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»Schreiben von Gedichten / ist Übersetzen / aus einer Sprache / die es nicht gibt«, so heißt es einmal bei Fabjan Hafner, der sich in der Reibung zwischen zwei Sprachen bewegte. Hafner, kärntnerslowenischer Dichter, Übersetzer und Literaturwissenschaftler, schrieb in beiden Kärntner Landessprachen und war »eine der wichtigsten Schnittstellen zwischen der slowenischen und der deutschsprachigen Kultur«, wie die NZZ befand.
Erste und letzte Gedichte (1982-2016) versammelt eine repräsentative Auswahl aus Hafners lyrischem Werk, lakonisch verdichtete Zeilen eines stockenden Ichs. Es sind »Anrufungen des Dunkels, der Stummheit, der Sprachlosigkeit, der Verlassenheit, des Ekels und des Grausens«, darin »herzlich-herzöffnend ernst« und von »menschensuchender, weltoffener Angst«, meisterhaft übertragen und mit einleitenden Worten versehen von Peter Handke.
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Seitenzahl: 60
Fabjan Hafner
Erste und letzte Gedichte 1982-2016
Slowenisch und deutsch Herausgegeben, übertragen und mit einem Vorwort versehenvon Peter HandkeMit einem Nachwort von Dominik Srienc und einem Gedicht von Gustav Januš
Suhrkamp Verlag
Cover
Titel
Inhalt
Informationen zum Buch
Impressum
Hinweise zum eBook
Cover
Titel
Inhalt
Peter Handke Statt eines Vorworts Die Einzahl und die Zweizahl
Erste Gedichte
Starre Figuren sind wir
Du lebst besinnungslos
Vereinsamung
KUH
Grausen
Die Wiederholung
Erwartungen der Kindertage
Worte
Weit weg bin ich, ein Fremder
Allein ist sie
BIN
KEINE
RATTE
»Würde ich nicht rauben, wär ich arm«
Ich werde mir das Schreiben verbieten
Dunkel ist's
DER
SCHNEE IST
NACHTS
SCHWARZ
Freundliche Leute werden mit uns gehen und uns entgegen
Zwei Gesichtspunkte
Vergessen und wieder vergessen
Sklave Herr
Morgen – Frühling
Mittag – Sommer
Abend – Herbst
Nacht – Winter
Ende ohne Ende
Dies illa
Letzte Gedichte
Viertes Gebot
Bis drei. Dahin
Zwischen den Jahreszeiten
Sonntagsgedicht
LJUBLJANA
GERN
WÜRDE
ICH
MIT
DIR
Ati, sag endlich, ob du mich überhaupt hörst
Gustav Januš
DER
STURMWIND
Dominik Srienc Nachwort
Quellenhinweise und Erstabdrucke der Gedichte
Informationen zum Buch
Impressum
Hinweise zum eBook
Ein eher noch unerforschtes Phänomen (oder vielleicht doch schon erforscht, etwa am »Department of Psychology« der Universität von Fairbanks, Alaska): daß gewisse Heranwachsende, oder »Pubertierende«, oder wie auch immer die Bezeichnungen für jene das Phänomen bildenden jungen Leute lauten, eine Zeitlang mit Zungen reden. Ein Zungenreden ist die Sprache dieser Jugendlichen in dem fraglichen Zeitraum beileibe nicht ständig. Und sie praktizieren es zudem nie absichtlich. Es geschieht. Es geschieht ihnen. Es stößt ihnen, von Zeit zu Zeit, zu. Es fliegt sie an und wird zugleich in und aus ihnen laut, kurz, für ein, zwei Sätze, manchmal auch für ein, zwei Strophen, die im Nu wieder verweht sind, das allerdings in einer gewissen Regelmäßigkeit, als Folge, Tag für Tag, und so weiter – bei den von solch bildhaftem wie rhythmischem Stammeln befallenen oder damit bescherten Halbkindern über Monate oder gar Jahre.
Und immer wieder ist es geschehen, geschieht es und wird wohl weiter geschehen, daß derartige sich wiederholende Rhythmen schriftlich festgehalten werden. Ohne Absicht kommt es dazu. Fern ist diesen Jungen auch jeder Vorsatz, etwas wie ein Gedicht, Poeme, »Poesie« zu schreiben. Und schon gar nicht wollen sie mit solch Niederschrift irgendein unter ihresgleichen gerade modisches Dicht(er)spiel mitspielen, geschweige denn mit anderen in Konkurrenz oder Wettstreit treten.
Und doch drängt es diejenigen, das Gebilde, Schrift geworden, sehen und/oder hören zu lassen. Zu lesen geben und zu Gehör bringen wem? Wem auch immer, jedenfalls niemand Bestimmtem, keiner Zielgruppe. Oder vielleicht doch? Nur welcher? – Keine Antwort.
Der Prototyp oder Herold aller der jugendlichen Zungenredner ist Arthur Rimbaud. Zwar ist er, noch lang vor dem sogenannten Mannesalter, verstummt. Doch was aus ihm in die Welt kam an Worten, Bildern, Rhythmen, rhythmischen Bildern oder auch allein an bild- und wortlosen Lauten bleibt Bestand der Welt; trägt zu deren Bestand bei. Und es sei hier dahingestellt, ob das Bleibende der Gedichte Rimbauds, wie es da und dort geheißen hat, herrührt von der »klassischen Bildung« des Jünglings Arthur, genossen in Charleville-Mézières oder sonstwo, dank deren das ursprüngliche Gestammel des Sechzehn- bis Achtzehnjährigen sich ordne zu jahrtausendealten Versmaßen und vielleicht gerade so jenes Ursprüngliche weitertrage.
Im übrigen – ich »gestehe« – war auch ich einmal, obgleich nur ein einziges Mal, gar kurz, ein Mitglied der jugendlichen Zungenrednerschaften. Dazu kam es, als ich etwa vierzehn, höchstens fünfzehn war, Zögling in dem Knabenseminar, wo zukünftige Priester heranerzogen werden sollten. Der Anlaß: ein zu schreibender Klassenaufsatz, Thema: »Die Nacht«. Und unversehens, wie ohne mein Zutun, flossen da mitten in den »Nacht«-Aufsatzgedanken Sätze aus der Feder, von denen ich zwei bis heute behalten habe. Der eine: »Schlangen auf Jagd durchstöbern die Stille, alles schläft, es lebt nur der Wille«, und der andere, mag sein gar nicht unmittelbar folgende: »Von weißen Fenstern steigen Dirnen wie Gebete in den Himmel«.
Obwohl das nicht so recht hierhergehört: dieser zweite Satz versetzte, vom zuständigen Lehrer publik gemacht, die gesamte geistliche Führung des Internats in Aufregung, ja – und das bilde ich mir nicht erst jetzt so ein – in Alarmzustand. Die von den weißen Fenstern zum Himmel steigenden Dirnen, vor der einberufenen Vollversammlung der Zöglinge zitiert und rezitiert, waren etwas zum Himmel Schreiendes, und ich, der verantwortliche Halbwüchsige, welcher, um das Maß voll zu machen, den Satz nicht zu erklären vermochte (im übrigen auch mir selber nicht), wurde vor der Gemeinschaft, wieder und wieder, als ein abschreckendes Beispiel angeprangert für – ich weiß nicht mehr für was –, jedenfalls sehe ich noch heute mich von damals, den es grauste aufzufallen, so oder so, angestrahlt wie von dem grellsten der Scheinwerfer.
Hierher gehört aber: Ich erwartete, obwohl streng verwarnt, in der Folge sehnlich, daß mir noch mehr solcher Sätze wie der öffentlich gebannfluchte unterliefen, viel mehr, womöglich ohne Unterlaß (und das, wohl unnötig zu betonen, nicht wegen der »Dirnen«, von denen ich weder einen Begriff noch ein Bild hatte)!
Doch mit jenen den Fünfzehnjährigen, den Minderjährigen so urplötzlich aus dem schönen Nichts an- und durchfliegenden Worteverknüpfungen war es, was mich betraf, nach dem einen Mal auch schon wieder vorbei. Die Kostbarkeiten, kostbar vielleicht vor allem, indem sie mir unbegreiflich waren, blieben aus; ließen sich durch keinen Vorsatz oder Willen erzwingen. Aus mir war nicht von einem Moment zum anderen ein Dichter, geschweige denn ein Lyriker geworden und würde auch nie einer werden. Solch rhythmisches Zungenreden, sosehr ich mich danach weiterhin sehnte und es mir schmerzlich, körperlich-leibhaftig, fehlte, kam und kam nicht wieder über mich.
Dafür begegnete mir im Laufe der folgenden Jahre, fern vom Internat und dann vor allem im ersten Jahr des kalt befremdenden Universitätsgeschehens, der und jener, welcher das Zungenreden in meiner Gegenwart buchstäblich aus dem Ärmel, aus allen möglichen Ärmeln schüttelte; es aus dem Stehgreif betrieb. Ich war denjenigen das Publikum, und dieses bestand in der Regel allein aus mir. Und was für ein dankbares Publikum ich jeweils war! Wie beneidete ich solch einen Redner, Sprecher, (Ver)künder, mit einem Neid der Bewunderung und der Begeisterung, mitbegeistert mit dem begeisterten, von unbegreiflichem Geist durchwehten erwählten Anderen. Er, der – gar nicht so heimliche – König, und ich der Untertan, im Moment gerade sein Günstling.