Evangelische Publizistik – wohin? -  - E-Book

Evangelische Publizistik – wohin? E-Book

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Beschreibung

Die Kirche hat einen öffentlichen Anspruch. Auch im heutigen Deutschland, in dem weniger als die Hälfte der Bevölkerung noch einer Kirche angehört. In einer Gesellschaft, die durchdrungen ist von einer noch nie dagewesenen medialen Vielfalt. Welche Perspektiven hat die evangelische Publizistik unter diesen Bedingungen? Wie kann die christliche Botschaft und das kirchliche Handeln außerhalb der Kirchenmauern wahrgenommen werden? Und für wen und warum ist das eigentlich wichtig – außer für die Kirche selbst? Der 100. Geburtstag der mitteldeutschen Kirchenzeitung Glaube+Heimat ist der Anlass, den Blick weit über Mitteldeutschland hinaus schweifen zu lassen und vor dem Hintergrund einer langen Tradition der evangelischen Publizistik nach ihrer Zukunft zu fragen.

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Reinhard Mawick, Willi Wild (Hrsg.)

EVANGELISCHE PUBLIZISTIK – WOHIN?

Geschichte, Beispiele und Zukunft kirchlicher Medienarbeit

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2024 by Wartburg Verlag GmbH, Weimar

Printed in Germany

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Das Buch wurde auf alterungsbeständigem Papier gedruckt.

Gesamtgestaltung: Anja Haß, Leipzig

Bildnachweis: Covermotiv John Towner/unsplash.com und vladystock/iStockphoto.com, Seiten 1, 2, 19, 85, 129: vladystock/iStockphoto.com

Druck und Bindung: CPI books GmbH

ISBN 978-3-86160-595-9

eISBN (E-Pub) 978-3-86160-596-6

www.wartburgverlag.de

Publizistik ist, wie Geisendörfer es ausdrückte, ein „Mittel der Freiheit“. Den Freiraum journalistischer Arbeit in der Kirche zu sichern, sollte daher ein gemeinsames Anliegen sein. Geisendörfer war der Meinung, „dass eine solide, seröse, sachgemäße und kritische Publizistik eine wesentliche Voraussetzung für Kirche in dieser Zeit ist“.

Willi Wild

INHALT

GELEITWORT

Volker Jung

VORWORT

Reinhard Mawick, Willi Wild

EVANGELISCHE PUBLIZISTIK

IN VERGANGENHEIT, GEGENWART UND ZUKUNFT

ANFANG UND ENDE ODER UMGEKEHRT

Eine kurze Geschichte der evangelischen Publizistik

Roland Rosenstock

CHRISTLICHER GLAUBE UND DIGITALITÄT

Dass sich Kirchen auf die digitale Transformation angemessen einlassen, ist ein Zeichen ihrer Liebe zur Welt

Ilona Nord, Thomas Schlag

DIE VIELFALT DER NISCHEN

Eine Bestandsaufnahme vom Wort zum Sonntag bis zur Ohrenweide

Jörg Bollmann

EVANGELISCHE PUBLIZISTIK 2040

Eine Vision

Florian Höhne

DIE EVANGELISCHE KIRCHE BRAUCHT PUBLIZISTIK

Ein medienpolitischer Zwischenruf

Udo Hahn

EVANGELISCHE PUBLIZISTIK –

CHANCEN UND PERSPEKTIVEN IN EINER SÄKULAREN MEDIENGESELLSCHAFT

GEMEINNÜTZIGER JOURNALISMUS

Über das Onlinemagazin sonntagsblatt.de und die Digitalisierung des Medienhauses EPV

Rieke C. Harmsen

#ABENDSEGEN

Entstehung und bisherige Entwicklung einer neuen Segensform

Cornelia Egg-Möwes

BRAUCHEN WIR KIRCHLICHEN JOURNALISMUS ODER KANN DAS WEG?

Eine Auseinandersetzung mit Ansprüchen und Realitäten des kirchlichen Journalismus

Jan Lemke

AUCH DAHIN GEHEN, WO ES WEHTUT

Evangelische Publizistik muss unbequem und unabhängig bleiben

Arnd Henze

EVANGELISCHE PUBLIZISTIK KONKRET –

DIE KIRCHENZEITUNG „GLAUBE+HEIMAT“

MEHR ALS WARTBURG UND WALD

Einleitung zum 100. Jubiläum von „Glaube+Heimat“

Sebastian Kranich

DAS JAHR 1924

Die Gründung der Thüringer evangelischen Kirchenzeitung „Glaube+Heimat“

Christine Lieberknecht

„HERR, SEGNE UNSEREN GELIEBTEN FÜHRER!“

Die Kirchenzeitung „Glaube+Heimat“ in der Zeit des Nationalsozialismus

Jochen Birkenmeier

„GLAUBE+HEIMAT“ IN DER DDR

Die Thüringer Kirchenzeitung zwischen 1946 und 1987

Karl-Christoph Goldammer

GEMEINSAM STARK

„Glaube+Heimat“ war nicht allein: Die Zensur vor der Friedlichen Revolution auf dem Höhepunkt

Bettina Röder

EIN KIND DER FRIEDLICHEN REVOLUTION

Wie „Benjamin“, die erste evangelische Zeitschrift für Kinder in Deutschland, aus „Glaube+Heimat“ hervorging

Bettina Röder

2024 – PFADFINDER IN DER DIGITALEN MEDIENWELT

Die Perspektive der Kirchenpresse in Mitteldeutschland

Willi Wild

NACHWORT

Joachim Liebig

GELEITWORT

Volker Jung

Warum muss Kirche einen eigenen Pressedienst haben? Warum macht Kirche ein Magazin wie chrismon? Warum gibt es eigene Kirchenzeitungen mit unabhängigen Redaktionen? Warum eine Plattform wie evangelisch.de? So bin ich vor einiger Zeit in einer Diskussion gefragt worden. Begründet wurden die Fragen so: Kirche muss verkündigen und für ihr Wirken Öffentlichkeitsarbeit machen. Kirche soll Menschen für den Glauben und die Mitgliedschaft in ihrer Organisation gewinnen. Evangelische Publizistik, so wurde argumentiert, leiste das nicht. Sie berichte zwar über Kirche und ihre Themen, sie tue dies aber mit Abstand und in journalistischer Freiheit. Wenn es hart auf hart kommt und die Mittel weniger, sei das, vom kirchlichen Grundauftrag her betrachtet, entbehrlich. Über diese und ähnliche Fragen wird zurzeit diskutiert, und vermutlich werden diese Diskussionen in den nächsten Jahren zunehmen.

Wie kann eine Gegenposition aussehen? Ja, Publizistik darf keine kirchliche „Hofberichterstattung“ sein. Sie hat sogar den Auftrag, die eigene Organisation kritisch zu begleiten. Gerade darin hat sie eine eigene Legitimation und schlägt eine Brücke in den gesellschaftlichen publizistischen Raum. Sie ist nicht nur kritische Begleiterin der eigenen Institution, sie ist auch kritische Begleiterin der Gesellschaft in christlicher Perspektive. Dies hat einen wesentlichen Grund in der kirchlichen Botschaft selbst und damit in einem sehr viel weiter zu fassenden Verständnis von Verkündigung. Das Evangelium, die frohe Botschaft von der Liebe Gottes zu allen Menschen, ist eben nicht nur Botschaft für die persönliche Seele. Es ist auch eine Botschaft mit einer gesellschaftlichen und damit politischen Bedeutung. In diesem Sinn ist evangelische Publizistik ein Beitrag der Kirche zur Gestaltung der Gesellschaft, und zwar zu einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft.

Der Nestor der evangelischen Publizistik, der bayerische Pfarrer und Begründer des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik Robert Geisendörfer, hat dies einmal so gesagt: „Fürsprache üben, Barmherzigkeit vermitteln und Stimme leihen für die Schwachen“. Dazu sollten „keine frommen Sprüche produziert werden, sondern Journalismus“. Das Grundanliegen stimmt auch noch heute. Allerdings ist die publizistische Welt vielfältiger geworden. Was das bedeutet, dem geht dieses Buch in seinen verschiedenen Beiträgen nach. Ich danke allen sehr, die dieses Buch konzipiert haben und Texte verfasst haben. Es ist ein wichtiger Beitrag in einer Zeit, in der evangelische Publizistik nötiger denn je, aber alles andere als selbstverständlich ist.

Dr. Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), ist seit 2015 Vorsitzender des Aufsichtsrates des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik (GEP).

VORWORT

Reinhard Mawick, Willi Wild

100 Jahre sind eine lange Zeit, in 100 Jahren kann viel passieren, und 100 Jahre alt wird in diesem Jahr „Glaube+Heimat“, die Mitteldeutsche Kirchenzeitung. Das wird tüchtig gefeiert. Und dieses Buch ist ein gewichtiger Teil dieses Feierns, denn in ihm wird die wechselvolle Geschichte von „Glaube+Heimat“ dargeboten: eine Geschichte mitten in Deutschland – durch die Anfänge in der Weimarer Republik, die Bedrohungen, Abgründe und Anfechtungen der Nazizeit, den Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg, den langen Jahrzehnten der DDR, die gegen Ende besonders stürmische Entwicklungen brachten, bis in die heutige Zeit. Wir sagen herzlichen Glückwunsch!

Diese wechselvolle Geschichte bildet den zweiten Teil dieses Buches (ab Seite 130). Im ersten Teil hingegen geht es um das Phänomen evangelische Publizistik im Allgemeinen und teilweise auch im Speziellen. Autorinnen und Autoren aus Wissenschaft, Praxis und Kirchenleitung geben einen Einblick in den Stand des Denkens und des Tuns evangelischer Medienarbeit. Dass im Rahmen dieser publizistischen Gelegenheit jeweils nur kleine Ausschnitte beleuchtet werden können, versteht sich von selbst. Aber wir sind der Auffassung, dass Größe und Komplexität eines Phänomens nicht davon abhalten dürfen, mit einer Durchdringung anzufangen.

Den Beginn macht Roland Rosenstock, indem er die Geschichte darbietet oder besser, skizziert, denn im Rahmen dieses Buches ist es natürlich lediglich „Eine kurze Geschichte der evangelischen Publizistik“. Deutlich länger und ausführlicher hat er dies vor mehr als zwanzig Jahren in seiner voluminösen Dissertation „Evangelische Presse im 20. Jahrhundert“ niedergelegt. In seinem Beitrag hier geht es besonders darum, neben den wichtigsten Entwicklungen aus über einhundert Jahren die Frage nach dem Selbstverständnis der evangelischen Publizistik zu stellen. Rosenstock sieht nämlich mehr und mehr das in Gefahr, was für ihn das Herzstück evangelischer Publizistik ist: einen kritischen Journalismus aus protestantischem Geist, der für sich den Anspruch erhebt, auch gegenüber seiner Kirche und deren Leitungsgremien Objektivität und Unabhängigkeit zu wahren. Deswegen hat er seinen Rückblick in eine aktuelle Problemanalyse eingebettet (Seite 20).

Neue Entwicklungen reflektieren Ilona Nord und Thomas Schlag. Da Religion ohne mediale Vermittlung und damit ohne Medien nicht möglich sei, ist „die religiös-mediale Praxis (…) immer auch ein Kind der jeweiligen medialen Logiken und Möglichkeiten der Zeit“, schreiben die Autoren in ihrem Beitrag. Sie gehen dann der Frage nach dem „beziehungsorientierten, lebensdienlichen und theologischen Tiefensinn unter der Benutzer:innenoberfläche“ in unserer von digitalen Medien und Kommunikationsweisen geprägten Gegenwart nach – auch in einer Auswertung und Analyse medialer und religiöser Erfahrungen im Zuge der Corona-Pandemie (Seite 36).

Jörg Bollmann, langjähriger Geschäftsführer und Direktor des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik, gibt einen Einblick in die große Fülle der evangelischen Publizistik. Er erinnert in seinem Beitrag an besonders gelungene Bündelungen von Reichweite, die seines Erachtens unerlässlich sind, um in der Nische, die evangelische Publizistik im gesamtgesellschaftlichen Medienkonzert und -geschehen immer ist, wahrgenommen zu werden, denn: „Was früher die Dächer waren, unter denen sich Menschen versammelten, sind in der modernen Gesellschaft die Medien, die ihre Wirkung in der Welt des 21. Jahrhunderts mehr und mehr online entfalten“ (Seite 47).

Die Frage nach der DNA evangelischer Publizistik treibt Florian Höhne um. Zwar könne die Gegenwartsdiagnose dazu verleiten, „verführt vom morbiden Charme des Zynismus (…) die Zukunftsvision der evangelischen Publizistik eher in Schwarz- und Grautönen“ zu zeichnen. Doch dies sei unangemessen, meint Höhne denn evangelische Publizistik gehöre „essenziell“ zur Kirche dazu. Er sieht sie als Ausdruck einer Bildungsarbeit, „die Menschen hilft, sich über kirchliches und politisches Leben, über ethische Fragen und historische Umstände zu informieren, sich eine Meinung zu bilden und an (kirchen-)politischen Diskussionen teilzuhaben.“ Außerdem könne evangelische Publizistik inmitten der zuweilen düsteren Welt säkularer Medien Hoffnung stiften, indem sie das Konzept des „konstruktiven Journalismus“ vertrete – wofür es hoffnungsvolle Beispiele gebe (Seite 60).

Diesem Anliegen fühlt sich auch Udo Hahn verpflichtet, der in seinem „Zwischenruf“ noch einmal auf die Bedeutung einer funktionierenden Publizistik für die nach innen wie nach außen gerichtete Wirksamkeit der Kirche verweist. Dass die Publizistik materiell im Raum der Kirche seit jeher kurzgehalten wird, sieht der Autor kritisch. Über keine anderen Handlungsfelder erreiche die Kirche so viele Menschen wie über Bildung und Publizistik. Aber: „Verfolgt man die Debatten um die finanzielle Ausstattung dieser Bereiche, so scheint sich die Kirche dieses Werts der Reichweite nicht bewusst zu sein. Oder diesen für das kirchliche Wirken in der Gesellschaft nicht für wichtig zu halten. Beides wäre fatal“ (Seite 76).

Die digitale Transformation, die Ende des 20. Jahrhunderts begann und in diesem Jahrhundert immer rasanter an Fahrt gewinnt, führt immer mehr dazu, dass sich kirchliche Medienhäuser völlig neu aufstellen und gruppieren müssen. Rieke C. Harmsen war von Beginn an an der Digitalisierung des Medienhaues der bayerischen Landeskirche maßgeblich beteiligt. Harmsen schildert diesen Prozess anhand der Entwicklung von sonntagsblatt.de und zeigt die Komplexität auf, die eine konsequente Digitalisierung nach sich zieht. Zum anderen betont sie, dass diese „journalistisch professionelle und unabhängige Plattform (…) einen wichtigen Beitrag für Demokratie, Frieden und Zusammenhalt in der Gesellschaft“ leistet (Seite 86).

Während der Corona-Pandemie musste sich das kirchliche Leben über Nacht auf neue Formate umstellen. Es ist noch zu früh, eine wirkliche Bilanz zu ziehen, was diese Verunmöglichung direkter Begegnung und direkter Präsenz für Folgen zeitigen. Aber die bayerische Pfarrerin Cornelia Egg-Möwes berichtet von der medialen Erfolgsgeschichte ihres #abendsegen, der, aus der Corona-Not geboren, bis heute für Tausende zum geistlichen Leben gehört (Seite 100).

Dass sich Kirchenleitende häufig über Berichte kirchlicher Medien ärgern, kann nicht verwundern. Auch nicht, dass es deswegen unter ihnen zuweilen die Meinung gibt, es müsse ungebundenen Journalismus im Raum der Kirche nicht geben. Der Jurist Jan Lemke macht die Probe aufs Exempel und stellt sich als Präsident des Kirchenamtes der EKM die Frage „Brauchen wir kirchlichen Journalismus oder kann das weg?“ Er kommt zu einem klaren Ergebnis, das unter anderem geprägt ist von seiner Funktion als ehrenamtlicher Vorstandsvorsitzender des Evangelischen Presseverbandes in Mitteldeutschland (EPVM) (Seite 107).

Von einer anderen Seite erörtert der Journalist Arnd Henze das Thema: Für ihn ist es völlig klar, dass evangelische Publizistik unbequem sein und bleiben muss. Henze fordert vor diesem Hintergrund sogar den Aufbau einer zentralen Rechercheeinheit für den Kirchenjournalismus und zwar in Gestalt einer „Recherche- und Hintergrundredaktion unter dem Dach des epd“. Seiner Ansicht nach ist es die vordringliche Aufgabe kirchlich verantworteter journalistischer Medien, auch zukünftig „eine relevante und unverzichtbare Stimme im säkularen öffentlichen Raum“ zu bleiben, denn „(a)ls solche“ werde sie „mehr denn je gebraucht“ (Seite 117).

Dann sind wir beim Geburtstagskind angekommen: der 100-jährigen Wochenzeitung „Glaube+Heimat“, deren Geschichte, deren Wohl und Wehe die zweite Hälfte dieses Buches gewidmet ist. Zum Auftakt dieses Teils findet Sebastian Kranich in seinem Streifzug durch die Zeitungsgeschichte ein schönes Zitat: „Eine Kirchenzeitung unterscheidet sich von einem Blatt, das sich auf den sogenannten erbaulichen […] Typ beschränkt, dadurch, daß sie zugleich ein Fenster der Kirche zur Öffentlichkeit hin ist.“ Dies galt sicher 1946, dem Jahr des Zitates, wie es auch heute noch gilt (Seite 130).

Ganz persönlich von ihrer Familiengeschichte ausgehend, beleuchtet die Pfarrerin und ehemalige Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht das Gründungsjahr 1924 und die Verhältnisse samt Zeitgeist damals in und um Thüringen (Seite 135). Daran knüpft der Historiker Jochen Birkenmeieran, der die Geschichte von „Glaube+Heimat“ in der Zeit der Naziherrschaft von 1933 bis 1945 betrachtet. Was der Autor dabei an nationalistischem und antisemitischem Ungeist im Raum der Kirche zutage fördert, ist erschütternd (Seite 151).

Den Neubeginn von „Glaube+Heimat“ nach dem Zweiten Weltkrieg in der Sowjetischen Besatzungszone und die fast vier DDR-Jahrzehnte zeichnet Karl-Christoph Goldammer nach. Er findet dabei ganz unterschiedliche Phasen des Mit- und Gegeneinanders zwischen Kirche und realsozialistischem Staat. Dabei ergründet er, dass personelle Kontinuitäten zur Nazizeit leider keineswegs die Ausnahme blieben (Seite 173).

Im Jahr 1988 wurde es dann sehr konfliktträchtig zwischen Kirche, Kirchenzeitung und DDR-Regime. Häufig mussten Kirchenzeitungen mit weißen Flecken erscheinen, die die Zensur erzwang. Die Journalistin Bettina Röder kann da aus ihrer Erfahrung als engagierte Beteiligte und Zeitzeugin berichten. Ebenso wie in einem weiteren Beitrag über die Geschichte der Kinderzeitschrift „Benjamin“, einem Kind der Friedlichen Revolution in der DDR, das später verlegerisch nach Stuttgart auswanderte (Seite 219 bzw. 234).

Schließlich kommt Willi Wild, der Chefredakteur der Jubilarin „Glaube+Heimat“, zu Wort, der über die vergangenen Jahre der traditionsreichen Kirchenzeitung schreibt und dabei auch über die bemerkenswerte digitale Transformation derselben. Diese schlägt sich in besonderer Weise in einer Kommunikationsplattform mit Gemeindebriefportal nieder, einem Joint Venture der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) mit der zum Wartburg Verlag gehörenden Kirchenzeitung. Dieses Projekt ist deutschlandweit einmalig, es erweckt den „heimlichen Riesen“ Gemeindebrief zu neuem Leben und befeuert die Kommunikation auf den unterschiedlichen kirchlichen Ebenen bis zur Basis in den Kirchengemeinden sowie die journalistische Kreativität (Seite 238).

Die Herausgeber sind dem Wartburg Verlag dankbar, dass er es ermöglicht, anlässlich des runden Geburtstags von „Glaube+ Heimat“ diese Themensammlung zur evangelischen Publizistik im Jahre 2024 als Buch an die Öffentlichkeit zu bringen. Natürlich sind wir uns bewusst, dass dies nur ein kleiner und subjektiv gewählter Ausschnitt eines weiten Feldes ist. Aber dieses Feld, die evangelische Publizistik, ist in ihrem Bestand gefährdet und in ihrem Selbstverständnis unklar. Mögen die Beiträge dieses Bandes eine Diskussion über den weiteren Weg der evangelischen Publizistik im 21. Jahrhundert befördern – im Raum der Kirche und gerne auch darüber hinaus.

Berlin/Weimar, im Februar 2024

Reinhard Mawick ist seit 2014 Chefredakteur des Monatsmagazins „zeitzeichen – Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft“. 2009–2014 war er Pressesprecher der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), zuvor war er bei der Wochenzeitung „Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt“ und beim evangelischen Magazin „chrismon“ tätig.

Willi Wild ist seit 2015 Chefredakteur der Mitteldeutschen Kirchenzeitung „Glaube+Heimat“ sowie seit 2017 Geschäftsführer des Evangelischen Presseverbandes in Mitteldeutschland (EPVM).

EVANGELISCHE PUBLIZISTIK

IN VERGANGENHEIT, GEGENWART UND ZUKUNFT

ANFANG UND ENDE ODER UMGEKEHRT

Roland Rosenstock

CHRISTLICHER GLAUBE UND DIGITALITÄT

Ilona Nord, Thomas Schlag

DIE VIELFALT DER NISCHEN

Jörg Bollmann

EVANGELISCHE PUBLIZISTIK 2040

Florian Höhne

DIE EVANGELISCHE KIRCHE BRAUCHT PUBLIZISTIK

Udo Hahn

ANFANG UND ENDE ODER UMGEKEHRT

EINE KURZE GESCHICHTE DER EVANGELISCHEN PUBLIZISTIK

Roland Rosenstock

I. Das Ende

In einer Festschrift im Jahr 2012 veröffentlichte der Jurist Hans Ulrich Anke, seit 2010 und bis heute Präsident des Kirchenamtes der EKD, einen Text, der den Auftrag und die Funktion der evangelischen Publizistik für die evangelische Kirche in einer umfassenden Kritik des Mandatsbegriffs des publizistischen Gesamtkonzeptes von 1997 neu definierte: „Die“ evangelische Publizistik gebe es nicht. Und was als evangelische Publizistik bezeichnet werde, diene der geistlichen Dimension des kirchlichen Verkündigungsauftrags, lenke die Aufmerksamkeit auf persönlich verantwortete Glaubenszeugnisse und trage zur Vergewisserung in geistlichen Fragen bei.1

Der Widerspruch des leitenden EKD-Kirchenjuristen richtete sich offen gegen das Paradigma einer journalistischen Unabhängigkeit. Die Funktion eines kritischen Gegenübers zur verfassten Kirche als Institution wird für all die Formen der evangelischen Publizistik abgewiesen, die aus Kirchensteuermitteln finanziert werden und dem aufsichtsrechtlichen Handeln der verfassten Kirche unterstehen: Das Mandat werde von der jeweils rechtlich verfassten Kirche erteilt.

Sehr deutlich formuliert Anke, dass Neutralität, Distanz und Kritik gerade nicht zum Mandat dazugehörten, allerdings „verlässliche und kreativitätsförderliche Spielregeln“ gewährt werden müssten. Unmissverständlich betont er die Deutungsmacht der rechtlich verfassten Kirche, wenn er schreibt, dass von kirchlich getragenen Formaten evangelischer Publizistik erwartet werde, dass sie „auf die Botschaft der Kirche“ setze, statt „auf Nachrichten über die Kirche“.

Im Blick auf kirchliche Unternehmen, zum Beispiel das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP), forderte Anke, bis heute Mitglied im Aufsichtsrat des GEP, den „Grundsatz von Firmenwahrheit und Firmenklarheit“. Seine Begründung: Nutzer dieser publizistischen Angebote erwarteten eine „Einladung zum Glauben“ und eine „verlässliche Orientierung“, die in „Kohärenz mit den öffentlichen Verlautbarungen der Kirche“ stehen müssten, da die Evangelische Kirche als „Überzeugungsgemeinschaft“ identifizierbar sein müsse. Der Neuformulierung eines publizistischen Gesamtkonzeptes trat Anke entgegen, und mit Blick auf das Reformationsjubiläum 2017 forderte er eine Diskussion zu Grundsätzen und konzeptionellen Eckpunkten für die publizistische Arbeit der EKD.

Da sich diese Deutung des Mandats evangelischer Publizistik auch gegen das Selbstverständnis des Evangelischen Pressedienstes (epd) als Nachrichtenagentur richtete, veranlasste der Festschriftartikel den langjährigen epd-Redakteur und Hamburger Professor für Qualitätsjournalismus Volker Lilienthal, Ankes „Ruf“ als eine „Ungebührlichkeit“ zu bezeichnen.2 Gleichwohl beschrieb er, dass der „undiskutierbare vorgegebene Fixpunkt“ in seinen beiden letzten epd-Jahren in der Zentralredaktion die Vermeidung von Kirchenkritik gewesen sei. Insofern schlussfolgerte Lilienthal, dass Ankes Anspruch der Deutungsmacht aufgrund der fast 100 Prozent Gesellschafteranteile der EKD am GEP, unter dessen Dach sich die epd-Zentralredaktion befindet, durchaus die Frage nach der fehlenden Unabhängigkeit des GEP erlaube: „Journalisten sollen die übergeordneten ideologischen Interessen ihres Hauptaktionärs stets antizipieren und ihr Schreiben entsprechend ausrichten. … Ich meine: Freier Journalismus entsteht so bestimmt nicht mehr“3 Trifft zu, was Lilienthal in seinem Artikel geschrieben hat – er spricht am Ende selbst von der Notwendigkeit einer „Enttäuschung“ –, dann wäre die Geschichte der evangelischen Publizistik zu ihrem Ende gekommen.

II. Rückblick

Wie hat sich das Selbstverständnis der evangelischen Publizistik im 20. Jahrhundert entwickelt, die Unterscheidung zwischen einem „allgemeinen evangelischen Mandat“ und einem „speziellen kirchenamtlichen Auftrag“ herausgebildet? Im Folgenden soll exemplarisch auf einige wenige Entwicklungen hingewiesen werden, ohne damit den Anspruch der Vollständigkeit erfüllen zu können. Dabei liegt der Fokus auf der Printpublizistik, die lange Zeit das Leitmedium der evangelischen Publizistik ausmachte.4

Die Anfänge gehen auf Wichern zurück. Das von der verfassten Kirche unabhängige Vereinswesen bildete dabei eine wichtige Voraussetzung für die weitere Entwicklung der evangelischen Publizistik. Die Beschäftigung mit der sozialen Frage gab im ausgehenden 19. Jahrhundert den Anlass für eine selbständig organisierte evangelische Pressearbeit. Nach der Gründung des ersten Presseverbandes in Sachsen im Jahr 1891 – unter anderem als Reaktion auf den ersten Parteitag der SPD in Halle – begann der Aufbau von regionalen Presseverbänden in den Provinzen, die sich von der Inneren Mission lösten und organisatorisch verselbständigten. Als Dachverband für die eigenständigen Verbände und Vereine wurde 1910 der Evangelischen Presseverband für Deutschland (EPD) in Berlin gegründet, der als unabhängiger Träger die Zusammenarbeit mit den überregionalen Tageszeitungen koordinieren und die innerkirchliche Pressearbeit durch Berufsjournalisten professionalisieren sollte.

Es ist ein interessantes Detail, dass August Hermann Hinderer im Jahr 1917 als Erster den Begriff der „Öffentlichkeitsarbeit“ geprägt hat, der ursprünglich auf eine gemeinsam organisierte kulturpolitische Anstrengung aller evangelischen Presseverbände zielte.5 Aufgrund der Vernetzung der Presseverbände konnte eine unabhängige Verbandsstruktur geschaffen werden, die für den Protestantismus eine wichtige Funktion in der säkularisierten Gesellschaft der Weimarer Republik erfüllte. An den Transformationsprozessen, die vor allem durch die politischen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts verursacht wurden, lässt sich das Ringen zwischen journalistischer Freiheit und dem kirchlichen Regulierungsund Orientierungsanspruch nachverfolgen.

Unter Hinderer wurde 1918 auch der Evangelische Pressedienst (Epd) als Nachrichtenagentur in Berlin gegründet, durch die sich der Grundsatz des protestantischen Dienstverständnisses ausdrücken sollte und sich das Berufsverständnis evangelischer Journalistinnen und Journalisten profilierte.6 War der EPD ursprünglich antisozialdemokratisch ausgerichtet, nahm Hinderer – nach der Gründung einer föderalen Republik – mit dem EPD eine weitgehend neutrale Position gegenüber allen demokratischen Parteirichtungen ein.

Das Vertragswerk der Reichsarbeitsgemeinschaft der Deutschen Presse von 1926 führte erstmals zu einer einheitlichen Regelung der Arbeitsbedingungen von Redakteuren und zur Gründung einer „Versorgungsanstalt“.7 Diese Regelungen wurden auch im evangelischen Bereich übernommen, was zu einer deutlichen Aufwertung des Journalistenberufes führte.8

Wie erfolgreich Hinderer und seine Mitarbeiter in der Weimarer Republik waren, zeigt die Bestandaufnahme, die 1928 auf der internationalen Presseausstellung „Pressa“ in Köln und 1929 im Handbuch der Evangelischen Presse vorgelegt wurde.9 Aus dem EPD war ein wirkungsvoller unabhängiger Verband geworden, der wirtschaftlich weitgehend von kirchlichen Zuschüssen unabhängig agieren konnte und in der Weimarer Demokratie eine nachhaltige kultur- und bildungspolitische Bedeutung gewann.

Durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 veränderten sich auch die gesellschaftlichen und kirchlichen Rahmenbedingungen für die Möglichkeiten einer freien Verbandstätigkeit: Der Staat beanspruchte die politische und ideologische Führung von Presse und Rundfunk, und die evangelischen Verbände gerieten auch innerkirchlich unter Druck. Mit Evangelium im Dritten Reich und Christenkreuz und Hakenkreuz betrieb die „Glaubensbewegung“ der Deutschen Christen (DC) auflagenstarke Propaganda für ihre Ziele. Mit dem ehemaligen Kirchenkommissar für die altpreußische Union, August Jäger, stand Hinderer ein erbitterter Gegner gegenüber, der 1933 im Umfeld der Reichsbischofswahl – nach dem Rücktritt von Friedrich von Bodelschwingh – gewaltsam versuchte, die Besetzung des EPD durch Aktivisten der DC und die Absetzung Hinderers zu erreichen. Für die Publikationen des EPD und die Nachrichtenagentur Epd bedeutete der mühsam abgewendete Übernahmeversuch eine harte Kurskorrektur und den Zwang zur kirchenpolitischen Neutralität. Das Ende der Pressefreiheit in Deutschland wurde spätestens durch den sogenannten „Frick-Erlass“ eingeläutet, der unter anderem die Information über kirchenpolitische Fragen in der Tagespresse und auch in der kirchlichen Presse verbot. Die gesamte konfessionelle Presse wurde 1936 dem NS-Schriftleitergesetz unterstellt; sie musste die „Sprachregelungen“ der NS-Pressepolitik umsetzen, und mit dem Werbeverbot endete die wirtschaftliche Eigenständigkeit der evangelischen Printpublizistik. Mit dem Erlass zur „Gestaltung der kirchlich-konfessionellen Presse“ durften die evangelischen Journalisten nur noch über innerkirchliche Fragen berichten, womit der Öffentlichkeitsanspruch der evangelischen Publizistik gebrochen wurde. Nachdem 1937 die Gemeinnützigkeit des EPD aufgehoben wurde, begann ein Changieren mit dem NS-Staat und den kirchenpolitischen Führern, das allein das Überleben des EPD in der NS-Zeit sichern sollte, was dazu führte, dass auch der Epd bis 1941 im Dienst der NS-Propaganda stand.10

Nach dem Zusammenbruch von 1945 wurden von den alliierten Kontrollregierungen Lizenzen nur an kirchenleitende Persönlichkeiten oder Organe ausgegeben. Damit erhielt die evangelische Presse im Allgemeinen einen rein innerkirchlichen Bezug. In der sowjetisch besetzten Zone konnte sich keine ungebundene Struktur mehr herausbilden.

III. Evangelische Publizistik in der DDR

In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) wurden fünf Kirchenzeitungen, die Mitarbeiterzeitschrift Zeichen der Zeit, die Christenlehre, die Evangelische Verlagsanstalt (EVA) mit der Theologischen Literaturzeitung und ein Nachrichtendienst von der sowjetischen Militäradministration lizensiert.11 Die Gründung von Presseverbänden wurde untersagt, die Freiheit des Journalismus durch sowjetische Zensurmaßnahmen weitgehend eingeschränkt. Mit der Gründung der DDR gab es zwar laut Verfassung keine Zensur mehr, das bedeutete aber für die Redakteure nur, dass es keine Vorzensur mehr gab und durch die staatliche Lizenzpflicht bzw. die Notwendigkeit der Druckgenehmigung weiterhin eine indirekte Zensur ausgeübt wurde.

Die kirchlichen Redaktionen in der DDR behielten weitgehend ihre freie Entscheidungskraft, was sie von den staatlichen Zeitungen unterschied. Da eine Zensur bei der Drucklegung jedoch weiterhin durch das Presseamt stattfand, mussten die Journalisten mit einer „Schere im Kopf“ arbeiten, die je nach kirchenpolitischer Großwetterlage entschied, über welche Vorgänge berichtet werden konnte und über welche Ereignisse geschwiegen werden musste.

Die Zeitungen bekamen mit der Gründung der DDR eine neue Lizenzurkunde, in der neben dem Chefredakteur und dem Herausgeber auch Umfang, Größe und Auflagenhöhe der Zeitung eingetragen wurden. Der Umfang der Sonntagszeitungen betrug in der Regel acht Seiten. Von 1951 bis 1989 übernahm der Postzeitungsvertrieb der DDR die Abfertigung der kirchlichen Zeitungen. Die Auslieferung durfte aber erst dann erfolgen, wenn eine Freigabe vom Presseamt vorlag, und war durch die Papierzuweisungen beschränkt.

Die konfessionelle Presse in der DDR brachte wichtige Informationen, die in den Tageszeitungen nicht zu finden waren, zum Beispiel über die ökumenische Bewegung. Die evangelischen Redaktionen übernahmen grundlegende Aufgaben einer meinungsbildenden Funktion: Sie stellten Hintergrundinformationen im kirchlichen Bereich zusammen, um Hilfe beim Argumentieren im Rahmen ideologischer Auseinandersetzungen zu geben.

Ein kritischer Journalismus war vonseiten der führenden DDR-Staatspartei SED nicht erwünscht. Als ein Beispiel für die Konsequenzen einer verschlüsselten Aktualität als Möglichkeit journalistischer Freiheit kann die Ablösung des Chefredakteurs der Potsdamer Zeitung, Pfarrer Günter Heidtmann, dienen, der selbst aus der Tradition der Bekennenden Kirche stammte.12 Mit seinen Artikeln wollte er Laien und kirchliche Mitarbeitende, die über keine theologische Ausbildung verfügten, zur Urteilsbildung qualifizieren. Dabei wurden von ihm vor allem Gedenktage der Kirche benutzt, um den Artikel so zu schreiben, dass der aufmerksame Leser auch die Beziehung zur Kritik am sozialistischen Staat herstellen konnte. Um ihn vor staatlicher Verfolgung zu schützen, wurde Heidtmann 1951 von der Kirchenleitung an das Seminar für kirchliche Dienste in West-Berlin versetzt.13

Der Evangelische Nachrichtendienst Ost (ENO) wurde von der EVA herausgegeben und berichtete seit Juni 1947 auf 14 hektografierten Seiten mit einer Auflage von 600 Exemplaren für die kirchliche und die CDU-Presse in der DDR. Vor allem aufgrund der gesamtkirchlichen Berichterstattung kam es immer wieder durch das Presseamt der DDR zur Beschlagnahmung bzw. zu Richtigstellungen. Ab 1955 durfte der ENO nicht mehr direkt ausgeliefert werden, sondern wurde wie die Kirchenpresse über den Postzeitungsvertrieb vertrieben. Dies führte auch dazu, dass das Presseamt den Vertrieb unterbinden konnte, wenn, wie in der Aprilausgabe 1960 geschehen, der Wortlaut eines Briefes des späteren Bischofs der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg Kurt Scharf abgedruckt werden sollte. Aus ideologischen Gründen musste 1966 der ENO in Evangelischer Nachrichtendienst in der DDR (ena) umbenannt werden.

Nach der Gründung des „Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR“ im Jahr 1969 wurde die kirchliche Publizistik neu geordnet. Dennoch kam es, wie im Fall der Berichterstattung über die Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz, auch zum Verbot der Auslieferung der Ausgaben aller Kirchenblätter. Auch, wenn sich die publizistischen Möglichkeiten durch kirchliche Sendezeiten im DDR-Fernsehen seit 1978 ausweiteten, wurde es der evangelischen Publizistik weiterhin nur erlaubt, innerkirchliche Themen zu behandeln.

1987 gelang es der Ost-Berliner Kirchenzeitung Die Kirche unter Gerhard Thomas und Bettina Röder, den ökumenischen Prozess für „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ publizistisch auf die Situation der DDR zu beziehen.14 Eine aktuelle Bibelauslegung mit deutlich kritischen Bezügen führte zur intensiven Beobachtung durch das Presseamt der DDR.

Die evangelische Kirchenpresse hatte in den Jahren 1987/88 erhebliche Zensur- und Verbotsmaßnahmen hinzunehmen: Fünf Ausgaben der „Kirche“ durften nicht erscheinen. Massive Eingriffe in die Berichterstattung wurden in der Osternummer vom 3. April 1988 durch weiße Flecken sichtbar gemacht, deren Botschaft deutlich und für jeden verständlich war.

Am 10. Oktober 1988 kam es in Ost-Berlin zum ersten öffentlichen Protest für Pressefreiheit in der DDR. Aufgrund der Verhaftungen im Verlauf der Demonstration und der Berichterstattung ausländischer Korrespondenten befasste sich am 13. Oktober 1988 eine aktuelle Stunde des Deutschen Bundestages mit dem Thema „Pressefreiheit in der DDR“. Damit war es den kirchlichen Basisgruppen gelungen, die staatliche Zensurpolitik der DDR in das öffentliche Gespräch zu bringen, ein Meilenstein auf dem Weg zu den Veränderungen durch die „Bürgerbewegung“ im Jahr 1989.

Für das Verständnis von evangelischer Publizistik in der Zeit der sogenannten Wende war signifikant, dass die protestantische Presse kritischen Gruppen – aus einem Stellvertretermotiv heraus – die Möglichkeit zur publizistischen Äußerung gab. Zur kritischen Kommentierung innerkirchlicher Vorgänge kam das Selbstbewusstsein eines von parteipolitischen Interessen unabhängigen Journalismus, der sich aus einem aufklärerischen protestantischen Freiheitsideal heraus zu wichtigen gesellschaftlichen und politischen Fragen äußert. Mit der Gründung des Evangelischen Presseverbandes Ost in Berlin im Jahr 1991 erfolgte ein Neuanfang für die ungebundene Publizistik auf dem Gebiet der ehemaligen DDR.

IV. Evangelische Publizistik in der Bundesrepublik

Der Aufbau einer kirchlichen Publizistik in der direkten Nachkriegszeit war durch die alliierten Lizenzbestimmungen an offizielle Vertreter der verfassten Kirche gebunden. Dies war die Stunde kirchenleitender Menschen wie Otto Dibelius, der das Berliner Sonntagsblatt unter dem Namen Die Kirche als überregionales Wochenblatt für Berlin und die gesamte SBZ beantragte, Hanns Lilje, der eine Lizenz für die Hamburger Wochenzeitung Sonntagsblatt in der britischen Zone erhielt und von Eugen Gerstenmaier, der in Süddeutschland in der amerikanischen Zone Christ und Welt begründete. Der in Treysa gebildete Rat der EKD unterstützte die Bestrebungen nach einem Wiederaufbau des EPD als unabhängigen Verband nicht. So gingen entscheidende Weichenstellungen von den landeskirchlichen Presseverbänden in Westfalen und Bayern aus.

In der britischen Zone durfte auf dem Gebiet jeder Landeskirche eine protestantische Kirchenzeitung erscheinen: unter anderem in der Rheinprovinz Der Weg, für Westfalen und Lippe die Neue Kirche, in der Hannoverschen Landeskirche Die Botschaft. In der amerikanischen Zone erschienen das Evangelische Gemeindeblatt für Württemberg und das Sonntagsblatt für Bayern.

Der ehemalige Chefredakteur des Epd, Focko Lüpsen, baute 1947 als Herausgeber und Direktor des Evangelischen Presseverbandes von Westfalen und Lippe (EPWL) in Bielefeld/ Bethel mit der Unterstützung des westfälischen Präses Karl Koch die Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (jetzt epd) auf.15 Hinzu kam der Evangelische Pressedienst für Bayern, der von Robert Geisendörfer aus München weiterentwickelt wurde. Mit der Gründung des Gemeinschaftswerkes der evangelischen Presse e. V. (GW) kam es in Westdeutschland 1951 zu einer neuen zentralen Instanz, die überregionale Aufgaben wahrnehmen konnte und sich für die Professionalisierung der journalistischen Ausbildung einsetzte.

Auf Bestreben von Geisendörfer wurden Ende der 1960er-Jahre zentrale publizistische Einrichtungen im Haus der Evangelischen Publizistik (HEP) in Frankfurt/Main zusammengelegt.16Auch der epd zog 1968 von Bielefeld/Bethel nach Frankfurt um. Die evangelische Presse verlor ihre Funktion als Leitmedium und wurde in ein medienübergreifendes Gesamtkonzept integriert. Dabei entwickelte sich im Rahmen einer inhaltlichen Neustrukturierung der evangelischen Publizistik, die mit der Gründung des GEP am 5. Juli 1973 verbunden war – als Leitbild einer evangelischen Medienpolitik –, das Motiv der medialen Stellvertretung für Minderheiten, als Mandat, einem „Engagement ohne Eigennutz“, das in der Formulierung, „Stimme der Stummen“ zu sein, von Geisendörfer als erstem Direktor auf eine neue Formel gebracht wurde.

Das GEP hatte nun die Aufgabe einer Koordinierungsfunktion. Die Evangelische Publizistik wurde von der Gründung des GEP an als genuine Funktion der verfassten Kirche in den 1970er- und 1980er-Jahren verstanden. Als Voraussetzung dafür trat Geisendörfer – bis zu seinem plötzlichen Tod 1976 – für die journalistische Freiheit innerhalb und außerhalb der verfassten Kirche ein, auch als „Anwalt der Freiheit“ jedes einzelnen Redakteurs, der für die evangelische Publizistik und den epd tätig war. Mit der Strukturreform von 1989 wurde die Arbeit des GEP auf die evangelischen Freikirchen ausgeweitet und 1997 ein neues publizistisches Gesamtkonzept veröffentlicht.

V. Evangelische Publizistik nach 2000

Nach dem gescheiterten Versuch, mit einer Dachmarke eine bundesweite Kooperation der unabhängigen landeskirchlichen Medienverbände einzugehen, suchte die evangelische Printpublizistik Anfang der Jahrtausendwende bis heute nach Lösungen für die sinkenden Auflagenzahlen. Stattdessen wurde nach dem Ende des Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts im Oktober 2000 das von der EKD subventionierte Imagemagazin chrismon gegründet. Als Folge der zentralisierten Markenpolitik entschied die Rheinische Kirche im Jahr 2003, bei einer Abonnentenzahl von 29.000, die Redaktion der rheinischen Kirchenzeitung abzuwickeln und den ehemaligen Weg-Abonnenten chrismon plus anzubieten. Damit sollte die mit 12.011 Abonnenten im dritten Quartal verzeichnete Magazinversion des auflagenstarken Supplements durch eine Startauflage von 110.000 Exemplaren neu belebt werden. Zudem wurde der ehemals unabhängige Medienverband zu einem Servicecenter für das rheinische Landeskirchenamt anverwandelt.17

Aus dem GEP heraus wurden auch weitere Landeskirchen aufgefordert, den Zuschuss für die Kirchengebietspresse in die chrismon-Markenfamilie zu investieren. Dabei erreichten die Kirchengebietsblätter eher eng verbundene Mitglieder, während sich das chrismon-Konzept doch an die Kirchendistanzierten wenden wollte. So waren die Abonnementenzahlen bereits in Baden, als 1996 der Aufbruch eingestellt wurde, weit hinter den ehemals 30.000 zahlenden Abonnenten zurückgeblieben. Chrismon plus als Abo-Magazin blieb auch im Rheinland deutlich hinter den Erwartungen zurück. Mit chrismon plus wurde eine Alternative zu der ungebundenen Printpublizistik gesucht, um für das Vertrauen in das gesellschaftliche Handeln der Kirche und ihrer kirchenleitenden Repräsentanten zu werben. Die wesentlichen Merkmale der evangelischen Publizistik treten dabei in den Hintergrund: Kritik, Distanz und – wo nötig – Neutralität.

Im Kontext der weiteren Debatte um den Festschriftartikel des EKD-Kirchenamtspräsidenten Hans Ulrich Anke aus dem Jahre 2012 ist es bemerkenswert, dass Jörg Bollmann, seit 2002 und bis März 2024 Direktor des GEPs und Geschäftsführer der EKD Media GmbH, in den Jahren seitdem und bis zu seinem Ausscheiden Anke nie öffentlich widersprochen hat. Mit Blick auf den Rückgang der Mitgliederzahlen und den daraus folgenden EKD-Sparbeschlüssen warb Bollmann 2020 in einem Beitrag zur aktuellen Diskussion um den Zustand der evangelischen Publizistik in der Zeitschrift zeitzeichen für seine Zentralisierungs-, Fusions- und Markenpolitik: „Alles unter einem Dach!“18 Mit der Übernahme der Mehrheitsanteile am Medienhaus der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) zum Jahreswechsel 2023/2024 ist nun erstmals ein landeskirchlicher Medienverband zu einer Tochtergesellschaft des GEP geworden. Auf dem Markt der konfessionellen Medienunternehmen hat sich das GEP erkennbar von einem Dachverband zur Förderung und Vernetzung der landeskirchlichen Presseverbände zu einem wirtschaftlich konkurrierenden Mitbewerber gegenüber den föderal geprägten Medienverbänden gewandelt.

Bleibt die Frage: Bei wem liegt die Deutungsmacht für das kirchliche Handeln? Nach Anke liegt es bei den kirchenleitenden Personen selbst, die das Mandat bestimmen, weil sie die Kirchensteuern und die Mehrheitsanteile verwalten. Die Frankfurter „Überzeugungsgemeinschaft“ wächst weiter und scheint im Rückblick dem Auftrag der EKD mehr verpflichtet zu sein als dem Mandat der evangelischen Publizistik. Oder liegt ein Missverständnis zugrunde? Ich hoffe es!

Prof. Dr. Roland Rosenstock ist Professor für Praktische Theologie, Religions- und Medienpädagogik an der Universität Greifswald.

1Hans Ulrich Anke: Auf die Botschaft kommt es an! Glaube und Verantwortung in der evangelischen Publizistik, in: Glaube und Verantwortung, Festschrift zum 65. Geburtstag von Nikolaus Schneider, hg. v. Petra Bosse-Huber und Christian Drägert, Neukirchen-Vluyn 2012, 77–95.

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