Federn lassen - Regina Dürig - E-Book

Federn lassen E-Book

Regina Dürig

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Beschreibung

In Regina Dürigs "Federn lassen" werden jenen Momenten, in denen nichts als Sprachlosigkeit einsetzt, Räume geschaffen. Schweigen, Stille, Starre, Scham herrschen in den kurzen Episoden, in denen sich die Erzählerin rückblickend als ein namenloses Du beobachtet. Wir begleiten jenes Du von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter und werden Zeuge von Grenzüberschreitungen und Übergriffen – physisch wie psychisch. Wie tief die Spuren sein können, die eine Bemerkung, eine Bedrängung, eine Beschneidung der Handlungsfähigkeit hinterlassen, ist immer mehr Thema in der Gesellschaftspolitik geworden. Sexismus, Mansplaining, patriarchale und hierarchische Strukturen sind weiter an der Tagesordnung. Umso mehr ist "Federn lassen" ein Buch der Stunde, das all das dokumentiert und gegen all das anschreibt. Erschreckend nüchtern und ohne die Figur als Opfer auszustellen, erzählt Regina Dürig von bestürzenden Ereignissen und tastet dabei nach Form und Sprache. Interpunktionslos brechen die Zeilen nach wenigen Wörtern um, wodurch Dürigs Prosa einen lyrischen Anklang erhält.

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Seitenzahl: 48

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Regina Dürig

Federn lassen

Novelle

Literaturverlag Droschl

 

für Patricia, Patrizia & Pat

für Sandra, Danny, Liliane & Alex

und alle anderen Sanften

 

Dieses Buch wurde aus der Überzeugung geschrieben, dass unser Miteinander weitaus menschlicher sein könnte. Um die Gesellschaft zu verändern, müssen uns ihre strukturellen Schwächen bewusst sein. Einige der folgenden Geschichten schildern daher auch physische Gewalt – diese Kapitel sind mit einem Stern gekennzeichnet.

 

»Your silence will not protect you.«

Audre Lorde

 

 

»In fact, proximity to the other and closeness between us can be reached when engendering a common world together, a world that will not destroy the world which is proper to each one.«

Luce Irigaray

Nachtblind

Lass uns zurück diesen Weg

nehmen sagt Nino und zeigt

auf den Pfad der dämmrig vom

Waldweg abzweigt und

geht voran ihr wohnt

nicht weit von hier du kennst

den Wald oder Park oder wie

das zu nennen ist halb

dichte Grünheit an der

Baumgrenze zur

Zivilisation du gehst

Nino hinterher und die

Nacht zieht sich an

den Halmen herauf es

knackt es ginstert jetzt

hab dich nicht so denkst

du ihr seid schließlich

erwachsen zu

zweit gut Nino ist

schmächtig und hat in jedem

Handgelenk eine frisch

eingeschraubte Metallplatine

der darf nicht mal

Milch hochheben oder

Zucker oder Brot aber hier kann

nichts passieren denkst

du und Nino sagt hab ich

dir schon mal von meiner

Nachtblindheit erzählt

er sagt es nach vorn

du hörst es trotzdem gut

ist nicht lustig sagst du

und er sagt im Ernst

ich kann bei so Licht

wie jetzt fast gar

nichts mehr sehen und

gerade als du fragen willst

wie in aller Welt er dann auf die

Idee gekommen ist durchs

Unterholz zu pirschen

siehst du links von euch

am Boden einen Mann

sich aufsetzen als habe

er im Laub geschlafen und

als habet ihr ihn geweckt

eine langsame Bewegung

eine Drehung des Torsos

in die Wachheit dir

rennt ein Schatten in

den Brustkorb

einfach weitergehen

denkst du einfach nur

weiter du sagst nichts

nichts

immer noch nichts erst

als ihr aus dem Wald

fast schon raus seid fragst

du Nino leise ob er

den Mann auch gesehen habe

der da gelegen habe

das ist nicht lustig sagt

Nino im Ernst sagst du

ich glaub da war jemand und

Nino weiß seine Hände

sind zusammengenäht

aus Einzelteilen

und du kannst nicht

sagen ob es eine optische Täuschung

ob es nicht der Schlaf

selbst war der da gelegen

hat bereit sich zu erheben

und ihr sagt

nichts nichts immer

noch nichts ihr steht im

Hof beim großen Baum

und erst jetzt stellt sich

die Frage die einzige in

deinen Kopf was ist wenn

der Hilfe gebraucht hätte weil

warum sonst würde da einer

auf trockenem Laub liegen und

du fragst Nino ob ihr zurückgehen

solltet und Nino fragt bist du

sicher dass da jemand war

und du sagst nein da war

wahrscheinlich gar niemand

und ihr kommt überein

dass ihr beide nachtblind seid

dass der Mann wenn es denn

einer war sicher etwas gesagt

hätte um Hilfe gebeten

oder einen Laut gemacht

du gehst schlafen aber du

schläfst nicht weil da reißt

eine Unzulänglichkeit an den

Atemrändern

reibt und rankt und bleibt wieso

war da nur Weglaufen in dir

in deine eigene Sicherheit

ein Schwachsein statt Menschsein

keine Wärme kein Halten kein Moos

 

 

Spielen

Du bist vier

und spielst am liebsten

mit dir alleine

das beunruhigt deine Eltern

weil Kinder

doch so gerne

mit anderen Kindern

spielen

sagen sie

laden den Sohn von

Freunden den

Torsten ein

deine Mutter

leiht ihm das

kleinste Paar

Gästehausschuhe das

mit den Lachgesichtern

du gehst ins Bad

und machst Zahnpasta

auf die Bürste

du lässt Wasser

drüberlaufen

und dann hast du

den rosa Geschmack

im Mund

bis der Schaum

langsam dünn wird

irgendwann ist da

gar kein Schaum

mehr und

noch später

gar kein Geschmack

und Torsten

geht zu deiner Mutter

und fragt ob er

wieder nach Hause

darf und sie will wissen

ob ihr nicht

schön zusammen spielt

und die Haustür

geht auf und zu

und du stellst

die Bürste zurück

in den Becher

du bist vier

und hast gewonnen

Halbe Portion

Du sitzt

am Mittagstisch

deines Großvaters bei dem

es normalerweise immer

Pommes gibt in einer

flachen Metallschale

aus dem Restaurant

im Erdgeschoss

aber heute gibt

es Kartoffelgratin mach

nicht so ein Gesicht

sagt dein Vater

das sind auch Kartoffeln

und schöpft dir eine

Kelle auf deinen Teller

der säuerliche Geruch

der Sahne steigt

dir in die Nase du

wirst es nicht runterkriegen

aber du willst keine

Probleme machen nicht

der Grund für Stille sein

für Wut weil du schwach

bist hörst du auf im Essen

rumzustochern sagt dein Vater

so gedämpft er kann

ich kann was anderes holen

sagt dein Großvater die isst

was auf den Tisch kommt sagt

dein Vater mit einem

Blick der dich so lange packt

wie du brauchst um eine

Kartoffelscheibe zu finden

an der möglichst wenig

saurer Käseschleim

klebt und sie dir

in den Mund zu stecken

und runterzuschlucken

und der Geruch

drückt dir den Hals zu

und den Bauch

du entscheidest dass

Geschwindigkeit die

einzige Lösung ist und

isst so viel du kannst

ohne zu atmen damit

du so wenig wie möglich

schmeckst na also der Blick

wendet sich anderem zu

während du versuchst

das Würgen das in dir

hochkriecht leise

zu halten du willst

aufstehen aber ein

Handdruck hält dich

fest du bleibst sitzen

bis wir fertig sind

du weißt nicht

wie du atmen sollst

wie sitzen dir wird

schwindelig vom sauren

Geruch und der Säure

innen und du könntest

selbst dann nichts

sagen wenn du kein

Kind wärst weil jetzt

das Kartoffelgratin

aus deinem Bauch

deinem Hals deinem

Mund auf den kleinen

Teller kleckert

die Tischdecke

das Holz

und ein großer Arm