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Zwischen Kimchi und K-Pop:
"Emmi in Korea" - Über das Leben einer deutschen Schülerin im fernen Asien
Die Zeit rast!
Nur drei Monate, nachdem die 13-jährige Emmi erfahren hat, dass sie mit ihrer Familie ins südkoreanische Seoul ziehen wird, ist es schon so weit: Der Umzug steht an. Viel schneller, als Emmi lieb ist! Zum Glück darf wenigstens ihre beste Freundin Sina für zwei Wochen mitkommen.
Doch kein Umzug verläuft ohne Hindernisse. Erst recht nicht, wenn das Ziel das andere Ende der Welt ist. Dabei hat Emmi doch schon ganz andere Sachen im Kopf: Wird sie sich in dieser riesigen Metropole zurechtfinden? Und wann wird sie ihren heimlichen Schwarm Jan wiedersehen?
Band 2 der etwas anderen Buchreihe über große Veränderungen, Eltern, Freundschaft und natürlich... Liebe!
Alle sechs Bände sind als E-Book erhältlich:
Band 1: Emmi in Korea - Urlaub mit Folgen
Band 2: Emmi in Korea - Umzug mit Hindernissen
Band 3: Emmi in Korea - Schulstart mit Herzklopfen
Band 4: Emmi in Korea - Herbstferien mit Nervenkitzel
Band 5: Emmi in Korea - Weihnachtszeit mit Pferdefuß
Band 6: Emmi in Korea - Neujahr auf Koreanisch
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2019
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Kapitel 1 – Von Schweinen und Umzügen
Kapitel 2 – Das Umzugsmonster
Kapitel 3 – Kein Zurück
Kapitel 4 – Herzlich Willkommen?
Kapitel 5 – Schluckbeschwerden
Kapitel 6 – Die goldene Ananas
Kapitel 7 – Immer weiter
Kapitel 8 – Die böse Stiefmutter
Kapitel 9 - Ausgesetzt
Kapitel 10 – Ende gut, alles gut?
Ausblick und Feedback
Danksagung
Emmi in Korea
Band 2
Umzug mit Hindernissen
© / Copyright: Berlin, 2018 - Stephanie Auten
Anschrift:
Stephanie Auten
c/o AutorenServices.de
Birkenallee 24
36037 Fulda
E-Mail: stephanieauten@posteo.net
Korrektorat: Gitte Riedel
Umschlaggestaltung und -Illustration: Katharina Netolitzky,
https://katharina-netolitzky.jimdo.com/
Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären zufällig und nicht beabsichtigt.
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
„Hast du das Schneiddings schon eingepackt?“ Mama steckt ihren Kopf zwischen den Umzugskisten hervor.
Wie eines von diesen Erdmännchen im Zoo, denkt Emmi und grinst.
„Keine Ahnung, was ein Schneiddings sein soll.“
„Na das“, Mama wedelt mit der Hand in ihre Richtung, „Rolldings zum Schneiden.“ Ihre Stimme klingt dumpf, weil sie den Kopf tief in den Küchenschrank mit den alten Töpfen gesteckt hat.
„Aha“, sagt Emmi und verschränkt die Arme. „Komm Mama, noch ein Versuch.“
Scheinbar angestachelt zieht sie den Kopf, auf dem ihre Haare zu einem hohen Dutt gebunden sind, aus dem Schrank, schnippt mit den Fingern und kneift die Augen zusammen. „Pizzaschneider!“, ruft sie triumphierend und zeigt mit dem Finger in Emmis Richtung.
Emmi kann sich nicht erinnern, dass Mama in den letzten Jahren auch nur einmal in diesen Unterschrank links neben der Spüle geschaut hätte. Aber jetzt scheinen plötzlich alle uralten Töpfe und Pfannen, die Mama mit lautem Poltern aus dem Schrank zieht, für ihren Umzug nach Korea überlebenswichtig zu sein.
„Gibt es in Seoul keine Töpfe zu kaufen?“ Emmi kann sich diese Frage nicht verkneifen, obwohl Mamas Nerven schon seit ein paar Tagen blank liegen. Bereits übermorgen fährt der Umzugswagen vor und der Haushalt von Familie Mayer steht Kopf.
„Bestimmt keine so schönen wie diesen hier.“ Mama zieht ein scheußliches Teil mit orange-rotem Blumenmuster hervor. Der Topf sieht aus, als wäre er älter als Emmi. Deutlich älter. Uralt.
„Der ist doch mindestens so alt wie du, Mama“, sagt sie und nimmt den Topf mit dem sichtbar nach außen geschwungenen Rand in die Hand. Doch auch von Nahem sind die Farbe und das altmodische Blumenmuster nicht hübscher. Manchmal findet Emmi alte Sachen, die sich jahrelang in den Tiefen der Schränke und Schubladen verstecken, ja schön. Bei diesem Exemplar ist das definitiv nicht der Fall.
„Du hast recht“, sagt Mama, als sie Emmis Gesichtsausdruck sieht. „Opa braucht ja auch ein paar Töpfe zum Kochen, wenn er hier einzieht.“
Emmis Kichern wird vom Klingeln an der Haustür übertönt.
„Wenn man vom Teufel spricht.“ Mama steht mit einem Ächzen auf und stellt den scheußlichen Topf auf den Küchentisch.
„Wen meinst du jetzt? Opa oder Benno?“, ruft Emmi, während sie zur Haustür läuft.
Schon jetzt kann sie Bennos Quengeln hören, obwohl sie die Tür noch nicht mal aufgemacht hat. Ihr kleiner Bruder ist in letzter Zeit wirklich anstrengend.
„Na, hast du das Monster erfolgreich müde gemacht?“, fragt Emmi ihren Großvater, während Benno auf wackligen Beinen in den Hausflur tapst, kaum dass Emmi die Tür einen Spalt breit geöffnet hat.
„Ich musste ihm ein Eis versprechen, damit er sich nicht den Kühen zum Fraß vorwirft“, sagt Opa und lässt sich von Emmi einen Kuss auf seine stoppelige Opa-Wange drücken.
„Das Eis haben Mama und ich vorhin aufgegessen“, sagt Emmi und erntet für ihre unbedachte Äußerung prompt einen Aufschrei aus der Küche.
„Bist du wahnsinnig?“, ruft Mama. „Das böse Wort mit den drei Buchstaben kannst du die nächsten zehn Jahre nicht mehr in den Mund nehmen. Vor allem nicht, wenn es alle ist!“
Vergnügt hüpft Emmi hinter Opa in die Küche, wo Benno just in diesem Moment entdeckt, dass auf Töpfe schlagen ganz tolle Geräusche macht.
Schnell schnappt Mama die Topflappen, die glücklicherweise noch an Ort und Stelle hängen und drückt sie Benno in die Hand. Sie atmet tief ein und aus und gießt sich Wasser in ein Glas, nimmt einen Schluck und stellt das Glas direkt neben dem scheußlichen Topf auf dem Küchentisch ab. Sie sieht erschöpft aus.
„Was wollt ihr denn mit Omas Nachttopf?“, sagt Opa und deutet auf das orange-rot geblümte Ungetüm. „Gibt es in Seoul keine Toiletten?“
Als Reaktion auf Opas Frage spuckt Mama das Wasser aus ihrem Mund quer über den Küchentisch.
„Nachttopf?“, fragt sie entsetzt und schiebt den Topf angewidert ein Stück von sich. „Ich kann mich zwar nicht wirklich erinnern, aber ich habe in diesem Topf bestimmt mal was gekocht in den letzten Jahren. Und jetzt erzählst du mir so nebenbei, dass das ein Nachttopf ist?“
„Das hab ich dir bestimmt schon früher mal erzählt“, erwidert Opa gelassen.
„Und warum hätte ich ihn dann in die Küche zu den anderen Töpfen getan?“, gibt Mama gereizt zurück.
„Was ist ein Nachttopf überhaupt?“ geht Emmi dazwischen. Sie ahnt zwar anhand Mamas Reaktion, dass es nicht ums Kochen geht, aber trotzdem kann sie sich unter dem Begriff gar nichts vorstellen. Warum sollte man einen Topf nur nachts benutzen können?
„Du weißt nicht, was ein Nachttopf ist?“, fragt Opa erstaunt. „So jung bist du doch nun auch wieder nicht.“
„Opa, ich bin dreizehn. Nicht dreißig“, gibt Emmi zurück.
„Jetzt, wo du es sagst.“ Opa legt ihr die Hand auf die Schulter. „Also mit dreißig hatte ich ja schon graue Haare. Das lag aber mehr an deiner Mutter als an diesem hohen Alter.“
„Herzlichen Dank“, sagt Mama und taucht wieder in den Küchenschrank ein.
„Was ist denn jetzt ein Nachttopf?“, fragt Emmi ungeduldig.
„Ein Nachttopf“, Opa hat plötzlich seine Märchenonkelstimme aufgesetzt, „stand früher unter fast jedem Bett. Und wenn man nachts mal dringend musste, hat man einfach diesen Topf benutzt und wieder unters Bett geschoben.“
„Oh iieehhh!“ Emmi verzieht angeekelt das Gesicht. „Und warum ist man nicht einfach aufs Klo gegangen?“
Opa lacht herzlich und Emmi fragt sich, ob sie eine komische Frage gestellt hat.
„Habe ich dir mal von unseren Schweinen Frieda und Friedrich auf unserem allerersten Hof erzählt?“
„Ja“, sagt Emmi und runzelt gleichzeitig die Stirn, „aber was hat das mit dem Klo zu tun?“
„Nun ja“, beginnt Opa und streicht sich über die kratzige Wange, „Frieda und Friedrich haben sozusagen unser Klo bewacht.“
In Emmis Kopf postieren sich prompt zwei Schweine in Uniform vor eine Toilettentür. Das ist eine lustige Vorstellung, aber so wird Opa das wohl nicht gemeint haben.
„Aber die Schweine haben doch nicht bei euch im Haus gewohnt, sondern im Schweinestall?“
„Kluges Kind“, sagt Opa. „Und was schlussfolgern wir daraus?“
Solche Fragen- und Antwortspielchen kann Emmi ja überhaupt nicht leiden. Sie kommt sich dabei immer vor wie in einer Prüfung.
„Frieda und Friedrich haben euch zugekuckt beim…“
„Emmi!“, ruft Mama warnend. Sie poltert zwar gerade mit irgendwelchen Töpfen rum, aber wenn es drauf ankommt, hat Mama Ohren wie ein Luchs.
Opa hält sich den Bauch vor Lachen. Emmi mag sein Lachen total gern. Er erinnert sie dann immer an den Weihnachtsmann.
„Verstehst du jetzt?“, fragt Opa, als er sich wieder beruhigt hat.
„Ich glaube schon. Weil ihr nachts keine Lust hattet, in den Stall zu gehen, habt ihr den Nachttopf benutzt.“ Das kann Emmi durchaus verstehen. Sie hat ja nicht mal Lust, aus ihrem warmen Bett die paar Meter bis zum Bad zu trotten.
„Da fällt mir ein, so etwas Ähnliches habe ich gerade über Korea gelesen“, ruft Mama ihnen aus der Küche zu.
Emmi bekommt tennisballgroße Augen. „Wie jetzt? Müssen wir etwa auch nachts in den Stall? Oder auf den Nachttopf?“
Nun hört sie auch Mama aus der Küche lachen und klingt dabei fast genauso wie Opa. Obwohl sie sich sonst überhaupt nicht ähnlich sehen. Während Mama dichte, lange Locken hat, hat Opa kaum noch Haare auf dem Kopf. Die, die übriggeblieben sind, sind grau oder weiß und stehen ihm vor allem hinter den Ohren in lustigen, kurzen Büscheln ab. So sieht er immer ein wenig zerstreut aus.
„Wenn wir auf die koreanische Insel Jeju fliegen – dann vielleicht“, ruft Mama aus der Küche. „Dort soll es ein besonderes Schweinefleisch geben. Es heißt black pork und schmeckt angeblich deswegen so gut, weil das Schwein die Hinterlassenschaften der Menschen auffrisst.“
„Uäh, Mama!“, ruft Emmi aus und kneift die Augen zusammen. Natürlich hat sie sofort das passende Bild im Kopf.
„Das machen die nicht ernsthaft, oder?“
Ganz plötzlich hat sie große Zweifel an der Umzugsentscheidung ihrer Eltern.
„Früher war es zumindest so“, antwortet Mama auf ihre Frage, „aber ich kann dich beruhigen - heute wohl nicht mehr.“
Beruhigend findet Emmi das keineswegs. Wie kann man nur auf so eine Idee kommen? Dass Hausschweine früher bei ihnen mit Abfällen aus der Küche gefüttert wurden, hat sie schon mal gelesen. Aber dass die Schweine…
Emmi schüttelt sich. „Keinen Fuß setze ich auf diese Insel“, sagt sie bestimmt.
„Es soll aber sehr schön dort sein. Dein Vater und ich haben schon geplant, in den Herbstferien hin zu fahren“, erwidert Mama.
„Was? Auf keinen Fall. Ich komme nicht mit.“
„Aber du isst doch sowieso kein Fleisch mehr.“
Ach ja, stimmt. Emmi ist seit drei Wochen Vegetarierin, nachdem sie im Fernsehen zufällig einen Bericht über die Herstellung von Supermarktfleisch gesehen hat. Nur ist das nicht nur für ihre Eltern, sondern auch für sie noch so neu, dass sie es manchmal vergisst.
Emmi dreht sich zu Opa: „War das bei euch etwa auch so?“
„Was denn?“, fragt Opa gespielt ahnungslos. Als ob er nicht genau wüsste, worauf Emmi hinauswill.
„Na, dass ihr euren Schweinen…“
„Uäh, Emmi!“, äfft Opa sie nach. „Selbstverständlich nicht. Wir hatten ein ordentliches Plumpsklo.“
„Was ist denn jetzt schon wieder ein Plumpsklo?“
„Jetzt reicht es mir aber mit diesem Thema!“ Mamas Stimme klingt jetzt deutlich ungeduldiger als vorhin. „Emmi, ich glaube, du kannst dir lebhaft vorstellen, was da ins Klo plumpst.“ Sie wedelt mit den Armen in Richtung Küche. „Helft mir lieber beim Kisten packen!“
„Ich hab aber gar keine Lust“, sagt Opa prompt.
Emmi muss kichern. Sie würde von Mama sofort eine Ansage bekommen, aber Opa kassiert von ihr lediglich ein paar genervte Blicke und eine hochgezogene Augenbraue.
„Warum immer ich? Was ist mit deinem nichtsnutzigen Ehemann?“, fragt Opa und grinst.
„Emmis Vater“, sie zeigt mit dem Finger auf Emmi, als ob die etwas für ihren Vater könnte, „hat sich zur Arbeit verdrückt.“
„Und das an einem Samstag“, erwidert Emmi und verzieht ebenfalls den Mund. Nie würde sie auf die Idee kommen, am Wochenende freiwillig die Schule zu betreten. „Ich hoffe, in Korea muss Papa nicht so viel arbeiten.“
„Ich befürchte, Papa muss in Korea eher mehr arbeiten.“ Mama seufzt und lässt ein wenig die Schultern hängen. „Zumindest von dem, was ich bisher so gehört habe, arbeiten die Menschen in Ostasien deutlich länger als hier.“
„So wie die Schüler bis spätabends zur Nachhilfe gehen?“ Mit einem Grausen erinnert sich Emmi an die Mädchen in Schuluniform, die sie nach 22 Uhr abends aus einer Nachhilfeschule hat kommen sehen.
Unglaublich, dass ihr erster Besuch schon ein paar Monate her ist. Emmi war zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, dass Seoul bald ihre neue Heimat werden wird. Wie schnell sich das Leben doch ändern kann.
„Warum genau zieht ihr nochmal dorthin“, fragt Opa, „wenn Peter sogar noch mehr arbeiten muss?“
„Weil es für Peter eine tolle Chance ist, sich zu beweisen“, sagt Mama prompt. Und für uns als Familie ist es eine spannende und einmalige Gelegenheit.“ Dieser Satz kommt so schnell aus Mamas Mund, als ob sie ihn sich vorher bereits zurechtgelegt hätte.
„Also, ich für meinen Teil freue mich drauf“, springt Emmi ihr beiseite und Mama scheint sich sichtlich darüber zu freuen.
„Am Anfang war die Vorstellung, so weit weg zu ziehen, schwierig für mich. Aber jetzt kann ich es kaum erwarten!“ Zu gut kann Emmi sich an die Hiobsbotschaft erinnern, als Papa und Mama ihr in diesem Hotel im Osterurlaub vor ein paar Monaten eröffnet hatten, dass Papa ein Jobangebot in Korea hat. Und an die Achterbahnfahrt der Gefühle, die Emmi in den Wochen darauf durchgemacht hatte: Die Bewunderung ihrer Mitschüler und sogar einiger Lehrer für so einen großen, mutigen Schritt einerseits. Andererseits das Drama mit ihrer besten Freundin Sina, der sich Emmi ewig nicht getraut hatte zu sagen, dass sie bald ganz weit wegziehen würde – nur damit Sina es dann durch einen dummen Zufall erfährt.
Und zwar nicht von Emmi.
Sondern von ihrem Klassenlehrer.
Mitten im Unterricht.
Klar, dass Sina supersauer war. Das ging sogar soweit, dass Sina Emmi sogar im Handy blockiert und ihr eine Kiste mit ihren ausgeliehenen Klamotten und Geschenken von früher vor die Haustür gestellt hatte.
Doch letztendlich hat sich Sina wieder eingekriegt.
Dank Timo.
Ach, was wird Emmi nur ohne die beiden machen – Sina, die trotz aller Zickereien der lustigste, aufgeschlossenste und selbstbewussteste Mensch ist, den Emmi jemals getroffen hat, und die somit ganz das Gegenteil zu Emmis eher zurückhaltender, unsicherer Art ist. Und Timo, ihr kluger und witziger bester Freund Timo.
Wobei – bei Timo ist wohl eher die Frage – was wird er nur ohne Emmi machen? Denn dass Timo heimlich in Sina verliebt ist, das weiß nach wie vor nur Emmi.
Wenn Timo wüsste, wie schwer es Emmi fällt, die Klappe vor Sina zu halten. Jeden einzelnen Tag! Und das nur, weil dieser blöde Brief, den Timo Sina geschrieben hat, nie bei ihr angekommen ist. Und Timo sich nicht traut einen neuen Anlauf zu wagen.
Nein, Timo hält es für Schicksal, dass Sina seinen Brief nicht erhalten hat, und für ein – Zitat Timo – weiteres grausames Puzzlestück in seinem verunglückten Leben, in dem er als trauriges Genie ein einsames Leben fristen muss. Und ja, Emmi kann sich ganz genau erinnern, dass er tatsächlich das Wort Genie benutzt hat.
Nun ist Emmi nur noch wenige Wochen in Deutschland und es kribbelt ihr in allen Fingern, Sina gegenüber ein paar Andeutungen zu machen. Nur ein paar klitzekleine. Schließlich ist sie bald weg und Timo muss man eindeutig zu seinem Glück zwingen. Und Sina auch, denn die steht so ganz und gar nicht auf Jungs wie Timo – den netten, aber irgendwie uncoolen Jungen von nebenan. Für Sina muss es der tollste Junge der Schule sein. Obwohl – nachdem Jonas aus der 8. Klasse sie so fies hintergangen hat, hat Sina vielleicht erstmal die Nase voll von den umschwärmten Jungs… Und Timo somit eine Chance?
Hach, was wäre das für ein Happy End! Emmi seufzt so hingerissen über diese Vorstellung, dass sie sowohl von Mama als auch von Opa einen ulkigen Blick kassiert. Sofort ist sie wieder auf dem Küchenboden der Realität.
„Äh, ich soll dir doch helfen“, sagt Emmi schnell um komischen Fragen vorzubeugen, „also, welches Küchendings soll ich jetzt für dich finden?“
****
„Hast du schon gepackt?“
„Soll ich einen Bikini mitnehmen?“
„Machen wir Ausflüge oder sind wir die ganze Zeit in Seoul? Sonst brauche ich noch ein Outfit!“
„Soll ich nicht vielleicht doch noch die weißen Turnschuhe einpacken? Ich weiß, ich nehme schon vier Paar andere Schuhe mit, aber sicher ist sicher.“
Genervt schaltet Emmi das Handy auf lautlos und legt es weg. Jetzt hat sie den ganzen Nachmittag lang mit Mama und Opa Kisten gepackt und wollte endlich ein wenig entspannen. Vielleicht ein Buch lesen, von den wenigen, die nicht schon in einer Kiste verschwunden sind, oder Musik hören. Vielleicht macht sie aber auch einfach nur für ein paar Minuten die Augen zu. Einfach nichts tun.
Mööööp!
Der Vibrationsalarm ist so laut auf Emmis Nachttisch, dass sie zusammenschrickt. Dabei war sie gerade ansatzweise entspannt. Wütend grapscht sie dem Telefon.
„Hast du vielleicht noch Platz im Koffer, Em?“
Wenn Sina so weitermacht, treibt sie Emmi schon ganz bald in den Wahnsinn, wahrscheinlich noch bevor sie das Flugzeug betreten haben. So sehr sich Emmi darüber freut, dass ihre Eltern und Sinas Mutter ihrer besten Freundin den Flug nach Seoul zu ihrem Geburtstag geschenkt haben, um ihnen die Trennung nicht allzu schwer zu machen – Emmi hätte von Anfang an klar sein müssen, worauf sie sich einlässt. In den letzten Tagen hatte Emmi oft den Eindruck, dass Sina aufgeregter ist als sie selbst. Viel aufgeregter! Und das, obwohl dieser Flug nach Seoul für Sina nur eine Reise ist, für Emmi aber ein Neustart in ein völlig neues Leben bedeutet! Und doch kann Emmi Sina verstehen – es ist nicht nur Sinas erste Reise Richtung Asien, es ist ihr erster Flug überhaupt. Klar, dass Sina nicht weiß, was auf sie zukommt. Und dann muss sie auch noch allein zurückfliegen!
Aber muss sie deswegen jetzt schon so durchdrehen?
„Sina, es sind noch SECHS Wochen Zeit bis zur Abreise“, schreibt Emmi. Als einzige Antwort auf alle fünf Nachrichten.
„Ja, aber ich dachte, du könntest schon mal ein paar Sachen im Umzugswagen mitschicken?“, kommt es prompt zurück.
Emmi prustet los, als sie diese Frage liest.
„Und dann? Bringe ich sie dir in zwei Jahren wieder mit, oder wie? Und außerdem, hast du schon mal daran gedacht, dass du dir vielleicht was aus Korea mitbringen willst?“
„Mist, daran habe ich ja noch überhaupt nicht gedacht. Emmi, ich brauche einen leeren Koffer! Emmi du MUSST ein paar Sachen von mir in den Umzugswagen tun.“
Emmi hat die Wahl: Sich weiter von Sina mit Nachrichten zuballern lassen oder ihre Ruhe haben. Das muss sich Emmi nicht zweimal überlegen.
„Okay, bring mir die Sachen vorbei.“
„Awesome!“, antwortet Sina und schickt fünf Emojis hinterher. Seit sie weiß, dass sie mit Emmis Familie nach Südkorea fliegt, passt sie im Englischunterricht besonders gut auf und schiebt an jeder möglichen und unmöglichen Stelle englische Wörter ein.
Kaum hat Emmi das Telefon noch nicht einmal beiseitegelegt, da vibriert es erneut in ihrer Hand.
Und dann nochmal.
„Ahhhhh!“, platzt es aus Emmi heraus. Zum Glück ist sie allein im Obergeschoß. Mama ist noch unten im Wohnzimmer beschäftigt und Papa noch gar nicht zuhause. Sonst hätte einer von beiden bestimmt sofort den Kopf durch die Tür gesteckt.
Widerwillig schaut Emmi auf das Display:
„Gibt es in eurer Wohnung einen Fön?
„Ich brauche unbedingt einen Fön! Ohne Fön sehen meine Haare aus wie der misslungene Filz-Topflappen für Tante Monika.“
Emmi schließt mit einem gequälten Seufzer die Augen und lässt sich rücklings aufs Bett fallen. Sechs Wochen Zeit bis zur Abreise, davon noch vier Wochen Schule – und Sina hat nichts Besseres zu tun, als sich darüber Gedanken zu machen, ob sie einen Fön in ihrer neuen Wohnung haben werden!
Dabei weiß Emmi selbst nicht, wo ihr gerade der Kopf steht. In der Schule stehen jede Menge Tests an, in Englisch muss sie nächste Woche einen zehnminütigen Vortrag halten, und ähnlich wie Mama in der Küche dreht sie seit Tagen jeden Gegenstand in ihrem Zimmer zweimal um und überlegt, ob er in die Umzugskisten soll oder nicht.
Fünf Umzugskisten. F-Ü-N-F! Mehr hat Mama ihr nicht zugestanden. Alles, was Emmi mitnehmen will, muss in diese Kisten passen. Und was nicht reinpasst, bleibt da. Basta. Dabei waren die ersten Kisten schon nach zwei Stunden voll – Emmis Winterklamotten, Schuhe, Schulsachen und zack – nur noch zwei Kisten übrig. Und dabei sind das nicht mal die Sachen, die ihr wichtig sind. Wohin mit all ihren Büchern, ihren Erinnerungen an ihre Freunde, ihre Fotos, ihre Urlaubsmitbringsel? Unmöglich, ihr Leben in fünf Kisten zu verpacken.
Wenigstens ihre Möbel dürfen mit. Sogar Opas Sessel. Ohne den wäre Emmi auch nicht mitgeflogen, auch wenn sie ihn ihren Eltern gegenüber heftig verteidigen musste. Flohschleuder hat Papa ihn genannt. Nur weil er alt ist. Dabei ist das genau der Sessel aus dem Opa ihr früher immer vorgelesen hat, als Emmi noch klein war und Opa auf sie aufgepasst hat. Papa hat einfach überhaupt keine Ahnung, wie wichtig Emmi dieser Sessel ist.
Nur der Kleiderschrank und ihr altes Kinderbett bleiben in Deutschland – Emmis Eltern haben ihr versprochen, dass sie endlich ein neues Bett bekommt. Sie ist sowieso schon längst zu groß dafür. Viel zu groß! Ihre Füße hängen jede Nacht über dem Bettrand. Kein Wunder – sie ist in den letzten Monaten noch weiter gewachsen. 1,63 Meter misst sie jetzt mit ihren dreizehn Jahren und knapp drei Monaten. Und kein Ende ist in Sicht. Mama hat sie schon fast eingeholt, nur noch wenige Zentimeter fehlen ihr.
Manchmal hat Emmi Angst, dass es immer so weiter geht: Monat für Monat, Jahr für Jahr immer weiter wachsen – auch wenn sie weiß, dass das Quatsch ist und vielleicht einfach nur früh in der Pubertät und sie irgendwann nicht mehr größer werden kann. Auf der anderen Seite gibt es doch so Menschen, die wirklich riesig sind – Frauen, die über zwei Meter groß werden und Männer sogar noch größer. Vielleicht ist Emmi eine von ihnen.
Das Handy vibriert laut auf ihrer Kommode. Emmi erschrickt sich zum zweiten Mal heute, aber diesmal ist sie regelrecht dankbar dafür. Emmi schüttelt heftig mit dem Kopf, in der Hoffnung, dass sie damit auch ihre Gedanken abschütteln kann.
„Was ist jetzt mit dem Fön?“
Widerwillig muss Emmi lächeln.
„Ich bin mir sicher, dass Mama einen Fön in die Badumzugskiste gepackt hat.“
„Oh. Mein. Gott!“, sagt Mama schockiert.
„Was denn? Ist der Umzugswagen da?“ Emmi kommt neugierig ans Fenster geflitzt.
„Wagen ist gut“, sagt Papa, der ebenfalls schon am Fenster steht. „Es ist eher eine riesige Umzugsschlange. Oder ein Lindwurm.“ Er dreht sich zu Emmi. „Weißt du, was ein Lindwurm ist?“
„Sowas wie Nessie?“, antwortet Emmi, obwohl sie keine Ahnung hat, was Papas Frage mit dem LKW zu tun hat, der da draußen ihre kleine Seitenstraße komplett blockiert und versucht, sich einen Weg in Richtung ihres Reihenhauses zu bahnen. Als wäre der LKW nicht schon groß genug, befindet sich hinter dem Fahrerhaus kein Lastwagen, sondern ein merkwürdiges Gebilde aus zwei extrem langen, dicken Schienen wie bei einer Eisenbahn, auf die zwei überdimensionale geschlossene Boxen aus Metall geschoben sind.
„Das ist unser Umzugswagen?“, fragt Emmi verblüfft, während sie, fasziniert von dem Gefährt, aus dem Fenster starrt. „Den hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt.“
„Peter, hast du gewusst, dass die gleich mit Schiffscontainern kommen?“, fragt Mama an Papa gerichtet.
„Wie jetzt, Schiffscontainer? Unsere Sachen kommen auf ein Schiff?“, ruft Emmi erstaunt dazwischen, während sie gebannt beobachtet, wie das Monstrum versucht, inmitten der Parkbuchten und der kleinen Bäumchen, die erst vor ein paar Jahren gepflanzt wurden, hin- und herzurangieren.
Bisher hatte Emmi sich nur dafür interessiert, ob all ihre Sachen in die Kisten passen. Aber wie diese Kisten im Anschluss ans andere Ende der Welt kommen – darüber hatte sie sich überhaupt keine Gedanken gemacht. Bis jetzt.
„Hast du gedacht, jede Kiste sitzt auf einem Platz im Flugzeug und schnallt sich an?“, antwortet ihr Vater ironisch. „Das wäre aber ganz schön teuer geworden.“
Emmi wirft ihm einen bösen Blick zu.
Er bemerkt es und will ihren Kopf tätscheln.
„Lass das!“ Emmi zieht den Kopf zurück. Wie ein Baby kann er Benno behandeln, aber nicht sie.
„Ich geh mal raus. Das kann man ja nicht mit ansehen.“ Papa dreht sich auf der Stelle um und läuft mit zügigem Schritt aus dem Haus. Wahrscheinlich hat er Angst, dass das Monster gleich den Zaun einreißt.
„Papa ist wohl ein bisschen nervös“, sagt Emmi und kichert leise.
„Dabei habe ich den Umzug organisiert und nicht er“, sagt Mama verschmitzt. „Es kann also gar nichts schiefgehen.“ Sie zwinkert Emmi zu und Emmi grinst zurück.
„Also wie ist das jetzt mit dem Meer?“, setzt sie noch einmal an.
„Die Schiffscontainer meinst du? Soweit ich weiß“, beginnt Mama und legt einen Finger an die Nase, „werden die Kisten und Möbel von hier nach Bremerhaven ganz im Norden von Deutschland gebracht. Dort gibt es einen Hafen, von dem aus unser Container mit anderen Containern zusammen auf einem riesigen Schiff an Holland, Spanien und Portugal vorbei Richtung Afrika fahren.
„Wie auf einem Kreuzfahrtschiff?“, wirft Emmi mit gerunzelter Stirn ein.
„So ähnlich“, Mama lächelt. „Nur dass auf diesem Schiff keine Passagiere sind, sondern hunderte von solchen Containern. Dann umrunden sie ganz Afrika und fahren weiter Richtung Indien, Südostasien und dann wieder hoch an China vorbei bis nach Südkorea.
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