Entführt auf die Insel der Liebe - Jennie Lucas - E-Book

Entführt auf die Insel der Liebe E-Book

Jennie Lucas

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Beschreibung

Paris, Istanbul, eine malerische Insel im Mittelmeer … Wohin wird der argentinische Milliardär Rafael Cruz die schöne Louisa noch entführen, um seine Lust auf sie für immer zu stillen?

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IMPRESSUM

Entführt auf die Insel der Liebe erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2010 by Jennie Lucas Originaltitel: „Sensible Housekeeper, Scandalously Pregnant?“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRABand 327 - 2011 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Trixi de Vries

Umschlagsmotive: Biggunsband/ Getty Images

Veröffentlicht im ePub Format in 03/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733716219

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Aus grau verhangenem Himmel fiel feiner Nieselregen auf die Minarette von Istanbul, während Louisa Grey im Garten die letzten Herbstrosen schnitt. Die Gartenschere zitterte in Louisas sonst so ruhigen Händen.

Ich kann nicht schwanger sein! Nervös blickte sie ins Leere. Oder etwa doch?

Geistesabwesend fuhr sie sich mit dem Ärmel über die Stirn. Das kühle Novemberzwielicht trug auch nicht gerade zur Stimmungsaufhellung bei. Nur die üppigen roten und orangefarbenen Rosen im Garten der alten, im ottomanischen Stil erbauten Villa bildeten aufmunternde Lichtblicke.

Die Gartenschere wurde ihr plötzlich zu schwer. Erschöpft ließ Louisa die Hände sinken und wandte sich um. Jenseits des Bosporus ging um diese Zeit die Sonne unter. Im Gegensatz zum heutigen Abend meist wie ein glühender Feuerball.

Eine Nacht! Seit fünf Jahren arbeitete sie nun für ihren Boss, diesen skrupellosen Playboy. Eine einzige Nacht hatte alles zerstört. Gleich am nächsten Tag war sie aus Paris geflohen und hatte um eine Versetzung in sein vernachlässigtes Anwesen in Istanbul gebeten, in dem verzweifelten Versuch, die Nacht voller Leidenschaft zu vergessen. Doch jetzt, einen Monat später, quälte sie eine einzige Frage und raubte ihr nachts den Schlaf. Und mit jedem Tag wurde die Frage drängender.

Erwartete sie ein Baby von ihrem Boss?

„Miss Grey? Der Koch ist krank.“ Eins der Dienstmädchen sprach sie in kaum verständlichem Englisch an. „Bitte, darf er nach Hause gehen?“

Louisa straffte sich und schob ihre schwarze Hornbrille zurecht, bevor sie sich der jungen Türkin zuwandte. Vor dem Personal, das zu ihr aufschaute, durfte sie keine Schwäche zeigen. „Warum kommt er nicht selbst zu mir?“

„Er fürchtet, Sie könnten Nein sagen, Miss. Es ist ja noch so viel vorzubereiten für Mr. Cruz Besuch.“

„Mr. Cruz wird erst am Morgen der Dinnerparty erwartet. Richten Sie dem Koch aus, er könne nach Hause gehen. Wir kommen schon zurecht. Aber nächstes Mal muss er mich selbst fragen, statt jemanden vorzuschicken, weil er Angst hat“, fügte sie streng hinzu.

„Ja, Miss Grey.“

„Sollte er bis zum Tag der Party nicht völlig wiederhergestellt sein, muss ich mich um Ersatz bemühen. Sagen Sie ihm das!“

Das Mädchen deutete einen Knicks an und machte sich auf den Weg in die Küche.

Sofort ließ Louisa die Schultern wieder hängen. Sie bückte sich, um zwei auf den Rasen gefallene Rosen aufzuheben und drapierte sie zu den anderen Blumen in den Korb. Dann legte sie die Schere dazu und richtete sich mühsam auf. In Gedanken ging sie die Liste der Aufgaben durch, die bis zur Ankunft des Hausherrn abgearbeitet werden mussten. Die Marmorböden und Kronleuchter erstrahlten bereits in sauberem Glanz. Die Zutaten für seine Lieblingsspeisen waren bestellt und wurden jeden Tag marktfrisch geliefert. Die Suite war fertig, es fehlten nur noch die Rosen, die sie gerade geschnitten hatte, damit sie ihren Duft in den düsteren, männlich eingerichteten Zimmern verströmten – zur Freude des wunderschönen Starlets, das er dieses Mal mitbringen würde.

Alles musste perfekt sein. Mr. Cruz sollte keinen Grund zur Beschwerde haben. Sie durfte ihm keine Veranlassung bieten, sie unter vier Augen sprechen zu wollen.

Hinter ihr quietschte das schmiedeeiserne Gartentor. Es muss unbedingt geölt werden, dachte Louisa und drehte sich nach dem Besucher um. Sie erwartete, den Gärtner oder den Weinhändler zu sehen, der den Champagner brachte, den sie für die Dinnerparty bestellt hatte.

Ihr stockte der Atem, als ein hochgewachsener Mann sich aus dem Schatten löste.

„Mr. Cruz!“ Vor Schreck war ihr Mund plötzlich ganz trocken.

Seine Augen glitzerten im Zwielicht, als er sie ansah. „Hallo, Miss Grey.“

Der Klang seiner tiefen, heiseren Stimme ließ Louisas Herz schneller klopfen. Nervös umklammerte sie den Korbgriff. Ihre Gedanken überschlugen sich. Eigentlich hatte sie ihren Boss erst in drei Tagen erwartet. Aber seit wann hielt Rafael Cruz sich an Abmachungen?

Blendend aussehend, skrupellos und reich – der argentinische Millionär strahlte den geheimnisvollen, verführerischen Charme eines Poeten aus. Doch er hatte ein Herz aus Stein.

Groß, breitschultrig, muskulös – er fiel nicht nur durch seinen schönen, durchtrainierten Körper auf, sondern auch durch Reichtum und Eleganz. Jetzt allerdings war sein schwarzes Haar wirr, der schwarze Anzug zerknittert und die Krawatte nachlässig gebunden. Rasiert hatte er sich auch nicht, wie der sprießende schwarze Bartwuchs unter den markanten Wangenknochen und der klassischen Nase verriet. Hellgraue Augen bildeten einen faszinierenden Gegensatz zum mediterranen Teint.

In diesem Aufzug wirkte er fast noch anziehender!

Vor einem Monat hatte Louisa in seinen Armen gelegen. Die leidenschaftliche Umarmung hatte sie zur Frau gemacht …

Daran wollte sie jetzt nicht denken und riss sich zusammen.

„Guten Abend, Sir.“ Niemand hätte ihr das Gefühlschaos angesehen. Höflich und würdevoll begrüßte sie ihn, wie es sich für die geschätzte Angestellte eines einflussreichen Mannes gehörte. Wieder einmal zahlte sich ihre gute Ausbildung aus. „Willkommen in Istanbul. Alles ist bereit für Ihren Besuch.“

„Wie sollte es sonst sein?“ Er lächelte sarkastisch und kam näher. Das dunkle Haar war nicht nur „vom Winde verweht“, sondern auch feucht. Vermutlich vom Nieselregen. „Ich habe es nicht anders von Ihnen erwartet, Miss Grey.“

Louisa sah auf, konnte seinen Blick aber nicht deuten. Der skrupellose Playboy wirkte erschöpft und bekümmert. Und das war mehr als ungewöhnlich.

Gegen ihren Willen machte sie sich Sorgen um ihn. Inzwischen hatte es heftig zu regnen begonnen. Große Tropfen fielen geräuschvoll auf das Blattwerk der mächtigen Bäume.

„Alles in Ordnung, Mr. Cruz?“, fragte sie besorgt.

Er straffte sich. „Könnte nicht besser sein“, antwortete er kühl. Offensichtlich missfiel ihm die persönliche Frage.

Louisa hätte sich ohrfeigen können. Was war nur in sie gefahren? Gleich zu Beginn des zehnmonatigen Haushaltungskurses hatte man den Teilnehmern eingehämmert, Vorgesetzten gegenüber niemals persönlich zu werden. Ihre fünfjährige Tätigkeit als Rafael Cruz’ Haushälterin in Paris war zudem eine gute Schule gewesen.

Mr. Cruz zeigte niemals Gefühle, und sie versuchte, es ihm nachzutun. In den ersten Jahren war ihr das auch leichtgefallen. Doch mit der Zeit hatte sie doch Gefühle entwickelt.

Als sie ihn nun betrachtete, musste sie an ihre letzte Begegnung denken. In der nun vier Wochen zurückliegenden Nacht hatte sie sich endlich eingestanden, hoffnungslos in ihren Boss verliebt zu sein. Weinend saß sie in der Küche, als er unerwartet früh von einer Verabredung mit einer weiteren unglaublich schönen Frau zurückkehrte.

„Warum weinen Sie?“, fragte er mit leiser Stimme. Im ersten Moment wollte sie behaupten, etwas im Auge zu haben, doch dann begegnete sie seinem Blick und war unfähig zu sprechen. Reglos sah sie zu, wie Rafael immer näher kam und sie schließlich in die Arme nahm. Instinktiv spürte sie, dass diese Situation nur in einem Desaster enden konnte, doch sie konnte nichts dagegen tun. Wie konnte sie ihn von sich stoßen, wenn sie ihn liebte, diesen unbezähmbaren, unglaublichen Mann, der ihr niemals gehören würde?

In seinem Penthouse nahe den Champs-Élysées mit Blick auf die Lichter der Stadt und den Eiffelturm flüsterte er rau ihren Namen, als er sie gegen die Wand drückte und Louisa so wild und leidenschaftlich küsste, dass sie keine Chance hatte und seine Küsse voller Verlangen erwiderte.

Jahrelang unterdrückte Sehnsucht brach sich nun Bahn. Ihr Begehren war übermächtig. Der Verstand hatte sich ausgeschaltet, sonst hätte sie sich diesem Mann niemals hingegeben, denn sie wusste doch, dass es kein glückliches Ende geben konnte.

Und an eine Schwangerschaft hatte sie dabei noch gar nicht gedacht.

Ich bin nicht schwanger! Eindringlich versuchte sie, sich diese Möglichkeit auszureden. Rafael würde ihr niemals verzeihen, wenn sie tatsächlich ein Kind von ihm erwartete. Wahrscheinlich würde er ihr sogar unterstellen, es darauf angelegt zu haben.

Nervös befeuchtete sie sich die Lippen. „Das freut mich“, sagte sie jetzt mit versagender Stimme.

Forschend schaute er sie an, ließ den Blick auf ihren feuchten Lippen verweilen. Dann wandte er sich abrupt ab, korrigierte den Sitz des Reisetaschengriffs auf seiner Schulter und befahl barsch: „Bringen Sie mir das Abendessen aufs Zimmer!“

Ohne sie eines weiteren Blicks zu würdigen, stapfte er ins Haus.

„Sofort, Sir“, flüsterte sie ihm hinterherschauend und blieb wie gebannt im strömenden Regen stehen. Erst als er im Haus verschwunden war, kam wieder Leben in sie. Mit ihrem grauen Blazer schützte sie die Rosen vor dem herabprasselnden Regen und folgte den beiden Angestellten, die das Gepäck aus der nun in der Garage geparkten Limousine ins Haus trugen.

Es war dunkel geworden, als Louisa die große Halle der im neunzehnten Jahrhundert erbauten Villa betrat. Sorgfältig trat sie sich die Schuhe ab. Mr. Cruz hatte sich das natürlich erspart. Nun musste der Marmorboden erneut gereinigt werden. Die Spur schmutziger Schuhsohlen zog sich bis hinauf in den zweiten Stock, wo Rafaels Suite lag.

Mit seiner Ankunft hatte sich die Atmosphäre im Haus schlagartig verändert. Rafael Cruz schien alle zu elektrisieren. Besonders sie selbst.

Die Männer schleppten die Koffer hinauf, und sowie Louisa sich unbeobachtet glaubte, lehnte sie sich erleichtert gegen die Wand.

Zum Glück lag das erste Wiedersehen nun hinter ihr.

Es hatte den Anschein, als hätte Rafael – besser gesagt Mr. Cruz – ihre Nacht voller Leidenschaft in Paris bereits vergessen.

Ach, könnte sie das doch auch!

Unruhig ließ sie den Blick hinauf zur zweiten Etage gleiten. Warum sah Rafael so bekümmert aus? Irgendetwas Gravierendes schien ihn zu beschäftigen. Ihr One-Night-Stand konnte es wohl kaum sein. Für Rafael waren Frauen beliebig austauschbar, schnell vergessen und leicht ersetzbar. Er würde es niemals zulassen, dass eine Frau ihm unter die Haut ging.

Wenn es also nicht um eine Frau ging, was hatte ihn dann dazu bewogen, seinen Istanbulbesuch drei Tage vorzuverlegen? Und wieso war er so mieser Stimmung? Am liebsten wäre sie der Sache sofort auf den Grund gegangen und hätte Rafael getröstet.

Nein!

Das kam überhaupt nicht infrage! Rafael war der Typ Mann, den jede Frau gern getröstet hätte, wenn er es darauf anlegte. Skrupellos setzte er diese Verführungsmasche ein, wann immer er sich versprach, dadurch schnell bei einer Frau zu landen. Sie flogen nur so auf den argentinischen Millionär mit dem Weltschmerzblick.

Louisa hatte unzählige Frauen kommen und gehen sehen, die sich eingebildet hatten, nur sie könnten Rafaels gebrochenes Herz kitten. Nur sie selbst kannte die Wahrheit.

Rafael Cruz hatte gar kein Herz.

Und trotzdem liebte sie ihn. Sie musste völlig verrückt geworden sein. Schließlich wusste sie doch, wie er wirklich war: kalt, skrupellos und unversöhnlich!

Schwör mir, dass du nicht schwanger werden kannst, Louisa, hatte er in dieser atemberaubenden Nacht gefordert. Und was hatte sie geantwortet? Ich kann nicht schwanger werden.

Ich bin nicht schwanger. Erneut redete sie sich das energisch ein. Es ist unmöglich!

Aber sie fürchtete sich, einen Test zu machen. Wenigstens hätte sie dann Gewissheit. Doch sie hatte Angst vor dem Ergebnis und beruhigte sich weiterhin mit der Möglichkeit, dass sie einfach einige Tage über der Zeit lag.

An der Haustür schlüpfte sie aus ihren feuchten Schuhen, bevor sie den Rosenkorb in einen kleinen Abstellraum neben der großen modernen Küche brachte. Dort ließ sie Wasser in eine kostbare Kristallvase laufen und stellte die Rosen hinein. Anschließend reinigte sie die Gartenschere und legte sie zurück in die Schublade. Oben in ihrem Zimmer tauschte sie die regennasse Kleidung gegen ein neues graues Kostüm, steckte das braune Haar auf und putzte sich die Brille, bevor sie einen flüchtigen Blick in den Spiegel warf und zufrieden nickte. Unauffällig, ordentlich und unsichtbar, das war der Look, den sie zu erzielen wünschte.

Sie hatte es nie darauf angelegt, von Rafael bemerkt zu werden, im Gegenteil. Ihre Unsichtbarkeit bot ihr Schutz. So etwas wie in ihrer vorherigen Anstellung durfte nie wieder passieren! Doch irgendwann hatte Rafael sie trotzdem bemerkt. Noch immer fragte sie sich, warum er mit ihr geschlafen hatte. Aus Mitleid? Weil gerade keine andere Frau zur Stelle war?

Entschlossen verscheuchte Louisa diese Gedanken und lief die Treppe hinunter. Zuerst stellte sie die mit den duftenden Rosen dekorierte Vase in die Küche.

Ihre Laune besserte sich sofort, als sie sich zufrieden umschaute. Das war ihr Werk. Gleich nach ihrer Ankunft in Istanbul hatte sie geeignetes Personal eingestellt, um der vernachlässigten Villa wieder zu ihrem alten Glanz zu verhelfen. Fast rund um die Uhr hatten sie alle dafür gearbeitet. Behutsam strich Louisa über das polierte Holz des Türrahmens und betrachtete lächelnd den bunt gemusterten, sauber glänzenden Mosaikboden.

Es hatte ihr unglaubliche Freude bereitet, das alte Gemäuer mit neuem Leben zu erfüllen. Und sie dachte gar nicht daran, ihren geliebten Job wegen eines einzigen schwachen Moments widerstandslos aufzugeben. Für Rafael war es sowieso nur ein bedeutungsloser One-Night-Stand gewesen – wie so viele andere zuvor. Und sie selbst musste ihre Liebe zu ihm einfach ignorieren und sich voll und ganz auf ihren Job konzentrieren.

Sie würde seine heißen, leidenschaftlichen Küsse vergessen. Ebenso wie das Gefühl, von seinem harten Körper gegen die Wand gedrängt zu werden und das heiße Verlangen in Rafaels Blick, als er sie wortlos hochgehoben und zu seinem Bett getragen hatte …

Verträumt stand Louisa mitten in der Küche. Schließlich fiel ihr ein, dass Rafael nach einem Abendessen verlangt hatte. Da der Koch ja erkrankt war, musste sie sich selbst darum kümmern. Vermutlich litt er an Magenproblemen, wie sie selbst vor sechs Wochen in Paris. Dann wäre er in drei Tagen wieder fit – rechtzeitig zu Rafaels Dinnerparty anlässlich seines Geburtstags.

Louisa war zwar keine ausgebildete Köchin, jedoch durchaus in der Lage, einfache Gerichte zu bereiten. Also machte sie sich ans Werk. Zum Glück hatte sie frisches Brot gebacken. Sie schnitt einige Scheiben ab und belegte sie mit Schinken. Fertig war das Sandwich. Sorgfältig richtete sie ein Tablett her, strich die blütenweiße Leinenserviette glatt und stellte nach kurzem Zögern eine kleine Vase mit einer roten Rosenknospe dazu.

Wieso nicht? Sie als Haushälterin legte eben Wert auf Details. Mit ihrer Liebe zu Rafael hatte das nichts zu tun. Gar nichts!

Dann rief sie das Dienstmädchen. „Bring Mr. Cruz bitte das Tablett hinauf.“

Nervös trat das junge Mädchen, das sie selbst erst vor Kurzem eingestellt hatte, von einem Bein aufs andere.

Louisa stöhnte unterdrückt und klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter. „Nun geh schon! Mr. Cruz ist ganz umgänglich. Du brauchst keine Angst zu haben.“ Es überraschte sie selbst, wie flüssig ihr diese Lüge über die Lippen kam. „Er tut dir nichts.“ Wenigstens war das nicht gelogen. Er wollte keine Unruhe im Haus und ließ sich niemals mit dem Personal ein.

Na ja, fast nie. Vor einem Monat hatte er Louisa auf sein Bett geworfen und ihr die Kleider vom Leib gerissen. Als sie verlangend die Arme nach ihm ausgestreckt hatte, war er über sie hergefallen, und sie hatten beide ihren Spaß gehabt.

Nein!

„Nun gehen Sie schon!“, stieß Louisa mit sanfter Stimme hervor.

Das Mädchen nickte stumm, nahm das Tablett und verließ die Küche.

Louisa hatte kaum damit begonnen, abzuspülen, als die Kleine wieder auftauchte – die Dienstmädchentracht über und über mit Schinken und Dijonsenf besudelt. Im triefnassen Haar steckte die rote Rosenknospe.

Entsetzt sah Louisa auf. „Was ist passiert?“

Die Kleine war den Tränen nahe. „Mr. Cruz hat das Tablett nach mir geworfen.“ In einer Hand hielt sie das Silbertablett, in der anderen einen zerbrochenen Teller. Vor Aufregung war ihr Englisch kaum verständlich. „Mr. Cruz sagt, er lässt sich nur von Ihnen bedienen, Miss.“

Louisa stockte der Atem.

„Er hat mit dem Tablett geworfen?“ Niemals hätte sie für möglich gehalten, dass ihr Arbeitgeber sich so vergessen konnte. Was brachte ihn derartig aus der Fassung? Ob ihm ein guter Geschäftsabschluss entgangen war? Hatte er viel Geld verloren? Was war nur mit ihm los? So gewalttätig und unzivilisiert gebärdete er sich doch sonst nicht.

Nachdenklich kniff sie die Augen zusammen. Selbst wenn er sein gesamtes Vermögen verloren hätte, wäre das noch lange keine Entschuldigung, seine Frustration am Personal auszulassen. „Gib mir das Tablett, Behiye. Und dann gehst du nach Hause.“

„O nein! Bitte entlassen Sie mich nicht, Miss!“

„Davon kann keine Rede sein.“ Louisa rang sich ein Lächeln ab, um ihre Wut zu überspielen. „Du bekommst für den Rest der Woche bezahlten Urlaub. Sozusagen als Wiedergutmachung für Mr. Cruz’ unflätiges Benehmen, das er zutiefst bedauert.“

„Danke, Miss Grey.“

Und sollte er es nicht bedauern, dann wird es höchste Zeit, dachte Louisa aufgebracht, als das Dienstmädchen die Küche verließ.

Voller Zorn warf sie den kostbaren, antiken blau-weißen Porzellanteller in den Mülleimer, reinigte das Silbertablett und schmierte ein neues Schinkensandwich. Auch eine neue Rose zierte das Tablett, das sie nun höchstpersönlich in die zweite Etage hinauftrug.

Oben klopfte sie kurz an die Schlafzimmertür.

„Herein“, rief eine raue Stimme.

Noch immer verärgert stieß sie die Tür auf und blieb abrupt stehen.

Es war dunkel im Schlafzimmer.

„Miss Grey.“ Die tiefe, raue Stimme drang durch die Dunkelheit. „Sehr freundlich, dass Sie meinen Anweisungen Folge leisten“, sagte Rafael sarkastisch.

Sein Tonfall klang irgendwie feindselig.

Als ihre Augen sich an die Finsternis gewöhnt hatten, entdeckte Louisa ihren Boss. Er saß in einem Sessel am Kamin, in dem kein Feuer brannte. Sie stellte das Tablett auf einen Beistelltisch, ging zum Lichtschalter und betätigte ihn.

Sofort wurde das sehr spartanisch eingerichtete Schlafzimmer in sanftes gelbes Licht getaucht.

„Machen Sie das sofort wieder aus!“ Er funkelte sie so wütend an, dass sie fast erschrocken zurückgewichen wäre.

Doch dann hatte sie sich gefangen und ballte die Hände zu Fäusten. „Mich schüchtern Sie nicht so leicht ein wie die arme Behiye. Was fällt Ihnen eigentlich ein, ein Dienstmädchen anzugreifen, Mr. Cruz? Wie konnten Sie es wagen, die Kleine mit einem Tablett zu bewerfen? Sind Sie denn völlig von Sinnen?“

Langsam erhob er sich aus seinem Sessel. „Das geht Sie nichts an.“

Entschlossen hielt sie seinem Blick stand. „Das geht mich sehr wohl etwas an. Schließlich werde ich dafür bezahlt, den Haushalt zu führen. Wie soll ich das machen, wenn Sie das Personal schikanieren?“

„Ich habe sie nicht mit dem Tablett beworfen“, behauptete er mürrisch. „Ich habe es ihr aus der Hand geschlagen. Wenn sie versucht, es aufzufangen, ist das ihre eigene Schuld.“

Typisch Mann, dachte Louisa. Er musste in seinem ganzen Leben noch keinen Fußboden sauber machen. „Sie haben die Kleine fast zu Tode erschreckt.“

Seine grauen Augen leuchteten im trüben Licht. „Es war ein Versehen“, behauptete er. „Es war … ungeschickt von mir.“ Er wandte sich ab. „Geben Sie dem Mädchen den restlichen Abend frei!“

Herausfordernd hob Louisa das Kinn. „Das haben Sie bereits getan, Sir. Sie haben ihr sogar den Rest der Woche bezahlten Urlaub gegeben.“

Erstauntes Schweigen, dann sagte er in fast wehmütig klingendem Tonfall: „Sie scheinen immer zu wissen, was ich brauche, Miss Grey. Manchmal sogar, bevor ich es selbst weiß.“

Bei seinem Gesichtsausdruck stockte ihr fast der Atem. Offenbar brauchte er gerade sehr dringend etwas und erwartete, sie wüsste, was es war. Unwillkürlich wurde sie an den Abend erinnert, als er sie geküsst hatte. Dabei wollte sie daran doch nicht mehr denken!

„Es ist mein Job zu wissen, was Sie wollen“, antwortete Louisa kühl und verschränkte die Arme. „Sie bezahlen mich dafür.“

Der Satz wog schwer.

„Ja“, erwiderte Rafael schließlich leise. „Das tue ich.“

Bevor er sich wieder abwandte, fing sie seinen – verletzten, traurigen? – Blick auf. Als fühlte Rafael sich sehr einsam. Dieser Blick war ihr vorhin im Garten bereits aufgefallen. Aber sie musste ihn falsch gedeutet haben. Warum sollte der skrupelloseste Playboy Europas sich einsam fühlen?

„Sie hätten das Dienstmädchen nicht schicken dürfen“, bemerkte er mit gefährlich leiser Stimme. „Ich hatte darum gebeten, dass Sie mir das Abendessen bringen. Nicht irgendein Dienstmädchen.“

Wollte er etwa mit ihr allein sein?

Ein erregender Schauder durchlief sie. Doch dann bekam sie es mit der Angst zu tun. Es kam nicht infrage, dass Rafael sie noch einmal verführte! Auf gar keinen Fall!

Louisa ließ sich ihr Gefühlschaos nicht anmerken. Jahrelanges Training hatte sie geschult, ihren Vorgesetzten stets mit freundlicher, unbewegter Miene zu begegnen.

„Es tut mir leid, dass ich Ihre Bitte nicht richtig verstanden habe, Sir. Ich habe Ihnen ein neues Sandwich hergerichtet.“ Sie deutete eine höfliche Verneigung an. „Bitte entschuldigen Sie mich. Ich möchte nicht länger stören.“

„Moment!“

Widerstrebend gehorchte sie und wandte sich ihm wieder zu.

Mit finsterer Miene trat er näher an sie heran. Zu nahe. „Ich hätte das niemals tun sollen.“