Forever & Always - Sina Heine - E-Book

Forever & Always E-Book

Sina Heine

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Beschreibung

Ich habe mich in dich verliebt ohne zu wissen wer du bist. Und ich war mir sicher, du könntest unmöglich dasselbe fühlen. Oder? Als junges Mädchen trifft Julia im Urlaub auf den Malediven auf ihn. Und verliebt sich unsterblich. Eine Liebe, die unmöglich scheint. Denn er lebt auf der anderen Seite der Welt, in Australien. Doch Jahre später kreuzen sich die Wege der beiden erneut. Und Julia muss sich fragen: Was, wenn es doch so etwas wie Schicksal gibt?! Ein höchst emotionaler Roman über Liebe und Hoffnung, Angst und Selbstzweifel. Und das Gefühl, nicht genug zu sein.

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Für M, J und F.

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

KAPITEL 29

KAPITEL 30

KAPITEL 31

KAPITEL 32

KAPITEL 33

KAPITEL 34

KAPITEL 35

KAPITEL 36

KAPITEL 37

KAPITEL 38

KAPITEL 39

KAPITEL 40

KAPITEL 41

KAPITEL 42

KAPITEL 43

PROLOG

Angespannt betritt er die Station des Hospizes. Eine Krankenschwester erwartet ihn schon vor dem ihm bekannten Zimmer.

„Ich denke, es ist soweit.“ Mit besorgtem Gesichtsausdruck deutet sie auf die angelehnte Tür. Langsam drückt er sie auf. Das Zimmer ist abgedunkelt. Durch einen Schlitz zwischen den Gardinen fallen die Strahlen der Herbstsonne auf die große Bettdecke.

„Sie ist schon sehr schwach“, flüstert ihm die Dame beim Betreten des Zimmers noch ins Ohr, bevor sie die beiden für den letzten Weg alleine lässt.

Ein Monitor steht neben dem Bett. Die Linien zeigen, dass der Puls seiner Mutter schon recht niedrig ist. Auf dem kleinen Tisch in ihrem Zimmer steht ein Strauß weißer Rosen – ihre Lieblingsblumen. Vorsichtig setzt er sich auf die Bettkante und umschließt zärtlich die faltige, knöcherne Hand. „Mama?“

Die Augen öffnen sich langsam. Beim Anblick ihres Sohnes macht sich ein herzliches Lächeln auf ihrem Gesicht breit. „Wie schön, dass Du da bist, mein Schatz!“ Der angeschlossene Monitor piepst leise vor sich hin. Der Schleim in ihren angegriffenen Lungenflügeln schiebt sich hörbar hin und her. Das Atmen fällt ihr schwer. Er reicht ihr ein Glas Wasser. Aber noch bevor sie es nehmen kann, bekommt sie wieder einen schweren Hustenanfall. Er weiß, dass es zu Ende geht. Aber die Angst, seine Mama könnte an so einem Anfall ersticken, treibt ihm die Tränen in die Augen.

„Schatz, bitte weine nicht.“ Mit verbleibender Kraft versucht sie ihm ermutigend und tröstend die Hand ein bisschen fester zu drücken. Das hat sie früher schon immer getan. Als er noch ein kleiner Junge war und Trost brauchte. Nun kann er sein Schluchzen nicht mehr unterdrücken.

„Liebling“, sie versucht ihn sanft in ihre zerbrechlichen Arme zu schließen. „Es ist alles gut. Ich hatte ein wunderschönes, langes Leben! Und dafür bin ich so dankbar!“

„Mama“, obwohl er sich bemüht stark zu sein, ist seine Stimme bereits tränenerstickt. Zärtlich streichelt sie seinen Kopf. „Welche ist die schönste Erinnerung Deines Lebens?“

„Neben Deiner Geburt und der Deines Bruders?“ Sie lächelt, sichtbar angestrengt, aber aus tiefstem Herzen. Dann wird sie nachdenklich. „Wenn ich mich an einen einzigen Sommer erinnern müsste, dann wäre es der von 1998. Der Sommer, in dem alles begann.“ Als sie ihren Blick in Richtung des Fensters wendet, fallen die Sonnenstrahlen auf ihr Gesicht und lassen ihre Augen funkeln, wie tausend Sterne.

„Mich in ihn zu verlieben war eine der einfachsten Sachen, die ich je gemacht habe. Ich habe ihm vertraut, wie sonst niemandem. Ich habe ihn angebetet, ganz und gar ohne Zurückhaltung. Ich dachte, dass er unmöglich das Gleiche fühlen konnte. Und schließlich wurde es zu unserem Verhängnis.“

Der nächste Hustenanfall. Sie ringt nach Luft und atmet schwer und rasselnd ein, bevor sie ihm mit letzter Kraft noch einmal tief in die Augen schaut:

„Eines darfst Du niemals vergessen, mein Schatz:

Es gibt kein vergleichbares Gefühl, als mit grenzenlosem Mut zu leben und aus tiefster Liebe zu lieben und geliebt zu werden.“

Die Pulslinie verläuft bereits bei null, während ihrem Körper der letzte Atem entweicht.

KAPITEL 1

Sommer 1998

Ungeduldig blicke ich zur Uhr. Noch 5 Minuten, dann haben wir es endlich geschafft! Warum müssen wir ausgerechnet jetzt, so kurz vor dem Start der Sommerferien ernsthaft noch Matheunterricht machen? In allen anderen Fächern schauen wir seit Tagen nur Filme! Die Noten stehen fest, die Zeugnisse sind geschrieben und müssen nur noch verteilt werden! Jeder fiebert den kommenden sechs Wochen entgegen.

Die einen verreisen, die anderen bleiben hier und machen stattdessen im Dezember einen Winterurlaub. Und ich fliege heute Abend mit meinen Eltern für zwei Wochen auf die Malediven. Wow! Meine Mama sagt, das sei ein ganz besonderes Ziel, total anders, als alles andere, was wir bisher gesehen haben.

Ich heiße Julia, bin frisch in der Pubertät und was Reisen angeht als einziges Kind zweier toller Eltern doch ziemlich verwöhnt. Wir sind in den letzten Jahren schon um die halbe Welt geflogen und so habe ich schon früh neben viel Elend außerhalb von schicken Hotels das wahre, traurige Gesicht von Dritte-Welt-Ländern gesehen.

Ich muss ehrlich sagen, ich stehe diesem Urlaub verdammt kritisch gegenüber. Malediven …

Keiner meiner Freunde hatte auch nur den Hauch einer Ahnung, ob es sich dabei um eine Baleareninsel oder um ein Fleckchen Erde in der Südsee handelt.

Wir haben 1998 und in Deutschland gehören Reisen auf diese Inseln inmitten des Indischen Ozeans zur absoluten Seltenheit. Natürlich haben meine Eltern mir tolle Bilder aus Hochglanzreiseprospekten gezeigt. Ja, das sieht fantastisch aus, aber auch so unecht, dieses extrem türkisfarbene Wasser. Zugegeben, meine Mama macht sich große Sorgen um mich. Auf den Malediven gibt es für eine zwölfjährige ungefähr so viel zu tun, wie für einen Fisch auf dem Baum.

Mein Papa ist ein sehr guter und begeisterter Taucher, der schon die spektakulärsten Tauchplätze der Welt erkundet hat. Und einer seiner größten Träume ist es, genau diesen kommenden Urlaub zu erleben. Meine Mama taucht nicht. Sie liebt es hingegen sich zu sonnen und auf einer Luftmatratze auf den Wellen zu schaukeln, vielleicht ein gutes Buch zu lesen und natürlich Zeit mit ihrer Familie zu verbringen.

Und ich? Was soll ich auf einer Insel mit 800m x 400m anfangen? Meine Freude über dieses außergewöhnliche Reiseziel hält sich also sehr in Grenzen.

Neben mir kichert es. Katharina und Laura flüstern sich unentwegt ihre Pläne für die Ferien zu. Es geht dabei natürlich nur um Jungs, wann welcher Typ im Freibad ist, welchem Mädchen man versuchen will, den Freund auszuspannen und was für tolle Gerüchte man doch in die Welt setzen könnte. Natürlich nur zur eigenen Belustigung und aus Schadenfreude den anderen gegenüber.

Ich muss gestehen, ich gehöre absolut zur Generation „Disney“: Ich bin hoffnungslos romantisch, während alle anderen Mädchen stolz darauf sind, jedes Wochenende einem anderen Jungen die Zunge in den Hals zu stecken.

Aber so bin ich nicht. Und so möchte ich auch niemals sein. Endlich, es klingelt! Ich schnappe mir mein Zeugnis, ignoriere dabei schon fast meinen Klassenlehrer, der mir noch ein „Sehr gutes Zeugnis, Julia“ hinterherruft und beeile mich nach Hause zu kommen.

Mit dem Zug fahren wir bis zum Frankfurter Flughafen, checken ein und warten am Gate, bis unser Flug nach Male aufgerufen wird.

Geplanter Abflug ist um 21:40 Uhr und meine Mama runzelt die Stirn.

„Ich hasse es über Nacht zu fliegen, ich bekomme im Flieger kein Auge zu. Und das bei knapp zehn Stunden Flugzeit!“

Mein Papa und ich grinsen uns frech an. Dieses Problem kennen wir nicht. Und so kommt es, wie es kommen muss: Kaum sind wir in der Luft, sind wir beide auch schon tief und fest am Schlafen.

Die Stimme des Kapitäns reißt mich aus dem Schlaf. „Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir befinden uns im Landeanflug auf Male. Bitte schließen Sie Ihre Sicherheitsgurte, klappen Sie Ihre Tische vor sich hoch und stellen Sie Ihre Rückenlehnen senkrecht.“

Ich blicke aus dem Fenster und erstarre.

Was in aller Welt … während die Maschine weiter sinkt, sitze ich mit offenem Mund auf meinem Sitz und kann kaum in Worte fassen, was meine Augen versuchen aufzunehmen. Ich mache mit meinen Eltern zweimal jährlich eine Fernreise, immer in ein anderes Land. Und ich habe, glaube ich, wirklich schon einiges gesehen! Klar, der Blick aus dem Flieger fasziniert Menschen immer wieder aufs Neue.

Es gibt wunderschöne Landschaften, traumhafte Skylines von Weltmetropolen oder einfach lustige Wolkenformationen und darunter der unendliche Ozean. Aber so schön all diese verschiedenen Anblicke auch sind, so kann ich die nicht mal im Entferntesten mit dem vergleichen, was ich jetzt unter uns sehe.

20, nein 30! Ach was, noch viel mehr, klitzekleine Inseln, die sich majestätisch und absolut unrealistisch aus dem dunklen Indischen Ozean erheben, umzingelt von schneeweißen Stränden. Eingebettet sind all diese kleinen Paradiese von einem wundervollen Türkies, welches sich langsam in einem dunklen Blau verliert. Und mit „klein“ meine ich wirklich „klein“! Die Insel da vorne! Tja, die ist bestimmt nicht länger als 300 Meter und vielleicht halb so breit. Und da hinten … Ok, die scheint recht „groß“ zu sein. Vielleicht einen knappen Kilometer lang und 200 Meter breit.

Gleich setzen wir schon auf. Aber … wir haben doch noch gar kein Land unter uns?! Wie aus dem Nichts taucht plötzlich neben meinem Fenster der Anfang einer Insel auf und keine drei Sekunden später landen wir pünktlich auf dem Flughafen von Male, der „Hulule“ heißt.

Die Leute applaudieren. Ja, die Piloten haben einen sehr verantwortungsvollen Job und sind für die Sicherheit von jedem einzelnen Fluggast verantwortlich. Das verstehe ich! Und ich habe den größten Respekt vor diesem Job! Ich bin aber auch der Meinung, dass dieses Touristen-Geklatsche etwas übertrieben ist! Habt Ihr schon mal Patienten aus dem Krankenhaus gehen sehen, die für die Leistung der Ärzte und Pfleger applaudiert haben? Oder Menschen mit anderen Berufen, die ebenfalls viel Verantwortung tragen und für Leben verantwortlich sind? Vielleicht sollte ich unseren Lehrern mal vorschlagen, nach Schulschluss für uns zu applaudieren, weil wir es wieder einmal mit ihnen ausgehalten haben. Egal. Ich grinse über das ganze Gesicht und innerlich klatsche auch ich Beifall – für einen Urlaub, der ganz offensichtlich komplett anders werden würde, als alles, was ich bisher kennengelernt habe.

Nachdem wir unsere Koffer und die große Tauchtasche meines Vaters vom Band gesammelt haben, werden wir zu unserem Speedboot gebracht. Neben dem „Dhoni“, einem maledivischen Boot, welches insbesondere die Einheimischen benutzen, das aber auch deutlich langsamer und schaukliger ist, sind die Speedboote fast das einzige Fortbewegungsmittel auf den Malediven. Es gibt auch noch Wasserflugzeuge, denen ich sehnsüchtig nachblicke. Noch nie bin ich mit so einem geflogen.

Das muss nochmal etwas ganz Anderes sein, als die großen Boeings! Sie werden aber hauptsächlich eingesetzt, um Touristen in die anderen Atolle zu befördern.

Unsere Insel liegt im Nord-Male-Atoll und nach einer rasanten 30-minütigen Speedbootfahrt reduziert der Kapitän das Tempo und tuckert langsam auf eine dicht mit Palmen bewachsene Insel zu. Wir sind angekommen!

KAPITEL 2

Während meine Eltern die Koffer auspacken, hält mich nichts mehr im Bungalow. Zu groß ist die Neugier auf das, was mich nach draußen zieht.

Ich bin absolut überwältigt. Diese Kulisse, der zarte Wind, die Sonne, die ihre Strahlen durch die wehenden Palmenblätter wirft. Es ist alles so unrealistisch und doch so echt. Zum ersten Mal in meinem Leben überkommt mich ein Gefühl, welches ich noch nie zuvor gespürt habe. Eines, welches ich weder deuten noch erklären kann. Es ist, als wäre ich in genau diesem Moment, an dem einzig richtigen Ort, zur genau richtigen Zeit. Und ich kann spüren, dass dieses nicht einfach nur einer von vielen Urlauben ist.

Normalerweise hasse ich es, meine Haare offen zu tragen. Beim Reiten kann ich das einfach nicht gebrauchen, beim Lernen für die Schule will ich sie nicht im Gesicht herumschwirren haben und überhaupt: Warum sehen alle anderen Mädchen mit offenen Haaren immer so verdammt gut aus? Ich tue das nicht. Generell empfinde ich mich nicht als besonders hübsch. Ich bin eher durchschnittlich. Ich lege aber auch keinen gesteigerten Wert auf mein Äußeres. Ich habe keine Lust, mich stark zu schminken und zu stylen, um dann so zu tun, als empfände ich mich selber als total geil. Klar gefallen mir Jungs. Aber ganz ehrlich? Ich habe einfach keine Zeit, mich damit zu beschäftigen.

Ich stehe morgens auf, gehe zur Schule, komme wieder nach Hause. Nach dem Mittagessen mache ich noch meine Hausaufgaben und stehe dann den Rest des Tages im Stall. Oft reite und versorge ich nämlich nicht nur mein Pferd, sondern reite noch Pferde von anderen Leuten. Ich liebe das, keine Frage und ich kann mir auch nicht vorstellen, ein anderes Leben zu führen. Mein Leben unterscheidet sich dadurch nur ziemlich stark von dem anderer Mädchen in der Pubertät. Während ihre Freizeit sich um Kosmetikprodukte und Jungs dreht, diskutiere ich mit meinen Eltern, dass ich meinem Pferd NICHT die Möhren weg esse, nur, weil ich mir ständig ein paar davon stibitze. Ich liebe mein Leben! Aber meine Haare trage ich trotzdem grundsätzlich als Pferdeschwanz.

Außer jetzt. Ich kann den Wind in ihnen spüren und es fühlt sich großartig an. Es spielt plötzlich keine Rolle mehr, ob sie richtigliegen oder total zottelig sind. Ich fühle mich unendlich frei.

Ein paar Meter von unserem Zimmer entfernt sehe ich zwei Schaukeln, die ähnlich wie Hängematten in den Bäumen vom Wind bewegt werden. Da muss ich hin! Unter meinen nackten Füssen spüre ich den warmen Pudersand. Kleine Einsiedlerkrebse flüchten vor mir und ich muss herzhaft lachen. Ich blicke auf und sehe aus dem Augenwinkel, dass nur eine der beiden Schaukeln frei ist. Mein Blick schweift automatisch zu der besetzten. Und in diesem zufälligen Moment durchschlägt es meinen Körper wie eine Pistolenkugel.

KAPITEL 3

Dass dieser Urlaub schon jetzt anders ist als alle bisherigen, ist mir schon seit unserer Ankunft in Male bewusst. Aber auf diesen Moment war ich nicht vorbereitet. Ich fühle mich wie angeschossen, unfähig noch einen einzigen Muskel in meinem Körper zu bewegen.

Diese andere Schaukel ... er ist groß, sehr groß im Gegensatz zu mir. Seine nackten Füße hat er im Sand vergraben. Die Beine sind lang und muskulös und enden in einer coolen Surferbadeshorts. Er trägt ein weißes T-Shirt über …

Was für Schultern!!! So unglaublich breit und ebenfalls muskulös. Die Arme … Braungebrannt und ebenfalls mit Muskeln passend proportioniert. Und dann erst blicke ich bewusst in sein Gesicht. Kantige Konturen und sonnengebräunte Haut ziehen sich glatt über seine makellosen Knochen. Diese Wangenknochen! Seine Nase ist genau passend für sein Gesicht, nicht zu groß, nicht zu klein. Er hat dunkle Haare mit blonden Strähnen, die ziemlich vom Wind zerzaust sind. Und dann … sein Mund! Habe ich jemals einen Mann mit so wunderschönen vollen Lippen gesehen? Ich zwinge mich, ihm endlich in die Augen zu schauen. Und dann trifft mich der nächste Schuss. Während ich ihn die ganze Zeit von oben bis unten gemustert habe, blickt er mir mit seinen großen dunklen Augen mitten ins Gesicht. Ich zucke zusammen, so sehr erschrecke ich mich und so ertappt fühle ich mich.

Was soll ich tun? Ich kann ihn nicht ansprechen! Das habe ich noch nie gemacht! Und außerdem: Er sieht aus wie gezeichnet und ich bin – ich. Weglaufen kommt auch nicht in Frage. Meine Beine machen keine Anstalten sich davon zu bewegen.

Ok, Julia, beruhig Dich! Du nimmst jetzt all Deinen Mut zusammen! Vorsichtig mache ich noch einen Schritt auf die Schaukeln zu. Er schaut mich noch immer an. Und ich kann nicht anders, als ihn aus tiefstem Herzen heraus anzulächeln. Dann lasse ich mich langsam in die freie Schaukel neben ihn sinken.

KAPITEL 4

Es gibt Momente im Leben, in denen Raum, Zeit und Ort keine Rolle spielen. Wie in einer Blase. Und genau in so einer befinde ich mich gerade. Ich kann meinen Blick nicht von ihm abwenden. Und ER starrt mich genauso an. Ich bin mir sicher, er tut das, weil er mich für komplett irre hält. Aber das hat gerade keine Bedeutung. Er lächelt mich an, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Und ich kann nicht anders, als seinen Blick zu erwidern und ebenfalls die ganze Zeit zu lächeln.

„Juliaaaaa, wir wollen los!“ Diese Worte schnellen wie Blitze durch meinen Körper und reißen mich aus diesem Trancezustand. Schnell springe ich auf und will schon loslaufen. Da drehe ich mich nochmal um, in der Hoffnung noch so viel wie möglich von diesem Anblick in mir aufsaugen zu können, falls ich ihn nie mehr wiedersehen sollte. Ich lächle ein letztes Mal in seine Richtung und gehe hinüber zu meinen Eltern.

So langsam habe ich das Gefühl, wieder zu mir zu kommen. Falls ich ihn nicht mehr wiedersehen würde … Ja klar, ist bestimmt sehr wahrscheinlich auf einer Insel die Maße von 800mx400m hat! Aber was, wenn er heute oder morgen abreist? Und überhaupt:

Was bitte, war das eben??? So einen Moment habe ich bisher noch nicht erlebt, solche Gefühle verbunden mit einer solchen Machtlosigkeit sind mir absolut fremd. Natürlich war ich schon mal verliebt. Aber das ist absolut nicht vergleichbar, mit dem, was da soeben an den Schaukeln zwischen den Palmen passiert ist. Langsam schaltet sich mein Verstand wieder ein.

Er muss schon 16 oder 17 sein. Und er sieht jetzt auch nicht gerade aus, als würde er aus Ostwestfalen kommen. Es scheint generell kaum deutsche Urlauber hier auf den Malediven zu geben. Eine andere deutsche Familie ist vorhin mit uns hier angekommen. Aber sonst höre ich die Menschen – vorausgesetzt man trifft jemanden – nur Englisch sprechen. Das ist kein Problem, ich habe bereits seit zwei Jahren Englisch in der Schule und mir liegt die Sprache sehr. Mal sehen, was sich damit schon anfangen lässt.

Die Insel ist wunderschön! So grün, so natürlich, es ist alles naturbelassen. Es gibt keine fest angelegten oder gepflasterten Wege. Ich muss mich alle paar Meter neu entscheiden, ob ich die nächste Palme nun links oder rechtsherum nehme. Und bei jeder Entscheidung ärgert sich ein Einsiedlerkrebs, der meinen nackten Füßen ausweicht und sich mit seinem Haus in Sicherheit bringt,

Der Tag neigt sich dem Ende. Wir sind zurück in unserem Bungalow und vor dem ersten Abendessen möchte ich noch schnell unter die Dusche springen. Unser Badezimmer habe ich mir bisher noch nicht angesehen. Warum auch? Hotelbadezimmer sehen ja eh meistens gleich aus. Ich öffne die Tür und bleibe wie angewurzelt stehen. „Mama … was ist mit unserem Bad???“ Der Waschtisch, die Toilette und die Badewanne sind ähnlich wie alle anderen. Aber beim Rest fehlt … das Dach! Die Dusche ist unter freiem Himmel, eine Palme ragt schon fast in unser Bad hinein und nur eine etwas höher gezogene Mauer, schützt vor ungewollten Blicken.

Egal, was diesen Urlaub über noch kommen sollte: Ich fühle mich so unendlich wohl, glücklich und dankbar hier sein zu dürfen. Nahe dem Äquator wird es schon sehr früh dunkel. Und so stehe ich hier nun nackt in einer tropischen Dusche, mit Palmen und nichts weiter als dem unendlich dunklen Sternenhimmel über mir.

Kurze Zeit später gehen meine Eltern und ich zum Abendessen. Wir bekommen einen festen Tisch zugeteilt, nahe am Eingang. Durch die ganzen Eindrücke des Tages und meine Begegnung der dritten Art mit IHM, habe ich nicht gemerkt, wie hungrig ich bin. An einem reichhaltigen Buffet gibt es alles, was das Herz begehrt. Ich entscheide mich für etwas Hähnchenfleisch und Salat.

Ich dreh mich um und will die paar Meter zum Tisch meiner Eltern gehen, als mir fast der Teller aus der Hand fällt. Da ist er wieder!

Er betritt offenbar mit seiner Familie den Speisesaal. Und nein, meine Fantasie hatte mir am Tag keinen Streich gespielt. Er trägt kurze Jeans, ein T-Shirt und Flip-Flops. Und er ist noch größer als seine langen muskulösen Beine es im Sitzen vermuten ließen.

„Pass auf, gleich rutscht Dir alles vom Teller“, sind die rettenden Worte meines Vaters, bevor es wirklich zu diesem peinlichen Szenario kommen konnte - Weil ich immer noch wie angewurzelt dort stehe und die Augen nicht von IHM abwenden kann.

„Hast Du einen Geist gesehen?“, fragt meine Mama mich besorgt, als ich es endlich zum Tisch schaffe. Ja, ich muss ziemlich anders aussehen als noch ein paar Minuten zuvor. Der Tisch seiner Familie liegt am anderen Ende des Saales. Ich habe aber einen guten Platz, sodass ich ihn unauffällig durch die anderen Gäste hindurchsehen kann.

Das scheinen seine Eltern zu sein und zwei Brüder, beider wohl jünger als er, aber kaum kleiner. Die „Jungs“ alle von breiter, muskulöser Statur. Die Eltern sind beide unglaublich gutaussehend. Wahnsinn!!! Er sieht sich um. Sucht er mit seinem Blick gerade wirklich jeden Tisch ab??? Meine Fantasie und die Hormone der Pubertät scheinen mich gerade um die Wette auszulachen und sich einen riesigen Spaß mit mir zu erlauben.

Fakt ist: Solange wir uns zeitgleich im Restaurant befinden, ganz egal, zu welcher Tageszeit, werde ich erst dann zum Buffet gehen, wenn ER bereits dort war. Ich will unter gar keinen Umständen nochmals vor ihm stehen, wie das Kaninchen vor der Schlange und mich am Ende vielleicht bis auf die Knochen blamieren. Wenn ich doch nur mehr Mut hätte. Warum bin ich nicht so selbstbewusst und draufgängerisch, wie die Mädchen aus meiner Schule? Die würden jetzt hingehen, irgendetwas Cooles sagen und kurze Zeit später mit ihm rumhängen.

Und ich? Ich sitze am Tisch meiner Eltern, versuche mich hinter anderen Urlaubern zu verstecken und bloß nicht aufzufallen. Immer in der Hoffnung, dass er mich nicht sehen und dann feststellen würde, wie unterdurchschnittlich ich im Gegensatz zu ihm bin.

KAPITEL 5

Schnell haste ich, wie immer barfuß, durch den heißen Sand in der Hoffnung, mit meinen Füßen die Schatten der Palmen erhaschen zu können.

Nach ein paar Metern in Richtung des Inneren der kleinen Insel wird es merklich schwüler. Die tropischen Büsche schirmen den erfrischenden Wind so gut ab, dass fast kein Lüftchen weht. Da ist das „Sports Center“, wo ich mit den Kindern der anderen deutschen Familie verabredet bin. Unsere Eltern sind gestern Abend an der Bar ins Gespräch gekommen.

Sie haben ebenfalls eine Tochter und noch einen Sohn. Sophie ist genau wie ich 12 Jahre alt und ihr Bruder Tom ist 10. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden und ich freue mich, durch die beiden auch mal etwas Abwechslung hier auf der Insel zu haben. Und Ablenkung … von ihm!

Ich habe gestern Abend kaum etwas runterbekommen, weil ich so sehr damit beschäftigt war, mich kleinzumachen und ihn dennoch gut im Auge zu behalten. Als ich anschließend mit meinen Eltern an den offenen Pool-Bar-Bereich gegangen bin, saß die andere deutsche Familie bereits an einem der freien Tische. Sophie und Tom erzählten mir, dass es auf „Lohifushi“ ein „Sports Center“ gibt, wo man neben Billard und Dart auch „Kicker“ spielen kann.

Und genau dorthin haben wir uns für heute Nachmittag verabredet. Das „Sports Center“ ist ein kleines, von Bäumen und Palmen eingebettetes, weißes Gebäude, mit einer großen, verzierten Holztür.

Kurz bevor ich die zwei Stufen hinauf jagen will, schiebt sich jemand links an mir vorbei. Er hält kurz inne und schaut auf mich herab.

„Hi Sweety!“ Oh mein Gott, der ist ja auch so wahnsinnig groß! Es ist einer der Brüder von „meinem“ Surfer.

Er scheint kaum älter als ich zu sein, aber im Gegensatz zu mir, misst er bestimmt schon 1,80m! Genau wie sein Bruder hat er unfassbar breite, muskulöse Schultern, ein markantes Gesicht, dunkle Augen und Haare. Was für Gene!

Und offensichtlich bin ich nicht unsichtbar, denn noch immer grinst er mich frech an, bevor er das Center betritt und mir die Tür aufhält.

Geschickt husche ich hinter ihm her und sehe Sophie und Tom schon am Kicker stehen.

„Da bist Du ja“, lächelt Sophie mich an. „Komm, wir spielen Mädchen gegen Jungs“. Ein etwas jüngerer Junge, ich glaube ein Schwede, tritt zu uns an den Tisch und stellt sich auf Toms Seite. Wir Mädels sind den beiden aber eindeutig überlegen. Zumindest bis die Tür erneut aufgeht und meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Durch die hohe Decke und den gefliesten Boden, lässt die sich schließende Tür ein Echo erklingen. Und wieder einmal steht ER dort. Ebenfalls wie angewurzelt schaut er mich quer durch den Raum an. Sein durchdringender Blick und diese unglaublichen Augen bereiten mir sofort Gänsehaut. Seine Arme … diese markanten Gesichtszüge … und seine Lippen …

„Toooor!“ Die Jubelschreie der Jungs lassen mich vor lauter Schreck zusammenzucken. Jetzt habe ich ihn schon wieder angestarrt und dabei alles um mich herum vergessen. Vor lauter Scham wage ich es kaum den Kopf zu heben. Laufe ich etwa rot an? Scheiße!

„Julia, was ist los? Träumst Du?“ Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, wie er zu seinem Bruder geht und sich zu ihm an die Hantelbank setzt – mit dem Blick in meine Richtung. Fuck!

Jetzt kann er mich die ganze Zeit beobachten und sehen, wie scheiße ich aussehe, wie schlecht ich am Kicker bin - und dass er mich absolut nervös macht.

Bitte, lieber Boden, tue dich auf und verschlinge mich!

Kurze Zeit später stehen die beiden Brüder dann plötzlich auf und gehen zur Tür. Der Jüngere verlässt das Center zuerst und bevor sich „mein“ Surfer ihm anschließt, bleibt er stehen. Mein Blick klebt schon wieder an ihm.

Er sieht so gut aus! Und dann dreht er sich um und schaut mich direkt an. Eine gefühlte Ewigkeit. Und diesmal schaffe ich es sogar seinem Blick standzuhalten. Dann lächelt er und verlässt das Gebäude.