. Das verstehe ich nicht.»

«Lassen Sie mich mal sehen», erwidert Dr. Steffens.

Ella reicht ihm die Papiere und zeigt mit dem Finger auf die entsprechende Stelle. «Hier unten, das da.»

Dr. Steffens wirft einen Blick auf das Testament und liest den entsprechenden Abschnitt noch einmal schnell für sich selbst durch. Dann wendet er sich lächelnd wieder seinen Besucherinnen zu. «Nun, Frau Engel, das ist doch ganz einfach: Hier steht, klar und deutlich, Sie können die Erbschaft nur antreten, wenn Sie die im Gebäude befindliche ‹Private Ermittlungsagentur› Ihres Onkels weiterführen. Was ist das Problem?»

«Ich weiß ja nicht …» Ella wippt zweifelnd mit dem Kopf hin und her.

Sofort übernimmt Agnes die Initiative, um Ellas Zweifel umgehend zu zerstreuen. «Was gibt´s denn da nicht zu wissen? Ella, du hast eine Villa geerbt, sofort beziehbar …»

«Moment bitte, Frau Engel! An der Stelle muss ich intervenieren!» Dr. Steffens hebt mahnend die Hand. «Hier steht: ‹Ein großes Gebäude›. Hier, sehen Sie?» Der Notar tippt auf die entsprechende Stelle im Testament und hält sie Agnes zusätzlich unter die Nase.

Agnes wirft nur einen flüchtigen Blick auf das Papier und wischt dann die Worte des Notars einfach weg. «Ja, ja, ja, ist ja gut. Aber ‹ein großes Gebäude› könnte nicht, rein zufällig, vielleicht auch eine Villa sein?»

Dr. Steffens lässt resigniert das Testament auf den Schreibtisch fallen. Er merkt, dass er gegen die resolute Dame nicht ankommt und gibt nach. «Nun, von der Sache her schon, aber …»

Mehr wollte Agnes gar nicht hören. Triumphierend wendet sie sich dem Notar zu und fällt ihm erneut ins Wort. «Sehr gut. Dann bringen Sie doch bitte mit Ihren andauernden Spitzfindigkeiten nicht noch mehr Unruhe in diese seltsame Angelegenheit, nicht wahr. Das Ganze ist schon verwirrend genug, finden Sie nicht?»

«So gesehen» Der Notar nickt nur kurz.

Das reicht Agnes als Bestätigung ihrer These. Sofort rückt sie wieder Ella in den Fokus und übernimmt das Kommando. «So, Ella, und du zickst jetzt hier mal nicht so rum! Erstens bist du seit ein paar Stunden sowieso ohne feste Anstellung. Und zweitens hast du ja mich. Da wäre es doch gelacht, wenn wir das nicht zusammen hinkriegen würden!»

Ella macht nicht unbedingt den Eindruck, als würde sie den Optimismus und den Tatendrang ihrer Oma teilen. Aber Agnes gibt natürlich nicht klein bei. Sie nickt Ella aufmunternd zu und sieht sie erwartungsvoll an.

Ella macht dicke Backen, sieht noch mal zum Notar, der ihren Blick abwartend erwidert und ihr ebenfalls zunickt. Schließlich greift sie sich die Papiere. «Also gut, ich unterschreibe.»

«Danke, oh, Herr!», sendet Agnes ein Stoßgebet gen Himmel.

Ella nimmt den Stift, den ihr der Notar lächelnd reicht und unterschreibt das Testament ihres Onkels, den sie weder kennt noch jemals von ihm gehört hat.

Agnes und Notar Dr. Steffens atmen beide erleichtert auf.

Ella quittiert ihre Unterschrift mit einem zweifelnden Gesichtsausdruck. «Hoffentlich geht das nicht in die Hose!»

«Keine Sorge, da passe ich schon auf!», erwidert Agnes umgehend. «Vertrau mir!»

Dr. Steffens räuspert sich nervös. Doch Agnes ist nicht mehr zu stoppen, so froh ist sie über den erfolgreichen Nachmittag. Sie sieht Ella erfreut an. «So, mein Kind. Du bist jetzt eine ‹Gute Partie›, wie man in manchen Kreisen so sagt!»

Plötzlich wendet sich Agnes an den Notar. «Apropos … Sie sind wohl derzeit nicht gerade in festen Händen, junger Mann?»

«Wie meinen Sie das denn?» Dr. Steffens weicht erschrocken zurück.

Ella hat umgehend Mitleid mit dem armen Notar. «Meine Großmutter meint gar nichts», erwidert sie beruhigend. Dann greift sie Agnes am Arm. «Komm schon, Agnes, Abmarsch nach Hause. Und Ihnen danke ich für Ihre Mühe. Und besonders für Ihre Geduld mit meiner Oma!» Ella greift sich die Unterlagen, die sie gerade unterschrieben hat und schiebt Agnes aus dem Büro.

Dr. Steffens sieht den beiden hinterher. «Kein Problem. Gerne wieder. Wirklich gerne. Aber hoffentlich nicht so bald … », stammelt er leicht verwirrt.

9

Ella und Agnes kommen aus dem Gebäude, in dem der Notar seine Kanzlei hat und gehen die paar Schritte bis zu Ellas altem Opel.

«Sag mal, was zum Teufel war das denn eben?», erkundigt sich Ella vorwurfsvoll.

«Was denn?» Agnes macht ein Gesicht, als könne sie kein Wässerchen trüben.

Ella bleibt stehen. «Der Mann muss ja von uns denken, wir sind … keine Ahnung, was wir sind.»

«Jetzt sei mal entspannt, Mädel! Wenn du nicht endlich ein bisschen aktiver wirst, endest du noch als alte Jungfer!»

«Ach, deshalb soll ich mich jetzt gleich jedem an den Hals schmeißen, oder was?»

«Doch nicht jedem! Aber du bist jetzt wohlhabend! Da muss man besonders vorsichtig sein. Wegen der Erbschleicher!»

«Oma, sei mal nicht sauer, aber jetzt spinnst du wirklich!» Ella öffnet grinsend die Beifahrertür des Opel und schiebt Agnes ins Auto.

Doch die will sich nicht geschlagen geben. «Ja, mach dich nur lustig über eine alte Frau! Aber wenn dann die Kuh erst in den Brunnen gefallen ist, dann tanze ich mit dem Kind nicht auf dem Eis …» Agnes zögert ein wenig, weil ihr die gerade geäußerte Theorie selbst etwas vage vorkommt.

Ella stößt sich nicht daran und steigt ins Auto. «Was immer das auch heißen soll. Egal», erwidert sie ironisch. «Ich hab dich trotzdem lieb, Agnes.»

Ella startet den Wagen, der wieder gleich anspringt.

Agnes ist voller Tatendrang. «Na dann, auf zu unserem Märchenschloss!»

Gerade will sich Agnes gemütlich zurücklehnen, da sieht sie plötzlich im Rückspiegel Dr. Steffens aus dem Haus kommen. Der Notar winkt aufgeregt mit den Armen dem abfahrenden Auto hinterher. «Frau Engel! Moment bitte!», ruft er laut. «Warten Sie doch noch mal kurz, Frau Engel!»

Agnes stupst ihre Enkelin an. «Ella, halte an! Stopp den Wagen! Sieht so aus, als hättest du doch einen neuen Verehrer. Ich wusste es! Auf meine Menschenkenntnis kann ich mich eben hundertprozentig verlassen!»

Agnes kurbelt etwas umständlich das Fenster auf der Beifahrerseite herunter. Sie sieht erfreut, dass der Notar angelaufen kommt, obwohl er doch etwas außer Atem ist. «Herr Dr. Steffens. Da haben Sie aber Glück gehabt. Die Chance wäre fast vertan.» Agnes zwinkert dem Notar zu, der versucht, erst einmal wieder zu Atem zu kommen. «Frau Engel, ich muss noch … ich habe … Sie können doch nicht einfach nur so …» Agnes sieht Dr. Steffens erwartungsvoll an und nickt ihm aufmunternd zu. Der Notar holt tief Luft. «Die Schlüssel! Sie haben doch die Schlüssel im Büro vergessen.»

Agnes macht ein enttäuschtes Gesicht. Dr. Steffens reicht Agnes ein Schlüsselbund mit einer ganzen Reihe von Schlüsseln verschiedenster Größen.

Ella wirft Agnes kopfschüttelnd einen kurzen Blick zu. Dann wendet sie sich freundlich an den immer noch etwas atemlosen Notar. «Es tut mir echt leid, dass wir Ihnen so viele Umstände machen, Herr Doktor.»

«Schon gut», winkt der Notar bescheiden ab, «Dafür bin ich ja da.»

Allerdings gibt Agnes die Hoffnung nicht auf, doch noch einen besonders dicken Fisch an Land zu ziehen. Wie nebenbei sieht sie den Notar an und setzt ein unschuldiges Gesicht auf. «Noch mal kurz zu vorhin: Sind Sie nun eigentlich alleinstehend? Oder geschieden? Oder verwitwet?»

Dr. Steffens sieht Agnes ein wenig seltsam an. «Wie kommen Sie denn darauf?»

«Institution … nein, Induktion! Ach, Quatsch, Investition ... Ach, egal», erwidert Agnes etwas wirre. «Aber vor allem: Gute Augen. Weil Sie zum Beispiel keinen Ring tragen.» Ella macht dicke Backen. Natürlich ahnt sie, was ihre Großmutter da schon wieder im Schilde führt. «Oma, jetzt lass doch mal den Mann in Ruhe! Außerdem müssen wir los.»

Doch der junge Notar scheint keine Probleme bei der Klärung seines Partnerschaftsstatus zu haben. Er sieht Agnes freundlich an. «Liebe Frau Engel, ich bin verheiratet. Glücklich verheiratet, um das zu sagen. Und natürlich trage ich sonst immer einen Ehering. Aber der ist gerade beim Goldschmied, weil er enger gemacht werden muss. Ich bin nämlich seit einiger Zeit vegan.»

«Och, das tut mir aber leid! Gute Besserung!» Agnes ist etwas angepieselt.

Bevor die Situation noch peinlicher wird, lenkt Ella schnell ein: «Also, nochmals vielen Dank und alles Gute!»

«Auch beruflich», ergänzt Agnes sarkastisch.

Ella gibt besser Gas und fährt los. Der Notar sieht dem Auto mit einem erleichterten Seufzer hinterher.

***

Erst etwa 300 Meter später meint Ella. «Das war voll peinlich, das weißt du schon. Oder?!»

Agnes sieht das natürlich ganz anders. «Mein Gott, nun sei mal nicht so empfindlich. Man soll den Stier bei den Eiern packen, solange er heiß ist!»

«Besonders, wenn man noch ein paar Hörner im Feuer hat!», prustet Ella los.

«Was ist das denn für ein albernes Sprichwort?» Agnes sieht Ella entgeistert an. Dann lenkt sie ein. «Ella, ich will doch nur, dass es dir gut geht.»

«Weiß ich doch», lächelt Ella. «Und weißt du, was ich außerdem noch weiß?»

«Nee, woher auch?»

«Ich weiß, was für mich gut ist. Ich bin nämlich schon erwachsen!»

«Aber noch nicht so lange wie ich», widerspricht Agnes.

«Oma, du machst mich fertig!» Ella muss wieder lächeln.

«Ella, halte mal an!», ruft Agnes plötzlich.

Ella zuckt vor Schreck zusammen. «Was ist denn nun schon wieder?»

«Ich muss noch schnell was erledigen. Lass mich mal hier raus.»

«Was, hier? Ich kann dich doch fahren. Sag einfach, wo du hinwillst!

«Nee, nee. Lass mal», winkt Agnes ab. «Ich steige hier aus und komme nachher mit dem Bus. Alles gut!»

«Echt? Wie gesagt …»

«Nun halte schon an!», fordert Agnes mit Nachdruck.

Ella bremst und stoppt am Straßenrand. Agnes steigt aus.

«Bist du dir sicher?», erkundigt sich Ella noch einmal vorsorglich.

«Mein liebes Kind! Sicher? Ich? – Natürlich bin ich mir sicher, dass ich mir sicher bin! Und nun fahr endlich los, wir sehen uns später im ‹Schloss›!»

«Ok. Hab dich lieb!»

«Hab dich auch lieb, Ella!»

Ella fährt hupend auf und davon.

Agnes sieht ihr zufrieden hinterher. Dann macht sie ein kampfentschlossenes Gesicht. «So, mein lieber Herr Birkenhahn. Und jetzt mal zu uns zwei beiden», sagt sie leise.

Agnes sieht sich auf der Straße um. Dann betritt sie die Fahrbahn und stoppt mit erhobener Hand ein entgegenkommendes Taxi. Der Fahrer muss eine Vollbremsung machen, um Agnes nicht über den Haufen zu fahren. Bevor der Fahrer auch nur ein wütendes Wort sagen kann, steigt Agnes ein, winkt nur ab und nennt dem Fahrer die Adresse ihres alten Freundes Walter Birkenhahn. Der Taxifahrer merkt intuitiv, mit seinem neuen Fahrgast scheint nicht gut Kirschen essen zu sein. Er schluckt seine Wut besser hinunter, nickt nur kurz und gibt Gas.

10

Ella hat sich von ihrer Handy-Navi-App durch die Stadt leiten lassen. Gerade fährt sie eine Straße am Stadtrand entlang, als ihr Navi den Hinweis gibt: «In 50 Metern haben Sie Ihr Ziel erreicht.»

Ella verringert die Geschwindigkeit und starrt ungeduldig suchend aus dem Fenster. «Wo zum Teufel …», murmelt sie halblaut vor sich hin.

«Sie haben Ihr Ziel erreicht», meldet sich das Navi wieder.

Sofort macht Ella eine Vollbremsung und sieht sich um. Dann legt sie den Rückwärtsgang ein und setzt einige Meter zurück. Ella macht den Motor aus und steigt aus dem Wagen. Sie sieht auf das Gelände, vor dem sie jetzt steht.

«Ach-du-Scheiße!!»

Mehr kann Ella bei dem Anblick nicht sagen. Sie stemmt die Arme in die Seite und macht dicke Backen.

11

Auch Agnes´ Taxi hat inzwischen sein Ziel erreicht. Allerdings benötigte Agnes dafür kein Navi. Wenn sie nur dem Taxifahrer einen prüfenden Blick zuwirft, wie er da leicht verängstigt am Steuer sitzt, ist ihr sonnenklar, der würde den Teufel tun, irgendwelche preistreibenden Umwege zu fahren.

Recht so, denkt Agnes zufrieden.

Der Taxifahrer bremst vorsichtig den Wagen und hält an. «Wir sind da, wie gewünscht, meine Dame», meint er unterwürfig.

«Recht so», nickt Agnes, «Sie warten hier, junger Mann. Das dauert nicht lange.»

Der Taxifahrer hütet sich davor, irgendetwas Gegenteiliges zu erwidern und nickt nur kurz. Zufrieden verlässt Agnes das Taxi. Der Taxifahrer traut sich nunmehr, wenigstens einen tiefen Seufzer auszustoßen. Natürlich erst, nachdem Agnes mit frohem Schwung die hintere Tür zugeworfen hat.

Agnes geht ein paar Schritte und bleibt vor einem kleinen Einfamilienhaus stehen. Sie will gerade an der Gartentür klingeln, da sieht sie ihren alten Freund Walter Birkenhahn weiter hinten im Garten werkeln. Sie findet ja, er sieht ein wenig lächerlich aus, wie er da in Latzhose, gartenbehandschuht, mit Gummischlappen an den Füßen und einem Strohhut auf dem Kopf, dem Unkraut kräftig zu Leibe rückt.

Agnes setzt ein grimmiges Gesicht auf. «Hallo, alter Freund!», ruft sie ihm entgegen.