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Willkommen zurück im mordsmäßig schönen St. Peter-Ording ... Ein Kegelturnier mischt ganz St. Peter-Ording auf, und auch Ilva Feddersen ist bei der Organisation des Wettbewerbs eingespannt. Doch schon kurz nachdem die konkurrierenden Kegelvereine Quartier bezogen haben, liegt der Favorit des Turniers tot in seinem Campingwagen. Alles sieht zunächst nach einem tragischen Unfall aus. Aber Ilvas Spürnase juckt, und sie kann sich nicht ganz aus den Ermittlungen heraushalten. Als ein zweiter Toter geborgen wird, steht für Ilva und ihre Freunde fest: Das war Fowl Play. Doch wer killt die Kegler? *** Sie lieben Krimis und humorvolle Bücher? Hier haben Sie die perfekte Mischung: Tanja Janz garantiert beste Unterhaltung und lädt an den schönsten Strand Deutschlands ein.
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Fiese Brise in St. Peter-(M)Ording
Bestsellerautorin TANJA JANZ begeistert ihre Leserinnen und Leser mit ihren gefühlvollen Romanen vor der traumhaften Kulisse von St. Peter-Ording. Bevor sie mit Mitte dreißig begann, selbst Romane zu schreiben, hat sie mehrere Jahre als Pädagogin gearbeitet und leidenschaftlich gelesen. St. Peter-Ording ist ihr Sehnsuchtsort und seit vielen Jahren ein Fixpunkt in ihrer Urlaubsplanung.Von der Autorin ist in unserem Hause außerdem erschienen:Wilkommen in St. Peter-(M)Ording
Tanja Janz
Ein Küsten-Krimi
Ullstein
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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage April 2023© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2023Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®, München, (Details und Hintergrund); © Westend61 GmbH/Alamy Stock Photo (Stelzenhaus); plainpicture/© Guenther Schwering (Schaf)Karte: © Peter Palm, BerlinE-Book Konvertierung powered by pepyrusISBN978-3-843-72932-1
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Die Autorin / Das Buch
Titelseite
Impressum
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
Karte von St. Peter-Ording
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Titelseite
Inhalt
1. Kapitel
Ording an einem lauen Sommerabend Anfang Juli, bei Abenddämmerung und noch immer 22 Grad.
Auf dem Parkplatz an der Utholmer Straße reihten sich verschiedenste Fahrzeuge aneinander. Etliche Touristen hatten ihre fahrbaren Untersätze dort abgestellt. Der Platz in Ording war beliebt und der Weg zum Deich und Strand nur kurz. Neben Pkws aller Fahrzeugklassen hatten hier auch einige Camper einen freien Stellplatz gefunden. Zur Hochsaison waren Parkflächen in St. Peter-Ording ein knappes Gut. Kaum vorstellbar, dass dies jemals anders war und der Küstenort aufgrund seines unfruchtbaren, sandigen Bodens als Armenhaus der Landschaft gegolten hatte. Versuche, die Bodenqualität zu erhöhen, scheiterten, denn wehte der starke Westwind eine neue Schicht Sand an Land, verdarb er den Boden erneut. Doch das war schon lange her. Wer heute hier lebte, hatte daran keine Erinnerung mehr.
Ich stellte meinen Wagen neben einem SUV mit mir unbekanntem Ortskennzeichen ab. Mittlerweile kamen die Urlauber von überall her. Sogar aus dem benachbarten Dänemark oder gar den Niederlanden. Der Tourismus war es, der St. Peter-Ording schließlich zu der Perle gemacht hatte, die es heute war.
Bevor ich ausstieg, sah ich mich um, schaute seitlich aus dem Fenster und warf einen Blick in den Rückspiegel. Nichts rührte sich. Ich schien allein auf dem weitläufigen Parkplatz zu sein. Wahrscheinlich waren die Kfz-Inhaber noch unterwegs, saßen vielleicht bei einem kalten Bier irgendwo in der Außengastronomie von St. Peter-Ording oder bewunderten vom Strand aus, wie die Sonne tiefrot im Meer versank. Mir sollte es recht sein. Für das, was ich vorhatte, konnte ich keine Zeugen gebrauchen.
Langsam drückte ich die Fahrertür auf. Die Luft roch nach Sommer, nach frischen Gräsern, die den Parkplatz umgaben, und dem typischen Salzduft des Meeres. Um mich herum zirpte es im Gras, und von weiter entfernt konnte ich den Schrei einer Möwe vernehmen. Ich ging zum Heck des Wagens, blieb einen Moment davor stehen, und als sich um mich herum noch immer nichts rührte, öffnete ich den Kofferraum und nahm zwei große Taschen heraus. In eine stopfte ich eine alte Wolldecke, zwei große blaue Müllsäcke und eine Taschenlampe. Ich drehte meinen Kopf abermals Richtung Deich. Vom Meer her zogen graue Wolken auf, die sich bis zum Festland ausbreiten würden. Auf das wechselhafte Nordseewetter war Verlass. In ein paar Minuten würde es schön duster sein. Das spielte mir in die Karten. Zufrieden drückte ich die Klappe des Kofferraums leise zu. Ich zog die Kapuze meines Sweatshirts über den Kopf, nahm die Taschen und folgte der Utholmer Straße auf dem parallel verlaufenden Fuß- und Fahrradweg.
Es waren nur wenige Autos in Ording unterwegs, in den Ferienhäusern brannte bereits vereinzelt das Licht. Bloß weiter vorne am Kreisverkehr, wo sich die Auffahrt zum Strand befand, herrschte mehr Betrieb. Auf meinem Weg überquerte ich den Ordinger Sielzug, auf dessen Wasseroberfläche sich der Abendhimmel spiegelte, und bog dann, ein paar Meter weiter, links in eine Auffahrt ein, die zum Anwesen eines großen Hauses mit vorgelagerten Parkplätzen führte. Der Wind frischte weiter auf und glitt raschelnd durch die Baumkronen. Über dem Eingang des großen Hauses prangte der Name der Ferienunterkunft: Landhaus Dircks. Die silbernen Buchstaben wurden von der Außenbeleuchtung an der Fassade angestrahlt. Der Rest des Hauses lag in der Abenddämmerung. Wie bereits auf dem Parkplatz war auch hier keine Menschenseele. Die Gelegenheit für mein Vorhaben war günstig! Im Schutz der Dämmerung huschte ich über den Schotterplatz, an den Autos der Gäste vorbei, setzte über einen Zaun und schlich dann über die Wiese, zwischen den Fußballtoren, einem eingezäunten Pool und einem Holzpferd hindurch. Am Kaninchenstall machte ich halt und lauschte angestrengt. Von der Straße drang das Motorengeräusch eines näher kommenden Autos an mein Ohr.
Ich hielt den Atem an, rührte mich nicht. Mit klopfendem Herzen beobachtete ich die Zufahrt des Grundstücks. Die Lichter der Scheinwerfer durchdrangen die hereinbrechende Dunkelheit. Ich rechnete damit, dass im nächsten Moment der Wagen auf den Parkplatz rollen und ich von der gleißenden Beleuchtung erfasst werden würde. Doch das Auto fuhr vorbei. Da die Utholmer Straße eine der Hauptverbindungen zum Strand und den Unterkünften am Deich war, wurde sie auch in den Abendstunden häufig befahren.
Erleichtert atmete ich aus und wischte mit dem Handrücken Schweiß von meiner Stirn. Ich wollte die Angelegenheit möglichst schnell hinter mich bringen, bevor ich entdeckt wurde. Mit drei großen Schritten erreichte ich schließlich den Eingang zum Schuppen. Langsam drückte ich die Klinke hinunter, und die Tür schwang knarzend nach innen auf. Ich erstarrte. Womöglich hatte ich dadurch die Aufmerksamkeit eines Feriengastes auf mich gezogen. Im Dunkeln schien jedes Geräusch mindestens doppelt so laut zu sein wie tagsüber. Als jedoch alles still blieb, betrat ich schließlich den Schuppen. Vertrauen hatte die Frau, das musste man ihr lassen. Dabei galt auch im beschaulichen St. Peter-Ording mittlerweile der Grundsatz »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser«, weswegen immer mehr Einheimische ihren Besitz durch Schlösser sicherten. Einige hartgesottene St. Peteraner weigerten sich jedoch beharrlich, ihre lieb gewonnenen Angewohnheiten zu ändern.
Ich zog die Tür hinter mir zu. In dem Gerätehaus war es stockdunkel. Die Innenbeleuchtung wollte ich nicht betätigen. Das hätte unter Umständen zu viel Aufmerksamkeit erregt. Also zog ich die Taschenlampe aus meiner Tasche und knipste sie an. Der schwache Lichtschein glitt über kleine und große Fahrräder, Bollerwagen, Kettcars, Roller und allerhand weitere Outdoor-Spielzeuge. Alles stand ordentlich in Reih und Glied. Es sah gar nicht nach der besagten Rumpelkammer aus. Ich leuchtete zur Seite und zuckte unwillkürlich zusammen. Entsetzt fasste ich an mein Herz. Fast hätte ich vor Schreck die Lampe fallen lassen, als ich in die reflektierenden Augen einer Katze blickte. Das Tier hatte es sich in einem Fahrradkorb gemütlich gemacht und blinzelte mich verschlafen an. Ich stützte mich mit einer Hand an der Holzwand ab und brauchte einen Moment, bis sich mein Puls wieder beruhigt hatte.
»Musst du mich so erschrecken?«, wisperte ich der Katze zu. Statt zu antworten, gähnte sie mich unbeeindruckt an und drehte mir ihren Rücken zu. Ich schüttelte den Kopf und leuchtete in die Ecken des Schuppens und ein Regal ab.
Verdammt! Irgendwo musste doch der alte Schinken sein! Ich hatte mit eigenen Ohren gehört, dass die Kritzelei in diesem Gerätehaus vor sich hin staubte. Was für eine Verschwendung!
Ich leuchtete nach oben und stellte mich auf die Zehenspitzen, um besser erkennen zu können, was sich auf dem oberen Regalbrett befand. Außer ein paar Kartons und einer dunklen Staubschicht konnte ich jedoch nichts entdecken, das auch nur den Hauch einer Ähnlichkeit mit einem Bild hatte. Aber es musste doch hier irgendwo stecken! In einer anderen Ecke erspähte ich einen Rasenmäher und daneben eine braune Plane. Na also! Darunter würde ich das gute Stück finden. Ich hob den wasserabweisenden Stoff hoch – und enthüllte einige Gartenmöbel und ein paar Blumenkübel.
Enttäuscht und ein wenig ratlos stemmte ich die Hände in die Hüften. Ich blickte mich unschlüssig um. Irgendwas musste ich tun, dachte ich ungeduldig. Letztendlich konnte ich nicht ewig hier herumstehen und mich womöglich erwischen lassen. Kurz entschlossen griff ich nach den Kartons auf dem Regal und schüttete deren Inhalt wahllos in eine meiner Taschen. Als ich gerade einen der leeren Kartons zurück auf das Regalbrett stellen wollte, erstarrte ich mitten in der Bewegung. Hatte ich da etwas gehört? Schnell schob ich den Karton so leise wie möglich zurück an seinen alten Platz, löschte das Licht der Lampe und lauschte. Ich hatte mich nicht getäuscht.
Wieder war es ein Motorengeräusch gewesen. Doch dieses Mal kam es eindeutig näher. Nun war Schnelligkeit gefragt. Ich lugte aus einem Fenster, um mich zu vergewissern, dass die Luft rein war. Eilig schulterte ich die Tasche und verließ den Schuppen. Der Schreck saß mir gehörig im Nacken. Ohne mich noch einmal umzusehen, flüchtete ich über den hinteren Teil des Grundstücks. Als ich die große Wiese hinter dem Landhaus erreicht hatte, die zum nördlichen Deichabschnitt führte, schaute ich mit klopfendem Herzen zurück. Hinter einem der Fenster im großen Haupthaus ging das Licht an.
Am nächsten Morgen in der Polizeistation im Deichgrafenweg in St. Peter-Ording, bei strahlendem Sonnenschein und einer angenehmen Brise.
Hauptkommissar Ernie Feddersen lockerte seine Schultern. Dann beugte er seinen Oberkörper weit vor und zog konzentriert die Brauen zusammen. Dabei verengte er seine Augen zu schmalen Schlitzen und fixierte einen Punkt, der einige Meter vor ihm lag. Mit dem rechten Arm pendelte er ein paarmal vor und zurück und lockerte schließlich in der Vorwärtsbewegung seinen Griff. Die Kugel rollte geräuschvoll über die großen, ebenen Flurfliesen. An Pannenbäcker vorbei, der sich mit einer Kaffeetasse in der Hand weit über den Tresen der Anmeldung gebeugt hatte, um alles im Blick zu haben. Kurz darauf folgte ein dumpfer Aufprall.
»Alle Achtung, Chef!« Pannenbäcker nickte anerkennend. Acht der neun Kegel, die am Ende des Ganges in Form eines Quadrats gestanden hatten, waren gefallen. »Das war ein richtiger Profiwurf.«
Ernie verzog jedoch sein Gesicht ungeachtet Pannenbäckers Lobs zu einer abschätzenden Grimasse. »Ach, Mensch! So was von knapp! Alle neune wären mir lieber gewesen. So hole ich nie den Titel. Höchstens den des Pudelkönigs.«
Pannenbäcker stellte seine Kaffeetasse auf dem Tresen ab. »Sie müssen positiv denken, Chef. Eine gute mentale Verfassung ist beim Wettbewerb die halbe Miete.«
Ernie lächelte milde. »Sie scheinen sich ja gut auszukennen.«
»Ein bisschen. Wer ist denn eigentlich der Favorit des Turniers?«, fragte Pannenbäcker interessiert.
»Offiziell sind es zwei Kegelbrüder, die jedes Jahr zum Turnier nach SPO anreisen. Aber inoffiziell würde ich sagen meine Mutter.«
»Ihre Mutter?«, fragte der junge Kollege überrascht und zog die Augenbrauen hoch.
»Na ja.« Ernie zuckte mit den Schultern. »Sie hat sich das für dieses Mal fest in den Kopf gesetzt.«
»Hatten Sie nicht mal erwähnt, dass sie sich den Oberschenkelhals gebrochen hat?«
»Ach, das ist doch längst Schnee von gestern. Seit der Geschichte mit dem Unfall ist meine Mutter zu einer richtigen Sportskanone mutiert. Andere wären danach kürzergetreten, doch bei ihr ist das Gegenteil passiert. Sogar im Fitnessstudio hat sie sich angemeldet und rennt seitdem jeden Tag hin, um an Kursen teilzunehmen, oder trifft sich mit ihren Freundinnen zum Walken. Und nebenbei trainiert sie noch für das Turnier. Gerade gestern war sie erst wieder bei einem Kegelabend des Klubs. Aber als Rentnerin hat sie ja auch genügend Zeit.«
»Das nenn ich mal Ehrgeiz«, meinte Pannenbäcker sichtlich beeindruckt und trank einen Schluck aus der Tasse.
»Mein Vater nennt das verrückt.« Ernie zog mit einer Hand seinen Hosenbund ein Stück höher. Ein paar Kilo weniger würden ihm auch gut zu Gesicht stehen. »Pannenbäcker, stellen Sie doch noch mal die Kegel auf.«
»Alles klar, Chef!« Der junge Polizist, der nun schon die zweite Saison im Rahmen des Bäderersatzdienstes von Flensburg nach St. Peter-Ording abgeordnet worden war, um seine Kollegen in den geschäftigeren Sommermonaten zu unterstützen, rollte die Kugel zurück in Ernies Büro und stellte danach die Kegel erneut auf. »Dann mal gut Holz, Chef. Sie schaffen das!«, meinte er mit erhobenen Daumen.
»Übung macht den Meister«, sagte Ernie lässig, während er wieder seine Startposition einnahm und die neun Kegel anvisierte, die Pannenbäcker vor der Wand, gleich neben dem Eingang zur Wache, aufgestellt hatte. Dieses Mal ließ er sich länger Zeit, um genau Augenmaß zu nehmen. Schwungvoll warf er die Kugel und ging dabei leicht in die Knie. Bevor das Geschoss die Kegel traf, rumste es.
»Aua!«
»Kerle Kiste!« Ernie stemmte seine Hände in die Hüften und schüttelte den Kopf.
»Alle neune!«, stellte Pannenbäcker trocken fest.
»Was geht denn hier ab?« Kommissar Fred Glabotki stand im Flur der Polizeidienststelle. Eine Hand hatte er auf den Türknauf gelegt, und in der anderen hielt er eine angebissene Brötchenhälfte mit Zwiebelmett. Ungläubig blickte er auf die Kugel, die an einem seiner Beine abgeprallt war und nun vor der Anmeldung lag. Durch das Aufdrücken der Tür hatte er alle Kegel zu Fall gebracht.
»Habt ihr während meines Urlaubs etwa auf Bundeskegelbahn umfirmiert?« Er schloss die Tür hinter sich und hob mit der freien Hand die Kugel auf. »Da ist man einmal im Urlaub …« Kopfschüttelnd ging er damit ins Büro.
»Irgendwo muss ich ja für das Kegelturnier trainieren«, rechtfertigte Ernie sich. »Sonst zieht mich meine Mutter gnadenlos ab.«
Fred drückte seinem Kollegen die Kugel in die Hand und biss ins Brötchen. »Ich kann dir ein paar Tipps geben, wenn du willst«, nuschelte er mit vollem Mund.
»Du?«
»Ja, ich«, bestätigte er mit wichtiger Miene, legte seine Dienstjacke über einen Bürostuhl. »Früher war ich nämlich einmal in der Woche mit meinen Eltern beim Kegeln im Haus Eintracht in Schalke. Dort hat sich regelmäßig unser Verein getroffen. Und ich bin sogar zweimal Jugendmeister im Kegelklub geworden.«
»Ach, das wusste ich ja gar nicht.« Ernie war ehrlich überrascht.
»Tja, kannste mal sehen!«, sagte Fred mit triumphierendem Blick und stopfte sich den Rest des Brötchens in den Mund. Er leckte sich die Finger ab und machte dann eine Armbewegung zu dem jungen Kollegen hin. »Und Sie? Trainieren Sie auch für das Turnier?«
Pannenbäcker hob abwehrend eine Hand. »Auf gar keinen Fall, Chef! Ich stelle nur die Kegel auf und koche bei Bedarf Kaffee.«
»Dann melde ich mal akuten Bedarf an. Machen Sie doch gleich mal eine frische Kanne. Am besten schön stark, dass der Löffel drin stehen bleibt. Ich hatte noch kein Käffchen heute früh.« Fred ließ sich auf seinen Bürostuhl fallen, während Pannenbäcker in die kleine Küche der Wache verschwand. Fred seufzte und machte seinen Computer an. Mit missmutiger Miene zog er eine Akte an sich und blätterte motivationslos darin herum.
Ernie setzte sich an den Tisch ihm gegenüber. Forschend betrachtete er seinen Kollegen. Dass Fred nicht gleich mit den neuesten Geschichten aus dem Ruhrpott loslegte, war ungewöhnlich.
»Also, wie jemand, der frisch aus dem Heimaturlaub kommt, siehst du nicht gerade aus.«
»Oder erst recht! Wie soll man sich denn da auch erholen?« Fred ließ die Akte auf den Tisch fallen. »So einen Stress hält doch keiner aus!«
»Warum? War es etwa so schlimm in Gelsenkirchen? Man hört ja auch immer einiges über die Stadt in den Medien …«
»Ach was! Mit Gelsenkirchen hat das rein gar nix zu tun. Da läuft alles rund, und die Kollegen haben ihr Revier fest im Griff«, wiegelte Fred mit einer entschiedenen Handbewegung ab. »Aber der Sohn meiner Schwester hat Elias ganz kirre gemacht, während wir da waren. Er ist seitdem völlig neben der Spur.«
»Das hört sich ja schlimm an«, sagte Ernie mitfühlend. Sein Kollege wirkte tatsächlich gestresst. Das kam bei Fred äußerst selten vor. Er stand auf Action, und davon gab es seiner Meinung nach viel zu wenig in St. Peter-Ording. Da müsste er in einer Großstadt eigentlich voll auf seine Kosten gekommen sein.
»›Schlimm‹ ist gar kein Ausdruck.« Fred fuhr sich mit einer Hand durch sein Haar. »Elias hat sich von seinem Cousin den Floh ins Ohr setzen lassen, dass es viel cooler ist, Feuerwehrmann zu sein, als Polizist.«
Ernie hob die Augenbrauen. »Ach was!«
»Ja, stell dir das mal vor!«
»Das geht ja gar nicht!« Ernie war mindestens genauso entsetzt wie Fred, verkniff sich dabei jedoch ein Lächeln. Das eigene Kind an die Konkurrenz zu verlieren war schließlich harter Tobak, aber nun ja – er war ein Kind, und da änderten sich schließlich die Berufswünsche genauso oft wie das Wetter an der Nordseeküste.
»Hab ich meiner Frau auch gesagt – und meiner Schwester Melanie ebenfalls. Aber auf ihre Unterstützung kann ich nicht zählen. Sie meinte nur, Hauptsache, die Kinder werden glücklich.« Fred sagte den letzten Teil des Satzes mit einer höheren Stimme und machte dann eine Scheibenwischer-Handbewegung vor seinem Gesicht. Jetzt fiel es Ernie wirklich schwer, nicht doch zu lachen. Er konnte sich die Geschwister genau vorstellen, wie sie gemeinsam am Frühstückstisch über das Schicksal ihrer Söhne stritten. »So was muss ich mir von meiner eigenen Polizisten-Schwester anhören, die schon in der Grundschule auf dem Schulhof für Recht und Ordnung gesorgt hat. Was ist das denn für eine Einstellung?«
»Und was sagt dein Vater dazu? Er hat doch da bestimmt auch ein Wörtchen mitzureden«, versuchte Ernie, die Ernsthaftigkeit der Situation zu wahren. Er wusste, dass Fred aus einer alteingesessenen Gelsenkirchener Polizei-Familie stammte. Sein Vater war bis zur Rente erster Hauptkommissar in Gelsenkirchen gewesen, und Freds Opa hatte damals ebenfalls im Dienst der Polizei gestanden. Da war die Berufswahl mit der Geburt schon traditionell festgelegt – genauso wie die Fanliebe zum heimischen Fußballverein. Unter diesen Umständen grenzte ein Wechsel zur Feuerwehr schon an Verrat.
»Bis jetzt hat sich die Sache noch nicht bis zu ihm herumgesprochen. Meine Schwester wird auch garantiert dafür sorgen, dass Hannes nichts von seinen aktuellen beruflichen Plänen kundtut. Mein Vater findet es nämlich toll, dass sein ältester Enkel so viel Spaß bei der Jugendfeuerwehr hat, aber das ist in seinen Augen ja nur ein Hobby.«
Ernie nickte. »Was willst du denn jetzt wegen deinem Sohnemann machen?«
Fred zuckte mit den Schultern. »Darauf hoffen, dass Elias in den nächsten zehn Jahren wieder auf den rechten Weg zurückfindet – so lange dauert es ja noch bis zu seinem Abitur.«
»Na siehst du, bis dahin fließt noch viel Wasser die Eider entlang.« Ernie warf seinem Kollegen einen aufmunternden Blick zu. »Man kennt ja diese Phasen! Mit sechs wollen sie Pilot werden, und später landen sie dann irgendwo in der Verwaltung.«
»Zweimal schön stark.« Pannenbäcker kam mit dampfenden Kaffeetassen ins Büro und stellte sie auf einem Schreibtisch ab. Fred griff nach dem Pott mit dem Vereinslogo des FC Schalke 04. Genau in diesem Moment klingelte das Telefon. Bevor Ernie oder Fred reagieren konnten, hatte der junge Kollege schon den Hörer in der Hand.
»Polizeidienststelle St. Peter-Ording, Pannenbäcker am Apparat«, meldete er sich in wichtigem Tonfall. Ernie und Fred ließen ihn nicht aus den Augen. »Machen Sie sich keine Sorgen. Es kommt gleich jemand bei Ihnen vorbei«, sagte Pannenbäcker kurz darauf und beendete das Gespräch.
»Was ist denn los?«, wollte Fred wissen.
»Im Landhaus Dircks wurde eingebrochen.«
»Kerle Kiste! Das ist ja bei Helena.« Hastig trank Ernie einen Schluck von seinem Kaffee und verzog schmerzerfüllt den Mund. »Mensch! Ist das heiß!«
»Ist doch frisch gekocht«, erinnerte Pannenbäcker ihn.
»Ach nee!« Ernie verdrehte die Augen und leckte sich über die verbrühten Lippen. Er stellte die Tasse zurück auf den Schreibtisch. Mit der rechten Hand zog er seine Dienstjacke vom Bügel, und mit der linken griff er nach seiner Polizeimütze. »Los, Fred! Wir müssen sofort zu Helena nach Ording.«
»Und was ist mit mir?«, fragte Pannenbäcker, der sich vermutlich insgeheim schon in der Ermittlerrolle am Landhaus gesehen hatte.
Fred zog seine Jacke ebenfalls über. »Sie halten natürlich hier die Stellung und machen Telefondienst.« Im Vorbeigehen klopfte er dem jungen Polizeimeister auf die Schulter. »Jetzt bin ich ja wieder da.«
»Fährst du?«, wollte Ernie wissen.
»Wie immer.« Fred griff nach dem Schlüssel des Dienstwagens, und schon wenig später bretterten sie über die B202 Richtung Ording.
Fred hatte es sich nicht nehmen lassen, das Blaulicht einzuschalten. Nach drei Wochen Urlaub war es ihm ein Bedürfnis, sich wieder voll und ganz in seinem Beruf zu entfalten. Ernie saß angespannt auf dem Beifahrersitz und hielt sich mit der rechten Hand am Haltegriff fest. Obwohl Fred und er nun schon seit einigen Jahren ein eingespieltes Team waren, trieb der Fahrstil seines Partners ihm noch immer die eine oder andere Schweißperle auf die Stirn.
Inzwischen hatte Freds Miene einen zufriedeneren Ausdruck angenommen. »Wenn ich eins im Urlaub vermisst habe, dann waren es unsere gemütlichen Dienstfahrten.«
Ernie strich mit einem Schutzhandschuh über den Türrahmen des Schuppens und richtete sich dann auf. Er kratzte sich mit einer Hand am Hinterkopf. »Es sind keine Einbruchsspuren erkennbar, Helena.«
»Wie auch?« Die Gastgeberin vom Landhaus Dircks zuckte mit den Schultern. »Es war ja nicht abgeschlossen. Ist es nie.«
Fred pfiff durch die Zähne. »Ziemlich vertrauensvoll, um nicht zu sagen leichtsinnig. Das geht meistens irgendwann schief.«
»In dem Schuppen sind hauptsächlich Fahrräder, Kettcars und Spielzeuge für die Gäste untergebracht. Außerdem können hier auch mitgebrachte Räder, Bollerwagen oder andere Dinge abgestellt werden. Der Ort ist deshalb natürlich frei zugänglich«, erklärte sie.
Ernie signalisierte seinem Kollegen mit einem Blick, nicht weiter nachzubohren, und wandte sich dann wieder Helena zu.
»Was ist denn eigentlich gestohlen worden? Ein Fahrrad?« Er zog den Handschuh aus und stopfte ihn in eine Hosentasche.
»Nein, nichts so Großes!« Sie schüttelte den Kopf. »Aber eben etwas Persönliches, worüber ich mich sehr ärgere. Jeskos Geschenke sind weg. Ich wollte ihn damit überraschen, weil er dieses Mal so ein gutes Zeugnis hat.« Helena ging in den Schuppen. Ernie und Fred folgten ihr. Sie deutete zu einem Regalbrett. »Letztendlich geht es mir nicht um den Wert der gestohlenen Gegenstände, sondern um die Tatsache, dass jemand sich hier bedient hat. Da oben hatte ich die Päckchen für meinen Sohn in einem Karton versteckt. Ich wollte die Sachen nicht in einem Schrank in der Wohnung haben, weil die Kinder in einem Alter sind, wo sie mittlerweile alles finden, selbst wenn sie nicht danach suchen. Der Schuppen schien mir das ideale Versteck zu sein. Er gehört sozusagen den Gästen. Jesko wäre nie auf die Idee gekommen, in einen Karton auf dem oberen Regalbrett zu schauen. Er geht hier nur rein, um sein eigenes Fahrrad rauszuholen.« Sie nahm eine Pappbox in die Hand, die auf dem Boden gestanden hatte. »Heute Abend sollte er eigentlich seine Überraschung bekommen, und als ich sie vorhin holen wollte, war der Karton leer.« Sie drehte die Schachtel mit der offenen Seite zum Boden.
»War außer den Geschenken noch etwas in der Kiste?«, wollte Fred wissen.
»Ja, ich weiß allerdings gar nicht so genau, was.« Helena überlegte einen Augenblick. »Irgendwelcher Plunder wahrscheinlich. Altes Sandspielzeug, Zeltheringe, Taschenlampen für Nachtwanderungen – Zeug, das schon ewig keiner benutzt hat. Hier steht einfach zu viel rum. Ich hätte längst mal wieder ausmisten müssen. Aber wie das so ist, während der Saison ist ständig was anderes.«
»Theoretisch könnte es jemand von deinen Gästen gewesen sein, oder?«, sprach Ernie das Naheliegendste an.
»Grundsätzlich ist das natürlich möglich, aber durch das Kegelturnier haben wir momentan gar keine Familien mit Kindern hier. Welcher Erwachsene fängt denn etwas mit Kindergeschenken an?« Helena schüttelte den Kopf. »Außerdem passt es zu keinem von denen. Es sind alles Stammgäste, die schon seit Jahren kommen. Keiner von ihnen klaut.«
»Genauso, wie es nicht zu der einen Familie im vorletzten Jahr gepasst hat, deine Katze als Mitbringsel mitgehen zu lassen, weil die Kinder sie so süß fanden?«, erinnerte Fred sie.
»Das war eine absolute Ausnahme, und ohnehin ist bis heute nichts bewiesen. Vielleicht ist sie damals auch einfach ausgebüxt und war auf Wanderschaft. Schließlich ist die kleine Maus ja nach einer Weile wieder aufgetaucht.«
»Wenn wir deinen Gästen keine langen Finger unterstellen, kann dennoch jemand die Sachen gefunden und vermutet haben, sie seien ebenfalls aussortierter Plunder, der zur freien Benutzung zur Verfügung steht. Kannst du den Tatzeitraum ungefähr eingrenzen?«, lenkte Ernie von dem Katzenthema ab.
»Schwierig zu sagen. Gestern Abend war ich beim Kegeln, gemeinsam mit einigen Gästen – ein paar letzte Probewürfe, bevor das Turnier morgen startet. Wo die anderen waren oder was sie getan haben, weiß ich nicht. Möchte ich auch ehrlich gesagt nicht fragen.«
»Also, könnte gestern Abend theoretisch als Tatzeitraum infrage kommen?«
»Theoretisch schon. Aber ich liege natürlich auch sonst nicht den ganzen Tag auf der Lauer und bewache den Schuppen. Wie gesagt, hier stehen die Dinge für und von den Feriengästen herum.«
»Wir sollten mal mit deinen Gästen sprechen und uns vielleicht unauffällig in ihren Zimmern umsehen«, schlug Fred vor, der sich freute, direkt nach seinem Urlaub wieder voll einzusteigen. »Vielleicht hat jemand etwas gesehen, oder wir finden die Geschenke dort sogar.«
Helena und die Polizisten verließen den Schuppen wieder.
»Bloß keine Durchsuchung, und ich würde auch gerne auf eine Befragung verzichten! Die Leute freuen sich alle auf das Kegelturnier, und die Nachricht von einem Einbruch schafft nicht gerade Vertrauen. Ich kann jetzt keine schlechte Stimmung gebrauchen.«
Sie blieben vor dem Eingang zum Landhaus Dircks stehen.
»Dann können wir natürlich leider nicht viel unternehmen. Du müsstest eine Anzeige erstatten, das bedeutet aber, dass wir alle nötigen Maßnahmen ergreifen müssen, um den Fall zu klären. Falls du es dir aber noch anders überlegst, dann sind wir natürlich da«, bot Ernie diplomatisch an.
»Danke. Auf eine Anzeige möchte ich verzichten. Alles Weitere regle ich lieber ohne Hilfe der Polizei. Ich wollte einfach, dass ihr davon gehört habt, und war im ersten Moment, als ich bemerkt habe, dass die Geschenke weg sind, einfach zu schockiert und bin meinem Impuls gefolgt. Es sind ja nicht die Kronjuwelen gestohlen worden. Bloß die neue Ausgabe des Guinnessbuchs der Rekorde, ein Bayern-Trikot und vermutlich eine Menge alter Plunder.«
»Bayern …« Fred rümpfte die Nase. Für ihn als eingefleischten Schalke-Fan klang das fast so schlimm wie das Wort »Feuerwehr« aus dem Mund seines Sohnes, dessen aktueller Berufswunsch Freds Polizistenseele quälte. »Immerhin nicht Lüdenscheid«, spielte er auf die Revier-Rivalität zwischen dem FC Schalke und Borussia Dortmund an.
»Du willst also keine Anzeige erstatten?«, sprach Ernie erneut das eigentliche Thema an.
»Nein, ich denke nicht. Wäre das Bild aus meinem Arbeitszimmer gestohlen worden, dann läge der Fall anders. Das ist nämlich wirklich wertvoll.« Sie deutete durch ein Fenster ins Büro.
Ernie und Fred blickten in den Raum.
»Wie gesagt, vielleicht war meine Reaktion etwas übertrieben. Womöglich tauchen die Geschenke wieder auf … wie die kleine Maus.« Helena beugte sich mit dem Oberkörper nach vorne, um die Katze zu streicheln, die sich an ihren Beinen rieb. »Und sollte es wirklich um das Bild gegangen sein, es hängt ja weiterhin sicher in meinem Arbeitszimmer, und es ist nichts passiert«, fügte sie hinzu.
In diesem Moment rollte ein grüner Kombi auf den Parkplatz, aus dem wenig später ein älteres Ehepaar stieg. »Moin!« Helena hob eine Hand und winkte der Frau und dem Mann freudig zu. »Ich muss mich mal um meine neuen Gäste kümmern«, sagte sie zu Ernie und Fred.
Ernie nickte. »Falls noch etwas verschwinden sollte, sag einfach Bescheid.«
»Oder falls ich doch die Zimmer unter die Lupe nehmen soll«, ergänzte Fred.
Helena nickte und lächelte. »Danke, dass ihr hier wart.« Sie gingen gemeinsam zum Parkplatz, wo Fred den Peterwagen abgestellt hatte. »Ihr macht doch auch beim Turnier mit?«, fragte Helena nach.
»Na, und ob! Schließlich muss ja einer meine Mutter besiegen.«
»Sie ist wirklich richtig gut«, sagte Helena. »Gestern Abend war sie sogar die Beste aus unserer Runde. Was ist denn mit dir, Fred?«
»Genau, was ist denn mit dir? Du bist doch Profi«, spielte Ernie auf Freds Offenbarung von vorhin an.
Doch der winkte bloß ab. »Das ist mir zu kurzfristig. Meine aktive Zeit liegt lange zurück. Ich hätte viel eher mit dem Training anfangen müssen.«
»Ist doch bloß zum Spaß«, meinte Ernie lässig.
»Nach bloß Spaß hört es sich bei dir aber gar nicht an, wenn du erzählst, dass du unbedingt deine Mutter besiegen musst«, warf Fred ein.
»Na ja …« Ernie schaute auf seine Armbanduhr. »Wir müssen dann auch mal wieder.«
»Ist gut. Ich melde mich, wenn es etwas Neues gibt«, versprach Helena.
Ernie schnallte sich auf dem Beifahrersitz an. »Ein merkwürdiger Fall«, murmelte er.
Fred startete den Motor. »Überaus merkwürdig sogar«, stimmte er seinem Kollegen zu. »Wer klaut denn freiwillig ein Bayern-Trikot?«
Helena blickte dem Polizeiauto nach, als es aus der Einfahrt fuhr, und ging dann zu ihren Gästen, die bereits drei Gepäckstücke aus dem Kofferraum gehievt hatten. Der Diebstahl wurmte sie, aber das sollten ihre Gäste nicht merken. Sie schluckte den Ärger hinunter und lächelte stattdessen den Neuankömmlingen entgegen.
»Helena! Wie schön, dich zu sehen.« Die Frau umarmte sie.
»Ich freue mich auch, Erika. Gut, dass ihr endlich da seid. Hattet ihr eine gute Fahrt?«
»Bis Hamburg ja, und dann ziemlichen Stau kurz vor dem Elbtunnel. Aber das kennen wir ja.« Der Mann schüttelte ihr die Hand. »Und du? Hast du etwa Ärger?«
»Du meinst, weil die Polizei da war?«
»Ja.«
»Eigentlich nicht wirklich. Es ist nur was aus dem Schuppen verschwunden. Keine große Sache. Zwei Geschenke für Jesko. Als Belohnung für sein gutes Zeugnis.«
Erika fasste sich mit einer Hand an die Wange. »Dass solche Dinge nun auch in St. Peter-Ording passieren … bis vor ein paar Jahren brauchte man hier gar nichts abzuschließen. Nie ist was passiert.«
»Ist Hotte etwa schon da?«, frotzelte Rudi mit vor Sarkasmus triefender Stimme.
Erika gab ihrem Mann einen Klaps auf den Unterarm. »Mensch, Rudi! Jetzt hör mal auf mit dem Quatsch!«
Helena musste lachen. »Die Rivalen der Kegelbahn sind zurück.«
Rudi zog eine Augenbraue hoch. »Hotte kann von Glück sagen, dass ich mir vor drei Monaten den Arm gebrochen habe und dieses Jahr bloß den Schiri mache.«
Erika hatte schon eine Reisetasche in der Hand. »Jetzt halte keine Volksreden, sondern beeil dich mal etwas. Ich möchte noch einen Tisch bei Gosch kriegen und nicht im Stehen essen.«
»Zu Befehl!« Rudi schulterte eine nicht allzu schwer wirkende Tasche und griff nach dem erstbesten Koffer. Er folgte seiner Frau und Helena zum Haus. »Endlich Urlaub und keinen Stress«, murmelte er.
Zur gleichen Zeit im Garten der Familie Feddersen, in einer ruhigen Seitenstraße in St. Peter-Ording Dorf.
Ilva drückte die Tür auf und betrat die Terrasse. Für einen Moment schloss sie die Augen und genoss die friedliche Stimmung. Sie atmete tief ein und spürte, wie sich ihre Lungen mit frischer Luft füllten. Süßer Blütenduft stieg ihr in die Nase, und warme Sommerluft strich über ihre nackten Unterarme. Es war ein herrlicher Sommertag, wie er nicht schöner hätte sein können. Ein merkwürdiges Geräusch von draußen hatte sie in den Garten gelockt. Sie wollte nachsehen, woher es kam. Langsam öffnete sie die Augen wieder und ging ein paar Schritte. Neben dem Strandkorb mit der blau-weißen Markise blieb sie stehen. Eine Weile lauschte sie und schaute dabei suchend durch den Garten. Hatte sie sich das Geräusch etwa bloß eingebildet? Nein! Da war es wieder! Dieses Mal war das Schnarren lauter. Ihr Blick schweifte über den in den letzten Wochen reichlich hoch gewachsenen Rasen, um den Ursprung des Geräusches aufzuspüren. Als sie jedoch nichts Verdächtiges ausmachen konnte, ging sie ein paar Schritte über die Wiese.
Schließlich entdeckte sie den Verursacher des Schnarrens: Kater Kuschel hockte am Fuße des alten Kirschbaums und gab zeternde Laute von sich. Etwa zwei Meter über ihm hockte ein rostbraunes Eichhörnchen auf dem Brettchen des Futterhauses, das Ilva im letzten Jahr gebaut hatte. Das Baumhörnchen öffnete geschickt die Klappe des Häuschens und entnahm ihm seelenruhig eine Eichel. Von Kater Kuschel schien es nicht im Geringsten beeindruckt.
Ilva erkannte sofort, dass es sich bei dem Tier um einen Wiederholungstäter handeln musste. Ein blutiger Anfänger hätte vermutlich eine Weile gebraucht, um herauszufinden, wie die Klappe sich öffnen ließ. Kuschels schnarrendes Zähneklappern schwoll an. Der Kater schien vor Aufregung kurz vor einem Herzinfarkt zu stehen. Er stellte sich auf die Hinterbeine und versuchte, an der glatten Rinde des Stamms hochzuklettern, rutschte jedoch ab. Währenddessen machte sich das Eichhörnchen mit seiner Beute im Maul aus dem Staub. Ilva ging zu dem roten Kater und nahm ihn auf den Arm.
»Prima hast du aufgepasst. Das Eichhörnchen hast du ganz toll verscheucht«, lobte sie und kraulte ihn ausgiebig hinter einem Öhrchen. »Aber ein oder zwei Kilo weniger würden dir gut bekommen. Bist ganz schön mopsig geworden, mein Dickerchen.«
»Lass das nicht deinen Vater hören.« Sybille Feddersen war in einem schicken Sportdress auf der Terrasse erschienen. Ihre Wangen glühten rosig. In der rechten Hand hielt sie zwei Walking-Stöcke, in der linken eine Trinkflasche. Ein pinkes Stirnband verhinderte, dass ihr Haare ins Gesicht fielen.
Ilva ging auf ihre Mutter zu. »Papa geht mit den Leckerchen doch ziemlich inflationär um.«
Sybille Feddersen zuckte mit den Schultern. »Er sagt, Kuschel soll nicht leben wie ein Hund.«