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Das Leben durch die Linse ihrer Kamera zu sehen, war für Nina nie ein Problem gewesen. Sie hatte nie erwartet, einem echten Leben jemals näher zu kommen. Dass Ty sich wider aller Erwartungen zu ihr hingezogen fühlt, kann sie zunächst kaum glauben. Da ihr aber sowieso nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung steht, ist Nina bereit, alles anzunehmen, was er ihr bietet und vor allem solange es ihr vergönnt ist. Allein ihre Gegenwart schenkt ihm den lang ersehnten Frieden und Ty entschließt sich, sie auch gegen alle Widrigkeiten zu behalten. Können Nina und Ty all die unausgesprochenen Probleme klären und dem Druck ihrer Freunde standhalten? Eine Geschichte, die von Liebe, Verlust, Angst, Druck, Lust und den kleinen Verwirrungen des Alltags erzählt.
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Inhaltsverzeichnis
Fire&Ice
Bereits erschienen:
1 Wer bist du?
2 Freund oder Feind
3 Freund
4 Oder doch mehr?
5 Zu viel ist zu viel
6 Und wohin geht die Reise jetzt?
7 Zu viel Gesellschaft
8 Geschenke
9 Der Ball
10 Größte Träume
11 Leb Wohl
12 So viel Schmerz
13 Eine zweite Chance
14 Neuanfang
15 Ein neues Leben
16 Geständnisse
17 Happy Birthday!
18 ... der Hund
19 Zu schön um wahr zu sein
20 Happy End?
Leseprobe
Für T.
Rechtliches, oder was keiner lesen will und trotzdem drin stehen muss ...
Band 2
Tyler Moreno
Allie Kinsley
Fire&Ice 1 - Ryan Black
Fire&Ice 2 - Tyler Moreno
Fire&Ice 3 - Shane Carter
Fire&Ice 4 - Dario Benson
Fire&Ice 5 - Brandon Hill
Fire&Ice 5.5 - Jack Dessen
Fire&Ice 6 - Chris Turner
Fire&Ice 6.5 - Gregor Zadow
Fire&Ice 7 - Logan Hunter
Fire&Ice 7.5 - Jonas Harper
Fire&Ice 8 - Julien Fox
Fire&Ice 9 - Luce Suarez
Fire&Ice 10 - Joey Parker
Fire&Ice 11 - Matthew Fox
Fire&Ice 12 - Fabio Bellini
Fire&Ice 13 - Alex Altera
Fire&Ice 14 - Taylor Falk
Sweet like Candy
Protect Me - Brian
Protect Me - Ash
Protect Me - Ray
Protect Me - Dante
Protect Me - Chase
Protect Me - Levin
Protect Me - Dean
Protect Me - Thomas
Yearn for Adam
Yearn for Slade
Copyright © 2013 Allie Kinsley
All rights reserved.
Lektorat: A. Rogosik
Cover www.nickputzmann.com
TY
"Wer ist das?", fragte Shane und deutete auf eine zierliche Frau, die abseits der Gruppe stand und Fotos schoss.
"Schau sie nicht mal an, du Wichser!", schnauzte Gregor ihn sofort an.
Das war für diesen Tag schon zu viel für Ty. Er war impulsiv und leicht auf die Palme zu bringen, aber heute lief von vornherein alles schief. Da kam es ihm gerade gelegen, seinem Freund Shane beizustehen und Gregors großes Maul zu stopfen.
Er stieß Gregor mit beiden Händen vor die Brust.
"Lass ihn in Ruhe oder du bekommst es mit mir zu tun!", zischte er ihm entgegen.
Ihm war entgangen, wie sich der Streit zwischen den beiden entwickelt hatte. Es war ihm egal. Er freute sich einfach darauf, die angestaute Energie loszuwerden.
Gregor war bereits so in seiner Wut gefangen, dass er sich von seinen 1,95 Metern und den gestählten Muskeln nicht einschüchtern ließ.
Ty hatte keine Angst vor der Auseinandersetzung. Er war Sicherheitschef in der Firma seines Freundes Ryan und hatte in seiner Jugend mehr als einen Kampf in Fight Clubs bestritten.
Gregor baute sich vor ihm auf und hob gerade die Arme, um Ty ebenfalls von sich zu stoßen, als sich eine winzige Hand auf seine Armbeuge legte. Gregor erstarrte mitten in der Bewegung.
Ty folgte mit seinem Blick, der Hand entlang, den Arm hinauf, um zu sehen, welches kleine Mädchen sich in ihren Streit einmischte.
Kein Mädchen, einfach nur eine winzige Frau. Maximal 1,55 Meter groß.
Ihre dünnen Beine steckten in schwarzen Leggins und darüber trug sie einen riesigen, unförmigen schwarzen Strickpullover, der ihr bis zur Mitte der Oberschenkel reichte.
Sie sieht aus wie ein Fass auf Stelzen, dachte er.
Aus dem Ungetüm an Pullover ragte ein schmaler Hals. Ihr Gesicht war blass und ungeschminkt.
Schön, ja, aber nicht herausgeputzt wie bei den meisten Frauen in ihrem Alter. Er schätzte sie auf 23 Jahre. Sie hatte unscheinbare dunkelbraune Augen mit extrem langen Wimpern. Eine kleine Stupsnase und schöne, volle Lippen in einem dunklen Rot-Ton.
Ihre dunkelbraunen Haare waren zu einem nachlässigen Knoten hochgesteckt und einige Strähnen hatten sich gelöst.
Ihre Hand ruhte immer noch auf Gregors Arm und ihr Blick war fest mit seinem verhakt. Sie schienen mit ihren Blicken zu kommunizieren und verstanden sich anscheinend wortlos.
Gregor stöhnte gequält auf, wandte sich ab und ging. Ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben, hatte diese kleine Frau Gregor von einem tollwütigen Hund in einen getretenen Welpen verwandelt. Und auch ohne ein Wort an den Rest zu wenden, wandte sie sich ab und ging wieder auf ihren Sitzplatz am Rand der Gruppe.
Ty, dessen Wut in Verblüffung umgeschlagen war, schüttelte fassungslos den Kopf.
"Was bitte war das?", wandte er sich an Alexa.
Diese schüttelte traurig lächelnd den Kopf.
"Lass es lieber, Ty. Wenn es um Nina geht, sieht Gregor immer rot. Tu am besten so, als wäre sie gar nicht da."
Sie sah ihn eindringlich an.
Er blickte zurück zu Nina, die wieder ihren Beobachtungsposten eingenommen hatte. Sie saß einfach nur da und fotografierte die Menge.
So zu tun, als wäre sie nicht da, fand er gar nicht so einfach. Bisher war sie ihm nie aufgefallen. Er war sich gar nicht so sicher, ob sie bei den bisherigen Zusammentreffen der beiden Gruppen jemals anwesend gewesen war.
Gregor ging zu ihr, ließ sich vor ihr auf die Knie fallen und sprach mit ihr.
Nein, dachte er, nicht mit ihr, eher auf sie ein.
Sie legte den Kopf schief und schien ihm aufmerksam zuzuhören. Mitten in seinem Redefluss legte Nina ihm eine Hand auf die Wange und lächelte zaghaft. Gregor legte daraufhin seinen Kopf in ihren Schoß und Nina streichelte ihm über die Haare.
Ty sah noch einige Minuten zu, ehe er sich wieder an Alexa wandte.
"Was wird das?", fragte er verwirrt.
"Lass sie einfach in Ruhe, Ty. Wirklich, es ist besser für alle, wenn du dieses Thema einfach auf sich beruhen lässt", antwortete Alexa.
"Warum die Geheimniskrämerei?"
"Gott Ty, wenn du keine Ruhe geben willst, dann geh wenigstens zu Sky. Gregor ist eh noch sauer auf mich."
Er wandte sich ab und holte sich erst mal ein Bier. Seine Gedanken kreisten um den seltsamen Vorfall. Er setzte sich zurück an das Lagerfeuer, wählte seinen Platz aber so, dass er Nina im Blick behielt.
Gregor saß mittlerweile neben ihr und sprach wieder auf sie ein, während Nina sich eine Zigarette drehte.
"Ty, komm, wir gehen vor, wir haben gleich einen Auftritt", rief Chris ihm zu. Er hatte Recht, sie waren nicht nur zum Vergnügen hier.
Die Mittelaltergruppe Fire&Ice war für ein Musikfestival in einem Vorort von Boston gebucht worden. Sie würden dort für fünf Tage zelten und täglich einmal ihre Feuershow aufführen.
Ryan hatte die Setarips, eine befreundete Gruppe von den Mittelalterspielen in Talin, eingeladen, ebenfalls bei diesem Musikfestival teilzunehmen. Anschließend würde die Gruppe noch für zehn Tage in Boston in einem von Ryans Hotels unterkommen.
Sie alle waren gestern Nachmittag angereist und hatten zusammen ihr Lager aufgebaut.
Es war ein komisches Gefühl. Da Fire&Ice eigentlich nur aus Männern bestand und die Anwesenheit von Frauen in ihrer Gruppe Ty irritierte.
Sonst waren immer nur seine Freunde und er da gewesen. Sie feierten viel und hatten das Lager immer voller Mädchen für eine Nacht.
Er war unsicher, wie er sich den Setarips gegenüber verhalten sollte. Und Unsicherheit schlug bei ihm oft in Aggression um.
Auch an das veränderte Aussehen ihrer Gastgruppe musste er sich erst gewöhnen. Er kannte alle nur in ihrer Mittelalterkleidung und er musste wieder einmal feststellen, dass ein Kleidungsstil das Aussehen eines Menschen komplett verändern konnte.
Er war froh darüber, dass Chris ihn rief. Er musste sich dringend ein bisschen körperlich auspowern, was bei den akrobatischen Teilen ihrer Show stets möglich war.
Sie gingen zu ihren Zelten, um sich die vereinbarte Kleidung anzuziehen. Da sie dieses Mal nicht wie auf den Mittelalterfestivals in ihren Gauklerhosen auftreten konnten, hatten sie sich für etwas weitere, schwarze, knielange Jeans entschieden.
Wie üblich trugen sie keine Schuhe, auch der Oberkörper blieb nackt. Für die Kombination aus Feuer und Akrobatik hatte sich das als optimal erwiesen.
Er mochte das Outfit. Schwarz stand ihm gut und passte zu seiner hellbraunen Haut und den Tribal Tattoos, die seinen Oberkörper zierten.
Er cremte sich noch ein, um seine Haut vor Verbrennungen zu schützen, und machte sich dann mit den anderen auf den Weg zur Bühne.
Da ihm die Geschichte mit Nina keine Ruhe ließ, wandte er sich während des Aufwärmens an Ryan.
"Ryan, ich hab eine Frage an dich."
"Schieß los, mein Freund!"
"Was ist das für eine seltsame Geschichte mit Nina?"
"Hab schon davon gehört. Skys einzige Reaktion darauf war: 'Tu einfach so, als wäre sie gar nicht da!' Mehr war nicht aus ihr herauszubekommen. Ich hab keine Ahnung, was das soll, aber wenn du sie alle beobachtest, tun sie genau das", sagte Ryan.
Er nahm sich vor, genauer auf das Verhalten der Setarips zu achten. Jetzt musste er sich aber erst mal auf seinen Auftritt konzentrieren. Er war körperlich sehr fit, trainierte jede freie Minute, die er neben seinem Job als Sicherheitschef noch hatte.
Er hatte schön ausgebildete Muskeln, wie es für einen Boxer üblich war. Dabei achtete er darauf, sein Trainingsprogramm so abzustimmen, dass es sowohl für seinen Job, als auch für die Auftritte mit Fire&Ice geeignet war. Daher machte er sich auch keine Sorgen, dass er irgendetwas nicht hinbekommen sollte, auch wenn er sehr selten mit den anderen zusammen trainierte.
Alles lief glatt, alle Einlagen gelangen und die Stimmung nach dem Auftritt war dementsprechend gut. Lachend stiegen seine Freunde und er von der Bühne.
Sie wurden sofort von weiblichen Fans umringt und die Männer genossen die Aufmerksamkeit, die ihnen geschenkt wurde.
Sie gingen zu dem Tisch, der für ihre Gruppe reserviert war. Die Setarips warteten bereits auf ihre Ankunft und jubelten ihnen entgegen. Sie bekamen von allen Glückwünsche für die gelungene Show und stießen gemeinsam auf ihren Erfolg an.
Einige ihrer Fans hatten sie zu ihrem Tisch begleitet. Wobei sie für Ty immer eher einem Schwarm Geier ähnelten, die sich um sie scharten.
Er mochte es nicht. Und er hatte überhaupt keinen Respekt vor den Flittchen, die sich jedem so schamlos an den Hals warfen. Natürlich hieß das nicht, dass er sich so eine leichte Beute entgehen ließ. Ja, er nahm sie mit in sein Zelt. Das war aber auch schon alles, was diese Frauen von ihm bekamen. Einen sehr guten Fick, einen oder mehrere Orgasmen. Und das war es.
Sobald sich ihr Atem beruhigt hatte, wollte er sie eigentlich schon wieder loswerden. Er hatte weder die Geduld für Drama-Queens noch für Heulsusen. Sie flogen allesamt auf direktem Weg aus dem Bett und vor die Tür.
Er schlief selten zwei Mal mit derselben Frau. Nicht, weil sie ihn nicht mehr anmachten, wenn er sie erst einmal gehabt hatte. Er wollte lediglich keine falschen Hoffnungen wecken. Er hatte nicht vor, eine von ihnen zu behalten, auch wenn einige von ihnen eine weitere Runde wert gewesen wären.
Er wollte keine Menschen, die ihm etwas bedeuteten in seinem Leben. Er mochte Ryan und Shane. Vielleicht sogar ein paar der anderen Jungs. Sky, Cat und das spärliche bisschen Familie, das er hatte. Aber schon diese wenigen Personen waren nicht gut für seine Gefühlslage.
Er brachte sich viel zu oft in Schwierigkeiten, wenn ihm jemand am Herzen lag. Und wenn er das Tier in seinem Inneren erst einmal raus gelassen hatte, war es nicht mehr zu bändigen.
Hätte Ryan ihn vor einigen Monaten nicht unterbrochen, hätte er Robert, Skys gewalttätigen Exfreund, umgebracht.
Er war so in Rage gewesen, dass er nicht mehr er selbst war. Einen nach dem andern Schlag hatte er dem brutalen Mann verpasst.
Grundsätzlich hätte Ty deswegen keine Gewissensbisse bekommen. Das Problem war nur, dass er in solchen Momenten die Kontrolle über sich selbst verlor.
Er wusste einfach nicht mehr, wann es reichte. Wann er besser aufhören sollte, bevor es schwerwiegende Folgen haben würde.
Robert lag an jenem Tag bereits halb bewusstlos am Boden und Tys Faust war wieder und wieder in sein Gesicht gekracht.
Hatte er es verdient? Definitiv. Das, was Ty ängstigte, war die Tatsachte, dass sich sein logisches Denken so vollständig verabschiedete. Der Gedanke, er könnte tatsächlich einmal einen Menschen mit seinen bloßen Fäusten töten, beunruhigte ihn. Er wollte so nicht sein. Aber die unterschwellige Aggression, die immer tief in ihm schlummerte, wurde wie mit einem Schalter freigesetzt, ließ er die Bestie in sich erst einmal los.
Er hatte sich kaum auf einen Stuhl gesetzt, da platzierte sich auch schon ein Geier auf seinem Schoß. Es gefiel ihm heute nicht. Er hatte immer noch schlechte Laune und absolut keine Lust darauf, freundlich zu sein.
Und das musste er nun mal. Charmant lächeln, hier und da ein Kompliment. Immerzu wollten die Frauen hören, wie toll sie seien.
KOTZ!
Er war von Haus aus nicht sehr gesprächig und wenn er, so wie jetzt, schlecht drauf war, wollte er erst recht keinen aufgesetzten Small-Talk.
Er redete nur dann, wenn er auch wirklich etwas zu sagen hatte. Leider verstanden das die meisten Leute nicht und versuchten, ihn permanent in ein Gespräch zu verwickeln.
Genau das tat auch das Flittchen auf seinem Schoß.
Er hörte sie brabbeln, versuchte aber, dieses nervtötende Geräusch auszublenden. Er versuchte, die Aggressionen in seinem Inneren in den Griff zu bekommen und schraubte mental die Geräuschkulisse herunter.
Ty schloss seine Augen, um sich besser auf sich selbst konzentrieren zu können, und hörte dabei in unregelmäßigen Abständen ein leises Klick. Er wollte zuordnen, woher das Geräusch kam und was es bedeutete, kam aber auf keine Lösung.
Langsam öffnete er die Augen und sah den Kopf des Flittchens nur noch wenige Zentimeter vor sich. Er legte ihr die Handfläche auf die Stirn und schob sie von sich. Verwirrt sah sie ihn an, also blieb ihm nichts anderes übrig, als es deutlicher zu machen.
"Runter von mir", knurrte er sehr leise, wusste aber, dass sie ihn verstanden hatte, da sie erschrocken die Augen aufriss.
"Was ist denn los?", fragte sie mit ihrer piepsenden Stimme.
Nochmal KOTZ!
"Du quatschst mir seit 10 Minuten die Ohren voll und dir ist noch nicht einmal aufgefallen, dass ich keinen einzigen Ton gesagt habe. Also runter von mir! Wenn du so scharf auf meinen Schwanz bist, kannst du mir einen blasen, aber dann Abfahrt!"
Schockiert riss sie die Augen auf und machte sich schnellstmöglich davon.
Während der ganzen Zeit hatte er weiter dieses Klick-Geräusch vernommen. Wenn ihn nicht alles täuschte, waren die Abstände, in denen das Geräusch erklang, seit seinem Ausbruch drastisch gestiegen.
Er sah sich um und versuchte wieder, das Klicken zu orten. Ihm schräg gegenüber machte er Nina aus, die ihr Objektiv genau auf ihn gerichtet hatte. Sie betätigte den Auslöser und Ty hörte es wieder. Klick.
Verwirrt zog er die Brauen zusammen. Klick.
Dann lächelte er. Klick.
Sie hat das ganze Drama mit dem Flittchen via Foto festgehalten! Diese Bilder möchte ich sehen!
Erst jetzt fiel ihm auf, dass Nina ihm gerade das erste echte Lächeln des Tages entlockt hatte, ohne auch nur ein Wort zu sagen.
NINA
Sie lächelte innerlich. Die Szene, die Ty ihr gerade unbewusst geliefert hatte, war eine der lustigsten, die sie seit langem aufgenommen hatte. Die Gesichtsausdrücke der Frau waren einfach unbezahlbar.
Grundsätzlich wollte sie den Mann nicht mögen, auch wenn er ihr soeben erstklassiges Material geliefert hatte. Er hatte sich mit Gregor angelegt und Gregor war heilig für sie.
Er war alles, was sie hatte! Die einzige Familie, die für sie jemals existiert hatte und gleichzeitig der einzige Freund.
Natürlich würde sie Sky, Zoey und die anderen auch als ihre Freunde bezeichnen. Sie war immer mit ihnen unterwegs. Sie feierten und lachten miteinander, aber Nina konnte die Worte, die sie mit ihren Gruppenmitgliedern gewechselt hatte, an einer Hand abzählen.
Sie sprach nicht gern. Wer sprach, war laut. Und wer laut war, lenkte unweigerlich Aufmerksamkeit auf sich. Ein Umstand, den sie unter allen Umständen vermeiden wollte. Sie wollte nicht, dass jemand sie beachtete. Sie wollte im Hintergrund bleiben. Von dort aus sah man alles am besten. Man sah die wirklichen Menschen, nicht die Fassade, die sie anderen vorspielten. Man sah den Zusammenhang. Wie bei einem Wald. Es war besser, weiter entfernt zu sein, als zu nah und den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu erkennen.
Von ihrem Standpunkt aus konnte sie die Dynamik in Gruppen erkennen und war immer in Sicherheit.
Versteckt und geschützt vor anderen Menschen.
All das verstanden die meisten nicht. Hielten sie für sonderbar oder gar für stumm. Doch sie konnte reden, sie hatte nur sehr früh gelernt, dass es besser war, im Schatten zu wandeln und für ihre Umwelt unsichtbar zu sein.
Gregor verstand sie. Immer. Sie musste nichts sagen. Blicke und Gesten reichten ihm, was ihn für sie nur noch wertvoller machte.
Er beschützte sie und las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Sie würde ihr Leben für ihn geben und es bestürzte sie, dass er ihretwegen immer so viel Kummer hatte.
Sie wünschte sich nichts mehr, als dass Gregor endlich die Frau seines Lebens finden würde. Natürlich hatte er Frauen, aber immer nur solche fürs Bett. Nie brachte er eine mit in ihre gemeinsame Wohnung. Er ging aus und kam noch vor Morgengrauen zurück in sein eigenes Bett. Allein.
Oft hatte sie den Verdacht, dass er sich auf keine Beziehung einließ, da er sie nicht vernachlässigen wollte. Sie hatte sogar schon versucht, mit ihm darüber zu reden – jawohl, so richtig mit Worten - welch ein Blödsinn das sei, aber er wollte nichts davon hören und stritt alles ab.
Auch hatte sie sehr wohl mitbekommen, dass der Streit heute Morgen mal wieder um sie ging.
Wenn sie auch nicht im Einzelnen gehört hatte, was genau gesagt wurde, wusste sie, dass Gregor dieses Kampfhahn-Gehabe nur an den Tag legte, wenn es um ihre Wenigkeit ging.
Der Mann, mit dem Gregor sich gestritten hatte, war ihr in Talin schon aufgefallen.
Ein außergewöhnlich schöner Mann.
Lateinamerikanischer Herkunft, schätzte sie.
Groß und breit gebaut. Ein Bild von einem Mann. Er sah aus wie ein Türsteher oder ähnliches. Großer Bizeps, breite, voll bemuskelte Brust und einem traumhaften Sixpack.
Sie stand auf diese Muskelberge, auch wenn sie es noch nie jemandem verraten hatte. Nun ja, wie auch, wenn sie doch mit niemandem sprach. Gregor war hierfür nicht der richtige Ansprechpartner.
Der Latino hatte wunderschöne Tätowierungen, die seinen Oberkörper und seine Arme verzierten. Nur am rechten Unterarm war ein großes Loch in dem Tribal-Gebilde, das seine Muskeln bedeckte.
In Talin hatte sie heimlich Fotos von den verschlungenen Spitzen gemacht. Dank ihrer tollen Kamera, die sie vor drei Jahren von Gregor zu Weihnachten bekommen hatte, konnte sie auch aus großer Entfernung Bilder von Einzelheiten machen.
Sie hatte im Laufe der Zeit so viele Objektive von ihm bekommen, dass sie für jede Gelegenheit das Passende aufweisen konnte.
Ihre Kamera führte sie immer mit sich. Ihr Faible für die Fotografie hatte sie als Jugendliche entwickelt. Damals aus dem Grund, dass sie viele Dinge vergaß. Sie war am laufenden Band high gewesen und konnte sich am nächsten Tag an vieles nicht mehr erinnern.
So kam es dazu, dass sie mittlerweile mehrere hundert Fotoalben besaß. Es war ein gutes Gefühl, stets zu wissen, wo sie die Erinnerungen wieder finden konnte.
Ihre Fotoalben erzählten die Geschichte ihres Lebens, jedes noch so kleine Detail wurde aufgenommen und abgelegt.
Die Fotos der Tätowierungen hatte sie immer wieder angesehen. Sie hatte sie mit ihren Finger nachgemalt und sich dabei vorgestellt, wie es wäre, dies in echt zu tun.
Ein absurder Gedankengang. Schließlich konnte man niemanden berühren, ohne vorher auch nur mit ihm gesprochen zu haben.
Nicht, dass sie das überhaupt wollte.
Sie mochte Berührungen nicht einmal und trotzdem reizte es sie zu erfahren, ob sich die tätowierte Haut anders anfühlte.
Aber sie würde sich ein anderes Opfer für ihre Nachforschungen suchen müssen, denn dieser Mann war definitiv tabu!
Vor ihrem inneren Auge hatte sie gesehen, wie der Streit zwischen den beiden eskaliert wäre, wenn sie nicht dazwischen gegangen wäre.
Sie hatte es in den schwarzen Augen des Mannes gesehen. Sie funkelten vor Aggression und Gewaltbereitschaft. Es war, als hätte er nur darauf gewartet, sich mit jemandem anzulegen. Die schönen, leicht schräg gestellten Augen mit den dichten Wimpern hatten sich zu Schlitzen verengt und jede Bewegung seines Gegenübers erfasst.
Er hatte seine schönen, vollen Lippen, die sonst stets so weich und einladend aussahen, zu einem festen Strich zusammen gepresst, was seine sowieso schon markanten Wangenknochen noch schärfer hervortreten ließ.
Seine kurzen, schwarzen Haare und der Dreitagebart hatten den Eindruck eines wirklich gefährlichen Mannes nur noch verstärkt.
Sein gesamter Körper, jeder einzelne Muskel war auf Hochspannung gewesen und hatte darauf gewartet, endlich mit voller Kraft losschlagen zu können.
Sie verabscheute Gewalt im Allgemeinen, im Besonderen aber gegen Gregor, und damit hatte sie sich ab sofort jeglichen Gedanken an den Mann verboten.
Mit seinem ungewollten Schauspiel hatte er ihre Aufmerksamkeit aber wieder auf sich gelenkt. Sie konnte nicht anders. Die Gefühlsregungen auf seinem und dem Gesicht der Frau auf seinem Schoß waren einfach herrlich gewesen. Unweigerlich hatte sie sich ihre Kamera geschnappt und ihre ganz persönliche Fotostory daraus gemacht. Sein Gesichtsausdruck, als er sie dabei ertappte, war der krönende Abschluss des ganzen gewesen. Eigentlich hatte Nina mit Wut gerechnet, wie es normalerweise der Fall war, wenn sie Personen in solch intimen Momenten aufnahm.
Er hingegen sah erst verdattert aus und dann, als hätte er ihre Beweggründe in ihren Augen erkannt, hatte er gelächelt.
Eines der wenigen echten Lächeln, das sie je auf seinen Lippen gesehen hatte. Es signalisierte ihr stillschweigend Verständnis und Zustimmung. Es war einer der Momente, die sie eigentlich immer nur mit Gregor teilte.
Dass dieser Mann, den sie eigentlich als eher grobgestrickt eingeschätzt hätte, zu so sensibler Kommunikation fähig war, überraschte sie.
Ihre Blicke waren immer noch ineinander verhakt, als Gregor sich neben ihr erhob. Nina wusste, dass er eine weitere Runde Drinks holen wollte und nickte, ohne ihn anzusehen.
"Alles in Ordnung, Nina?", forderte Gregor ihre Aufmerksamkeit.
Sie blickte lächelnd zu ihm auf und nickte erneut. Er entspannte sich und machte sich auf den Weg zur Bar.
Immer ist er so besorgt um mich, dachte sie und sah ihm nachsichtig lächelnd hinterher.
"Darf ich mich kurz zu dir setzen?", fragte der Mann, mit dem sie sich eben noch still über den Tisch hinweg unterhalten hatte.
Kurz zuckte sie zusammen. Sie war noch von Gregor abgelenkt gewesen, und hatte überhaupt nicht mitbekommen, wie er sich ihr genähert hatte.
Das hast du davon. Wenn du dich immer so ablenken lässt, entgehen dir die wichtigen Einzelheiten!, schalte sie sich selbst.
Sie blickte zu ihm auf und sah, dass sein Blick mit gerunzelter Stirn auf ihr ruhte.
Da sie nicht unhöflich sein wollte und er ja sehr schnell selbst feststellen würde, dass sie keine geeignete Gesprächspartnerin war, nickte sie widerstrebend.
Einer seiner Mundwinkel zuckte und er ließ sich auf den Stuhl sinken.
Ihr war bereits aufgefallen, dass er sich immer so weich bewegte.
Seine Bewegungen strahlten eine lässige Arroganz aus. Elegant und geschmeidig wie eine Raubkatze.
Manchmal träge und gesättigt, manchmal gespannt wie auf der Jagd, aber immer weich und elastisch. Seine Art, sich zu bewegen, faszinierte sie. Bereits mehr als einmal hatte sie sich eine Videokamera statt eines Fotoapparates gewünscht, um dieses Phänomen für ihre Gedankenbibliothek festzuhalten.
"Ich heiße Ty. Tyler Paolo Moreno, um genau zu sein", sagte er nach einiger Zeit.
Sehr leise, als wollte er sie mit seiner Stimme nicht erschrecken. Seine Stimme klang angenehm in ihren Ohren.
Weich, dunkel, wie flüssige Seide. Schwer zu beschreiben, aber sie wollte mehr davon hören, daher neigte sie den Kopf leicht in seine Richtung und schenkte ihm ein kleines Lächeln.
Seine Augen blitzten auf und seine Mundwinkel zuckten erneut.
Er musste nicht wirklich lächeln. Sie sah es in seinen Augen und das genügte ihr, um zu wissen, dass er verstanden hatte, was sie wollte.
"Ich würde die Bildserie der Frau gerne sehen, wenn du nichts dagegen hast", sprach er weiter.
Sie wunderte sich, dass er so schnell zum Kern seines Besuchs gekommen war.
Die meisten Menschen hatten die unangenehme Eigenschaft, immer um den heißen Brei zu reden, wo doch so wenige Worte genügen würden.
Sie hob ihre Kamera an und wechselte in den Ansichtsmodus.
Sie hatte die Bilder schnell rausgesucht und drehte das Display dann in seine Richtung.
Er wollte nach der Kamera greifen, doch Nina zog sie ihm schnell weg. Sie würde ihr liebstes Stück niemals aus der Hand geben.
Er zog eine Augenbraue nach oben, nickte aber dann und beugte sich wieder über die Kamera, diesmal aber nur, um zu schauen.
Wieder ohne Worte, dachte Nina, schüttelte den Gedanken aber schnell wieder ab, da sie ja gar nichts finden wollte, das ihn sympathisch machte.
Sie stellte die Dia-Show ein, damit sie sich voll und ganz auf seine Reaktion konzentrieren konnte. Sie war gespannt darauf, wie er auf sich selbst reagierte.
Erst war es Erheiterung, die sie in seinen Zügen aufblitzen sah, dann Freude und schließlich lachte er lauthals los.
Ein breites Lächeln konnte sie auch nicht mehr vermeiden. Der Klang seines Gelächters war unglaublich schön, beinahe ansteckend. Und ihr fiel erst jetzt auf, dass sie es nie zuvor gehört hatte.
Die völlige Stille um sie herum, ließ sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die anderen richten.
Alle Gespräche waren verstummt und beide Gruppen starrten Ty und sie an, als wären sie von einem anderen Stern.
Die Aufmerksamkeit war ihr so unangenehm, dass sie sich wünschte, ein großes Loch würde sich unter ihr auftun und sie einfach verschlucken. Sie rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her und ihr Puls raste.
"Was starrt ihr denn so? Auch ich werde ja wohl hin und wieder lachen dürfen!", blaffte Ty in die Runde und alle taten so, als wären sie in unglaublich wichtige Gespräche verwickelt.
"Es tut mir leid", sagte er dann wieder ganz leise und ruhig zu ihr.
Sie wusste nicht recht, wofür er sich entschuldigte, und sah ihn daher fragend an.
"Nun ja, hätte ich nicht so laut gelacht, hätten die anderen nicht so zu starren begonnen, daher, sorry."
Er war wirklich sensibler als sie gedacht hatte. Er hatte nicht nur ihre unausgesprochene Frage beantwortet, sondern auch sofort erkannt, dass ihr die Situation unangenehm war und vor allem auch, weshalb.
Bevor sie ihm aber eine beschwichtigende Geste schenken konnte, knurrte Gregor hinter ihr: "Was zum Teufel hast du hier zu suchen? Das ist mein Platz!"
Tys Körper spannte sich sofort an und alle Weichheit wich aus seinen Bewegungen. Er hob den Blick zu Nina, die nur ganz leicht den Kopf von rechts nach links bewegte.
Daraufhin schnaubte er genervt, erhob sich und ging, ohne einen Blick auf Gregor zu werfen.
Sie war mehr als erstaunt, sowohl über die Tatsache, dass sie so mühelos mit ihm kommunizieren konnte, als auch darüber, dass er auf sie gehört hatte. Obwohl sie genau gesehen hatte, dass er kurz davor gewesen war, Gregor an die Gurgel zu gehen.
"Was war das denn bitte?", blaffte Gregor sie an, woraufhin Nina nur eine Augenbraue hob.
Er stellte ihr Getränk vor ihr ab und musterte sie eingehend.
"Warum zum Teufel habe ich das Gefühl, dass du wütend auf mich bist, obwohl dieser Sack dir auf die Pelle gerückt ist, kaum dass ich dir den Rücken gekehrt habe?"
Wütend zog sie die Augenbrauen zusammen. Sie war schließlich kein Baby mehr und konnte durchaus selbst entscheiden, mit wem sie sich abgab und mit wem nicht.
Sie wusste, dass sie ungerecht war und vor allem, dass sie Ty nicht mögen sollte, aber seine Gegenwart war ihr erstaunlicherweise sehr angenehm gewesen.
Sie schnappte sich ihren Drink und schoss dann weiter Fotos von der Gruppe, während Gregor neben ihr schmollte.
Den Rest des Abends bewegte er sich keinen Millimeter mehr von ihrer Seite und war wieder einmal so übertrieben fürsorglich, dass es sie langsam aber sicher zu nerven begann.
TY
Nur allzu gerne wüsste er, wie Nina und Gregor zu einander standen. Diese ganze Geheimniskrämerei ging ihm allmählich auf die Nerven und er nahm sich fest vor, Sky noch einmal in die Zange zu nehmen.
Die Minuten mit Nina, waren ihm mehr als nur angenehm gewesen.
Endlich einmal ein Mensch, mit dem man nicht zwanghaft Konversation betreiben musste. Ihre Bilder waren mehr als fantastisch gewesen. Sie hatte immer in genau dem richtigen Moment den Auslöser gedrückt und damit alle Emotionen perfekt eingefangen. Er hatte sich quasi selbst denken hören können.
Bei den Nahaufnahmen der Grimassen, die das Flittchen auf seinem Schoß zog, hatte er sich nicht mehr beherrschen können und einfach laut gelacht. Er wusste, dass er nicht oft lachte. Dass er damit aber so die Aufmerksamkeit auf sie beide zog, war ihm nicht bewusst gewesen.
Nina hatte ihm mit ihren Fotos und ihrem Verhalten unbewusst den Tag gerettet. Ebenso schnell hatte Gregor ihn wieder verdorben, als er ihn so schwach von hinten ansprach.
In diesem Moment wollte er nichts lieber, als dem Kerl so richtig die Fresse polieren. Als er aber Ninas Blick begegnete, wusste er, dass es das Letzte war, was er tun durfte, wenn er jemals wieder ihre Gesellschaft genießen wollte.
Ihr Kopfschütteln hatte er nicht mehr benötigt, es hatte ihm aber den letzten Schubs gegeben, einfach den Stuhl zu verlassen.
Immer wieder begegneten sich ihre Blicke. Hin und wieder zuckte schon fast ein Lächeln über ihre Lippen. Sie schien sichtlich genervt von dem Gerede, das Gregor in einer nicht enden wollenden Salve auf sie abließ.
Er wurde mitten aus seinen Betrachtungen und Gedankengängen gerissen, als Ryan ihn ansprach.
"Worüber habt ihr euch denn so amüsiert?"
"Nina hat Fotos von der Abfuhr des Flittchens auf meinem Schoß gemacht", antwortete er und musste bei der Erinnerung schon wieder schmunzeln.
"Die müssen wirklich gut sein, wenn du aus dem Lachen gar nicht mehr rauskommst."
"Sehr gut!", bestätigte er.
"Ich sehe dich sehr selten lachen und ich habe bei Gott noch nicht erlebt, dass Nina jemanden zum Lachen gebracht hat."
Er zuckte die Schultern. Was sollte er darauf auch sagen? Für ihn waren alle wichtigen Dinge gesagt worden und damit sah er die Unterhaltung als beendet an.
Leider waren seine Mitmenschen nicht immer seiner Meinung, wie auch Ryan in diesem Moment.
"Gefällt sie dir etwa?"
Unwillig runzelte er die Stirn. Er sah den Sinn der Frage nicht. Ob sie ihm gefiel oder nicht, spielte doch überhaupt keine Rolle. Sie war eine angenehme Gesellschaft, das war alles.
"Mann, Ty, lass dir doch nicht wieder alles aus der Nase ziehen!"
"Ihre Gesellschaft ist angenehm", wiederholte er seinen Gedanken für seinen Freund.
"Ich kann mir eure lebhaften Gespräche wirklich vorstellen", antwortete dieser.
Ty schnaubte verärgert und wendete seinen Blick ab. Er traf sofort auf Ninas, die die Szene belustigt beobachtete, während ihr Sitznachbar ihr ebenfalls sprichwörtlich ein Ohr abkaute.
Er lächelte und ihre Augen blitzen belustigt zurück.
"Was war das denn eben?", fragte Sky und sah verwundert zwischen ihm und Nina hin und her.
Wann sie wiedergekommen war, hatte er nicht mitbekommen, witterte aber seine Chance auf Antworten.
"Quid pro quo", sagte er und dachte, damit alles klar gemacht zu haben.
Sky sah ihn verwirrt an und sagte: "Was soll das? Filmzitate raten? Das war Das Schweigen der Lämmer."
Genervt stöhnte er.
"Das soll heißen, ich antworte dir auf deine Frage, wenn du mir eine beantwortest."
"Okay, lass hören."
"In welcher Beziehung stehen Nina und Gregor zueinander?"
Sky wand sich ein wenig und antwortete schließlich sehr leise: "Sie sind Geschwister ... Adoptivgeschwister", präzisierte sie dann.
Ty nickte. Gut, aber dann sehe ich wirklich keinen Grund, warum er alles und jeden von ihr fern halten möchte.
"Meine Antwort, Ty", drängelte Sky.
"Wir haben gerade das gleiche Problem."
Sky zog die Augenbrauen zusammen.
"Und zwar?"
"Ich bin laut Regel wieder dran. Warum will Gregor jeden von ihr fern halten?"
Es folgte erst ein unwilliges Stöhnen und schließlich ein ergebenes Seufzen.
"Er will sie beschützen. Jetzt deine Antwort!", forderte sie ihn auf.
"Wir werden beide zu einer Kommunikation genötigt, an der wir kein Interesse haben. Wovor beschützen?"
Sie schnaubte entrüstet.
"Kein Interesse? Du fragst mich gerade aus!"
"Dieses Gespräch hat sich mit deiner Anwesenheit um 100% gebessert. Wovor beschützen?"
"Hey!", warf Ryan als beleidigten Kommentar in die Unterhaltung ein. Ty ignorierte ihn und sah Sky auffordernd an.
"Er möchte nicht, dass sie verletzt wird. Physisch oder psychisch. Egal wie. Er bewacht sie wie eine Löwenmutter und lässt niemanden an sie heran. Warum interessierst du dich so für sie? Du solltest sie um unser aller Frieden willen in Ruhe lassen."
Letzteren Kommentar ignorierte er und gab Sky die Antwort, die zuvor schon ihr Mann bekommen hatte.
Leicht verdiente Frage, dachte er.
"Ihre Gesellschaft ist angenehm. Warum spricht sie nicht?"
"Ich weiß es nicht. Hat irgendetwas mit ihrer Kindheit zu tun. Aber sie kann sprechen, wenn sie möchte. Ich habe es schon gehört, auch wenn ich mich bei Gott nicht mehr an ihre Stimme erinnern kann."
Er nickte. Das waren vorerst genügend Informationen. Er lenkte seine Aufmerksamkeit zurück zu Nina, die gerade wieder mit Gregor beschäftigt war, der bereits neben ihr stand.
"Nina und ich gehen schlafen", verkündete dieser gerade und Ty sah genau den Unwillen in ihrem Blick.
Sie sah zu ihm rüber und rollte mit den Augen, ehe sie aufstand und neben Gregor her trottete.
Er gluckste und fand die Art, wie sie auf den herrischen Ton ihres Bruders reagierte, einfach köstlich.
"Ihr habt es schon wieder getan und du musstest sogar dabei lachen! Was war denn nun schon wieder, von dem wir anderen anscheinend nichts mitbekommen haben?", fragte Sky und klang dabei nahezu wie ein Kind, das bei den anderen nicht mitspielen durfte.
Er zuckte die Schulter und sagte in die Runde: "Ich leg mich auch aufs Ohr."
Er drehte sich um und ging zu seinem Zelt. Dabei spürte er die fragenden Blicke im Rücken und war froh, den Antworten entfliehen zu können.
NINA
Sie war froh, als Gregor endlich zum Duschen ging. Er hatte ihr den ganzen Abend in den Ohren gelegen, bis sie sich einfach schlafend gestellt hatte.
Er hatte zwar geschnaubt und gesagt, dass er ihr das nicht abnehmen würde, konnte aber letztendlich nichts gegen diese Abfuhr tun.
Es hat eindeutig Vorteile, wenn die Leute keine Antworten von einem erwarten, dachte sie und kuschelte sich tiefer in ihre Decke, die sie mit an das Lagerfeuer gebracht hatte.
Es war Anfang Oktober und in den frühen Morgenstunden schon sehr frisch. Sie liebte den Herbst, seine Farben und genoss vor allem auch die Ruhe am Morgen, wenn die meisten anderen noch schliefen.
Eine Bewegung neben ihr machte sie auf Ty aufmerksam.
Er sagte nichts, lächelte nur sanft und setzte sich zu ihr. Ihr blieb nichts anderes übrig, als dieses Lächeln zu genießen. Sie saßen eine Weile einfach nur still nebeneinander und Nina wurde bewusst, dass sie selten angenehmere Gesellschaft gehabt hatte.
Dann stand er auf und kam kurze Zeit später mit einem Topf voll Wasser wieder, den er auf das Dreibein über dem Lagerfeuer hängte. Er wandte sich wieder ab und kam kurze Zeit später mit zwei Tassen, Kaffee und Tee zurück.
Nina tippte mit ihrem Zeigefinger auf den Tee und er bereitete ihre Getränke zu.
Sie schenkte ihm ein dankbares Lächeln und blies auf ihren Tee, um ihn ein wenig abzukühlen.
"Wie lange haben wir?", fragte er, aber Nina verstand nicht, was er meinte, und sah ihn fragend an.
Ty erwiderte ihren Blick mit einem kleinen, aber echten Lächeln und sagte: "Bis dein Wachhund wiederkommt."
Sie kicherte, hielt dann geschockt inne, als sie bemerkte, was sie da gerade getan hatte.
TY
"Das hört sich schön an", flüsterte er und war selbst überrascht, dass er so dachte. Eigentlich empfand er weibliches Gekicher immer als lästig. Bei Nina klang es wie die Stimme eines Engels.
Wow, wo kommt denn dieser Gedanke auf einmal her?
Ninas Wangen verfärbten sich rosa und er fand, dass sie wahnsinnig süß aussah, wenn sie verlegen war.
Sie schwiegen wieder eine Weile, jeder in seiner eigenen Traumwelt versunken. Keiner vermisste die Gespräche, die mit anderer Gesellschaft bestimmt aufgekommen wären, da war er sich sicher.
Als er bemerkte, wie Nina allmählich vor Kälte zitterte, legte er mehr Holz auf das Lagerfeuer und holte seine eigene Decke aus seinem Zelt, um sie ihr um die Schultern zu legen.
Sie sah mit einem verwunderten Blick zu ihm auf, woraufhin er nur mit den Schultern zuckte.
Als er den Blick hob, sah er Gregor ziemlich schnell auf das Lager zu laufen. Er schaute noch einmal auf Nina hinab und lächelte.
Er bekam ein wunderschönes, offenes Lächeln zurück und ging mit einem guten Gefühl in sein Bett.
NINA
"Was wollte dieser Idiot schon wieder von dir?", frage Gregor, als er sie erreichte.
Sie rollte mit den Augen und schaute dann demonstrativ auf die Decke, die über ihren Schultern hing.
Eine Decke, die verdammt gut roch, wie sie sich selbst eingestehen musste.
"Er hat dir eine Decke gebracht? Warum?"
Das war wieder eine Unterhaltung, die Nina eindeutig zu blöd war. Sie trank ihren Tee aus und machte sich auf den Weg zurück ins Bett.
"Was soll das Nina? Du kannst mich doch nicht mitten in einer Unterhaltung stehen lassen!"
In diesem Moment kam Shane aus seinem Zelt. Er lachte und sagte: "Sehr guter Witz so früh am Morgen, Gregor! Nina und Unterhaltung! Ich hab sie noch nie ein Wort reden hören!"
Gregor wandte sich blitzschnell zu ihm um und wollte gerade auf ihn losgehen als Zoey ihn schon anfuhr: "Halt deine verdammte Klappe, du Idiot! Du weißt auch wirklich nie, wann es besser ist, einfach mal nichts zu sagen."
Fast zeitgleich war Nina in ihrem Zelt verschwunden und Gregor stand alleine vor dem Feuer.
Wenig später hörte sie, wie Sky sich zu ihm gesellte.
"Guten Morgen, Gregor", sagte Sky.
"Morgen", brummelte dieser.
"Ich wollte nicht lauschen, aber meinst du nicht, dass du sie manchmal zu sehr bevormundest?"
"Mann, Sky, du weißt, dass ich euch alle immer nur beschützen möchte!"
"Natürlich, Gregor! Und das, was du für Maya und mich tust, ist mehr als wir verdient haben. Aber ich glaube, du erdrückst sie. Sie kann sich doch gar nicht selbst entfalten und leben! Du nimmst ihr alles ab, räumst ihr alles aus dem Weg und liest ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Außer einen, Gregor. Einen, den ich sehr wichtig finde. Gesellschaft, Gregor! Du isolierst sie und ich glaube, es fällt dir noch nicht einmal auf. Sei doch froh, wenn sie einmal die Gesellschaft einer anderen Person nicht ablehnt!"
"Woher soll ich wissen, ob sie es will oder nicht? Sie sagt ja nichts dazu!"
"Du kennst sie. Und tief in deinem Inneren weißt du auch, dass sie gegangen wäre, hätte es sie gestört."
"Ich weiß nicht, was sie von diesem Clown will! Sie unterhält sich ja noch nicht mal mit ihm, wie will sie ihn denn kennenlernen?"
"Ich hatte das Gefühl, sie verstehen sich ganz gut und weißt du, Ty ist auch nicht gerade der gesprächigste Typ."
"Oh Gott, das kann ja nur in einem Chaos enden … ich gehen zu ihr ins Bett und hoffe, dass sie mir vergeben wird."
TY
Zu ihr ins Bett gehen, dachte er. Einfach unglaublich!
Er wälzte sich noch über eine Stunde in seinem Schlafsack umher und beschloss dann, dass er genauso gut Joggen gehen konnte.
Er zog sich ein schwarzes Sweatshirt an und steckte sich seinen iPod in die Tasche seines Hoodies.
Er lief in lockerem Tempo und war bald völlig gefangen von der Musik in seinen Ohren und dem stetigen Rhythmus, in dem seine Füße auf den Boden trafen.
Nach über einer Stunde kam er zurück zum Lager. Alle anderen waren bereits aufgestanden.
Er schnappte sich das Handtuch, das er sich vor dem Laufen bereitgelegt hatte und wischte sich den Schweiß von Kopf und Nacken.
Klick.
Da war es wieder. Das Geräusch, das er mittlerweile so sehr mit Nina verband. Er blickte sich um und fand schließlich ihren Blick.
Sie sah etwas unsicher aus, als würde sie erwarten, dass er sie anblökte, weil sie ihn fotografiert hatte. Aber es störte ihn keineswegs.
Er lächelte sie freundlich an und holte dann seine Duschsachen.
Die Dusche tat ihm gut. Er genoss das Wasser auf seiner Haut, wie es all den Schweiß von ihm spülte, ihn reinigte.
Leider reinigte es nicht seinen Geist. Seine Gedanken kreisten immer und immer wieder um Nina.
Warum spricht sie nicht?
Was steckt wirklich hinter ihrer Beziehung zu Gregor?
Warum fühle ich mich so wohl in ihrer Gegenwart?
Es war, als würde sie ihn beruhigen. Sie sagte kein Wort und trotzdem fuhr sein Gedankenkarussell in ihrer Gegenwart langsamer. Die ständige unterschwellige Aggression nahm ab und sein gesamter Körper schien an Spannung zu verlieren.
Er genoss einfach, wie er sich in ihrer Gesellschaft fühlte, und er hatte nicht vor, ihr fernzubleiben. Um Ninas und seines Friedens willen würde er sich ihr nur nähern, wenn Gregor nicht in der Nähe war. Aber auf diese Gelegenheiten würde er achten, nur um sich neben sie zu setzen und ihre Wirkung auf seinen Geist zu genießen.
Sie war wie eine Droge, nach der er schon nach zwei kurzen Begegnungen süchtig war.
Die meisten seiner Freunde saßen bereits beim Frühstück, als er sich zu ihnen gesellte.
"Guten Morgen, Ty", sagte Ryan und klopfte ihm auf die Schulter, als er sich neben ihn setzte.
"Morgen", murmelte er in die Runde und suchte Ninas Blick.
Sie saß wieder neben Gregor und rührte lustlos in etwas, das wie Müsli mit Jogurt aussah.
"Iss jetzt, Nina!", schnauzte Gregor sie an.
Er konnte seinen Ohren kaum trauen. Wer dachte er bitte schön, dass er war? Der Vater eines 6-jährigen Kindes?
"Meinst du nicht, Nina ist alt genug, selbst zu entscheiden, wann sie was essen möchte?", fragte er deshalb leise. Er war sich aber sicher, dass Gregor ihn gehört hatte. Sein Körper hatte sich merklich versteift und er wandte seinen Blick in Tys Richtung.
"Ich finde zwar nicht, dass es dich irgendetwas angeht, aber Nina ist zu dünn. Sie isst zu wenig. Ende der Diskussion!", zischte Gregor zurück.
Er verstand nicht, was Gregor meinte. Ja, natürlich hatte er gesehen, dass sie sehr dünne Beine hatte. Ihr Oberkörper hingegen wirkte alles andere als zierlich.
Fass auf Stelzen, kam es ihm wieder in den Kopf. Er verwarf den Gedanken aber gleich wieder, da es für ihn nichts zur Sache tat, wie sie aussah. Er genoss ja lediglich ihre Wirkung auf ihn.
Die Wirkung ihres Bruders hingegen war eine ganz andere. Dieser brachte ihn ständig an den Rand seiner Selbstbeherrschung.
Nina stand auf und setzte sich ans Feuer, um sich eine Zigarette zu drehen.
Heute sah man nicht einmal ihre dünnen Beine. Sie trug eine weite, schwarze Jeansbaggy und einen Hoody, dessen Kapuze sie sich weit ins Gesicht gezogen hatte.
Sie wirkte blass, wie meistens, doch Ty fiel das kleine Lächeln sofort auf, das sie auf ihrem Gesicht hatte.
"Vielen Dank auch!", zischte Gregor und lief ihr dann mit der Schüssel hinterher.
"Was hat er denn? So mager ist sie nun auch nicht.", sagte Ty an Alexa gewandt.
Diese zog nur die Augenbrauen hoch und wurde dann gleich wieder von Jack abgelenkt.
Er verfolgte die Diskussion um das Frühstück noch ein wenig aus den Augenwinkeln, während er sein eigenes Frühstück zu sich nahm.
"Du starrst sie an", ließ Ryan ihn wissen. Er musste sich eingestehen, dass er Recht hatte.
"Sie fasziniert mich", antwortete er schlicht.
"Warum?"
"Sie quatscht mich nicht voll und erwartet das auch nicht von mir."
Ryan verzog das Gesicht.
"Immer wenn du so etwas sagst, habe ich das Gefühl, ein schlechter Freund zu sein."
"Du bist mein Bester", sagte Ty und sah ihm dabei fest in die Augen. Er wollte, dass Ryan wirklich verstand, wie ernst es ihm damit war.
"Das ehrt mich, Ty. Ich weiß, dass du nicht viele Menschen in dein Leben lässt. Darum frage ich dich so wegen Nina aus. Es ist selten, dass du solch ein Interesse an anderen, vor allem fremden Menschen zeigst. Ich will verstehen, was du siehst, was alle anderen übersehen. Denn sie muss ein besonderer Mensch sein, wenn sie dich beschäftigt."
Er zuckte die Schultern.
"Sie fesselt mich. Aber vor allem bringt sie mein Inneres irgendwie zur Ruhe."
Ryan lächelte.
"Ich weiß genau, was du meinst! Sky tut dasselbe für mich. Innerlich sind wir uns ähnlicher als du denkst."
"Vielleicht."
"Sicher. Warum sie dich sonst allerdings fesselt, verstehe ich nicht. Sie ist nicht der Typ Frau, den du sonst bevorzugst. Eigentlich stehst du doch auf große, blonde, dünne Frauen und nicht auf klein, braun und rundlich."
"Der Unterschied liegt darin, dass ich die blonden Dummchen nur für ne schnelle Nummer will. Ich glaube, Nina könnte eine gute Freundin werden."
"Ohne Sex?", fragte Ryan zweifelnd.
"Ich kann mich durchaus mit Menschen abgeben, ohne mit ihnen Sex zu haben."
"Ja, mit den Jungs von Fire&Ice, zumindest teilweise, und deiner Familie, sofern man das als abgeben bezeichnen kann. Aber das war es dann auch schon."
"Ich spreche mit Sky, Cat und euren Familien."
"Ja, aber wie du schon so schön gesagt hast, du sprichst mit ihnen, weil du musst. Nicht weil du willst."
"Ich will jetzt auch nicht sprechen. Es scheint dich doch einen Scheiß zu interessieren!", brummte er.
"Schon okay, ich lass dich ja schon wieder in Ruhe!"
Ryan lächelte und stand auf, um zu seiner Frau zu gehen.
Alle anderen hatten den Frühstückstisch bereits verlassen und gingen ihren eigenen Beschäftigungen nach. Er war nicht böse darüber, so hatte er wenigstens ein bisschen Ruhe.
Gregor ließ Nina allein und Ty überlegte gerade, ob er sich wieder neben sie setzen sollte, als diese sich ebenfalls erhob.
Sie sah sich um und erwischte ihn dabei, wie er sie betrachtete. Ihre Blicke verhakten sich ineinander und er glaubte, bis auf den Grund ihrer Seele blicken zu können.
Ihr Blick wurde weicher und sie kam auf ihn zu, um sich neben ihn zu setzten.
Beinahe sofort wurde er ruhiger. Er entspannte sich und atmete lange und gleichmäßig aus.
"Danke."
Er dachte schon, er habe sich verhört, doch sie blickte ihn so unentwegt an, dass er den Dank in ihren Augen lesen konnte. Es war fast weniger als ein Flüstern, kaum zu verstehen gewesen.
Ihre Stimme klang rau und leicht kratzig, eben wie eine, die lange nicht benutzt wurde. Und so war es ja auch. Sie war leise, fein und leicht, wie ein Windhauch und so unendlich schön, dass er so ziemlich alles dafür gegeben hätte, sie noch einmal zu hören.
Er wunderte sich selbst darüber. Eigentlich mochte er ja keine Gespräche. Alles war ihm zu laut und zu aufdringlich.
Ihre Stimme aber war wundervoll. In seiner Version vom Himmel hätten Engel ihre Stimme gehabt.
"Wie kann ein Mensch, der so wenig spricht, eine so bezaubernde Stimme haben? Du hättest mich vorwarnen sollen, dann hätte ich es mir aufgenommen!", flüsterte er zurück.
Er war sich zwar nicht ganz sicher, wofür sie sich bedankt hatte, aber es muss ihr wichtig gewesen sein. Wichtig genug, um zu ihm zu sprechen.
"Ich nehme deinen Dank sehr ernst, Nina. Ich weiß, dass du nicht für eine Kleinigkeit mit mir gesprochen hättest. Ich danke dir!"
Sie lächelte und hob leicht die Hand, als wolle sie ihn berühren, ließ sie schließlich aber wieder sinken.
Auch hierfür war er ihr dankbar. Für ihn hatte es etwas mit Respekt zu tun. Einen Menschen, mit dem man nicht vertraut war, einfach zu berühren, war respektlos.
Er wollte von den wenigsten Menschen berührt werden.
Sicher, beim Kämpfen oder beim Sex gehörten Berührungen dazu. Aber er hatte vor seinen Gegenspielern keinen Respekt und sie anscheinend vor ihm auch nicht.
Er gab auch fremden Menschen ungern die Hand, es war für ihn, als würden sie in seine persönliche Zone eindringen.
Ninas Berührung hingegen wünschte er sich. Er wollte nur einmal kurz ihre kleine Hand auf seiner Haut fühlen.
Da er sie aber nicht einfach anfassen wollte, streckte er ihr leicht den Arm entgegen und bot ihn ihr so für eine Berührung an.
Sie sah auf, direkt in seine Augen. Die Frage, ob er mit dieser Geste wirklich meinte, was sie dachte, stand klar und deutlich in ihnen zu lesen. Er nickte und Nina hob abermals zaghaft ihre Hand.
Nur mit dem Zeigefinger strich sie ganz kurz über sein Handgelenk und zog die Hand sofort wieder zurück, als würde sie etwas Verbotenes tun.
Wieder ein Blick, woraufhin er abermals nickte. Allein die Tatsache, dass sie um Erlaubnis bat, zeigte ihm, dass sie es nicht als selbstverständlich nahm, andere zu berühren. Das allein genügte ihm, um ihr dieses Privileg zuzusprechen.
Sie legte ihren Finger mit einer federleichten Berührung zurück auf sein Handgelenk. Sofort wurde er noch ruhiger.
Langsam und zaghaft strich sie seinen Unterarm hinauf, hielt aber nach wenigen Zentimeter inne und suchte seinen Blick. Er lächelte und Nina konzentrierte sich wieder auf ihr Tun. Sie fuhr bis zu dem Anfang seiner Tätowierung und ließ den Finger dann über die dunkle Farbe gleiten.
Völlig selbstvergessen strich sie die Ränder der Tribals nach.
Er musste an sich halten, um nicht wohlig zu schnurren. Ein leiser Seufzer entglitt ihm aber leider, woraufhin Nina sofort ihre Hand weg zog und ihn an sah, wie ein Reh im Scheinwerferlicht.
Riesige braune Augen, in denen deutlich Angst zu sehen war. Er wollte alles andere, als sie zu erschrecken. Der Gedanke, dass es das letzte Mal sein könnte, dass sie ihn berührte, beunruhigte ihn sehr.
"Nein, bitte, hör nicht auf. Es fühlt sich schön an", flüsterte er.
Nina lächelte wieder und ihre Augen klärten sich wieder zu einem warmen Braun.
Er wusste nicht, wie er diese Augen als unscheinbar bezeichnen konnte. Sie waren warm, wunderschön und erzählten ihm von einem ganzen Leben. Er konnte in ihnen lesen wie in einem Buch und ihm wurde klar, warum sie keine Worte benötigte. Sie konnte einem alles mitteilen, allein mit einem Blick, wenn man nur aufmerksam genug hinsah.
Er verlor sich in der tiefen Ruhe, die er empfand. In ihrem Anblick und fühlte sich wie in Trance.
NINA
Die feinen Linien seiner Tätowierungen nahmen Nina völlig gefangen. Sie fuhr jede einzelne mit ihrem Zeigefinger nach. Nur die auf dem Unterarm, denn mehr traute sie sich nicht.
Wie es zu dieser einzigartigen Gelegenheit gekommen war, konnte sie immer noch kaum verstehen. So lange träumte sie schon davon, die verschlungen Muster zu berühren, und hätte niemals gedacht, dass ein so harter Mann wie Ty eine solche Erforschung seines Körpers zulassen würde. Er schien sie sogar zu genießen. Er hatte geseufzt.
Da sie diese Reaktion nur am Rande mitbekommen hatte, dachte sie zunächst, ihn verärgert zu haben. Dass es ihm sogar gefallen könnte, hatte sie nicht für möglich gehalten.
Sie hatte nahezu das Bedürfnis, ihn danach zu fragen, warum ihm ihre Berührung gefiel. Überhaupt, warum ihm ihre Gesellschaft etwas bedeutete. Aber aus Gewohnheit schwieg sie und schob lieber weiter die Rätsel der Menschheit, insbesondere der zwischenmenschlichen Beziehungen, in ihrem Kopf hin und her.
Den Anfang ihrer heutigen Begegnung hatte Ty selbst gelegt. Indem er sie vor ihrem kontrollsüchtigen Bruder in Schutz nahm, hatte er sie vollkommen überrumpelt. Sie rechnete nicht damit, dass es jemandem auffiel, wie herrschsüchtig Gregor sich ihr gegenüber manchmal benahm.
Natürlich war sie ihm dankbar für alles, was er für sie tat, aber Ty hatte Recht. Sie war kein kleines Kind mehr, das bevormundet werden musste.
Es war das erste Mal seit sehr langer Zeit, dass jemand anders für ihre Interessen einstand.
Sie wollte ihren Dank richtig ausdrücken.
Sie hatte all ihren Mut zusammen genommen und Ty dieses kleine Wort zugeflüstert. Dass er sich sogar dafür bedankte und den Wert dieses einen Wortes erkannte, hatte sie verblüfft und erfreut, im gleichen Maße.
Als er sie dann noch dazu einlud, seinen Arm zu berühren, war es um sie geschehen. Sooft sie sich auch einzureden versuchte, dass er nicht der Typ Mensch war, mit dem sie sich umgeben wollte, so sehr musste sie sich eingestehen, wie stark sie sich in ihm getäuscht hatte.
Er war nicht hart, er war sensibel. Er war nicht dumm, sondern blitzgescheit. Er war nicht brutal, er war feinfühlig. Er war einfach so viel mehr, als sie ihm zugestehen wollte. Und sie war sich sicher, dass er ein genauso gebranntes Kind war wie sie.
Plötzlich kribbelte ihr Nacken. Sie drehte ihren Kopf und sah, dass Gregor sie mit finsterer Miene beobachtete. Schnell zog sie ihre Hand zurück und sah aus dem Augenwinkel, wie Ty beinahe zeitgleich die Augen aufriss und Gregor anstarrte.
Von allem, was sie soeben noch geteilt hatten, war nichts mehr übrig. Seine soeben noch warmen braunen Augen verdunkelten sich in Sekunden, sodass sie nun fast schwarz wirkten.
Es war, als hätte er mehrere Persönlichkeiten.
Den Ty, der er war, wenn sie mit ihm alleine war, das war ihr eindeutig der liebste.
Ty, der mit den Frauen im Lager spielte. Sie wollte es sich nicht eingestehen, aber wenn sie daran dachte, durchzuckte sie ein leichter Stich der Eifersucht.
Und zu guter Letzt der aggressive Tyler. Bei dem man die Befürchtung hatte, er würde von jetzt auf gleich alles in einem Umkreis von 500 Metern zu Kleinholz verarbeiten. Diesen hasste sie und sie sah, wie er sich genau in diesem Moment in ihn verwandelte.
Sie wollte nicht zwischen die Fronten geraten, denn auch Gregor hatte seine Kämpfermiene aufgesetzt.
Sie sprang auf und wich schnell mehrere Schritte zurück. Ty registrierte ihre Bewegung und wandte ihr den Blick zu. Der Ausdruck in seinen Augen verwandelte sich von kampfbereit in verletzt. Es erstaunte sie, dass ihre Flucht ihn so schwer getroffen hatte.
Er senkte seinen Kopf und schüttelte ihn leicht. Dann stand er einfach auf und ging. Die Hände fest in den Hosentaschen vergraben und mit hängenden Schulter stapfte er zu seinem Zelt.
Gregors Ausdruck war mittlerweile zu einer verwirrten Grimasse geworden. Sie konnte nicht anders und legte all die Enttäuschung, die sie empfand, in ihren Blick, bevor sie sich ebenfalls abwandte. Sie setzte sich an den Rand des Lagers und schoss ein Foto von dem verlassenen Platz, an dem sie sich eben noch so wohl gefühlt hatte.
Wieder eine Erinnerung mehr. Eine wunderschöne Erinnerung. Hoffentlich hat Gregor mir damit nicht alles versaut!
TY
Gregor versaute ihm einfach alles! Er würde ihn am liebsten in Grund und Boden stampfen, wusste aber, dass er sich damit sämtliche Chancen auf eine Freundschaft mit Nina verderben würde.
Er versuchte, sich zu entspannen und schlief schließlich darüber ein.
"Ty, Mann, wach auf! Wir müssen in einer Viertelstunde an der Bühne sein!"
Er hörte Shane und öffnete blinzelnd die Augen. Er kniete direkt neben seinem Bett.
"Welch grauenvoller Anblick, um aufzuwachen", stellte er trocken fest, woraufhin Shane laut auflachte.
"Und ein noch viel grauenvoller Klang. Geh weg. Ich komme gleich."
Nichts war ihm mehr verhasst, als keine Zeit zu haben, um langsam, gemütlich und vor allem alleine aufzuwachen.
Er streckte sich kurz und zog sich dann in Windeseile um. Die meisten waren schon nach vorne gegangen, nur Shane wartete noch auf ihn.
"Na endlich, mein Bester! Dachte schon, du kommst gar nicht mehr aus deinem Bett", begrüßte Shane ihn, woraufhin Ty nur mit den Schultern zuckte.
"Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?", fragte Shane.
"Gregor."
"Oh ja! Verstehe! Der rennt um seine Weiber wie eine Löwenmutter! Er ist quasi ständig unterwegs, um sie zusammenzutreiben und jeden anzufauchen, der sich auch nur auf fünf Meter nähert. Dieser Typ hat echt ein Problem und bräuchte meiner Meinung nach dringend eine Frau. Die könnte er beschützen, dann müsste er nicht jedes weibliche Wesen in seinem Umkreis verteidigen."
Ty nickte nur grimmig.
"Ich glaube, du hast dir genau den Mittelpunkt seiner Frauchen-Herde ausgesucht."
"Gott, ich will sie ihm doch nicht wegnehmen. Ich rede doch noch nicht mal mit ihr. Wir sitzen einfach nur da und er tut so, als würde ich sie vor seinen Augen vernaschen!"
Shane zuckte die Schultern.
Die Show klappte, auch wenn Ty einige grobe Patzer seinerseits nur mit Müh und Not retten konnte. Er war einfach zu unkonzentriert und das konnte er sich bei einem Auftritt mit Feuer eigentlich nicht leisten. Zum Glück gab es dadurch keine Verletzungen. Weder bei ihm noch bei seinen Kameraden.
Tys Stimmung war dennoch im Keller. Er hasste es, etwas nicht zu 100 Prozent geschafft zu haben.
Gemeinsam ging die Gruppe zu ihrem Tisch. Sie wurden genauso herzlich empfangen wie am Vortag, doch Ty meinte die Blicke der anderen auf sich spüren zu können.
Er war sich nicht sicher, ob es an den Patzern lag, die er sich geleistet hatte, oder an der Geschichte mit Nina.
So oder so, es störte ihn. Nicht, weil andere Leute ihn anstarrten. Das war er gewöhnt. Er wollte allerdings nicht, dass jemand erkannte, dass er Schwächen besaß. Schwächen zuzugeben gab anderen die Gelegenheit, diese auszunutzen.
Noch viel weniger behagte ihm der Gedanke, dass er wegen Nina angestarrt wurde. Wiederum ging es dabei nicht um ihn, aber er wusste, wenn sie ihn deshalb anstarrten, würden sie das Gleiche mit ihr tun. Das wäre für sie furchtbar und er wollte nicht, dass sie sich schlecht fühlte.
Er sah sich am Tisch um, um zu sehen, wie es Nina ging. Wie sie die ungewollte Aufmerksamkeit aufnahm, sollte es denn so sein. Aber er entdeckte sie nirgends. Noch einmal ließ er seinen Blick über die Menge schweifen.
Nein, definitiv nicht da!
Was sollte das? Wo war sie? Die Fragen fuhren in seinem Kopf Karussell, bis er Skys Stimme neben sich hörte.
"Sie ist nicht da."
Sein Blick flog zu ihr und er zog seine Augenbrauen fragend nach oben.
"Gott, Ty, du bist bald so schlimm wie sie! Wofür hat der liebe Gott dir so eine schöne Stimme gegeben, wenn du sie nicht benutzt?"
Verärgert über ihre Kritik an Nina presste er die Lippen zusammen.
"Ja, ja, schon gut. Sie ist im Zelt und erholt sich von ihrem Trip."
"Was für ein Trip?", wollte er wissen und sprach es lieber aus, damit Sky direkt antwortete und ihm nicht irgendwelche Vorträge hielt.
"Marihuana, Peace, keine Ahnung, was genau sie da immerzu raucht. Hat sich wohl einen zu viel gebaut heute und war dann ziemlich stoned, als wir los wollten."
Die kleine Nina kifft?
Ty konnte es nicht fassen. Ja, er hatte sie rauchen sehen und natürlich war ihm aufgefallen, dass sie im Gegensatz zu den meisten Frauen selber drehte. Dass es aber nicht nur Tabak war, den sie verarbeitete, hatte er nicht erwartet.
Er war ein absoluter Gegner von Drogen. Auch wenn es nur Gras war, so waren es eben doch Drogen.
"Gregor bevormundet Nina in allen Lebenslagen, aber er sorgt nicht dafür, dass sie mit so einem Mist aufhört?", knurrte er.
"Jetzt mach mal halblang, Ty! Es ist verdammt noch mal nicht Skys Schuld, also fahr runter. Sofort!" Ryan zischte die Worte in einer Tonlage, die Ty nicht oft von ihm zu hören bekam. Und normalerweise nie in seine Richtung. Er wusste, dass er die Falsche anschnauzte, war aber zu wütend, um sich wieder zu beruhigen.
Abrupt stand er auf, sodass sein Stuhl scheppernd nach hinten rutschte. Mit einem letzten finsteren Blick zu Gregor entfernte er sich von der Gruppe.
Wenn Nina so stoned ist, dass sie nicht mal mit zum Festplatz kommen kann, hat es jetzt auch keinen Sinn, ein ernstes Wort mit ihr zu reden.
Er brauchte dringend eine Ablenkung, bevor er mit irgendjemand Streit anfing und sich mitten auf dem Festival zu prügeln begann. Also streifte er durch die Menge, um eine Frau zu finden, die er vögeln konnte, um die aufgestaute Energie abzubauen.
Es dauerte nicht lang, da fand er auch schon ein Exemplar, das genau in sein Beuteschema passte. Eigentlich hatte er bei Gott keine Lust auf Small-Talk, aber es blieb ihm wie immer nichts anderes übrig. Frauen wollten nun mal umgarnt werden.
Sie stand ungefähr fünf Meter von ihm entfernt und lächelte ihn lasziv an. Er verzog seinen Mund zu einem aufgesetzten Lächeln und hoffte, dass es echt genug wirkte.
Langsam ging er auf sie zu und blieb einen halben Meter vor ihr stehen. Viel näher, als es jede Höflichkeit verlangt hätte, aber er wollte von vornherein klar machen, dass es ihm nicht um die große Liebe, sondern um Sex ging.
Puren, animalischen Sex.
Er griff nach ihrer Hand und zog sie auf die Tanzfläche. Der Takt der Musik übertrug sich beinahe automatisch auf seine Glieder. Er wirbelte die Frau herum und presste sie mit dem Rücken an seine Brust.
Fordernd und mit festem Griff an ihren Hüften, ließ er seine Lenden gegen ihren Po kreisen. Sie passte sich augenblicklich an und drückte ihren Hintern fest gegen ihn.
Seine Hände glitten von ihren Hüften zu ihrem Bauch und von dort aus nach oben zu ihren Brüsten. Erst streifte er nur die Unterseiten, um ihre Reaktion darauf zu testen, als sie sich aber nur noch fester gegen ihn drückte, wusste er, dass sie seine Berührungen willkommen hieß.