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Dieser in den USA 1965 veröffentlichte, in Teilen unter dem Titel «Engel, Kif und neue Länder» auf Deutsch publizierte und nun zum ersten Mal vollständig und in neuer Übersetzung vorliegende autobiografische Roman erzählt von einem Schlüsseljahr in Jack Kerouacs Leben – der Zeit unmittelbar vor der Veröffentlichung von «On the Road» im September 1957. Nachdem er im Sommer 1956 zwei Monate allein als Feuerwächter auf dem Desolation Peak in den Cascade Mountains an der Grenze zu Kanada verbracht hat, stürzt sich Kerouac in Gestalt seines fiktionalen Alter Egos Jack Duluoz wieder in den wilden, aufregenden Trubel der Bars, Jazzclubs und Partys in San Francisco. Immer ebenso sehr Sucher wie Getriebener, nimmt er danach sein unstetes Leben als Tramp wieder auf, reist nach Mexico City, New York, Tanger, Paris und London. Er versucht, sich der Welt zu entziehen und das Göttliche zu finden, aber er scheitert immer wieder, und schlussendlich lautet seine Erkenntnis: «Halt den Mund und lebe, reise, abenteure, segne und bereue nichts!» «Engel der Trübsal» ist reinster, wesentlichster Kerouac.
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Seitenzahl: 658
Jack Kerouac
Roman
Mit einem Nachwort von John Wray
Dieser in den USA 1965 veröffentlichte, in Teilen unter dem Titel «Engel, Kif und neue Länder» auf Deutsch publizierte und nun zum ersten Mal vollständig und in neuer Übersetzung vorliegende autobiographische Roman erzählt von einem Schlüsseljahr in Jack Kerouacs Leben – der Zeit unmittelbar vor der Veröffentlichung von «On the Road» im September 1957.
Nachdem er im Sommer 1956 zwei Monate allein als Feuerwächter auf dem Desolation Peak in den Cascade Mountains an der Grenze zu Kanada verbracht hat, stürzt sich Kerouac in Gestalt seines fiktionalen Alter Egos Jack Duluoz wieder in den wilden, aufregenden Trubel der Bars, Jazzclubs und Partys in San Francisco. Immer ebenso sehr Sucher wie Getriebener, nimmt er danach sein unstetes Leben als Tramp wieder auf, reist nach Mexico City, New York, Tanger, Paris und London. Er versucht, sich der Welt zu entziehen und das Göttliche zu finden, aber er scheitert immer wieder, und schlussendlich lautet seine Erkenntnis: «Halt den Mund und lebe, reise, abenteure, segne, und bereue nichts!»
«Engel der Trübsal» ist reinster, wesentlichster Kerouac.
Jack Kerouac, am 12. März 1922 in Lowell/Massachusetts geboren, diente während des Zweiten Weltkriegs in der Handelsmarine, trampte später jahrelang als Gelegenheitsarbeiter kreuz und quer durch die USA und Mexiko und wurde neben William S. Burroughs und Allen Ginsberg der führende Autor der Beat Generation. Mit «On the Road» schrieb er eines der berühmtesten Bücher des 20. Jahrhunderts. Er starb am 21. Oktober 1969 in St. Petersburg/Florida.
Jan Schönherr lebt in München und hat Autoren wie Charles Bukowski, Roald Dahl und Francis Spufford übersetzt. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bayerischen Kunstförderpreis in der Sparte Literatur und dem Förderpreis zum Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW 2019.
Die Originalausgabe erschien 1965 unter dem Titel «Desolation Angels» bei Coward-McCann, Inc., New York.
Der Übersetzer dankt dem Deutschen Übersetzerfonds, der seine Arbeit mit einem Exzellenzstipendium gefördert hat.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, März 2022
Copyright © 2022 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg «Desolation Angels» Copyright © 1960, 1963, 1965 by Jack Kerouac
Die Übersetzung der zitierten Gedichte von Han-Shan stammt aus: Gedichte vom Kalten Berg, aus dem Chinesischen von Stephan Schuhmacher, Freiburg im Breisgau 2015.
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.
Covergestaltung Cordula Schmidt Design, Hamburg,
nach einem Entwurf von Anzinger und Rasp, München
Coverabbildung Marie Docher/Getty Images
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
ISBN 978-3-644-00267-8
www.rowohlt.de
Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.
Diese Nachmittage, diese faulen Nachmittage, wenn ich oben auf dem Desolation Peak saß oder auch lag, auf dem Gipfel der Trübsal, manchmal auf der Bergwiese, ringsum Hunderte Kilometer schneebedeckter Fels, der drohende Mount Hozomeen im Norden, der verschneite, riesige Jack Mountain im Süden, der verzaubernde Anblick des Sees unten im Westen, und dahinter der verschneite Buckel des Mt. Baker, und im Osten die Kette der zackigen, zerfurchten Ungetüme der Cascades, und nach dem ersten Mal die plötzliche Erkenntnis: «Ich selbst bin es, der sich verändert und der all das getan hat, der gekommen und gegangen ist und sich beklagt und Schmerz empfunden und sich gefreut und laut geschrien hat, und nicht das Nichts», und jedes Mal, wenn ich ans Nichts dachte, blickte ich hinüber zum Mt. Hozomeen (weil Stuhl und Bett und Bergwiese nach Norden gingen), bis ich erkannte: «Der Hozomeen ist das Nichts, oder wenigstens bedeutet er das Nichts in meinen Augen» – Blanker, nackter Fels, Zinnen ragen Hunderte Meter aus Buckelmuskeln, die noch mal Hunderte Meter aus kolossal bebaumten Schultern ragen, und die grüne, spitztannige Schlange meines eigenen Bergrückens (Starvation) windet sich zu ihm hin, zu seinem grauenhaft gewölbten, blauen, rauchleibigen Fels, und die «Wolken der Hoffnung» bummeln jenseits davon über Kanada, mit ihren Tüpfelgesichtern und parallel geformten Rücken, mit ihrem Hohnlächeln und Grinsen und ihrer lammigen Gestalt und ihren Puffschnauzen und ihren löchrigen Stallungen und sagen «Hallo Erde!» – die höchsten, allerkicherndsten Gipfelentsetzlichkeiten des Mt. Hozomeen, gemacht aus schwarzem Fels, und nur wenn Stürme pfeifen, sehe ich sie nicht, und sie tun nichts als Zahn um Zahn mit unerschütterlichem Missmut aus Wolkenbruch und Nebel wieder Sturm zu machen – Hozomeen, der nicht im Wind zerbirst wie Hüttenstreben, der, wenn man ihn verkehrt rum sieht (wenn ich vor der Hütte meinen Kopfstand machte), nur als Blase im grenzenlosen Ozean des Raumes hängt –
Hozomeen, Hozomeen, schönster Berg, den ich je gesehn, wie ein Tiger manchmal, so gestreift, sonnensatte Rinnsale und Schattenklippen winden sich im Helllichten Tag, senkrechte Furchen und – buh! – Spalten, rumms, blanker, herrlicher, vernünftiger Berg, keiner hat auch nur von ihm gehört, und er ist nur zweieinhalbtausend Meter hoch, doch welches Grauen, als ich dieses Nichts zum ersten Mal erblickte, als ich in der ersten Nacht auf dem Desolation Peak aus zwanzig Stunden tiefem Nebel zu einer sternenklaren Nacht erwachte und plötzlich Hozomeens zwei scharfe Spitzen drohten, mitten in der Schwärze meines Fensters – Das Nichts, immer wenn ich an das Nichts dachte, sah ich den Mount Hozomeen, und ich verstand. Mehr als siebzig Tage lang musste ich ihn ansehen.
Ja, denn im Juni, als ich für meinen Job als Brandwächter hinauf ins Skagit Valley im Nordwesten Washingtons trampte, hatte ich geglaubt: «Wenn ich oben auf dem Desolation Peak bin und alle anderen auf Maultieren davonreiten und ich allein zurückbleibe, dann werde ich Gott oder Tathagata gegenüberstehen und ein für alle Mal rausfinden, was es auf sich hat mit dieser ganzen Existenz, dem Leid und nichtsnutzigen Hin und Her», doch gegenüber stand ich nur mir selbst, kein Schnaps, keine Drogen, keine Chance, irgendjemandem was vorzumachen, nur ich selbst, der alte, hassenswerte Duluoz, und oft hab ich geglaubt, ich müsse sterben, vor Langeweile zugrundegehen oder mich vom Berg stürzen, doch die Tage, ach, was sage ich, die Stunden schleppten sich dahin, und mir fehlte der Mumm zu diesem Sprung, ich musste warten, bis ich der Wirklichkeit ins Auge sah – Und endlich ist es dann so weit, an jenem Nachmittag des 8. August, als ich in meinem hochalpinen Vorgarten auf dem kleinen Pfad auf und ab gehe, den ich in Staub und Regen ausgetreten habe, Abend für Abend, meine Öllampe tief geneigt im Inneren der Hütte mit den Fenstern auf allen vier Seiten und dem Pagodendach und der Blitzableiterspitze, da geht es mir endlich auf, nach stetigen Tränen und Zähneknirschen, nach dem Töten einer Maus und dem versuchten Mord an einer zweiten, was ich noch nie zuvor getan hatte (Tiere töten, nicht mal Nager), geht es mir auf in diesen Worten: «Dem Nichts kann keine Form von Auf und Ab was anhaben, sieh dir nur den Hozomeen an, kennt der Sorgen oder Tränen? Beugt er sich dem Sturm, knurrt er, wenn die Sonne scheint, seufzt er in der Dösigkeit des späten Tages? Lächelt er? Entstand er nicht aus tollhirnigem Chaos und rebellischem Feuerregen und ist jetzt Hozomeen und weiter nichts? Warum sollte ich verbittert oder süß sein wollen, wo er doch keins von beiden ist? Warum kann ich nicht sein wie der Hozomeen und – o Platitude, o uralte Platitude bourgeoiser Geister – «das Leben nehmen, wie es ist»? Wie einst der Biograph und Säufer W.E. Woodward sagte: «Das Leben ist nur da, um gelebt zu werden» – Aber mein Gott, was bin ich gelangweilt! Aber ist der Hozomeen gelangweilt? Und ich hab die Nase voll von Worten und Erklärungen. Der Hozomeen auch?
Polarlicht
überm Hozomeen –
Das Nichts ist stiller
– Selbst der Hozomeen wird bröckeln und zerfallen, nichts währt ewig, es ist nur eine Passage-in-dem-was-alles-ist, ein Durchgang, das läuft hier ab, wieso Fragen stellen oder Haare raufen oder weinen, der blubberblöde lila Lear auf seiner Leidensheide ist nur ein zerknirschter alter Lappen mit zwirbeligen Bartspitzen, umsorgt von einem Narren – sein und nicht sein, das sind wir. Hat das Nichts mit Tod und Leben irgendwas zu schaffen? Kennt es denn Beerdigungen? Kuchen zur Geburt? Warum bin ich nicht so wie das Nichts, unerschöpflich fruchtbar, jenseits allen Gleichmuts, sogar jenseits aller Freude, nur der gute alte Jack (und nicht mal das), und führe mein Leben von diesem Augenblick an (obwohl Luft durch meine Luftröhre strömt), und dieses flüchtige Bild in einer Kristallkugel ist nicht das Nichts, das Nichts ist die Kristallkugel, und all mein Kummer ist das Lankavatara-Sutra-Haarnetz der Narren: «Seht her, meine Herren, ein herrliches, trauriges Haarnetz» – Reiß dich zusammen, Jack, geh durch alles hindurch, und alles ist nur ein Traum, eine Erscheinung, ein Blitz, ein trauriger Blick, ein kristallklares Mysterium, ein Wort – Halt still, Mann, und sei einfach, sei, sei die unendliche Fruchtbarkeit des einen unendlichen Geistes, spar dir Kommentare, Beschwerden, Kritik, Beurteilungen, Bekenntnisse, Sprüche, Sternschnuppengedanken, fließe einfach, fließe, sei du alles, sei du, was es ist, es ist nur, was es immer ist – Hoffnung ist ein Wort wie eine Schneewehe – Das ist die Erleuchtung, das ist das Erwachen, das ist Nichtsheit – Also halt den Mund und lebe, reise, abenteure, segne, und bereue nichts – Pflaumen, Pflaumen, iss nur deine Pflaumen – Und du warst schon immer und wirst immer sein, und all die ärgerlichen Rempler mit dem Fuß an einem unschuldigen Schrank, die waren bloß das Nichts, das tat, als wäre es ein Mann, der tat, als kenne er das Nichts nicht –
Zurück an der Hütte bin ich ein neuer Mensch.
Nur noch 30 lange Tage muss ich warten, bis ich von diesem Felsen steige und das süße Leben wiedersehe – im Wissen, dass es weder süß noch bitter, sondern einfach das ist, was es ist, und so ist es auch –
So sitze ich nun lange Nachmittage auf meinem gemütlichen (Segeltuch-)Stuhl mit Blick auf den nichtigen Hozomeen, die Stille haucht durch meine Hütte, mein Ofen schweigt, die Teller funkeln, mein Feuerholz – alte Zweige in Form von Wasser und Kelp, mit denen ich kleine Indianerfeuer in meinem Ofen entzünde, um schnell was zu kochen – mein Feuerholz stapelt sich schlangengleich in der Ecke, die Konserven warten auf den Öffner, meine alten, abgewetzten Schuhe weinen, meine Pfannen lehnen sich an, meine Trockentücher hängen, meine Sachen stehen still im Raum, meine Augen schmerzen, der Wind wälzt sich heran und schlägt ans Fenster und an die hochgezogenen Läden, und das Licht des späten Nachmittags beschattet, beblaudunkelt den Hozomeen (was seine rote Strähne in der Mitte offenbart), und mir bleibt nichts zu tun, als abzuwarten – und zu atmen (und das Atmen ist nicht einfach in der dünnen Höhenluft, mit West-Coast-Nebenhöhlenkeuchen) – warten, atmen, essen, schlafen, kochen, waschen, hin und her gehen, Ausschau halten, nie irgendein Waldbrand – und tagträumen: «Was mache ich, wenn ich in Frisco bin? Na, zuerst mal nehm ich mir in Chinatown ein Zimmer» – Doch sogar noch naheliegender und süßer träume ich vom Großen Tag der Abreise, dem geheiligten Tag Anfang September: «Ich werde zwei Stunden den Pfad runterwandern, Phil im Boot treffen, zum Ponton in Ross fahren, dort eine Nacht schlafen, in der Küche quatschen, früh am Morgen los auf dem Diablo-Boot, weiter von dem kleinen Pier (kurz bei Walt reinschauen), per Anhalter nach Marblemount, meinen Lohn kassieren, meine Schulden abzahlen, eine Flasche Wein kaufen und sie nachmittags am Skagit trinken, und am nächsten Morgen weiter nach Seattle» – und von dort weiter nach Frisco, dann nach L.A., Nogales, Guadalajara und Mexico City – Und immer noch bewegt das Nichts sich nicht und wird es niemals tun –
Doch ich werde das Nichts sein, in Bewegung, ohne mich bewegt zu haben.
Ach, und ich denke an süße Tage daheim, die ich damals nicht zu schätzen wusste – Nachmittage mit 15 oder 16, das hieß Ritz-Cracker, Milch und Erdnussbutter am alten, runden Küchentisch, und dazu meine Schachprobleme oder selbsterdachte Baseballspiele, während in Lowell die Oktobersonne schräg und orange über Veranda und Gardinen in die Küche fiel und einen trägen Staubstrahl bildete, in dem mein Kater sich schlabbschlabb die Vorderpfote leckte, mit Tigerzunge und mit Stichzahn, alles durchgemacht und staubbefallen, Herr – Und jetzt in meinen schmutzigen, zerrissenen Klamotten bin ich ein Rumtreiber in den High Cascades, und als Küche hab ich nur diesen verrückten, ramponierten Herd mit rissigem Rostofenrohr – abgedichtet, klar, mit alter Jute unterhalb der Decke, um nachts die Ratten abzuhalten – Lang vergangene Tage, als ich einfach so zu meiner Mutter oder meinem Vater hätte gehen können, ihnen einen Kuss geben und sagen: «Ich hab euch gern, denn eines Tages werde ich ein trübseliger alter Rumtreiber und allein und traurig sein» – O Hozomeen, seine Felsen schimmern in der Untergangssonne, Festungswälle stehen unbezwingbar in der Welt wie Shakespeare, und kilometerweit kennt nicht ein Ding den Namen von Shakespeare, Hozomeen oder mir –
Spätnachmittag vor langer Zeit zu Hause, und sogar letzthin in North Carolina, als ich, um mich an meine Kindheit zu erinnern, um vier Uhr Ritz und Milch und Erdnussbutter aß und das Baseballspiel am Schreibtisch spielte, und da kamen Schuljungen in abgewetzten Schuhen wie ich hungrig nach Hause (und ich machte ihnen meine speziellen Jack-Bananasplits, vor mickrigen sechs Monaten) – Aber hier auf dem Desolation wirbelt liederlos der Wind, schüttelt die Sparren der Erde, zeugt Nacht – Riesenhafte Fledermaus-Wolkenschatten schweben auf dem Berg.
Bald dunkel, bald das Geschirr des Tags gespült, das Essen verzehrt, warten auf September, warten auf den Abstieg zurück in die Welt.
Unterdessen toben Sonnenuntergänge wie wahnsinnige, orangefarbene Narren durch die Düsternis, während weit im Süden, in Richtung angestrebter liebender Umarmungen von Señoritas, schneepinke Hügel am Fuß der Welt warten, in ganz normalen Silberstrahlstädten – Der See ist eine harte Pfanne, grau, blau, wartet in den Nebelsohlen drauf, dass ich ihn mit Phils Boot überquere – Der Jack Mountain erhält wie üblich seinen Lohn aus kleiner Wolke am hochfahrenden Sockel, seine tausend Footballfelder Schnee ganz scheckig und pink, der eine, unvorstellbare, abscheuliche Schneemann sitzt immer noch versteinert auf dem Kamm – das entfernte Golden Horn noch immer golden im südöstlichen Grau – des Sourdoughs monströser Buckel überragt den See – Griesgrämige Wolken schwärzen sich, erzeugen Feuerränder an der Schmiede, wo die Nacht gehämmert wird, wildgewordene Berge marschieren Richtung Sonnenuntergang wie betrunkene Kavaliere in Messina, als Ursula noch schön war, der Hozomeen würde sich bestimmt bewegen, wenn wir ihn dazu bewegen könnten, doch er verbringt die Nacht mit mir, und bald, wenn Sterne auf die Schneefelder hinabregnen, wird er voll Stolz und schwarz und schief im Norden stehen, wo (jede Nacht, gleich über ihm) der Nordstern blitzt, pastellorange, pastellgrün, eisenorange, eisenblau, Azurit bezeichnende, konstellative Omen seines dortobigen Aufbaus, die man wiegen könnte auf den Waagschalen der goldenen Welt –
Der Wind, der Wind –
Und da ist mein beklagenswert bemühter Menschenschreibtisch, an dem ich tags so häufig sitze, Blick nach Süden, Papier und Bleistift und der Kaffeebecher mit Felsentannenzweigen und einer sonderbaren Höhenorchidee, die an einem Tag verwelkt – Mein Beechnut-Kaugummi, mein Tabakbeutel, schäbige Schundhefte, die ich lesen muss, der Blick nach Süden auf all diese verschneiten Majestäten – Das Warten dauert.
Auf der Starvation Ridge –
Versuchen kleine
Zweige zu wachsen.
In der Nacht bevor ich mich entschloss, liebend zu leben, entwürdigte, beleidigte und deprimierte mich der folgende Traum:
«Und nimm ein schönes Lendensteak!», sagt Ma, gibt Deni Bleu das Geld, sie schickt uns in den Laden, um ein gutes Abendessen zu besorgen, und außerdem hat sie mit einem Mal beschlossen, in diesen späten Jahren ganz auf Deni zu vertrauen, jetzt, wo ich ein derart vages, kurzlebiges, unstetes Wesen wurde, das im Bett schlafend den Göttern flucht und barhäuptig und dumm die graue Finsternis durchwandert – Das findet in der Küche statt, alles ist entschieden, ich sage kein Wort, wir gehen los – Vorn im Schlafzimmer neben der Treppe liegt Pa im Sterben, liegt auf dem Sterbebett, ist schon so gut wie tot, und trotzdem will Ma ein gutes Steak, will ihre letzte Menschenhoffnung ganz auf Deni setzen, auf eine Art entschiedenen Zusammenhalt – Pa ist dünn, bleich, seine Laken sind weiß, es kommt mir so vor, als wäre er schon tot – Wir gehen durch die Dunkelheit, finden irgendwie den Weg zum Metzger dort in Brooklyn, in den Hauptstraßen von Downtown Flatbush – Bob Bonnelly ist da und auch der Rest der Gang, auf der Straße, barhäuptig und lumpenhaft – Auf einmal funkeln Denis Augen, weil er die Chance sieht, mit Mas gesamter Kohle in den Händen zu verduften und ein Hochstapler zu werden, im Laden bestellt er zwar das Fleisch, aber ich sehe, wie er mit dem Rückgeld trickst, sich was davon in die Tasche steckt und sich im Kopf schon irgendwas zurechtlegt, um die Abmachung mit Ma zu brechen, ihre letzte Abmachung – Sie hatte fest auf ihn gehofft, ich war zu nichts mehr zu gebrauchen – Irgendwie streifen wir danach herum, gehen nicht zurück zu Ma, und wir landen bei der River Army, die, nachdem sie einem Speedbootrennen zugesehen hat, ausgesandt wird, in den kalten, strudelnden, riskanten Fluten den Fluss hinabzuschwimmen – Das Speedboot hätte, wär es «lang» gewesen, schwupps unter der flottillten Menge durch- und dahinter wieder auftauchen und das Rennen rechtzeitig beenden können, doch aufgrund mangelhaft kurzer Bauweise klagt der Fahrer (Mr. Darling), deshalb habe sich sein Boot unter die Menge nur geduckt und dann festgesteckt und nicht mehr weitergekonnt – große offizielle Flößer nahmen das zur Kenntnis.
Ich mit der Führungsgruppe vorneweg, schwimmt die Army den Fluss hinab, zu den unteren Brücken und Städten. Das Wasser ist kalt, die Strömung schrecklich, doch ich schwimme und schlage mich durch. «Wie bin ich hier gelandet?», denke ich. «Was ist mit Mas Steak? Was hat Deni Bleu mit ihrem Geld gemacht? Wo steckt er jetzt? O, ich hab keine Zeit zum Nachdenken!» Plötzlich rufen Kinder mir vom Rasen der Kirche St. Louis de France am Ufer eine Botschaft zu: «Hey, deine Mutter ist im Irrenhaus! Deine Mutter ist im Irrenhaus! Dein Vater ist tot!», und ich begreife, was passiert ist, und trotzdem, ich schwimme und bin in der Army, muss weiter durchs kalte Wasser strampeln und kann nichts tun als trauern, trauern, im ehrwürdigen, bedürftigen Grauen des Morgens, bitter hasse ich mich selbst, bitter ist es schon zu spät, doch obwohl es mir schon bessergeht, fühle ich mich immer noch vergänglich, weltentrückt und unfähig, meine Gedanken zu ordnen oder auch nur recht zu trauern, ja, ich fühle mich eigentlich zu dumm für echte Bitterkeit, kurz, ich weiß nicht, was ich tue, und die Army sagt mir, was ich tun soll, und Deni Bleu hat endlich auch mich übers Ohr gehauen, um seiner süßen Rache willen, aber hauptsächlich hat er nur beschlossen, ein echtes Schlitzohr zu werden, hat seine Chance erkannt –
… Und auch wenn von den sonnigen Eiskappen der Welt die safrangelbe Tiefkühlbotschaft kommen mag: O welch gehetzte Narren sind wir doch, verfasse ich einen Nachsatz zu einem langen, liebevollen Brief, den ich schon wochenlang an meine Mutter schreibe:
Nicht verzweifeln, Ma, ich bin für Dich da, wann immer Du mich brauchst – Du musst nur rufen … Ich bin hier, schwimme durch den Fluss der Mühsal, aber schwimmen kann ich – Glaube bloß niemals, Du wärst alleingelassen.
4500 Kilometer weit entfernt lebt sie in Hörigkeit zu einer üblen Sippe.
Trübsal, Trübsal, wie soll ich meine Schuld bei dir jemals begleichen?
Verrückt könnte ich darin werden – O Reisetasch menaya doch das Rhad verfolgt den Rattersurr, poniac die vermeid Leerheit Rumgerenne, minvermeid den Cral – Lied meines alles der tilgenden Ichs der lass ent-gleis-end trage alles Brot – geh du auch mal grün und fliegen – welker Mond quetscht Salz auf die Gezeiten ankommender Nacht, schaukel auf der Wiesenschulter, roll den Buddhafels über den pink geteilten Westpazifikheuboden – O kleine, winzigkleine Menschenhoffnung, o geformter, splitternder Du-Spiegel dich erschütterte patna watalaka – und noch mehr –
Ping.
Jeden Abend um acht gab es über Funk ein Palaver all der Brandwächter im Mount Baker National Forest – Auch ich habe meinen Packmaster angestellt und lausche.
Ein großes Ereignis in der Einsamkeit –
«Er will wissen, ob du schlafen gehst, Chuck.»
«Weißt du, was Chuck macht, wenn er auf Patrouille geht? – Er sucht sich ’n schattiges Plätzchen und pennt.»
«Hast du Louise gesagt?»
«– weiß nich –»
«– na ja, hab nur noch drei Wochen –»
«Sag mal, Ted?»
«Was gibt’s?»
«Wie kriegst du deinen Ofen heiß genug für diese, äh, Muffins?»
«Ach so, musst nur das Feuer am Brennen halten –»
«Bloß eine einzige Straße, und die, äh, führt im Zickzack durch die ganze Schöpfung.»
«Ja gut, ich hoffe mal – Ich warte jedenfalls.»
Bzzzzz bzgg Funk – langes Schweigen nachdenklicher junger Ausgucke –
«Und kommt dein Kumpel rauf und holt dich ab?»
«Hey Dick – Hey Studebaker –»
«Immer schön Holz nachlegen, dann brennt’s von alleine weiter –»
«Zahlst du ihm dann immer noch dasselbe wie, äh, als du hier rausgekommen bist?»
«– Schon, aber, äh, drei, vier Fahrten in drei Stunden?»
Mein Leben ist eine kolossale, wahnsinnige Sage, die ohne Anfang oder Ende überallhin ausgreift wie das Nichts – wie das Samsara – Tausend Erinnerungen überkommen mich den ganzen Tag wie Tics, befallen meinen lebhaften Geist wie beinahe muskuläre Zuckungen von Klarheit und Erkenntnis – In falschem Britenakzent singe ich zu Loch Lomond mit, während ich mir in kalter Rosendämmerung den Abendkaffee heißmache, und denke augenblicklich daran, wie 1942 unser Seelenverkäufer aus Grönland in Neuschottland einlief, eine Nacht Landgang, Herbst, Kiefern, kalte Dämmerung und Morgengrauen, Sonne, durchs Radio aus Kriegsamerika sang leise Dinah Shore, und wie wir uns betranken, wie wir auf die Nase fielen, wie das Glück darüber, fast wieder in meinem geliebten Amerika zu sein, in meinem Herzen schwoll und rauchend in die Nacht rausschoss – kaltes Hundemorgengrauen –
Beinahe gleichzeitig, bloß, weil ich noch eine Hose überziehe, also über die erste, gegen die heulende Nacht, denke ich an die herrliche Sexfantasie von vorhin, als ich eine Cowboystory las, in der der Outlaw das Mädchen entführt hat und ganz allein mit ihr im Zug ist (nur eine alte Frau ist noch dabei) die (in meinem Tagtraum schläft die alte Frau jetzt auf der Bank, während ich, der alte Outlaw, der harte Hombre, die Blonde mit vorgehaltenem Revolver aufs Herrenklo schiebe, und sie sagt keinen Ton, kratzt nur) (Natur) (sie steht auf ehrliche Killer, und ich bin der alte Erdaway Molière, der mörderische, feixende Texaner, der in El Paso Stiere aufgeschlitzt und die Postkutsche überfallen hat, bloß um ein paar Leute zu durchlöchern) – Ich pack sie auf den Sitz und mache mich auf Knien an die Arbeit wie auf diesen französischen Postkarten, bis ich ihre Augen zu- und ihren Mund weit aufbekomme, bis sie nicht mehr anders kann, als ihn zu lieben, diesen liebenden Gesetzlosen, und aus wildem freiem Willen auf die Knie geht, sich ans Werk macht, und als ich fertig bin, dreht sie sich um, während die alte Lady schläft und der Zug dahinrattert – «Reizend, mein Lieber», sage ich zu mir auf dem Desolation Peak, als würde ich es zu Bill Hubbard sagen, in seinem Tonfall, als wollte ich ihn zum Lachen bringen, als wäre er hier, und ich höre ihn sagen: «Tu nicht so weibisch, Jack», wie er es 1953 mal ganz im Ernst zu mir gesagt hatte, als ich mit ihm in seiner weibischen Manier herumalberte: «Zu dir passt das nicht, Jack», und jetzt wünsch ich mir, ich könnte heute Abend mit Bull in London sein –
Und der Neumond, braun, geht früh unter dort am dunklen Baker River.
Mein Leben ist ein kolossales, unwichtiges Epos mit tausend und einer Million Figuren – hier kommen sie alle, während wir rasch ostwärts rollen, während rasch die Erde ostwärts rollt.
Zum Zigarettendrehen hab ich bloß Papier von der Air Force, so ein diensteifriger Sergeant hat uns einen Vortrag über die Wichtigkeit des Ground Observer Corps gehalten und dicke Bücher voll mit leeren Seiten ausgeteilt, in denen wir Flotten vermutlicher Feindbomber in irgendeinem paranoiden Frühwarnsystem seines Hirns protokollieren sollten – Er kam aus New York, sprach schnell, war Jude und machte mir Heimweh – «Flugzeugblitzmeldung», Linien und Ziffern, ich zücke meine kleine Schere, schneide ein Rechteck raus und dreh mir eine, und wenn Flugzeuge vorbeifliegen, kümmere ich mich um meinen eigenen Kram, auch wenn er (der Sgt) sagte: «Wenn Sie eine fliegende Untertasse sehen, melden Sie die fliegende Untertasse» – Auf der leeren Seite steht: «Zahl der Flugzeuge, eins, zwei, drei, vier, viele, unbekannt», und da muss ich an den Traum denken, in dem W. H. Auden und ich an einer Bar am Mississippi standen und geschliffene Witze über «Frauenurin» machten – «Flugzeugtyp», heißt es da außerdem, «Ein-, Doppel-, Multidecker, Jet, unbekannt» – Klar, dieses Unbekannte gefällt mir, ich habe hier auf dem Desolation sonst ja nichts zu tun – «Flughöhe» (jetzt kommt’s) «Sehr tief, tief, hoch, sehr hoch, unbekannt» – dann BESONDEREANMERKUNGEN, BEISPIELE: «Feindliches Flugzeug, Blimp» (plump), «Hubschrauberballon, Flugzeug beim Angriff oder in Notlage etc.» (oder Wal) – O notleidende Rose unbekannter Kummerjet, komm zu mir!
Mein Zigarettenpapier ist jämmerlich.
«Wann kommen endlich Andy und Fred!», rufe ich, denn wenn die auf Mulis und Pferden den Pfad raufstapfen, krieg ich richtige Blättchen und meine liebe Post von meinen Millionen Figuren.
Denn das Schwierige am Desolation ist: keine Figuren, allein, isoliert, aber ist der Hozomeen isoliert?
Meine Augen in der Hand, verschweißt mit dem Schwung, verschweißt mit dem Schwanz.
Zum Zeitvertreib spiel ich mein Baseballspiel mit Solitärkarten, das Lionel und ich 1942 erfunden haben, als er in Lowell zu Besuch war und an Weihnachten die Rohre einfroren – Es spielen die Pittsburgh Plymouths (mein ältestes Team, derzeit knapp an der Tabellenspitze) gegen die New York Chevvies, die sich schmachvoll aus dem Keller hocharbeiten, nachdem sie letztes Jahr noch Meister waren – Ich mische die Karten, lege Schlagordnungen fest, stelle Teams auf – Viele hundert Kilometer ringsum schwarze Nacht, auf dem Desolation brennt das Licht für einen Kindersport, doch auch das Nichts ist Kind – und wie folgt verläuft das Spiel: was dabei passiert: wer wie gewinnt:
Für die Chevvies pitcht heute Joe McCann, ein alter Hase, zwanzig Jahre in der Liga, seit ich mit 13 erstmals Wälzlager in die Apfelblüten des Sarah-Gartens genagelt habe, ach, traurig – Joe McCann, ein Sieg, zwei Niederlagen (für beide Teams ist dieses Spiel das vierzehnte dieser Saison), ERA von 4,86, die Chevvies natürlich haushohe Favoriten, besonders weil McCann ein Pitching-Ass und Gavin laut meiner offiziellen Statistik höchstens zweitklassig ist – Sowieso haben die Chevvies einen Lauf, sind auf dem aufsteigenden Ast, haben das letzte Spiel 11-5 gewonnen …
Im ersten Inning gehen die Chevvies gleich in Führung, Kapitän Frank Kelly schlägt einen langen Ball ins Centerfield, Stan Orsowski läuft nach Hause von der zweiten Base, die er nach Duffys Walk erreicht hat – yag, yag (in meinem Kopf), feuern die Chevvies sich feixend, pfeifend, klatschend an – Die armen grüngewandeten Plymouths kommen an den Schlag, genauso wie in echt, wie beim echten Baseball, ich sehe keinen Unterschied zwischen dem hier und dem heulenden Wind und den vielen hundert Kilometern Arktisfels ganz ohne –
Aber der wieselflinke Tommy Turner macht aus einem Triple einen Inside-the-Park-Homerun, und Sim Kelly hat keinen guten Arm im Feld, und es ist Tommys sechster Homerun, er heißt eben nicht umsonst der «Fantastische» – sein fünfzehnter Run, dabei ist das erst sein sechstes Spiel, weil er verletzt war, ein wahrer Mickey Mantle –
Direkt danach ein Homerun von Pie Tibbs mit seiner schwarzen Keule, über den Rightfield-Zaun wie an der Schnur gezogen, und die Plyms gehen 2-1 in Führung … wow …
(Die Fans in den Bergen flippen aus, ich höre himmlische Rennwagen durch Gletscherspalten donnern)
Dann eine Single von Lew Badgurst ins Rightfield, und Joe McCann wird eingeseift (und mit ihm sein heißgeliebter ERA) (pah, da sieht man mal) –
Fast wird McCann vom Pitcherhügel weggekloppt, als er gleich darauf Tod Gavin einen Walk schenkt, aber Henry Pray, sonst immer eine Bank, beendet das Inning mit einem laschen Grounder zu Frank Kelly an der Dritten – Heute wird richtig draufgehauen.
Dann liefern sich die beiden Pitcher plötzlich einen unerwarteten, brillanten Zweikampf, sammeln Nullen auf der Punktetafel, nur einer der Pitcher selbst, Gavin, schafft im zweiten Inning eine Single, und so geht das bis zum Schluss des achten Innings, als Zagg Parker von den Chevs endlich das Eis bricht, mit einer Rightfield-Single, die er (ebenfalls mit Spitzenläuferspeed) locker zu einem Double streckt (der Wurf kommt zwar, aber Zagg rutscht vorher auf die Base) – Und man würde denken, jetzt kommt neuer Schwung ins Spiel, aber nichts da! – Ned Gavin erzwingt einen leicht fangbaren Flyball von Clyde Castleman, es folgt ein Strikeout gegen Stan the Man Orsowski, dann stakst Ned lässig vom Hügel, kaut unbeeindruckt seinen Tabak, als wäre er das Nichts persönlich – Immer noch führt seine Mannschaft 2-1 –
McCann lässt im achten eine Single gegen Big Bad Lew Badgurst zu (kräftige Arme, Linkshänder), und Pinch Runner Allen Wayne stiehlt eine Base, doch ein Grounder von Tod Gavin bringt den Pitcher aus der Klemme –
Letztes Inning, gleicher Spielstand, gleiche Lage.
Bloß drei Outs lang muss Gavin die Chevvies noch in Schach halten. Die Fans halten den Atem an. Gavins Gegner sind Byrd Duffy (mit einem Schnitt von .346 vor diesem Spiel), Frank Kelly und der Pinch Hitter Tex Davidson –
Gavin zieht den Gürtel hoch, seufzt, sieht den dicken Duffy an – holt aus – und wirft zu tief, daneben.
Dann zu weit außen, zweiter Ball.
Langer, hoher Schlag ins Centerfield, direkt in Tommy Turners Handschuh.
Nur noch zwei Outs.
«Das schaffst du, Neddy!», ruft Cy Locke von der dritten Base, Cy Locke, früher mal der beste Shortstop aller Zeiten, in meiner Apfelblütenzeit, als Pa noch jung und lachend in der sommerlichen Küche saß, mit Bier und Shammy und Binokel –
Frank Kelly am Schlag, gefährlich, bedrohlich, der Kapitän, gierig nach Geld und Titeln, ein Einpeitscher, ein Hitzkopf –
Neddy holt aus: wirft: zu dicht.
Erster Ball.
Wirft.
Kelly hämmert den Ball nach rechts, direkt an den Fahnenmast, Tod Gavin hinterher, ein lässiges Double, der Ausgleich steht jetzt an der zweiten Base, die Menge tobt. Pfiffe, Pfiffe, Pfiffe –
Speedboy Selman Piva wird für Kelly eingewechselt.
Tex Davidson ist ein stämmiger Veteran, ein dauerkauender Outfielder aus alten Kriegen, abends säuft er, ihm egal – Strikeout, ein weit schwingender Schlägerschlenz ins Leere.
Ned Gavin hat ihm drei Curveballs serviert. Im Dugout flucht Frank Kelly, Piva, der Ausgleich steht noch immer auf der zweiten Base. Einer noch!
Der Hitter: Sam Dane, der Catcher der Chevvies, auch ein Veteran, ein Saufundkaukumpan von Davidson, bloß dass Sam mit links schlägt – gleich groß, schlank, alt, alles egal –
Ned pitcht, Sam hält still, Strike auf Brusthöhe –
Und dann: ein krachender Homerun, Centerfield, Piva läuft nach Hause, Sam trabt kauend um die Bases, immer noch egal, an der Plate bestürmen ihn die Kellys und die Crazys.
Zweite Hälfte Neuntes, Joe McCann darf nur nichts zulassen – ein Error bringt Pray auf die Base, Gucwa singlet, die beiden Läufer bleiben auf der Ersten und der Zweiten stehen, dann tritt der kleine Neddy Gavin an und doublet den Ausgleich nach Hause, schickt den Siegpunkt auf die dritte Base, Pitcher frisst Pitcher – Leo Sawyer poppt den Ball lasch in die Luft, sieht aus, als käme McCann durch, doch dann klatscht Tommy Turner einen Sacrifice Grounder auf den Boden, und der Siegpunkt ist gebongt, Jake Gucwa mit seiner läppischen Single, und die Plymouths stürmen das Feld und tragen Ned Gavin auf den Schultern in die Dusche.
Soll einer sagen, Lionel und ich hätten kein gutes Spiel erfunden!
Herrlicher Vormittag, er hat wieder einen Mord begangen, denselben eigentlich, bloß diesmal sitzt das Opfer fröhlich auf dem Stuhl meines Vaters, ziemlich nahe an der Sarah Avenue, und ich sitze bloß an meinem Tisch und schreibe vor mich hin, unbekümmert, und als ich von dem Mord höre, schreibe ich weiter (wahrscheinlich darüber, hi, hi) – All die Ladys sind draußen auf dem Rasen, aber welches Grauen, wenn sie wiederkommen und Mord im Zimmer wittern, was wird Ma wohl sagen, doch er hat die Leiche kleingeschnitten und im Klo runtergespült – Dunkel dräuendes Gesicht beugt sich über uns im Dämmertraum.
Morgens wache ich um sieben auf, und mein Mopp trocknet noch immer auf dem Felsen, wie der Haarschopf einer Frau, wie Hekabe verloren, und der See anderthalb Kilometer unter mir ist ein nebeliger Spiegel, aus dem schon bald die Herrinnen des Sees im Zorn auffahren werden, und die ganze Nacht hab ich kein Auge zugetan (schwacher Donner in den Trommelfellen), weil die Mäuse, die Ratte und die beiden Kitze um und durch die Hütte geblödeltrödelt sind, die Kitze unwirklich, zu hager, zu merkwürdig, um Hirsch zu sein, eine neue Art geheimnisvolles Gebirgsgetier – Den Teller kalte Kartoffeln, den ich ihnen hingestellt hab, haben sie ratzekahlgefressen – Mein Schlafsack liegt wieder einen Tag lang flach – Am Ofen singe ich: «O Kaffee, du siehst gut aus, wenn du kochst» –
«O, o Lady, du siehst gut aus, wenn du liebst.»
(die Ladys vom Nordpolschnee, die ich in Grönland singen hörte)
Meine Latrine ist ein kleines spitzdachiges Häuschen dicht am Rand eines herrlichen Zen-Steilabsturzes mit Fels und Schieferplatten und alten, knorrigen, erleuchteten Bäumen, Fallholz, Stümpfen, ausgerissen, gequält, aufgehängt, sturzbereit, bewusstlos, Ta Ta Ta – durch die Tür, die ich mit einem Stein aufklemme, sieht man große, dreieckige Bergwände jenseits der Lightning Gorge im Osten, um 8.30 Uhr morgens ist der Dunst so süß und rein – und träumerisch – der Lightning Creek mehrt immer mehr sein Brausen – der Three Fools stimmt mit ein, genährt von Shull und Cinammon, und dahinter der Trouble Creek, und noch dahinter andere Wälder, andere urwüchsige Gebiete, anderer rauer Fels, bis ganz nach Osten in Montana – An Nebeltagen ist der Blick von meiner Latrine aus wie eine Zen-Zeichnung aus China, Tinte auf Seide, ein graues Nichts, halb rechne ich damit, zwei kichernde Dharmajäger zu erkennen, oder einen in Lumpen, bei dem ziegenhörnigen Stumpf, einer mit einem Besen, der andere mit einer Schreibfeder, mit der schreibt er in den Nebel Gedichte über Kicher-Linge und sagt: «Han-Shan, was ist der Sinn der Leere?»
«Shi-te, hast du heute früh den Küchenboden gewischt?»
«Han-Shan, was ist der Sinn der Leere?»
«Shi-te, hast du gewischt – Shi-te, hast du gewischt?»
«Hi, hi, hi, hi.»
«Wieso lachst du, Shi-te?»
«Weil mein Boden gewischt ist?»
«Und was ist dann der Sinn der Leere?»
Shi-te greift sich seinen Besen, fegt leeren Raum, wie ich es Irwin Garden mal tun sah – Sie ziehen kichernd in den Nebel ab, und übrig bleiben nur die nahen Felsbrocken und Knorren, die ich sehen kann, und darüber wird das Nichts zur Großen Wahrheitswolke hoher Nebelschichten, nicht mal eine schwarze Schärpe, sondern eine große senkrechte Zeichnung, darauf zwei kleine Meister und der endlose Raum über ihnen – «Han-Shan, wo ist dein Mopp?»
«Der trocknet auf einem Stein.»
Vor tausend Jahren malte Han-Shan an solchen Nebeltagen Gedichte auf solche Klippen, und Shi-te fegte die Klosterküche mit dem Besen aus, und sie kicherten gemeinsam, und ganze Hofstaate kamen von überall her zu ihnen, und sie liefen nur davon, versteckten sich in Spalten und in Höhlen – Plötzlich taucht Han-Shan vor meinem Fenster auf und zeigt nach Osten, ich sehe hin, nichts als der Three Fools Creek im Morgendunst, ich dreh mich wieder um, und Han-Shan ist verschwunden, noch einmal blicke ich nach Osten, nichts als der Three Fools Creek im Morgendunst.
Was sonst?
Dann die langen Tagträume darüber, was ich machen werde, wenn ich aus dieser Falle in den Bergen raus bin. Einfach treiben lassen, einfach die Straße runter, die 99, schnell, vielleicht eines Abends ein Filet Mignon auf heißer Holzkohle am Flussgrund, dazu guten Wein, und dann am nächsten Morgen weiter – nach Sacramento, Berkeley, rauf zu Ben Fagans Häuschen, und als Erstes dieses Haiku aufsagen:
Tausend Kilometer bin
ich getrampt und bring
Dir Wein.
– vielleicht in dieser Nacht auf seiner Wiese schlafen, mindestens eine Nacht in einem Hotel in Chinatown, langer Spaziergang durch Frisco, ein-, nein, zweimal groß chinesisch essen, Cody treffen, Mal treffen, bei Bob Donnely und den anderen vorbeischauen – ein paar Dinge hier und da, ein Geschenk für Ma – Warum planen? Ich werd einfach die Straße runterdriften, auf Unerwartetes achten und bis Mexico City nicht mehr anhalten.
Ich habe ein Buch hier oben, Beichten von Exkommunisten, die ausgestiegen sind, nachdem sie die totalitäre Bestialität erkannt hatten, The God That Failed heißt es (inklusive eines langweiligen, sterbenslangweiligen Berichts von André Gide, der postmortalen Schlaftablette) – sonst habe ich nichts zu lesen – und die Vorstellung einer Welt (was wäre das für eine Welt, in der Freundschaft Herzensfeindschaft aufhebt und man überall für etwas kämpft, das es auch wert ist), einer Welt voller Geheimpolizei, Spione, Diktatoren, Säuberungen, mitternächtlicher Morde und Marihuana-Revolutionen mit Gewehren und Banden in der Wüste – Plötzlich, bloß indem ich übers Funkgerät Amerika zuschalte, den anderen Brandwächtern beim Palaver lausche, höre ich Football-Ergebnisse, Geplauder über Soundso «Bo Pellegrini! – was ’n Brecher!! Mit Leuten aus Maryland rede ich nicht» – und die Witze und die lakonische Pause, und ich begreife: «Amerika ist frei wie der wilde Wind da draußen, noch immer frei, frei wie damals, als die Grenze keinen Namen hatte, um Kanada genannt zu werden, und freitagabends, wenn kanadische Angler in Rostlauben über die alte Straße hinterm Bergsee kommen» (ich kann sie sehen, die kleinen Freitagabendlichter, bei denen ich sofort an ihre Mützen, ihre Ausrüstung, Köder und Schnüre denke), «freitagabends kam der namenlose Indianer, der Skagit, dazu, und ein paar Holzforts waren auch da oben und noch ein Stück weiter hier unten, und Winde wehten über freie Füße und freie Geweihe, und das tun sie immer noch, über freie Funkwellen, freies, wildes Jugendgeplauder über Funk, Collegejungs, furchtlose, freie Jungs, Tausende Kilometer von Sibirien entfernt, und Americay ist immer noch ein tolles Land –»
Denn all das elendige Finsterweh im Angesicht solcher Russländer und Mordkomplotte gegen die Seelen ganzer Völker lichtet sich, sobald ich höre: «Mann, es steht schon 26-0 – Durch die Abwehr kommen die einfach nicht durch» – «Genau wie die Allstars» – «Hey Ed, wann kommst du von deinem Ausguck runter?» – «Der hat ’ne Freundin, der geht sicher gradewegs nach Hause» – «Vielleicht schauen wir noch mal beim Glacier National Park vorbei» – «Wir fahren durch die Badlands heim, durch North Dakota» – «Du meinst die Black Hills» – «Mit Leuten aus Syracuse rede ich nicht» – «Kennt einer ’ne gute Gutenachtgeschichte?» – «Wow, schon halb neun, lieber mal Schluss machen – Howgh, 33 zehn-sieben, bis morgen früh. Gut Nacht» – «Ho! Howgh, 32 zehn-sieben, bis morgen – Schlaft schön» – «Moment, du hattest Hongkong auf der Kurzwelle?» – «Klar, hör mal: tschingtschangtschong» – «Jetzt reicht’s aber, gut Nacht»–
Und ich weiß, Amerika ist viel zu weit und menschenvoll, um sich jemals zum Sklavenstaat machen zu lassen, und ich kann in dem Wissen diese Straße runter und in die restlichen Jahre meines Lebens wandern, dass mir außer ab und zu bei Prügeleien, angezettelt von Betrunkenen in Bars, nie ein Haar auf dem Kopf (das müsste mal geschnitten werden) von totalitärer Grausamkeit gekrümmt werden wird –
Indianerskalp, sag dies und prophezeie:
«Aus diesen Wänden wird Gelächter durch die Welt ziehen und die gebeugten, unermüdlichen Tagelöhner des Altertums mit Courage anstecken.»
Und ich glaube Buddha, wenn er sagt, was er sage, sei weder wahr noch unwahr, ich habe sonst nie so was Wahres oder Gutes gehört, und da klingelt wolkig was, ein mächtiger, überweltlicher Gong – Er sagt: «Du bist unermesslich weit gereist, kamst zu diesem Regentropfen namens Leben und nennst es deins – wir bezwecken, dass du schwörst, erweckt zu werden – und wenn du in tausend Leben diesen Königlichen Wunsch missachtest, bleibt das trotzdem nur ein Regentropfen im Ozean, wen stört’s, und was ist Zeit –? Dieser Helle Ozean der Unendlichkeit trägt viele Fische in die Ferne, sie kommen und gehen wie das Schimmern deines Sees, denk nur, doch tauch jetzt ein in die scharf umrissene, glatte weiße Glut dieses Gedankens: Du bist beauftragt, zu erwachen, dies ist die goldene Ewigkeit, doch dieses Wissen wird auf Erden dir nichts nützen, denn die Erde ist kein Kern, ein Märchenstern – Stell dich der A-H-Wahrheit, Erwacher, unterwirf dich der Verlockung von Hitze und Kälte, von Behaglichkeit und Unrast, denk immer, Motte, an die Ewigkeit – Liebe, ob Junge oder Herr, die unendliche Vielfalt – Sei einer von uns Großen Wissenden ohne Wissen, Großen Liebenden jenseits der Liebe, ganzen Heerscharen unzähliger Engel mit Form oder Begehren, übernatürlichen Korridoren der Hitze – Wir heizen, um dich wach zu halten – Breite deine Arme aus, umschling die Welt, sie und wir eilen herbei, wir legen ein silbernes Brandmal der Begegnung aus goldenen Händen auf deine milchige, umrankte Stirn, Macht, die ewiglich in Liebe dich erstarren lässt – Glaub nur!, und du wirst ewig leben – Glaub nur, dass du schon ewig lebst – Überwinde die Festungen und Bußen des dunklen, einsam leidenden Lebens auf Erdens, im Leben gibt es so viel mehr als Erde, überall ist Licht, schau hin –»
In diesen sonderbaren Worten, in vielen weiteren Worten auch, höre ich jeden Abend Varianten und Stränge einer Rede, die aus dem allzeit wachen Reichtum strömt –
Glaubt mir, irgendwas wird dabei rauskommen, und es wird das Antlitz süßen Nichts tragen, flatterndes Laub –
Die Stiernacken starker Flößer, purpurgold in Seidenkleidern, werden uns ungetragen tragen, wenn wir querbare unüberquerbare Nichtse zum Licht des Universums queren, wo Ragamita das goldene Lid hebt, um unseren Blick zu halten – Mäuse huschen durch die Bergnacht mit Pfötchen aus Eis und Diamanten, doch noch ist es nicht Zeit für mich (den sterblichen Helden), zu wissen, wovon ich weiß, dass ich es weiß, also kommt rein.
Worte …
Die Sterne sind Worte …
Wer hatte Erfolg? Wer ist gescheitert?
Ach ja, und wenn
ich an der Ecke Dritte
Townsend stehe,
spring ich auf
den Midnight Ghost –
Wir rollen gradewegs
bis San Jose
so schnell du prahlen kannst –
Ah ha, Mitternacht,
Midnight Ghost,
Der alte Zipper rollt
übers Gleis –
Ah ha, Mitternacht,
Midnight Ghost,
Immer
weiter
übers
Gleis
Wie der Blitz durch
Watsonville
und weiter übers
Gleis –
Salinas Valley
in der Nacht,
dann ab nach Apaline –
Huu, Huuuu,
Juuhuuu
Midnight Ghost
Über die Obispo-Steige
mit Helfer schaffst
du diesen Berg
dann ratternd runter durch die Stadt
Wir donnern weiter
bis nach Surf und Tangair
immer längs des Meeres –
Der Mond bescheint
die Mitternachtsflut
und weiter übers Gleis –
Gavioty, Gavioty,
O Gavi-oty,
Wein und laute Lieder –
Camarilla, Camarilla,
Wo Charley Parker
den Verstand verlor
Weiter bis L.A.
O Midnight,
Mitternacht,
Midnight Ghost,
weiter übers Gleis.
Sainte Teresa
Sainte Teresa, keine Sorge,
Wir liegen in der Zeit,
auf diesem Mitternachts-
gleis.
So stelle ich mir meine zwölfstündige Reise von San Francisco nach L.A. vor, auf dem Midnight Ghost, unter einem festgezurrten Lkw, auf dem First-Class-Expressgüterzug, schnurstracks, zackzack, Schlafsack und Wein – ein Lied gewordener Tagtraum.
Nase voll vom Anblick all der Perspektiven meines Ausgucks, zum Beispiel morgens meinen Schlafsack vom Reinkriechen am Abend aus zu sehen, oder meinen nachmittäglich essensheißen Herd aus tiefster Nacht, wenn die Maus im kalten Innern rumkratzt, lieber denke ich an Frisco, sehe filmisch vor mir, wie’s dort sein wird, sehe mich in meiner neuen (in Seattle noch zu kaufenden) weiten schwarzen Lederjacke, die mir tief über die Taille hängt (vielleicht über die Hände), und in meinen neuen grauen Chinos und dem neuen Wollhemd (orange, gelb und blau!), mit meinem neuen Haarschnitt, da gehe ich mit düsterer Dezembermiene die Treppe meines schäbigen Hotels in Chinatown hoch; oder ich bin in Simon Darlovskys Bude, Nummer 5 Turner Terrace, in dem irren Sozialbau für Schwarze Ecke Third & 22nd, von wo man die gigantischen Gastanks der Unendlichkeit sieht und ein ganzes Panorama des verrauchten Industrie-Friscos, inklusive Bucht und Gleise und Fabriken – ich sehe mich, den Rucksack über einer Schulter, durch die nie abgeschlossene Hintertür von Lazarus’ Schlafzimmer hereinkommen (Lazarus ist Simons schräger 15½ Jahre alter Mystikerbruder, der nie was anderes sagt als: «Hast du was geträumt?») (letzte Nacht im Schlaf?) (meint er), ich trete ein, es ist Oktober, sie sind in der Schule, ich gehe los und kaufe Eiscreme, Bier, Dosenpfirsiche, Steaks und Milch und fülle den Kühlschrank auf, und wenn sie spätnachmittags nach Hause kommen und im Hof die kleinen Kinder die Herbstdämmerung bejubeln, hab ich den ganzen Tag am Küchentisch gesessen, Wein getrunken und die Zeitungen gelesen, Simon mit seiner knochigen Hakennase, den irr schimmernden grünen Augen und der Brille sieht mich an und sagt durch seine stets verschnupfte Nase: «Jack! Du hier! Wann bist du denn reingeschneit, hnf!», so schnieft er (fürchterlich, die Folter dieses Schniefens, ich kann es förmlich hören, keine Ahnung, wie er Luft kriegt) – «Erst heute – Schau, der Kühlschrank ist voll – Was dagegen, wenn ich ein paar Tage bleibe?» – «Wir haben Platz» – Lazarus steht hinter ihm, in seinem neuen Anzug und gestriegelt für die Hübschen von der Junior-High, er nickt und lächelt nur, dann gibt es ein Festessen, und endlich fragt Lazarus: «Wo hast du letzte Nacht geschlafen?», und ich sage: «Auf ’nem Rangierbahnhof in Berkeley», und er fragt: «Hast du was geträumt?» – Also erzähle ich ihm einen langen Traum. Und um Mitternacht, als Simon und ich die ganze Third Street langziehen, Wein trinken, über Frauen reden, mit den Negerhuren gegenüber vom Cameo Hotel quatschen und nach North Beach gehen, um Cody und die Gang zu suchen, brät Lazarus sich in der Küche ganz allein drei Steaks für einen Mitternachtsimbiss, er ist ein großer, gutaussehender, verrückter Kerl, einer von mehreren Darlovsky-Brüdern, aus irgendeinem Grund sitzen die meisten in der Klapse, und Simon ist den ganzen Weg bis nach New York getrampt, um Laz zu retten und zu sich zu holen, sich um ihn zu kümmern, zwei Russenbrüder in der großen Stadt, im Nichts, Irwins Schützlinge, Simon ein Kafka-Autor – Lazarus ein Mystiker, der stundenlang Monsterbilder in schrägen Magazinen anglotzt und wie ein Zombie durch die Stadt streift und mit 15 meinte, bevor das Jahr zu Ende ginge, würde er 140 Kilo auf die Waage bringen, und sich obendrein vornahm, bis spätestens Silvester eine Million Dollar gescheffelt zu haben – Diese irre Bude besucht Cody oft in seiner abgewetzten blauen Bremseruniform und sitzt am Küchentisch, springt dann plötzlich auf und in sein Auto, ruft: «Hab’s eilig!», und rast los nach North Beach, um die Gang zu treffen, oder zu seinem Zug zur Arbeit, und überall Frauen auf der Straße und in unseren Bars, und die ganze Frisco-Szene ist ein einziger verrückter Film – Ich seh mich dort ankommen, volle Leinwandbreite, mich umschauen, Schnauze voll von Trübsal – Weiße Schiffsmasten am Fuß der Straßen.
Ich seh mich zwischen Markthallen umherziehen – vorbei am verlassenen MCS-Gewerkschaftshaus, wo ich mich jahrelang abmühte, ein Schiff zu kriegen – Da gehe ich, mampfe einen Mister-Goodbar-Schokoriegel –
Ich komme an Gump’s Department Store vorbei, werfe einen Blick in die Rahmenhandlung, wo Psyche arbeitet, die immer Jeans und Rollis trägt, mit einem weißen Halskettchen drüber, Psyche, der ich gern die Hose ausziehen und ihr nur den Pulli und das Kettchen lassen würde, und der Rest ist nur für mich und viel zu süß für mich – Von der Straße gaffe ich sie an – Ein paarmal schleiche ich an unserer Bar (The Place) vorbei und linse rein –
Ich wache auf, bin auf dem Desolation Peak, und die Tannen stehen reglos da im blauen Morgen – Zwei Schmetterlinge treten auf, mit Bergwelten als Hintergrund – Meine Wanduhr tickt den trägen Tag – Während ich im Schlaf die ganze Nacht in Träumen reiste, haben sich die Berge nicht bewegt, und dass sie träumten, würde ich bezweifeln –
Ich gehe raus, um einen Eimer Schnee für meinen alten Waschzuber aus Blech zu holen, der mich an den meines Großvaters in Nashua erinnert, und stelle fest, dass meine Schaufel nicht mehr in der Schneewehe am Felshang steckt, ich blicke hinab, denke, dass es lange dauern wird, da runter- und dann wieder raufzuklettern, doch ich kann sie nirgends sehen – Dann sehe ich sie doch, im Matsch neben dem Schnee, auf einem Vorsprung, vorsichtig steige ich runter, rutsche durch den Matsch, ziehe nur zum Spaß einen fetten Steinbrocken raus und kicke ihn talwärts, er kracht dröhnend gegen einen Felsen, springt entzwei und donnert einen guten halben Kilometer tiefer, wo das letzte Stück lange Schneefelder durchrollt und mit einem Schlag, den ich erst 2 Sekunden später höre, an einem anderen Felsen liegenbleibt – Stille, keine Spur von Fauna in der wunderschönen Schlucht, bloß Tannen, Gamsheide und Fels, der Schnee rings um mich grellweiß in der Sonne, ich blicke wehmütig hinab auf den himmelblau neutralen See, kleine rosafarbene oder fast braune Wolken schweben dort in seinem Spiegel, ich blicke auf, und da ragen die rotbraunen Zinnen des mächtigen Hozomeen hoch in den Himmel – Ich schnappe mir die Schaufel, steige langsam, rutschend durch den Matsch zurück nach oben – Fülle den Eimer mit sauberem Schnee, decke meinen Vorrat Kohl und Möhren in einem neuen, tiefen Schneeloch zu und gehe wieder rein, kippe den Klumpen in den Zuber und schütte Schmelzwasser auf meinen staubigen Fußboden – Dann hole ich einen alten Eimer, und wie die alte Japanerin ziehe ich hinab in schöne Heidewiesen und sammle Holz für meinen Herd. Auf der ganzen Welt ist Samstagnachmittag.
«Wenn ich jetzt in Frisco wäre», denke ich auf meinem Sessel während langer Nachmitteinsamkeiten, «würde ich eine große Pulle Christian Brothers Port oder eine andere Spitzenmarke kaufen, in meinem Zimmer in Chinatown die Hälfte in einen Flachmann füllen, ihn in die Tasche stecken und dann los, durch die Sträßchen von Chinatown streifen und den Kindern zusehen, den Chinesenkindern, die kleinen Hände glücklich umschlossen von den großen ihrer Eltern, ich würde in Lebensmittelläden linsen, zusehen, wie Zen-Fleischer mit ungerührter Miene Hühnerhälse kappen, würde mit wässrigem Mund die glasierten marinierten Bratenten im Fenster bestaunen, würde herumspazieren, an der Ecke zum Italian Broadway stehen, das Leben, den blauen Himmel und die weißen Wolken erspüren, dann zurück und mit dem Flachmann in ein chinesisches Kino, dasitzen und trinken (von jetzt, 5 Uhr, ab) drei Stunden lang über schräge Szenen, unerhörte Dialoge und Plots staunen, und vielleicht sähen ein paar Chinesen mich dort mit meinem Flachmann und dächten: «Ah, ein besoffener Weißer in einem Chinesenkino» – Um 8 käme ich wieder raus in blaue Dämmerung, und auf den Zauberhügeln ringsherum funkeln die Lichter San Franciscos, schnell zurück ins Zimmer, meinen Flachmann nachfüllen, und weiter auf eine ausgedehnte Wanderung quer durch die Stadt, um Appetit zu kriegen für mein Mitternachtsgelage in einer Nische in Sun Heung Hungs fabelhaftem Restaurant – Ich würde über den Hügel stechen, den Telegraph Hill, und gradewegs runter zur Stichbahn, wo ich ein Plätzchen in einer Gasse kenne, an dem ich sitzen, trinken und eine steile schwarze Felswand betrachten kann, von der magische Schwingungen kommen und als Botschaften aus schwärmendem heiligem Licht in die Nacht strahlen, ich weiß das, ich hab’s ausprobiert – Dann trinken, nippen, Deckel wieder auf die Flasche, den einsamen Weg am Embarcadero lang und vorbei an den Restaurants von Fisherman’s Wharf, wo die Seelöwen mir mit heiseren Liebesrufen das Herz brechen, und weiter, an den Shrimptheken vorbei, hinaus, an den Masten der letzten eingedockten Schiffe vorbei, und dann die Van Ness rauf und rüber und runter ins Tenderloin – die blitzende Leuchtschrift und die Bars mit Cocktailkirsch-Sticks, die teigigen Gestalten, die alten blonden Säuferinnen, die in Gammelhose zum Schnapsladen stolpern – Dann gehe ich (der Wein ist praktisch alle, ich bin berauscht und glücklich) die Market-Street-Schlagader entlang durchs bunte Chaos aus Matrosen, Kinos und Getränkespendern, durch die Gasse mittendrauf auf die Skid Row (wo ich meinen Wein austrinke, inmitten schlüpfriger Türen, mit Kreide beschmiert und vollgepisst und vollgesplittert von hunderttausend trauernden Seelen in Lumpen von der Wohlfahrt) (dieselben alten Jungs, die auf den Güterzügen umherstreifen und sich an kleine Zettel klammern, auf denen du stets irgendein Gebet oder eine Philosophie findest) – Ist der Wein alle, gehe ich leise, im Takt meiner Füße singend und klatschend, den ganzen Weg über die Kearney zurück nach Chinatown, fast Mitternacht inzwischen, setze mich dort im Park auf eine dunkle Bank und genieße die Stimmung, sauge den Anblick der köstlichen Neonlichter meines Restaurants auf, die in der kleinen Straße blinken, hin und wieder kommen besoffene Verrückte vorbei, suchen im Dunkeln den Boden nach halbleeren Flaschen oder Kippen ab, und jenseits der Kearny spazieren die blauen Cops im großen grauen Zuchthaus ein und aus – Dann geh ich in mein Restaurant, bestell was von der chinesischen Karte, und sofort bringt man mir geräucherten Fisch, Curryhuhn, fabelhafte Teigtaschen mit Ente, unglaublich deliziöse und delikate Silberplatten (auf Füßchen) voll dampfender Wunder, von denen man den Deckel hebt und schaut und schnuppert – samt Teekanne und Tasse; ach, ich esse – und esse – bis um Mitternacht – Vielleicht schreib ich dann beim Tee an meine liebe Ma und erzähl ihr alles – dann, völlig erledigt, entweder ins Bett oder in unsere Bar, das Place, die Gang finden und mich betrinken …
An einem milden Augustabend kraxle ich den Berghang runter, bis ich ein steiles Plätzchen finde, wo ich mit überkreuzten Beinen neben Tannen und verdorrten alten Stümpfen sitzen und den Mond ansehen kann, den gelben Halbmond, der südwestlich in die Berge sinkt – Am Himmel im Westen warmes Rosa – Etwa halb neun – Der Wind über dem See tief unter mir ist lau und all das ganz genau so, wie man sich Zauberseen immer vorgestellt hat – Ich bete und bitte den Erwecker Avalokiteshvara, mir seine diamantene Hand auf die Stirn zu legen und mir ewige Einsicht zu schenken – Er ist der Hörer und Beantworter der Gebete, ich weiß schon, das ist eine selbstgemachte Sinnestäuschung, verrücktes Zeug, aber schließlich sagen doch nur die Erwecker (die Buddhas) selbst, es gebe sie nicht – Nach ungefähr zwanzig Sekunden drang mir folgende Einsicht in Herz und Verstand: «Kommt ein Kind auf die Welt, schläft es ein und träumt den Traum des Lebens, und wenn es tot in seinem Grab liegt, erwacht es wieder zu ewiger Verzückung» – «Und alles in allem spielt es keine Rolle» –
Ja, Avalokiteshvara hat wirklich seine diamantene Hand aufgelegt …
Und dann die Frage wieso, wieso, es ist ja nur die Macht, die eine Geistige Natur, die von unendlichen Möglichkeiten kündet – Wie seltsam zu lesen, im Februar 1922 (der Monat vor meiner Geburt) sei dies oder das in den Straßen Wiens passiert, wie konnte es ein Wien, ja selbst die Vorstellung von einem Wien gegeben haben, bevor ich auf der Welt war?! – Das kommt daher, dass die eine Geistige Natur unabhängig von den Einzelnen besteht, die da kommen oder gehen, sie tragen, sich in ihr bewegen und von ihr bewegt werden – Sodass vor 2500 Jahren Gautama Buddha den größten Gedanken der Menschheit dachte, ein Tropfen im Eimer sind all diese Jahre in der Geistigen Natur, dem Universellen Geist – In meiner Berggenügsamkeit erkenne ich, dass die Macht sich sowohl am Unwissen erfreut wie an der Erleuchtung, denn sonst gäbe es keine unwissende Existenz neben erleuchteter Nicht-Existenz, warum sollte die Macht sich auch beschränken – Form des Schmerzes oder ungreifbarer Äther der Form- und Schmerzlosigkeit, was soll’s? – Und ich sehe den gelben Mond über der wirbelnden Erde niedersinken, und ich drehe den Kopf, um umgekehrt zu sehen, und die irdischen Berge sind wieder nur dieselben alten Hängeblasen, die in ein unendliches Meer aus Raum hinabbaumeln – Ach, wenn es noch ein anderes Sehen als das mit den Augen gäbe, welch andere atomaren Ebenen könnten wir erkennen? – doch hier, mit unseren Augen, sehen wir nur Monde, Berge, Seen, Bäume und fühlende Wesen – Die Macht erfreut sich an alldem – Sie ruft sich in Erinnerung, dass sie die Macht ist, weshalb es für sie, die Macht, nichts als Verzückung gibt und ihre Manifestationen Traum sind, sie ist die Goldene Ewigkeit, für immer friedvoll, und der trübe Traum der Existenz ist nur eine Trübnis in – mir gehen die Worte aus – Das warme Rosa im Westen wird zu einem stillen, pastellig grauen Garten, der milde Abend seufzt, kleine Tiere rascheln durch Heide und Höhlen, ich strecke die steifen Beine, der Mond gelbt und reift und trifft schließlich die höchste Felsspitze, und wie immer zeichnet sich vor seinem Zauber irgendein toter Baum oder Stumpf ab, der aussieht wie der legendäre Coyotl, Gott der Indianer, im Begriff, die Macht anzuheulen –
Oh, wie friedlich und zufrieden ich mich fühle, als ich zurück zu meiner Hütte komme, im Wissen, dass die Welt ein Kindertraum ist und wir zu nichts anderem zurückkehren als der Verzückung der goldenen Ewigkeit, der Essenz der Macht – und die Uranfängliche Entrückung, die kennen wir alle – Im Dunkeln liege ich auf dem Rücken, die Hände gefaltet und glücklich, während das Polarlicht funkelt wie bei einer Hollywood-Premiere, und auch das schau ich mir auf dem Kopf an und erkenne, dass nichts dahintersteckt als große Stücke Erdeneis, die noch die jenseitige Sonne eines fernen Tages spiegeln, ja tatsächlich, schemenhaft erkennt man auch, wie die Erde sich nach oben wölbt – Polarlicht wie Eismonde, hell genug, mein Zimmer zu erleuchten.
Wie gut es tut zu wissen, dass am Ende gar nichts eine Rolle spielt – Kummer? Das erbärmliche Gefühl, wenn ich an meine Mutter denke? – Doch all das muss erweckt und muss erinnert werden, es ist nicht von alleine da, und das liegt daran, dass die Geistige Natur natürlich frei von Traum und frei von allem ist – Das ist wie bei diesen pfeiferauchenden Deisten, die verkünden: «O seht die wunderbare Schöpfung Gottes, den Mond, die Sterne usw., würdet ihr sie gegen irgendetwas tauschen?», ohne zu begreifen, dass sie das nicht sagen würden, gäbe es nicht eine uranfängliche Erinnerung daran, wann, was und wie noch gar nichts war – «Das ist nicht lange her», erkenne ich, während ich die Welt betrachte, ein Schöpfungskreislauf neuen Datums, durch den die Macht ihr selbstloses Selbst mit der Erinnerung daran erfreut, dass sie die Macht ist – Und alles daran wesentlich ein wimmelnd zartes Rätsel, sichtbar nur, wenn man die Augen schließt und die unendliche Stille in die Ohren lässt – Der Segen und das Glück sind garantiert zu glauben, meine Lieben –
Wenn sie wollen, werden die Erwecker als Säuglinge geboren – Dies ist mein erstes Erwachen – Es gibt keine Erwecker und auch kein Erwachen.
In meiner Hütte liege ich, denke an die Veilchen in unserem Garten an der Phebe Avenue, als ich elf war, damals an Juniabenden, dieser trübe Traum, flüchtig, rastlos, lange vorbei, noch weiter weg, bis alles weg sein wird.
Mitten in der Nacht wache ich auf und denke an Maggie Cassidy, daran, wie ich sie hätte heiraten und der alte Finnegan zu ihrer irischen Lass Plurabelle sein können, wie ich ein Häuschen auf dem Land hätte kaufen können, ein kleines, klappriges Irish-Rose-Häuschen inmitten von Schilf und alten Bäumen am Ufer des Concord River, und wie ich als grimmiger, bejackter, behandschuhter, bebaseballmützter Bremser in der kalten Nacht Neuenglands geschuftet hätte, für sie und ihre irischen Elfenbeinschenkel, für sie und ihre Marshmallow-Lippen, für sie und ihren irischen Akzent und «Gottes grüne Erde» und ihre beiden Töchter – Wie ich sie nachts aufs Bett gelegt hätte, nur für mich allein, und mühsam ihre Rose gesucht hätte, ihr Grubending, dieses smaragddunkle Heldending, das ich begehre – ich denke an ihre Seidenschenkel in engen Jeans, daran, wie sie die Schenkel seufzend unter ihren Händen übereinanderschlug, wenn wir zusammen fernsahen – im Wohnzimmer ihrer Mutter, bei dieser letzten, verhexten Reise nach Lowell im Oktober 1954 – Ach, die Rosenranken, der Flussschlamm, ihr Fluss, ihre Augen – Eine Frau für den alten Duluoz? Vor meinem Herd in der Trübsalmitternacht ist daran nicht zu glauben – das Maggie-Abenteuer –
Die Klauen schwarzer Bäume in mondbeschienen rosaroter Dämmerung halten vielleicht zufällig auch für mich Liebe bereit, und ich kann sie jederzeit zurücklassen und weiterziehen – Aber wenn ich alt an meinem letzten Ofen sitze und der Vogel in o Lowell oben auf dem Staubast tändelt, was werde ich da denken, Weide? – Wenn der Wind in meinen Schlafsack kriecht und der Blues mir in den nackten Rücken fährt und ich gebeugt meinen löblichen Pflichten in der Rasendeckenerde nachgehe, welche Liebeslieder werden dann gesungen für den krummen alten trüben Jack O? – Keine neuen Dichter werden mir Lorbeer bringen wie Honig für meine Milch, Hohn – Hohn geliebter Frau wäre besser, schätze ich – Ich würde von Leitern stürzen, brabam, und mir im Fluss die Unterhosen waschen – mir Wäscheleinen schwatzen – mir den Montag lüften – mir ganze Afrikas von Hausfrauen hirnspinstern – mir Töchter Learen – mir ein Marmorherz erbetteln – Doch es könnte besser gewesen sein, als es sein könnte, einsame und ungeküsste Duluozlippen griesgramen in einem Grab.
Am frühen Sonntagmorgen muss ich immer an zu Hause bei Ma auf Long Island denken, in den letzten Jahren, daran, wie sie die Sonntagszeitung liest und ich aufstehe, dusche, ein Glas Wein trinke, den Sportteil lese und das schöne Frühstück esse, das sie mir auftischt, nach dem ich bloß fragen muss, daran, wie knusprig sie den Schinken und wie spiegelig sie die Eier brät – Der Fernseher ist aus, weil am Sonntagmorgen sowieso nichts Gutes läuft – Es tut mir weh, daran zu denken, dass ihr Haar ergraut und dass sie 62 ist und 70 sein wird, wenn ich meine eulenhaften Vierziger erreiche – Bald wird sie meine «alte Mutter» sein – Jetzt in der Koje male ich mir aus, wie ich sie pflegen werde –