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Maša verliebt sich nach dem Tod der Mutter in ihren älteren Vormund, es entwickelt sich eine zarte Liebesbeziehung und nach der Heirat ziehen die beiden auf sein Gut Nikolskoe. Doch bald wird der lebenshungrigen Frau das eintönige Landleben langweilig. Sie liebt den Glanz der Bälle in Petersburg und verfällt der Vergnügungssucht, was ihre Ehe und ihr Familienglück gefährdet. Tolstoj greift hier erstmals den für ihn so wichtigen Themenkomplex Liebe - Ehe - Familie auf. Seine Protagonistin Maša ist eine Vorgängerin von Nataša Rostova und Anna Karenina. Familienglück erscheint in einer neuen zeitgemäßen deutschen Übersetzung, die der Modernität des Romans gerecht wird.
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Seitenzahl: 180
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LEV TOLSTOJ
FAMILIENGLÜCK
Roman
Aus dem Russischen übersetzt und mit Anmerkungen sowie einem Nachwort versehen von Dorothea Trottenberg
DÖRLEMANN
Der Roman erschien erstmals 1859 unter dem OriginaltitelSemejnoe ščastie in den Heften 1 und 2 der Aprilnummer der Zeitschrift »Russkij vestnik«. Die Übersetzung folgt der Textvorlage von Semejnoe ščastie in der 90bändigen russischen Akademie-Gesamtausgabe, der sogenannten »Jubiläumsausgabe« (1928–1958):L. N. Tolstoj: Polnoe sobranie sočinenij. Tom 5. Moskva 1931, S. 67–143Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten © 2011 Dörlemann Verlag AG, Zürich Umschlagbild: Ilja Repin, Ruhepause Umschlaggestaltung: Mike Bierwolf Satz und E-Book-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde ISBN 978-3-908778-20-2
Valerija Arseneva
Lev Tolstoj, 1854
ERSTER TEIL
I
Wir trugen Trauer um die Mutter, die im Herbst gestorben war, und verbrachten den ganzen Winter allein auf dem Land, Katja, Sonja und ich.
Katja ist eine alte Freundin des Hauses, die Gouvernante, die uns alle aufgezogen hat und die ich kenne und liebe, solange ich mich entsinnen kann. Sonja ist meine jüngere Schwester. Wir verbrachten einen düsteren, traurigen Winter in unserem alten Haus in Pokrovskoe. Es war kalt und windig, so daß sich die Schneewehen höher als die Fenster auftürmten; die Scheiben waren fast immer zugefroren und trübe, und wir gingen fast den ganzen Winter hindurch nicht aus und fuhren auch nirgends hin. Selten einmal kam jemand zu Besuch; doch selbst wenn jemand kam, wurde es nicht heiterer und froher in unserem Haus. Alle hatten traurige Gesichter, alle sprachen leise, als fürchteten sie, jemanden zu wecken, niemand lachte, alle seufzten und weinten häufig, wenn sie mich und besonders die kleine Sonja in ihrem schwarzen Kleidchen ansahen. Im Hause schien man den Tod noch zu spüren; die Trauer und der Schrecken des Todes lagen in der Luft. Mamas Zimmer war verschlossen, und wenn ich beim Zubettgehen daran vorbeikam, schauderte mich, und etwas zog mich, einen Blick in dieses kalte, leere Zimmer zu werfen.
Ich war damals siebzehn Jahre alt, und Mama hatte in dem Jahr, als sie starb, in die Stadt übersiedeln wollen, um mich in die Gesellschaft einzuführen. Der Verlust der Mutter war ein heftiger Schmerz für mich, doch ich muß zugeben, daß sich bei allem Schmerz auch das Gefühl regte, daß ich jung und schön war, wie mir alle sagten, und nun schon den zweiten Winter unnütz in der Abgeschiedenheit auf dem Lande totschlug. Gegen Ende des Winters hatte dieses Gefühl von Melancholie, Einsamkeit und schierer Langeweile solche Ausmaße angenommen, daß ich mein Zimmer nicht mehr verließ, das Klavier nicht mehr öffnete und kein Buch mehr zur Hand nahm. Wenn Katja mir zuredete, mich mit diesem oder jenem zu beschäftigen, gab ich immer zur Antwort: »Ich habe keine Lust, ich kann nicht«, aber in meiner Seele sprach es: »Warum? Warum etwas tun, wenn meine beste Zeit so sinnlos vergeht? Warum?« Auf dieses gab es keine andere Antwort als Tränen.
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