Extreme Sicherheit -  - E-Book

Extreme Sicherheit E-Book

0,0

Beschreibung

Immer wieder wird über rechtsextreme Vorfälle in Polizei, Verfassungsschutz, Justiz oder Bundeswehr berichtet. Daran schließt sich fast immer die Frage an: Geht es um Einzelfälle oder gibt es rechtsextreme Gruppen und Netzwerke in den Sicherheitsbehörden. Und oft stellt sich auch die Frage nach dem Aufklärungswillen staatlicher Behörden bzw. einzelner Mitarbeiter in Bezug auf rechtsextreme Straftaten. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes setzen sich erstmals systematisch und umfassend mit den extremen Rechten in Bundeswehr, Polizei, Justiz, Verfassungsschutz und MAD auseinander. Ein Gemeinschaftswerk investigativer Journalisten von "FAZ" bis "taz", von "BR" bis "rbb". Mit Beiträgen u.a. von: Mohamed Amjahid, Martin Kaul, Jost Müller-Neuhof, Tanjev Schultz, Toralf Staud und Caroline Walter.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 375

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



HEIKE KLEFFNER / MATTHIAS MEISNER (HG.)

Extreme Sicherheit

Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2019

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Chris Langohr Design

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN Print: 978-3-451-38561-2

ISBN E-Book: 978-3-451-81860-8

Inhaltsverzeichnis

Rechte Netzwerke im Staatsapparat Einleitung Von Heike Kleffner und Matthias Meisner

Wenn die Würde des Menschen durch die Staatsgewalt angetastet wird .Vorwort Von Seda Başay-Yıldız

MIT SICHERHEIT: KEINE EINZELFÄLLE

Radikal im StaatsdienstBeamte zwischen besonderer Loyalitätspflicht und freier Meinungsäußerung Von Alexander Haneke

Vorbereitung auf den Tag XRechtsextreme Prepper in Mecklenburg-Vorpommern Von Robert Kiesel

Die neue Heimat für Law & Order?Soldaten und Polizisten in den AfD-Fraktionen Von Alexej Hock und Annelie Naumann

„Schließt euch an!“Die rechtsextreme Szene ruft Staatsdiener zum Widerstand auf Von Christian Jakob und Konrad Litschko

Datenlecks und MorddrohungenWie Polizisten und Justizbeamte Rechten helfen Von Karolin Schwarz

GRAUZONEN

Drohbriefe von der PolizeiWie ein ehemaliger verdeckter Ermittler in Berlin privat Linksautonome bedrohte Von Christian Fuchs

„Es ist Krieg“ Der „Sturm“ auf Leipzig-Connewitz und die sächsischen Behörden Von Aiko Kempen

Das Ende eines „Junggesellenabschieds“Ein rassistischer Überfall auf eine Eisdiele und dessen Folgen Von Heike Kleffner

Unter staatlicher AufsichtEine Neonazi-Anschlagsserie in Neukölln und ein unheimlicher Verdacht Von Malene Gürgen

Konsequentes Durchgreifen?Wie Justiz und Strafverfolger auf Terrorverdacht und Waffendepots reagieren Von Robert Andreasch

POLIZEI

„Wie unter einem Brennglas“Ein Interview mit Christoph Kopke und Tobias Singelnstein Von Heike Kleffner und Matthias Meisner

„NSU 2.0“Der hessische Polizeiskandal Von Pitt von Bebenburg und Hanning Voigts

Brennendes GeheimnisDeutsche Polizisten im Ku-Klux-Klan Von Frederik Obermaier und Tanjev Schultz

Nach GeorgensgmündWie die bayerische Polizei mit Reichsbürgern umgeht Von Johann Osel

Wessen Freund, wessen Helferin?Perspektiven einer rassifizierten Person auf deutsche Polizeien Von Mohamed Amjahid

Seit Jahrzehnten umstritten Das bayerische Unterstützungskommando (USK) im Skandalbewältigungsmodus Von Sammy Khamis

Was hilft gegen Rechtsextreme in der Polizei? Antidiskriminierungstraining in Hessen Von Frida Thurm

„Die Polizei hat ein Männlichkeitsproblem“Ein Interview mit dem Kriminologen und Polizeiausbilder Joachim Kersten Von Toralf Staud

JUSTIZ

Die Unabhängigkeit der Justiz und ihre GrenzenDie Brandrede von Höcke, ein Dresdner Richter und ein Geraer Staatsanwalt Von Matthias Meisner

Der Fall Thomas SeitzWie ein AfD-Politiker seinen Beamtenstatus verliert Von Sabine am Orde

„Über Geschmack muss man bekanntlich nicht streiten“Rechte Gewalt und Verbindungen zur Polizei: ein Erfahrungsbericht Von Henriette Scharnhorst und Sebastian Scharmer

BUNDESWEHR

„Ich wurde dort sofort akzeptiert“Was ein Nazi in der Bundeswehr erlebte Von Sebastian Leber

Hannibals NetzWie ein Elitesoldat der Bundeswehr bundesweit für den Tag X mobilisierte Von Martin Kaul, Christina Schmidt, Sebastian Erb und Alexander Nabert

Blinde FleckenDie Bundeswehr und ihr Umgang mit Rechtsextremismus Von Caroline Walter

Truppen sammelnDie AfD als selbst ernannte Soldaten-Partei Von Maria Fiedler

VERFASSUNGSSCHUTZ

Eine Frage der Inneren SicherheitIm Wettstreit: „Aufbauhelfer Ost“ Helmut Roewer und Uwe Kranz Von Axel Hemmerling

Der seltsame Herr NockenEine Geheimdienstkarriere in Hessen und Thüringen Von Jens Eumann

Vertraulich ist nichts Das Bundesamt für Verfassungsschutz drängt in die Öffentlichkeit Von Jost Müller-Neuhof

ANHANG

Literaturhinweise, Autorinnen und Autoren

RECHTE NETZWERKE IM STAATSAPPARATEinleitungVon Heike Kleffner und Matthias Meisner

Wie steht es um die demokratische Verfasstheit von Polizei, Justiz, Bundeswehr und Verfassungsschutz? Hat die gesellschaftliche Polarisierung auch diejenigen Institutionen erfasst, die dem Staat und damit dem Wohl aller dienen sollen – ohne Ansehen der Person?

Es ist kein Thema wie jedes andere. Denn es geht um die Institutionen und ihre Funktionsträger, deren zentrale Aufgaben darin bestehen, den demokratischen Rechtsstaat und die Menschen zu schützen, die hier leben. Dafür hat der Gesetzgeber, das Parlament, der Exekutive und ihren Vertretern und Vertreterinnen weitgehende Befugnisse und Instrumente verliehen: Polizisten und Soldaten dürfen Waffen tragen und sie im Ernstfall auch einsetzen, Richterinnen dürfen den Freiheitsentzug anordnen und Haftstrafen verhängen, Polizei und Verfassungsschutz dürfen Menschen überwachen und sie nach den neuen Polizeiaufgabengesetzen auch präventiv in Haft nehmen.

Dieses Buch ist eine Tiefenbohrung. Wir fragen, wie viele Sorgen wir uns darum machen müssen, wer die demokratische Grundordnung schützt – und wo sie plötzlich schutzlos scheint. Wie steht es um den Staatsschutzbeamten, der sich bei einer Razzia einer als kriminellen Vereinigung bekannten Neonaziband ein Autogramm von deren Sänger geben lässt? Was ist mit dem Polizei-Ausbilder, der seine Schüler und Schülerinnen beim Schießtraining auffordert, das Zielen zu lernen – wegen der „vielen Gäste“ in Deutschland? Mit dem Staatsanwalt, der eine Anzeige wegen antisemitischer Morddrohungen bearbeiten soll – und stattdessen dem Sohn der bedrohten Familie rät, nicht mehr „so provokant“ öffentlich gegen Rechtsextremismus aufzutreten? Dem Bundeswehrsoldaten, der auf der Stube Nazi-Lieder singt und in seiner Freizeit zu Neonaziaufmärschen geht? Oder gar mit dem langjährigen Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz?

Ein Anlass, dieser Frage nachzugehen, liegt mittlerweile einige Jahre zurück: 2016, als die Anzahl der rechten Gewalttaten wieder das Niveau der frühen 1990er Jahre erreicht hatte und wöchentlich Pegida in Dresden und „Nein zum Heim“-Initiativen Zehntausende rechte Wutbürger auf die Straßen der Republik brachten, wurde in der sächsischen Kleinstadt Freital – auf Intervention des Generalbundesanwalts – die rechtsterroristische „Gruppe Freital“ festgenommen. Sie hatte in nur sechs Monaten fünf Anschläge auf Flüchtlinge, Kommunalpolitiker- und Kommunalpolitikerinnen sowie alternative Wohnprojekte verübt. Im Raum stand auch ein Verdacht: Polizeibeamte sollen die Neonazis mit Informationen versorgt und vor Maßnahmen von Kollegen gewarnt haben. Sachsens Vize-Ministerpräsident Martin Dulig, der Landeschef der SPD, machte sich damals bei der Polizei extrem unbeliebt mit seiner in einem Die Zeit-Interview geäußerten Vermutung, dass dort „die Sympathien für Pegida und die AfD größer sind als im Bevölkerungsdurchschnitt“. Dulig sagte: „Unsere Polizisten sind die Vertreter unseres Staates. Als Dienstherr dürfen wir erwarten, dass sie die Grundelemente politischer Bildung verinnerlicht haben.“

Dulig bezog sich damals auf die Polizei – und Sachsen. Seit dem Einzug der AfD in alle Landesparlamente und den Bundestag haben wir es mit einem bundesweiten Phänomen zu tun. Einem in allen Bereichen der Sicherheitsarchitektur. Deshalb nehmen die Reportagen, Features, Interviews und Analysen in diesem Sammelband nicht allein Polizei und Bundeswehr, sondern auch stichprobenartig Justiz und Verfassungsschutz unter die Lupe.

Die Beiträge vermessen ein Problem, dessen Bedeutung zumindest in Zahlen nicht darstellbar ist. Wie antworten Polizisten oder Soldaten in Studien auf die Frage „Ist die Bundesrepublik in gefährlichem Maß überfremdet?“ Die Berufszugehörigkeit wird in Befragungen dieser Art nicht gesondert erhoben. Experten und Praktiker streiten seit langem darüber, ob die Polizei ein „Spiegelbild der Gesellschaft“ ist und die Bundeswehr zunehmend durch Rechtsaußen-Strukturen unterwandert wird. Vor allem für die Innenminister der Länder und des Bundes und auch das Verteidigungsministerium ist es praktisch, dass es an Zahlenmaterial fehlt. Sie können bei jedem neuen Skandal und jeder neuen Enthüllung mit dem immer gleichen Standardsatz von den „bedauernswerten Einzelfällen“ beschwichtigen.

So wie der amtierende Innenminister Horst Seehofer (CSU). Ende Juni 2019 stellte er den Verfassungsschutzbericht 2018 der Öffentlichkeit vor. Das 388-Seiten-Dokument enthält keine Zeile über die in diesem Sammelband beschriebenen Vorfälle und Netzwerke von Rechtsradikalen in Polizei, Bundeswehr und anderen Sicherheitsbehörden. Der CSU-Politiker verliert bei seinem Auftritt vor der Bundespressekonferenz auch zunächst kein Wort darüber. Auf Nachfrage hebt der Heimatminister dann zunächst die Verfassungstreue seiner Staatsdiener hervor. Dass es in der Bundespolizei – Seehofer will zunächst nur für die ihm unterstehende Behörde mit knapp 40 000 Beamtinnen und Beamten sprechen – „mal eine rechtsextremistische Erscheinung“ gebe, sei zwar richtig. Es handele sich aber nur um Fälle im Promillebereich. Die „gleiche Einschätzung“ trifft Seehofer „subjektiv“ auch für die Bundeswehr, auch wenn er nicht „die Verteidigungsministerin“ sei. In konkreten Fällen werde „ohne Ansehen der Person gehandelt“, es werde „nichts geduldet“, es gelte „null Toleranz“. Von einem „Massenphänomen“ könne keine Rede sein, versichert er. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, sekundiert seinem Minister: Nur „Einzelfälle“ sieht auch er. Diese Rechtsradikalen aber hätten in staatlichen Sicherheitsbehörden „nichts zu suchen und werden entfernt“. So weit die regierungsoffizielle Darstellung.

Der Grad der Besorgnis über rechtsextreme Vorfälle, Umtriebe und Netzwerke in Polizei und Bundeswehr, das betonen Politikwissenschaftler und Kriminologen wie Christoph Kopke und Tobias Singelnstein im Interview in diesem Buch, bemesse sich weniger an der Anzahl der bekannt gewordenen Fälle – Tendenz laut Regierungsantworten auf parlamentarische Anfragen steigend – als vielmehr an den weitgehenden Befugnissen, Aufgaben und dem Insiderwissen von Polizisten und Soldaten. Beide Forscher warnen: „Die Rechtsentwicklung, die unsere Gesellschaft gerade durchmacht, können wir in der Polizei wie unter einem Brennglas sehen. Das liegt nicht vorrangig daran, dass nun ganz viele rassistisch oder rechtsextrem eingestellte Personen zur Polizei gehen. Sondern dass es schon immer einen Anteil an Personen in der Polizei gab, die solche Einstellungen haben. Inzwischen äußern sie sich aber offener.“

Das sollte nicht nur diejenigen beunruhigen, die aufgrund von Hautfarbe und (vermeintlicher) Herkunft häufiger als andere mit anlasslosen Polizeikontrollen konfrontiert sind – so wie etwa ein türkeistämmiger Dozent einer Polizeifachhochschule in Nordrhein-Westfalen beim Kirchentag im Juni 2019 in Dortmund. Sondern uns alle. Denn nicht erst, aber spätestens mit dem Mord eines Neonazis an Walter Lübcke, dem langjährigen Regierungspräsidenten von Kassel, im Juni 2019 sollten wir alle uns sicher sein können, dass keine Polizisten, keine Bundeswehrsoldaten, keine Staatsanwälte und keine Verfassungsschutzmitarbeiter unter denjenigen sind, die die kaltblütige Hinrichtung des christdemokratischen Politikers in sozialen Netzwerken als „mutiges Fanal“ verherrlichen und nicht den Mörder, sondern die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung für das Attentat verantwortlich machen und Listen weiterer potenzieller Opfer anlegen.

Diese Sicherheit jedoch gibt es nicht. Das ist seit den wiederholten Morddrohungen gegen die Frankfurter Rechtsanwältin und Nebenklagevertreterin im NSU-Prozess („Nationalsozialistischer Untergrund“) Seda Başay-Yıldız durch eine Gruppe namens „NSU 2.0“ deutlich geworden. Denn die Spur zu den mutmaßlichen Tatbeteiligten führt zu einem Dienstcomputer des 1. Polizeireviers der Frankfurter Polizei. Pitt von Bebenburg und Hanning Voigts von der Frankfurter Rundschau beschreiben für uns den Fall. Seda Başay-Yıldız hat das Vorwort zu diesem Buch geschrieben.

Rechtsextreme Netzwerke, die von SEK-Beamten und Bundeswehrsoldaten angeführt werden, haben Daten von mehr als 25 000 politischen Gegnern zusammengestellt. Die Frage, wer Zugriff auf sensibelste Informationen hat und in wessen Hände sie gelangen, ist damit eben nicht nur ein Thema für Datenschutzbeauftragte. Sondern auch zu einer Frage der Sicherheit für all jene geworden, deren politische Meinung sie zu potenziellen Feindbildern der extremen Rechten macht: So wurde etwa im Konflikt um das alternative Musikfestival „Fusion“ in Mecklenburg-Vorpommern bekannt, dass die persönlichen Telefonnummern und Wohnanschriften von Organisatoren und privaten Festival-Ordnern ausgerechnet an einen wegen Körperverletzung verurteilten und strafversetzten ehemaligen Polizisten und ehemaligen stellvertretenden AfD-Kreisverbandsvorsitzenden weitergegeben worden waren, der an der Polizeihochschule Neubrandenburg als Dozent für Einsatzlehre tätig ist.

Erstmals in Buchform legen wir eine umfassende Analyse zu rechten Netzwerken im Staatsapparat in Deutschland vor. Wir haben für diese Spurensuche investigative Journalistinnen und Journalisten aus allen Teilen der Republik um ihre Einschätzung gebeten, dazu weitere Expertinnen und Experten: Hat der Staat alles im Griff? Sind Rechtsradikale unterwegs auf dem Marsch durch die Institutionen? Bereiten sich manche von ihnen auf einen Tag X vor, wollen dann sogar von der Waffe Gebrauch machen? Haben die Wahlerfolge der AfD in Bund, Ländern und Kommunen und die gesellschaftliche Polarisierung, die sich darin abbildet, dazu beigetragen, dass sich Rechte in Polizei, Bundeswehr, Verfassungsschutz und Justiz noch besser als vor Jahren vernetzen? Zusammengefasst lautet die Antwort auf diese Fragen: ja. Ohne dabei nun jeden einzelnen Staatsbediensteten unter Generalverdacht zu stellen.

Die meisten Autorinnen und Autoren des Sammelbandes verzichten in ihren Beiträgen auf detaillierte Erörterungen zu Begriffen wie Rechtsextremismus oder Rechtsradikalismus. Sie gehen von einem demokratischen Grundkonsens aus: dass die Trennlinie zwischen Demokraten und der extremen Rechten da verläuft, wo Grund- und Menschenrechte nicht mehr für alle gelten sollen, wo die Schoa geleugnet, der Nationalsozialismus verherrlicht und politische Gegner entwürdigt und entmenschlicht werden. Damit ist es selbstverständlich, dass auch aktive und ehemalige Polizeibeamte, Staatsanwälte, Richter und Bundeswehrangehörige, die für die AfD kandidieren beziehungsweise als Mandatsträger auftreten, Teil des Problems und damit Gegenstand dieses Sammelbands sind.

Als wir mit den Recherchen begannen, schien es, dass sich lediglich die unmittelbar von Neonaziangriffen und rechten Morddrohungen Betroffenen Sorgen darüber machten, ob die Beamten, die sie per 110 rufen, wirklich noch ihre „Freunde und Helfer“ sind oder ob sie insgeheim mit den Tätern sympathisieren. Nach dem Mord an Walter Lübcke fangen auch – mehr oder weniger behäbig – Politik und Fachwelt an, darüber zu diskutieren.

Sommer 2019: Der Vizechef der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, sagt, es sei bei vielen Beamten „etwas in Schieflage geraten, was sich in Sympathien für das rechtsnationale Parteienspektrum ausdrückt“. Anton Hofreiter, Chef der Grünen-Bundestagsfraktion, fordert, sich genau anzuschauen, „welche Probleme wir mit extremem Gedankengut innerhalb der Sicherheitsbehörden haben“. Der Linken-Innenpolitiker André Hahn erklärt, es werde „gefaselt“ von Einzelfällen, „offenkundig vorhandene Netzwerkstrukturen“ würden geleugnet. Auch die Union belässt es nicht mehr bei Beschwichtigungsformeln. Der frühere CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz stellt fest: „Wir verlieren Teile der Bundeswehr und der Bundespolizei an die AfD.“

Welche Konsequenzen aus diesen Warnrufen gezogen werden, ist zumeist davon abhängig, welcher Partei und Strömung die Mahner angehören. Bislang zumindest, darin sind sich die Beobachter einig, ist das Ausmaß des Problems nicht ausreichend vermessen: „Für Recherchen zu rechten Netzwerken in Polizei und Bundeswehr hat sich bisher kaum jemand interessiert“, beklagt Bettina Gaus in der taz. Um es drastischer zu formulieren: Als das Investigativ-Team der Zeitung um Martin Kaul, Christina Schmidt, Konrad Litschko und Alexander Nabert seine Rechercheergebnisse zu rechtsextremen Netzwerken in Bundeswehr und Polizei veröffentlichte, schlug ihm aus Politik und von Journalistenkollegen gleichermaßen Skepsis und die saloppe Vermutung entgegen, hier würden ein paar „harmlose Spinner“ zu einem gefährlichen Neonazinetzwerk umgedeutet. Unisono wiegelten die Landespolitik in Mecklenburg-Vorpommern, die Bundesanwaltschaft und das Verteidigungsministerium ab.

Inzwischen hat die Öffentlichkeit erfahren, dass SEK-Beamte, ehemalige Bundeswehroffiziere und aktive Reservisten für einen Tag X die Internierung politischer Gegnerinnen und Gegner in Gestalt von Kommunalpolitikerinnen und -politikern u. a. von freien Wählerinitiativen, Linke und Grüne aus Rostock, Schwerin und Umgebung planten Zehntausende Schuss Munition horteten und 200 Leichensäcke und Löschkalk bestellt hatten. Bis auf Horst Seehofer und seinen Schweriner Amtskollegen Lorenz Caffier bestreitet vermutlich niemand mehr, dass nicht nur die Betroffenen Angst haben müssen. Die taz-Kolleginnen und -Kollegen sowie Robert Kiesel vom Tagesspiegel beschreiben sehr präzise das Ausmaß der Gefahr.

Immer wieder ist dabei vom sogenannten Tag X die Rede, an dem die extrem rechten Netzwerke ihre bei Strategietreffen, paramilitärischen Waffentrainings oder in Whatsapp-Gruppen zirkulierenden Pläne – politische Gegner zu exekutieren – umsetzen wollen. Meistens kommt dann der Zusatz: Beim Tag X handele es sich um ein unbestimmtes Datum in der Zukunft, an dem die staatliche Ordnung zusammenbreche und auf den man als gut vorbereiteter sogenannter Prepper – anders als die Masse der Bevölkerung – eben besser vorbereitet sein wolle. Integraler Bestandteil dieses Szenarios sind die „Feinde“, die vorsorglich für den drohenden Zusammenbruch verantwortlich gemacht werden: Flüchtlinge und Migranten, Politikerinnen und Politiker von Linkspartei bis Union, sofern sie den Kurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stützen. In Whatsapp-Gruppen, Tweets und Facebook-Postings werden sie – mit Zuschreibungen wie „Invasoren“, „Volksverräter“ oder „Volksschädlinge“ – so weit ihrer Individualität und Menschenwürde beraubt, dass die Wege vom hasserfüllten Eintrag im sozialen Netzwerk „Merkel an den Galgen“ bis zum politischen Mord immer kürzer werden. Die meisten dieser Tag-X-Szenarien beruhen – nicht erst seit 2015 – auf der rassistischen Konstruktion eines ethnisch homogenen „Volkes“, das durch Zuwanderung und die Aufnahme von Geflüchteten in seinem Kern bedroht sei. In der Geschichte des deutschen Faschismus ist dieses Narrativ einer drohenden „Umvolkung“ oder eines „Bevölkerungsaustausches“, denen man mit aller Macht und notfalls eben mit Waffengewalt zuvorkommen müsse, ein zentrales Element.

Die Entscheidung darüber, wann wer den sogenannten Tag X für gekommen und Mord und Totschlag für legitim hält, wird nicht zentral gesteuert. Die äußeren Umstände, die den oder die Täter dazu motivieren, die – manchmal – wie offenbar im Mordfall Walter Lübcke über Jahre gehegten Pläne auszuführen, liegen im individuellen Ermessen der Täter. Auch deshalb müssen die Warnungen vor weiteren Anschlägen der in den militanten Neonazinetzwerken der „Generation NSU“ aus den 1990ern oder der neuen Generation Terror seit 2015 sozialisierten Täterinnen und Täter wie etwa der „Terrorgruppe Freital“ dringend ernst genommen werden. Ideologisch werden sie von einem mörderischen Rassismus und Antisemitismus sowie dem NSU-Prinzip „Taten statt Worte“ angetrieben. Polizeibeamte, das soll hier ausdrücklich erwähnt werden, gehören dabei ebenfalls zu den Opfern, wenn Neonazis den Krieg gegen den demokratischen Rechtsstaat eröffnen: Mindestens sechs Polizeibeamte und -beamtinnen sind seit 1990 von neonazistischen Tätern erschossen worden. Inzwischen fürchten kritische Polizeibeamte, dass auch sie selbst am Tag X als „Verräter“ und „Sympathisanten des Systems“ zu denjenigen gehören könnten, die von den eigenen Kollegen an die Wand gestellt werden.

Die Bestandsaufnahme in diesem Buch erhebt nicht den Anspruch, lückenlos zu sein. Die Mechanismen, die die Autorinnen und Autoren beschreiben, sind unterschiedlich. Sie reichen von rechtsradikalen Äußerungen über verbale Drohungen bis zur konkreten „Amtshilfe“ – wenn etwa Dokumente aus Computern von Polizei und Justiz geleakt und anschließend von den Empfängern in rechten Foren für Hass und Hetze missbraucht werden.

Die Vernetzung schreitet voran: Christian Jakob und Konrad Litschko (beide taz) erklären, wie die extrem rechte Szene – von AfD über Pegida bis zu Jürgen Elsässers Compact-Magazin – Polizisten, Soldaten und Verfassungsschützer zum „Widerstand“ aufruft. Sie zitieren Sachsens Landespolizeipräsidenten Horst Kretzschmar, der sagt, Rechtsextreme und Rechtspopulisten würden immer wieder die „besondere Nähe“ zur Polizei suchen: „Sie loben die Sicherheitsbehörden an jedem Ort und an jeder Stelle.“ Ein Beispiel dafür: der ultrarechte thüringische AfD-Chef Björn Höcke. Er hielt im Januar 2019 bei einem Treffen des „Flügels“ eine Lobrede auf den Verfassungsschutz. Die „redlichen Beamten“ wüssten, sagt er, wer „für den inneren Zerfall des Landes verantwortlich“ und „wer die wirklichen Feinde von Demokratie und Freiheit“ seien. Sie sollten sich nun unrechtmäßigen Weisungen verweigern.

Die AfD spielt in vielen Texten eine Rolle. Sie ist keine verbotene Partei, und bisher ist sie vom Verfassungsschutz auch nicht als rechtsextrem eingestuft worden. Bis auf weiteres gilt sie für den Geheimdienst lediglich als „Prüffall“. Diese Sonderrolle hielt den damaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen offensichtlich nicht davon ab, das Gespräch mit führenden AfD-Politikerinnen und -Politikern zu suchen, wie Jost Müller-Neuhof vom Tagesspiegel dokumentiert. Maaßen traf sich nicht nur mit AfD-Hardlinern. Er beschäftigte im Sommer 2018 auch wochenlang Medien und Politik mit der Behauptung, es habe in Chemnitz keine rassistischen Hetzjagden gegeben, Videobeweise dafür seien „gezielte Falschinformationen“. Maaßen sagte, er sei „als Kritiker einer idealistischen, naiven und linken Ausländer- und Sicherheitspolitik“ unter anderem von „linksradikalen Kräften in der SPD“ aus dem Amt gedrängt worden. Und redete dann wenige Monate nach seinem Rausschmiss als Funktionär der rechten „Werte-Union“ einer Zusammenarbeit zwischen CDU und AfD das Wort. Maaßen sagt nun Sätze wie: „Ich bin vor 30 Jahren nicht der CDU beigetreten, damit heute 1,8 Millionen Araber nach Deutschland kommen.“

Die AfD behauptet, Verteidigerin der staatlichen Ordnung zu sein – und entsendet gezielt Polizisten und Bundeswehrangehörige in die Parlamente, in den Bundestag, die Landtage, die Stadt- und Gemeinderäte. Jens Maier, bis dahin Richter am Landgericht Dresden, zog 2017 für die AfD in den Bundestag ein, ebenso Thomas Seitz, zuvor Staatsanwalt in Freiburg. 2019 wäre der Polizeikommissar Sebastian Wippel in Görlitz beinahe der erste AfD-Oberbürgermeister in Deutschland geworden. Er unterlag nur deshalb gegen den CDU-Kandidaten, weil sich alle anderen Parteien von CDU bis Linkspartei gegen ihn verbündet hatten. Nach der Kommunalwahl 2019 in Frankfurt (Oder) – um nur ein weiteres Beispiel zu nennen – zog die AfD mit neun Leuten in die Stadtverordnetenversammlung ein. Darunter: zwei Bundespolizisten, ein Zollbeamter, ein Polizeivollzugsangestellter. Für dieses Buch fassen Annelie Naumann und Alexej Hock von der Welt zusammen, welche Polizisten und Soldaten für die AfD in den Parlamenten sitzen. Maria Fiedler vom Tagesspiegel erklärt, warum die Bundeswehr für die rechtsradikale Partei von strategischer Bedeutung ist.

Sympathien für AfD & Co. gibt es auch in der Justiz. Neben dem erwähnten Freiburger Staatsanwalt Seitz und dem Dresdner Richter Maier geht es im Buch auch um den Geraer Staatsanwalt Martin Zschächner, der 2017 im Zusammenhang mit dem Nachbau des Holocaust-Mahnmals im Höcke-Wohnort Bornhagen gegen die Polit-Aktivisten vom Zentrum für politische Schönheit ermittelte. Vorwurf: Bildung einer kriminellen Vereinigung. Zschächner traf zuvor eine ganze Reihe von fragwürdigen Entscheidungen. Ebenso wie eine Staatsanwältin aus Halle (Saale), deren Ermittlungspraxis von der Rechtsanwältin Henriette Scharnhorst und dem Rechtsanwalt Sebastian Scharmer unter die Lupe genommen wird. Sie würde Angriffe von Neonazis bagatellisieren, werfen Scharnhorst und Scharmer der Staatsanwältin vor: „Die Formulierungen erinnern eher an eine AfD-Parteitagsrede als an eine Stellungnahme einer Anklagebehörde, die für die Ermittlungen rechtsextremer Gewalttaten zuständig ist.“

Der Herausgeber dieses Buches machte mit der Staatsanwältin aus Halle seine eigene Erfahrung. Im Mai 2017 hatte sich nach einem Pegida-Posting auf Facebook der Hass gegen ihn entladen. User Maik S. kommentierte: „Hoffentlich befasste sich die Debatte damit dir ins maul zu hauen ... danke.“ Der polizeiliche Staatsschutz beim LKA Berlin ermunterte damals zu einer Strafanzeige, Tatvorwurf: öffentliche Aufforderungen zu Straftaten. Die Staatsanwältin aber stellte das Verfahren im Oktober 2018 ein: Die Drohung von Maik S. war ihr nicht konkret genug. „Die Äußerung des Beschuldigten ist sicher unfreundlich und unangemessen, stellt jedoch lediglich eine Unmutsbekundung dar, die keine strafrechtliche Relevanz entfaltet.“

Dass das Phänomen rechtsradikaler Umtriebe in den Sicherheitsbehörden eine lange Tradition hat, ist ein Thema, das ganze Fachenzyklopädien füllt. Für diesen Sammelband haben wir uns auf einige Rückblicke beschränkt. Manche Weichen, die vor Jahrzehnten gestellt wurden, können fatale Konsequenzen haben. Axel Hemmerling vom MDR beschreibt, wie Uwe Kranz und Helmut Roewer Anfang der 1990er Jahre aus den alten Bundesländern als „Aufbauhelfer“ nach Thüringen kamen, der eine wurde Präsident des Landeskriminalamtes, der andere Chef des Verfassungsschutzes. Heute sind beide gern gesehene Autoren bei Rechtspopulisten und Verschwörungstheoretikern. Ihre Biografien stehen stellvertretend für eine in der alten Bundesrepublik sozialisierte Generation aus Polizei und Geheimdienst, die sich offen zu extrem rechten Positionen bekennen. Lob bekommen solche Leute aus rechten Kreisen bis heute. 2016 teilte der damalige Richter und heutige AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier einen Text von Verschwörungstheoretikern im Netz: „Das NSU-Märchen: Verfassungsschutzpräsident Dr. Helmut Roewer packt aus.“ Maier schrieb dazu: „Herrn Dr. Roewer kenne ich persönlich. Dass der Blödsinn daherredet, ist eigentlich eher unwahrscheinlich.“

Manchmal lohnt ein Blick zurück auch, um mit dem Blick auf die Schlagzeilen von heute die Traditionslinien zu beachten, die insbesondere beim Thema Rechtsextremismus in der Bundeswehr eine wichtige Rolle spielen. 2003 entließ der damalige Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) den Chef der Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK), Reinhard Günzel, unehrenhaft aus der Bundeswehr. Günzel hatte die vielfach als antisemitisch kritisierte Rede des damaligen CDU- und heutigen AfD-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann gelobt. Der Kommandeur der Eliteeinheit KSK dankte Hohmann für seinen „Mut zur Wahrheit“, der CDU-Politiker habe „der Mehrheit unseres Volkes eindeutig aus der Seele“ gesprochen. Nach seinem Rauswurf aus der Bundeswehr sagte Günzel der Jungen Freiheit, seine Entlassung sei als „Exorzismus systematisch inszeniert“ worden. Die Hohmann-Affäre bezeichnete er als „beispiellose Hexenjagd“. Forderungen von Abgeordneten nach einer Untersuchung der Frage, wie verbreitet rechtes Gedankengut in der Truppe ist, lehnte Struck damals ab. Der SPD-Politiker erklärte Günzel zum Einzelfall und bezeichnete ihn öffentlich als verwirrt.

Nicht immer wissen wir, ob Behördenmitarbeiter wirklich rechtsradikal sind – oder nur den Anschein erwecken. Unter der Überschrift „Grauzone“ haben wir solche Fälle gebündelt. Christian Fuchs von der Wochenzeitung Die Zeit beschreibt den Fall eines ehemaligen verdeckten Ermittlers, der in Berlin Drohbriefe an linke Aktivisten verschickte. Robert Andreasch beschäftigt sich mit Rechtsterrorismus in der Provinz. Und Aiko Kempen vom kreuzer analysiert die Rolle der Sicherheitsbehörden beim Sturm von rechten Hooligans und organisierten Neonazis auf den Leipziger Stadtteil Connewitz.

Doch wie gehen die Behörden mit den rechten Umtrieben in den eigenen Reihen um? Unternimmt der Staat alles, was er tun kann? Toralf Staud hat dazu ein Interview mit dem Soziologen, Kriminologen und Polizeiausbilder Joachim Kersten geführt. Alexander Haneke von der FAZ erklärt, was rechtlich gegen radikal gesinnte Beamte getan werden kann – und was nicht. Frida Thurm von Zeit online hat an einem Antidiskriminierungstraining der hessischen Polizei teilgenommen. Diese Trainings laufen auf freiwilliger Basis. Sie sind auch eine Reaktion auf den Frankfurter Polizeiskandal.

Die Bewertungen unserer Autorinnen und Autoren fallen unterschiedlich aus – der differenzierte Blick ist uns wichtig, denn wir hoffen auf konstruktive Diskussionen. Caroline Walter vom rbb beispielsweise kritisiert: „Die Praxis des Wegschauens und Vertuschens rechtsradikaler Vorfälle zieht sich seit Jahrzehnten durch die Bundeswehr. Es mangelt an Vorgesetzten, die konsequent durchgreifen. Reagiert wird meist erst, wenn ein Skandal öffentlich wird.“ Ähnlich sieht das Mohamed Amjahid von der Wochenzeitung Die Zeit mit Blick auf die deutsche Polizei: Sie sei, formuliert er pointiert, eine gut abgeschottete Parallelgesellschaft. Manchmal müssen offenbar erst dramatische Dinge geschehen, bis Behörden wirklich wach und reaktionsschnell werden. Johann Osel, Bayern-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, lobt, dass die Sicherheitsbehörden im Freistaat die Reichsbürger-Bewegung seit dem 19. Oktober 2016 anders betrachten, nicht mehr als abseitiges Phänomen und Spinnerei, sondern als reale Gefahr. Damals hatte im mittelfränkischen Georgensgmünd ein Reichsbürger einen SEK-Beamten erschossen. Seither wird gründlich entwaffnet – und auch gegen bayerische Polizisten wurden in diesem Kontext Disziplinarverfahren eingeleitet.

Wir möchten mit diesem Buch nicht den Daumen senken über Polizistinnen und Polizisten, Soldatinnen und Soldaten und Vertreterinnen und Vertreter der Justiz, sondern eine dringend notwendige Debatte anstoßen. Und vor allem denjenigen den Rücken stärken, die in ihren Polizeidienststellen, Revieren, Bundeswehreinheiten und Verfassungsschutzabteilungen die Alarmglocken läuten und als Nestbeschmutzer gemobbt und an den Rand gedrängt werden, die als Vorgesetzte auf demokratische Bildung pochen und das Thema des institutionellen Rassismus offensiv bearbeiten wollen. Denn eine demokratische Gesellschaft braucht eine Polizei und eine Armee, die das Vertrauen aller Bürgerinnen und Bürger haben. Wir wünschen uns, dass die Warnungen in diesem Buch ernst genommen werden.

Wir freuen uns, dass der Herder-Verlag uns zu diesem Projekt ermuntert hat. Dank gilt allen Autorinnen und Autoren, den Rechtsanwälten Björn Elberling und Alexander Hoffmann, unserem Lektor Patrick Oelze, seiner Kollegin Miriam Eisleb und dem Team des Verlags. Danke auch an unsere Familien, Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen für alles, was es für dieses Buch gebraucht hat. In besonderem Maß bedanken wir uns bei allen Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern aus der Zivilgesellschaft für ihren wachsamen Blick.

Wir wünschen eine anregende Lektüre.

Juli 2019

Heike Kleffner und Matthias Meisner

WENN DIE WÜRDE DES MENSCHEN DURCH DIE STAATSGEWALT ANGETASTET WIRDVorwortVon Seda Başay-Yıldız

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. So jedenfalls steht es in Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Die Menschenwürde soll insbesondere ein Abwehrrecht gegen die Staatsgewalt selbst darstellen. Der Staat darf die Menschenwürde nicht verletzen und ist verpflichtet Angriffe auf sie zu verhindern. Die Staatsgewalt hat Angriffe auf die Menschenwürde sowohl rechtlich wie auch tatsächlich zu verhindern und entsprechende Vorkehrungen hiergegen zu treffen. Diesen so schlichten Grundsatz gilt es zu verteidigen. Denn tatsächlich wird die Würde vieler Menschen in unserem Land immer wieder angetastet.

Tote haben genauso wie die Hinterbliebenen eine Würde. 438 Verhandlungstage im NSU-Prozess haben mehr als deutlich gemacht, dass die Verletzung der Menschenwürde von Verstorbenen sowohl von Rechtsterroristen als auch von der Staatsgewalt ausging. Die Opfer des NSU konnten sich gegen die nach ihrem Tod durch Polizei, Justiz und Medien erhobenen Vorwürfe nicht wehren. Würden Sie wollen, dass man nach Ihrem Ableben so über Sie berichtet wie die Ermittlungsbehörden über Enver Şimşek, Abdurrahim Özudoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat? Polizeibeamte behaupteten über Jahre gegenüber der Öffentlichkeit und den Hinterbliebenen, sie seien Ehebrecher, Menschen- und Drogenhändler gewesen. Die Würde dieser Menschen wurde verletzt, die, die unantastbar sein soll und die es zu schützen gilt.

Die meisten Menschen in diesem Land werden nie Opfer eines rassistischen Anschlages sein. Sie werden nie in die Situation kommen, dass das Haus oder die Wohnung, wo sie mit ihrer Familie und ihren Kindern leben, wo sie sich geschützt und zuhause fühlen, in Brand gesteckt werden. Sie werden nicht in die Situation kommen, den Namen auf ihrem Briefkasten oder der Klingel entfernen zu müssen damit von außen nicht erkennbar ist, dass hier eine ausländischstämmige Familie wohnt. Die meisten Menschen werden nie in die Situation kommen, dass man ihnen oder ihren Angehörigen an ihrem Arbeitsplatz – während sie arbeiten – in den Kopf schießt, weil sie in den Augen der Täter „Ausländer“ sind. Und die meisten Menschen werden auch nie verstehen, was es heißt, wenn die Polizeibeamten dieses Landes nicht in der Lage sind, sie unabhängig von ihrer Herkunft zu schützen. Und nicht nur das: sie vielmehr verdächtigen, selbst Schuld an ihrem Tod zu haben. Deswegen können die meisten auch nicht begreifen, was solche Taten mit Menschen machen.

Die staatliche Gewalt hätte sowohl diese Menschen als auch ihre Würde schützen müssen. Genau dies hat sie nicht getan. Und was ist zu tun, wenn die Gefahr vom Staat selbst ausgeht? Wer schützt unsere Würde vor dem Staat und seinen Repräsentanten in einer Zeit, in der Rechtsextremismus im öffentlichen Dienst kleingeredet wird?

Alle Mordkommissionen, die zu den sogenannten Česká-Morde ermittelten, arbeiteten in sehr unterschiedlichen Bundesländern mit unterschiedlichen historischen Bedingungen und juristischen Traditionen. Und trotzdem verhielten sie sich in einem wesentlichen Punkt identisch: Sie verfolgten mit großem zeitlichen und personellen Aufwand jeden noch so entfernten oder abwegigen Hinweis auf vermeintliche Verbindungen der Opfer zur organisierten Kriminalität oder eine Verbindung der Opfer untereinander. Hinweise von Zeugen auf als deutsch aussehend beschriebene mögliche Tatverdächtige wurden hingegen so gut wie nicht verfolgt.

Trotz der Hinweise der Angehörigen wurde ein rassistisches Motiv in keinem der Mordfälle auch nur ernsthaft erwogen und in diese Richtung ermittelt. Zur Verteidigung der Polizeiarbeit wurde immer wieder gehört, es sei nicht nach Neonazis als Tätern gesucht worden, weil es keinen Hinweis auf ein rechtes Motiv gegeben hätte. Aber genauso gab es keinen Hinweis darauf, dass die Opfer Kriminelle waren.

Der Umstand, dass sich der Polizeiapparat bei allen Opfern vorstellen konnte, dass diese Kontakte zur organisierten Kriminalität haben oder dass ihre Ehefrauen sie aus Eifersucht töten ließen, ein rassistisches Motiv aber nicht für möglich gehalten beziehungsweise dieses nicht verfolgt wurde, hat mit der Herkunft der Opfer zu tun. Vorurteile beherrschten die Polizeiapparate so, dass sie nur die Ermittlungsansätze in Richtung organisierte Kriminalität verfolgten und ein rassistisches Motiv für sie nicht denkbar war. Dies sagt selbstverständlich nichts über die Motive der einzelnen ermittelnden Beamten aus. Vielmehr zeigt sich der Rassismus in Abläufen, Einstellungen und Verhaltensweisen, die durch unbewusste Vorurteile, Nichtwissen, Gedankenlosigkeit und rassistische Stereotype zu Diskriminierung führen und Menschen benachteiligen.

Und natürlich haben die Morde – insbesondere nachdem klar wurde, wer sie begangen hatte, – dazu geführt, dass migrantische Bevölkerungsgruppen in diesem Land verunsichert sind und sich nicht geschützt fühlen. Die Polizei ist eine tragende Säule unserer Gesellschaft. Jede Bürgerin, jeder Bürger dieses Landes muss sich darauf verlassen können, dass er von den Beamten gleich geschützt und seine Würde beachtet wird. Leider hat der Staat nicht dazu beigetragen, dass der Vertrauensverlust in den Rechtsstaat wiederhergestellt wurde. Die Verbrechen des NSU sind ein Angriff auf die Grundfesten dieser Gesellschaft.

Ihren Folgen hätte durch rückhaltlose Auseinandersetzung und Aufklärung entgegengetreten werden müssen. Dies wäre ein klares Zeichen gegen Rassismus und Antisemitismus gewesen. Notwendig wäre eine bedingungslose Aufklärung der Rolle der Nachrichtendienste und Strafverfolgungsbehörden gewesen. Denn erst durch ihr Handeln haben sie die Verbrechen des NSU ermöglicht. Der Verfassungsschutz selbst hat durch Aktenvernichtungen und offene Lügen die Aufklärung verhindert.

Das gegebene Aufklärungsversprechen haben die Behörden systematisch gebrochen. Die Bundesanwaltschaft und das Bundeskriminalamt haben ihre Ermittlungen frühzeitig mit ihrer „Trio-These“ verengt. Das Aufklärungsversprechen muss endlich eingehalten und alle Akten müssen freigegeben werden. Die mangelnde Aufklärung und das falsche Fazit der Behörden, der NSU habe als isoliertes Trio zehn Morde verübt, waren ein Freifahrtschein für die rechte Szene. Netzwerke wurden nicht ermittelt, weil es angeblich keine gab.

Das Motto des NSU „Taten statt Worte“ gilt offensichtlich nach wie vor, wie man aufgrund der aktuellen Vorkommnisse – des Mordes an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke – sehen kann. Die Gewaltbereitschaft der rechtsextremen Szene muss endlich ernst genommen werden.

Wir haben ein strukturelles Problem bei der Polizei. Wer heute noch von Einzelfällen spricht, hat nichts verstanden. Der Staat verliert seine Glaubwürdigkeit, wenn er bei rechtsextremen Beamten nicht hart durchgreift und diese ohne Wenn und Aber vom Dienst entfernt. Jeder Bürger dieses Landes muss sich darauf verlassen können, dass er von der Polizei gleich geschützt wird. Wenn kein Vertrauen in die Polizei gegeben ist, dann tangiert das die Rechtssicherheit in diesem Land.

Menschen werden in diesem Land getötet, angefeindet, bedroht und beleidigt, weil sie angeblich Volksverräter oder keine „Deutschen“ sind. Wir müssen Haltung zeigen und unsere Grundwerte mehr denn je verteidigen.

Wer das nicht tut, macht sich mitschuldig.

Mit Sicherheit: keine Einzelfälle

RADIKAL IM STAATSDIENSTBeamte zwischen besonderer Loyalitätspflicht und freier MeinungsäußerungVon Alexander Haneke

Die Sätze, die sich bis heute in unzähligen Gerichtsentscheidungen finden, wurden am 22. Mai 1975 gesprochen. In den hell getäfelten Räumen des Bundesverfassungsgerichts mit seinen weiten Fenstern zum Karlsruher Schlossplatz begründete der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichtes damals, warum das Land Schleswig-Holstein einen Rechtskandidaten nicht in ein Beamtenverhältnis aufnehmen musste. Ein junger Mann namens Heiner Sämisch hatte 1972 gerade sein erstes Jura-Examen abgelegt und wollte Referendar am Oberlandesgericht in Schleswig werden. Dort lehnte man ihn ab, weil Sämisch während seiner Studienzeit in Kiel an Aktionen der Roten Zelle Jura teilgenommen hatte – einer Organisation, die nach Überzeugung der Justizbehörde verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgte.

Es waren politisch aufgeheizte Zeiten. Im Januar 1972 hatten Bundeskanzler Willy Brandt und die Ministerpräsidenten der Länder ein gemeinsames Vorgehen vereinbart, um „verfassungsfeindliche Kräfte“ aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten. Brandt und seine sozialliberale Koalition standen unter Druck, die konservative Opposition hatte die Angst vor der Unterwanderung des Staates durch linksradikale Lehrer, Professoren und Juristen als Thema gefunden. Die 68er-Revolutionäre hatten ihren „Marsch durch die Institutionen“ selbst angekündigt. Heraus kam der sogenannte Radikalenerlass, ein gemeinsamer Beschluss von Bund und Ländern, dass Angehörige des öffentlichen Dienstes sich positiv zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen und verfassungsfeindliche Bestrebungen unterlassen müssten. Schnell war von Berufsverboten die Rede, vor allem wegen der Praxis, für alle Bewerber im öffentlichen Dienst eine „Regelabfrage“ an die Verfassungsschutzämter zu schicken, ob dort Informationen vorlägen.

Am 22. Mai 1975 entschied also das Bundesverfassungsgericht über Sämischs Fall und formulierte jene Sätze, die sich seither in jeder Entscheidung zum Spannungsverhältnis zwischen den Pflichten des Beamten und seinen politischen Rechten als Bürger finden. Denn Beamte sind keine einfachen Angestellten. Sie genießen besondere Sicherheit und viele Privilegien, sind dafür aber zu Neutralität, Mäßigung und Treue ihrem Dienstherrn gegenüber verpflichtet. Nur bleiben die beamtenrechtlichen Vorschriften in diesen Punkten vage: Sie verweisen auf die „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“.

In der Karlsruher Entscheidung heißt es, die Treuepflicht eines Beamten gebiete, den Staat und seine geltende Verfassungsordnung „zu bejahen und dies nicht bloß verbal“. Sie fordere „mehr als nur eine formal korrekte, im übrigen uninteressierte, kühle, innerlich distanzierte Haltung gegenüber Staat und Verfassung; sie fordert vom Beamten insbesondere, dass er sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die diesen Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren“. Und weiter: „Vom Beamten wird erwartet, dass er diesen Staat und seine Verfassung als einen hohen positiven Wert erkennt und anerkennt, für den einzutreten sich lohnt.“ Denn gerade der moderne Verwaltungsstaat mit seinen vielfältigen wie komplizierten Aufgaben sei auf loyale, pflichttreue, dem Staat und seiner verfassungsmäßigen Ordnung innerlich verbundene Beamte angewiesen und abhängig von deren „freie[r], innere[r] Bindung“ an die geltende Verfassung. Der freiheitliche demokratische Rechtsstaat dürfe sich nicht „in die Hand seiner Zerstörer geben“. Der Radikalenerlass, so könnte man sagen, war inhaltlich nicht viel mehr als eine Klarstellung dieser hergebrachten Grundsätze.

Und doch waren die politischen Folgen immens. Bund und Länder überprüften bis 1991 3,5 Millionen Personen per Regelabfrage bei den Verfassungsschutzämtern. 1250 Bewerber wurden nicht eingestellt und 260 bereits verbeamtete oder angestellte Mitarbeiter aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Der öffentliche Druck wurde so groß, dass die Bundesregierung und die meisten SPD-geführten Länder die Regelabfragen Ende der 1970er Jahre wieder einstellten: Fortan galt die Vermutung zugunsten der Bewerber, dass sie verfassungstreu seien; nur wenn konkrete Anhaltspunkte auf das Gegenteil hindeuteten, sollten die Verfassungsschutzämter angefragt werden. Bayern hielt als letztes Bundesland bis 1991 an den Regelabfragen fest.

Lange Zeit interessierten die rechtlichen Fragen um Treuepflicht, Mäßigung und Neutralität allenfalls ein paar Spezialisten, wenn man mal von den Debatten um kopftuchtragende Lehrerinnen absieht. Doch seit dem Erstarken rechtspopulistischer Parteien und Organisationen in ganz Europa haben sie plötzlich neue Relevanz. Gerade die AfD ist stolz darauf, viele Beamte unter ihren Mitgliedern zu haben.

Freilich haben weder Staat noch Gesellschaft ein Interesse an einer unkritischen, politikfernen Beamtenschaft. Anders als etwa in Großbritannien dürfen deutsche Beamte politischen Parteien beitreten. Auch Staatsdiener sind Staatsbürger, sie sollen es sogar sein. Für sie gelten die gleichen Grundrechte inklusive der Meinungsfreiheit. Doch ihre politische Freiheit hat Grenzen: Das Grundgesetz sei nicht wertneutral, es habe sich für zentrale Grundwerte entschieden, die es „in seinen Schutz nimmt und dem Staat aufgibt, sie zu sichern und sie zu gewährleisten“, heißt es in dem Karlsruher Beschluss. Staatsdiener sind dadurch auch privat an das Menschenbild des Grundgesetzes und dessen Grundwerte gebunden – etwa auch an die Menschenwürde und die Gleichheit aller, unabhängig von Hautfarbe oder Geschlecht. Rassistische oder diskriminierende Äußerungen sind damit nicht vereinbar.

Doch die Grenzen des Erlaubten sind in der Praxis nicht leicht zu ziehen. Bei den Mitgliedschaften in Parteien wird heute zwischen verfassungskonformen, verfassungsfeindlichen und verfassungswidrigen Gruppierungen unterschieden. Verfassungswidrig ist eine Partei erst, wenn das Bundesverfassungsgericht formell ihr Verbot verfügt hat. Dann verstößt schon eine einfache Mitgliedschaft gegen die Treuepflicht. Doch förmlich verboten wurden in der Geschichte der Bundesrepublik bisher nur die Sozialistische Reichspartei und die KPD, beide bereits in den 1950er Jahren. 1995 wurden auch die Freiheitliche Arbeiterpartei (FAP) und die Nationale Liste (NL) untersagt – allerdings nach dem einfacheren Vereinsrecht, weil die beiden Neonaziorganisationen die Anforderungen an Parteien nicht erfüllten.

Ist eine Partei nicht verboten, aber gegen die Wertvorstellungen des Grundgesetzes eingestellt und somit „verfassungsfeindlich“, dürfen ihr angehörende Beamte zumindest keine Führungsfunktion ausüben. Wie es mit einfachen Mitgliedern steht, muss im Einzelfall betrachtet werden. Denkbar ist etwa, dass ein Beamter einer verfassungsfeindlichen Partei angehört, sich dort aber für einen moderaten, also verfassungsfreundlicheren Kurs einsetzt. Den Ausschlag, das stellten die Karlsruher Richter fest, muss immer das persönliche Verhalten des Beamten geben. Allein eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz reicht jedenfalls nicht aus. Das hat inzwischen auch das Bundesinnenministerium mit Blick auf die AfD und ihre Unterorganisationen festgestellt. Grund für eine Beobachtung ist schon der Verdacht, dass eine Partei verfassungsfeindlich agiert. Ob sie es wirklich tut, entscheiden die Gerichte.

Anschaulich ist etwa der Fall eines früheren Polizeibeamten und einstmals stellvertretenden Landesvorsitzenden der rechtsextremen Pro NRW, der im Frühjahr 2019 mit einer Verfassungsbeschwerde gegen seine Entlassung scheiterte. Als der Verfassungsschutz die Partei 2011 als verfassungsfeindlich einstufte, wies der Polizeipräsident den Hauptkommissar darauf hin, dass dessen aktive Mitgliedschaft möglicherweise gegen die Treuepflicht als Beamter verstoße. Als der Mann an seiner Funktion bei Pro NRW festhielt, versetzte ihn der Polizeipräsident zunächst aus dem Streifendienst auf eine Stelle als Sachbearbeiter in die Direktion Verkehr.

Dem Hauptkommissar wurden weitere disziplinarische Konsequenzen angedroht, er solle seine Tätigkeit für die Partei überdenken und von ihr Abstand nehmen, teilte ihm der Präsident mit. Doch der Mann blieb stur. Schließlich folgte ein Disziplinarverfahren. In der Begründung findet sich die Formulierung aus dem Karlsruher Extremistenbeschluss von 1975: Ein Beamter habe sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen zu distanzieren, „die diesen Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren“. Pro NRW setze Menschen wegen ihrer Nationalität, Abstammung und Religion pauschal herab und diffamiere sie. Dadurch missachte die Partei die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, die Teil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sind. Als stellvertretender Landesvorsitzender müsse er sich dies alles zurechnen lassen.

Der Hauptkommissar sah indes weiter keinen Grund für einen Parteiaustritt, weshalb der Polizeipräsident das letzte Register zog: die Disziplinarklage vor dem Verwaltungsgericht. Über die Entlassung eines Beamten darf nur ein Gericht entscheiden – schließlich ist er eigentlich unkündbar. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf setzte sich eingehend mit Pro NRW und den Aktionen ihrer Mitglieder auseinander und beurteilte die Partei schließlich als verfassungsfeindlich. Der Hauptkommissar wurde aus dem Beamtenverhältnis „entfernt“.

Ein anderer Fall ist der des AfD-Bundestagsabgeordneten und früheren Freiburger Staatsanwaltes Thomas Seitz1. Er hatte den früheren US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama als „Quotenneger“ bezeichnet und Flüchtlinge als „Invasoren“ oder „Migrassoren“. Das baden-württembergische Justizministerium sah dadurch das Vertrauen in Seitz „nachhaltig gestört und unwiederbringlich verloren“, vor allem auch, weil sich die Öffentlichkeit bei Seitz nicht mehr darauf verlassen könne, dass er seine Aufgabe neutral, gemäßigt und unparteiisch verfolge. Neben der Treuepflicht, die Verfassungstreue verlangt, gelten für Staatsdiener auch die Neutralitätspflicht und das Mäßigungsgebot. Beamte dürfen sich als Privatleute politisch äußern, aber nur besonnen, sachlich und unvoreingenommen, sonst leidet das Vertrauen der Bürger in den Staat.

Das Richterdienstgericht am Landgericht Karlsruhe verfügte im Sommer 2018 Seitz‘ Entfernung aus dem Beamtenverhältnis in erster Instanz. Die Richter werteten die Äußerungen als rassistisch und sahen hierin vor allem einen Verstoß gegen die Neutralitätspflicht, die für Richter und Staatsanwälte von besonderer Bedeutung ist. Seitz will das allerdings nicht hinnehmen und hat Rechtsmittel eingelegt.

Doch das sind Einzelfälle. Die Entlassung eines Beamten ist vergleichsweise selten, da sie nur unter sehr engen Voraussetzungen infrage kommt, wenn das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit „endgültig verloren“ ist. Bei nicht so gravierenden Verstößen gegen Mäßigungsgebot oder Neutralitätspflicht bleibt dem Dienstherrn das klassische Repertoire an Disziplinarmaßnahmen, das vom Verweis über die Geldbuße bis hin zu Kürzungen der Dienstbezüge oder einer Zurückstufung reicht.

Viel häufiger müssen die Vorgesetzten entscheiden, wie sie mit Mitarbeitern umgehen, die zwar politisch zweifelhafte Positionen äußern oder andeuten, bei denen die Vorwürfe aber nicht für härtere Disziplinarmaßnahmen ausreichen. Ein Beispiel sind AfD-Mitglieder, die beim Verfassungsschutz tätig sind. Entlassen werden können sie nicht, doch ergibt sich aus den beamtenrechtlichen Grundsätzen die Pflicht, Interessenkonflikte zu vermeiden und sie im Zweifel dem Dienstherrn zu melden, etwa wenn ein Verfassungsschutzmitarbeiter die Aktivitäten der eigenen Partei bewerten oder beobachten soll. Im Bundesamt für Verfassungsschutz hat die Geheimschutzbeauftragte inzwischen alle Mitarbeiter aufgefordert, selbst zu überprüfen, ob sie etwa durch AfD-Kontakte in „sicherheitsrelevante Konfliktsituationen“ kommen könnten. Eventuell sei ein Wechsel in einen anderen Arbeitsbereich „sinnvoll“. „Umsetzungen“, also die Versetzung innerhalb einer Behörde, müssen zwar sachlich begründet sein, doch hat der Dienstherr hier einen weiten Ermessensspielraum.

Das Bundesverfassungsgericht hatte schon in seinem Extremistenbeschluss 1975 auf das Grundproblem hingewiesen: Beamte können nur unter sehr strengen Voraussetzungen entlassen werden. Gerade deshalb müsse im Bewerbungsverfahren genau hingesehen werden, befanden die Richter. Vor der Einstellung ins Beamtenverhältnis ist der Dienstherr nämlich vergleichsweise frei, wenn ihm Zweifel an der Verfassungstreue eines Bewerbers kommen.

Tatsächlich haben die Behörden das Einstellungsverfahren als wichtigsten Filter erkannt. Schon zu Zeiten des Radikalenerlasses galt das Hauptaugenmerk den Bewerbern. Im Auswahlprozess, gerade für die Sicherheitsbehörden, sollen charakterliche Eignung und Vertrauenswürdigkeit abgeklopft werden. Meist müssen Bewerberinnen und Bewerber eine Selbstauskunft ausfüllen und darin angeben, ob sie schon mal Gegenstand von Ermittlungen waren. Wird an einer Stelle ein Ja angekreuzt, verlangen viele Länder Einsicht in die entsprechenden Akten. Daneben führt die Polizei bei ihren Anwärtern Abfragen in den eigenen Datenbanken durch.

An die Stelle der Regelabfragen sind anlassbezogene Anfragen bei den Verfassungsschutzämtern getreten, etwa wenn ein Bewerber in bestimmten sicherheitsrelevanten Feldern oder beim Verfassungsschutz eingesetzt werden soll. Dort werden Bewerber einer umfassenden „Zuverlässigkeitsprüfung“ unterzogen und alle politischen wie persönlichen Verbindungen abgeklopft. Beim Verfassungsschutz reicht schon die Möglichkeit, dass Interessen des Landes gefährdet sein könnten, um eine Einstellung abzulehnen. Einige Länder, wie etwa Nordrhein-Westfalen, sagen offen, dass sie AfD-Mitglieder nicht in den Verfassungsschutz aufnehmen.

Für die übrigen Bereiche sind die Vorschriften von Land zu Land unterschiedlich. In Bayern etwa wird allen Bewerbern für den öffentlichen Dienst ein Fragebogen mit einem Verzeichnis „extremistischer oder extremistisch beeinflusster Organisationen“ vorgelegt, in dem sich etwa die Kommunistische Plattform und die Linksjugend – Gliederungen der Linkspartei – befinden, seit Juni 2019 aber auch der nationalradikale „Flügel“ der AfD und die „Junge Alternative Bayern“. Kreuzt ein Bewerber eine dieser Organisationen an oder bestehen aus anderen Gründen Zweifel an der Verfassungstreue, müssen diese Zweifel „ausgeräumt werden“, heißt es in der sogenannten Verfassungstreuebekanntmachung. Mittel der Wahl wäre in einem solchen Fall die Anfrage beim Landesamt für Verfassungsschutz. Doch die Zahl der Fälle ist begrenzt. In Bayern zählte die Regierung seit 2008 nie mehr als fünf „anlassbezogene Abfragen“ pro Jahr, meist waren es deutlich weniger, 2017 und 2018 jeweils drei.

Nordrhein-Westfalen hat für den Polizeidienst Ende 2018 in aller Diskretion wieder Regelabfragen eingeführt. Allein in der ersten Jahreshälfte 2019 wurden dort 8500 Bewerberinnen und Bewerber vom Verfassungsschutz überprüft; nur bei einer einstelligen Anzahl lagen Erkenntnisse vor, etwa über mögliche Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Dann wurde tiefer gebohrt. In einer Stellungnahme erklärt das Landesinnenministerium, Bewerber würden abgelehnt, wenn sich die „Zweifel an der charakterlichen Eignung“ bestätigten.

Die Prüfung der „charakterlichen Eignung“ ist der eigentliche Schlüssel, um zweifelhafte Bewerber auszusieben, denn die Kriterien sind naturgemäß weich. Über diesen Hebel können auch Kandidatinnen und Kandidaten abgelehnt werden, bei denen zwar keine handfesten Erkenntnisse vorliegen, die aber fragwürdig erscheinen. Von 8500 Bewerberinnen und Bewerbern für den Polizeidienst in Nordrhein-Westfalen wurden 2019 mehr als hundert mit Verweis auf die „charakterliche Eignung“ abgelehnt.

Anmerkungen

1 Vgl. Beitrag von Sabine am Orde auf S. 38

VORBEREITUNG AUF DEN TAG XRechtsextreme Prepper in Mecklenburg-VorpommernVon Robert Kiesel

Als die Beamten des Bundeskriminalamtes dem Projektingenieur Heiko Böhringer den Grundriss seiner eigenen vier Wände vorlegen, traut der seinen Augen kaum. Handelt es sich bei der Aufzeichnung doch um exakt jenes Dokument, das im Frühjahr 2015 – damals hatte der Kommunalpolitiker aus Ludwigslust (Mecklenburg-Vorpommern) eine Morddrohung erhalten – Kriminalpolizisten in seinem Beisein angefertigt hatten. Zu seinem Schutz. „Sie kommen, um deine Sicherheit zu gewährleisten, und am Ende landen die Daten bei denen, die dich gefährden“, empört sich Böhringer wenige Tage nach seiner Vernehmung im Juni 2019. Das Grundvertrauen des 55-Jährigen in die Sicherheitsbehörden, so viel macht der engagierte Kommunalpolitiker der 2016 gegründeten Wählergemeinschaft Freier Horizont deutlich, hat einen empfindlichen Schaden genommen. Böhringer ist nicht der einzige Betroffene, der die Arbeit der Ermittlungsbehörden kritisiert. Je mehr Details über die seit August 2017 laufenden Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft (GBA) gegen Mitglieder des Nordkreuz-Netzwerks bekannt werden, desto größer werden auch die erheblichen Zweifel an der Verfassungstreue einzelner Polizeibeamter.1