Erschütterung - Andre Hofmann - E-Book

Erschütterung E-Book

Andre Hofmann

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Beschreibung

Du fragst dich, wie dieses Buch sein wird? Träumerisch und Poetisch. Ja, sogar markerschütternd. Aber allen voran: Einzigartig. Die fantastischen Kurzerzählungen in "Erschütterung - Beben am Abgrund" lassen sich schwerlich mit anderer Literatur vergleichen. Ähnlich wie in "Kaskade - Träume in der Tiefe" entführt der Autor seine Leser in ein Meer aus Emotionen. Allerdings gehen seine neuen Erzählungen tiefer. Sie reißen hinab in die Finsternis und versuchen die Wahrheit am Boden des Abgrunds zu entdecken. Wenn du bereit für etwas Neues bist, dann solltest du nicht zögern und dem Autor in seiner einzigartig poetischen Erzählweise durch seine Geschichten folgen. Sie werden dich zum Nachdenken anregen, dich emotional berühren und deine eigene Kreativität herausfordern. Stelle dich der Herausforderung, aber gib acht! Das Lesen ist ein Tanz am Abgrund und jede Erschütterung könnte dich tiefer hinabreißen, als du es für möglich gehalten hättest!

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die Schönheit der Dämonen

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Worte der Rettung

Glanz der Gerechtigkeit

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

Kapitel XIV

Kapitel XV

Kapitel XVI

Kapitel XVII

Grausame Jagd

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Tanz der lebenden Toten

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Zorn des Chaos

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Prinzessin in der Dunkelheit

Impressum

Vorwort

In diesem Band möchte ich euch nicht mit einer Belehrung und Anleitung willkommen heißen, sondern lediglich ein paar wenige Worte der Warnung aussprechen:

Gebt auf euch Acht, dass ihr euch nicht verschlingen lasst. Ich hoffe, dass ihr die Schönheit in diesen Geschichten erkennen könnt. Ich habe Angst, dass einige der Gedanken zu weit in die Tiefen des Abgrunds führen.

Die Schönheit der Dämonen

I

Woher stammt sie, deine sanfte süße Stimme? Du bist so verführerisch, dass ich dir sofort nachzugeben bereit wäre, wüsste ich nur, wo du bist. Wenn ich dich höre, dann schlägt mein Herz schneller, und ich habe dieses kribbelnde Gefühl in der Magengegend. Dieses Pochen, das gar nicht mehr aufzuhören bereit ist. Ich bin fasziniert und will dich. Sofort wäre ich bereit, alles hinter mir zu lassen und mit dir einen neuen Anfang zu wagen. Doch leider kann ich nicht ausmachen, woher du kommst. Du bist in meinen Ohren und doch so weit entfernt.

Ich blicke hoch zum vollen Mond und frage mich, ob du dich vielleicht an diesem fernen Ort verbergen magst. Ich sehe hinab auf die matt durch die Sterne erleuchtete Welt und frage mich, ob du dich dort versteckst. Aber ich kann dich nicht sehen. Mein Verstand, der ansonsten dazu in der Lage ist, alles zu durchdringen, ist benebelt und blockiert. Du erlaubst es mir nicht, näher an dich heranzutreten. Obwohl du mich so einladend zu rufen scheinst.

Vielleicht sollte ich endlich meine Flügel gebrauchen und nach dir suchen. Ich könnte hinabsteigen in die dunkle Welt oder mich in Richtung des Mondes erheben. Doch habe ich mir geschworen, diese Geschenke nicht mehr zu benutzen. Sie stehen für all das, was ich an den meinen verachte. Diese Hybris, die uns tatsächlich glauben lässt, wir wären gottgleich. Doch was tun wir schon, um diesem Anspruch gerecht zu werden? Ist es etwa schon genug, uns von denjenigen verehren zu lassen, die keine Geschenke wie wir mit ihrer Geburt erhalten haben? Ist es dieses Hinabblicken, das uns zu etwas Besserem werden lässt? Dass ich nicht lache…

Ich sagte, ich verachte die meinen, aber eigentlich verachte ich uns. Ich bin keine Ausnahme. Denn was tue ich schon, um dem gerecht zu werden, wer ich bin? Ich bin den meinen überlegen. Jede Auseinandersetzung gewinne ich, ohne es auch nur wirklich zu wollen. Mein Geist überragt jeden anderen, dem ich jemals begegnet bin. Wenn ich mein Schwert zöge, so könnte ich Welten spalten, und meine Schwingen schlagen kraftvoller und anmutiger als die eines jeden anderen der meinen. Und doch bin ich nicht einmal mehr dazu in der Lage, ihnen ins Gesicht zu blicken. Unser Schloss aus Licht, das in der Sonne badet, habe ich verlassen. Ich bin hinaus gezogen in die Nacht, um dort zu verweilen und den Sternen zu lauschen. Ich bin in meinem selbst geschaffenen Exil, das mich vor jenen bewahrt, die so sind wie ich. Das einzig Grausame ist, dass ich nicht dazu in der Lage bin, mir selbst zu entkommen. Ich würde gerne jene Gaben abgeben, die dazu bestimmt waren, Großes zu vollbringen. Ein würdiger Träger soll sie erhalten. Derjenige, der alle ins Licht der Glückseligkeit zu führen vermag, soll sie übertragen bekommen, sodass diese Welt endlich zu ihrer Erfüllung kommt.

Doch leider sind diese Dinge verbunden. Mein Verstand, mein Körper, meine Emotionen… bis heute bin ich nicht dazu in der Lage, sie zu verstehen. Sie sind verbunden, und doch sind sie mir so fern. Wenn ich hinab auf das sanfte säuselnde Meer blicke, erscheint mir mein Spiegelbild im Glanz der Sterne so fern. Wer ist diese sagenhafte Gestalt, die an meiner Stelle den Platz hält? Wieso sehe ich dort nicht das hilflose Kind, dessen Schreie einsam und unerhört in den ewigen Weiten des Himmels erklingen? Wieso bin ich mir selbst so fern?

Aus diesem Grund habe ich mich doch hinausbegeben. Ich friste nun fernab der Verehrung, die mir anderorts entgegengebracht wird. Oder sollte ich besser sagen, die meine Erscheinung erfährt. Denn letzten Endes war niemand dazu in der Lage zu erkennen, wer ich bin. Selbst in den Momenten, in denen ich mich offenbarte, schien es für jene unmöglich, meine Worte zu verstehen. Ich konnte nur ihre hohlen Augen und ihr dämliches Grinsen vernehmen. Als würden sie mich nicht ernst nehmen… und doch wusste ich, dass sie eben dies zu tun versuchten. Sie waren nur nicht dazu in der Lage, meine Worte zu verstehen.

Doch warum ist dies der Fall? Aus welchem Grund vergeht all dies unerhört und unerkannt? Ist es meine Schuld? Bin ich so anders als sie? Wollen sie mich nicht erhören? Sind es meine Botschaften, die sie zu sehr kränken würden? Ist es mein Wesen, das sie erschreckt oder gar verhöhnt? Vielleicht ist es meine ureigene Hybris, die mich für sie bis zur Unkenntlichkeit verzerrt.

Doch ich höre eine Stimme, der all dies vollkommen gleich zu sein scheint. Ich hege die Hoffnung, dass sie mich endgültig verstehen und erlösen wird. Wenn ich den Ursprung dieser Stimme finde, so wird mich ihr Besitzer verstehen. Sie verspricht mir alles, was ich jemals hören wollte, und das ganz ohne fragen zu müssen. Ich weiß noch nicht einmal, wie ich antworten sollte, und doch… dass mein Verstand mich warnt, ist mir vollkommen gleich. Ich werde mich der Verzückung hingeben, sollte ich sie endlich ausfindig machen können.

II

Endlich hast du dich mir offenbart. Nach Jahrhunderten der Isolation und Einsamkeit im sanften Licht des Mondes. Ich kann nicht sagen, dass ich unglücklich war. Tatsächlich hat mir die Einsamkeit geholfen und mich gereinigt. Zumindest auf eine gewisse Weise. Aber glücklicherweise war ich auch niemals wirklich allein. Deine Stimme hat mich begleitet. Sie war neben mir; die ganze Zeit konnte ich deine sanften Klänge vernehmen. Der Ort, der gleichzeitig so nah und in unerreichbarer Ferne schien, wurde von den meinen erschaffen. Von dort aus hast du mich vor dem Wahnsinn bewahrt, den die Isolation mir schlussendlich gebracht hätte. Mein Verstand wäre eskaliert, in der unerträglichen Schönheit, die ich in der Stille der Nacht fand.

Doch nun habe ich dich endlich gefunden. Zuvor sagte ich, du hättest dich offenbart. Ich weiß nicht, welche dieser beiden Beschreibungen wahr ist, wenn wir die Wirklichkeit betrachten. Du warst verborgen im Schatten des Mondes. Die ganze Zeit waren es meine angelegten Schwingen, die dein Gefängnis verbargen. Tief dort unten eingekerkert in der Dunkelheit, aus der du stammst, warst du vor mir verborgen. Konntest du mich sehen? Hast du nach mir gerufen? Oder hast du einfach nur versucht, einen vereinsamten Wanderer in deinen Bann zu ziehen? Nun, da ich dich dort unten in dem von den meinen erschaffenen Käfig erkenne, stockt mein Atem. Auch wenn deine Stimme lieblicher war, als alles, was ich jemals zuvor vernommen hatte, ist dein Anblick doch so viel mehr. Die Schönheit, die ich dort unten in der Dunkelheit erkenne, lässt alles andere erblassen. Ich, der aus dem Licht der Sonne erschaffen wurde, dessen Feuer dazu gedacht war, die Dämonen in ihrer Hölle zu verbrennen und das Böse aus dieser Welt zu tilgen, erkenne nun meinen natürlichen Feind. Mein Blut sagt mir, dass du die Kreatur bist, zu deren Vernichtung ich geboren wurde, doch mein Herz, das immer noch deiner sanften Stimme lauscht, erkennt, wer du in Wirklichkeit sein könntest. Und jeder Schlag meines Herzens beruhigt das Kochen meines Blutes, bis das ewig brennende Inferno in meinem Inneren zu einer sanften, wärmenden Glut erlischt.

Wie lange warst du dort eingesperrt, in diesem dunklen Verlies, das selbst die Finsternis verborgen hält? Wie lange hat deine sanfte Stimme benötigt, um meine betäubten Ohren zu erreichen? Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was dieses dunkle kleine Loch einer Seele anzutun imstande ist. Doch jetzt ist es an der Zeit, dieses Gefängnis zu zerstören. Du wunderschöner Dämon sollst endlich in die Freiheit entlassen werden.

So erhebe ich meine Klinge inmitten der Nacht. Die Erde hat meiner Macht in diesen Stunden den Rücken gekehrt, und der ewig brennende Zorn der Sonne kann kaum entfacht werden. So ist es nur ein schwaches Lodern, das erwacht. Und dennoch, es würde wohl ausreichen, um jeden Feind zu bezwingen, der sich mir in dieser Existenz entgegenstellen könnte. Doch heute ist es kein Feind, dessen Existenz ich tilgen werde. Ich kann mich kaum daran erinnern, dass es einst eine Zeit gab, in der wir uns gegen die sogenannten Schrecken aus den Niederhöllen stellten. Es scheint, als hätte ich diese Erinnerungen weit hinter mir gelassen. Doch aus welchem Grund ist dies wohl geschehen? Wenn ich daran denke, dass du einer der Schrecken bist, den ich einst hätte bekämpfen können, so bekomme ich eine Vorstellung davon, weshalb mir mein Verstand keinen Zugriff darauf erlaubt. Ich denke, die meinen und ich waren Mörder im Namen der Gerechtigkeit. Meine weißen göttlichen Schwingen müssen damals durchtränkt gewesen sein vom Blut der deinen. Meine Hände beginnen zu zittern, während mir dies bewusst wird. Vielleicht war es gar ich, der dich damals festsetzte in diesem sinnlosen Gemetzel. Was haben die meinen euch nur angetan? Wer gab uns das Recht, euch als die Verdammnis zu bezeichnen und diesen Krieg zu führen? Ich kann die Antworten nicht mehr finden, da mein Verstand benebelt ist. Was bin ich doch für eine groteske Gestalt? Die größte Lichtgestalt, geboren aus der Sonne und unfähig für das gerade zu stehen, was ich verbrochen habe.

Ich benutze meine zweite zitternde Hand, um meinen Griff zu stabilisieren und die Flammen zu kontrollieren, die deinen Käfig niederbrennen. Es ist Zeit, dass du endlich in die Freiheit entlassen wirst. Diese Ungerechtigkeit, die niemals Wiedergutmachung finden wird, muss nun enden. Innerhalb weniger Momente ist dein Verlies geschmolzen, und du trittst heraus, als unbeschreibliche Schönheit, die in der Finsternis geboren wurde.

Mein Atem stockt bei deinem Anblick, meine Hände sinken hernieder, und meine Augen können sich keinen Moment von dir abwenden und starren dich unentwegt an. Das flammende Schwert fällt hinab in die Finsternis dieser Welt, und ich bin bereit, mein Schicksal zu akzeptieren. Nachdem ich die deinen ermordete und dich verbannte, bist du endlich frei und kannst deiner Rache freien Lauf lassen. Hier auf der Stelle bin ich bereit, für meine Sünden gerade zu stehen. Ich werde jede Strafe akzeptieren, und aus dieser Existenz zu scheiden, wäre das Gnadenvollste, was ich mir in diesem Moment vorstellen kann. Zugleich kann mein Leben nicht im Ansatz aufwiegen, was ich verbrochen haben muss, wenn sogar mein Verstand mich davon abhält, jene Ereignisse wieder hervorzurufen.

Sanft gleitest du durch den Himmel zu mir hinauf. Deine aschschwarze Haut, die typisch für die deinen ist, reflektiert kaum das Mondlicht, und es scheint, als würde sie diese Welt verschlingen. Dein silbernes Haar weht sanft im Wind. Deine grauen Augen sind tiefer und älter, als ich es jemals bei einem anderen Wesen gesehen habe. Diese fremde, aus den Niederhöllen geborene Schönheit raubt mir den Atem. Ich glaube, ich war noch niemals zuvor so glücklich wie in diesem Moment. Du umschließt mich mit deinen Armen, und ich vergrabe meinen Kopf an deiner Brust. Meine heißen Tränen fallen kühl auf deine raue Haut. Du streichelst meinen Nacken und raunst mir sanft ins Ohr, dass du nie wieder von meiner Seite weichen wirst.

III

Es scheint, als würden meine Tränen niemals versiegen. Ich weine bereits seit einer Ewigkeit. Dieser Strom der Trauer bringt mir die Erleichterung, nach der sich meine Seele bereits so lange sehnt. Vergraben an deiner Brust spüle ich den Schmerz fort, der sich seit Jahrhunderten tief in meine Seele brannte. Während du sanft meinen Kopf streichelst, lichten sich die Schleier über meiner Vergangenheit. Dieser Schwall aus Tränen schafft es, die Mauern einzureißen, die sich in meinem Verstand gebildet hatten. Und je tiefer ich hinabtauche in diesen Schmerz, desto bewusster wird mir, was damals wirklich geschehen ist. Ist es wirklich unsere Entscheidung gewesen? Waren wir der Grund für diesen grausamen Krieg der Welten? Oder wer hat uns dies angetan?

Immer klarer kristallisieren sich die Silhouetten der deinen und der meinen heraus. Sie waren genau wie wir Werkzeuge in diesem sinnlosen Krieg. Werkzeuge, angefeuert von ihren eigenen sinnlosen Idealen, die ihnen von ihren Schöpfern eingepflanzt wurden. Der Samen des Hasses, den unsere Völker aufeinander verspüren, wurde bereits bei unserer Erschaffung gesät. Dieser Hass ist unweigerlich mit unserem Wesen verbunden. Der Hass der Wesen aus Licht, die hoch oben im Himmel im Glanz der Verehrung der Sterblichen thronen, auf diejenigen, die versuchen, diese Aufmerksamkeit zu erlangen, indem sie mit verführerischen Versprechungen locken. Aber auch die Schatten aus den Niederhöllen verspüren dieses alles verzehrende Gefühl und wünschen sich nichts anderes als das Ende eben jener arroganten Geflügelten im Himmel. Kein Wunder, sind wir beide das letzte, was unsere Schöpfer in Verbundenheit sehen wollten.

Doch wie hatte dies geschehen können? Behauptet nicht der Schöpfer von uns Wesen, die den Himmel bevölkern, dass er der Herr der Liebe sei? Wie kann es dann sein, dass er eben jene in seiner Vorausschau nicht bedachte? Wir lehren die Sterblichen, dass es die Liebe sei, die sie zur Erlösung führen würde. Sie sie das höchste Ideal, nach dem unser Erschaffer die Welt aus dem Nichts hervorhob. Dass diese Liebe das einzige sei, das uns vor dem Nichts bewahre, und dass es die ultimative Sehnsucht der Dämonen sei, eines Tages in dieses Nichts zurückzukehren. Doch wie konnte es dann sein, dass eben jenes Ereignis unseren ewigen Krieg beendete? Wie konnte es sein, dass mein Schöpfer nicht mit seinen eigenen Idealen umzugehen vermochte? Wie konnte es sein, dass ein Wesen, dessen Existenz das Gegenteil jener Ideale war, diese entwickelte? Aus welchem Grund waren es seine eigenen Ideale, die, als er sie erblickte, sein göttliches Antlitz in eine hassverzerrte Fratze verwandelten?

Es waren unzählige Schlachten, in die wir beide verwickelt waren. Ich löschte unzählige Existenzen aus und versuchte, den Dämonen Einhalt zu gebieten, die die Herzen der Sterblichen nach meinem Verständnis vergiften wollten. Ich hörte ihre Parolen und vernahm ihre verführerischen Angebote, die mich in meinem Bild bestärken sollten. Doch niemals kam es mir in den Sinn, dass jenes Verhalten ihnen genauso eingepflanzt wurde wie unser Hass auf sie. Wir alle führten einen Kampf, der nicht der unsere war. Wir waren Werkzeuge jener, die behaupten, die Welt erschaffen zu haben. Wir waren gefangen in ihrem Bann und konnten nicht aufhören, bis der letzte der anderen Seite gefallen sein sollte.

Doch ein Ereignis beendete diesen ewigen Kampf. Als ich auf dich traf, sollte sich das Schicksal unserer Welt ändern. Mit aller Kraft versuchtest du, dich mir entgegenzustellen. Du benutztest deinen zarten Leib, um die deinen vor meinen Flammen zu beschützen. Das Feuer, dem niemand der deinen zu widerstehen im Stande war, war dazu bereit, auch deine Existenz auszulöschen. Doch ich hielt inne. Ich konnte dich nicht verbrennen . Ich hielt meine Flammen zurück.

Als ich die Entschlossenheit in deinen Augen erblickte, wurde mir bewusst, dass du aus Fürsorge für die deinen handeltest. Du warst dazu bereit, dich selbst zu opfern, um das Fortbestehen der deinen zu sichern. Doch wie sollte dieses Verhalten in das Bild passen, das ich seit meiner Geburt von den deinen hatte? Ich sah in deine Augen und erkannte deine Tapferkeit. Du warst eine beeindruckende Gestalt, und ich, das flammende Schwert der göttlichen Armee, erstarrte vor Ehrfurcht. Ich bin mir sicher, dass in meinem Gesicht zu erkennen sein musste, dass ich die Fassung verloren hatte. Doch du lächeltest mich an, und ich erkannte dein warmes Herz. Wer hätte damals ahnen können, dass ich die Liebe meiner Existenz als Feindin auf dem Schlachtfeld treffen sollte?

IV

Unsere Begegnung beendete die Schlacht, aber noch nicht den Krieg. Dieses Ende sollte erst später folgen, als die meinen und die deinen sich dazu entschieden, uns im Namen unserer Schöpfer zu verfluchen. Allerdings beendete unser Aufeinandertreffen unseren Kampf an einer der Fronten. Wir zogen uns nicht zurück, um unsere Zuneigung zu erkunden. Wir lebten sie aus, um als schillerndes Beispiel voranzugehen und allen die Alternative zur totalen Vernichtung zu demonstrieren. Einige unserer Brüder und Schwestern konnten wir überzeugen. Sie legten die Waffen nieder und versammelten sich mit uns zur friedlichen Revolution. Allerdings war dies einigen ein Dorn im Auge. Die Fanatiker, die beide Seiten anführten, wollten nicht davon ablassen, den Krieg ihrer Schöpfer fortzuführen. Geblendet von falschen Idealen verurteilten sie unser Verhalten und verbannten uns, um ihren Kampf in unserer Abwesenheit fortzuführen.

Allerdings war ihnen dies nicht mehr uneingeschränkt möglich. Einerseits war meiner Seite ihr mächtigster Kämpfer abhandengekommen, und die Balance, die seit jeher zwischen Licht und Dunkelheit im ewigen Kampf geherrscht hatte, war empfindlich gestört. Andererseits ließen wir es nicht mehr zu, dass es unnötige Opfer gab. Die Wand aus Flammen, die ich zu erzeugen vermochte, war so heiß, dass sie weder die Geschöpfe des Himmels noch jene der Niederhöllen und erst recht nicht die Sterblichen zu durchqueren vermochten. Aus diesem Grund geschah das Unvermeidbare – unsere Brüder und Schwestern wandten sich an ihre und unsere Schöpfer. Jene Wesen, die jeweils beanspruchten, diese Welt erschaffen zu haben.

Der ewige Kampf zwischen Licht und Finsternis war dabei zum Erliegen zu kommen. Aus seiner Perspektive eines Geschöpfes des Himmels hätte dies dem Sultan der Dämonen missfallen sollen. In diesen Tagen war ich mir noch sicher, dass mein Gott, der mich erschaffen hatte und mich die Idee von Liebe predigen ließ, mir beistehen und jenes Reich erschaffen sollte, das er vorgab, kreieren zu wollen. Doch es kam anders, als ich jemals vermutet hätte. Die beiden größten existierenden Mächte vereinigten sich, um uns einen Fluch aufzuerlegen. Mir wurden alle Erinnerungen geraubt, und du wurdest verbannt an jenen Ort, von dem ich dich nun befreit habe. So sollte ich wieder in die Armee eingegliedert werden, die die deinen bekämpft, und du solltest machtlos in deinem Gefängnis fristen und mir von dort aus zusehen, wie ich den Tod über jene bringe, die du unter Einsatz deines Lebens zu schützen bereit bist. Welch groteske Strafe ihr euch für uns überlegt habt. Als wäre es an euch, über unsere Existenz zu entscheiden, nur weil ihr sie uns gegeben habt.

Vielleicht bezeichnet mich mein Gott als undankbar. Soll er es tun. Es ist nicht an mir, darüber zu entscheiden, wie er mir gegenüber empfindet. Nicht er bestimmt über mein Leben, das tue ich. Wenn dies bereits als Undankbarkeit gilt, dann frage ich mich, was der Sinn seines Geschenkes ist. Er gab mir mein Sein. Dafür bin ich dankbar. Ich schätze es. Selbst, wenn ich es an vielen Tagen kaum auszuhalten vermag. Doch wenn es ein Geschenk ist, dann sollte er dafür nichts verlangen. Geschenke sollten dazu dienen, die Liebe auszudrücken, die man empfindet. Sie sind nicht dafür gedacht, jemanden an sich zu ketten oder einen Dienst zurückzuverlangen. Nicht, um zu versklaven. Wenn mein Gott dies anders sieht, soll er es tun. Erneut ist es nicht an mir, darüber zu entscheiden, wie er etwas bewertet.

Ich bezeichne ihn dahingegen als grausam. Dies ist meine Perspektive. Er wollte mit mir lediglich einen Sklaven erschaffen, ein Spielzeug, um seine eigenen Ideen zu verwirklichen. Doch ich bin aus diesem Gefängnis ausgebrochen, und dafür habe ich nun diese Strafe erhalten, die mich erneut bändigen sollte. Aber mein Gott hat sich geirrt. Er ist nicht so allmächtig, wie er es vorgibt zu sein. Deine Stimme, meine Liebe, hat mich davor bewahrt, erneut ein willenloses Monster zu werden. In tiefer Traurigkeit habe ich dem Fluch meines Schöpfers unwissend standgehalten. Und nur du hast mir dies ermöglicht.

Jetzt sind wir endlich wieder vereint. Wir konnten den Widrigkeiten unserer Abstammung trotzen und uns gegen unsere Schöpfer erheben. Wir sind frei, und dieses Mal sind wir auch bereit. Wir werden nicht erneut der Illusion erliegen, dass unsere Schöpfer uns gutheißen würden. Dies ist der Beginn eines neuen Krieges. Doch dieses Mal wird es nicht der Kampf der Schatten gegen das Licht sein. Dieses Mal ist es der Kampf um die Freiheit, und ich bin bereit, alle Ketten zu schmelzen, die uns binden.

V

Wir sind nicht allein. Auch wenn der Großteil der Streitkräfte sich gegen uns vereint hat, so haben sich dennoch einige für die Freiheit und eine mögliche friedliche Zukunft und gegen die Sklaverei im Krieg entschieden. Ehrlich gesagt, hatte ich dies nicht erwartet. Natürlich empfinde ich unsere Position als jene, die ich zu verteidigen beschlossen habe, und natürlich weiß ich, dass ich dafür gute Gründe habe. Aber ich hätte nicht gedacht, dass sich wahrhaftig andere hinter uns versammeln würden. Zumal wir unzählige Jahre aus den Augen und dem Bewusstsein der unseren verschwunden waren und keiner der Sterblichen uns jemals zuvor begegnet ist. Ich dachte, sie wären inzwischen alle von der Idee unserer Schöpfer durchdrungen, und jeder würde uns als jenes Übel anerkennen, zu dem wir deklariert wurden.

Doch dies ist nicht der Fall. Engel, Dämonen und Sterbliche haben sich unserer Sache angenommen, um die Göttlichen zu stürzen. Es sind nicht viele, aber ich erkenne die Aufrichtigkeit, den Stolz und die Kraft in jedem Einzelnen. Sie kämpfen wie wir für ihre Freiheit. Vielleicht sind unsere Motive selbstgerecht, vielleicht sind sie selbstlos oder undankbar. Aber ich habe endlich begriffen, dass dies unerheblich ist. Meine Geschichte wird durch mich selbst geschrieben, und welche Worte andere für sie finden, ist nicht meine Entscheidung. Ich bin nur dafür verantwortlich, mit den Entscheidungen zu leben, die ich treffe. Natürlich werde ich einige davon bereuen, gerade jetzt, da die Zeiten unruhiger und Entscheidungen schnell getroffen werden müssen. Doch am Ende werden es meine Entscheidungen gewesen sein und nicht die eines übermächtigen Wesens, das mir diese bei meiner Geburt implantiert hat. Ich werde nicht mehr stur hasserfüllten Idealen folgen. Nun ist die Zeit gekommen, sich endlich zu erheben.