Fluchtpunkt Hamburg - Reimer Boy Eilers - E-Book

Fluchtpunkt Hamburg E-Book

Reimer Boy Eilers

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Beschreibung

Eigentlich ganz einfach und selbstverständlich: Der deutsche Schriftstellerverband übt Solidarität mit den Medienschaffenden unter den Flüchtlingen. In dieser Anthologie sind die literarischen Stimmen von 22 Autorinnen und Autoren versammelt, die einen Bezug zu Hamburg haben und von denen die Meisten hier eine neue Bleibe gefunden haben – als Übergang, für eine gewisse Zeit, für immer? Niemand weiß es. Wo, wenn nicht unter Geflüchteten, ist die Welt in Bewegung. Menschen im Exil, die in ihrem Heimatland als Kunstschaffende tätig waren, auch als Journalistinnen, Blogger oder Protestierende, die ihre abweichende Meinung in fundierten Essays öffentlich gemacht haben, finden sich mit einer doppelten Schwierigkeit konfrontiert. Sie haben nicht nur ihr Zuhause und ihren Arbeitsplatz verloren, sondern müssen auch um ihr Handwerkszeug bangen, die Sprache. In der Hansestadt, und damit in Deutschland, bietet der VS Landesverband Hamburg ihnen mit dieser Anthologie eine Plattform, auf der sie sich im fremden Sprachuniversum äußern können. Und sogleich müssen wir bei der Lektüre der Texte feststellen, dass nicht wir die Gebenden sind. Vielmehr werden wir reich beschenkt mit einem die halbe Welt umspannenden Strauß an aufregenden und zutiefst berührenden Einsichten in unsere chaotische, oft undurchschaubare Gegenwart. Die Spannweite reicht von der Elegie, die der persönlichen Tragik ihren Ausdruck verleiht, bis zum geschliffenen politischen Essay. Am Ende ist es beglückend, so viele talentierte und mutige Stimmen zu entdecken, die sich neu in der deutschen Sprache ausdrücken. Die Herausgeberinnen und Herausgeber sind Mitglieder im Vorstand des VS Hamburg. Von der Konzeption, den ersten Aufrufen bei der Suche nach Beiträgerinnen und Übersetzern, über das Lektorat und die Gestaltung bis zum Druck haben sie mehr als zwei Jahre intensiv und mit wachsender Begeisterung an dem Projekt gearbeitet.

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Reimer Boy Eilers

Fluchtpunkt Hamburg

Texte im Exil

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorbemerkung zur E-Book Ausgabe

Aus allen Richtungen

Vorwort

Hani Navaseri: Dein Zuhause

Fahman Hussein: Qamischlo

Šimo Ešić: Flüchtlinge

Hussam Al Zaher: Geschichte des Menschen, der ein Flüchtling sein musste oder: Wir sind keine Dämonen und die Deutschen keine Engel

Wade3: Der bittere Aufbruch

Hesso: Fabel vom Schüler und der Maus

Afërdita Halimi: Gedankenfeuer

Aisha Yaqhobi: Flucht aus Afghanistan

Sead Porobić: Weit von der Sprache, weit von mir

Hussein Gire Pire: Die Chronik eines Flüchtlings

Smyr: Auf der Suche nach einem normalen Leben

Omid Rezaee:Spiel der Angst

Anja Schneider: Das Bein des Großvaters

Erik Arellana Bautista: Ausländische Gegend

Ananya Azad: Zeilen eines Flüchtlings. Stories aus dem Niemandsland

হ্যাঁ, আমি রিফিউজি

Azar Mahloujian: Vereiste Seelen. Flucht aus dem Iran

Emina Čabaravdić-Kamber: Draußen blühten Magnolien

Nassrin R. Irani: Drehend, drehend

Majda Omeragić: Ein Leben

Ahmad Al Zaher: Gejammer und Fluch eines Flüchtlings

Hamed Ahmadi: Der zweite Mittwoch im Dezember 2011

Azar Mahloujian: Fluchtziele

Hasan Alhasan: Zwei Buchstaben

Esther Kaufman: Wenn die Sprache flieht

Reimer Boy Eilers: Visum für das Niemandsland oder Der Werwolf als tragische Figur

Emina Čabaravdić-Kamber: Gestern Bosnien - heute Syrien

Sven j. Olsson: Eine Entstehungsgeschichte

Verzeichnis der Beiträger und Beiträgerinnen

Bibliografische Angaben

Impressum neobooks

Vorbemerkung zur E-Book Ausgabe

In der Printausgabe der Anthologie "Fluchtpunkt Hamburg - Texte im Exil" sind eine Reihe der Texte im fremdsprachigen Original abgedruckt. Damit wollten wir auch die LeserInnen erreichen, die des Deutschen nur begrenzt mächtig sind, weil sie es noch erst lernen.

Auf diese Texte wollten wir in der E-Book Ausgabe nicht verzichten, wohl wissend, dass die Reader die arabischen und bengalischen Schriftzeichen nicht anzeigen. Aber wir wollen mit diesen Texten eben auch die Menschen im jeweiligen Sprachraum erreichen und gehen davon aus, dass die Reader dort die, für uns aussergewöhnlichen Schriftzeichen wiedergeben.

Aus allen Richtungen

Flüchtlingsorakel

Das ‚Flüchtlingsorakel‘ empfängt die Besucher des Theaterstücks „Die Hornköppe gehen ins Exil“. (Foto: Hartwig Kwella)

Reimer Boy Eilers: Aus allen Richtungen

Den Westen zum Streifen

den Süden zum Träumen

den Osten zum Kneifen

den Norden zum Fliehn

Auf Richtungen pfeifen

nach Osten verziehn

den Süden verträumen

den Norden zum Fliehn

Den Westen zum Träumen

südwärts verziehn

Osten versäumen

den Norden zum Fliehn

Vorwort

Es war einmal eine Zeit, da gab es Hunger, Elend und Krieg. Sie entbahr der Hoffnung auf Zukunft. Menschen flohen vor Unterdrückung und drohendem Tod. Sie ließen ihre Freunde und die Familie zurück und hofften auf ein Wiedersehen in der Fremde. Die Heimat trugen sie im Herzen, als sie sich vor ihren Häschern versteckten, sich fremde Namen gaben und vor Angst nicht schlafen konnten.

Es war einmal eine Zeit, da kam das Lachen zurück und der helle Tag war endlich wieder nur ein heller Tag. Es war einmal, da schien alles vergessen. Der Hunger, das Elend und der Krieg wurden ein Märchen aus uralter Zeit.

Es war einmal eine Zeit, da reckte der Krieg wieder seine eiserne Hand nach den Menschen. Da fand der Hunger wieder Opfer und das Elend verdunkelte den hellen Tag. Die Gefängnisse waren überfüllt und die Friedhöfe auch. Das freie Wort starb und mit ihm die Hoffnung. In dieser Zeit kamen Flüchtlinge in hellen Scharen ins Land. Sie kamen auf durchlaufenen Sohlen, mit nichts als ihrem nackten Leben. Menschen gaben Menschen zu essen und ein Dach über dem Kopf. Denn diese hatten alles verloren: ihre Heimat, ihre Familie und ihre Vergangenheit. Sie waren Menschen ohne Pass, ohne Identifikation. Sie hatten Namen oder gaben sich solche, die keiner kannte und niemand verstand; hatten Berufe, die sie nicht mehr ausüben konnten; und die verzweifelte Aussicht auf eine neue Heimat, deren Sprache sie nicht sprachen.

Viele lernten, sich einzurichten. Aber unter ihnen waren Menschen, die von der Sprache lebten. Schriftsteller, Journalisten, Blogger - Menschen, die die Sprache für ihre Arbeit brauchten; Menschen, die Menschen brauchten, die ihre Sprache verstanden. Es waren einmal Menschen, denen die Flucht ihre Sprache raubte.

Es war einmal eine Idee. Eine Schriftstellerin und ein Schrift-steller wollten den fremden, geflüchteten Kolleginnen ihre Sprache wiedergeben. Sie spürten die Not, ohne Sprache zu sein. Ausgestoßen aus der Muttersprache, macht das Schreiben keinen Sinn. Wenn die geflüchteten Schriftstellerinnen also keine Leser und Leserinnen in ihrer Sprache mehr haben, warum ihnen nicht in der Fremde Gehör verschaffen? Warum nicht eine alte Tradition in der Literatur aufgreifen und ihre Texte übersetzen? Warum ihnen nicht auf diesem Wege ein neues Publikum erschließen.

Es-war-einmal ist immer ein Märchen, ein Raunen aus alter Zeit. Mit Gnomen, Hexen, Prinzen und Prinzessinnen. Und immer mit Zauber, Ränken und Wundern versehen. Meist haben Märchen ein gutes Ende. Eines mit „dann leben sie noch heute.“ Vielleicht kann die Anthologie dazu beitragen, dass die Autoren und Schriftstellerinnen nicht nur heute schreiben, sondern auch morgen und übermorgen.

Diese Sammlung von Texten zu Flucht, Migration, Integration versteht sich als erster Schritt, um den geflüchteten Kollegen ein Sprachrohr zu geben. Dabei haben sich die Herausgeber bemüht, den stilistischen und literarischen Eigenheiten der hier vertretenen Autorinnen und Autoren – mit ihrer fremden Muttersprache – gerecht zu werden. So ist ein Teil der Texte nicht übersetzt, sondern wurde in der neuen, gerade erst erworbenen, Sprache, dem Deutschen, geschrieben. Dass hier dann Momente entstehen, wie in dem Text von Hussam Al Zaher, in dem eine Deutsche fremd klingendes Deutsch spricht, entbehrt nicht einer gewissen Zwangsläufigkeit. Bewusst haben wir diese Besonderheiten nicht „verbessert“, sondern nur leicht korrigiert, denn diese Stellen demonstrieren auf eine besondere Weise die Schwierigkeiten, wie auch spannende Eigentümlichkeiten, mit denen Schriftsteller zu kämpfen haben, wenn sie das Land ihrer Muttersprache verlassen müssen.

Auch das Lektorieren der übersetzten Texte erforderte besonderes Feingefühl, sind doch Redewendungen meist nicht wörtlich in die andere Sprache zu übertragen, sondern nur sinngemäß. Dass wir die fremdsprachig verfassten Texte nicht nur in der deutschen Fassung in die Anthologie aufgenommen haben, sondern auch im Original ist der Überlegung geschuldet, auch Flüchtlinge, die das Deutsche noch nicht so beherrschen, als Leser zu gewinnen. Für manche politische Emigranten ist es außerdem eine Möglichkeit, mit dieser Veröffentlichung ihr heimisches Publikum zu erreichen. Das unterstützen wir gern. Außerdem gefällt den Herausgebern das gewisse Flair, das durch die Kontraste entsteht.

Wir haben aber nicht nur versucht, diesen sprachlichen Besonderheiten gerecht zu werden, sondern haben auch alle Ansichten und Meinungen der Geflüchteten ungeschmälert in die Anthologie übernommen und wiedergegeben. Diese Meinungen kennenzulernen und zu bedenken, hat einen Wert an sich, unabhängig davon, ob man jeden einzelnen Punkt teilt. Nicht jeder Leser wird sich beispielsweise bedingungslos der Ansicht anschließen, dass Damaskus die Mutter aller großen Städte ist. Aber wir verstehen sofort die übergroße Liebe des Flüchtlings zu seiner Vaterstadt, die er hinter sich lassen musste.

So stehen in dieser Anthologie auch Texte unterschiedlicher literarischer Qualität nebeneinander. Dies verstehen wir nicht als Manko, sondern als Gewinn, da so die ganze Bandbreite von Fluchterfahrungen aufgegriffen und wiedergegeben werden konnte.

In all den Phasen der Arbeit an der Anthologie „Fluchtpunkt Hamburg“ wurden wir von vielen Institutionen und Menschen guten Willens unterstützt. Ihnen gilt unser Dank. Ein besonderer Dank gilt den Übersetzern Uwe Friesel, David Richardson, Herrn Aalam, Ayman Lathkani, Bhaswati Chatterjee, Ezra Hamadeh, Ebaa Hamadah, Fahman Hussein, Mohad Bashir und allen voran Angelika Oppenheimer, die in der Anfangsphase selbst zur Tat schritt und uns mit Kontakten half.

Sven j. Olsson

(für die Herausgeber und Herausgeberinnen)

Der iranische Dichter Hani Navaseri hält Ausschau. (Foto: Hani Navaseri)

Hani Navaseri: Dein Zuhause

Mein Koffer ist leer.

Meine Schuhe sind alt.

Mein Weg ist weit.

Es gibt keine andere Möglichkeit,

als zu gehen und das langsam,

bis das Mondlicht zur Ruhe kommt

und jede Welle auf dem weichen Leib des Wassers.

In der Tiefe meiner Erinnerungen

siehst du ein Heft.

In diesem Heft

wird im Herbst keine Weide vertrocknen.

Meine Augen möchten sehen,

aber leider schläfst du.

Und ich warte, bis der Gottesruf erklingt.

Ich denke an die klaren Augen,

in die ich mich verliebt habe.

Die mich danach zerstört haben.

Mit dir fühle ich mich ganz,

reinige nicht das Fenster,

vielleicht ist die kalte Feuchtigkeit

eine Träne meiner Freude über dich.

Du bist es wert, gesehen zu werden,

es scheint fast, als ob nur ich weiß,

was du für eine Leidenschaft bist.

Meine Augen weinen.

Und meine Stimme ist rau vom Schrei des Herbstes.

Meine Hände in den leeren Taschen.

Ich schaue sie an.

Seit Jahren schaue ich auf sie

nur durch die Augen der Rosen.

Ich habe alles Andere verpasst.

Doch den Baum habe ich erreicht.

Mein Koffer ist leer.

Aber ich habe keine Angst.

Mein Ziel ist dein Haus.

(Postkarte: Hasan Alhasan)

Fahman Hussein: Qamischlo

Qamischlo, den 3. August 2015

„Guten Morgen“, sagt Ferat mit trauriger Stimme zu seiner Familie beim Frühstück.

„Warum bist du traurig, mein Sohn?“, fragt die Mutter.

Ferat: „Heute verabschiede ich einen meiner Freunde.“

Die Mutter: „Ach so, ich dachte schon, dass wieder einer deiner Freunde im Krieg gefallen ist. Oder verhaftet wurde.“

Die Kleine: „Ist gefallen nicht das Gleiche wie Verabschiedung?“

Die Mutter: „Wie kommst du denn auf die Idee?“

Die Kleine: „Weil sie alle nicht mehr zurückkommen.“

Ferat: „Es ist nicht ganz so schlimm. Vielleicht kommen sie irgendwann wieder zurück. Aber dieses Mal ist es Bahoz.“

Die ganze Familie zusammen: „Wirklich? Geht er einfach so, ohne sich von uns zu verabschieden?“

Ferat: „Nein, das macht er auf keinen Fall. Heute Abend kommt er mit Zana zu uns. Und dann gehen wir zu Zanas Familie. Und danach geht er zur türkischen Grenze.“

Die kleine Schwester mit ihren kleinen Tränen: „Geht Zana auch heute los?“

Ferat: „Nein, aber Zana und ich müssen auch bald fliehen, bevor wir 18 Jahre werden, wegen des Wehrdienstes.“

Was genau der Wehrdienst ist, weiß die Kleine natürlich nicht, denn der Wehrdienst ist in ihrer Vorstellung nur Uniform. Aber wie lange man da bleiben muss, das weiß auch von uns eigentlich keiner. Wir wissen nicht, warum und gegen wen man kämpft, oder ob man überhaupt irgendwann wieder zurückkommt.

Vom Nachmittag bis zum Abend genießen die drei Freunde die wenigen Stunden, die sie in Syrien noch zusammen bleiben können. Und sie sagen: „Wir müssen heute alles tun, was wir vielleicht in Europa nicht mehr machen können. Alles, was wir schon immer tun wollten.“

Sie beginnen mit ihrem Lieblingseis, das sie seit Jahren bei demselben Eismann kaufen. Danach gehen sie zu einem Döner-Laden, und dann besuchen sie eine Shisha-Bar. In der Bar sagt Ferat zu den Anderen: „Ich glaube, das alles könnten wir in Europa auch machen.“

Zana: „Döner und Eis essen könnten wir. Aber als Minderjährige in die Bar zu gehen, ist nicht so günstig.“

Bahoz: „Ach, es geht alles mit Geld. Du weißt es ganz genau, denn du fährst seit zwei Jahren Auto und dein Führerschein ist nicht mehr als ein Geldschein.“

Zana: „Ja, aber in Europa ist es ganz anderes, sie haben Gesetze für alles.“

Bahoz: „Es gibt in Syrien auch Gesetze für alles, aber das Sagen haben das Geld und die Beziehungen zu der Regierung.“

Zana: „In Europa aber nicht, dort sind die meisten Länder demokratisch, und die Gesetze werden dort respektiert.“

Bahoz: „Okay.“

Nach dem Shisharauchen und ein wenig Alkoholtrinken, was in ihrer Kultur verpönt ist, gehen sie zu Ferats Familie und nach vielen Küssen und Tränen gehen sie zu dritt zur Zanas Familie. Dort wird auch viel geweint.

Und jetzt muss die Aufgabe, die wahrscheinlich Bahoz am Schwierigsten und am Schmerzhaftesten fällt, erledigt werden. Die Aufgabe ist die Freundin zu verabschieden, ohne dass irgendjemand sie sieht, denn eine Beziehung ist für ein Mädchen genauso tabu oder vielleicht sogar verpönter als Alkohol trinken für einen Jungen. Zum Glück läuft alles gut. Danach verabschiedet Bahoz sich von seinen zwei besten Freunden, aber sie sind nicht so traurig wie bei den anderen, denn sie glauben, dass sie sich in einem Eurohäuschen treffen, oder vielleicht sogar zusammen in einem wohnen werden.

Auf dem Weg nach Amude (eine kurdische Stadt in Nordsyrien in der Nähe der türkischen Grenze), während Bahozs Vater das Auto fährt, rinnen Tränen über die Wangen seiner Mutter. In der Nacht kommen sie in Amude an, da wartet der Schlepper auf sie, der Bahoz mit einer Gruppe sicher in die Türkei bringen soll. Plötzlich sieht der Schlepper eine Gruppe des türkischen Militärs und flieht. Die Zurückgebliebenen werden von den Türken festgenommen und nach grausamen Schlägen treiben die Soldaten die Gruppe wieder hinüber nach Syrien.

Die Familie, die Freunde und natürlich die Freundin machen sich viele Sorgen, weil sie nichts von Bahoz hören, denn er hat sein Handy bei der Schlägerei verloren und seine Gruppe hat sich auf dem Weg im Grenzgebiet verlaufen. Es ist mitten in der Nacht. Der Uhrzeiger wandert weiter und weiter, aber die Herzen der Familie, der Freunde und der Freundin schlagen viel schneller, und mit jeder Minute machen sie sich mehr und mehr Sorgen.

Endlich klingelt das Telefon, es ist Bahoz, er ruft von einem Handy aus der Gruppe an, um zu sagen, dass sie es nicht geschafft haben, und dass er sein Handy verloren hat. Dass er verwundet ist, und wie voll sein Gesicht mit Blut ist, und weitere Einzelheiten erzählt er am Telefon nicht.

Mit dem Sonnenschein finden sie den Weg nach Amude. Zwei Tage später, beim nächsten Versuch, klappt die Flucht zum Glück. Sie sind jetzt in der Türkei. Doch die Gefahr ist noch nicht zu Ende, denn Bahoz ist Kurde, und die Türkei ist nicht das ideale Land für ihn. Deswegen müssen sie so schnell wie möglich einen Weg nach Europa finden.

Die Familie freut sich trotzdem über den ersten Schritt, auch wenn sie wissen, dass er noch viel Zeit braucht, bis er in Europa ankommt. Vor allem das Mittelmeer, wo man nur zwei Möglichkeiten hat, entweder in Griechenland anzukommen oder zu ertrinken. Die jungen Männer freuen sich auch, dass ihr Freund ein Schritt weiter gekommen ist, aber sie sind ein bisschen aufgeregt, denn den gleichen Schritt müssen sie auch bald machen. Eigentlich jeder, der nicht kämpfen möchte.

Nach zwei Wochen ruft der Schlepper Ferats Vater an, um zu sagen, dass Ferat und Zana am nächsten Tag dran sind und sich vorbereiten müssen, weil sie morgen in der Türkei sein werden. Der Vater weiß nicht, ob er glücklich sein soll, weil sein Sohn weit weg vom Krieg sein wird, oder traurig, weil der Sohn auch von ihm und der ganzen Familie weit weg sein wird, und er weiß nicht, ob er seinen Sohn noch einmal wiedersieht.

Diese Gefühle hat Zanas Vater auch, nachdem er den Anruf bekommen hat. Nachdem Zana seine Sachen in seinen Rucksack gepackt hat, versucht jeder aus der Familie noch etwas darin unterzubringen. Die Mutter die selbstgebackenen Kuchen, der Vater wichtige Medikamente, die Geschwister kleine Erinnerungen. Ferats Rucksack hat fast den gleichen Inhalt.

Ferat: „Jetzt habe ich endlich alles drin, was ich auf dem Weg gebrauchen könnte.“

Der Vater: „Nein, hast du noch nicht. Jetzt kriegst du meine Lieblingsjacke, die du immer haben wolltest.“

Ferat: „Ach, wirklich? Danke, das ist nett Papa.“

Die Kleine: „Warum werdet ihr so nett zu jemandem, der weg geht? Morgen packe ich auch meine Sachen und gehe weg, damit ich auch alles bekomme, was ich schon immer haben wollte.“

Die ganze Familie lacht. Während des Lachens klingelt das Telefon. Ferat geht ran, Zana ist es.

„Hallo Ferat, was machst du? Bist du auch fertig mit dem Einpacken?“

Ferat: „Hallo Zana, ja, und du?“

Zana: „Sicher, findest du auch, dass heute ein ganz ungewöhnlicher Tag ist?“

Ferat: „Weil heute unser letzter Tag in Syrien ist?“

Zana: „Nicht nur das, außerdem wir wissen nicht, ob wir es morgen schaffen oder verprügelt werden wie Bahoz, oder ob es unser letzter Tag auf der ganzen Welt wird, weil die Türken in der letzten Zeit viele an der Grenze erschossen haben.“

Ferat: „Mach mir jetzt keine Angst.“

Zana: „Wieso Angst? Ich meinte mit dem ungewöhnlichen Tag, dass wir uns heute nicht getroffen haben und die ganze Zeit nur zu Hause waren. Das haben wir drei noch nie gemacht, oder?“ Zana lacht.

Ferat: „Also, seitdem Bahoz losgegangen ist, schon, aber wir zwei noch nie, und wer weiß vielleicht verläuft sich irgendeiner von uns während der Flucht in irgendeinem Land, dann werden wir uns vielleicht nie wieder sehen, von daher müssen wir uns jetzt daran gewöhnen.“

Zana: „Das hoffe ich nicht. Eigentlich haben wir uns nicht getroffen, damit wir unseren letzten Tag mit unseren Familien verbringen. Ich glaube, wir müssen jetzt zu ihnen. Bis Morgen.“

Ferat: „Ok, bis Morgen.“

Am nächsten Tag warten sie, bis es dunkel wird, dann tun sie ihre Rucksäcke in Mülltüten, damit auf dem Weg nach Derik, einer kurdischen Stadt an der Grenze zwischen Syrien, der Türkei und dem Irak, die Kontrollen, die vor jeder Stadt, in manchen Städten in jeder Straße, sind, nicht merken, dass sie illegal fliehen werden.

Obwohl die Traurigkeit in den Gesichtern der Familien und die Aufregung in den Gesichtern der Flüchtenden alles sagt, merken es manche Soldaten nicht. Andere machen die Augen zu, denn sie wollen selbst irgendwann fliehen, wenn sie die Gelegenheit haben. Zum Glück kommen die Freunde, ohne festgenommen zu werden, in Derik an. Dort treffen sie sich mit dem Schlepper, der verspricht, dass die Gruppe sicher in die Türkei gelangt, ohne dass sie von den Türken festgenommen oder verprügelt werden, weil er sich sehr gut auskennt.

Ferat: „Papa, Bahoz hat uns erzählt, dass sein Schlepper auch dasselbe gesagt hat, aber sie wurden trotzdem verprügelt.“

Der Vater: „Ich weiß, aber wir haben keine andere Wahl, und dieser ist der Beste, den wir gefunden haben, also habt keine Angst.“

Nach zwei Stunden ungefähr müssen sie zur Grenze, denn alles sei gut und sie könnten losfahren, laut dem Schlepper. Jetzt müssen sie sich mit vielen Tränen verabschieden und vielleicht zum letzten Mal umarmen. Ferat und Zana steigen in das Auto des Schleppers ein und fahren los.

Ein paar Kilometer hinter Derik lässt der Schlepper die beiden Jungs neben einem Graben raus und sagt: „Ihr müsst euch hier verstecken und warten, bis ich den Rest der Gruppe abhole. Ich bin gleich wieder da.“ Während der Wartezeit unterhalten sich die Jungen.

Zana: „Weißt du, was für mich sehr hart war?“

„Was denn? Sei nicht so romantisch und sag nicht, dass die Verabschiedung deiner ganzen Freundinnen so hart war. Ich bin mir sicher, sobald wir in Europa ankommen, wirst du eine Blonde kennenlernen und alle anderen vergessen“, sagt Ferat und lacht.

Zana: „Nein, kannst du mich bitte reden lassen?“

Ferat: „Ja, bitte schön.“

Zana: „Ich hatte noch nie meinen Vater weinen gesehen, aber heute, als wir uns verabschiedet haben, war es soweit.“

Ferat: „Es tut mir leid.“

Während der Unterhaltung kommt der Schlepper mit dem Rest der Gruppe. „Jetzt sind wir bereit zu laufen“, sagt der Schlepper.

Ferat: „Laufen? Wir gehen zu Fuß in die Türkei??“

Der Schlepper: „Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder du kommst mit uns oder du verlierst dein Geld und gehst zurück, und zwar auch zu Fuß. Also lasst uns losgehen.“

Zana sagt ganz leise: „Ferat, mit solchen Leuten kann man nicht reden. Außerdem musst du mit solchen Situationen auf dem ganzen Weg rechnen.“

Ferat: „Ich glaube nicht, dass ich es kann.“

Zana: „Musst du aber.“

Die Gruppe besteht aus Zana, Ferat und zwei anderen Jungen, sie sind ungefähr im gleichen Alter, einem Mann und einem Mädchen. Nach ein paar Minuten fangen sie an, miteinander zu reden. Nachdem sie sich kennengelernt haben, sagt Zana zu den beiden Jungen: „Ihr müsst wahrscheinlich auch wegen des Wehrdiensts flüchten, oder?“

„Ja, genau“, antworten sie.

„Und Sie, Onkel?“, sagt Zana.

Der Mann: „Ich wurde bei ein paar Demos gefilmt, außerdem bin ich Menschenrechtler, von daher wäre es sehr gefährlich und bedrohlich für mich gewesen, wenn ich länger geblieben wäre.“

Zana: „Das kann ich gut verstehen.“

„Und Sie?“, fragt Zana das Mädchen.

Das Mädchen: „Ich bin verheiratet, aber mein Mann ist in Deutschland. Er hat leider nur Subsidiärschutz, deswegen kann er mich nicht nachholen, und ich muss jetzt irgendwie illegal nach Deutschland gehen.“

Zana: „Was ist Subsidiärschutz?“

Das Mädchen: „Das ist die Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr. Es gibt noch eine für drei Jahre. Wenn er drei Jahre bekommen hätte, hätte er mich nachholen können, so hat es mir mein Mann erklärt.“

Zana: „Ach so, jetzt verstehe ich. Das kenne ich, aber wusste nicht, dass es Subsidiärschutz heißt.“

Nach zwei Stunden Laufen, mit Pausen dazwischen, sagt der Schlepper, dass sie ihre Handys ausschalten und leise sein müssen, weil sie an der Grenze sind.

Ferat sagt ganz leise zu Zana: „Endlich, ich dachte, dass Derik direkt an der Grenze ist.“

Zana: „Wir haben bestimmt viele Umwege gemacht.“

Jetzt sehen sie den Zaun, und finden eine Lücke. Sie denken, das wäre es, doch müssen sie noch ungefähr eine halbe Stunde laufen, bis sie in dem Dorf sind, wo sie abgeholt werden sollen. Sobald sie ankommen, rufen sie ihre Familien an.

Ferat meldet sich bei seinen Vater an und sagt: „Wir sind angekommen, schickt bitte jemanden, der uns abholt.“

Der Vater: „Gott sei Dank, ist alles ok bei euch? War es anstrengend?“

Ferat: „Schick uns erst mal jemanden, wir können morgen darüber reden. Ich bin jetzt total fertig.“

Der Vater: „Ok, ich habe vor einer Stunde mit deinem Onkel (von den Verwandten, die den türkischen Pass haben) telefoniert, und habe ihm gesagt, dass ihr in diesem Dorf landet, ich rufe ihn noch mal an, und sage ihm, wo ihr genau seid.“

Der Onkel hat sie dann abgeholt, und bis sie in seinem Haus ankommen, ist es fast Morgen. Sie schlafen sofort ein, bis Ferat wegen eines Anrufs seines Vaters aufwacht.

Der Vater: „Wie war es gestern? Erzähl mir. Ich bin sehr froh, dass es gleich beim ersten Mal geklappt hat. Ist alles gut bei euch?“

Ferat: „Alles gut, aber es war sehr, sehr anstrengend. Papa, ich will den Weg über Bulgarien und die anderen Länder nicht mehr machen. Ich will nicht mehr so viel zwischen den Gren-zen laufen und die ganze Zeit Angst haben, festgenommen zu werden. Findet für uns bitte einen Weg, wo wir mit dem Auto fahren können. Oder mit dem Flugzeug wäre noch besser.“

Der Vater: „Es ist nicht so einfach einen anderen Weg zu finden. Außerdem, die kosten zu viel und ich weiß nicht, ob Zanas Familie so viel Geld bezahlen kann.“

Ferat: „Ja, ich weiß, aber es ist mir zu anstrengend. Und ich hatte keine Ahnung, dass es so ist.“

Der Vater: „Okay, ich versuche so schnell wie möglich, einen anderen Weg für dich zu finden. Und dann bespreche ich es mit Zanas Eltern.“

Nach einigen Tagen ruft der Vater wieder an, um zu sagen, dass er eine Fluchtroute gefunden hat, die von der Türkei nach Griechenland mit dem Auto läuft. Und dann mit gefälschten Pässen und mit dem Flugzeug nach Deutschland.

Ferat: „Das ist super, und was sagen Zanas Eltern?“

Der Vater: „Sie sagen, jetzt haben sie so viel Geld nicht. Aber sie wären bereit, ihr Haus zu verkaufen, wenn Zana es möchte.“

Ferat: „Okay, dann gucke ich, was Zana entscheidet. Er hat jetzt bestimmt mit seiner Familie darüber geredet.“

Nach vielen Gesprächen mit der Familie und Ferat, entscheidet Zana den anstrengenden Weg zu gehen, denn es ist ihm lieber, als seine Familie in eine Krise zu bringen. Obwohl die Familie es für ihn machen würde.

Am nächsten Tag fährt jeder auf verschiedenen Wegen weiter. Ferat muss nach Istanbul gelangen, um von dort mit dem Auto nach Griechenland zu kommen und dann mit dem Flugzeug zu fliegen. Und Zana muss nach Ederne (eine türkische Stadt an der bulgarischen Grenze), um von dort zu Fuß nach Bulgarien und dann weiter nach Serbien, Ungarn, Österreich und Deutschland zu gehen. So ist es geplant, aber eigentlich weiß keiner, wer wo landet, denn Bahoz ist den billigen Weg gegangen, und ich weiß nicht, ob er in Griechenland ankommen oder im Mittelmeer ertrinken wird. Zana, der den normalen Weg gegangen ist, weiß auch nicht, ob er in seinem Zielland ankommen wird oder in irgendeinem bleiben muss, weil er dort festgenommen wird und die Fingerabdrücke abgeben muss. Selbst Ferat, der den teuren Weg gewählt hat, weiß nicht, ob alles klappen wird oder ob er an der Grenze abgefangen und ins Gefängnis gehen wird.

Die Jungen sind zwar auf verschiedenen Wegen geflohen, aber im Herzen sind sie immer noch zusammen. Und die Freundschaft, die über zehn Jahre alt ist, wird in Europa noch älter und älter werden, wenn alles nach ihren Plänen läuft.

Šimo Ešić: Flüchtlinge

Flüchtlinge

Sie nennen uns Flüchtlinge.

Dem Unheil sind wir entkommen,

Das ich nicht begreifen kann.

Ich bin ein sechsjähriger Junge.

Alle meine Spielsachen, Kameraden,

Meine Oma, die Tanten

Sind fort ohne Rückkehr.

Ich gehe raus, versuche es

Zu verschmerzen.

Komm rein, ins Haus!

Du weisst, dass sich Frau Henzel ärgert,

Wenn auf dem Hof gehüpft wird - schreit meine Mutter.

Gehorsam gehe ich rein,

Bleibe am Fenster stehen,

Schaue auf die Dächer,

Vögel, auf die Wolken ...

Ob sie die Gleichen sind wie in Bosnien?

Geh weg vom Fenster!

Zieh die Vorhänge zu - sagt Mutter

Du weisst, was uns Frau Henzel

Gesagt hat -

Mir platzt der Kragen.

In Bosnien

Darfst du

Nicht auf den Hof,

Nicht ans Fenster,

Wegen der Scharfschützen,

Hier wegen der Frau Henzel.

Ich verfluche das Leben!

Telegramm

Ein Zugvogel trägt

In seinem Schnabel

Ein Telegramm

Zu meiner Mutter.

Seit langem gibt es keine

Telefonverbindung.

Winke ihr, lieber Vogel,

Du, der Freund meines Dorfes -

Breze!

Fliegst du über Breze?

Wir leben doch,

Weine nicht, Liebes!

Die Hoffnung liegt bei Gott.

Grüß alle,

Bete für alle,

Dass ist das,

Was ich jetzt kann ...

Meine Brüder

Sie schauen sich zornig

Über ihren Zäunen an.

Unerwartet.

Der Himmel verdunkelt sich

Und der Regenbogen

Über unseren Dächern erlischt.

Mir erzählen sie nichts

Versuche es

Zu verstehen.

Ob ich es kann?

Meine Brüder,

Wie zwei Fremde,

Beißen sich ins Herz,

Ohne Mitleid.

Die Sonne erwacht blutrot,

Geht hinter unseren Bergen

Unter.

Mir erzählen sie nichts

Bestimmtes,

Ich versuche zu helfen.

Ob ich es kann?

Meine Brüder

Entschlossen sich,

Gegen Mensch und gegen Gott

Zu handeln,

Grundsätzlich.

Der Hass stürmt

Und alles was schön und heilig war,

Überschwemmt er in unseren Erinnerungen.

Mir braucht nichts gesagt zu werden,

In aller Ewigkeit.

Ich versuche

ES ZU VERSTEHEN

UND ZU VERGEBEN.

Ob ich es kann?

Für Tvrtko Kulenović

Auch das geschieht wieder

Auf dem berglandschaftlichen Balkan,

In der Stadt Sarajevo,

Im zwanzigsten Jahrhundert.

Ein Dichter verheizt die Bücher

In seiner kalten Wohnung,

Im Tausch für sein Leben - verheizt er die Bibliothek.

Draußen Tod und Hass,

Draußen Krieg und Eis,

Der Dichter verheizt alles, was er hat,

Dann sind die Bücher an der Reihe.

Doch wie mit dem Buch in den Ofen?

Der Dichter kämpft mit sich,

Wie den Tolstoi ins Feuer schieben,

Wie ihn den Flammen übergeben?

Wie den Andrić, Meša, Dostojewski, Mann,

Mit deren Worten der Planet gefüllt ist?

Wie den großartigen Hesse, wie Günther Grass?

Doch die sind jetzt die Rettungsstrohhalme ...

Wie den Geist verheizen, wie die kollektiven Seelen?

Doch die Kälte sitzt in den Knochen,

Winterkalte Winde wehen,

Schneegestöber jault durch die Wohnung,

Ein Buch nach dem anderen verheizt der Dichter,

Um nicht zu erfrieren.

Er, der jede dieser Zeilen kennt,

Wärmt sich so am Feuer

Seines einzigen Hab und Guts.

Und das geschieht wieder

Auf dem berglandschaftlichen Balkan,

In der Stadt Sarajevo,

Im zwanzigsten Jahrhundert.

Im Tausch für sein Leben,

In einer kalten Wohnung,

Verheizt ein Dichter

Sein letztes Hab und Gut.

Übersetzung: Emina Kamber

Bosnisches Original

Izbjeglice

Zovu nas izbjeglice.

Pobjegli smo od zla

koje ne razumijem.

Ja sam dječak.

Sve moje igračke, drugovi,

baba i tetke

nepovratno su daleko.

Izađem napolje i pokušavam

da prebolim.

– Ulazi u kuću!

Znaš da se gospođa Henzelovca ljuti

kada se skače po dvorištu – viče mama.

Ja uđem poslušno,

stanem kod prozora

i gledam krovove

ptice i oblake…

Da li su isti kao u Bosni?

– Makni se od prozora!

Navuci zavjese! – govori mati.

Znaš šta nam je rekla

gospođa Henzelovca.

Meni prekipi.

U Bosni

u dvorište

i na prozor

ne smiješ od snajperista,

ovdje od gospođe Henzelovce.

Jebem ti život!

Telegram

Telegram majci

po ptici selici

šaljem

(odavno nema veza)

mahni joj, ptico,

prijateljice,

letiš li iznad Breza.

Živi smo, ipak,

ne plači, mila –

nada je još u Bogu.

Pozdravi sve,

molim za sve,

to je sve

što mogu.

Moja braća

Moja se braća

mrko pogledaše

preko svojih plotova.

Iznenada.

Smrče se nebo

i zgasnu duga iznad naših krovova.

Meni ništa ne govore

određeno

i ja pokušavam

DA RAZUMIJEM -

ako mogu.

Moja se braća,

kao tuđinci

za srca ujedoše.

Bez milosti.

Sunce se krvavo

rodi i zađe iznad naših bregova.

Meni ništa ne rekoše

određeno

i ja pokušavam

DA POMOGNEM -

ako mogu.

Moja se braća

protiv Čovjeka

i protiv Boga okrenuše.

Temeljito.

Mržnja prošiklja

i sve lijepo i sveto preplavi u našem sjećanju.

Meni ništa ne treba reći

za sva vremena.

Ja pokušavam

DA ZABORAVIM

I DA OPROSTIM.

Ako mogu.

Tvrtku Kulenoviću

I ovo se događa opet

na brdovitom Balkanu,

u Sarajevu gradu, u dvadesetom vijeku

književnik loži knjige

u svom studenom stanu,

u zamjenu za život - loži Biblioteku.

Napolju smrt i mržnja

napolju rat i led,

ložio sve što ima -

na knjige došao red.

A kako knjigu u peć,

sam se sa sobom bori,

kako Tolstoja gurnuti

u vatru da izgori?

Kako Andrića, Mešu, Dostojevskog i Mana,

kad je planeta riječju njihovom obasjana,

kako Hesea silnog, kako Gintera Grasa?!

Ali, oni su sada jedina slamka spasa...

Kako ložiti pamet i kolektivnu dušu?

Al' stud u kosti ušla,

zimski vjetrovi pušu,

mećava kroz stan vije

i pisac knjigu po knjigu

loži da se ogrije.

On, koji poznaje muku

svakog stvorenog retka,

grije se tako na vatri

svog jedinog imetka.

I to se događa opet

na brdovitom Balkanu,

u Sarajevu gradu,

u dvadesetom vijeku,

u zamjenu za život

u svom studenom stanu,

Književnik jedan loži

vlastitu Biblioteku.

(Foto: Hussein Al Zaher)

Hussam Al Zaher: Geschichte des Menschen, der ein Flüchtling sein musste oder: Wir sind keine Dämonen und die Deutschen keine Engel

Ich bin ein Mensch auf der Welt, aber leider bin ich auch ein Flüchtling, und auf Deutsch gibt es nur einen Flüchtling (männlich), nicht eine Flüchtlingin (weiblich), ich weiß nicht warum, aber auf Deutsch muss der Flüchtling ein Mann sein. Eine Freundin hat mir gesagt: „Seit sehr langer Zeit gibt es alle Worte mit ling am Ende nur als männliches Substantiv. Es bezeichnet damit aber kein bestimmtes Geschlecht - beim Säugling sind es ja auch männliche und weibliche Säuglinge.“

Kritik am Suffix „ling“: Es verdinglicht! Als wäre es ein „Geflüchteter“, und ich glaube, wenn das Wort einen männlichen Artikel hat, dann bedeutet das „Mann“ und nicht „man“. Männlicher Artikel, das bedeutet, die deutsche Sprache hat keine Gleichberechtigung, wie alle anderen Sprachen. Und ich bin ein Mann, und viele Deutsche haben gefragt, warum sind die meisten Geflüchteten Männer?

Ich sage, weil unsere Frauen Angst vor dem Meere haben. Zu Hause konnten sie nicht mit dem Boot auf dem Meer fahren, und sie mussten nicht zur Armee gehen, und sie blieben bei unseren Kindern, und wir fuhren mit dem Boot auf das Meer, und danach sollten unsere Familien mit dem Flugzeug kommen, weil die Geflüchteten das Recht auf die Zusammenführung hätten. Aber fast einer Million Geflüchteter wurde dieses Recht von der Regierung verwehrt.

Ich komme aus der Zivilisation. Aber das war in unserer Geschichte vor 500 Jahren. Jetzt komme ich aus dem Krieg in Syrien. Mein Land ist die Wiege der Zivilisation. Dort wurde die erste Zivilisation der Menschheit geboren, und seither hat Syrien viele Zivilisationen erlebt, von den Hyksos, den Pharaonen, dem Königreich Aram Damaskus, über das assyrische Reich, die babylonische Kultur, byzantinische Zivilisation bis zu den islamischen Zivilisationen. Und weil alle unsere Namen eine Bedeutung haben: „Der Name Syrien kommt aus dem Griechischen, das wahrscheinlich den alten Namen Assur übernommen hat. Nach Ansicht einiger Forscher ist der Name hingegen nicht von Assyria abgeleitet, sondern von Tyros (Sūr). In der Antike und im Mittelalter bezeichnete Syrien ein erheblich größeres Gebiet als den heutigen Staat, nämlich in etwa die Region zwischen Mittelmeer, Taurus, Arabien und Mesopotamien. Die syrische Sprache, das Ostaramäische, war sogar noch weiter verbreitet.“ (Wikipedia)

Oder „Syrien“ kommt aus dem Sanskrit. Das bezeichnet die verschiedenen Varietäten des Alt-Indischen. Die älteste Form ist die Sprache der Veden, einer Sammlung religiöser mündlicher Überlieferungen im Hinduismus. Ihre Entstehung wird auf 1200 v. Chr. datiert (laut Wikipeda). Und „Syrien“ bedeutet im Sanskrit „die Sommer“, das meint, ein tolles Wetter, fast immer warm, aber leider gibt es nicht so viel Regen wie in Hamburg, der Stadt des Regens.

In Syrien gibt es alles, was es hier in Deutschland gibt, also Syrien ist ein Land wie Deutschland, dort werden Autos gebaut, man hat Rundfunksender und Verlage, aber wir haben keine Freiheit. Wir haben Tritte, eine Diktatur. Eine Diktatur unserer Präsidenten und unserer Religion und unserer Traditionen. Ich weiß nicht, wer der erste Diktator war, aber immer benutzten unsere Herrscher die Religion, um für immer auf unserer Brust zu bleiben.

Auch heutzutage unterstützt unsere Religion die Regierung. Wir wurden vom Politiksystem, der Religion und den Traditionen in das Gefängnis des Dreiecks gesteckt. Weil wir die Freiheit gefordert und dafür gebetet haben, ist uns der Krieg von unserer Regierung aufgezwungen worden. Unsere Religion hat zwei unterschiedliche Meinungen dazu, ein Teil der Religionsführer, die auf Seiten der Regierung stehen, hat bestimmt: „Gott und der Prophet haben gesagt, dass wir zu unserer Regierung halten und sie unterstützten.“ Aber der andere Teil der Religionsführer hat bestimmt: „Gott und der Prophet haben gesagt, dass wir gegen unsere Regierung aufstehen und kämpfen müssen.“

Ich habe vergessen, was mein Name ist, mein Name bedeutet Schwert, und ich gehöre nur zu einer Stadt: Damaskus, arabisch دمشق Dimaschq, DMG Dimašq, französisch Damas, türkisch Şam. Die Hauptstadt von Syrien ist meine Religion und mein Glaube. Damaskus bedeutet für mich Jasmin. Und der Jasmin ist eine schwache und kleine Blüte, aber wer kennt nicht den Jasmin? Alle Welt kennt den Jasmin und das Parfüm, so wie Damaskus die Mutter aller anderen Städte auf der Welt ist. Zart, aber auch stark, hübsch, aber auch bescheiden, alt, aber Zeitgenosse, schnell, aber auch geduldig, nicht reich, aber auch nicht arm. Alle Menschen auf der Welt sind ihre Kinder, sie ist das Herz der Welt. Sie ist die Stadt der Engel und auch der Teufel. Das ist Damaskus, die Stadt der Gegensätzlichkeit.

Ich bin hier in diesem Land seit fast zwei Jahren, aber bis jetzt ist mein Deutsch nicht gut, bis jetzt muss jemand korrigieren, was ich geschrieben habe: Ich weiß nicht warum, dumm bin ich nicht, aber vielleicht kommt es daher, weil die deutsche Sprache sehr genau ist, und ich bin das nicht. Oder vielleicht gibt es auch andere Gründe, aber auf Deutsch gibt es nichts an Vielleicht, nur Sicherheit und ein Genau, aber ich bin nicht in Sicherheit und auch kein Mensch der Sicherheit, weil ich ein Flüchtling bin, weil ich zwischen Vergangenheit und Zukunft verloren ging. Und ich habe nur meine Vergangenheit und mein Land und meine Geschichte und meine Familie und meine Träume in meinem Land. Meine Gedanken gehen so: Wo bin ich? Wohin muss ich gehen? Warum ist mit mir das passiert? Was wird in Zukunft passieren?

Und auch, weil alle Angst vor mir haben, und fast alle Länder mich nicht empfangen und aufnehmen dürfen, und sie sprechen über mich und meinesgleichen, als ob wir eine Infektionskrankheit seien. Das haben die Regierungen gesagt, aber die Völker haben anders reagiert, sie haben gerufen: Willkommen, Refugee! Und sie haben uns am Hauptbahnhof empfangen, und sie haben uns ihre Gefühle und ihre Zeit gegeben und ihre Unterstützung und vieles andere. Ich kann es gar nicht beschreiben, weil es keine Worte auf der Welt gibt, die das beschreiben könnten, die Menschlichkeit. Und ich möchte mich bedanken bei ihren Gewissen für all die Gefühle und die Zeit. Sechs Millionen Deutsche haben uns geholfen, sechs Millionen geben uns alles, ein Dankeschön für ihre Menschlichkeit. Mit ihnen können wir Integration schaffen. Sie sind unsere Mütter, unsere Familie, nicht Merkel.

Und auch, weil es jeden Tag ein neues Gesetz gibt, und mit jedem neuen Gesetz hat die Regierung uns, den Flüchtlingen, unsere Rechte weiter genommen oder beschnitten. Dabei müsste ich doch wissen, was ich zu tun und zu lassen habe, aber meine Rechte darf ich nicht erfahren, weil ich die deutsche Sprache nicht verstehen kann. Und natürlich auch deshalb nicht, weil wir der Grund sind, warum die Rechtsextremen in Europa expandieren. Und was macht die Religion?

Natürlich nehmen sie uns unsere Rechte fort, egal, wir sind Flüchtlinge und dürfen nicht wählen, unsere Stimmen haben keinen Wert. Egal, wir werden morgen (in Zukunft, irgend-wann) in unsere Länder zurückkehren, wenn die Kriege in der Heimat beendet sind, aber wann ist das? In der Zukunft, wir müssen Geduld haben, und bis zu diesem Zeitpunkt müssen wir die Integration schaffen, aber was bedeutet Integration? Wer weiß das? Wer bestimmt das? Natürlich weiß es die Regierung, aber es gibt zwei Bedeutungen bei der Regierung, eine vor den Wahlen und eine nach den Wahlen, weil die Regierung nur für Wahlen arbeitet.

Hallo, was? Du darfst das nicht sagen, meine innere Stimme hat mir das gesagt, weil ich nicht die Gewohnheit habe, dass ich die Regierung kritisiere, und auch weil ich ein Flüchtling bin, und meine Meinung ist nicht richtig, und ich darf nichts sagen oder kritisieren, bis ich richtig Deutsch sprechen kann, eine Freundin hat mir das auch gesagt.

Aber jetzt, was ist Integration für die Regierung? Die Geflüchteten müssen die deutsche Kultur annehmen, und nicht nur Respekt haben. Sondern wir müssen auch die deutsche Kultur atmen, weil die deutsche Kultur nun mal die Leitkultur ist, wie der Innenminister geschrieben hat. Und natürlich sind die Geflüchteten von der Regierung unterdrückt worden, weil die Geflüchteten ohne Stress keine Integration schaffen können. Das war vor den Wahlen, aber nach den Wahlen bedeutet Integration für die Regierung, dass die Flüchtlinge einen Job finden und arbeiten, und sie können dann Steuern bezahlen. Erst dann haben sie die Integration geschafft. Alle anderen Sachen sind nicht wichtig.

Aber was bedeutet das für Geflüchtete? Oh, oh, jeder hat eine besondere Weise der Integration, eine Integration ist für mich, wenn ich die deutsche Sprache beherrsche, und mit den Deutschen in Kontakt komme. Etwas Anderes, Integration ist für mich, wenn ich zwischen schnacken und reden vergleichen kann. Ich glaube, dass es keine Unterschiede gibt, aber schnacken ist eine besondere Hamburger Sprache. Anderes, Integration ist für mich, wenn ich weiß, was ist der Unterschied zwischen nicht schlecht und gut? Warum haben die Deutschen nicht schlecht mehr als gut verwendet? Vielleicht gibt es keine Sache, die gut ist, oder vielleicht bedeutet nicht schlecht auch einfach gut, dann haben die Deutschen viel Hoffnung, weil es mehrere Gut gibt oder vielleicht … etwas Anderes?

Integration ist für mich, wenn ich Freunde finde, oder Freundschaft schließen kann, aber Freundschaft ist geöffnet, offen, nicht geschlossen. Kann man also sagen: „Wenn ich Freundschaft öffnen kann?“ Und weiter: Integration bedeutet für mich, dass ich alle Sachen langsam machen kann und nur die Sprache schnell reden muss. Ich glaube, das wird nicht einfach sein, weil wir keine Geduld haben. Und weiter: Integration bedeutet für mich, dass ich einen Ausbildungsplatz habe. Und weiter: Integration bedeutet es für mich, wenn ich die Liebe finden kann. Und weiter: Integration bedeutet für mich, wenn ich mich mit meiner Familie treffen darf. Und jetzt darf ich mich eben nicht mit meiner Familie treffen. Meine Familie lebt in Jordanien, und ich habe „Subsidiären Schutz“, ich bin von dem Gesetz verurteilt, dass ich hier alleine ohne meine Familie bis 2018 leben darf, und ich bin hier seit zwei Jahren, von 2015 an.

Und weiter: Integration bedeutet für mich, wenn ich nur Pasta und Kartoffel essen kann, und nur Apfelsaft und Bier trinke. Und weiter: Integration bedeutet für mich, wenn ich Respekt für deine Wahl habe, und ich frage: Oder? Du möchtest Kaffee, oder? Das ist für mich sehr schwierig, weil wir zu Hause nur mit einer Wahl gelebt haben, wir tranken alle Tee, oder alle Kaffee. Wenn wir zusammensaßen, dann tranken wir alle Tee oder Kaffee, wir mussten alle dieselben Gedanken trinken, wir mussten vom selben Teller essen, alle Sachen mussten wir genauso machen, wie die Gesellschaft es wollte, nicht was wir wollten. Die Gesellschaft ist wichtiger als wir, oder unsere Wünsche. Wir wurden von der Gesellschaft in die Konformität gezwungen.

Eine andere Integration bedeutet für mich, einen Hund zu haben. Und weiter: Integration bedeutet für mich, wenn ich einen Job habe und Steuern zahlen kann. Ich meine zu mir selbst: Du hast eine Ansicht wie die Regierung. Und weiter: Integration bedeutet für mich, wenn ich die deutsche Kultur begreifen kann. Ich frage aber, welche Kultur? Hanseatische Kultur oder bayrische Kultur oder welche?

Integration bedeutet für mich, wenn ich keine Zeit habe, so wie die Deutschen. Und weiter: Integration bedeutet für mich, dass es für uns nicht schwer sein wird, weil jeder Kontakt mit einem Deutschen bereits Integration ist. Und weiter: Integration bedeutet es für mich, wenn ich machen kann, was ich möchte, ohne dass ich es als Flüchtling mache, sondern als der Mensch, der ich bin.

Es gibt viele andere Meinungen, weil wir nicht gleich sind, wir sind alle Flüchtlinge, aber wir sind sehr unterschiedliche Menschen. Wir kommen mit unserer Kultur und unserer Meinung und den Gedanken hierher, und wir können nicht alles an der deutschen Kultur übernehmen. Wir schaffen Integration, wenn wir miteinander schnacken können, wenn wir Respekt für einander und für unseren Glauben und unsere Kultur haben, wenn wir über alles diskutieren können, um einander kennenzulernen. Wenn wir glauben, dass wir (Deutsche und Geflüchtete) nur Menschen sind und nicht Engel oder Dämonen, und die Menschen machen Fehler, vielleicht viele und vielleicht wenige, wir sind alle nur Menschen. Es gibt Dialoge, um zu verstehen. Wir alle sind nur Menschen.

Nach einigen Monaten in Hamburg habe ich für den Ramadan gefastet, wir fasten dreißig Tage, in denen wir 19 Stunden jeden Tag nichts essen, um unserer Seele Ruhe zu geben. Wir glauben, dass wir mit dem Essen nichts für unsere Seele fühlen, sondern nur die Wünsche für das Essen spüren. Mit dem Fasten können wir unsere Seele fühlen, weil wir nicht nur für das Essen leben, sondern um höhere Dinge zu erfahren. Mit dem Fasten können wir uns von allen unseren Wünschen befreien, um wie Engel zu sein oder zu werden.

Nach dem Ramadan-Fasten gibt es eine Feier, um eine Auszeichnung für unsere Anstrengungen zu haben. In einem Privatzimmer in einem Altbau in Hamburg habe ich eine Einladung zur Feier mit Syrern und Deutschen. Natürlich muss es immer arabische Süßigkeiten für unsere Feier geben, weil unsere Körper den Zucker brauchen. Zur Laute (Eawad) singen wir die alten arabischen Lieder von Fairu, Oum Kalthum, Ebd Alhalim, Farid Al-Atrash, sie sind arabische Sänger.

Ich habe da eine syrische Frau kennengelernt, die hier seit sechs Jahren wohnt und arbeitet. Sie heißt Samar, das bedeutet „die nächtliche Unterhalterin, Gesprächspartnerin“. Samar ist jetzt eine deutsche Frau, weil wir glauben, wenn man an einem Ort oder in einer Stadt seit 40 Tagen lebt, wird man zu dem Ort oder der Stadt zugehörig. Das ist ein arabisches Sprichwort.

Und ich bin ein Flüchtling, meinen Namen vergesse ich, und ich bin jetzt nur einer von sechs Millionen Geflüchteten, die ihre Namen mit ihren Ländern verloren haben. Wir haben jetzt nur eine Nummer statt unsere Namen.

Samar: „Hallo! Na?“

ICH: „Hallo, mir geht‘s gut.“

Samar: „Na? … na, bedeutet nicht wie geht‘s dir? Sondern nur hallo.“

ICH: „Ja, ich weiß nicht, manchmal haben mir die Deutschen auch gesagt, Na? bedeutet, wie geht‘s dir, manchmal nicht. Ich glaube, dass die Deutschen selber nicht genau wissen, was Na? bedeutet.“

Samar: „Doch, sie wissen es schon. Aber das ist eben Deutschland, eine unterschiedliche Meinung für alles.“

ICH: „Das ist richtig, das ist ein Vorteil in Deutschland, hier gibt es unterschiedliche Meinungen, nicht wie in unseren Ländern, wir müssen stets dieselben Gedanken haben, eine Partei, ein Präsident, eine Geschichte, eine Meinung, ein Sender ...“

Samar: „Wie heißt du?“

ICH: „Mein Name ist Flüchtling.“

Samar: „Was bitte?“

ICH: „Flüchtling bin ich.“

Samar: „Warum bist du Flüchtling genannt worden?“

ICH: „Weil ich aus dem Krieg komme, weil ich meinen Namen ändern musste. Weil ich jetzt nur eine Nummer bin.“

Samar: „Warum möchtest du sagen, dass du nur ein Flüchtling bist?“

ICH: „Nicht ich habe das gesagt, sondern alle haben das gesagt, alle reden über uns als Zahl nicht als Menschen, als ob wir gleich sind, sechs Millionen Geflüchtete sind nur eine Zahl.“

Samar: „Nein, wir sind nur Menschen.“

ICH: „Ja natürlich sind wir Menschen, aber manchmal haben die anderen Menschen das vergessen, sie haben sich nur erinnert, dass wir nur aus dem Krieg gekommen sind, und vielleicht sind wir gefährlich.“

Samar: „Meinst du, dass ihr Flüchtlinge nicht Menschen seid?“

ICH: „Manchmal haben das Andere gesagt, weil sie glauben, dass wir anders sind, weil wir eine andere Kultur, andere Sprache, andere Religion, andere … haben.“

Samar: „Nein, wir sind immer Menschen, und nur auf den Papier wurde geschrieben, dass wir Flüchtlinge sind.“

ICH: „Leider nicht nur auf Papier, sondern auch in unseren Köpfen.“

Samar: „Wen meinst du jetzt mit wir?“

ICH: „Alle Menschen, die Deutschen und die Flüchtlinge, was mit Einem von uns passiert ist, da haben alle gesagt, dass ein Flüchtling das gemacht hat. Wir sind alle gleich für die Deutschen, wie die Deutschen gleich für uns sind.“

Samar: „Warum möchtest du sagen, dass wir anders sind? Wir gehören zu einer Gruppe. Warum meinst du, dass die Menschen zu einer besonderen Gruppe gehören?“

ICH: „Nein, ich habe nur wiedergegeben, was ein Teil der Menschen gesagt hat, aber meine Meinung ist: Wir sind nicht anders, sondern unterschiedlich, weil wir alle Menschen sind. Denn wir haben unterschiedliche Kulturen, Meinungen, Charaktere, Körper wie alle Menschen.“

Samar: „Ja, aber warum wiederholst du, was andere gesagt haben. Warum bringst du nicht deine Meinung?“

ICH: „Das ist meine Meinung. Wir sind unterschiedlich, aber die Menschen müssen das erkennen und glauben. Das ist nicht einfach.“

Samar: „Dann kämpft ihr gegen Stereotype?“

ICH: „Ja, das ist unser Ziel, aber wir sagen, was die Menschen sagen, und danach können sie allein herausfinden, dass sie etwas Falsches gesagt haben.“

Samar: „Bei mir, wenn man eine Idee oder Meinung kritisiert, dann bringt man diese Idee doch nicht als eigene vor.“

ICH: „Ja, vielleicht, aber wie können wir Veränderungen schaffen? Wie können wir die Meinung von einem Teil der Menschen verändern?“

Samar: „Hier in Deutschland ist es sehr einfach, die Menschen sind hier offen, und es gibt keine Probleme.“

ICH: „Leider glaube ich etwas Anderes. Die Mehrheit der Deutschen ist offen, aber was ist mit den Anderen?“

Samar: „Ja, Mehrheit, das ist auch gut.“

ICH: „Das ist sehr gut, aber mein Glauben ist, dass es ein Problem mit der deutschen Kultur gibt.“

Samar: „Was bitte, was meinst du?

ICH: „Die deutsche Kultur ist nicht offen.“

Samar: „Die deutsche Gesellschaft soll verschlossen sein? Das ist falsch, ich bin seit sechs Jahren in Deutschland, und die Leute sind sehr offen, und sie interessieren sich dafür, andere Kulturen kennenzulernen.“

ICH: „Ja, du hast recht, dass die Deutschen als Menschen sehr offen sind. Aber ich habe über die deutsche Kultur gesprochen, die Gesetze, Geschichte, das politische System, die Identität, Zugehörigkeit - nicht über Personen.“

Samar: „Warum hast du keinen Respekt für meine Meinung?“

ICH: „Wie bitte?“

Samar: „Du verwendest aber sehr viel, das bedeutet, dass du nur deine Meinung richtig findest. Weil aber bedeutet, du hast alle Ansichten vor aber gelöchert.“

ICH: „Nein, aber bedeutet für mich eine Brücke zwischen zwei Meinungen, vielleicht sind beide richtig, nicht nur eine Meinung, sondern vielleicht beide.“

Samar: „Nein, auf Deutsch bedeutet es, dass die Dinge vor aber falsch sind, und nach aber richtig.“

Ich: „Nein, für mich bedeutet aber einfach Folgendes: ‚Das Davor und das Danach‘ sind vielleicht richtig, aber von welcher Seite betrachten wir es?“

Samar: „Für dich? Dann machst du dir eine besondere Sprache zurecht?“

ICH: „Nicht - nein, sondern ich habe es in anderen Sprachen, im Arabischen und Englischen so verstanden. Aber ist eine andere Seite einer Wahl.“

Samar: „Vielleicht, aber auf Deutsch bedeutet es etwas Anderes, aber bedeutet, nur eine Meinung ist richtig.“

ICH: „Die Deutschen verwenden sehr viel aber, und ich habe geglaubt, dass die Deutschen Respekt für andere Meinungen haben. Und sie suchen nur eine andere Meinung und beginnen zu diskutieren.“

Samar: „Ja, die Deutschen mögen immer diskutieren, und ihre Meinung sagen, und Deutschland ist die am meisten offene Gesellschaft in Europa. Vielleicht sind die USA ein verschlossenes Land, aber Deutschland ist sehr offen.“

ICH: „Ich glaube, das ist nicht völlig richtig. Es gibt ein Problem der Zugehörigkeit in Deutschland. Wann kann/darf man zu Deutschland gehören? Das ist meine Frage.“

Samar: „Wenn man hier lebt und wenn man hier arbeiten kann, und Steuern bezahlt, dann ist jemand ein Deutscher.“

ICH: „Nein, wenn man hier arbeiten kann und Steuern bezahlt, dann ist man ein Bürger, nicht ein Deutscher.“

Samar: „Was ist der Unterschied?“

ICH: „Der Unterschied ist, dass man nicht nur einen Reisepass haben würde, sondern dann darf ich zu Deutschland, zur deutschen Gesellschaft gehören, oder eben nicht. Nicht alle Bürger sind Deutsche, und Bürger können auch Ausländer sein, aber die Gesellschaft ist anderer Meinung. Bis jetzt ist die Zugehörigkeit zu Deutschland durch die Abstammung bestimmt, das Blut-und Boden-Prinzip. Bis jetzt haben die Jüngeren, die fremde Eltern haben und hier in Deutschland aufwachsen, in Deutschland ein Problem, bis jetzt haben die Deutschen die Jugendlichen gefragt, woher kommt ihr? Weil sie andere Kleidung, andere Augen, andere Hautfarbe, andere … haben.“

Samar: „Meinst du türkische Leute?“

ICH: „Ja, nicht nur türkische Leute, aber auch andere Ausländer oder Migranten. Was ist der Unterschied zwischen Ausländern und Migranten?“

Samar: „Das ist nicht richtig, ich habe gesagt, dass ich hier seit sechs Jahren bin und ich es nicht erlebt habe, dass die türkischen Leute diese Probleme haben, weil sie eine starke Zugehörigkeit zur Türkei und zum Islam empfinden.“

ICH: „Ja, das ist auch ein Teil des Problems, aber der Grund liegt auf beiden Seiten, bei den Deutschen und den Türken, dass die Deutschen auch das Gefühl der starken Zugehörigkeit haben. Wenn die Gesellschaft diese starke Bindung hat, dann ist sie keine offene Gesellschaft. Wir können Eva fragen, was ist ihre Meinung, weil sie aus der Türkei kommt.“

Eva: „Nein, ich komme aus Deutschland, nicht aus der Türkei, aber mein Vater kommt da her. Ich bin hier in Hamburg geboren, und ich weiß nichts über die Türkei.“

ICH: „Ja, und dein Name ist sehr deutsch.“

Samar: „Aber du sprichst Türkisch, oder?“

Eva: „Ja, ich spreche Türkisch, Englisch, Französisch, aber meine Muttersprache ist Deutsch.“

Samar: „Aber du trägst ein Kopftuch.“

Eva: „Und dann, was bedeutet das?“

Samar: „Du trägst etwas Anderes als das, was hier in Deutschland die Menschen tragen.“

Eva: „Es gibt große Missverständnisse bei diesem Thema. Erstens, nicht alle Ausländer sind Muslime. Zweitens, es gibt auch deutsche Muslime, und man kann hier in Deutschland tragen, was man möchte, weil wir in Freiheit leben. Drittens, ich gehöre zu Deutschland trotz meiner Religion. Denn ich kann eine Deutsche und eine Muslima sein. Viertens, was ist der Islam? Das ist die große Frage, es gibt fast 20 Arten von Islam, jeder Teil hat gesagt, dass nur sein Teil der richtige Islam ist, und andere Teile sind es nicht. Mein Glaube ist, dass es nicht einen Islam gibt, aber sehr viele islamische Strömungen, der Islam ist nicht Eines, es sind Unterschiede wie bei den Christen, aber das bedeutet nichts.“

Samar: „Ich weiß nicht, aber meine Meinung ist, dass der Islam nicht in Übereinstimmung mit Deutschland, seiner Kultur und Geschichte, ist.“

Eva: „Warum hast du das gesagt? Der Islam ist nur eine Religion, aber die Frage ist, können wir als Menschen miteinander auskommen, und trotzdem unsere eigene Religion und unsere Hautfarbe und unsere Kultur leben?“

Samar: „Ja, aber der Islam funktioniert nicht mit Freiheit und Demokratie, das ist anders als hier in Deutschland die Verhältnisse mit der Religion, verstehst du?“

Eva: „Erstens, der Islam ist eine Religion, so wie Christen, Juden, Hindus die ihre haben, und jede Religion hat ein Problem mit gänzlicher Freiheit, weil die Religion glaubt, dass der Mensch mit gänzlicher Freiheit wie die Tiere ist, aber der Mensch kann mit den Religionen oder den Gesetzen leben, die Gesetze und die Religion organisieren unsere Leben.“

Samar: „Meinst du, der Islam ist genauso wie das Christentum und wie das Gesetz?“

Eva: „Ja, genauso, nur der Name ist unterschiedlich, aber sie haben dieselbe Grundlage und dieselbe Geschichte, und ein Teil von jeder Religion sind Gesetze, was man machen darf und was man machen muss, und ein anderer Teil handelt von der Spiritualität.“

Samar: „Aber es gibt keinen christlichen Terror, oder?“