Else von der Tanne (Historischer Roman für die Weihnachtszeit) - Wilhelm Raabe - E-Book
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Else von der Tanne (Historischer Roman für die Weihnachtszeit) E-Book

Wilhelm Raabe

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Beschreibung

Dieses eBook: "Else von der Tanne (Historischer Roman für die Weihnachtszeit)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Else von der Tanne ist ein historischer Roman von Wilhelm Raabe: In Deutschland kann keiner dem Dreißigjährigen Krieg entfliehen, selbst wenn er sich jahrelang tief im wilden Harz verbirgt. Im Nachmittag des Heiligen Abends anno 1648 sitzt Pfarrer Leutenbacher in dem Harzdorf Wallrode immer noch über seiner Weihnachtspredigt. Er bringt sie nicht fertig. Den ganzen Tag hat es geschneit. "Das Gestäube und Gewirbel" vor der Tür will kein Ende nehmen. Da pocht jemand an das Fenster und überbringt eine Nachricht: "Die schöne junge Else muß sterben". Leutenbacher springt auf und dringt durch das Schneetreiben bis zu der einsamen Hütte an der hohen Tanne vor. Elses Vater, der Magister Konradus, öffnet auf das Pochen hin. Der Pfarrer wird eingelassen... Wilhelm Raabe (1831-1910) war ein deutscher Schriftsteller. Er war ein Vertreter des poetischen Realismus, bekannt für seine gesellschaftskritischen Erzählungen, Novellen und Romane.

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Wilhelm Raabe

Else von der Tanne (Historischer Roman für die Weihnachtszeit)

e-artnow, 2015 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-4815-8

Inhaltsverzeichnis

Cover
Titelblatt
Text

Es schneiete heftig, und es hatte fast den ganzen Tag hindurch geschneit. Als es Abend werden wollte, verstärkte sich die Heftigkeit des Sturmes; das Gestäube und Gewirbel um die Hütten des Dorfes schien nimmer ein Ende nehmen zu wollen; verweht wurden Weg und Steg. Im wilden Harzwald, nicht weit von dessen Rande die armen Hütten in einem Häuflein zusammengekauert lagen, sauste und brauste es mächtig. Es knackte das Gezweig, es knarrten die Stämme; der Wolf heulte, wenn die Windsbraut eine kurze Minute lang Atem schöpfte; – man schrieb den vierundzwanzigsten Decembris im Jahr eintausendsechshundertundachtundvierzig.

Dominus Magister Friedemann Leutenbacher, der Pfarrherr zu Wallrode im Elend, hatte den ganzen Tag über an seiner Weihnachtspredigt gearbeitet und Speise und Trank, ja schier jegliches Aufblicken darob versäumt; das irdische Leben war so bitter, daß man es nur ertragen konnte, indem man es vergaß; aber der Prediger im Elend konnte es nicht vergessen: eine solche Weihnachtsrede hatte er noch nicht schreiben müssen. Er war nicht alt, der Pfarrherr zu Wallrode; er war im Jahr sechzehnhundertzehn geboren; allein dreißig Jahre seines Daseins mochten dreifach und vierfach gerechnet werden; eine solche Zeit des Greuels und der Verwüstung hatte die Welt nicht gesehen, seit das Imperium Romanum versank vor den wandernden Völkern. Nun war das zweite Imperium, das Römische Reich Deutscher Nation, auch zerbrochen, und wenngleich die Ruine zur Verwunderung aller Welt noch durch hundertundfünfzig Jahre aufrecht stand, so lösten sich doch bei jedem Sturm und Wind verwitterte, morsche Teile ab und stürzten mit Gekrach hernieder. So war es geschehen, als man den Frieden zu Münster und Osnabrück schloß, und zwei Drittel der Nation waren verschüttet worden durch den Dreißigjährigen Krieg.

Ehrn Friedemann Leutenbacher, der Pastor zu Wallrode im Elend, wußte davon zu sagen. Um seine Handgelenke trug er die blutigroten Spuren und Striemen der Stricke und Riemen, welche ihm die Raubgesellen des General Pfuhl, der sich rühmte, allein achthundert Dörfer verbrannt zu haben, anlegten, als sie ihn zwischen den Gäulen fortschleppten in den Wald. Des Gallas barbarisch Volk hatte ihn den schwedischen Trunk probieren lassen, und was Linnard Torstensohns fliegende Scharen an seinem armen Leibe und an seinen Pfarrkindern verübt hatten, das war nicht auszureden.

Es schneiete heftig, und es schien nimmer ein Ende nehmen zu können; die Dämmerung aber nahm wohl eine Stunde zu früh dem schreibenden Magister die Feder aus der Hand; es war ihm, als ob sie auch leise und unmerklich in sein Hirn gekrochen sei, als er aufblickte und einen Blick um sich her und durch das Fenster warf.

Da lag vor ihm der schlechte Fetzen groben Papieres, mit welchem letztern er in seiner Einsamkeit so sparsam umgehen mußte, da lagen die wenigen Bücher, welche der höhnischen Zerstörungslust der wilden streifenden Rotten entgangen waren, da lag vor allem die alte, zerfetzte Bibel, welche er im Jahre 1639 aus dem dritten Brande seiner Hütte gerettet hatte und welche an ihrem Einband und dem Rande der vergilbten Blätter Zeichen der leckenden Flammen trug: Und alles das Rüstzeug des Geistes war, seiner Äußerlichkeit nach, im vollkommenen Einklang mit allem, was den Pfarrer sonst umgab. Die schlechteste Hütte jetziger Zeit hätte mehr Gegenstände und Hilfsmittel der Üppigkeit aufzuweisen als dieses Pastorenhaus, auf dessen Dach der rote Hahn dreimal während dieses scheußlichen Krieges gesessen hatte, und nur die große weiße Katze, welche im Winkel neben dem Herde zusammengerollt lag, mochte sich behaglich darin fühlen.

Aber der Pfarrherr sah nichts von der Trostlosigkeit, die ihn umgab; er war im Elend aufgewachsen, und »Im Elend« hieß die hungerige Waldgegend, in welcher sein Pfarrdorf lag. Nur ein einziges Mal in seinem Leben hatte er während seiner Schulzeit zu Wittenberg freier Atem holen können; aber der Sonnenblick war so schnell vorübergeflogen, daß es wie ein ferner, ferner, unbestimmter Traum erscheinen mußte; – im Elend wäre Friedemann Leutenbacher längst verlorengegangen, wie das deutsche Volk, wenn Else von der Tanne nicht gewesen wäre.

Er hatte die Feder neben seiner Weihnachtspredigt niedergelegt, trat zu dem niedern Fenster und betrachtete in der Dämmerung die roten Narben um seine Handgelenke. Er war sehr betrübt und dachte, während er so stand, wie das deutsche Volk gleich ihm mit gefesselten Händen, zerschlagen und blutig, herausgeschleppt sei und niedergeworfen. Der Herr hatte gebrüllt aus der Höhe und seinen Donner hören lassen aus seiner heiligen Wohnung; er hatte ein Lied gesungen wie die Weintreter, über alle Bewohner des Landes; sein Hall war erschollen bis an der Welt Ende; und bis an der Welt Ende lagen die Erschlagenen und wurden nicht geklaget noch aufgehoben, noch begraben. Ehrn Friedemann Leutenbacher aber dachte noch viel mehr an Else von der Tanne, welche jetzt aus dem großen Walde fortgehen mußte, und er sprach mit den Worten des Propheten an diesem Abend vor Weihnachten des Jahres sechzehnhundertachtundvierzig:

»Er hat mein Fleisch und meine Haut alt gemacht und mein Gebein zerschlagen. Er hat mich verbauet und mich mit Galle und Mühe umgeben. Er hat mich in Finsternis gelegt wie die Toten in der Welt. Er hat mich vermauert, daß ich nicht heraus kann, und mich in harte Fesseln gelegt.«

Dann seufzte er tief und schwer; durch das Gestöber im Dunkel glimmerten zwei oder drei Lichter seines Dorfes, doch da er wußte, welche tierische Verdummung, welche Schmach und welcher Jammer des Menschen um diese matten Flämmchen kauerten, so wandte sich sein Geist auch von ihnen ab, um angstvoll seufzend weiterzuirren; und immer finsterer ward die Nacht, immer heftiger der Sturm.

Die weiße Katze war aufgestanden, schlich durch die Stube, miauzte und kam, sich an den Beinen ihres Herrn zu reiben; Martina sah in das Gemach und fragte, ob sie die Lampe anzünden solle; aber der Pfarrer schüttelte den Kopf und sagte nein; – Martina machte leise die Tür wieder zu; – Ehrn Friedemann Leutenbacher blickte immer noch hinaus in die Dunkelheit: Er dachte immer noch an Else von der Tanne, und seine Seele war gefangener denn je.

Er dachte an Else von der Tanne, an ihre Hütte neben der hohen Tanne, an den sonnigen Sommertag, an welchem der Magister Konradus sein sechsjähriges Kind auf dem Arm in den Wald getragen hatte. Er dachte an ihre Stimme im Walde, er dachte daran, wie sie im Dickicht sang und Kränze wand, und dann dachte er daran, wie seine Pfarrkinder das schöne Mädchen für eine Hexe hielten, ihr auswichen, wenn sie ihr allein begegneten, sie verhöhnten, verspotteten und verfolgten, wenn eine Schar von ihnen im wilden Forst auf sie traf; er dachte an den Tag Sankt Johannes des Täufers und stöhnte laut und rang die Hände.

Es war eine so seltsame, so wunderliche Geschichte. Bannier hatte am vierundzwanzigsten September sechzehnhundertsechsunddreißig die Sachsen und Kaiserlichen bei Wittstock in grimmigster Feldschlacht geschlagen und war Herr in Deutschland. Achtzigtausend Feinde erwürgte er, und sechshundert Fahnen und Standarten gewann er während seiner Kriegsführung; aber das Volk nannte schaudernd die Jahre seines Kommandos die »Schwedenzeit«, und durch die Jahrhunderte klingt der unsägliche Jammer, den dieses Wort bedeutet, leise und schaurig fort.

In der Schwedenzeit erschien Else mit ihrem Vater zu Wallrode im Elend.

Es kamen Kinder, die gegen Ende des Septembers im Walde Holz gelesen hatten, heim und erzählten: an der hohen Tanne halte ein wunderlich Wesen, ein Gefährt, gezogen von einem schwarzen Roß und bewacht von einem wilden, gewaffneten Mann und vier Hunden, groß und grimm wie Wölfe. Und sie berichteten weiter, es sei ein Feuer angezündet unter der hohen Tanne, und neben dem Feuer sitze ein Mägdlein ganz holdselig, und der wilde Mann koche ihm ein Süppchen.

Da machten sich einige aus dem Dorf auf, das fremde Wesen auch zu sehen, und kehrten zurück und sagten aus: es sei also, das Feuer brenne und die vier Hunde seien auch vorhanden und das Mägdlein habe den Kopf auf den Leib des einen gelegt und schlafe, das schwarze Roß weide im Gebüsch und der fremde Mann haue Gestrüpp und baue eine Hütte für die Nacht, es seien aber keine Tataren.