Finales Foul - Andrea Gerecke - E-Book

Finales Foul E-Book

Andrea Gerecke

4,4

Beschreibung

Der überaus charmante und gut aussehende Trainer Manfred Meier ist eine Ikone im Handball, auch über die Region hinaus. Unter großem, persönlichem Einsatz hat er die verschiedenen Teams in den Ranglisten vorangetrieben. Er ist heiß begehrt, was zu Eifersüchteleien unter den jungen Spielerinnen führt. Seine Ehe bleibt davon nicht verschont, häufige Streitereien mit der Gattin sind angesagt. Während er eines Tages mit einer Frauenmannschaft zu einem Auswärtsspiel unterwegs ist, verschwindet seine Ehefrau. Als die Polizei die Ermittlungen aufnimmt, steht er den Beamten hilfreich zur Seite. Doch als in der Garage, unter dem Beton, die Leiche gefunden wird, befindet er sich in Erklärungsnot … Währenddessen quälen Hauptkommissar Alexander Rosenbaum noch andere Sorgen. Seine Mutter verliert sich zunehmend in der Demenz und er muss seinen Vater unterstützen. Zwei Frauen buhlen um seine Gunst und um die der beiden Töchter – zum einen Heike Langenkämpfer von der Spurensicherung und zum anderen Dr. Celine Vlachos, die bildschöne, neue Assistentin des Gerichtsmediziners.

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Inhalt

Titelseite

Impressum

Über die Autorin

Widmung

Kapitel 1: Weihnachtsmarkt

Kapitel 2: Schreibkram

Kapitel 3: Besucher

Kapitel 4: Revierwechsel

Kapitel 5: Training

Kapitel 6: Heimweh

Kapitel 7: Saunageschichten

Kapitel 8: Seniorenbeirat

Kapitel 9: Verlassen

Kapitel 10: Sparzwänge

Kapitel 11: Vergessen

Kapitel 12: Anzeige

Kapitel 13: Umworben

Kapitel 14: Handwerker

Kapitel 15: Arztbesuch

Kapitel 16: Auswärtsspiel

Kapitel 17: Verschollen

Kapitel 18: Bombig

Kapitel 19: Kräuterwanderung

Kapitel 20: U-Haft

Kapitel 21: Routine

Kapitel 22: Geständnis

Kapitel 23: Schreibwettbewerb

Kapitel 24: Glasklar

Kapitel 25: Fehlentscheidung

Kapitel 26: Obduktion

Kapitel 27: Unschuldig

Kapitel 28: Gesprächsbedarf

Kapitel 29: Deutungen

Kapitel 30: Catering

Kapitel 31: Befragung

Kapitel 32: Korb

Kapitel 33: Bauchgefühl

Kapitel 34: Treffer

Kapitel 35: Freundinnen

Kapitel 36: Verabschiedung

Kapitel 37: Danksagung

Andrea Gerecke

Finales Foul

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.ddb.de

© 2015 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hameln

www.niemeyer-buch.de

Alle Rechte vorbehalten

Der Umschlag verwendet Motive von shutterstock.com

Red Shoes Prokopeva Irina 2015, Background Eky Studio 2015

Druck und Bindung: CPI books

eISBN 978-3-8271-9878-5

EPub Produktion durch ANSENSO Publishing www.ansensopublishing.de

Die Romanreihe spielt direkt am Treffpunkt von Weser- und Wiehengebirge im Nordrhein-Westfälischen. Malerisch liegt das mittelgroße Städtchen an der Weser, die beide Erhebungen teilt oder vereint. Je nachdem, aus welcher Perspektive man das betrachtet. Alle Handlungen und Charaktere sind natürlich frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten ergeben sich also rein zufällig. Regionale Wiedererkennungseffekte sind indes erwünscht ...

 

 

Über die Autorin:

Gebürtige Berlinerin mit stetem Koffer in der Stadt. Studierte Diplom-Journalistin und Fachreferentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Kurz vor dem Jahrtausendwechsel Entdeckung der Liebe zum Landleben mit den dortigen kreativen Möglichkeiten. Umzug ins vorletzte Haus an einer Dorfstraße in NRW. Arbeit als freie Autorin und überregionale Journalistin. Organisatorin von Literaturevents. Literarische Spezialität sind mörderische Geschichten, in denen ganz alltägliche Situationen kippen. Nach den Gutenachtgeschichten für Erwachsene „Gelegentlich tödlich“ folgten „Warum nicht Mord?!“ und „Ruhe unsanft“. 2011 erschien der erste Fall von Kommissar Alexander Rosenbaum „Mörderischer Feldzug“ innerhalb der Weserbergland-Krimi-Reihe, der in Minden spielt. Dem schloss sich 2012 der zweite Fall an: „Der Tote im Mittellandkanal“. 2013 geschah Fall drei: „Die Mühlen des Todes“. Und 2014 passierte Fall vier: „Tödliche Begegnung im Moor“. Dazu kommen humoristische und satirische Texte, Prosa und Lyrik. Veröffentlichungen in zahlreichen Anthologien, Zeitungen und Zeitschriften. Mitglied der Mörderischen Schwestern und des Syndikats sowie des Leitungsteams der Mindener Lesebühne.

Siehe auch: www.autorin-andrea-gerecke.de

„Gefährlich ist’s den Leu zu wecken, verderblich ist des Tigers Zahn, jedoch der schrecklichste der Schrecken, das ist der Mensch in seinem Wahn.“

Friedrich Schiller (aus: Das Lied von der Glocke)

Weihnachtsmarkt

Feiner Nieselregen strich über die Landschaft und kroch in jeden Winkel. Mit sich trug er einen Geruch von Gülle. Die Witterung hatte es zugelassen, dass die Bauern noch etwas davon auf ihren Äckern ausbringen konnten, ehe der Frost es verbot. In den Fenstern der umliegenden Häuser leuchteten Schwibbögen, Kränze schmückten die Türen, Bäume und Büsche trugen Lichterkleider. Rot, Gold und Silber waren die vorherrschenden Farben, nur ein einziger Bewohner hatte sich für ein im Trend liegendes kräftiges Blau entschieden. An einem Schornstein baumelte eine aus der Mode gekommene, kletternde Weihnachtsmannfigur. Sie wirkte hilflos, schien sich an die Dachziegel zu klammern und gab doch immer wieder den Windböen nach, die sie hin und her pendeln ließen.

Ein Schäferhund streunte die Dorfstraße entlang, dem Stimmengewirr entgegen. Er ignorierte die Passanten, die auf dasselbe Ziel zustrebten. Jennifer lief zögerlich, streckte ihre Hand aus und fuhr dem Hund, der sich zu ihr gesellte, über das Fell. Er ließ es mit sich geschehen, ohne zu knurren. Die Kapuze ihres Anoraks gestattete nur die Sicht auf einen kleinen Ausschnitt ihres schmalen Gesichtes. Eine winzige Strähne ihres rotblonden Haares lugte hervor und klebte an der Stirn, zwischen den Sommersprossen.

„Alles klar, Brutus“, tätschelte sie den Hund, während sie stehen geblieben war. Er setzte sich, blickte zu ihr auf und schaute ihr aufmerksam in die Augen.

„Du bleibst jetzt brav hier sitzen“, forderte Jennifer, wich dem Blick aus und betrachtete wieder die Ansammlung der im Kreis angeordneten Holzbuden und Verkaufsstände. Sie konnte sich Zeit lassen. Der Weihnachtsmarkt hatte gerade erst geöffnet.

In den Güllegeruch mischte sich der Duft von Bratwurst, Popcorn und Pizza. Je näher Jennifer dem Ort des Geschehens kam, umso mehr roch es nach dem Essen. Ihr Magen knurrte, aber sie würde sowieso nichts davon zu sich nehmen wollen. Ein Gefühl von Übelkeit stieg in ihr auf. Seit einem Jahr ernährte sie sich – sehr zum Leidwesen ihrer Mutter, die gern kräftig westfälisch kochte – vegetarisch und überlegte gerade, ob sie konsequenterweise auf vegane Ernährung wechseln sollte. Schließlich wollte sie nicht eines Tages so in die Breite gehen wie diese Fleischfresser ...

Der Hund war in gebührendem Abstand sitzen geblieben. Er schien zu wissen, dass ihm irgendjemand eine Kleinigkeit vorbeibringen würde. Das hier war alles sein Revier. Heute gab es keine störenden Autos. Die Alte Schulstraße war zwischen Kirchweg und Hahler Dorfstraße für den Durchgangsverkehr gesperrt.

„Hallo, Jenny. Schietwetter heute, nicht wahr?!“, begrüßte am Eingang zu den im Kreis aufgebauten Buden eine hochgewachsene Frau das Mädchen. Die Mutter einer Klassenkameradin. Jennifer nickte freundlich, aber zurückhaltend. Sie wollte nicht reden und nicht gestört werden.

Die ersten Grüppchen standen schon an den hohen Tischen, vor sich Portionen mit Pommes, Fleischstücken, Bier dazu. Erste Lachen von den geöffneten Flaschen mit dem überschäumenden Getränk bildeten sich, Essensreste fielen von den Papptellern und blieben liegen. Jeder neu Dazugekommene wurde mit großem Hallo begrüßt, bis er in die Menge integriert war.

Jennifer hatte sich seitlich an eine Bude gestellt, wo Handarbeiten für einen guten Zweck verkauft wurden. Die farbenfrohen Topflappen und cremeweißen Häkeldeckchen hatten einen eher übersichtlichen Zulauf. Das Mädchen lehnte mit dem Rücken an einem Stützbalken. Einen Fuß stemmte sie angewinkelt ebenfalls gegen den Balken. Jetzt zog Jennifer ihr Smartphone aus der Tasche und fing an, eine Nachricht einzugeben. Wenn sie beschäftigt tat, so hoffte sie, würde sie weiter ungestört bleiben. Sie hielt den Kopf gebeugt und schaute nur vereinzelt durch die gesenkten Augenlider in die Runde, ohne ihre Position zu verändern. Plötzlich schlug ihr Herz höher, und ihr Fuß rutschte am Balken herunter auf den Boden.

„Mensch, Manni, auch mal wieder hier?“, erkundigte sich ein kräftiger Mittdreißiger. „Willst du dich von unseren Arbeiten hier überzeugen? Waren wieder alle beim Aufbau unseres Hahler Weihnachtsdorfes beteiligt – der Turn- und Sportverein mit den Aktiven und den Ehemaligen, die Freiwillige Feuerwehr, eben alle, die sich mit dem Ort verbunden fühlen. Wir sind inzwischen schon eine echte Tradition hier! Die Presse hat ja vorneweg schon umfangreich drüber berichtet.“

Dann wechselte er nahtlos das Thema: „Was macht denn bei dir die Kunst?“

„Alles bestens, Kalle. Ich wollte doch wenigstens kurz hier auf meinem Lieblingsweihnachtsmarkt vorbeischauen. In der Stadt waren wir schon, ist ja ein Muss. Aber das ist überhaupt kein Vergleich. Bei euch ist es so gemütlich“, lobte Manfred Meier und zog seine Frau enger an sich heran. „Nicht wahr, mein Liebes?“

„Aber ja, Bärchen“, entgegnete Judith und schmiegte sich an ihren Mann, ihren Besitzanspruch für jedermann verdeutlichend. Sie strich ihm über das dunkle, leicht gewellte, volle Haar. Beide trugen die gleichen Jacken.

„Und du, Kalle, heute solo?“, wandte sie sich an den Mann.

„Ja, meine bessere Hälfte muss arbeiten. Wie das so ist im Krankenhaus. Sehr familienunfreundlich mit den ewigen Schichten im Klinikum. Demnächst wollen sie ja Uniklinik werden, habe ich läuten hören. Na, wer weiß, was dann abgeht ...“

„Wie ich dich kenne, wirst du dich aber auch so amüsieren“, warf Manfred ein und wies auf die Bierflasche und das Schnapsglas.

„Genau. Prost ihr beiden und viel Vergnügen.“

„Werden wir haben“, sagte Manfred, legte den Arm um Judith, und beide liefen gemächlich zu einer nächsten Bude, bei der Muffins angeboten wurden. Er zückte sein Portemonnaie, wies charmant lächelnd auf zwei Gebäckstücke, nachdem er seine Frau fragend angeschaut hatte, und bezahlte. Nebenan verkauften drei halbwüchsige Jungs aus der Jugendmannschaft selbstbewusst Pizza.

„Na, ihr zwei, ein paar Bissen fürs Hüftgold“, kommentierte Sofia die kleinen Kuchen, schob sich zwischen Judith und Manfred hindurch und hielt einen Becher mit duftendem Glühwein mit beiden Händen umklammert.

„Ach, hast du es doch geschafft, Sofia“, erkundigte sich Judith, sorgte dafür, dass wieder ein Abstand zwischen ihnen dreien entstand und ging überhaupt nicht auf die Bemerkung ein. Dabei musterte sie die Freundin, die ein edles Outfit inklusive hochhackiger Pumps trug, so als wolle sie in die Oper nach Hannover oder zumindest ins Stadttheater nach Minden.

„War nicht leicht, aber ich wollte es mir nicht nehmen lassen. Schließlich ist das hier immer eine einmalige Angelegenheit und so toll, dass man jede Menge Bekannte aus der Sportszene trifft“, strahlte Sofia.

„Genau! Darum geht es ja eigentlich auch“, ergänzte Manfred und fühlte sich etwas unsicher. Er rieb sich mit Daumen und Zeigefinger nervös den Nasenrücken.

„Ich überlege noch, ob ich mir etwas Stippgrütze hole“, sagte Sofia.

„Gute Idee. Die ist hier immer lecker“, kommentierte Judith freundlich und umklammerte ihren Mann fester. „Was meinst du, Manfred? Wollen wir da auch zuschlagen?“

Jennifer war einen Schritt zurückgetreten und befand sich nun nicht mehr im ausgeleuchteten Areal. Sie hatte die Gruppe die gesamte Zeit über beobachtet und hielt immer noch ihr Smartphone in der Hand, jederzeit bereit, so zu tun, als wäre sie ganz intensiv damit beschäftigt.

Die Feuchtigkeit des Nieselregens, der inzwischen ihre Garderobe durchdrängte, spürte sie nicht. Der Anorak war imprägniert und ließ wenig hindurch, aber die Jeans wurden langsam klamm. Auch die Turnschuhe waren unpassend für das Wetter. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete sie Manfred Meier, ihren Handballtrainer. Er würde sie bestimmt nicht wahrnehmen, unter all den Leuten. Außerdem hatte sie extra einen unauffälligen Anorak ihrer Mutter gewählt, in tiefem Blau-Schwarz. Die vorlugende Strähne, die sie vielleicht verraten hätte, war längst unter der Kapuze versteckt. Ihr dunkelgrauer Schal, auch daheim ausgeborgt, verdeckte inzwischen Mund und Nase. Es waren nur die Augen, die blitzten und auf Wanderschaft waren. Immer in Gefolgschaft ihres Angebeteten.

Schreibkram

Alexander rollte mit dem Schreibtischstuhl enger an den Tisch heran, dann stemmte er beide Hände gegen die Platte und schob sich wieder zurück. Verdammt, dachte er, warum verschwimmen denn die Buchstaben so und werden aus der Ferne plötzlich lesbarer? Bin ich überarbeitet? Sollte ich mal eine Pause machen? Er sah zum Fenster, aber die Dunkelheit der Nacht erlaubte keinen Ausblick. An der Scheibe hatte sich ein feuchter Nieselregenfilm festgesetzt.

Ach was, fuhr er sich innerlich an, vielleicht brauchst du nur eine Lesebrille. Wirst eben alt. Er grinste breit und positionierte sich wieder vor dem Computer. Zuerst rief er die Mails auf seiner Hauptadresse ab: [email protected]. Um die anderen Postfächer wollte er sich anschließend kümmern.

Auf dem Bildschirm stand die E-Mail einer befreundeten Familie, die es nach Südfrankreich verschlagen hatte. Im Anhang war wieder eines dieser unschlagbar schönen und fast duftenden Lavendelbilder. Das Schreiben hatte ihn daran gemahnt, sich endlich auch um seine Briefschulden zu kümmern.

„... Wir wünschen Euch ein Schönes und Gesundes Weinachtfest. Wir werden in Gentagen bei Euch sein“, hatte Valerie geschrieben.

Alexander musste lachen. Ob sich heutzutage einer noch die Mühe machte und seine Mails las, ehe er sie versendete? Schien wohl hier auch mal wieder nicht der Fall zu sein. Weihnachten ohne h war vielleicht noch verzeihlich. Wobei er das seinen Kindern auch nicht durchgehen lassen würde. Mit der Groß- und Kleinschreibung hatte so mancher seine Schwierigkeiten. Aber „Gentagen“ war schon klasse. Er musste wirklich einen Augenblick grübeln, ehe er auf „Gedanken“ kam, die die Absenderin gemeint hatte. Im Grunde könnte man solchen Schriftwechsel auch als Preisausschreiben aufzäumen, fiel ihm ein. Finden Sie die Fehler, lieber Leser ...

Er schrieb ein paar freundliche Antwortzeilen, las sie noch einmal aufmerksam, korrigierte zwei Buchstabendreher und drückte auf Senden. Im selben Moment vermeldete sein Postkasten den Eingang einer weiteren Mail. Diesmal war sie von Janine. Alex schluckte und bekam Beklemmungen. Sie hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, von zu Hause zu schreiben. Absender war die Fachhochschule Bielefeld, wohin sie gewechselt hatte. Dort nun als Assistentin im Dozentenbereich.

„Dabei habe ich sie so geschätzt, in der Arbeit und überhaupt“, flüsterte Alex. Dass ihm jetzt die Sicht auf den Bildschirm erschwert wurde, lag an einem Tränenschleier, der sich bildete. Er schüttelte den Kopf. Werd jetzt bloß nicht sentimental, verfluchte er sich. Diese Rührseligkeit lag bestimmt auch an der weihnachtlichen Atmosphäre allenthalben.

Wer war nur schuld an der ganzen Misere? Tina und Lena? Alexander seufzte. Ach, da stellte sich doch überhaupt keine Schuldfrage in so einem Fall. Es hatte eben nicht gepasst mit ihm und Janine, und er gehörte zu seinen Töchtern. Wenn sich eine neue Frau nach dem Tod von Olga da nicht einfügen konnte, dann ging es einfach nicht. Zum Glück hatte dieser tragische Fall auch einen positiven Effekt. Jetzt waren seine Kinder endlich an seiner Seite, er konnte auf sie aufpassen, sie behüten und sie wachsen – erwachsen werden – sehen.

Alexander erhob sich und lief leise durchs Haus. Behutsam drückte er die Klinke der Tür zum Kinderzimmer herunter. Es herrschte absolute Stille. Ganz vorsichtig, um nur kein Geräusch zu verursachen, lief er zum Bett von Tina, kniete nieder und beugte sein Gesicht zu ihrem hinunter. Er sog ihren Duft ein. Jetzt vernahm er doch, wenn auch nur ganz leise, die regelmäßigen Atemzüge der Kleinen. Alex stand auf und überzeugte sich ebenfalls bei Lena, dass sie schlief. Er zog ihre Bettdecke ein wenig höher, bis auch die Schultern bedeckt waren.

Als er wieder an seinem Schreibtisch saß, sprang Kater Albert sofort auf seinen Schoß, rollte sich zusammen und fing an zu schnurren. Alexander streichelte über das weiche Fell und dachte darüber nach, dass die Mädchen doch in absehbarer Zeit jedes ein eigenes Zimmer benötigen würden. Noch hatte sich niemand beschwert, kleine Streitereien verebbten meist rasch im Sande. Aber irgendwann würde Lena ihre Schulfreunde nicht mehr nur zum Hausaufgabenmachen mitbringen ...

Alexander schüttelte sich. Diesen Gedanken wollte er lieber noch ein ganzes Weilchen vor sich herschieben.

Zum wiederholten Male brach die Internetverbindung zusammen, und Alexander fluchte. Er fuhr den Computer herunter und startete ihn nach wenigen Augenblicken neu. In Berlin hatte er damit nie Probleme gehabt. Eingeloggt und fertig. So lange er wollte, konnte er dann arbeiten. Hier war das sicher der ländlichen Zurückhaltung in Sachen Technik geschuldet. So dauerte eben alles etwas länger, auch die Reise ins weltweite Netz ... Dabei hatte er gerade erst wieder im Tageblatt vom technischen Ausbau in dieser Sparte gelesen, aber Papier war ja bekanntlich geduldig.

Beim nächsten Versuch klappte es mit der Verbindung, an seinem Stick leuchtete anhaltend das blaue Lämpchen. Dann suchte er bei Amazon nach Geschenken für die Mädchen. Beide hatten schon ihre Wunschzettel geschrieben, und in diesem Jahr würde er es nicht schaffen, in der Stadt durch die Geschäfte zu bummeln.

Sofort erinnerte er sich wieder an Janine und wie er mit ihr durchs Kaufhaus Hagemeyer geschlendert war. Vorbei, vergessen. Das war einmal und würde nie wieder geschehen. Alexander schluckte. Inzwischen hatte er das Computerspiel für die Große entdeckt und bestellt, auch die anderen Weihnachtswünsche waren schnell gefunden. Lieferung in ein bis zwei Tagen. Die würde er sicherlich nicht entgegennehmen können, aber auch da bewährte sich gute Nachbarschaft.

Er hatte Hertha Jendritzky schon eingeweiht, dass solche Pakete kommen würden und um Stillschweigen sowie Verwahrung gebeten. Schließlich sollten die Mädchen vorher noch nichts mitbekommen. Sonst war die Überraschung im Eimer. So eine Aktion wie bei einem der vorigen Feste durfte nicht wieder geschehen. Da hatten die Kinder doch, neugierig, wie sie waren, die Wohnung durchsucht und endlich das Ersehnte gefunden. Und bei ihm hatte sofort der kriminalistische Spürsinn funktioniert und er hatte sie zur Rede gestellt. Das Ergebnis waren tränenüberströmte Mädchen und ein verdorbenes Fest. Aber das war ja noch in Berlin gewesen, mit Olga, fiel ihm gerade ein ... Alexander bekam eine Gänsehaut.

Themenwechsel, beschloss er für sich, beendete die Bestellung und vertiefte sich jetzt in den Bericht, den er noch bis zum nächsten Tag fertig haben musste. Kriminaloberrat Reinhold Riechmann hatte ihn im Dienst angemahnt und war dafür extra in sein Büro gekommen. Er sah ihn in der Tür stehen, mit ernstem Gesicht.

„Ich verlasse mich auf Sie“, hatte er noch beim Weggehen gesagt. Klar, dachte Alex, da will ich ihn auch nicht enttäuschen. Er wird ja in seiner Position wiederum von der nächsten Instanz gedrängt ...

Besucher

Judith hörte es an der Haustür klingeln. Den Brief, den sie gerade aus dem Kasten genommen hatte, hielt sie noch in der Hand und schaute auf den Umschlag. Er war an ihren Mann adressiert. Kein Absender auf der Rückseite. Eine Unsitte, dachte Judith, als es erneut schellte. Ach, den wollte sie später mal vorsichtig öffnen ... Vielleicht eine von den zahlreichen Verehrerinnen ihres holden Gatten?! Sie bekam einen zornigen Gesichtsausdruck und legte den Brief auf die Garderobe.

Wer mochte das sein? Manfred war ja zum Auswärtsspiel mit seiner Frauenmannschaft unterwegs, außerdem hatte der seinen Schlüssel und kam nie auf die Idee zu klingeln. Verabredet war sie auch nicht. Eigentlich wollte sie schon längst in die bequeme Haushose geschlüpft sein, darüber ein weites, legeres Sweatshirt, aber dazu war sie noch nicht gekommen. Ein Glück, dachte Judith und fuhr sich kurz mit beiden Händen durch die Haare. Das musste für ein Ordnen der Frisur ausreichen, beschloss sie.

Erst einen Blick aus dem seitlichen Schlafzimmerfenster? Den Gedanken verwarf sie wieder. Es war noch nicht so spät, außerdem hatte der Bewegungsmelder die Beleuchtung aktiviert. Also war ein Besucher gut vom Nachbarhaus aus zu sehen.

Judith drehte den Schlüssel im Schloss und drückte die Türklinke herunter. Sie fuhr zusammen. Es war Jennifer.

„Hallo“, sagte das Mädchen sanft.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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