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Der Vater von Mike Foster ist ein erklärter Gegner von Atombunkern. Die Nachbarn bauen fleissig in ihren Gärten an dem vermeintlich einzigen Schutz vor der nuklearen Bedrohung, die von Militärkreisen aus ganz eigennützigen Motiven geschürt wird. Die Bunker müssen jedes Jahr wieder auf den neuesten Stand gebracht werden, da die Sowjets angeblich immer neue, immer perfidere Waffentechnologien erfinden, vor denen sich der gemeine Amerikaner durch Erweiterungen und Ausbauten seines Privatbunkers schützen kann. Mike lebt in einem Klima der ständigen Angst davor, keinen Platz in einem Bunker zu finden, falls der Krieg losbricht. Vielleicht ja schon morgen? Philip K. Dick hat mit dieser Erzählung aus dem Jahr 1955 eine beissende Satire auf zwei in den 1950er Jahren weit verbreiteten Trends geschaffen: Den ausufernden Konsum und die unterschwellige Angst vor einem nuklearen Winter.
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Seitenzahl: 39
Philip K. Dick
Foster, du bist tot
Story 10 aus: Total Recall Revisited. Die besten Stories
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Die Schule war eine Qual, wie immer. Nur heute war es noch schlimmer. Mike Foster hatte seine zwei wasserdichten Flechtkörbe fertig und saß unbeweglich da, während um ihn herum die anderen Kinder arbeiteten. Außerhalb des Gebäudes aus Beton und Stahl schien kühl die Spätnachmittagssonne. Die Berge funkelten grün und braun in der frischen Herbstluft. Hoch am Himmel kreisten ein paar NATS träge über der Stadt.
Die riesige, bedrohliche Gestalt von Mrs. Cummings, der Lehrerin, näherte sich leise seinem Tisch. »Foster, bist du fertig?«
»Ja, Ma’am«, antwortete er eifrig. Er hielt seine Körbe hoch. »Kann ich jetzt gehen?«
Mrs. Cummings untersuchte seine Körbe kritisch. »Was ist mit deinen Fallen?«, wollte sie wissen.
Er suchte tastend unter seinem Tisch und holte eine komplizierte Kleintierfalle hervor. »Alles erledigt, Mrs. Cummings. Und mein Messer ist auch fertig.« Er zeigte ihr die scharfe Klinge seines Messers, glänzendes Metall, das er aus einem ausrangierten Benzinkanister gefertigt hatte. Sie hob das Messer auf und ließ ihren sachkundigen Finger über die Klinge gleiten.
»Nicht stark genug«, stellte sie fest. »Du hast es zu scharf gemacht. Es wird seine Schärfe verlieren, sobald du es das erste Mal benutzt. Geh runter ins Hauptwaffenlabor und sieh dir die Messer an, die da sind. Dann schleif es etwas zurück, mach die Klinge dicker.«
»Mrs. Cummings«, flehte Mike Foster, »könnte ich das morgen in Ordnung bringen? Könnte ich bitte sofort gehen?«
Alle im Klassenzimmer sahen neugierig zu. Mike Foster wurde rot; er hasste es, im Mittelpunkt zu stehen und aufzufallen, aber er musste weg. Er konnte nicht eine Minute länger in der Schule bleiben.
Unerbittlich polterte Mrs. Cummings: »Morgen steht Graben auf dem Stundenplan. Du hast dann keine Zeit, an deinem Messer zu arbeiten.«
»Doch«, beteuerte er rasch. »Nach dem Graben.«
»Nein, du bist nicht besonders gut im Graben.« Die alte Frau taxierte die spindeldürren Arme und Beine des Jungen. »Ich denke, du solltest dein Messer besser heute fertigmachen. Und morgen den ganzen Tag unten auf dem Feld verbringen.«
»Was hat das Graben für einen Sinn?«, fragte Mike Foster verzweifelt.
»Jeder muss wissen, wie man gräbt«, antwortete Mrs. Cummings geduldig. Um sie herum kicherten die Kinder; sie brachte sie mit einem strengen Blick zum Schweigen. »Ihr alle wisst, wie wichtig Graben ist. Wenn der Krieg beginnt, wird die ganze Oberfläche mit Schutt und Asche übersät sein. Wenn wir überleben wollen, werden wir graben müssen. Hat einer von euch schon mal einen Ziesel zwischen den Wurzeln der Pflanzen graben sehen? Der Ziesel weiß, dass er dort unten, unter der Erdoberfläche, etwas Wertvolles finden wird. Wir alle werden kleine braune Ziesel sein. Wir alle werden lernen müssen, uns durch den Schutt zu graben und nach den guten Sachen zu suchen, weil sie nur dort zu finden sein werden.«
Mike Foster saß unglücklich da und zupfte an seinem Messer, während Mrs. Cummings seinen Tisch verließ und den Gang hinaufging. Ein paar Kinder grinsten ihn verächtlich an, aber nichts durchdrang den Schleier seines Kummers. Das Graben würde ihm nichts nützen. Wenn die Bomben kamen, würde er auf der Stelle getötet werden. All die Impfungen, die er von oben bis unten in beide Arme bekommen hatte, in die Schenkel, ins Gesäß, würden sinnlos sein. Er hatte sein Taschengeld vergeudet: Mike Foster würde nicht mehr leben, um eine der bakteriellen Seuchen zu bekommen. Es sei denn –
Er sprang auf und folgte Mrs. Cummings zu ihrem Pult. In qualvoller Verzweiflung platzte er damit heraus: »Bitte, ich muss gehen. Ich muss etwas erledigen.«
Mrs. Cummings’ müde Lippen verzogen sich ärgerlich. Aber die furchtsamen Augen des Jungen ließen sie innehalten. »Was ist los?«, wollte sie wissen. »Fühlst du dich nicht gut?«
Der Junge stand wie erstarrt, unfähig, ihr zu antworten. Die Klasse, von der Szene amüsiert, tuschelte und kicherte, bis Mrs. Cummings ärgerlich mit einem Schreiber auf ihr Pult klopfte. »Seid still«, zischte sie. Ihre Stimme wurde eine Spur sanfter. »Michael, wenn du nicht richtig funktionierst, geh hinunter in die Psychoambulanz. Der Versuch zu arbeiten ist sinnlos, wenn deine Reaktionen im Widerspruch dazu stehen. Miss Groves wird dich gern optimieren.«
»Nein«, sagte Foster.
»Was ist es dann?«
Die Klasse wurde unruhig. Stimmen antworteten für Foster; vor Kummer und Erniedrigung brachte er keinen Ton heraus: »Sein Vater ist ein Anti-B«, erklärten die Stimmen. »Sie haben keinen Bunker, und er ist nicht in der Bürgerwehr gemeldet. Sein Vater hat noch nicht mal die NATS unterstützt. Sie haben überhaupt nichts getan.«
Mrs. Cummings starrte den stummen Jungen verwundert an. »Ihr habt keinen Bunker?«
Er schüttelte den Kopf.
Ein seltsames Gefühl erfüllte die Frau. »Aber –« Sie hatte sagen wollen: Aber du wirst hier oben sterben.