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Dem Tod nur knapp von der Schippe gesprungen, versucht Fabio herauszufinden, wie sein Leben weiter gehen soll. Um über seine Zukunft nachzudenken, nimmt er Skys Einladung an und reist nach Boston. Als Ella in sein Leben tritt, ändert sich alles und Fabio fasst neuen Mut. Er sieht, wie viel das Leben ihm noch zu bieten hat. Ella hat Angst um Fabios Leben und auch sein inniges Verhältnis zu Sky ist ihr suspekt. In kürzester Zeit scheint alles auseinanderzubrechen und ihre junge Liebe wird auf eine harte Probe gestellt. Kann ihre Liebe dies überstehen? Auch wenn es um Leben und Tod geht? Dieses Buch ist Teil einer Serie, dabei aber in sich abgeschlossen. Der nächste Teil, handelt von einer anderen Person dieser Gruppe. Der Liebesroman ist ca. 270 Taschenbuchseiten lang und enthält explizite Sexszenen. Weitere Informationen: Auf der offiziellen Homepage -> jetzt kostenlosen Newsletter abonnieren & monatliche Bonuskapitel lesen. Oder auf Facebook, Twitter, Instagram.
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Inhaltsverzeichnis
Bereits erschienen:
1 Afrika
2 Boston
3 Begegnungen
4 Neue Perspektiven
5 Immer mehr
6 Newton
7 Entscheidungen
8 Was nun?
9 Aussprache
10 Neues Leben
11 Alles nicht so leicht
12 Eifersucht
13 Drahtseilakt
14 Wir bekommen das hin
15 Die Klippe
16 Der Kampf
17 Gemeinsam
18 Familie
19 Angst
20 Operation
21 Epilog
Bonuskapitel
Leseprobe
Für C.
Rechtliches, oder was keiner lesen will und trotzdem drin stehen muss ...
Fire&Ice
Band 12
Fabio Bellini
Allie Kinsley
Fire&Ice 1 – Ryan Black
Fire&Ice 2 – Tyler Moreno
Fire&Ice 3 – Shane Carter
Fire&Ice 4 – Dario Benson
Fire&Ice 5 – Brandon Hill
Fire&Ice 5.5 – Jack Dessen
Fire&Ice 6 – Chris Turner
Fire&Ice 6.5 – Gregor Zadow
Fire&Ice 7 – Logan Hunter
Fire&Ice 7.5 – Jonas Harper
Fire&Ice 8 – Julien Fox
Fire&Ice 9 – Luce Suarez
Fire&Ice 10 – Joey Parker
Fire&Ice 11 – Matthew Fox
Fire&Ice 12 – Fabio Bellini
Fire&Ice 13 – Alex Altera
Fire&Ice 14 – Taylor Falk
Fire&Ice 15 – Dave Cooper
Fire&Ice 16 – Juan Garcia
Fire&Ice 17 – Alessio Lopez
Fire&Ice 18 – Jason Shaw
Fire&Ice – Bonuskapitelbände
Weil wir wir sind (Sweet like Candy)
Protect Me 1 – 8
Dangergous Love –Sammeband 1+2
Yearn for Adam
Yearn for Slade
Yearn for Deacon
Yearn for Liam
Yearn for Nick
Wir sind mehr als Liebe – Curley
Wir sind mehr als Liebe – Riaz
Wir sind mehr als Liebe – June
Wir sind mehr als Liebe – Elyas
Wir sind mehr als Liebe – Damien
Hollywood Badboys 1 – Dylan
Hollywood Badboys 1 – Nate
Hollywood Badboys 1 – Sean
Hollywood Badboys 1 – Lucas
Gemeinschaftsprojekte:
Cinderella 1&2
Single Bells – Ein Professor zum Verlieben
Big Four – Ein Anwalt zum Küssen
Alaska Love – Ein Arzt zum Verlieben
Philadelphia Pucks – Caden&Paris
Philadelphia Pucks – Orlando&Alice
Ein Touchdown für Emmi
Ein Center für Romy
Shelter Love – Big Boss im Welpenglück
Copyright © 2016 Allie Kinsley
All rights reserved.
www.doctor-lektor.de
Cover Foto: bigstockphoto.com, ID: 46064884, Copyright: Studio10Artur
FABIO
Es war früh am Abend und Fabio saß in der drückenden Hitze im Inneren des Hauses. Die Luft fühlte sich stickig an, doch in dem abgedunkelten, von einem großen Deckenventilator gekühlten Raum, war es zumindest erträglich.
Er brütete über den Berichten für die Organisation in Deutschland, für die er arbeitete. Oder zumindest sollte er das tun. Denn immer wenn er diese dämlichen Formulare ausfüllte, anstatt einen Patienten zu behandeln, nervte ihn seine Arbeit sehr.
Genau dann fiel ihm grundsätzlich wieder ein, warum er überhaupt hier hingekommen war.
Sky.
Seine beste Freundin und seine große Liebe. Leider war diese Liebe einseitig. Sky hatte in ihm nie mehr als einen großen Bruder gesehen. Fabio hatte gehofft, dass sie, als sie Robert endlich verlassen hatte, erkennen würde, wie viel sie ihm bedeutete. Bis zuletzt hatte er dafür gebetet, dass sie seine Liebe erwidern könnte.
Vergebens.
Statt zu ihm zu finden, hatte sie sich in Ryan Black verliebt.
Auf dem jährlichen Mittelalterfestival in Talin vor drei Jahren hatten die beiden sich kennengelernt.
Fabio hatte bis zuletzt gehofft, dass es sich nur um einen Urlaubsflirt handeln würde. Leider hatte sich herausgestellt, dass Ryan der Eigentümer von JB-Industrials war, genau von der Firma, bei der Sky zu arbeiten begonnen hatte.
Mehr und mehr war ihm klar geworden, dass es absolut keine Chance mehr für ihn gab. Er hatte die Liebe seines Lebens verloren.
Jedes Mal, wenn Sky ihm eine E-Mail gesendet hatte, war sein Herz in eintausend Teile zersprungen.
Eines Tages hatte seine Mutter, die ziemlich viel italienisches Temperament besaß, ihm die Leviten gelesen. Da war er endgültig aufgewacht.
Er würde Sky nicht für sich gewinnen können. Nicht einmal, wenn es mit Ryan schief gehen sollte. Sky würde niemals das gleiche für ihn empfinden wie er für sie. Damit wäre eine Beziehung von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Als ihm sein Kollege von dieser Organisation erzählt hatte, hatte er sich sofort angemeldet. Vier Monate, um rauszukommen und Abstand zu allem zu gewinnen, hätten genügen sollen.
Von wegen. Mittlerweile hatte er seinen Vertrag so oft verlängert, dass er seit beinahe zweieinhalb Jahren in Afrika war.
Er war ausgebrannt. Körperlich und vor allem emotional total erschöpft.
Das Leid und das Elend, das hier herrschte, war für ihn nicht vorstellbar gewesen, bis er es mit eigenen Augen gesehen hatte.
Er hatte noch zwei Monate vor sich, aber danach würde er sich eine Pause gönnen müssen, um seine Kraftreserven wieder aufzutanken.
Sie waren zwar nicht mitten in den Kriegsgebieten stationiert, aber immer dort, wo der Krieg schon gewütet hatte. Was er dort zu sehen bekam, hätte er niemals für möglich gehalten. Halb verhungerte, verstümmelte Menschen. Kinder, deren Augen so alt waren, wie er sich an manchen Abenden nach getaner Arbeit fühlte, und deren Gesichter vom Kummer gezeichnet waren.
Während er gedankenverloren am Schreibtisch saß, hörte er plötzlich einen lauten Knall und kurz darauf die Sirene. Er schnappte sich seinen Rucksack, rannte aus dem Gebäude und sah sich hektisch um. Dann konnte er in dem wilden Durcheinander endlich die Laufrichtung der Rettungskräfte erkennen.
Schnell folgte er ihnen. Etwas weiter rechts der Laufroute, sah er Aaida, ein kleines Waisenmädchen, das über ein angrenzendes Feld auf ihn zugelaufen kam. Sie kreischte und rannte immer schneller in seine Richtung, aber Fabio verstand ihre Worte nicht.
Er rannte ihr entgegen, wollte sie zurück zu den Betreuern bringen. Sie war nur noch ungefähr einhundert Meter von ihm entfernt, da explodierte der Boden unter ihr und alles wurde schwarz vor Fabios Augen.
Wochen später, als sein Zustand nach einigen schweren Operationen wieder stabil war, hatte Bron, einer seiner afrikanischen Kollegen, ihn über die Vorkommnisse ins Bild gesetzt.
Aaida war auf eine Springsplittermine getreten. Der Sprengsatz war in die Luft gegangen und hatte Aaida sofort getötet.
Fabio selbst hatte vierundzwanzig Splitter abbekommen. Obwohl er noch einhundertdreißig Meter vom Sprengsatz entfernt gewesen war.
Es war ein schwerer Schlag, nicht nur für ihn, sondern für die gesamte Organisation. Der Verlust dieses kleinen, gerade einmal neun Jahre alten Mädchens hatte sie alle tief erschüttert.
An diesem Tag waren neben Aaida noch zwei weitere Kinder gestorben. Als die Beisetzung stattfand, war Fabio noch im Krankenhaus gewesen und hatte, da man ihn aufgrund der Schwere seiner Verletzungen in ein künstliches Koma versetzt hatte, noch nichts von den furchtbaren Vorkommnissen gewusst.
Mittlerweile befand er sich auf dem Weg der Besserung, aber er würde noch zwei weitere Wochen warten müssen, bis das nächste Flugzeug nach Deutschland ihn mitnehmen konnte.
Vorher würde er niemanden informieren. Seine Eltern und Freunde würden sich nur unnötig Sorgen um ihn machen.
Kurz vor dem Abflug würde er bei seinen Eltern anrufen, damit sie wussten, dass er zurückkam.
Sein Magen krampfte sich zusammen bei dem Gedanken, das Ärzteteam ohne seine Hilfe zurückzulassen. Aber in seinem momentanen Zustand war er sowieso mehr zusätzliche Last als wirkliche Hilfe.
Zuhause angekommen würde er sich überlegen müssen, wie sein Leben weitergehen sollte. Was er von da an tun wollte.
Weitere zwei Wochen später war es endlich soweit. Er konnte zurück nach Hause fliegen. Seine Eltern waren außer sich, als sie von dem schrecklichen Unfall erfuhren. Fabio hatte es nicht anders erwartet.
Er wurde direkt in das Universitätsklinikum in Düsseldorf eingeliefert. Dort wurden die Nachuntersuchungen eingeleitet.
Beim Routineröntgen seines Thorax fanden die Ärzte einen weiteren Splitter, den die Mediziner im Camp mit ihren begrenzten Mitteln nicht entdeckt hatten.
Der Splitter hatte sich im Herzbeutel abgekapselt, den Herzmuskel selbst aber nicht verletzt. Wenn Fabio sich von seinen Operationen und den Reisestrapazen erholt hätte, würden die Ärzte untersuchen, ob es sicherer war, den Splitter zu entfernen oder ihn einfach an Ort und Stelle zu lassen.
Der Gedanke an eine Operation am Herzen schnürte Fabio die Kehle zu. Als Arzt kannte er alle Risiken, wusste, dass man bei einem gesunden Menschen immer zur Entfernung raten würde, aber das war nicht genug. Bilder von fremden Händen, die in seinem Herzen nach einem Bombensplitter suchten, verfolgten ihn wochenlang.
Er kannte alle gängigen Methoden, alle Spezialisten, aber es reichte ihm nicht. Keiner von ihnen konnte ihm eine Garantie geben, dass er wieder aufwachen würde.
Und die Alternative? Ein Leben lang vorsichtig zu sein und sein Herz nur nicht zu sehr zu strapazieren.
Vom Regen in die Traufe.
Tagelang war er zuhause gesessen und hatte über seine Möglichkeiten nachgedacht. Aber seine Gedanken drehten sich nur im Kreis, fanden keine Lösung, spielten ihm nur immer wieder Szenen von einer auf ihn zu rennenden Aaida, dem Camp Lazarett und den Ärzten in der Uniklinik vor.
Skys Anruf und ihre Bitte, dass er nach Amerika kommen sollte, um sich dort mit einigen Spezialisten zu unterhalten, hatten ihn aus diesem furchtbaren Teufelskreis gerissen.
Er würde zu ihr fliegen. Weniger, um wirklich eine Lösung für sein Problem zu finden, mehr, um ihr und seinen Freunden von den Setarips nahe zu sein. Er musste raus aus diesem Trott und einen neuen Weg finden, sein Leben zu leben.
FABIO
Wie jeden Tag seit fast einer Woche ging er durch den Union Street Park I.
Sky hatte ihm angeboten, bei ihr zu wohnen, während er auf die Untersuchungen der Bostoner Ärzte wartete. Erst schien es ihm eine gute Idee zu sein. Jetzt war er sich nicht mehr so sicher.
Die Spannung war mehr als nur geladen. Er geriet immer wieder mit Ryan aneinander und Skys Gegenwart tat ihm nicht allzu gut.
Fabio setzte sich auf dieselbe Bank, auf der er jeden Tag saß. Sie stand genau vor einem kleinen, künstlich angelegten See, auf dem sich eine dünne Eisschicht gebildet hatte.
Der Winter in Boston war genauso trostlos, wie er selbst sich fühlte. Eiskalt, mitten in der Bewegung erstarrt und eingefroren.
Wieder hallte die Explosion in seinen Ohren nach. Der Zeitpunkt, an dem alles in seinem Leben zu einem abrupten Stillstand gekommen war. An dem sich alles vollkommen verändert hatte.
Dabei war er fest davon überzeugt gewesen, endlich wieder den Boden unter seinen Füßen zu spüren. Er hatte etwas gefunden, für das es sich zu leben lohnte. Eine Aufgabe, Menschen, die ihn brauchten.
Zu akzeptieren, dass Sky jemand anderen liebte, war nicht einfach gewesen.
Immer wieder hatte er von seinen Freunden und auch von ihr Nachrichten bekommen. Er erfuhr auf diese Weise, dass sie wirklich mit Ryan zusammen war, dass sie zusammenlebten und geheiratet hatten.
Zu akzeptieren, dass sie jemanden gefunden hatte, mit dem sie genau das teilte, was er sich mit ihr so sehr gewünscht hatte, war ihm schier unmöglich erschienen.
Aber er hatte keine Wahl. Ryan konnte ihr etwas geben, was er selbst nicht konnte. Er wusste noch nicht einmal, was es war, aber er war nicht der Mann, den Sky an ihrer Seite wollte.
Seine Freundschaft zu Sky war unter seinen Gefühlen zerbrochen. Er hatte es in dem Moment gemerkt, als er ihr Haus betreten hatte.
So zurückhaltend kannte er sie nicht und es tat ihm in der Seele weh. Es war seine Schuld. Er wusste, dass er es nicht ganz verbergen konnte, dass ihm der Anblick dieses perfekten Familienglücks weh tat.
Seine wunderschöne Sky in den Armen eines anderen, mit einer kleinen, ebenso bezaubernden Tochter und einem Hochschwangerenbauch.
Er hätte niemals zustimmen sollen, bei ihr zu wohnen. Ihretwegen und auch seinetwegen. Aber er hatte sich so sehr gewünscht, dass alles wieder gut werden würde. Dass es zumindest für ihre Freundschaft noch eine Chance gab.
Sie hatten so viele gute Zeiten miteinander erlebt, waren zusammen aufgewachsen und hatten viele Hürden gemeistert. Diese guten, aber auch die schlechten Zeiten, die Sky mit ihrem Ex Robert erlebt hatte, hatten sie zusammengeschweißt. Eine feste Einheit aus ihnen gebildet.
Er bereute es, dass ihre Freundschaft wegen seinen Gefühlen so einen irreparablen Schaden genommen hatte. Oft schon hatte er sich die Zeit zurückgewünscht, in der er einfach nur bei ihr sein konnte und sie im Arm halten konnte.
Sky hatte ihre Entscheidung getroffen. Jetzt war es an ihm, sein eigenes Leben weiterzuleben, einen Menschen zu finden, der zumindest annähernd so perfekt war wie Sky.
Er wünschte sich für Sky nur das Beste. Sie hatte es verdient. Sie sollte glücklich sein.
Liebe konnte wunderschön sein, aber sie konnte auch verdammt weh tun, wenn sie nicht erwidert wurde.
"Ist da noch frei?" Die weiche Stimme riss ihn mitten aus seinen Gedanken.
Er sah auf und direkt in große, runde, bernsteinfarbene Augen.
Er nickte automatisch und die Frau, die er auf Mitte zwanzig schätzte, setzte sich schweigend neben ihn.
Verstohlen musterte er sie, während sie ohne einen Ton zu sagen, neben ihm saß.
Sie war klein, reichte ihm im Sitzen nur knapp über die Schulter. Sie war rundlich, was der dunkelblaue Daunenmantel nur noch unterstrich. Die Röhrenjeans steckte in ebenfalls dunkelblauen Winterboots, die sie von sich gestreckt und an den Knöcheln überkreuzt hatte.
Ihre dunkelbraunen, kurzen Haare reichten ihr gerade so auf die Schulter. Ihr Gesicht war rundlich mit vollen, von der Kälte geröteten Wangen. Die Nase war klein und gerade, die Lippen voll und sahen sehr weich aus.
Als ihm aufging, dass er sie anstarrte, wendete er den Blick ab und sah geradeaus.
Es schien nicht so, als würde sie sich gern unterhalten wollen und er selbst war auch nicht in der Stimmung für Smalltalk.
Er wollte seinen Gedanken nachhängen und herausfinden, was er jetzt mit seinem Leben anstellen sollte, wie es weitergehen sollte.
Er dachte an den Splitter in seinem Herzbeutel. Er hatte ein Leben und doch keines. Es kam ihm so vor, als würde er am Rand einer tiefen Schlucht stehen. Entweder würde er für immer dort stehen bleiben, oder zu allen anderen auf die andere Seite springen.
Die Menschen auf der anderen Seite lebten wirklich. Sie hatten Spaß, hatten Freunde und eine Beziehung. Er dagegen stand allein auf seiner Seite. Sah ihnen dabei zu, wie sie das Leben nutzten, das ihnen geschenkt wurde. Aaida hätte so ein Leben haben sollen. Sie war ein fröhliches, lebenslustiges Mädchen gewesen und immer auf der Suche nach neuen Abenteuern. Sie hätte nicht überlegt, sie wäre gesprungen.
Die Frage war nur, ob er die Angst in seinem Inneren überwinden konnte und das Risiko, das der Sprung mit sich brachte, eingehen konnte.
Es konnte gut gehen und er würde auf der anderen Seite ankommen, es konnte aber auch schief gehen und er würde sterben.
Unbewusst rieb er sich über die Brust. Sein Leben hing Tag für Tag an einem mehr oder weniger stabilen Seil. Zumindest die immer wiederkehrenden Albträume hatte er mit Hilfe eines Therapeuten in den Griff bekommen. Die vielen schlaflosen Nächte hatten seinem Körper zugesetzt.
"Das war schön, aber ich muss jetzt leider weiter. Danke", sagte die Frau neben ihm und stand auf.
"Wofür?", fragte er und sah mit schräggelegtem Kopf zu ihr auf.
"Deine Gesellschaft." Sie lächelte ihn so warm und wunderschön an, dass er das Lächeln automatisch erwiderte.
Vielleicht war es sogar das erste echte Lächeln seit Monaten.
"Ich habe dich nicht sehr gut unterhalten", gab er zurück.
"Manchmal ist Schweigen Gold und Gesellschaft völlig ausreichend."
Sie zwinkerte ihm zu und ging davon. Der Schnee knirschte unter ihren Stiefeln und die Hände hatte sie tief in den Taschen ihres Mantels vergraben.
Jetzt, wo sie weg war, ergaben ihre Worte Sinn. Es stimmte, es war schöner gewesen, zu zweit auf dieser Bank zu sitzen und den starren See anzusehen.
Es war eine beinahe unheimliche Leere, die sie auf seiner Bank hinterlassen hatte, als ob jemand fehlte, der dort sitzen sollte.
Sie war vielleicht fünfzehn Minuten bei ihm gesessen und dennoch kam ihm seine Bank jetzt verlassen vor.
Also stand er auf und ging zurück zu dem Parkplatz, auf dem das Auto stand, mit dem er zum Park gefahren war.
Es wurde Zeit nach Hause zu gehen.
Oder zumindest in Skys Zuhause. Sein eigenes würde er hoffentlich irgendwann finden.
ELLA
"Hey Granny!", rief Ella beim Betreten des Hauses. Sofort stieg ihr der Duft von frischem Braten in die Nase.
"Ella Liebes, komm, das Essen ist gleich fertig." Ella lächelte. Das Essen war immer fertig, wenn sie nach Hause kam.
Sie lebte, solange sie denken konnte, mit ihrer Granny zusammen. Ihre Mutter war gestorben, als sie noch ein Baby war und ihr Vater hatte außer seiner Karriere nichts im Sinn, deshalb war sie bei der Mutter ihrer Mutter aufgewachsen.
Es hätte ihr nichts Besseres passieren können. Granny hatte ihr so viel Liebe geschenkt und ihr ein Leben ermöglicht, dass sie bei ihrem Vater niemals hätte führen können.
Manchmal nahm er sie mit auf geschäftliche Veranstaltungen. Meistens wenn es um irgendwelche wohltätigen Dinge ging.
Dort sah sie dann all die Püppchen, die niemals ein Leben wie sie gehabt hatten. Ella beneidete sie keine Sekunde lang!
Sie hatte eine Granny, die sie einfach, aber liebevoll erzogen hatte, einen Dad, den sie zwar so gut wie nie zu Gesicht bekam, aber wenn, dann wusste er die Zeit wenigstens zu nutzen und sie wurde nicht wie ein Klotz am Bein behandelt.
Ja, sie hatte ein tolles Leben und genoss jede Sekunde in vollen Zügen. Es konnte so kurz sein, man sollte es nicht mit Dingen oder Menschen verschwenden, die einen nicht glücklich machten.
Als sie in der hellen Küche ankam, trug Granny gerade zwei Teller zum hölzernen Esstisch.
Manchmal kam es Ella so vor, als würde ihre Granny von Jahr zu Jahr kleiner werden. Sie selbst war schon nur 1,60 Meter groß, ihre Granny noch fast einen Kopf kleiner, wenn sie so gebückt ging, wie in diesem Moment. Sie wirkte verloren in der blau gemusterten Schürze, die sie immer zuhause trug.
Die kurzen, grauen Haare standen ihr wirr vom Kopf ab und wurden nur unzureichend durch den braunen Haarreif gebändigt.
Ihr Gesicht war voller Falten und die funkelnden bernsteinfarbenen Augen, die ihren so ähnlich waren, wirkten viel jünger als der Rest von ihr. Sie war mittlerweile schon 79 Jahre alt und Ella machte sich Sorgen um sie.
Ella küsste sie auf die weiche Wange und nahm ihr die Teller ab.
"Danke Granny."
Sie setzten sich auf die alten, knarrenden Stühle. Sie hätten sich problemlos neue leisten können, finanziell hatte ihr Dad immer sehr gut für sie gesorgt, aber weder Ella noch ihre Granny legten Wert auf neue Dinge.
"Natürlich, Liebes. Du musst doch was essen", tadelte sie sanft.
Nein, das musste sie wirklich nicht. Sie war mehr als rund genug mit Kleidergröße 44, aber das würde ihre Granny niemals durchgehen lassen. Und ihr eigener innerer Schweinehund auch nicht.
Sie liebte Essen in allen Variationen. Doch am liebsten das Essen ihrer Granny … das bei weitem nicht gesund oder diätfördernd war.
Im Gegenteil. Ihre Granny kochte mit Vorliebe richtig fett oder richtig süß. Wahlweise auch in Kombination.
Und es schmeckte göttlich!
"Wie war dein Tag?", fragte Granny.
Ella dachte an ihre Arbeit im städtischen Tierheim. Kein schöner Tag, sie hatten eine ältere Hündin einschläfern müssen.
Deshalb war sie im Anschluss auch durch den Park gegangen, um ihre Gedanken zu sortieren, bevor sie zu Granny nach Hause ging.
Ella wollte sie nicht mit solchen Dingen belasten.
"Ganz okay. Ich bin auf dem Heimweg noch in den Park gegangen."
Granny lächelte sie an, während sie die Gabel mit zittriger Hand zu ihrem Mund führte.
"Hast du an Tipsys Lieblingsplatz angehalten?"
Ella nickte. Ihre Grandma war noch nicht ganz über den Tod ihrer Yorkshire Hündin hinweggekommen.
Dann dachte sie an den Mann, der auf der Bank gesessen hatte, an der ihre Granny und Tipsy so unzählig viele Stunden verbracht hatten.
Er hatte so verloren ausgesehen wie ihre Granny, als sie die ersten Wochen ohne Tipsy zu dieser Bank gegangen war.
Einsam war er in der Kälte gesessen und hatte geradeaus gesehen, tief in Gedanken versunken. Also hatte sie sich zu ihm gesetzt, einfach nur, damit er nicht allein dort sitzen musste.
Gerne hätte sie ihn gefragt, warum er dort saß und warum er so traurig aussah, aber das stand ihr nicht zu. Also hatte sie ihn nur still aus dem Augenwinkel beobachtet. Seine große, athletische Gestalt, sein rabenschwarzes, kurzes Haar und den schweren Ausdruck in seinem schönen Gesicht.
Er war keine klassische Schönheit, dafür war seine Nase ein wenig zu groß und die Lippen ein wenig zu schmal und doch hatte er etwas Faszinierendes an sich.
Die dunklen Augen wirkten so müde, als wäre er seit Jahren rastlos und zu nichts anderem mehr fähig, als erschöpft auf dieser Bank zu sitzen.
"Jemand hat dir deinen Platz weggeschnappt", sagte Ella lächelnd.
"Meine Bank?"
"Mhm … das kommt davon, weil du nicht mehr vor die Tür gehst."
Auch das machte ihr Sorgen. Ohne Tipsy bewegte sich ihre Granny immer weniger. Ella überlegte schon eine ganze Zeit lang, ob sie sich nicht selbst einen Hund aus dem Tierheim nehmen sollte, damit ihre Granny hin und wieder mit ihm laufen gehen konnte.
"Es ist zu kalt, um aus reiner Freude hinauszugehen. Im Frühjahr wieder, Liebes."
Nicht wenn Ella es verhindern konnte. Wer rastet, der rostet und das durfte ihre Granny auf keinen Fall!
FABIO
Als er am nächsten Tag wieder im Park auf seiner Bank saß, ertappte er sich dabei, wie er den Park nach ihr absuchte.
Ob sie wohl öfter hierher kam? Und warum? Sich einfach so neben einen Fremden zu setzen, um nichts zu tun, war nicht ganz normal.
Dennoch, oder gerade deshalb, ging sie ihm nicht mehr aus dem Kopf. Den ganzen Abend lang hatte er immer wieder an sie denken müssen.
Dieses unscheinbare Mädchen mit den faszinierenden Augen und diesem wunderschönen Lächeln. Das freundliche Mädchen ohne Namen.
"Ist da noch frei?"
Fabio sah auf und sie war da, als hätte er sie mit seinen Gedanken gerufen.
"Wieder da?", fragte er.
"Ja. Heute lieber nicht schweigen?"
Fabio zuckte die Schultern. Er war sich nicht sicher, ob und über was er mit ihr reden sollte. Er kannte sie ja überhaupt nicht.
Sie trug dieselbe Kleidung wie am Vortag, alles war gleich an ihr, er konnte sich genau an ihren Anblick erinnern.
"Was machst du hier?", fragte er zugegebenermaßen wenig eloquent.
"Sitzen", sagte sie und lächelte dabei schalkhaft.
Fabio erwiderte es. "Hier im Park meine ich."
"Ich gehe nach Hause."
Er konnte sie sich gut in einem richtigen Zuhause vorstellen. Einem, wie Sky es hatte.
Der Gedanke stimmte ihn traurig, also wandte er seinen Blick ab und sah hinaus auf den See.
"Ich muss los", sagte sie wenige Minuten später.
Er hatte sie vertrieben mit seinen trübsinnigen Gedanken.
"Danke."
Sie lächelte ihn an. "Für was?"
"Deine Gesellschaft."
Wieder ein Lächeln, dann drehte sie sich um und ging.
ELLA
"Deine Bank war wieder besetzt."
Granny lächelte. "Du musst ihm klar machen, dass es meine Bank ist."
Kauend schüttelte Ella den Kopf. "Er braucht sie, glaube ich."
"Hast du ihm Gesellschaft geleistet?" Ella wunderte sich nicht darüber, dass ihre Granny ihre Annahme nicht hinterfragte. Granny hatte ihr schließlich beigebracht, auf die Gefühlslage ihrer Mitmenschen zu achten.
"Ein wenig." Auch wenn sie es eher für sich selbst, als für ihn getan hatte. Die ganze Nacht hatte sie über ihn nachgedacht.
Warum er dort saß und ob er jeden Tag dorthin ging. Warum er so nachdenklich und schweigsam war. Warum er so traurig aussah.
"Du bist ein gutes Mädchen, Ella." Granny streckte ihre Hand aus und tätschelte über den zerkratzten Tisch hinweg ihre.
FABIO
Sky hatte ihn gefragt, was er jeden Tag im Park mache. Er hatte ihr davon erzählt, wie er die Ruhe und die eisige Luft genoss, dass er spazieren ging und sich schließlich auf die Bank setzte.
Nur von der Frau hatte er ihr nicht erzählt. Warum, wusste er selber nicht. Sie war sein kleines Geheimnis.
Ungeduldig sah er auf die Uhr. Gestern um diese Zeit war sie schon da gewesen.
"Hast du einen Termin?" Ihre Stimme kam aus dem Nichts.
"Nein. Du bist wieder hier."
Sie lächelte. "Ist da noch frei?"
"Ja." Ihr Lächeln war süß. Wie alles an ihr. Sie war einer dieser Menschen, denen man niemals etwas Schlechtes zutrauen würde.
Sie setzte sich neben ihn und musterte ihn mit schräg gelegtem Kopf.
"Du bist spät dran heute", sagte er und ärgerte sich kurz darauf über sich selbst. Es klang ja, als hätte er auf sie gewartet.
Hatte er auch, aber das brauchte ja niemand zu wissen.
"Mhm, länger gearbeitet, deshalb muss ich auch gleich weiter."
"Nach Hause", sagte er und versuchte herauszufinden, wer wohl zuhause auf sie wartete.
"Ja, sorry." Schon stand sie wieder auf. Dann legte sie den Kopf schief. "Bist du am Wochenende auch hier?"
Er nickte. Er hatte nicht daran gedacht, dass es schon wieder Freitag war.
"Dann vielleicht bis morgen."
"Arbeitest du am Wochenende?"
"Oft freiwillig, ja. Ich muss los."
"Bye." Enttäuscht sah er ihr nach. Er wollte länger mit ihr dort sitzen. Sich mit ihr unterhalten und mehr über sie herausfinden.
Er kannte ja noch nicht einmal ihren Namen. "Warte!", rief er aus einem Impuls heraus.
Sie sah ihn über die Schulter an. "Ja?"
"Wie heißt du?"
Ihr Lächeln wurde breiter. "Ella, und du?"
"Fabio."
"Dann bis morgen, Fabio." Sie winkte ihm und er musste sich zusammenreißen, ihr nicht einfach nachzulaufen.
ELLA
Die freiwilligen Stunden, die sie samstags oft im Tierheim absolvierte, kamen ihr heute endlos vor. Es lag wahrscheinlich daran, dass sie ständig auf die Uhr sah, ob es endlich Zeit wurde, in den Park zu gehen.
"Hast du noch Zeit, mit Max rauszugehen?", fragte Alfred, der rüstige Tierheimleiter.
Ella nickte. Sie liebte den gemütlichen Bernhardiner. Er war froh um jedes bisschen Aufmerksamkeit und war wirklich gut erzogen. Schade, dass er im Tierheim gelandet war. Sein Besitzer musste ins Altersheim und niemand aus der Familie konnte ihn aufnehmen.
Seine Vermittlungschancen standen schlecht. Er war fünf Jahre alt und würde bald ein künstliches Hüftgelenk brauchen. Mit dieser Prognose und bei seiner Größe in einer Großstadt war die Zukunft eher tristes Tierheimleben für ihn.
Sie hätte ihn gerne mitgenommen, war sich aber sicher, dass so ein riesiger Kerl, egal wie brav er war, für ihre Granny einfach zu viel sein würde.
Leider war es nicht immer möglich, den eigenen Hund mit ins Tierheim zu nehmen.
Es war schon vorgekommen, dass das Tierheim unter Quarantäne gestellt worden war, dann galt zum Beispiel ein striktes Verbot.
Mit einem kleinen Hund wäre das kein Problem. Granny würde sich hervorragend um ihn kümmern können … aber Max? Er wog mehr als Granny selbst.
Sanft streichelte sie über den riesigen Kopf. So gern sie dem Kerl eine Chance geben würde, er war einfach zu groß für Granny.
"Na dann komm. Wir gehen eine Runde durch den Park."
Max wedelte langsam mit dem Schwanz und trottete ihr dann gemächlich hinterher.
FABIO
"Ist da noch frei?"
Fabio riss den Kopf nach oben, als er Ellas Stimme hörte.
"Hi, du bist schon da?"
Sie lächelte. "Das wollte ich dich auch gerade fragen." Dann setzte sie sich neben ihn. Da erst fiel ihm der riesige Hund auf, der ihn neugierig musterte.
"Du hast einen Hund?"
Ella streichelte langsam den Kopf des Riesen, der höchstwahrscheinlich ein Kind in einem Happs fressen könnte. "Nein, leider nicht. Max ist Teil meiner Arbeit."
Verwirrt sah Fabio sie an.
"Ich arbeite im städtischen Tierheim", erklärte sie.
"Davon kann man leben?"
"Nicht wirklich … aber sie tun mir so leid. Niemand kümmert sich wirklich um sie, sie haben kein Zuhause, keine Bezugsperson, niemand, der wirklich Zeit mit ihnen verbringt."
Während sie sprach, kraulte sie langsam die Ohren des Monsters. Der Hund legte den Kopf in ihren Schoß und genoss jede Sekunde.
Auf einmal fühlte er sich wie der Hund. Einsam. So einsam, dass er um Ellas Aufmerksamkeit lechzte wie ein Hund. Er saß stundenlang in einem Park und wartete seit Tagen nur auf sie.
"Ich bin ein menschlicher Max", sagte er von sich selbst angewidert.
"So war das nicht … ich dachte nur, du könntest vielleicht Gesellschaft gebrauchen …"
Fabio riss den Blick von dem Rüden hoch und sah in Ellas zerknirschtes Gesicht. Jetzt erst verstand er, dass auch sie ihn für einen menschlichen Max hielt. Jemand, der keine Bezugsperson hatte, einsam war und Aufmerksamkeit brauchte.
Er war noch armseliger, als er gedacht hatte.
"Okay, dann viel Spaß noch euch beiden. Ich muss dann mal los." Schnell stand er auf.
"Fabio warte!"
Am liebsten wäre er losgejoggt, aber so armselig wie er nun mal war, durfte er noch nicht einmal mehr Sport machen.
Er verfluchte dieses verdammte Stück Metall in seinem Herzen, verfluchte die beschissene Idee, nach Afrika gegangen zu sein, und Sky, die Auslöser von all dem war.
ELLA
Sie hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen wegen Fabio. Sie hatte ihn nicht vor den Kopf stoßen wollen und sie fand absolut nicht, dass er ein menschlicher Max war.
Im Gegenteil, je öfter sie ihn traf, desto faszinierender fand sie ihn. Sie wollte wissen, woher dieser Schmerz in seinen Augen kam und warum ein gut aussehender Kerl wie er hier Tag für Tag ganz allein im Park saß.
Als sie ihn am Sonntag nicht antraf, fühlte sie sich elend.
Sie hatte ihn eindeutig in seinem Stolz verletzt, auch wenn sie das überhaupt nicht gewollt hatte.
Sie ging nicht nur mit Max, sondern im Anschluss noch mit Pico, einem Chihuahua Rüden in den Park, in der Hoffnung, ihn dann anzutreffen.
Vergebens. Fabio tauchte nicht auf. So langsam glaubte sie, ihn nie wieder zu treffen. Der Gedanke stimmte sie seltsam traurig. Es kam ihr beinahe wie ein Verlust vor, obwohl sie ihn gar nicht kannte.
FABIO
"Wann hat er denn endlich diesen Termin?", hörte Fabio Ryan ungeduldig fragen, als er im Erdgeschoss des riesigen Hauses angekommen war.
Die Stimmen der beiden kamen aus der großen Wohnküche.
Fabio und Ryan hatten nicht unbedingt das beste Verhältnis. Wie auch, wenn sie beide dieselbe Frau liebten.
"Ich glaube, er sagte, er hätte Mittwoch einen Termin mit Dave. Lass ihn doch erstmal ankommen, Ryan. Er hat viel durchgemacht."
Ja, selbst in Skys Augen war er ein menschlicher Max, nur dass er in ihren Augen sogar ein todkranker, menschlicher Max war.
Konnte es wirklich noch schlimmer kommen? Vor seinem inneren Auge tauchten Ellas wunderschöne bernsteinfarbene Augen auf. Leider konnte er sich kaum auf die Farbe konzentrieren, da er nur das Mitleid in ihrem Blick sah. Dabei kannte sie ihn noch nicht einmal und hatte ihn dennoch so schnell durchschaut.
Er fühlte sich schlecht, weil er sie einfach so hatte stehen lassen. Ella war ein guter Mensch. Einfühlsam und umsichtig.
Wer außer ihr würde sich in einem Park neben einen Wildfremden setzen, nur weil dieser einsam aussah?
"Ich habe eine wunderschöne Wohnung mitten in der Stadt, da könnte er sich in Ruhe erholen", knurrte Ryan.
Sky seufzte.
"Es geht ihm nicht gut, Ryan. Wie soll ich ihn da ganz allein in deiner Wohnung lassen?"
"Ich kann ihm eine Krankenschwester engagieren."
Sky schlug etwas mit Schwung auf den Tisch. "Ryan Black. Es reicht jetzt. Diese Eifersuchtsmasche ist absolut fehl am Platz. Fabio ist mein Freund und er ist schwer krank. Ich trage deinen Ring am Finger, unsere Tochter schläft oben in deinem Haus und ich habe einen riesigen Bauch, in dem dein nächstes Baby brütet. Also sei still und zufrieden mit dem, was du hast."
"Unser Haus!"
"Hör auf Erbsen zu zählen! Du weißt genau, worum es geht!"
"Weiß ich, Baby. Es tut mir leid."
Fabio entschloss sich, jetzt lieber in die Küche zu gehen, bevor er sich die Liebesschwüre der beiden anhören musste.
"Hi … ich wollte nur kurz Bescheid sagen, dass ich in die Stadt fahre", sagte er, so locker wie möglich. Gar nicht so leicht, wenn man die beiden so engumschlungen ansehen musste.
Sky lächelte ihm entgegen. "Schon wieder?"
"Ja, dann habt ihr ein wenig … Zeit zu zweit …" Unbehaglich rieb er sich über den Nacken.
"Du bist unser Gast, Fabio. Du musst nicht gehen. Wir können auch gemeinsam etwas unternehmen."
Sky sah nicht, wie Ryan bei ihren Worten das Gesicht verzog. Er hatte absolut kein Interesse an einem Abend zu dritt.
Einen kurzen Moment lang meldete sich der Teufel in Fabio, der ihm riet, nur hierzubleiben, um Ryan eins auszuwischen. Schnell schüttelte er den Gedanken ab.
Er musste es für sie alle nicht noch schwerer machen, als es ohnehin schon war.
"Danke, aber nein danke. Ich möchte ein wenig an die frische Luft und mich bewegen", antwortete er deshalb und lächelte so überzeugend wie möglich.
Er verabschiedete sich von den beiden und fuhr mit dem Audi, den Ryan ihm aus dem Fuhrpark seiner Firma JB-Industrials besorgt hatte, zum Union State Park I.
Er war spät dran. Vielleicht würde Ella schon weg sein, aber er wollte es dennoch versuchen. Die Art, wie er sie am Samstag hatte stehen lassen, war nicht richtig gewesen. Ella hatte das nicht verdient.
Als er auf den schmalen Weg einbog, der zu seiner Bank führte, sah er sie ein ganzes Stück weiter vorne gehen.
"Ella!", rief er, aber sie reagierte nicht. Er beschleunigte seine Schritte und rief noch einmal: "Ella!"
Endlich sah sie über ihre Schulter hinweg zu ihm zurück.
Ein kleines Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Sie sah genauso süß aus, wie er sie in Erinnerung hatte. Die gleichen geröteten Wangen, das vom Wind zerzauste Haar, Ella eben. Schnell ging er auf sie zu.
"Fabio. Ich hab nicht mehr mit dir gerechnet." Sie klang ehrlich erfreut, ihn zu sehen.
Und auch das war Ella. Freundlich, gutmütig. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie jemals nachtragend sein würde.
Sie blieb stehen und wartete darauf, dass er sie einholte.
"Ich bin spät dran. Wollen wir uns setzen?" Er nickte zurück in Richtung der Bank.
"Ich kann nicht. Tut mir leid. Ich bin schon zu spät."
Stimmt ja. Sie musste nach Hause. Wie dieses Zuhause wohl aussah?
"Darf ich dich ein Stück begleiten?", fragte er.
Wieder lächelte sie auf diese süße Art und ließ ihre geraden, weißen Zähne aufblitzen.
"Gern." Sie schob die Hände zurück in die Manteltaschen, was den Mantel an ihrem Bauch nur noch weiter aufstellte.
Gerne würde er wissen, wie es unter diesem Mantel wohl aussah.
Sie setzten sich in Bewegung und gingen eine ganze Zeit lang schweigend nebeneinander her.
"Ich wollte mich für Samstag entschuldigen", sagte er und kickte mit dem Fuß einen Stein vom Weg.
"Ich auch. Blödes Missverständnis."
Im einträchtigen Schweigen liefen sie nebeneinander her.
"Hast du ... vielleicht mal etwas mehr Zeit ... zum Reden, oder so?", stammelte er etwas unbeholfen. Er wusste nicht genau, wie er es formulieren sollte. Wusste ja noch nicht einmal, was genau er wollte.
Aber er wollte Ella näher kennenlernen. Er wollte mehr von diesem Menschen erfahren, der den Charakter eines Heiligen zu haben schien.
Sie lächelte ihn vorsichtig an. "Mein Terminplan ist ... recht voll", sagte sie.
Fabio erinnerte sich daran, dass sie immer pünktlich Zuhause sein musste. Wer wartete auf sie? Ihr Mann? Ihre Kinder?
"Weil du am Abend nach Hause musst?", hakte er vorsichtig nach und versuchte sich gegen die vernichtende Antwort zu wappnen.
Aber Ella schüttelte den Kopf. "Nein. Wegen der Arbeit. Ich muss Granny nur rechtzeitig Bescheid geben, damit sie nicht auf mich wartet."
"Granny?" Fabio hatte keine Ahnung, was das bedeutete, aber sie hörte sich prinzipiell schon mal nicht schlecht an ... außer Ella stand auf Frauen.
Dann runzelte er die Stirn. Er suchte keine Frau, sondern eine Freundin und wollte Ella lediglich rein platonisch näher kennenlernen.
Sein Herz war noch vergeben, das zeigten seine Reaktionen auf Sky und Ryan nur allzu gut.
"Meine Großmutter. Wir wohnen zusammen."
Mit aller Kraft ignorierte er den Stein, der ihm vom Herzen fiel.
"Hört sich schön an."
Ellas Lächeln wurde so weich und herzlich, dass Fabios Herz schneller schlug.
"Ist es auch."
Eine Weile schwiegen sie wieder, dann bogen sie auf eine Straße ein.
"Da vorne ist es schon. Sehen wir uns morgen?"
Fabio ärgerte sich, dass er die Zeit nicht besser genutzt hatte, nickte aber. "Gern. Morgen werde ich wieder pünktlich sein."
Ella lachte. "Dann kannst du mir auch erzählen, wie es kommt, dass du jeden Tag im Park bist."
Fabio nickte, dann drückte Ella seinen Arm und überquerte die Straße.
Sie ging die wenigen Stufen zu dem kleinen Reihenhaus nach oben und sperrte die Tür auf. Ohne einen Blick zurück verschwand sie nach drinnen.
Aus zwei Fenstern schien Licht auf die Straße, aber niemand kam nah genug ans Fenster, damit er etwas erkennen konnte.
Seufzend drehte er sich um und ging zurück zu seinem Wagen.
Morgen würde er sie wiedersehen und hoffentlich mehr Zeit mit ihr haben.
ELLA
Sie beeilte sich, von der Arbeit im Tierheim in den Park zu kommen. Sie konnte es kaum erwarten, Fabio endlich wiederzusehen. Dieser Mann gab ihr nur Rätsel auf, die sie endlich lösen wollte.
Als sie bei Grannys Bank ankam, wartete er bereits auf sie.
"Hi Ella."
"Hey." Lächelnd setzte sie sich neben ihn.
"Du hast vergessen zu fragen, ob da noch frei ist", sagte er ebenfalls lächelnd.
"Erzähl es nicht meiner Granny. Sie bekommt einen Anfall, wenn sie von dieser Unhöflichkeit erfährt."
Fabios Züge wurden weicher. "Hört sich nach einer tollen Frau an."
"Das ist sie. Sie hat mich aufgezogen", gab Ella strahlend zurück.
Fabio runzelte die Stirn. "Wo waren deine Eltern?"
Lächelnd schüttelte sie den Kopf. "Das ist aber die letzte Frage zu mir! Wir wollten über dich sprechen. Meine Mum ist gestorben, als ich noch sehr klein war. Mein Dad arbeitet viel, daher bin ich froh, dass ich bei meiner Granny aufgewachsen bin. Und jetzt zu dir. Was treibt dich hierher?"
Fabios Blick glitt auf den See hinaus. "Ich versuche nachzudenken, mein Leben zu sortieren."
"Im Park?" Eigentlich sollte sie das nicht wundern, ihre Granny hatte das schließlich genauso gemacht.
"Naja ... im Park, in Boston ... ich komme aus Deutschland und bin bei Freunden zu Besuch."
Ella war sofort Feuer und Flamme und ließ sich jedes Detail über sein Leben in Deutschland erzählen. Dann löcherte sie ihn mit Fragen über andere Länder Europas.
"Wir sollten langsam los", unterbrach Fabio ihren Frageschwall.
"Oh verdammt!" Sie war so vertieft in ihre Fragerei, dass sie die Zeit völlig vergessen hatte. Sie war noch nicht viel zu spät, aber sie würde sich beeilen müssen.
"Ich kann dich wieder begleiten."
Sie lächelte ihn dankbar an. So hatte sie wenigstens noch einige Minuten, um ihn weiter auszufragen.
"Und warum bist du hier in Boston?", fragte sie, während sie den Weg entlang gingen.
"Freunde besuchen und herausfinden, was ich mit meinem Leben anstellen möchte." Er klang sehr nachdenklich.
Ehe Ella sich entscheiden konnte, ob sie weiter nachbohren sollte oder nicht, waren sie bereits vor dem Haus ihrer Granny angekommen und Fabio verabschiedete sich von ihr.
"Dann sehen wir uns morgen wieder im Park?", fragte sie und schalt sich innerlich selbst, weil sie so hoffnungsvoll klang.
Sie musste unbedingt mehr über diesem Mann erfahren.
Langsam stieß sie den angehaltenen Atem aus, als Fabio zustimmend nickte.
"Dann bin ich aber wieder dran mit Fragen stellen", sagte er und zwinkerte ihr schelmisch zu.
"Okay. Dann bis morgen."
Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf die Wange. Seine Lippen waren warm und weich. Sie fühlten sich verdammt gut auf ihrer Haut an und hinterließen ein angenehmes Kribbeln.
"Bis morgen", sagte sie leise und wandte sich zur Tür.
FABIO
In einem langen, intensiven Gespräch, wie es nur Mediziner miteinander führen können, redeten Dave und er über den Splitter und die momentanen Möglichkeiten, die Fabio zur Wahl hatte.
Dave hatte ihm nicht wirklich etwas Neues gesagt. Das alles wusste Fabio schon, wenn nicht sogar besser, da er in Sachen Chirurgie im Camp einiges an Erfahrung gesammelt hatte.
Eigentlich war er genau wie Dave Allgemeinmediziner, hatte aber mittlerweile bei vielen Operationen assistiert, und kleinere sogar selbst durchgeführt.
"Kannst du mir die Unterlagen da lassen? Ich habe eine Freundin im Krankenhaus, die sich damit bestimmt besser auskennt."
Fabio nickte und reichte Dave die Mappe. Auch hiervon versprach er sich nicht viel. Warum sollte Boston auch bessere Ärzte haben? Sie alle kochten nur mit Wasser. Da er aber wusste, wie wichtig es Sky war, widersprach er nicht. Sie sollte sich keine Sorgen um ihn machen, wenn sie selbst ein Kind erwartete.
"Danke, Dave. Es ist nicht dringend." Im Gegenteil, eigentlich wollte er diese Operation überhaupt nicht.
"Nichts zu danken." Dann zögerte er. "Wie geht es dir psychisch?"
Fabio lächelte gequält. Er brauchte Dave nichts vorzumachen, er würde ihn sowieso durchschauen, also entschied er sich für die halbe Wahrheit.
"Die Albträume haben wir mit der Therapie in den Griff bekommen. Manchmal habe ich Flashbacks, aber das wird auch noch eine Weile so bleiben."
Dave nickte und wechselte dann das Thema. "Wie machst du das mit deinem Job, wenn du so lange hier bist?"
"Ich habe immer bei meinem Dad in der Praxis gearbeitet und schon gekündigt, bevor ich nach Afrika gegangen bin. Von daher kein Problem. Im Moment bin ich noch krankgeschrieben, aber ich kann auch ohne weiteres eine Weile von meinen Ersparnissen leben, wenn es sein muss."
Dave lachte. "Wenn du auf Dauer bleibst, kannst du einen Job bei mir haben, ich komme langsam nicht mehr über die Runden."
Fabio verzog das Gesicht. "Ich kenne jemanden, der würde mich eher umbringen, als mich dauerhaft in Boston zu dulden."
Daves Lachen wurde noch lauter. "Ryan hab ich ganz vergessen. Wenn du erstmal nicht mehr bei ihm wohnst, wird er sich schon beruhigen."
Fabio bezweifelte das, aber er hatte sowieso nicht vor hierzubleiben ... naja, wenn man es genau nahm, hatte er überhaupt keine Ahnung, was er als Nächstes tun wollte.
"Mal sehen. Jetzt muss ich erst wieder fit werden, bevor ich weiter planen kann."
"Wir haben in nicht ganz vier Wochen unser nächstes Fire&Ice Monatstreffen in Cats Hotel. Ist immer ganz lustig und wir brauchen dringend Unterstützung an der Singlefront."
Fabio lächelte. Wenn den anderen Männern das Geturtel der Pärchen genauso auf die Nerven ging wie ihm, konnte er sich das gut vorstellen.
"Ich werde sehen, was sich machen lässt, wäre aber schön, mal wieder alle zu sehen."
Dave erzählte ihm noch kurz, um was es beim Monatstreffen ging, dass sie die Planungen für die kommenden Monate besprechen und dann gemütlich gemeinsam essen würden. Es hörte sich wirklich gut an und Fabio nahm sich vor teilzunehmen.
Nach dem Besuch bei Dave fuhr er direkt in den Park, um auf Ella zu warten.
Im Moment war sie die einzige, auf die er sich Tag für Tag freute. Die kurze Zeit, die sie jeden Tag miteinander verbrachten, machte sein Leben ein ganzes Stückchen schöner.
Noch vor wenigen Tagen war er jeden Nachmittag aus dem Haus geflohen, um der angespannten Stimmung zu entkommen. Dann war er am See gesessen und hatte sich selbst bemitleidet.
Bis Ella kam. Jetzt konnte er es kaum erwarten, auf ihrer Bank zu sitzen und sie wiederzusehen.
"Ist da noch frei?"
Er grinste breit, als er zu ihr aufsah.
"Natürlich. Hey Ella." Sie sah genauso hinreißend aus, wie an all den anderen Tagen. Er liebte ihre Augen. Diese spezielle Farbe, die die Wärme und Güte ihrer Seele wiedergab.
Sie legte den Kopf schief und musterte ihn. "Dir geht es gut."
Ja, jetzt, weil du da bist.
Aber das konnte er ihr nicht sagen. Sie würde ihn für einen Verrückten halten … oder einen menschlichen Max.
Also zuckte er nur mit den Schultern.
"Ja, ich bin zufrieden. Aber heute bin ich wieder mit den Fragen dran", sagte er und zwinkerte ihr zu.
Ella seufzte schwer, als hätte sie eine gehörige Last zu tragen, aber das vergnügte Funkeln in ihren Augen verriet sie sofort.
Er konnte sich nicht vorstellen, dass Ella überhaupt lügen konnte, so leicht wie man aus ihr lesen konnte. Er fragte sie über ihre Familie aus, über ihre Granny und ihren Dad. Auch über ihre Ausbildung und ihren Job beim Tierheim.
"Da mein Dad immer noch meint, mich und Granny aushalten zu müssen, kann ich es mir gut leisten im Tierheim für wenig Geld zu arbeiten."
"Und was machst du da den ganzen Tag?", fragte er, während sie aufstanden und in Richtung des Hauses ihrer Granny gingen.
"Mich um die Tiere kümmern. Sie füttern, ihre Wehwehchen versorgen, mit ihnen trainieren und alles reinigen. Zwischendurch muss ich auch im Büro arbeiten, oder zu Veranstaltungen gehen, auf denen wir Info-Flyer verteilen."
Gab es einen selbstloseren Menschen als sie? Nein, eher nicht.
Ella stupste ihn leicht mit der Schulter an. Am liebsten hätte er einen Arm um sie gelegt.
"Du könntest einmal mitkommen, dir alles ansehen, wenn du willst."
Fabio lächelte. Er mochte Tiere, aber er war bei weitem nicht so ein Fan wie Ella, Alexa oder Jack.
Aber er könnte einen ganzen Tag mit Ella verbringen, nicht nur eine halbe Stunde. Das wäre jede noch so beschissene Arbeit wert.
"Hört sich gut an. Wann?"
"Wir können uns morgen gleich um acht Uhr an der Bank treffen und zusammen hingehen, wenn du willst." Das Strahlen auf ihrem Gesicht war so ansteckend, dass er völlig automatisch zustimmend nickte. Gleich darauf schüttelte er den Kopf. "Ich bin sowieso mit dem Auto unterwegs. Ich hole dich um acht Uhr bei dir ab."
Ella biss sich auf die Unterlippe, nickte aber schließlich. Was genau konnte sie daran nicht wollen? Es war doch viel praktischer als zu laufen?
Oder hatte sie etwa Angst, bei ihm mitzufahren? Sie kam ihm eigentlich nicht vor wie der Typ übervorsichtiges Frauchen.
"Wenn es dir lieber ist, können wir uns auch im Park treffen", bot er vorsichtshalber an. Er wollte sie nicht einschüchtern.
"Nein, nein, schon okay."
ELLA
Seufzend betrat sie das Haus, nachdem sie Fabio verabschiedet hatte.
"Hey Granny!"
"Hey Liebes, das Essen ist fertig."
Ella lächelte, ging zu ihrer Großmutter und küsste sie auf die Wange. Dann setzten sie sich gemeinsam an den Esstisch.
Granny fragte sie wie jeden Tag nach der Arbeit und nach Fabio. Ella schaute auf ihren Teller und schob das Essen hin und her. Es war irgendwie komisch mit Granny über ihn zu reden. Sie wollte ihn nicht teilen, nicht einmal die kleinsten Informationen über ihn. Das war Quatsch, das war ihr klar, aber an dem Gefühl änderte das nichts.
"Er holt mich morgen früh ab und kommt mit ins Tierheim."
Granny lächelte. "Dann kann ich ihn auch mal sehen."
In Ellas Kopf erschien ein Bild, wie Granny an der Tür stand und Fabio genau inspizierte. Sie würde ihn ausquetschen und Dinge über ihn erfahren, die noch nicht einmal Ella wusste.
"Granny …", setzte sie besorgt an.
"Keine Sorge, Mäuschen. Ich werde am Küchenfenster stehen und mein Frühstück machen, wie jeden Tag. Nicht mehr und nicht weniger."
Ella lächelte sie dankbar an.
Nach dem Essen verzog Ella sich mit einem Buch in ihr Zimmer.
Wirklich aufs Lesen konnte sie sich nicht konzentrieren. Fabio tauchte immer wieder in ihren Gedanken auf. Sie dachte an seine schmalen Lippen, die nun schon zweimal ihre Wange geküsst hatten und jedes Mal dieses angenehme Kribbeln auf ihrer Haut hinterließen.
FABIO
"Guten Morgen, warum bist du denn schon so früh auf?", fragte Sky, als er in die Küche kam.
Ryan schenkte ihm nur ein finsteres Nicken, als hätte er Ryan mit seinem Anblick gerade den Morgen versaut, dann widmete er sich wieder seiner Zeitung.
"Guten Morgen. Ich gehe ins Tierheim."
In Zeitlupe senkte Ryan seine Zeitung. Fabio könnte ihn beruhigen, aber irgendwie fühlte er sich absolut nicht dazu veranlasst.
Sky hielt mit dem Löffel auf halbem Weg zu Marrys Mund inne und sah ein wenig verunsichert zwischen ihm und Ryan hin und her.
"Wir haben hier keine Tiere", sagte Ryan und nahm einen Schluck von seinem Kaffee.
Fabio ließ sich ebenfalls einen aus der Maschine.
"Hab ich mitbekommen." Er genoss es ein klein wenig zu sehr, wie angespannt die beiden waren.
"Wir haben nicht vor, das zu ändern", fuhr Ryan fort.
Fabio ärgerte sich ein wenig darüber, dass er für Sky mitsprach. Sie wohl auch, denn sie funkelte ihn böse an.
"Naja, wir haben darüber gesprochen, ob wir vielleicht einen Hund haben möchten, aber Ryan ist noch nicht davon überzeugt."
Fabio würde sich niemals einen Hund anschaffen. Sie waren viel zu abhängig von einem. Wenn überhaupt würde er eine Katze wollen. Die waren selbstständig. Aber auch um die musste man sich kümmern, sie machten Dreck und brauchten Aufmerksamkeit.
Er wurde von der leisen Diskussion hinter ihm aus seinen Gedanken gerissen.
Mit der Kaffeetasse in der Hand drehte er sich um und beobachtete die beiden.
Zum ersten Mal verspürte er dabei keinen Stich in seinem Herzen.
Er sah einfach nur eine Freundin, die mit ihrem Mann diskutierte, nicht die verlorene Liebe seines Lebens. Vielleicht schaffte er es doch langsam, ein wenig Abstand von allem zu bekommen.
Möglicherweise war es doch gut, sich all dem hier auszusetzen und hautnah zu sehen, wie gut die beiden zusammen passten. Es schien ihm wirklich dabei zu helfen, über alles hinwegzukommen.
"Bevor ihr jetzt einen Streit vom Zaun brecht, ich habe nicht vor, mir ein Tier anzuschaffen. Ich habe nur angeboten, einen Tag dort zu helfen."
Sky zog eine Augenbraue nach oben. "Du bist aber nicht unbedingt der Typ dazu."
Fabio lächelte. Sie kannten sich einfach zu gut. "Ja, ich möchte einer Freundin helfen."
Wenn möglich, wanderte ihre Augenbraue noch höher. "Keiner unserer Freunde arbeitet dort."
Fabio zuckte nur mit den Schultern, leerte seinen Kaffee und ging zur Tür.
"Bis heute Abend!"
Obwohl er fünf Minuten zu früh war, riss Ella in dem Moment die Haustür auf, in dem er am Randstein hielt.
Schade, er hätte sie gern an der Tür abgeholt und einen Blick ins Innere dieses Hauses geworfen.
Sie kam so schnell die Stufen herunter, dass er kaum Zeit hatte auszusteigen.
"Hi. Bleib ruhig sitzen", sagte sie und öffnete sich die Beifahrertür, ehe er um den Wagen herumgehen konnte. Also ließ er sich wieder auf den Sitz gleiten.
"Hey, alles klar bei dir?"
"Ja." Sie lächelte, schnallte sich an und beschrieb ihm dann den Weg, den er fahren musste.
Obwohl das Tierheim nicht allzu weit weg sein konnte, da Ella täglich zu Fuß dorthin lief, kam ihm die Fahrt endlos vor.
"Deswegen laufe ich lieber. Um acht Uhr in Boston Auto zu fahren, ist eine Strafe."
Dann deutete sie auf eine schmale Straße, an deren Ende er bereits das große, weiße Gebäude sehen konnte.
Er parkte den Wagen vor dem Willkommenschild, dann stiegen sie beide aus.
Das Bellen war ohrenbetäubend. "Mein Gott, wie hältst du das aus?", fragte er und zwang sich, nicht die Hände auf die Ohren zu legen.
Ella lachte. "Die sind nicht immer so, aber sie wissen, dass es Fütterungszeit ist. Wahrscheinlich ist schon jemand im Gebäude, den sie gehört haben."
Sie führte ihn zu einer roten Eingangstür und sperrte sie auf.
"Guten Morgen, Alfred. Ich habe heute Unterstützung mitgebracht."
Aus einer Tür, die rechts am Ende des schmalen Ganges abging, kam ein älterer Mann.
"Guten Morgen, Ella, das ist eine schöne Überraschung."
Er kam zu ihnen, während Fabio die Unmengen von Fotos an den Wänden des Ganges ansah. Lauter glücklich wirkende Menschen, die ein oder mehrere Tiere um sich herum versammelt hatten.
Ella stellte ihm Alfred vor und sie schüttelten sich die Hand. "Schön, dass Sie da sind. Ella wird Ihnen zeigen, wie Sie uns zur Hand gehen können."
Dann verschwand er wieder durch die Tür, durch die er gekommen war.
"Dann komm", sagte Ella, nahm ihn bei der Hand und zog ihn hinter sich her.
Es fühlte sich verdammt gut an, ihre Hand in seiner zu spüren. Seine Haut kribbelte. Die Wärme, die ihre Haut ausstrahlte, breitete sich in seinem ganzen Körper aus.
In dem kleinen Personalraum gab sie ihm einen Kittel, den er über seinen Pullover ziehen konnte. Zum ersten Mal sah er Ella ohne die dicke Jacke. Sie war immer noch rundlich, aber es passte zu ihr. Wohlproportionierte Kurven, die sich himmlisch anfühlen mussten.
Sie erklärte ihm, wie die Hunde gefüttert wurden, dann machten sie sich an die Arbeit, während sie von ihrem Job im Tierheim erzählte.
Fabio hörte ihr schweigend zu, genoss es einfach nur, ihre weiche, melodische Stimme zu hören.
Die Zeit verging wie im Flug und er bemerkte erst, wie spät es war, als Ella ihm sagte, dass es Zeit für ihre Pause wäre.
"Wollen wir irgendwo etwas essen gehen?", fragte er und stellte den Besen, mit dem er die Ausläufe gekehrt hatte, zurück in die Abstellkammer.
"Gern. Ich nehme mir immer einen der Hunde mit und gehe die Straße hinunter zu einem Imbiss."
Fabio nickte zustimmend, ein Spaziergang mit Ella hörte sich gut an.
Ehe er sich versah, hatte er Max an der Leine. Der Rüde sah ihn an, als wüsste er ganz genau, dass Fabio nur wegen Ella hier war.
Ella selbst nahm eine junge Hündin, die heftig an der Leine zerrte.
"Wollen wir nicht lieber tauschen?", fragte Fabio, immerhin hatte er mehr Kraft.
"Nein, nein. Sie muss es nur erst noch lernen. Ein Hundeanfänger braucht einen Hund wie Max, der durch nichts aus der Ruhe zu bringen ist."
Man sah ihm also an, dass er absolut keine Ahnung davon hatte, was er da tat. Solange Ella mit ihm zufrieden war, war es dennoch kein Problem.
Zu viert gingen sie die Straße hinunter. Max war wirklich vorbildlich, während die kleine Hündin immer wieder vor und zurück sprang.
Plötzlich kam Ella bei einem weiteren Satz der Hündin ins Straucheln und wäre beinahe gestürzt. Sie quietschte auf und ruderte wild mit den Armen, um auf dem glatten Boden nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Fabio konnte sie gerade noch abfangen und hielt sie eng an seine Brust gepresst.
Sie fühlte sich in seinen Armen noch besser an, als er es sich vorgestellt hatte. Warm und weich. Er drückte sie ein klein wenig fester an sich, wollte mehr von ihr spüren.
Den dicken Mantel verfluchte er innerlich, er wollte ihre Hüfte und ihren Hintern unter seinen Händen spüren.
Sie sah mit weit aufgerissenen Augen und leicht offen stehendem Mund zu ihm auf.
Sein Blick wurde völlig automatisch von ihren Lippen angezogen. Immer wieder hatte er darüber nachgedacht, wie sich diese Lippen wohl anfühlen würden, wenn ihre Wange schon so samtig weich war.
Ganz langsam senkte er den Kopf, wurde von ihr angezogen wie ein Magnet.
Ihre Zungenspitze schoss hervor und befeuchtete ihre Lippen.
Er konnte keinen Moment länger warten. Also überbrückte er das letzte Stückchen zwischen ihnen und presste seine Lippen leicht auf ihre.
Er spürte, wie ihre Hände sich in die Ärmel seiner Jacke verkrallten und sein Griff verstärkte sich völlig automatisch.
Ella erwiderte den Kuss. Vorsichtig, forschend, genau wie er selbst.
Sie fühlte sich unbeschreiblich gut an. In seinen Armen, genauso wie an seinem Mund. Sie war weich und nachgiebig. Anschmiegsam und verspielt. Sie schmeckte nach süßen Früchten und herben Kaffee.
Er wollte mehr von ihr, brauchte mehr von diesem Kuss, mehr von Ella.
Gerade als er eine Hand in ihren Nacken schieben wollte, um den Kuss zu vertiefen, zog sie sich quiekend zurück.
Es dauerte einen Moment, bis er verstand, dass nicht sie sich zurückgezogen hatte, sondern die Hündin erneut an der Leine gerissen hatte, sodass Ella unwillkürlich ein wenig zurückgetaumelt war.
"Sorry", sagte sie lächelnd.
Fabio lächelte zurück. "Solange du damit nicht den Kuss, sondern den Hund meinst …"
"Den Hund!" Sie nickte so eifrig, dass Fabios Herz schneller schlug.
Er schlang seinen Arm um ihre Taille und zog sie wieder an sich, um sie erneut zu küssen. Er hatte noch lange nicht genug von ihr. Sie schmiegte sich sofort an ihn und legte den Kopf in den Nacken, damit er ihren Mund besser erreichen konnte.
Gerade als seine Lippen die ihren berührten, ging erneut ein Ruck durch ihren Körper.
Fabio stöhnte genervt und sah die Hündin strafend an, doch Ella lachte nur. "Sie ist noch jung. Wir sollten weiter, sonst ist die Pause vorbei, ehe wir etwas zu essen haben."
Ohne nachzudenken, griff er nach ihrer freien Hand und verflocht seine Finger mit ihren.
Ihr süßes Lächeln sagte ihm, dass sie es genauso sehr wollte, was sein Herz nur noch schneller schlagen ließ.
"Das nächste Mal nehmen wir zweimal die Sorte Max mit", entschied er, da er keine Lust hatte, sich ständig von diesem ungestümen Ding unterbrechen zu lassen.
"Das nächste Mal?"
Ja, er würde definitiv so viel Zeit wie möglich mit Ella verbringen, auch wenn das hieß, dass er sie zur Arbeit begleiten musste. Er wollte mehr über sie erfahren, sie besser kennenlernen.