Englische Sprachwissenschaft und Fachdidaktik im Dialog -  - E-Book

Englische Sprachwissenschaft und Fachdidaktik im Dialog E-Book

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Beschreibung

Auf der Grundlage aktueller Forschungs- und Lehrprojekte zeigt dieser Sammelband systematisch Bezugspunkte zwischen Sprachwissenschaft, Fachdidaktik und schulischem Englischunterricht auf und leistet damit einen Beitrag zur Weiterentwicklung der gegenwärtigen Debatte um Kohärenz und Professionalisierung in der Fremdsprachenlehrkräftebildung. Die Beiträge, die den Schwerpunktbereichen Englisch als Sprachsystem, Englisch als Weltsprache, Englisch als Sprache von Lernenden und Lehrenden sowie Englische Korpuslinguistik und Fachdidaktik zugeordnet sind, erörtern, welche linguistischen Inhalte, Methoden und Werkzeuge für den Englischunterricht besonders relevant sind und wie diese für die Professionalisierung von (angehenden) Lehrkräften nutzbar gemacht werden können. Damit dient der Band als Ideensammlung und Handreichung für alle Akteur*innen im Bereich der Fremdsprachenlehrkräftebildung.

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[1]Englische Sprachwissenschaft und Fachdidaktik im Dialog

[2]GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK

Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner (†) und Dietmar Rösler

Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho

Anna Rosen

Katharina Beuter (Hrsg.)

[3]Englische Sprachwissenschaft und Fachdidaktik im Dialog

Chancen zur Stärkung der Lehrkräftebildung

[4]DOI: https://doi.org/10.24053/9783381112524

© 2024 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 · D-72070 Tübingen

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Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

CPI books GmbH, Leck

ISSN 0175-7776ISBN 978-3-381-11252-4 (ePDF)ISBN 978-3-381-11253-1 (ePub)

[5]Inhalt

Einleitung und professionstheoretische Grundlegungen

Katharina Beuter & Anna Rosen

Einleitung: Ein dialogischer Ansatz zur Stärkung der Kohärenz in der Englischlehrkräftebildung

Katja Zaki

Von Kompetenzen, Kohärenzen und Korrespondenzen: Grundlagen einer professionsorientierten Fremdsprachenlehrkräftebildung

Englisch als Sprachsystem und Fachdidaktik

Ingrid Paulsen

Kognitive Linguistik und Fachdidaktik: Chancen und Herausforderungen der Verknüpfung von Sprachtheorie und Sprachvermittlung für die Bereiche Wortschatz und Grammatik

Manfred Krug

English dental fricatives and their substitutes in EFL learners: A study of L1-German university students and implications for EFL teaching

Englisch als Weltsprache und Fachdidaktik

Katharina Beuter

Sprache ist Verhandlungssache: Didaktische Implikationen sprachwissenschaftlicher Forschung zu Englisch als Lingua Franca

Marcus Callies

World Englishes in teacher education in Germany: Increasing curricular coherence by integrating linguistics, language education and teaching practice

Ulrike Gut & Frauke Matz

Professionalising English language education: Teaching English in Nigeria in an interdisciplinary seminar

Englisch als Sprache von Lernenden und Lehrenden

Holger Limberg

Unterrichtstranskripte als Instrumente zur Förderung von professionellen Handlungskompetenzen angehender Englischlehrkräfte im Bereich

classroom discourse

Anna Rosen

Mit geschultem Auge auf die Sprache von Lernenden blicken: Forschendes Lernen an der Schnittstelle von Sprachwissenschaft und Fremdsprachendidaktik

Englische Korpuslinguistik und Fachdidaktik

Urška Grum

Meta-analysing corpus-assisted approaches to L2 learning in primary and secondary education

Carina Großmann & Julia Schlüter

Corpus Literacy

in der Lehrer*innenbildung: Englisch (lernen) lehren mit Korpora

Julia Schlüter

British and American standards in the English language classroom: Using corpora to overcome doubts about ‘correct’ usage

Die Beiträger*innen und Herausgeberinnen

[7]Einleitung und professionstheoretische Grundlegungen

[9]Einleitung: Ein dialogischer Ansatz zur Stärkung der Kohärenz in der Englischlehrkräftebildung

Katharina Beuter & Anna RosenUniversität Bamberg und Universität Freiburg

Professionstheoretische Verortung und Kohärenzdiskurs

Es scheint auf der Hand zu liegen: Das erfolgreiche Vermitteln einer Sprache, hier Englisch, kann nur auf der Grundlage eines fundierten Wissens über diese Sprache erfolgen. Und doch belegen Umfragen stets aufs Neue, dass Lehramtsstudierenden im Bereich der modernen Fremdsprachen oft unklar bleibt, wie ihre linguistische Ausbildung ihnen im späteren Lehrberuf nutzen kann (vgl. Thörle 2008, Kreyer & Güldenring 2016: 266, Boros & Wagner 2019). Bereits vor gut zwanzig Jahren konstatierte Mukherjee (2002: 189–190) nach „zahlreichen Gesprächen mit Studierenden“, dass „viele Lehramtsstudierende seltsamerweise nicht den Zusammenhang zwischen einer fundierten linguistischen Kompetenz und einer erfolgreichen Vermittlung der englischen Sprache im angestrebten Lehrerberuf“ erkennen. Dass sich bis heute an dieser Wahrnehmung offenbar nichts geändert hat, bestätigt unter anderem eine interne Befragung von Anglistik-Studierenden an der Universität Freiburg (vgl. Boros & Wagner 2019 für die Gesamtauswertung aller Studierender der Universität Freiburg). Nach wie vor beanstanden Studierende, dass ihnen der Praxisbezug in ihren fachwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen fehle und dass inhaltliche Bezüge zwischen sprachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Lehrveranstaltungen kaum aufgezeigt werden (vgl. Kreyer & Güldenring 2016: 275). Erwartet wird daher neben einer besseren Korrespondenz zwischen Universität und Schule auch eine Stärkung der konzeptionellen Kohärenz zwischen den Teildisziplinen der Anglistik (vgl. Diehr 2020: 328, Steininger 2021: 160).

Zweifelsfrei stellt die Sprachwissenschaft eine der zentralen Bezugswissenschaften für die fremdsprachliche Fachdidaktik dar (vgl. z.B. Herbst 2005, Haß 2006: 10, Nieweler 2006: 13, Doff 2011: 38, Bürgel & Siepmann 2013, 2016, Kreyer & Güldenring 2016: 266, Legutke & Schart 2016: 20). Jedoch wird in der Forschungsliteratur auch beklagt, dass angehende Lehrkräfte während ihres Studiums zwar genügend linguistisches Wissen erwerben, auf dieses jedoch später in der unterrichtlichen Praxis bei der Vermittlung von Sprache, einschließlich der Diagnostik und Bewertung von Lerner*innensprache, nicht ausreichend zugreifen können (vgl. Polzin-Haumann 2008: 149, Haueis 2022: 39). Eine engere Verknüpfung zwischen Sprachwissenschaft, Fachdidaktik und Schulpraxis wird daher vielfach und nachdrücklich gefordert (vgl. z.B. Schumann & Steinbrügge 2008, Thörle 2008, Radatz 2016, Rosen 2022).

[10]Um das Professionswissen angehender Lehrkräfte zu stärken, müssen einerseits natürlich – unter anderem – die einzelnen Komponenten fachlichen Wissens (content knowledge oder CK) und fachdidaktischen Wissens (pedagogical content knowledge oder PCK; vgl. Shulman 1986: 9) in den Blick genommen werden. Vor allem geht es aber auch um das Aufzeigen von Zusammenhängen zwischen Einzelbereichen professionellen Wissens (vgl. Kaiser, Bremerich-Vos & König 2020: 812) und um eine stärkere Verzahnung, also um mehr konzeptionelle Kohärenz innerhalb der Ausbildung von Lehrkräften (vgl. Cramer 2020: 270). Im Rahmen der BMBF-geförderten Forschungsinitiative Qualitätsoffensive Lehrerbildung (QLB) haben zahlreiche Projekte (u.a. an den Hochschulstandorten Bremen, Freiburg, Hamburg, Kassel, Kiel, Potsdam und Wuppertal; vgl. Hellmann 2019) diese Desiderate für verschiedene Unterrichtsfächer aufgegriffen und treiben die Vernetzung von Inhalten in der Lehrkräftebildung auch über die drei Phasen hinweg – wissenschaftliches Studium, Ausbildung während des Referendariats und Weiterbildung praktizierender Lehrkräfte – voran. Im Vergleich zu anderen Fächern erscheint dabei die Situation für den Bereich der modernen Fremdsprachen besonders komplex, da die jeweilige Fremdsprache selbst einerseits das Subjekt, zugleich jedoch auch das Unterrichtsmedium darstellt (vgl. Wilden 2020: 419), mithilfe dessen wiederum sehr heterogene linguistische, literarische und kulturelle Inhalte vermittelt werden sollen, die an den Universitäten in eigenen Fachbereichen erforscht und gelehrt werden (vgl. Legutke & Schart 2016: 13, Diehr 2020: 327, Steininger 2021: 151–152, Legutke, Saunders & Schart 2022: 7). Ansatzpunkte zu einer stärkeren Kohärenzbildung innerhalb des Faches gibt es daher viele.

Eine solche Kohärenzbildung ist auf verschiedenen Ebenen anzustreben (vgl. Diehr 2020: 329): Zum einen muss eine Stärkung der curricularen Kohärenz von Studienangeboten, insbesondere auch eine engere synchrone Verknüpfung sprachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Inhalte beispielsweise durch das Angebot interdisziplinärer Lehrveranstaltungen in den Blick genommen werden, um die Integration des Professionswissens von Studierenden und Lehrkräften zu stärken; andererseits wird eine ausgeprägtere diachrone Korrespondenz zwischen den einzelnen Phasen der Lehramtsausbildung gefordert (vgl. Wagener et al. 2019: 215–219). Durch das gezielte Aufzeigen von Zusammenhängen können die angehenden Lehrkräfte im Sinne eines konstruktivistischen Lernprozesses zur Ausbildung kognitiver Kohärenz, also zum eigenständigen Erkennen neuer Zusammenhänge, angeregt werden und so ihr Studium als professionsrelevanter und qualitativ hochwertiger wahrnehmen (vgl. z.B. Darling-Hammond 2006, Canrinus et al. 2017). Die hier angerissene Debatte um Kohärenz und Professionsforschung greift Katja Zaki in ihrem Grundlagenbeitrag, der dieser Einleitung folgt, detailliert und systematisch auf und öffnet damit das Feld für die Vorstellung konkreter Umsetzungen, die in den übrigen Beiträgen im Vordergrund stehen.

Zielsetzung und Aufbau des Sammelbandes

Der vorliegende Sammelband knüpft an der dargestellten Ausgangslage einer noch unzureichenden Verzahnung zwischen den Einzelbereichen der universitären Ausbildung [11]von Englischlehrkräften an, und zwar speziell im Hinblick auf die Integration von sprachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Inhalten. Er will einen Beitrag zur Weiterentwicklung der aktuellen Debatte um Kohärenz, Korrespondenz und Professionalisierung in der (Fremdsprachen-)Lehrkräftebildung leisten, indem er Bezugspunkte zwischen englischer Sprachwissenschaft, Fachdidaktik und schulischem Englischunterricht systematisch auslotet und umfassend diskutiert. So geht dieser Band der Frage nach, welche sprachwissenschaftlichen Inhalte, Methoden und Werkzeuge für den schulischen Englischunterricht im Sinne einer notwendigen Schwerpunktsetzung besonders relevant sind (vgl. Diehr 2020: 334), und stellt Überlegungen dazu an, wie diese durch eine stärkere Verzahnung von Sprachwissenschaft und Fachdidaktik zur Förderung professioneller Kompetenzen zukünftiger Englischlehrkräfte besser nutzbar gemacht werden können. Dabei werden sowohl Chancen und Herausforderungen erörtert als auch konkrete Möglichkeiten der Umsetzung beschrieben.

Den einzelnen Beiträgen in diesem Band liegen daher folgende übergreifende Fragen zugrunde:

Inwiefern ist der thematische Schwerpunkt oder die vorgestellte linguistische Methode für schulische Kontexte relevant?

An welchen Stellen lassen sich sprachwissenschaftliche Inhalte und Methoden mit fachdidaktischen Fragestellungen verknüpfen, und welche professionellen Kompetenzen für das Unterrichten einer Fremdsprache lassen sich dadurch schulen? Welche Potenziale ergeben sich so für die (universitäre) Lehrkräftebildung?

Welche Herausforderungen und Grenzen zeigen sich bei der integrierten Förderung von sprachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Kompetenzen? Welche Art der Kooperation zwischen Sprachwissenschaft und Fachdidaktik ist dafür erstrebenswert oder notwendig? Über welches Wissen und welche Kompetenzen sollten beteiligte Dozierende im Bereich der Bildung künftiger Fremdsprachenlehrkräfte verfügen?

Welche konkreten Ansätze, realisierbaren Ideen und Lehrformate zur Verschränkung von Sprachwissenschaft und Fachdidaktik und damit zu mehr Kohärenz in der Lehrkräftebildung haben sich bereits bewährt oder sind denkbar? Wie können verknüpfende Lehrkonzepte nachhaltig in der Lehrkräftebildung verankert werden? Wie können auch niederschwellig wichtige Bezugspunkte zwischen Sprachwissenschaft und Fachdidaktik für künftige Englischlehrkräfte verdeutlicht werden?

Mit diesen Fragen setzen sich die Beiträge im vorliegenden Band auf der Grundlage aktueller Forschungs- und Lehrprojekte auseinander, die auf einer Workshop-Tagung im Herbst 2021 vorgestellt und intensiv diskutiert wurden. Dem Desiderat nach einem verstärkten Austausch zwischen verschiedenen Gruppen von Akteur*innen folgend (vgl. Cramer 2020: 273), kamen dort Expertinnen und Experten aus der Schulpraxis, dem Bereich der Ausbildung von Referendarinnen und Referendaren, der englischen Fachdidaktik sowie der Sprachwissenschaft zusammen, um Möglichkeiten für eine stärkere Verzahnung von englischer Sprachwissenschaft und Fachdidaktik unter der Berücksichtigung schulpraktischer Belange auszuloten.

In der Zusammenschau geben die Beiträge nun eine erste Antwort darauf, welche sprachwissenschaftlichen Inhalte, Methoden und Werkzeuge für zukünftige Lehrerinnen und Lehrer als relevant erachtet werden und wie diese vermittelt werden können, um [12]Lehrkräfte für ihren Beruf professionell zu stärken. Der vorliegende Band kann somit als Ideensammlung und Handreichung für ganz verschiedene Akteurinnen und Akteure in den verschiedenen Phasen der Fremdsprachenlehrkräftebildung dienen – von Lehrenden und Forschenden in der Englischen Fachdidaktik und Sprachwissenschaft, über Ausbildungslehrkräfte an Seminaren und an Schulen, bis zu angehenden und praktizierenden Lehrkräften für den Englisch- bzw. Fremdsprachenunterricht. Er möchte dazu beitragen, systematischer Chancen zu ergründen, wie sich (Englische) Sprachwissenschaft und Fachdidaktik im Sinne einer Stärkung der Lehrkräftebildung gerade auch auf der Mikroebene (vgl. Cramer 2020: 275), also z.B. anhand konkreter Inhalte und durch spezifische Lehrformate, besser verzahnen lassen.

Die Gliederung des Sammelbandes gibt ebenfalls den Versuch einer systematischen Herangehensweise an den Dialog zwischen Sprachwissenschaft und Fachdidaktik wieder. Auch wenn auf der angesprochenen Tagung lebhaft diskutiert wurde, welche Bereiche und Methoden der Sprachwissenschaft besonders bedeutsam für das Unterrichten einer Fremdsprache in der Schule sind und inwiefern diese in der Lehre für zukünftige Englischlehrkräfte gezielt angeboten werden sollten, lassen sich diese Fragen nicht abschließend klären; jedoch gibt ein Abgleich der derzeitigen Anforderungen in universitären Prüfungsordnungen und gesetzlichen Rahmenverordnungen der Kultusministerkonferenz (z.B. KMK 2008) mit den Bedürfnissen von schulischer Seite, wie sie aus den Lehr- und Bildungsplänen abgeleitet werden können, erste Hinweise auf wichtige Kernbereiche für die Verknüpfung von Fachdidaktik und Sprachwissenschaft. Analysiert man Leitgedanken von Bildungsplänen und Kompetenzstandards der verschiedenen Jahrgangsstufen, kann man unter anderem erkennen, auf welche Zweige der Englischen Sprachwissenschaft, auf welche Forschungsergebnisse und Ressourcen direkt oder implizit zurückgegriffen wird (vgl. Rosen 2022). Eine solche Analyse ist gleichzeitig der Versuch, Inhalte der Lehrkräftebildung nicht allein aus der Perspektive gewachsener Fächertraditionen zu denken, sondern ganz im Sinne eines ebenbürtigen Austauschs auch auf schulische Erfordernisse abzustimmen. Neben dem wichtigen Bereich der Zweit- und Fremdspracherwerbsforschung lassen sich dabei mehrere potentielle Schwerpunktbereiche ausmachen (vgl. Abbildung 1).

Abb. 1: Schwerpunktbereiche der Englischen Sprachwissenschaft für eine professionsorientierte Lehrkräftebildung aus Schulperspektive

Dem Bereich Englisch als Sprachsystem sind dann beispielsweise Phonetik und Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik oder Kontrastive Linguistik in ihren Bezügen zu Fachdidaktik und schulischem Englischunterricht zuzuordnen. Englisch im kontextuellen Gebrauch umfasst Felder wie Pragmatik, Registerforschung, Diskursanalyse und Soziolinguistik, Englisch als Weltsprache die Gebiete Englisch als Lingua Franca und Varietätenforschung. Im Bereich der sprachwissenschaftlichen Methoden sind insbesondere korpuslinguistische Methoden und Werkzeuge, aber auch gesprächsanalytische Herangehensweisen zu nennen. Englisch als Sprache von Lernenden und Lehrenden schließt Erkenntnisse aus Zweit- und Fremdspracherwerbsforschung sowie die Untersuchung von Lerner*innensprache ein.

Augenfällig ist, dass diese Bereiche nicht nur jeweils in einem engen Bezug zur Fachdidaktik stehen, sondern vielfach Schnittmengen aufweisen. So können, wie beispielsweise Limberg in diesem Band zeigt, Erkenntnisse aus Diskurs- und Konversationsanalyse (Englisch im kontextuellen Gebrauch) und deren Methoden (Sprachwissenschaftliche Methoden) auch für die Analyse von Unterrichtssprache (Englisch als Sprache von [13]Lernenden und Lehrenden) und letztendlich für das Unterrichten einer Fremdsprache fruchtbar gemacht werden.1

Beiträge im Überblick

Die Beiträge in diesem Band lassen sich exemplarisch vier dieser Schwerpunktbereiche zuordnen, berühren aber selbstverständlich auch weitere Felder und sind oftmals an Schnittstellen anzuordnen:

(1) 

Englisch als Sprachsystem und Fachdidaktik

(2)

Englisch als Weltsprache und Fachdidaktik

(3)

Englisch als Sprache von Lernenden und Lehrenden

(4)

Englische Korpuslinguistik und Fachdidaktik

Ihnen vorangestellt findet sich ein Überblick über professionstheoretische Ansätze und Paradigmenwechsel in der Fremdsprachenlehrkräftebildung von Katja Zaki. Dieser verortet die Überlegungen und Ansätze zur Verknüpfung von Fachdidaktik und Sprachwissenschaft im Kontext der gegenwärtig viel diskutierten Ansätze zu mehr Kohärenz und nachhaltiger Professionalisierung in der (universitären) Lehrkräftebildung. Gemeinsam mit der vorliegenden Einleitung bildet Zakis Beitrag die Basis für die Einzelbeiträge, in denen nach Diehrs (2020: 330) Auslegung von Kohärenz „Menschen die Dinge [exemplarisch] zusammenbringen und dem Ganzen Bedeutung verleihen“.

[14](1) Im Bereich Englisch als Sprachsystem und Fachdidaktik zeigen zwei Beiträge exemplarisch, wie sich sprachwissenschaftliche Theorien und Erkenntnisse im Unterricht einer Fremdsprache einsetzen lassen. Ingrid Paulsen plädiert in ihrem Beitrag für mehr Kohärenz durch eine Integration von Sprachtheorie und Fachdidaktik. Sie fordert, implizite theoretische Annahmen von Lehrkräften zu explizieren und für den Unterricht nutzbar zu machen, zum Beispiel, um eine kritische Reflexion und lerngruppenspezifische Adaptation von Lehrmaterialien zu ermöglichen. Paulsen stellt die Kognitionswissenschaft, die die Verbindung zwischen Sprache und menschlicher Kognition untersucht, als besonders geeigneten theoretischen Rahmen für den Fremdsprachenunterricht vor und verdeutlicht dies am Beispiel des progressive aspect. Sprachtheoretisch geschulte Lehrkräfte können in der Vermittlung lexikalischer und grammatischer Strukturen insbesondere die Erkenntnis nutzen, dass Sprecher*innen sprachliche Formen nicht passiv kopieren, sondern aktiv nutzen, um sprachliche Äußerungen funktionsadäquat zu konstruieren.

Manfred Krug beleuchtet in seinem Beitrag am Beispiel dentaler Frikative die Relevanz phonetisch-phonologischer Bildung für Lernende und Lehrende des Englischen. Auf der Grundlage von Studienergebnissen zur Verwendung und Substitution dentaler Frikative unter Anglistikstudierenden an der Universität Bamberg fordert Krug, Ausspracheschwierigkeiten im Englischunterricht an Schule und Hochschule expliziter zu thematisieren. Krugs Vorschläge umfassen ein weites Spektrum didaktischer Ansätze, die von der eingebetteten Nachahmung über die Analyse von Lauten bis hin zu kritischen Diskussionen über die gesellschaftliche Akzeptabilität phonologischer Variation reichen. (Angehende) Lehrkräfte sollen so dazu befähigt werden, sich vor dem Hintergrund ihrer Rolle als sprachliche Vorbilder mit ihrer eigenen Aussprache auseinanderzusetzen und diese bei Bedarf zu modifizieren, phonetische Variation soziolinguistisch einzuordnen, sowie diagnostische Kompetenzen und didaktische Ansätze für den Bereich der Phonetik und Phonologie zu entwickeln und kritisch zu reflektieren.

(2) Zum Schwerpunktbereich Englisch als Weltsprache und Fachdidaktik arbeitet Katharina Beuters Beitrag konzeptuelle und didaktisch-methodische Konsequenzen aus der Forschung zu Englisch als Lingua Franca (ELF) für den Englischunterricht und die Aus- und Weiterbildung von Englischlehrkräften heraus. Dabei werden die fluide und hybride Natur insbesondere von Sprache, aber auch von Konzepten wie Kultur und Identität hervorgehoben sowie die Kontextabhängigkeit und Multifunktionalität von Sprache, mithilfe derer nicht nur Bedeutungen, sondern auch Beziehungen und transkulturelle Identitäten ausgehandelt werden. Beuter regt an, diese Aspekte in Bildungskontexten – sowohl im Schulunterricht als auch in der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften – transparent zu machen und pragmatisches Wissen sowie inter- und transkulturelle Kompetenzen verstärkt zu fördern. Somit könnten Lernende auf Interaktionen mit unterschiedlichen Gesprächspartner*innen in verschiedensten kulturellen Kontexten und sozialen Konstellationen vorbereitet werden, in denen es gilt, die englische Sprache situationsgerecht einzusetzen.

Im Anschluss werden zwei konkrete Vorschläge für kooperative Lehrveranstaltungen im Bereich Englisch als Weltsprache gemacht: Marcus Callies stellt für diesen Bereich ein Lehrformat vor, das an der Universität Bremen im Rahmen eines QLB-geförderten Projekts entwickelt sowie evaluiert wurde und das Ziel verfolgt, einer Fragmentierung des Studiums durch eine stärkere Kohäsion und Verzahnung von fachlichem und fachdidak[15]tischem Professionswissen entgegenzuwirken. Entstanden ist ein integriertes Lehrformat, das es schafft, Sprachwissenschaft, Fachdidaktik und Schulpraxis für den Bereich Englisch als Weltsprache nicht nur zusammenzudenken, sondern die Verzahnung auch konkret umzusetzen und sogar curricular zu verankern. In aufeinander bezogenen linguistischen und fachdidaktischen Seminaren, die im gleichen Semester stattfinden, werden dabei zentrale Grundlagen für eine unmittelbar anschließende Umsetzung und Erprobung von Konzepten in der Praxis vermittelt. Callies weist jedoch auch darauf hin, wie wichtig bei der Umsetzung eines solchen Formats lokal verfügbare Akteur*innen sind, die über entsprechendes Wissen verfügen und sich für Kooperationen gewinnen lassen.

Ulrike Gut und Frauke Matz berichten von einem integrierten Seminarkonzept zum Themenbereich Nigeria, das sprachwissenschaftliche und fachdidaktische Elemente verbindet und von Dozierenden aus der Sprachwissenschaft und der Fachdidaktik im Tandem unterrichtet wird. Auf aktivierende Art und Weise werden die teilnehmenden Studierenden hier ermutigt, sich über eine Vielzahl von Inhalten und Methoden exemplarisch mit Formen, Funktionen, kulturellen Aspekten und dem didaktischen Potential des Englischen in Nigeria auseinanderzusetzen. Die Vermittlung sprachwissenschaftlichen Fach- und Methodenwissens vor allem aus dem Bereich der Varietätenlinguistik dient hier zugleich der Förderung metalinguistischer Bewusstheit und bietet Anlass zur Reflexion von Einstellungen und Überzeugungen, die wiederum in ihrer Bedeutung für das Unterrichten von Englisch als Weltsprache diskutiert werden.

(3) Die nächsten beiden Beiträge verdeutlichen, wie professionelle Kompetenzen von zukünftigen Lehrkräften mithilfe authentischer Daten gefördert werden können, in denen Englisch als Sprache von Lernenden und Lehrenden genutzt wird. Holger Limberg zeigt, dass Fremdsprachenunterricht durch Transkripte diskursanalytischen Betrachtungen zugänglich gemacht werden kann und wie vielfältig Unterrichtstranskripte zur Anregung von Reflexionsprozessen und zur Schulung von Kompetenzen für den Einsatz der Zielsprache in Unterrichtsgesprächen eingesetzt werden können. Sein Beitrag richtet den Blick vorrangig auf die Primarstufe; die vorgeschlagenen Ansätze lassen sich aber auch auf den Sekundarbereich übertragen.

Anna Rosens Beitrag stellt ein Kurskonzept vor, bei dem sich Studierende in eigenen Forschungsprojekten mit authentischer Lerner*innensprache von Schülerinnen und Schülern auseinandersetzen. Zukünftige Lehrkräfte vollziehen damit – noch fern der Hektik des Schulalltags – komplexe Prozesse beim Erlernen einer Fremdsprache nach und schulen ihre analytischen und diagnostischen Kompetenzen. So bereiten sie sich auf eine reflektierte, wissenschaftlich begründete Bewertung der Schüler*innensprache im künftigen Beruf vor. Eingebettet ist die Auseinandersetzung mit Lerner*innensprache im vorgestellten Kurs in eine breite Reflexion zu den Anknüpfungspunkten zwischen Sprachwissenschaft und Fachdidaktik und in die Vorstellung sprachwissenschaftlicher Werkzeuge, die bei der Analyse von Lerner*innensprache unterstützen.2

[16](4) Im Bereich Englische Korpuslinguistik und Fachdidaktik zeigt Urška Grum, wie spärlich bislang die Kenntnisse über den Einsatz von data-driven learning-Ansätzen im Schulunterricht sind und dass trotz langjähriger Forderungen bislang wenig erforscht ist, wie erfolgsversprechend korpusgestütztes Unterrichten tatsächlich ist. Ihre Ergebnisse weisen jedoch klar darauf hin, dass data-driven learning und korpusbasiertes Lernen auch für jüngere Lernende gewinnbringend sein können. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Lehrkräfte für den Einsatz von Korpora im und für den Schulunterricht besser ausgebildet werden und Korpora stärkeren Einsatz im Fremdsprachunterricht finden müssten, so dass eine nuancierte Weiterforschung möglich wird.

Der Beitrag von Carina Großmann und Julia Schlüter stellt in dieser Stoßrichtung ganz praktisch ein Lehrformat vor, das sprachwissenschaftliche und korpuslinguistische Ausbildung verbindet und Kursteilnehmenden die Relevanz der Korpuslinguistik für den Schulunterricht aufzeigt. Die Ergebnisse der Evaluationen aus vier Semestern Lehre machen deutlich, dass korpuslinguistische Methoden und sprachwissenschaftliche Erkenntnisse substantiell wichtig sind und doch nicht ohne Hürden in die Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte integriert werden können. Besonders fällt dabei auf, wie beharrlich einige Studierende auch nach Kursende an tradierten präskriptiven Lehrsätzen aus dem Grammatik- und Wortschatzunterricht ihrer Schulzeit festhalten.

Julia Schlüter stellt in einem weiteren Beitrag fest, dass sich Fremdsprachenlehrkräfte in ihren Akzeptabilitätsurteilen zu Phänomenen der englischen Sprache stark von der Varietät, die sie am besten kennen, und von ihren eigenen Lernerfahrungen leiten lassen. Dieser Forschungsbericht schlägt eine Brücke zwischen den Bereichen Englisch als Weltsprache und korpuslinguistischen Methoden, indem er eine quasi-experimentelle Fragebogenstudie mit mehr als 400 befragten Englischlehrkräften vorstellt, die Intuitionen und Akzeptanz von Variation bei der Verwendung von Präpositionen untersucht. Die Ergebnisse legen nahe, dass in der fremdsprachlichen Unterrichtspraxis einem Normbild, das sprachliche Variation akzeptiert und bei sprachlichem Feedback im Fremdsprachenunterricht berücksichtigt, in vielen Fällen nicht entsprochen wird. Schlüter fordert daher, dass der Einsatz von Korpora und die Schulung von Korpusfertigkeiten als Grundlage sprachlichen Feedbacks standardmäßig in die Ausbildung von Fremdsprachenlehrkräften aufgenommen werden sollte – flankiert von einer nachdrücklichen Vermittlung größerer Offenheit gegenüber Variation in der Fremdsprache.

Zusammenschau und erstes Fazit

Zusammengenommen zeigen die Beiträge somit aus ganz verschiedenen Blickwinkeln, wie vielfältig die Bezugspunkte zwischen Sprachwissenschaft, Fachdidaktik und Unterrichtspraxis sind. Alle Beiträge – seien es theoretische Überlegungen, angewandte Studien oder Beschreibungen konkreter Lehrformate – zeugen von einer hohen Relevanz von sprachwissenschaftlichen Erkenntnissen, Kompetenzen und Werkzeugen für den fremdsprachlichen Schulunterricht. Kursmodule, die eine professionsorientierte Vermittlung sprachwissenschaftlicher Inhalte und Methoden zum Ziel haben und mit fachdidaktischen Fragen verschränken, werden durchweg als gewinnbringend von Seiten der Durchführenden und der Teilnehmenden bewertet. Kursevaluationen fallen daher weit überdurchschnittlich [17]positiv aus (vgl. z.B. Callies, Großmann & Schlüter, Paulsen, Rosen). Stets wird bei diesen Evaluationen hervorgehoben, dass Studierende die sprachwissenschaftliche Seite ihrer Ausbildung im Anschluss als stärker relevant für ihren späteren Beruf wahrnehmen. Als best-practice-Beispiele treten solche Kurskonzepte somit der historisch bedingten Fragmentierung in der fremdsprachlichen Lehrkräftebildung entgegen, fördern aktives, an die Unterrichtspraxis adaptierbares Wissen und Kompetenzen, die im späteren Berufsalltag notwendig sind, und ermöglichen Studierenden ein Erleben und Konstruieren von Kohärenz. In dieser Hinsicht kommen sie Forderungen nach, die seit Jahrzehnten erhoben werden (vgl. z.B. Gruber, Mandl & Renkl 2000, Terhart 2004, Blömeke 2006, für eine ausführliche Darstellung vgl. Zaki dieser Band).

Zugleich zeigen sich in der Zusammenschau aller Beiträge aber auch deutlich die Herausforderungen bei der integrierten Förderung sprachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Kompetenzen in der ersten Phase der Lehrkräftebildung. So wird wiederholt betont, wie schwierig es sei, Dozierende zu finden, die kombinierte Erfahrungen und Kompetenzen aus den Bereichen Sprachwissenschaft, Fachdidaktik und Schulpraxis mitbringen oder zumindest Interesse an einer Kooperation oder an team teaching zeigen, und als wie mühevoll es sich oft gestalte, übergreifende Kooperationen an Hochschulen, Ausbildungsseminaren und Schulen an der Schnittstelle von Fachdidaktik und Sprachwissenschaft zu initiieren und zu pflegen (vgl. insbesondere Callies, aber auch Beuter, Grum, Matz & Gut, Rosen). Auch während der Tagung, die diesem Sammelband vorausging, fielen die Rückmeldungen zum Austausch zwischen Sprachwissenschaftler*innen und Fachdidaktiker*innen an verschiedenen Hochschulstandorten in Deutschland gemischt aus: Während an manchen Standorten ein intensiver Dialog geführt wird, der fruchtbar für die Lehre genutzt werden kann, ist an anderen die Distanz zwischen den Teildisziplinen des Faches groß. Für einen gelingenden Dialog – so das Echo aller Tagungsteilnehmenden und das gemeinsame Votum der vorliegenden Beiträge – sind eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, eine klare Definition gemeinsamer Ziele und ein institutionalisierter Rahmen notwendig, der team teaching und Kooperationen in der Lehre anspornt und nicht etwa – beispielsweise durch Probleme bezüglich der vollen Anrechenbarkeit auf das Lehrdeputat – hindert (vgl. z.B. auch Limberg, Matz & Gut, Rosen).

Die Beiträge in diesem Band plädieren nachdrücklich für eine curriculare Verankerung von Lehrkonzepten, die Fachdidaktik und Sprachwissenschaft verschränken, in Modulhandbüchern und Prüfungsordnungen (vgl. z.B. Callies, Limberg, Paulsen, Rosen). Zudem herrscht Einigkeit darüber, dass es nicht ausreicht, Bezüge zwischen Sprachwissenschaft und Fachdidaktik punktuell in einem Einzelkurs aufzuzeigen, auch wenn dies ein guter Anfang sein kann. Die Ermöglichung von Kohärenzerleben und die Einübung bestimmter Methoden, z.B. zur Schulung korpuslinguistischer Fertigkeiten, verlangen nach wiederholter Bezugnahme und fester Verankerung in der Lehre (vgl. z.B. Großmann & Schlüter, Grum, Krug, Schlüter). Denkbar ist zum Beispiel, Vorschläge zur Lehre, die die Beiträge dieses Bandes liefern, schlaglichtartig in verschiedenen Veranstaltungen der sprachwissenschaftlichen Lehre aufzunehmen. So könnten beispielsweise schulische Bildungspläne hinsichtlich des jeweiligen sprachwissenschaftlichen Themas gesichtet werden (vgl. Rosen), so dass am Ende einer Vorlesung oder einer Seminarsitzung die Relevanz des Themas für das spätere Unterrichten an einer Schule verdeutlicht werden kann. Auch könnten in einem sprachwissenschaftlichen Kurs einmalig im Semester Kolleg*innen aus [18]Fachdidaktik und Schulpraxis Impulse zur Anwendung des bislang Erlernten und Beispiele für die Umsetzung im Schulunterricht geben.

Nicht zuletzt sollte die Förderung didaktischer Kompetenzen, die sich auf sprachwissenschaftliche Erkenntnisse und Fertigkeiten stützen, auch in die zweite und dritte Phase der Lehrkräftebildung, d.h. in die Ausbildung im Vorbereitungsdienst und in der Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften, Einzug halten (vgl. z.B. die Forderungen in Beuter, Krug, Paulsen, Rosen, Schlüter). Dabei wäre es auch wichtig, dass Sprachwissenschaftler*innen, Didaktiker*innen und praktizierende Lehrkräfte Materialien und Anregungen für den Unterricht gemeinsam erstellen und weiterentwickeln (vgl. z.B. Beuter, Paulsen) – im besten Fall in Form von Open Educational Resources, die es ermöglichen, von erfolgreichen Formaten anderer Standorte zu lernen.

Darüber hinaus könnte und sollte die Perspektive der Beiträge dieses Bandes erweitert werden und der Dialog zwischen Sprachwissenschaft und Fachdidaktik über alle Schularten hinweg, auch für andere Philologien sowie im internationalen Austausch verfolgt werden. So sollten beispielsweise vermehrt auch Konzepte gezielt für die Lehrkräftebildung der Primarstufe – mit ihren eigenen Erfordernissen an Unterricht und Lehrkraft – entwickelt werden, was der vorliegende Band nur punktuell aufgreift (vgl. jedoch Krug, Limberg). Viele der in diesem Band unterbreiteten Vorschläge ließen sich zudem auch auf die Ausbildung für zukünftige Lehrkräfte in anderen Fremdsprachen, insbesondere Spanisch und Französisch, übertragen. So plädieren z.B. Callies und Rosen für einen engeren Austausch mit anderen Philologien im Schwerpunktbereich Varietätenforschung und Sprachvariation sowie zum Umgang mit Lerner*innensprache im schulischen Kontext. Auch wenn die Ausbildung schulischer Fremdsprachenlehrkräfte international sehr unterschiedlich organisiert ist, zeigen erste bestehende Austauschformate zu kohärenzfördernden Ansätzen in der Lehre allgemein, wie fruchtbar so ein Austausch für die Lehrkräftebildung sein kann (vgl. z.B. das EU-geförderte Projekt ConnEcTEd, https://www.face-freiburg.de/connected/). Während der vorliegende Band versucht, in größerer Breite Vorzeigeprojekte in der ersten Phase der Lehrkräftebildung aus ganz Deutschland abzubilden, können die Beiträge selbstverständlich nur exemplarisch zeigen, welche Möglichkeiten für eine engere Verzahnung von Sprachwissenschaft und Fachdidaktik in der Lehrkräftebildung bestehen.

Grundsätzlich herrscht in den Beiträgen aber Konsens, dass es in universitärer Lehre, die Sprachwissenschaft und Fachdidaktik gleichermaßen in den Blick nimmt, neben dem Wissens- und Kompetenzerwerb auch immer darum gehen muss, die Wahrnehmung unter Studierenden dafür zu stärken, dass ihre linguistische Ausbildung relevant und bedeutungsvoll für ihren späteren Beruf ist. Damit geht einher, Studierende ihre eigenen Annahmen und Voreinstellungen zu Lerner*innensprache, sprachlicher Variation und Varietäten des Englischen hinterfragen zu lassen (vgl. z.B. Beuter, Gut & Matz, Großmann & Schlüter, Krug, Paulsen, Schlüter), ihre metasprachlichen Einstellungen und Haltungen herauszufordern und zu weiten und somit Sprachbewusstheit im Sinne einer umfassenden (Aus-)Bildung zukünftiger Fremdsprachenlehrkräfte zu fördern.

So möchte dieser Band allen Beteiligten an der fremdsprachlichen Lehrkräftebildung – sei es aus Sprachwissenschaft oder Fachdidaktik, als Lehrende an Hochschulen oder Ausbildungsseminaren, als Mentor*innen an Schulen oder als Studierende und Lehrkräfte selbst – Inspiration sein für eine intensive Auseinandersetzung mit den Bezügen zwischen [19]Sprachwissenschaft, Fachdidaktik und Unterrichtspraxis, für Kooperationsmöglichkeiten und für Konzepte in der Lehre, die sich zum Ziel setzen, sprachwissenschaftliche und fachdidaktische Kompetenzen verzahnt und professionsorientiert zu fördern.

Dank

Unser Dank gilt allen Teilnehmenden an der Tagung aus Praxis und Wissenschaft für die lebhaften und engagierten Diskussionen, auf denen die hier aufgenommenen Beiträge fußen, den Beitragenden selbst für die offene und konstruktive Zusammenarbeit, den Gutachterinnen und Gutachtern und dem Herausgeber*innenteam für wertvolle Rückmeldungen, unserer Hilfskraft Elsa Pätzold für die sorgsame Formatierung und Durchsicht des Manuskripts, dem Land Baden-Württemberg für die ideelle Würdigung und finanzielle Förderung im Rahmen ihres 2017 verliehenen Landeslehrpreises und nicht zuletzt unseren Kindern – fast alle selbst Englischschüler*innen – für ihre Geduld, wenn wir wieder einmal am Schreibtisch verschwunden sind.

Katharina Beuter und Anna RosenBamberg und Freiburg im Juli 2023

Literatur

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1

Historische Linguistik lässt sich als Kerninhalt im Lehramtsstudium durch den Blick auf Bildungspläne zunächst nicht legitimieren, könnte aber bei der Betrachtung von Englisch als Sprachsystem und von Englisch im kontextuellen Gebrauch durchaus ebenfalls gewinnbringende Beiträge leisten, um zukünftige Fremdsprachlehrkräfte Sprachentwicklungen und heutige Sprachvariation nachvollziehen zu lassen.

2

Das hier vorgestellte Lehrkonzept wurde 2017 mit dem Landeslehrpreis Baden-Württemberg ausgezeichnet, dessen Preisgelder unter anderem den vorliegenden Sammelband finanziert haben (vgl. https://mwk.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/ wissenschaftsministerin-bauer-verleiht-landeslehrpreis-2017/).

[23]Von Kompetenzen, Kohärenzen und Korrespondenzen: Grundlagen einer professionsorientierten Fremdsprachenlehrkräftebildung

Katja ZakiPädagogische Hochschule Freiburg

In recent decades, foreign language teacher education has undergone competence-oriented reforms that increasingly focus on integrating didactical and educational science aspects. This shift aims to make traditionally subject-oriented degree programs more professionally oriented. The development of professional teaching competences has raised questions about the modelling and weighting of professional knowledge domains, as well as their function and interaction in teaching activities. Professional competences relevant in practice encompass subject-specific knowledge, practical language skills, subject didactics, and educational components, as well as the ability to establish connections between different facets of competence. One of the central obstacles for future teachers to develop a more comprehensive professional competence and identity has been found in a lack of integrative, coherence-promoting formats and learning opportunities in many teacher education programs.

Against this background, the present contribution sheds light on aspects of educational policy, professional theory and conceptual terminology in the current discourses on professionalization and coherence. Based on historical lines of development in foreign language teacher education, selected characteristics of teacher education in Germany are outlined, and central challenges and desiderata are identified with reference to relevant studies. Basic concepts of profession and coherence orientation are then clarified against this backdrop. Following on from this, the relevance, specifics and previous focal points in this still comparatively young field of professionalization research in foreign language teacher education are discussed and illustrated by examples of the teaching approaches presented in this volume.

1Einleitung: Paradigmenwechsel in der Fremdsprachenlehrkräftebildung?

Der viel zitierte PISA-Schock entfachte zu Beginn der 2000er Jahre nicht nur lebhafte Debatten über die Qualität des deutschen Bildungssystems, sondern rückte auch die Rolle der Lehrkräfte – bzw. die Korrelation zwischen Lehrkompetenzen und Schüler*innenleistungen – in den Fokus. Sowohl die PISA-Begleitstudie COACTIV als auch die Terhart-[24]Kommission identifizierten und diskutierten seitdem wichtige Stellschrauben und Bedingungsfaktoren einer gelingenden Lehrer*innenbildung, die „Lehrkräfte dazu befähigt, schulische Lern- und Bildungsprozesse erfolgreich anzuregen und zu gestalten, […] gerade auch mit Blick auf aktuelle Entwicklungen im Schulsystem“ (McElvany et al. 2021: 7). Diskussionen darüber, wie Lehrkräftebildung heute sein soll, um als solide Grundlage für eine qualitativ hochwertige Schulbildung zu sorgen, hingen und hängen dabei immer auch von unterschiedlichen Perspektiven auf Lehrkompetenzen ab – auf die Fragen etwa, wie Lehrkräfte „sein“, was sie „wissen“, was sie „können“ sollen (und welche der drei Fragen oder Facetten im Vordergrund stehen sollte – die Persönlichkeitsbildung, bestimmte Verhaltensweisen und Tätigkeiten, das professionelle Wissen?) und wo und wie sie die entsprechenden Kompetenzfacetten jeweils erwerben.

Im Zentrum des Interesses stehen im Kontext des aktuell vorherrschenden Expertenparadigmas in der Professionsforschung vor diesem Hintergrund die Modellierung sogenannter „professioneller Handlungskompetenzen“ von Lehrkräften – deren allgemeiner und fachspezifischer Konturierung sowie Gelingensbedingungen und Konzepte einer nachhaltigen Förderung, Entwicklung und Transferierbarkeit zwischen Theorie und Praxis. Unter „professionellen Handlungskompetenzen“ werden dabei kognitive Kompetenzfacetten (professionelles Wisssen – im Sinne von Fakten-, Konzept-, Prinzipien- und Prozedurenwissen in den Domänen Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften, aber auch professionelle Überzeugungen) sowie attitüdinal-motivationale und selbstregulative Aspekte gefasst, die von persönlichen Dispositionen beeinflusst sind, aber als dynamisch und entwickel- bzw. förderbar gelten (König 2014, Voss 2021).

Ein Hauptkritikpunkt, der dem deutschen Lehrer*innenbildungssystem hinsichtlich der Professionalisierung von Lehrkräften nicht selten angelastet wird, ist nicht allein eine (nicht zuletzt historisch bedingte) starke Fachlichkeit – die grundsätzlich auch als Stärke wahrgenommen wird –, sondern insbesondere deren mangelnde Verzahnung mit anderen Elementen der Lehrkräftebildung sowie der grundsätzlich fragmentierte Charakter der Letzteren: So kritisiert beispielsweise der Bericht der Terhart-Kommission bereits 2004, dass die historisch gewachsenen Lehramtsprogramme in Deutschland häufig separiertes, träges Wissen produzierten, (doppelte) Diskontinuitäten zwischen Ausbildungsphasen zuließen, Prüfungsformen nicht an Ausbildungsphasen anpassten und folglich nur bedingt den komplexen Anforderungen der Lehrprofession gerecht würden (Terhart 2004, Terhart 2009). Das so erworbene Wissen sei später nur mit Mühe integrierbar, könne nicht adaptiv in verschiedenen Kontexten angewendet werden und sei daher nur bedingt handlungswirksam (vgl. auch Blömeke 2006, Gruber, Mandl & Renkl 2000). Die Ausbildung von Lehrkräften in Deutschland sollte daher, so die Forderung, strukturell und inhaltlich weiterentwickelt werden, um den Herausforderungen Rechnung zu tragen und, was im Sinne eines „doppelten Angebots-Nutzen-Modells“ (Voss 2021) nicht zu vergessen ist, so auch in die Qualität schulischer Bildungskontexte und -erfolge zu investieren (Nordine et al. 2021).

Vor dem Hintergrund der skizzierten Desiderata wurden in den vergangenen Jahrzehnten vielfältige Förderprogramme des Bundes und der Länder aufgelegt – wie der Qualitätspakt Lehrer oder die Qualitätsoffensive Lehrerbildung des Bundes –, die sich u.a. unter den Leitgedanken der „Kohärenz und Professionsorientierung“ für eine stärkere Verzahnung der so häufig als fragmentiert wahrgenommenen Studienprogramme ein[25]setzten: Curricula wurden überarbeitet oder da, wo sie mit tiefgreifenderen bildungspolitischen Reformen einhergingen, wie in Baden-Württemberg, auch neu geschrieben; Lehrentwicklungsprogamme und damit verbundene Design-Based-Research (DBR)-Vorhaben wurden gestartet, neue Konzepte zur Verzahnung von Theorie und Praxis erdacht, erprobt und evaluiert. Die Lehrkräftebildung in Deutschland glich und gleicht dabei bisweilen auch einem Versuchslabor, in dem auf vielfältige Experimente auch Fragen bezüglich ihrer Ergebnisse folgen: Welche Art von „Professionsorientierung“ oder „Kohärenz“ wurde jeweils angestrebt, in welchem Rahmen, mit welchen Zielgruppen, Maßnahmen und auch Wirkungen – und wie lassen sich Letztere überhaupt fassen, konzeptualisieren, messen? Angesichts der Vielzahl von Initiativen und Ideen, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten entstanden sind, unternimmt der folgende Beitrag den Versuch einer Kontextualisierung und Systematisierung, indem er aktuelle Ansätze vor dem Hintergrund historischer Bezugsrahmen, fachspezifischer Kontexte und gängiger Modelle und Dimensionen einer professionsbezogenen Kohärenzorientierung diskutiert. Ziel ist es, eine auch komparative Verortung vermeintlich verschiedener Konzepte zu ermöglichen, funktionale Äquivalente zu identifizieren und, darüber hinaus, auch einen fach- bzw. fremdsprachenspezifischen Austausch über Maßnahmen, insbesondere im Bereich Sprachwissenschaft und Fachdidaktik, und deren Transfermöglichkeiten anzustoßen.

2Kontexte der Fremdsprachenlehrkräftebildung in Deutschland gestern und heute

So unterschiedlich Verständnisse und Ansätze der Professions- und Kohärenzorientierung sein mögen, so ist ihnen gemein, dass sie nicht im Vakuum wirken, sondern ihrerseits von historischen, kulturellen und bildungspolitischen – sowie natürlich auch fachspezifischen – Kontexten gerahmt werden. Von großem Einfluss sind dabei nicht zuletzt spezifische Vorstellungen vom Lehren und Lernen bzw. Leitbilder von Lehrer*innenbildung, die auch bildungskulturell gefärbt und kaum ohne einen Blick in die historische Genese zu verstehen sind.

2.1(Historische) Kontexte der Lehrkräftebildung

Die Anfänge: Zwischen schulischen Bedarfen und philologischem Profil

Trotz aller föderalen Differenzen unterscheidet sich die Fremdsprachenlehrkräftebildung in Deutschland in ihrer Grundstruktur maßgeblich von international gängigen Modellen: insbesondere durch die zwei- bzw. dreiphasige Struktur, die Kombination aus zwei oder mehr Unterrichtsfächern, aber auch durch die – heute in KMK-Standards und regionalen Rahmenverordnungen – fokussierten Kompetenzen, Inhaltsbereiche und dadurch konturierten Domänen professionellen Wissens. Vor allem das Sekundarstufenlehramt weist in Deutschland traditionell einen hohen Anteil an fachwissenschaftlichen – im Bereich der Fremdsprachenlehrkräftebildung philologischen – Studienanteilen auf. Für alle studierbaren Schulsprachen markieren Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft dadurch die Eckpunkte des Fachwissens und machen nach Legutke und Schart (2016: 18) bundesweit [26]ca. 60 bis 70 % der Studienanteile für den Gymnasialbereich aus. Dies geht nicht allein auf die bildungspolitisch wiederholt akzentuierte Wichtigkeit des Fachwissens als Teil des Professionswissens zurück, sondern hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung auch auf die Tradition und historische Genese der philologischen Fächer.

Grundlagen hierfür wurden bereits in der Frühphase der neusprachlich bzw. neuphilologisch geprägten (Gymnasial-)Lehrkräftebildung im 18. und 19. Jahrhundert gelegt und bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts kaum aufgebrochen oder grundlegend verändert. Um sie zu verorten, gilt es sogar noch weiter zurückzublicken, sind sie doch nicht ohne die vorangegangene Institutionalisierung der Schulbildung im 17. und 18. Jahrhundert zu verstehen. Ein entscheidender Faktor für die Genese und Prägung der Lehrkräfteausbildung in Deutschland und deren Differenzierung in eine a) allgemeinbildende „Volksschul-“ und b) eine von Beginn an stark fachlich geprägte gymnasiale Lehrkräftebildung im 19. Jahrhundert war damals die Einführung eines mehrgliedrigen Schulsystems: Während die Volksschul- und spätere Primarlehrkräftebildung damals grundsätzlich kaum fachwissenschaftliche Anteile beinhaltete (und auch keine eigene Ausbildung in oder für Fremdsprachen vorsah), sondern den „ganzheitlich-motivierten Volkserzieher“ als Ideal vorgab, stellten philologische Studieninhalte seit jeher einen zentralen Bestandteil der Fremdsprachenlehrkräftebildung für das höhere Schulwesen dar.1 Dabei war die gymnasiale Lehrerkräftebildung in ihren Anfängen sehr stark auf philologische Teildisziplinen konzentriert und damit insbesondere auf die fachwissenschaftliche Domäne des Professionswissens. Die Lehrkräftebildung war im Umkehrschluss für viele Universitäten oft überhaupt erst Startpunkt und Motivation für die Gründung neuphilologischer Seminare.

Zusammenfassend glich das Lehramtsstudium für Fremdsprachen daher bis ins 20. Jahrhundert hinein fast vollständig einem Philologiestudium. Rufe nach Reformen, mehr Praxisbezug bzw. einer „berufsvorbereitenden Ausbildung” führten gegen 1890 zwar zu einer Integration erziehungswissenschaftlicher, fachdidaktischer und praktischer Anteile – allerdings nicht durch eine Reform der Studienprogramme, sondern durch die Einführung einer nachgelagerten zweiten Phase (Referendariat), die das deutsche System bis heute prägt.2

Paradigmenwechsel: Vom Wesen, Wissen und Können von Lehrkräften

Anknüpfend an erste Reformen im 19. Jahrhundert und die Ergänzung des stark fachwissenschaftlichen Studiums duch (meist nachgelagerte) fachpraktische Aspekte, fanden im Laufe des 20. Jahrhunderts – je nach Region und Profil der Lehramtsausbildung – fachdidaktisch-methodische und bildungswissenschaftliche Inhalte Eingang in die Studienpläne; dies geschah allerdings erneut eher additiv als Ergänzung zum bisherigen Studienangebot, weniger im Rahmen umfassender curricularer oder konzeptioneller Reformen. Erst seit den 1970er Jahren zeichnete sich in den Rahmenvorgaben und Curricula ein größerer Wandel ab, geprägt durch eine sukzessive Stärkung fachdidaktischer, auch bildungswissenschaftlicher Anteile, angestoßen durch professionstheoretische Diskurse und bildungspolitische Programme. Sichtbar wurden hier konkurrierende Pa[27]radigmen von Lehrer*innenbildung bzw. (Leit-)Bildern des Lehrberufs. Insbesondere war ein Wandel von auf Persönlichkeitsmerkmalen fokussierten Paradigmen (vgl. „wie sollte eine ‚gute‘ Lehrkraft sein?“) zu einem mittlerweile eher auf Professionswissen und die Experten-Novizen-Forschung konzentrierten Fokus zu erkennen (vgl. Tab. 1).

Paradigmatische Vorstellungen der ‚kompetenten‘ Lehrkraft

Zeit

ca. 1900–1960

ca. 1975–1985

Seit ca. 1985

Paradimga

Persönlichkeits-Paradigma

Prozess-Produkt-Paradigma

Expertise-Paradigma

Leitfragen

Wie ist…? Welche Eigenschaften charakterisieren…?

Wie verhält sich…? Was kann…?

Was weiß…? Was kann…?

Theoretische Grundlage

Persönlichkeitstheorien; Lehrkraft im Fokus

Beeinflusst durch Behaviorismus (später kognitiv beeinflusst)

Beeinflusst durch Kognitivismus und Konstruktivismus

Heutige Relevanz

Persönlichkeit als individuelle Variable und Disposition, nicht Kern der Lehrkompetenz

Bis heute relevant

Systemische Sicht auf Professionswissen im Fokus

Tab. 1: Paradigmen von Lehrkompetenz (nach Krauss 2011)

Eine Bestandsaufnahme – und auch begriffliche Präzisierung – der Lehrkräftebildung in Deutschland unternahm Ende der 1990er Jahre wie bereits erwähnt die von der KMK eingesetzte Terhart-Kommission. Sie differenzierte zwischen Lehrer*innenbildung als einem allgemeinbildenden, berufsbiographischen – und im Grunde lebenslangen – Prozess auf der einen Seite, und Lehrer*innenausbildung als die zeitlich enger gefasste, in Deutschland historisch bedingt zweistufige institutionalisierte Studien- und Referendariatsphase. Für die erste Phase der Letzteren diskutierte sie eine Stärken-Schwächen-Analyse: Die zitierten Stärken – wie die im internationalen Vergleich starke fachliche bzw. fachwissenschaftliche Prägung der Curricula (s.o.) – stellten gleichzeitig eine Schwäche dar, da „Ausbildungs“aspekte (ein in sich durchaus kritischer und kritisierter Begriff) lehramtsbezogener Studiengänge sowie auch fachdidaktische und bildungswissenschaftliche Studienanteile zu wenig Berücksichtigung fänden. Dafür verantwortlich seien auch entsprechende bildungspolitische Rahmenvorgaben, die eine „Zersplitterung der Studienanteile“ und „Abschottung der Ausbildungsphasen“ zementierten (Terhart 2004). Stattdessen sollten die Verknüpfung fachlicher, erziehungswissenschaftlicher und fachdidaktischer Komponenten über den Studienverlauf gefördert und insbesondere auch die Korrespondenz zwischen Theorie und Praxis gestärkt werden (wobei nicht nur die Schnittstelle Studium-Referendariat, sondern auch die Bedeutung der 3. Phase der Lehrkräftefort- und -weiterbildung betont wurde).

Katalysiert wurden die Entwicklungen um die Jahrtausendwende deutschlandweit durch den viel zitierten PISA-Schock, internationale Impulse und die Befunde der 2003 in Deutschland begleitend durchgeführten, auf die professionelle Kompetenz von Mathematik-Lehrkräften ausgerichtete COACTIV-Studie. Um eine ganzheitliche – durch kogni[28]tive, soziale und motivationale Faktoren beeinflusste – professionelle Handlungskompetenz zu fördern, so die Studie, erfordere es ein stärkeres Zusammenwirken der an der Lehrer*innenbildung beteiligten Akteur*innen/Institutionen über unterschiedliche Phasen und Domänen hinweg, also Ansätze einer integrativen Professions- und Kohärenzorientierung (Kleickmann & Anders 2011, Kunter et al. 2011).

2.2Von der Kompetenz- zur Kohärenzorientierung?

Setzt man sich zum Ziel, die professionelle Handlungskompetenz von Lehrkräften bereits im Studium nachhaltig zu fördern, Diskontinuitäten zu vermeiden und Verzahnungen zwischen einzelnen, als elementar erachteten Studienanteilen zu schaffen, so stellt sich sowohl die Frage der Konturierung eben dieser Anteile – also nach der fachspezifischen Modellierung, der Gewichtung, Interdependenz und Verzahnung einzelner Domänen professionellen Wissens (König 2014, Baumert & Kunter 2006, Shulman 1987) – als auch nach deren Funktion und Interaktion beim späteren unterrichtlichen Handeln.

Professionelle Kompetenzen von Fremdsprachenlehrkäften: Blinde Flecken?

Die Erforschung wie auch die grundlegende Konzeptualisierung und Modellierung des professionellen Wissens von Fremdsprachenlehrkräften befindet sich in vielen Bereichen noch in den Anfängen. Dies hat, wie Legutke und Schart (2016) betonen, nicht nur mit wissenschaftsdisziplinären Traditionen, sondern auch mit der Konturierung des Fachs an sich zu tun:

Die augenfällige Konzentration auf den mathematischen Bereich [in der empirischen Professionsforschung] erscheint naheliegend, handelt es sich doch – gerade im Vergleich zu den Fremdsprachen – um ein vergleichsweise gut konturiertes Wissens- und Fertigkeitsgebiet. Die für Testverfahren notwendige Operationalisierung der Wissensdomänen fällt dadurch leichter als bei den fremdsprachlichen Fächern mit ihrer deutlich stärkeren Differenzierung (z.B. in Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Kulturstudien, Fachdidaktik, Sprachpraxis) (Legutke & Schart 2016: 13).

Ausgehend von etablierten Modellen zum professionellen Wissen von Lehrkräften (König 2014, Shulman 1987), die vornehmlich im Rahmen der Forschung zur Professionalisierung von Mathematiklehrkräften entwickelt wurden, erweist sich für die Fremdsprachenlehrkräftebildung ein adaptiertes Modell als Referenzrahmen als sinnvoll, das die spezifische Strukturierung des professionellen (philologischen) Fachwissens integriert und dessen Teilfacetten operationalisierbar macht. Ansätze aus anderen Fachbereichen können hier als Orientierungshilfe dienen – wie beispielweise die Untereinteilung und Interdependenz von Fachwissen (content knowledge/CK) und fachdidaktischem Wissen (pedagogical content knowledge/PCK) im Modell von Ball, Thames & Phelps (2008) oder die Differenzierung des fachdidaktischen Wissens auf unterschiedlichen Ebenen von Teacher Communities wie im „Refined Consensus Model (RCM) of pedagogical content knowledge (PCK) for teaching science“ (vgl. Nordine et al. 2021). Auch Gewichtungen, Fokussierungen und deren Implikationen für das Zusammenwirken der Nuancen im professionellen Handeln von Fremdsprachenlehrkräften sollten jeweils berücksichtigt werden. Entsprechende Ansätze und Modellierungen wurden in neueren Studien zu „fachspezifischen Lehrerkompetenzen“ von Englischlehrkräften (vgl. Kirchhoff 2017) und Überlegungen zur [29]„Fachspezifik des Professionswissens von Fremdsprachenlehrkräften“ mit unterschiedlichen Akzentuierungen diskutiert (Legutke, Saunders & Schart 2022).

Ein Spezifikum, das im Kontext der Modellierung subdisziplinärer Wissensbereiche im Rahmen der Fremdsprachenlehrkräfte wiederholt in den Fokus rückt, ist dabei die Sprachpraxis. Vergleicht man das Lehramtsstudium für Fremdsprachen beispielsweise mit dem anderer Fachbereiche so liegen einige Unterschiede bereits auf der Hand: Das Professionswissen beinhaltet in den Philologien durch die Sprachpraxis neben fachwissenschaftlichen (d.h. literatur-, sprach-, kulturwissenschaftlichen) und fachdidaktischen Anteilen schließlich eine zusätzliche, praktische Facette. Und anders als etwa in den wissenschaftlich-künstlerischen Fächern ist diese, insbesondere im Kontext des unterrichtlichen Handelns, auch ein zentrales Medium bzw. der Code: In der schulischen Praxis wird schließlich nicht nur über die Fremdsprache, sondern meist auch in der Fremdsprache – mit ihren unterschiedlichen allgemein-, bildungs- oder auch fachsprachlichen Registern – unterrichtet (Legutke, Saunders & Schart 2022, Diehr 2018, Mordellet-Roggenbuck & Zaki 2018). Nur wer selbst im Englischen – oder auch Französischen, Spanischen, Russischen – kompetent handeln kann, wird diese Sprache im schulischen Fremdsprachenunterricht effektiv, d.h. kompetenzorientiert wie auch situations- und adressatenadäquat vermitteln können.

Dies wirft bezüglich einer professions- und kohärenzorientierten Gestaltung von Lehrer*innenbildung beispielsweise die fachspezifische Frage auf, wie sprachpraktische Kurse für Lehramtsstudierende konzipiert sein sollten, im Sinne professionsorientierter Sprachpraxisangebote etwa, die sprachliche Kompetenzprofile beispielsweise mit Core-practice-Ansätzen – also zentralen Tätigkeiten einer Lehrkraft – verbinden (Egli Cuenat et al. 2016, Forzani 2014).3

Bezüglich der Gewichtung unterschiedlicher Wissensdomänen, die sich unter anderem auch in der unterschiedlichen Verteilung von ECTS-Punkten zu den Teildisziplinen des Lehramtsstudiums widerspiegelt, sehen wir ebenfalls tiefgreifende Verschiebungen und Neuakzentuierungen: So rückten in den vergangenen Jahren zunehmend fachdidaktische und bildungswissenschaftliche Aspekte in den Vordergrund, um die traditionell stark fachwissenschaftlich geprägten Studiengänge professionsorientierter zu gestalten (de Florio-Hansen 2015, Legutke & Schart 2016). Und auch das Selbstverständnis und/oder die interne Konturierung der Teildisziplinen hat sich gewandelt: Innerhalb der Fachwissenschaften trat, je nach Standort und Programmprofil, eine quantitativ wie qualitativ aufgewertete Kulturwissenschaft in den Fokus; in den Fremdsprachendidaktiken beobachten wir in den vergangen Jahren u.a. eine stärkere Ausdifferenzierung als forschungsorientierte Wissenschaften, dabei nicht zuletzt auch Einflüsse aus der empirischen Bildungsforschung. All dies sind Entwicklungen, die auch das Zusammenspiel der einzelnen Subdisziplinen im Hinblick auf die Förderung einer übergeordneten Handlungskompetenz prägen.

[30]Von der Kompetenz- zur Professions- und Kohärenzorientierung?

Eine umfassende professionelle Kompetenz von Lehrkräften, die sich in der beruflichen Praxis auch in komplexen Unterrichtssituationen als relevant erweist, erfordert von Fremdsprachenlehrkräften nun wie erwähnt nicht allein fundiertes fachwissenschaftliches, sprachpraktisches, fachdidaktisches und bildungswissenschaftliches Wissen und Können, sondern auch die Fähigkeit, Verknüpfungen zwischen unterschiedlichen Komponenten professioneller Kompetenz herzustellen und diese auch beim unterrichtlichen Handeln situations- und themenadäquat abzurufen (Gruber, Mandl & Renkl 2000). Der viel zitierte, doch oft nur vage definierte Leitgedanke der „Kohärenz“ impliziert neben der internen Modellierung und Abstimmung von Studienanteilen also gleichsam ein Nachdenken über Wechselwirkungen und Verknüpfungen zwischen den klassischen Teildomänen und Facetten professionellen Wissens (Fachwissenschaft, Fachdidaktik, Bildungswissenschaften) sowie über die Frage, wie diese bereits im Studium integrativ vermittelt und mit schulpraktischen Elementen verschränkt werden können, um fragmentiertes, „träges“ Wissen zu verhindern und das Kohärenz- bzw. Sinnerleben auch im Hinblick auf die zu entwickelnde professionelle Identität als Lehrkraft zu stärken.

3Grundfragen der Kohärenzorientierung in der Fremdsprachenlehrkräftebildung

In der Lehrer*innenbildung tätige Fachvertreter*innen werden beim Begriff der „Kohärenz“ oder auch „Kohärenzorientierung“ vermutlich nicht zuerst an ein Gestaltungsprinzip von Studienprogrammen denken, sondern – je nach Fachdisziplin – möglicherweise an „Kohärenz“ als Interferenzfähigkeit physikalischer Wellen oder, unter Philolog*innen, als Strukturmerkmal von Texten bzw. an die lokale und globale Kohärenzbildung auf Seiten der Lesenden. Die Verwendung des Begriffs für die Beschreibung von strukturellen bzw. institutionellen, curricularen oder auch konzeptionellen Merkmalen von Studienprogrammen findet sich erstmals Mitte des 20. Jahrhunderts in der angelsächsischen Curriculums- und Bildungsforschung, wobei die Anwendung des Konzepts auf Studienprogamme weder primär noch exklusiv für die Lehrer*innenbildung erfolgte, sondern beispielsweise auch für das Jura- oder Medizinstudium.

Erste Ansätze der Kohärenzorientierung und Versuche einer definitorischen Schärfung betonten insbesondere strukturelle, konzeptionelle und personelle Maßnahmen von Hochschulen und ihren Akteur*innen (Darling-Hammond 2006, Hammerness 2006), die darauf abzielen, Studienanteile stärker zu vernetzen und Fragmentierungen und Diskontinuitäten zu kitten. Die dabei gewählten Beschreibungskategorien sind allerdings nicht selten unscharf und weisen diverse inhaltliche Überschneidungen auf, die es nahelegen, genauer zu hinterfragen, welche Dimension und Ebene jeweils mit welchem Fokus betrachtet wird oder, salopp gesagt, was wie verzahnt wird bzw. werden soll, mit welchen Zielen und (intendierten, wahrgenommen, tatsächlichen) Wirkungen. Betrachten wir Lehrkräftebildung als ein komplexes Interdependenzsystem aus Stukturen, Prozessen und Akteur*innen, so lassen sich hierfür zunächst verschiedene Begriffsverständnisse von Kohärenzorientierung und -erzeugung unterscheiden.

[31]3.1Dimensionen der Kohärenzorientierung

Kohärenzorientierung kann sich auf diverse Ebenen und Dimensionen von Lehrer*innenbildung beziehen und verschiedene Diskontinuitäten zwischen Studienphasen und -domänen im Blick haben. Aktuelle Ansätze und Definitionen von Kohärenz in der Lehrkräftebildung zielen insbesondere darauf ab, Fragmentierungen zwischen unterschiedlichen Studienphasen, Theorie-Praxis-Achsen und Domänen professionellen Wissens zu überwinden. Die Fokusse liegen u.a. auf:

Kohärenz zwischen Studien- und Ausbildungsphasen, um Diskontinuitäten abzuschwächen

vertikale Kohärenz bzw. diachrone Kohärenz (Diehr 2018);

Kohärenz zwischen Domänen professionellen Wissens

horizontale Kohärenz zwischen Subdisziplinen (Literatur-, Kultur-, Sprachwissenschaft, Sprachpraxis) sowie zwischen diesen und bildungswissenschaftlichen und schulpraktischen Anteilen

(Epistemologische) Kohärenz zwischen der Konturierung universitärer Disziplinen und der entsprechenden Schulfächer

auch „Korrespondenz“ (Klieme et al. 2003, Diehr 2016)

Ein Arbeitsmodell, das entwickelt wurde, um einzelne kohärenzfördernde Maßnahmen strukturell verorten, beschreiben und auch vergleichen zu können, ist das Freiburger „Säulen-Phasen-Modell“ (Hellmann & Zaki 2018):

Abb. 1: Säulen-Phasen-Modell (Hellmann & Zaki 2018; modifiziert)

[32]Das Modell ermöglicht durch seine Differenzierung zwischen Säulen