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Der kleine Markus schlägt die Warnung seiner Mutter in den Wind und füttert jeden Morgen am Waldrand eine streunende Schäferhündin mit seinem Schulbrot. Eines Tages passiert ein Unglück, Laika fällt einen Menschen an und niemand glaubt Markus, dass sie ihn nur beschützen wollte. Der alte Förster Lothar Seidel soll sie jagen und erschießen. Aber erst müssen er und die Polizei Markus finden, der ebenso wie die Schäferhündin im Wald verschwunden ist. Dann bricht ein Unwetter über dem Dorf los, alle Suchmannschaften müssen abbrechen und nur ein Wunder könnte dem Kind jetzt noch helfen. Nur der alte Förster kämpft sich mit seinen Hunden weiter durch den Schneesturm. Er weiß nicht, dass das Wunder bereits unterwegs ist und es nur noch die Frage ist, ob es Markus rechtzeitig genug erreichen kann, um ihn vor dem Erfrieren zu retten.
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Seitenzahl: 51
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Rainer Sonnberg
Es gibt keine Wölfe in Schwerin
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Inhaltsverzeichnis
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Inhalt
Impressum neobooks
Der Schrei zerfetzte die Nacht über dem Brandenburger Land. Nager klammerten sich in ihren Höhlen voller Angst an ihre Gefährten, Rehe fuhren aus dem Schlaf und selbst den Wölfen sträubten sich die Nackenhaare. Sie wussten, wer diese in einen einzigen Laut gepackte Mischung aus Hass, Wut und schierer Verzweiflung ausgestoßen hatte. Samira hatte zu ihnen gehört, bevor sie das Rudel verlassen und mit dem Einzelgänger Dahak eine neue Familie gegründet hatte.
Das Rudel hob die Schnauzen zum Mond und heulte seine Antwort hinaus in die Nacht. Es sandte der alten Wölfin sein Mitleid, sagte ihr, dass es die Trauer mit ihr teilte.Viele Kilometer entfernt ringelte sich eine Straße aus einem Wald und hier kauerte Samira auf dem Asphalt. Bis vor ein paar Stunden war sie noch eine stolze Mutter mit zwei fröhlich bellenden Welpen und einem starken Gefährten an ihrer Seite gewesen. Die Schnauze mit der langen Narbe zwischen den Augen nach oben gereckt, heulte sie ihren Schmerz ins Dunkel und wie zähe Tropfen rannen die Laute aus ihrer Kehle, ohne Rhythmus und ohne jeden Sinn. Wäre sie ein Mensch gewesen, so wäre das Leid in einem salzigen Sturzbach aus ihr herausgeströmt. Aber sie war kein Mensch, sie war ein Wolf und Wölfe weinen nicht.Zwei Dolche aus weißgelbem Licht stachen nach ihren Augen, Samira flüchtete in die Deckung der Bäume und fletschte in ohnmächtiger Wut die Zähne. Kaum war der Wagen vorbei, trottete sie wieder zu ihrem Platz auf der Straße. Wie oft sie das in den vergangenen Stunden getan hatte, wusste sie nicht. Etwas in ihr befahl ihr, hier auszuharren und so setzte sie sich auf die Hinterpfoten wieder neben den feuchten Fleck auf dem Asphalt und blickte auf das Land vor ihr, ohne es wirklich zu sehen. Nur dieser Fleck war von ihren Kindern und ihrem Gefährten geblieben, das süße Weh spitzer Zähnchen an ihren vollen Zitzen war Vergangenheit, genauso wie das Wohlbefinden, mit dem sie sich um die beiden Fellknäuel gerollt und sie vor der beißenden Nachtkälte geschützt hatte. Was hätte sie darum geben, es noch einmal erleben zu dürfen, aber ihr Instinkt sagte ihr, dass sie niemals wieder Kinder aufziehen würde.Der Himmel graute im Osten und Samira schrie ein letztes Mal den Schmerz um ihre Kinder und ihren Hass auf die Menschen, die ihr das angetan hatten, in die Dämmerung hinaus. Auf die Antwort des Rudels, dass sie um Dahaks willen verlassen hatte, hörte sie nicht mehr. Sie wendete sich nach Westen und der Wolfstrott, in den sie für ihre letzte Wanderung fiel, brachte sie fort von diesem Ort, an dem sie glücklich gewesen war.
*
“Gibt es hier Wölfe?” Markus murmelte die Frage mit halbgeschlossenen Augen und Maria, die ihrem Sohn die Geschichte von der weißen Wölfin und ihrem Freund Lobo in Mexiko vorgelesen hatte, dachte über die Frage nach. Sie war versucht, ihm zu erzählen, dass es bis vor einigen Jahren hier in Stern Buchholz tatsächlich welche gegeben hatte. Diese Wölfe hatten Uniformen und Stiefel getragen und jeden Tag auf dem großen Übungsgelände hinter den Häusern den Krieg geprobt. Aber Markus hätte das noch nicht verstanden.1990 war die Wende gekommen, die Wölfe hatten ihre Uniform ausgezogen, waren nach Westen ins gelobte Land gewandert und hatten die Schafe sich selbst überlassen. Doch eine fette Herde weckt Begehrlichkeiten und so waren neue Raubtiere auf der Bildfläche erschienen. Sie hatten sich nicht sehr von den vorherigen Herren unterschieden – nur das sie statt Stiefeln elegante Schuhe, und statt der Uniformen teure Anzüge getragen hatten. Ihre Macht hatten sie nicht mit Kalaschnikow und Parteibuch, sondern mit Geld und Rücksichtslosigkeit ausgeübt. Für Maria hatte das keinen Unterschied gemacht, denn für sie war das Ergebnis das Gleiche geblieben.Sie seufzte. “Nein Markus. Es gibt keine Wölfe in Schwerin. In Brandenburg, das ist zweihundert Kilometer weg von hier, leben einige. Aber die kommen nicht bis hierher.”Wie bei allen Kindern wurde auch bei Markus die Beantwortung einer Frage zur Geburtsstunde von zwei neuen. “Aber Mama, du hast mir doch erzählt, das vor kurzem da Wolfskinder überfahren wurden. Was, wenn die Mutter jetzt da wegläuft und hierher kommt?”Sie schüttelte die kurzgeschnittenen Haare. “Wölfe haben ihr Revier und da laufen sie nicht so einfach weg”.Markus überlegte und nickte dann. Das kannte er von Laika. Die lief auch nie weg. “Mama, wenn Bianca so eine kluge Wölfin war, warum hat sie dann nicht einfach den Strick durchgebissen und sich befreit?”Maria ärgerte sich. „Wenn du doch in der Schule auch so viel fragen würdest!“, hätte sie ihrem Sohn am liebsten an den Kopf geworfen. Aber dann hätte er wieder mit ihr darüber diskutiert, dass Tiere viel interessanter waren als Mathematik und Schreiben. Entsprechend schlecht waren auch seine Schulzeugnisse.Wenn es nur das gewesen wäre. Es verging keine Woche, in der Markus nicht irgendein Tier mit nach Hause brachte, das er im Wald gefunden hatte. Auch heute hatte er wieder einen Spatz mit einem gebrochenen Flügel angeschleppt. Sie hatte Markus vor die Wahl gestellt. Entweder er brachte das Vieh nach draußen oder sie würde es tun. Die Diskussion mit ihm war kurz gewesen und hatte mit einem toten Vogel, einer zuknallenden Stubentür und einem weinenden Kind geendet. Sie hatte sich nicht mehr anders zu helfen gewusst. Markus wurde immer trotziger, wenn es um seine Tiere ging und die Diskussionen mit dem Neunjährigen gingen über ihre Kräfte.“Mama!”Sie schreckte aus ihren Gedanken auf. “Sie liebte Lobo über alles, und als er in seiner Falle erschossen wurde, wollte auch sie nicht mehr leben.”“Das macht die Liebe?” Markus zog die Bettdecke bis über das Kinn, als würde nach dieser Antwort seiner Mutter die Dezemberkälte im ungeheizten Schlafzimmer darunter kriechen. “Mama, dann will ich nie, nie, nie lieben und immer bei dir bleiben.”