Eure dankbare Tochter Bertha -  - E-Book

Eure dankbare Tochter Bertha E-Book

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Beschreibung

Bertha, ein junges Mädchen in einem Internat, berichtet ihren Eltern von 1869 bis 1871 von ihrem Alltag und uns Lesern von einer längst vergangenen Zeit. In Europa beginnen Frauen sich zu emanzipieren, doch für Bertha scheint die Zeit stillzustehen. Die ersten Briefe schreibt sie aus Breslau, wo sie in einer orthopädichen Modeklinik eine Kur für ihren Rücken macht. Dann wechselt sie in das damals renomierte Mädchenpensionat der Herrnhuter Brüdergemeine in Gnadenfrei in Schlesien. In die Gebäude der Schule der Herrnhuter im heute polnischen Pilawa Górna ist ein kleines Museum gezogen. Hier sollen die Briefe Berthas nach dem Druck dieses Buches eine neue Heimat finden.

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Inhaltsverzeichnis

Bertha, kurz vorgestellt

Breslau, Orthopädische Klinik Prof. Klopsch

Die Herrnhuter Brüdergemeine

Die Briefe, kurz vorgestellt

Die Briefe

Briefe aus Breslau 1869

Briefe aus Gnadenfrei 1870

Plan der Erziehungsanstalt für Mädchen

Was ist ein Liebesmahl?

Zeugnis 1870, erstes Halbjahr

Zeugnis 1870, zweites Halbjahr

Zeugnis 1871, erstes Halbjahr

Begleitbrief des Inspektors Paul Nitschmann

Abschiedsbrief des Inspektors Paul Nitschmann

Zeugnis 1871, 2. Halbjahr

Bilderanhang

Die Briefe von Bertha Weiß, geb. Wagner (1855-1935) habe ich für ihre Urururenkel Johanna, Jonas, Mia und Ferdinand abgeschrieben.

Bertha, kurz vorgestellt

Was schreibt uns ein junges Mädchen zwischen 1869 und 1871? In Deutschland fehlten nur wenige Jahre, bis Strom in private Haushalte Einzug hielt. 1880 entdeckte man Glühbirnen. In der Medizin tauchten Röntgenstrahlen auf, mit Elektrizität behandelte man Kopfschmerz, Rheumatismus oder Nervosität. Sigmund Freud erfand die Psychoanalyse.

Die Briefeschreiberin Bertha Wagner, geboren am 17. Februar 1855, nutzte die neuen Erkenntnisse in ihrem Alltag in dem geringen Maße, in dem sie ihr angeboten wurden. Aufgewachsen in der Provinz, herkömmlich konservativ. Die erste Briefserie 1869 von Breslau aus der orthopädischen Klinik in ihre sechzig Kilometer entfernte Heimatstadt Reichenbach schickte sie in eine andere Welt. Später von 1870 bis 1871 – vom Mädchenpensionat in Gnadenfrei beträgt die Entfernung zu ihren Eltern zwölf Kilometer – plant sie eine „große Reise“ in die Heimat.

Berthas Vater führte in Reichenbach ein landwirtschaftliches Gut und eine Seifensiederei. Die Mutter war eine Urenkelin des schlesischen Textilkaufmanns Friedrich Sadebeck1.

Bertha erzählt dem heutigen Leser, welche Lebensinhalte und Gesprächsthemen eine bürgerliche Familie vor einhundertfünfzig Jahren hatte. Vieles hat unser kollektives Gedächtnis längst gelöscht Was sind Kapotte, Streckbett, Astrachan und Oberrüben?

Die Briefe wurden zwischen 1869 und 1871 geschrieben. In großen Städten gab es zu dieser Zeit erste Befreiungsbewegungen von Frauen, die sich für ihre Rechte in Frauenvereinen zusammenschlossen, die für freie Berufswahl, einen Liebhaber, eine Zigarette oder ihr politisches Wahlrecht kämpften.

In dem kleinen Ort Reichenbach war die Zeit noch nicht reif dafür. Die letzten Briefe Berthas zeugen von zaghafter Aufmüpfigkeit, von vorsichtiger Kritik. Die meisten ihrer Schriftstücke zeigen uns ein angepasstes Mädchen mit eigenem Willen aber wenig eigenem Gedankengut. Für sie galten Normen, denen andere versuchten zu entkommen. Der Aufbruch aus dem empfundenen Gefängnis in eine neue Ära zählte zu diesem Zeitpunkt als Privileg gut situierter Großstädterinnen. Was die übrigen jungen Frauen vom Leben erwarteten – das zeigen uns die Briefe der Bertha Wagner.

1 Weiß-Kobayashi, Brigitte: Friedrich Sadebeck. Ein schlesischer Baumwollspinner. Dülmen, 2023

Breslau, Orthopädische Klinik Prof. Klopsch

„Es ist mein Bestreben gewesen, dem Leben aller Pfleglinge in meinem Hause den Charakter eines eng verbundenen Familienlebens zu verleihen, und wie ich hoffe, wird es mir auch ferner gelingen, das zu erreichen, daß meine Pfleglinge nicht die Fremde, sondern eine Heimat in meinem Hause finden und daß sie, abgesehen von der Hülfe, die ihnen die ärztliche Kunst geleistet, die Zeit ihres Aufenthaltes in der Anstalt als eine beglückende und fördernde für Geist und Herz empfinden.“2 So schreibt Emanuel Klopsch 1861 in dem Bericht „Orthopädische Studien und Erfahrungen“ über die Leistungen seiner Breslauer Heilanstalt. Auf einem großzügigen Gelände in der Vorstadt Ohlau waren Krankenstationen mit hellen Zimmern, ein Turnsaal für gymnastische Übungen und Erholungsspiele, außerdem ein Musikzimmer eingerichtet. Ein Garten mit Laubengängen und ein Badehaus mit allen erforderlichen Einrichtungen für warme und kalte Bäder und „Douchen“3 ergänzten die Kuranstalt, in der man vorrangig Verkrümmungen des Rückgrates behandelte.

Eine Patientin dieser Heilanstalt vom Juli bis Oktober des Jahres 1869 war Bertha Wagner aus Reichenbach im Eulengebirge. Ihre regelmäßig an ihre Eltern geschriebenen Briefe überliefern einen Einblick in das Leben und die Behandlungsmethoden in dieser Klinik.

2 Klopsch, Emanuel: Orthopädische Studien und Erfahrungen. Ein Bericht über die Leistungen der orthopädischen Heilanstalt zu Breslau. Breslau, 1861.

3 Duschen

Die Herrnhuter Brüdergemeine

Berthas Briefe von 1870 bis 1871 stammen aus einem Internat in Gnadenfrei. Die Herrnhuter Brüdergemeine unterhielt dort zwei wichtige Erziehungseinrichtungen für Mädchen.

Als protestantische Minderheit hatte die Glaubensgemeinschaft 1742 Zuflucht auf dem Gutsgelände des Ernst Julius von Seidlitz gefunden. Sie gründeten Schulen für Söhne und Töchter der eigenen Gemeinde, deren Eltern als Missionare nach Übersee zogen. Ziel war es, den Kindern eine Ersatzfamilie anzubieten. In Berthas Briefen wird von einem Mädchen erzählt, das Vater und Mutter über achtzehn Jahre nicht gesehen hatte. 1791 errichtete man die erste Mädchenschule in Gnadenfrei. Viele adlige Familien erwarteten von diesem Ort eine Festigung ihrer Töchter zu guten Christen. Die Herrnhuter Bildung war begehrt und teuer.4 Sie barg aber durchaus ihre Schattenseiten: Goethe, Fontane und Kästner lassen Romanfiguren verschlossen und schwermütig von den Herrnhuter Schulen zurückkehren.

Berthas Eltern erhalten ein Schreiben der Schule, in dem eine christliche Erziehung angekündigt wird, in der „die Kinder ihrem Herrn und Erlöser zuzuführen“5 sind. Eine gleichzeitige „wahre Bildung“ in allen erforderlichen Kenntnissen und Fertigkeiten sei der Schule eine gewissenhafte Verpflichtung. Bertha, die 1886 einen protestantischen Pfarrer heiraten sollte, schrieb von eher lästigen Kirchgängen am Wochenende, die ihr doch regelmäßig gefielen. Schwestern-, Kinder-, Ehe- oder Engelsfest sind Herrenhuter Brauchtum zuzuordnen, einengenden Druck üben sie aber auf Bertha Wagner nicht aus.

Das Frauenbild, das beim Lesen der Briefe entsteht, ist weder übermäßig angepasst, religiös orientiert noch frei und kritisch hinterfragend. Im Mittelpunkt der Ausbildung standen nicht nur Handarbeit und Klavierspiel. Als genauso wichtig galten Sprachen, Geschichte, Rechnen und Geografie. Auffallend ist die Einstufung nach Leistung und Vorkenntnissen in verschiedene Klassen. Ein Klassenaufstieg in einem einzelnen Fach bewies immer eine vorangegangene Leistungssteigerung.

Bis in die Gegenwart existieren Internate der Herrnhuter Brüdergemeine. Heute möchte man junge Menschen in ihrer Verschiedenheit begleiten und fördern.

In Gnadenfrei, dem heutigen Piława Górna in Polen, befindet sich nahe des ursprünglichen Herrnhuter „Gottesackers“ in einem Wohnhaus ein eindrucksvolles Museum, bestückt mit allen auffindbaren Dokumenten und Erinnerungsstücken aus der Blütezeit der Herrnhuter Gemeine.

In diesem kleinen Schmuckstück sollen die nachfolgenden Briefe der Bertha Wagner eines Tages eine alte und neue Heimat finden.

4 Gräb, Wilhelm: Ein Herrnhuter höherer Ordnung - Die Spiritualität Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers (1768-1834), Göttingen 2017. Seite 531

5 Aus: Plan der Erziehungs-Anstalt für Mädchen in Gnadenfrei bei Reichenbach in Schlesien, Schnellpressedruck Milisch, Reichenbach, ca. 1870.

Die Briefe, kurz vorgestellt

Berthas Briefe wurden zwischen 1869 und 1871 in Breslau und Gnadenfrei verfasst und nach Reichenbach am Eulengebirge in Schlesien geschickt. Mutter Agnes Wagner, geb. Geier, sammelte und bündelte sie mit einem einfachen Baumwollbändchen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangten sie über Hannover und Oldenburg nach München, um jetzt, etwa einhundertfünfzig Jahre nachdem sie geschrieben wurden, hier in diesem Buch veröffentlicht zu werden.

Die Briefeschreiberin war vierzehn, als sie den ersten Brief an ihre Eltern schickte. Sie war keine Schreibkünstlerin. Am Original ihrer Rechtschreibung wurde nichts geändert, Fehler mehrfach auf ihre Falschheit überprüft. Es gab heute nicht mehr gültige Regeln, welche Bertha nur mäßig beherrschte. Sie ließ „Kaffee“ mit „K“ und „C“ beginnen, „spazieren“ und „spaziren“ wechseln sich gleichbedeutend ab, sie vergaß Wörter, schrieb Eigennamen verschieden. Das „ß“ wurde - auch nach alten Regeln - zu wenig und zuviel gesetzt. Abschnitte und Sätze präsentieren identische Längen. Mit der Zeichensetzung hatte Bertha es nicht leicht. Der ein oder andere Punkt hätte sicher gerne Einzug in ihre Berichte gehalten. Kommata setzte sie abwechselnd nach Regeln oder Gefühl. Neue Sätze begannen kleingeschrieben. Nachträgliche Gedanken wurden abenteuerlich als Quervermerk hinzugefügt. Worte und Buchstaben, die sie vor lauter Schreibfreude vergaß, wurden beim Transkribieren der Texte, wenn inhaltlich erforderlich, [in Klammern] ergänzt.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Legasthenie gab es bereits im 19. Jahrhundert!

Zum leichteren Verständnis der ersten Briefserie sei hinzugefügt, dass Berthas Tante, die sie durch Breslau begleitete, ebenfalls Bertha hieß.

Die Briefe

Briefe aus Breslau 1869

Breslau. Juni 28.69.

Liebe Eltern.

Der erste Sturm ist vorüber, ich habe mich beruhigt und gefügt, Ihr könnt ohne Sorge um mich sein.

Freitag habe ich die erste Flügelstunde bei Frl. Gertrud, einer Tochter der Frau Räthin gehabt. Es hat mir gut gefallen.

Liesel Storch ist ein sehr hübsches Mädchen, ich verkehre mit ihr.

Doch da will ich eben schreiben, das ich gar keine Antwort von zu Hause bekomme, da kommt schon die Tante Bertha6 und bringt Briefe, ach welche Freude, ich habe fast geweint. Ach schreibt mir doch recht oft, ich war schon ganz niedergeschlagen, doch die Briefe haben mich wieder gehoben. Ich kümmere mich um die Andern wenig, es fängt mir schon an zu gefallen.

Den Elementarunterricht setze ich aus, daß ist nichts für mich. Ach Papa da habe ich Dich gewiß in Verlegenheit versetzt, ich habe schon die zweite Flügelstunde gehabt und der Flügelunterricht ist sehr theuer. Ich habe noch einmal ganz von vorn angefangen.

Ach wenn ich nur keinen Geradehalter7 bekäme, denn da kann ich kein gutes Kleid mehr anziehen, die Riemen und Knöpfe reiben Löcher in die Kleider.

Das Turnen und Douchen8 ist sehr angenehm.

Tante Bertha hat mit Frau Räthin gesprochen wegen einem Streckbett sie will auch auf die Sauberkeit und auch auf das Brauchbare sehen sollte es nicht mehr so gut sein, so wird es Frau Räthin gar nicht kaufen.

In 4 Wochen kommt Herr Rath auf unsere Stube und untersucht uns Alle.

Ach Papa, adressiere doch nächstens die Briefe an mich das ist viel überraschender.

Ihr würdet Euch gehörig wundern, wenn Ihr hörtet was Eure Tochter schon in Breslau gesehen hat, sie ist nämlich mit der Tante in der Kunstausstellung gewesen, ach Papa so etwas Prächtiges hast Du gewiß noch nicht gesehen. Diese Menge an kostbaren Gemälden, sie sind aber auch schrecklich theuer.

Am Sonntag war ich mit der Tante in Zädlitz9, daß ist ein reizender Weg. Ihr werdet aber doch nicht glauben ich verschleudere mein Geld, o nein ich weiß ja daß es dem Papa nicht aus dem Aermel fällt. Ich habe 6 Groschen in der Kunstausstellung bezahlen müßen, in Zädlitz dagegen habe ich nicht einen Heller ausgegeben. Ich werde jetzt sehr sparsam sein. Wünsche habe ich nicht, nur den einen, gesund zu sein.

Freitag oder Sonnabend zieht die Tante aus.

Es sind schon wieder 5 neue Mädchen angemeldet, die in die Anstalt kommen.

Jetzt ist das Papier zu Ende. Seid mir Alle herzlich gegrüßt von

Eurer dankbaren Bertha

Breslau. Jul. 6.69.

Liebe Mutter!

Wundre Dich nur nicht, daß Du heut schon wieder einen Brief erhältst, aber ich hatte verschiedenes im vorigen Briefe weggelassen.

Vergiß mir nur nicht zu schreiben wenn Du mir die Wäsche schickst und wenn ich sie abholen kann.

Mein dickes braunes Jacket, brauche ich hier gar nicht, und auf dem Boden kommen mir Motten hinein, im Schrank wird es zerdrückt, Die Tante hat auch Motten, so werde ich es Dir mit der nächsten Wäsche zurück schicken. Schicke mir nur meine bunten Strümpfe, die weißen mache ich mir beim Douchen so fleckig.

Ich werde überhaupt mehreres, was ich gar nicht brauche zurückschicken.

Das Streckbett ist in dieser Hitze recht lästig. Ich habe mir jetzt die Steppdecke, weil sie so abfärbte mit der rothen Züche10 überzogen. Ich habe mir auch ein Bettuch zum Douchen nehmen müssen, Ich glaube aber es wird von der Nässe fleckig werden, da kein so feines nöthig ist, willst Du da so gut sein und mir ein stärkeres schicken?

Die Tante ist jetzt ausgezogen, sie hat aber die Wohnung schon wieder gekündigt, und sich eine andere angesehen. Sie hat nämlich blos ein kleines Eckchen Keller, in den Zimmern hat sie sonst mehr Platz als in der alten Wohnung.

Am Sonnabend ist die Tante auf der Straße über einen Kirschkern gefallen und sich das Kniee verletzt, auch den Schnupfen hat sie sehr bekommen. Ach wenn ich nur keinen Geradehalter bekäme, das ist eine furchtbare Plage, der Körper wird so schrecklich zusammengepreßt, und ich behaupte er nützt nichts im Gegentheil die Mädchen klagen hier über Brustschmerz und Magenleiden, außerdem ist so eine Maschine schrecklich theuer (6 rth.11) und reibt Löcher in die Kleider. Nächsten Mittwoch will die Tante mein Streckbett bezahlen.

Sollten wir Mittwoch noch die Partie nach Zädlitz machen, so gehe ich nicht mit, denn wir sollen die Pflegerinnen und Frau Klopsch freihalten, (daß ist doch unverschämt) außerdem bin ich mit der Tante schon dort gewesen. Auch in das Theater werde ich nicht mitgehen, da müßen wir auch Frau Klopsch freihalten.

Auf das Turnen wird auch nicht viel Werth gelegt, da muß ich mir selbst große Mühe geben.

Ich habe schon an M. Winter, H. Bauer und C. Kurtze geschrieben.

Das Gemüse schmeckt mir jetzt köstlich, Wir hatten heut Oberrüben12, die schmeckten sehr gut.

Die Mädchen haben ein schreckliches Geklatsche untereinander, Liesel Storch und ich sind immer das Thema. Sonntag ist es schrecklich langweilig hier, ich bin bis jetzt immer Sonntag und Mittwoch von der Tante abgeholt worden.

(Bitte schicke doch den beifolgenden Brief an Martha Wagner.)

[Nachträglich hinzugefügt:] ich habe ihn nicht fertig bekommen.

Den nächsten Brief adreßiert mir an mich. Munter seid Ihr doch Alle? Ich bin es auch. Nun leb wohl und schreibe mir recht bald einen langen Brief. Frau Klopsch spricht, wir schreiben zu viel.

Deine

dankbare Tochter

Bertha

Meine Adresse:

An ......

in der orthopädischen Heilanstalt.

Breslau, Tauentzienstraße 13.67

Quer (1): Sage doch Anna, sie soll meinen Fischen alle drei Wochen frisches Wasser geben.

Liebe Mutter!

Donnerstag werde ich die Wäsche schicken, es wohnt eine Frau in der Tantes Hause, die wird mir den Koffer auf die Karlsstraße tragen und wieder abholen. Mittwoch gehe ich zu Tante und laße mir den Schlüßel einsiegeln.

(Mein Kleid bekomme ich diese Woche bestimmt.) Frau Knote hat mir bei der Tante Maaß genommen. Mein Sonnenschirm ist schon gemacht, es hat blos fünf Sgr13. gekostet, und es ist sauber gemacht. Das grüne und das blaue Kleid habe ich in den Korb gelegt, da ist es sehr gut aufgehoben, wenn ich das blaue Kleid nach Hause schicken wollte, so würde es sehr zerdrückt werden, es liegt jetzt ganz schön auch meine andern Kleidern. Ich ziehe mich sehr einfach an. Am Sonntag waren wir im Dom, da habe ich das lila Kleid angezogen. Die andern Mädchen haben gar nicht so viel Kleider als ich. Jetzt habe ich einen Bettschub zu meiner Wäsche, aber es wird eine Kommode frei, die bekomme ich.

Wundre Dich nur nicht über die rothen Flecke in meiner Nachtjacke, sie sind von meiner Steppdecke, die färbt ab. Tante Bertha hat ein Säckchen Federn in meinen Koffer gelegt, sie sind für Tante Marie14.

Laß Dir nur nicht bange werden, wenn es heißt ein Streckbett, es ist gar nicht so schrecklich.

Nun leb wohl und sei herzlich gegrüßt von Deiner dankbaren

Tochter

Bertha

Jetzt eben habe ich mein Kleid bekommen, es paßt mir gut, es ist ein Rock, eine Taille, ein Jacket ohne Aermel und Gürtel und Schrägen, es kostet 2 rth, 19 sgr.

Breslau, Juli 10.69.

Liebe Mutter!

Als ich am Mittwoch bei der Tante war, erschreckte mich Dein Brief sehr, weil ich von nichts wußte und Du glaubtest, der Koffer wäre entwendet worden. Hast Du jetzt den Koffer empfangen, ich glaube, das starke Bettuch ist darin, in welches meine Betten eingepackt waren.

Da ich mit meinen Strümpfen und Taschentüchern nicht reiche, hat mir Tante eine gewiße Frau Schäfer vorgeschlagen, sie hat für Tante auch schon gewaschen, da habe ich 3 Paar Strümpfe, 6 Taschentücher und ein Paar Turnhosen zum Waschen gegeben. ich werde es wohl nächste Woche wieder bekommen. Schicke mir nur die Wäsche bald. Wenn ich den Koffer werde erhalten haben schicke ich ihn gleich wieder mit beschmutzter Wäsche zurück, schreibe mir nur bestimmt welchen Tag Du ihn mir schickst, am liebsten wäre es mir Donnerstag.

Einen Geradehalter habe ich noch nicht, aber auch selbst die, welche weit weniger schief sind als ich tragen einen, in vierzehn Tagen bei der nächsten Untersuchung, werde ich wohl einen bekommen sagen die Pflegerinnen und wer sich weigert, das Vorgeschriebene zu thun, wird aus der Anstalt entlaßen.

Liebe Mutter daß Du glaubst, ich könne dabei sein oder mitgehen wenn die Frau Bäcker mir den Koffer fortträgt, begreife ich nicht, ich darf ja nicht ausgehen, und es nützte mir auch nichts, den Fuhrmann selbst kann ich nicht sprechen und es muß ja der Wächterin über die übrigen Sachübergaben [berichtet] werden, dieselbe wird jetzt schon darauf achten, daß der Koffer mit abgeht und an wen er kommt. Das erste Mal ist der Frachtbrief verloren gegangen, da hat man nicht gewußt wo er hingehört.

Um die andern Mädchen kümmre ich mich nicht. Elisabeth Storch, ist gar nicht so gebildet, und ein reiner Engel wie sie vorher geschildert wurde im Gegentheil sie ist etwas oberflächlig und latschig, doch ist sie noch die einzige mit der ich verkehren kann, innig an sie angeschloßen habe ich mich nicht.

Der Reisekorbe steht in meiner Kammer ich habe noch die neuen Schuhe darin und das dicke Jacket, was [ich] früh anziehen sollte darin, dann mein grünes, blaues und mein Pique15 liegt auch ganz sorgfältig zusammen gelegt darin. Das weiße Tischtuch kann ich mir wohl hier behalten? ich habe es über die Kleider im Korbe gedeckt.

Die braune Serviette werde ich mit der nächsten Wäsche zurückschicken. Da[s] lila Kleid und meine Unterröcke und Leinwandkleid hängen auch auf der Kammer ganz gut aufgehoben, mein[e] Kleider die ich alle Tage brauche hängen im Schrank, welcher im Entree steht.

Jetzt zum 15ten gehen einige Mädchen ab, da bekomme ich eine ganze Komode, die ist zum verschließen. Die Briefe kannst Du ruhig an mich adressiren die lese ich nur allein. Beim Schreiben muß ich mich sogar verstecken, damit mich Frau Klopsch nicht sieht sonst giebt es einen Verweis, das Schreiben ist meiner Kur nachtheilig und die Zeit ist mir so eingetheilt, daß sie mir oft zu kurz wird. Ihr könnt ohne Sorge sein die Briefe sieht kein anderes Auge da kann ich euch versichern.

Liebe Mutter,

Ich bin ganz zufrieden mit der Kiste und dem Wäsche schicken, doch das Du den Koffer noch nicht empfangen hast wundert mich sehr ich habe ihn Donnerstag mit dem Fuhrmann geschickt und die Tante sagte der Fuhrmann wäre Donnerstag von Breslau fortgefahren. Also muß er doch schon Freitag in Reichenbach angekommen sein. Wenn ich nur den Hänger und überhaupt die Wäsche schon Donnerstag wieder bekäme ich brauche den Hänger, das nächste Mal habe ich einen weißen Unterrock und das gestreifte Leinwandkleid beschmutzt. Wenn ich die Wäsche Donnerstag bekomme werde ich sie Montag wieder mit dem Fuhrmann schicken. Schreibe mir nur die Adresse vom Letzner, dann wird doch Alles pünktlich besorgt werden.

Ach Sonntag ist es schrecklich langstielig hier, ich weiß nicht was ich anfangen soll, die Mädchen sind alle fortgegangen, selbst Liesel Storch ist nicht zu Hause. Wenn ich nur die Gartenlaube16 hätte und mehr zu lesen.

Ach wenn ich doch nicht schief wäre, und es hier nicht so viel Geld kostete. Papa kann gewiß nicht, was er sich vorgenommen hat bis zu der und der Zeit nicht bezahlen, weil ich hier so viel koste.

Nun lebt wohl und seid herzlich gegrüßt von

Eurer

dankbaren Tochter Bertha

Drei Monate muß ich gewiß hier bleiben. Wenn nur Papa später einmal nach Breslau käme und mich noch einmal untersuchen ließe und dann den Herrn Profeßor früge, wann ich fort kann.

Ich schlafe mit drei Mädchen in einer zweifenstrigen Vorderstube. Ich habe mit zwei Mädchen einen Schranke zusammen, zur Wäsche zwei Bettschübe, das sind große Kasten die unter den Betten stehen. Dann haben wir einen großen Kleiderrechen17 darüber ist ein Vorhang gezogen, jedes Mädchen hat einen bestimmten Nagel an dem Rechen, wo wir uns Unterröcke hinhängen. Auf der Kammer haben wir auch Nägel zum aufhängen.