Franz Kafka: Briefe an Milena - Franz  kafka - E-Book

Franz Kafka: Briefe an Milena E-Book

Franz kafka

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Beschreibung

Franz Kafka: Briefe an Milena ist eine faszinierende Sammlung von Briefen des berühmten Schriftstellers Franz Kafka an seine Geliebte Milena Jesenská. Der Leser wird in Kafkas persönliche Welt eingeführt, in der er seine Gedanken, Ängste und Hoffnungen offenbart. Die sprachliche Pracht und Tiefe seiner Briefe spiegeln Kafkas einzigartigen literarischen Stil wider und geben Einblick in den literarischen Kontext des frühen 20. Jahrhunderts. Die ungeschminkte Ehrlichkeit und Intimität der Briefe machen dieses Buch zu einem bewegenden Leseerlebnis. Franz Kafka, einer der bedeutendsten Schriftsteller seiner Zeit, zeigt in Briefen an Milena seine verletzliche Seite und seine tiefe Sehnsucht nach Verbindung und Liebe. Die Komplexität seiner Gedanken und Gefühle wird auf eindrucksvolle Weise dargestellt, was die Leser dazu einlädt, sich mit den tiefgründigen Fragen des Lebens auseinanderzusetzen. Für Liebhaber von Kafkas Werken und für all diejenigen, die sich für die tiefgründige Literatur des 20. Jahrhunderts interessieren, ist Franz Kafka: Briefe an Milena ein absolutes Muss, das Einblicke in das Leben und den Geist eines der wichtigsten Schriftsteller seiner Zeit bietet.

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Franz Kafka

Franz Kafka: Briefe an Milena

Ausgewählte Briefe an Kafkas große Liebe
            Books

Inhaltsverzeichnis

April 1920
Mai 1920
Juni 1920
Juli 1920
August 1920
September 1920
Oktober 1920
November 1920
März 1922
September 1922
Januar 1923
Februar 1923
Mai 1923
November 1923
Dezember 1923

April 1920

Inhaltsverzeichnis

April 1920

Liebe Frau Milena

von Prag schrieb ich Ihnen einen Zettel und dann von Meran. Antwort bekam ich keine. Nun waren ja die Zettel keiner besonders baldigen Antwort bedürftig und wenn Ihr Schweigen nichts anderes ist als ein Zeichen verhältnismäßigen Wohlbefindens, das sich ja oft in Abneigung gegenüber dem Schreiben ausdrückt, so bin ich ganz zufrieden. Es ist aber auch möglich, und deshalb schreibe ich - dass ich Sie in meinen Zetteln irgendwie verletzt habe (welche gegen allen meinen Willen grobe Hand hätte ich, wenn das geschehen sein sollte) oder, was freilich noch viel schlimmer wäre, dass der Augenblick ruhigen Aufatmens, von dem Sie schrieben, wieder vorüber und wieder eine schlechte Zeit für Sie gekommen ist. Zur ersten Möglichkeit weiß ich nichts zu sagen, so fern liegt mir das und alles andere so näher, zur zweiten Möglichkeit rate ich nicht - wie könnte ich raten? sondern frage nur: Warum fahren Sie nicht ein wenig aus Wien hinaus? Sie sind doch nicht heimatlos wie andere Leute. Gäbe Ihnen nicht ein Aufenthalt in Böhmen neue Kraft? Und wenn Sie aus irgendwelchen Gründen, die ich nicht kenne, vielleicht nicht nach Böhmen wollen, dann anderswohin, vielleicht wäre selbst Meran gut. Kennen Sie es?

Ich erwarte also zweierlei. Entweder weiteres Stillschweigen, das bedeutet: »Keine Sorge, mir geht es recht gut.« Oder aber paar Zeilen.

Herzlichst Kafka

Es fällt mir ein, dass ich mich an Ihr Gesicht eigentlich in keiner bestimmten Einzelheit erinnern kann. Nur wie Sie dann zwischen den Kaffeehaustischen weggingen, Ihre Gestalt, Ihr Kleid, das sehe ich noch.

April 1920

Liebe Frau Milena,

Sie mühen sich mit der Übersetzung inmitten der trüben Wiener Welt. Es ist irgendwie rührend und beschämend für mich. Von Wolff dürften Sie wohl schon einen Brief bekommen haben, wenigstens schrieb er mir schon vor längerer Zeit von einem solchen Brief. Eine Novelle »Mörder« die in einem Katalog angezeigt gewesen sein sollte, habe ich nicht geschrieben, es ist ein Mißverständnis; da sie aber die beste sein soll, mag es doch auch wieder richtig sein.

Nach Ihrem letzten und vorletzten Brief scheinen Unruhe und Sorge Sie ganz und endgiltig freigegeben zu haben, das bezieht sich wohl auch auf Ihren Mann, wie sehr wünsche ich es Ihnen beiden. Ich erinnere mich an einen Sonntagnachmittag vor Jahren, ich schlich auf dem Franzensquai an der Hauswand hin und traf Ihren Mann, der auch nicht viel großartiger mir entgegenkam, zwei Kopfschmerzen-Fachleute, jeder allerdings in seiner ganz andern Art. Ich weiß nicht mehr, ob wir dann miteinander weitergingen oder aneinander vorüber, der Unterschied zwischen diesen beiden Möglichkeiten dürfte nicht sehr groß gewesen sein. Aber das ist vergangen und soll tief vergangen bleiben. Ist es schön bei Ihnen zuhause?

Herzliche Grüße, Ihr Kafka

Meran-Untermais, Pension Ottoburg

April 1920

Liebe Frau Milena,

eben hat der zwei Tage und eine Nacht dauernde Regen aufgehört, wahrscheinlich zwar nur vorübergehend, immerhin ein Ereignis wert gefeiert zu werden und das tue ich indem ich Ihnen schreibe. Übrigens war auch der Regen zu ertragen, es ist eben die Fremde hier, eine kleine Fremde zwar nur, aber es tut dem Herzen wohl. Auch Sie haben sich wenn mein Eindruck richtig war (ein kleines vereinzeltes halbstummes Beisammensein ist in der Erinnerung offenbar nicht auszuschöpfen) über die Wiener Fremde gefreut, späterhin mag sie ja durch die allgemeinen Verhältnisse trübe geworden sein, aber freut Sie auch die Fremde als solche? (Was übrigens vielleicht ein schlimmes Zeichen wäre und nicht sein soll.)

Ich lebe hier recht gut, mehr Sorgfalt könnte der sterbliche Leib kaum ertragen, der Balkon meines Zimmers ist in einen Garten eingesenkt, umwachsen, überwachsen von blühenden Sträuchern (merkwürdig ist die Vegetation hier, bei einem Wetter, bei dem in Prag fast die Pfützen gefrieren, öffnen sich vor meinem Balkon langsam die Blüten), dabei voll der Sonne ausgesetzt (oder allerdings dem tief bewölkten Himmel, wie seit fast einer Woche schon), Eidechsen und Vögel, ungleiche Paare, besuchen mich: Ich würde Ihnen Meran so sehr gönnen, Sie schrieben letzthin einmal vom Nicht-atmen-können, Bild und Sinn sind darin sehr nah und beides mag hier ein wenig leichter werden.

Mit herzlichsten Grüßen Ihr F Kafka

April 1920

Also die Lunge. Den ganzen Tag habe ich es im Kopf herumgedreht, ich konnte an nichts anderes denken. Nicht dass ich über die Krankheit besonders erschrocken wäre, wahrscheinlich und hoffentlich - Ihre Andeutungen scheinen dafür zu sprechen - tritt sie bei Ihnen zart auf und selbst wirkliche Lungenkrankheit (mehr oder minder fehlerhafte Lungen hat halb Westeuropa), die ich an mir seit drei Jahren kenne, hat mir mehr Gutes als schlimmes gebracht. Vor etwa drei Jahren begann es bei mir mitten in der Nacht mit einem Blutsturz. Ich stand auf, angeregt wie man durch alles neue ist (statt liegen zu bleiben, wie ich es später als Vorschrift erfuhr), natürlich auch etwas erschreckt, ging zum Fenster, lehnte mich hinaus, ging zum Waschtisch, ging im Zimmer herum, setzte mich aufs Bett - immerfort Blut. Dabei aber war ich gar nicht unglücklich, denn ich wusste allmählich aus einem bestimmten Grunde, dass ich nach drei, vier fast schlaflosen Jahren, vorausgesetzt dass die Blutung aufhört, zum ersten mal schlafen werde. Es hörte auch auf (kam auch seitdem nicht wieder) und ich schlief den Rest der Nacht. Am Morgen kam zwar die Bedienerin (ich hatte damals eine Wohnung im Schönborn-Palais), ein gutes, fast aufopferndes, aber äußerst sachliches Mädchen, sah das Blut und sagte: »Pane doktore, s Vámi to dlouho nepotrvá.« Aber mir war besser als sonst, ich ging ins Bureau und erst Nachmittag zum Arzt. Die weitere Geschichte ist hier gleichgültig. Ich wollte nur sagen: Nicht Ihre Krankheit hat mich erschreckt, (zumal ich immerfort mir dazwischenfahre, an der Erinnerung herumarbeite, das fast Bäuerisch-Frische durch alle Zartheit erkenne und feststelle: nein, Sie sind nicht krank, eine Mahnung aber keine Krankheit der Lunge), nicht das also hat mich erschreckt, aber der Gedanke an das, was dieser Störung hat vorhergehn müssen. Dabei schalte ich zunächst aus, was sonst in Ihrem Briefe steht wie: keinen Heller - Tee und Apfel - täglich von 2-8 - das sind Dinge, die ich nicht verstehen kann, offenbar kann man das wirklich nur mündlich erklären. Davon sehe ich also hier ab (nur im Brief allerdings, denn vergessen kann man das nicht) und denke nur an die Erklärung, die ich mir damals für die Erkrankung in meinem Fall zurechtlegte und die für viele Fälle passt. Es war so, dass das Gehirn die ihm auferlegten Sorgen und Schmerzen nicht mehr ertragen konnte. Es sagte: »ich gebe es auf; ist hier aber noch jemand, dem an der Erhaltung des Ganzen etwas liegt, dann möge er mir etwas von meiner Last abnehmen und es wird noch ein Weilchen gehn.« Da meldete sich die Lunge, viel zu verlieren hatte sie ja wohl nicht. Diese Verhandlungen zwischen Gehirn und Lunge, die ohne mein Wissen vor sich gingen, mögen schrecklich gewesen sein.

Und was werden Sie nun tun? Es ist ja wahrscheinlich ein Nichts, wenn man Sie ein wenig behütet. Dass man Sie aber ein wenig behüten muss, muss doch jeder einsehen, der Sie lieb hat, da muss doch alles andere schweigen. Also auch eine Erlösung hier? Ich sagte ja - nein, ich will keine Späße machen, ich bin auch gar nicht lustig und werde es nicht früher, ehe Sie mir nicht geschrieben haben, wie Sie Ihre Lebensweise neu und gesunder einrichten. Warum Sie nicht ein wenig von Wien fortgehn, frage ich nach Ihrem letzten Brief nicht mehr, das verstehe ich jetzt, aber auch ganz nahe bei Wien gibt es doch schöne Aufenthalte und manche Möglichkeit für Sie zu sorgen. Ich schreibe heute von nichts anderem, es gibt nichts Wichtigeres, das ich vorzubringen habe. Alles andere morgen, auch den Dank für das Heft, das mich rührt und beschämt, traurig macht und freut. Nein, eines noch heute: Wenn Sie auch nur eine Minute Ihres Schlafes für Übersetzungsarbeit verwenden, so ist es so, wie wenn Sie mich verfluchen würden. Denn wenn es einmal zu einem Gericht kommt, wird man sich nicht in weitere Untersuchungen einlassen, sondern einfach feststellen: er hat sie um den Schlaf gebracht. Damit bin ich gerichtet und mit Recht. Ich kämpfe also für mich, wenn ich Sie bitte, das nicht mehr zu tun.

Ihr Franz K.

April 1920

Liebe Frau Milena,

heute will ich von anderem schreiben, aber es will nicht. Nicht dass ich es eigentlich ernst nähme; täte ich das, schriebe ich anders, aber hie und da sollte ein Liegestuhl irgendwo im Garten im halben Schatten für Sie bereit sein und etwa zehn Glas Milch in Reichweite Ihrer Hände. Es dürfte auch in Wien sein, gar jetzt im Sommer, aber ohne Hunger und Unruhe. Ist das nicht möglich? Und gibt es niemanden, der das möglich macht? Und was sagt der Arzt?

Als ich das Heft aus dem großen Kouvert zog, war ich fast enttäuscht. Ich wollte von Ihnen hören und nicht die allzu gut bekannte Stimme aus dem alten Grabe. Warum mischte sie sich zwischen uns? Bis mir dann einfiel, dass sie auch zwischen uns vermittelt hatte. Im übrigen aber ist es mir unbegreiflich, dass Sie diese große Mühe auf sich genommen haben, und tief rührend, mit welcher Treue Sie es getan haben, Sätzchen auf und ab, einer Treue, deren Möglichkeit und schöne natürliche Berechtigung, mit der Sie sie üben, ich in der tschechischen Sprache nicht vermutet habe. So nahe deutsch und tschechisch? Aber wie das auch sein mag, jedenfalls ist es eine abgründig schlechte Geschichte, mit einer Leichtigkeit, wie nichts sonst, könnte ich liebe Frau Milena Ihnen das fast Zeile für Zeile nachweisen, nur der Widerwille dabei wäre noch ein wenig stärker als der Beweis. Dass Sie die Geschichte gern haben, gibt ihr natürlich Wert, trübt mir aber ein wenig das Bild der Welt. Nichts mehr davon. Den »Landarzt« bekommen Sie von Wolff, ich habe ihm geschrieben.

Gewiss verstehe ich tschechisch. Schon einige mal wollte ich Sie fragen, warum Sie nicht einmal tschechisch schreiben. Nicht etwa deshalb, weil Sie das Deutsche nicht beherrschten. Sie beherrschen es meistens erstaunlich und wenn Sie es einmal nicht beherrschen, beugt es sich vor Ihnen freiwillig, das ist dann besonders schön; das wagt nämlich ein Deutscher von seiner Sprache gar nicht zu erhoffen, so persönlich wagt er nicht zu schreiben. Aber tschechisch wollte ich von Ihnen lesen, weil Sie ihm doch angehören, weil doch nur dort die ganze Milena ist (die Übersetzung bestätigt es), hier doch immerhin nur die aus Wien oder die auf Wien sich vorbereitende. Also tschechisch, bitte. Und auch die Feuilletons, von denen Sie schreiben. Mögen sie schäbig sein, Sie haben sich auch durch die Schäbigkeit der Geschichte durchgelesen, bis wohin? ich weiß nicht. Vielleicht kann ich das auch, sollte ich es aber nicht können, werde ich eben in dem allerbesten Vorurteil stecken bleiben.

Sie fragen nach meiner Verlobung. Ich war zweimal (wenn man will, dreimal, nämlich zweimal mit dem gleichen Mädchen) verlobt, also dreimal nur durch paar Tage von der Ehe getrennt. Das erste ist ganz vorüber (es gibt da schon eine neue Ehe und auch einen kleinen Jungen, wie ich höre), das zweite lebt noch, aber ohne jede Aussicht auf Ehe, lebt also eigentlich nicht oder lebt vielmehr ein selbstständiges Leben auf Kosten der Menschen. Im Ganzen habe ich hier und anderswo gefunden, dass die Männer vielleicht mehr leiden oder wenn man es so ansehen will, hier weniger Widerstandskraft haben, dass aber die Frauen immer ohne Schuld leiden und zwar nicht so, dass sie etwa »nicht dafür können« sondern im eigentlichsten Sinn, der allerdings wieder vielleicht in das »nicht dafür können« mündet. Im übrigen ist das Nachdenken über diese Dinge unnütz. Es ist so wie wenn man sich anstrengen wollte, einen einzigen Kessel in der Hölle zu zerschlagen, erstens gelingt es nicht und zweitens, wenn es gelingt, verbrennt man zwar in der glühenden Masse die herausfließt, aber die Hölle bleibt in ihrer ganzen Herrlichkeit bestehen. Man muss es anders anfangen.

Zunächst aber jedenfalls sich in einen Garten legen und aus der Krankheit, besonders wenn es keine eigentliche ist, soviel Süßigkeit ziehen, als nur möglich. Es ist viel Süßigkeit darin.

Ihr Franz K.

Mai 1920

Inhaltsverzeichnis

Mai 1920

Liebe Frau Milena,

zunächst, damit Sie es nicht etwa ohne meinen Willen aus meinem Brief herauslesen: ich bin seit etwa vierzehn Tagen in einer sich immer noch verstärkenden Schlaflosigkeit, grundsätzlich nehme ich es nicht schlimm, solche Zeiten kommen und gehen und haben immer einige Ursachen (nach Baedeker kann es lächerlicher Weise auch die Meraner Luft sein) mehr als sie brauchen, selbst wenn diese Ursachen manchmal kaum sichtbar sind, jedenfalls machen sie einen aber stumpf wie einen Klotz und dabei unruhig wie ein Waldtier.

Eine Genugtuung aber habe ich. Sie haben ruhig geschlafen, zwar noch »merkwürdig«, zwar war noch gestern ein »Außer-Fassung-sein«, aber doch ruhig geschlafen. Wenn der Schlaf also in der Nacht an mir vorübergeht, kenne ich seinen Weg und nehme es hin. Es wäre übrigens auch sonst dumm sich aufzulehnen, der Schlaf ist das unschuldigste Wesen und der schlaflose Mensch das schuldigste.

Und diesem schlaflosen Menschen danken Sie in Ihrem letzten Brief. Wenn ein Fremder ohne Kenntnis der Sache das lesen würde, müsste er denken: »Was für ein Mensch! In diesem Fall scheint er Berge versetzt zu haben.« Unterdessen hat er gar nichts getan, keinen Finger (außer dem Schreibefinger) gerührt, nährt sich von Milch und guten Dingen, ohne immer (wenn auch oft) »Tee und Äpfel« vor sich zu sehn und lässt im übrigen die Dinge ihren Gang gehn und die Berge auf ihren Plätzen. Kennen Sie die Geschichte von Dostojewskis erstem Erfolg? Es ist eine Geschichte die sehr viel zusammenfasst und die ich überdies nur aus Bequemlichkeit wegen des großen Namens zitiere, denn eine Geschichte von nebenan oder noch näher hätte die gleiche Bedeutung.

Übrigens kenne ich die Geschichte nur schon ungenau, gar die Namen. Dostojewski schrieb seinen ersten Roman »Arme Leute«, er lebte damals mit einem befreundeten Literaten Grigoriew. Der sah zwar monatelang auf dem Tisch die vielen beschriebenen Blätter, bekam aber das Manuskript erst, als der Roman fertig war. Er las ihn, war entzückt und trug ihn, ohne Dostojewski etwas zu sagen, zu dem damals berühmten Kritiker Nekrassow. In der Nacht darauf um 3 Uhr läutet es an Dostojewskis Tür. Es sind Grigoriew und Nekrdssow, sie dringen ins Zimmer, umarmen und küssen D., Nekrassow, der ihn bisher nicht gekannt hat, nennt ihn die Hoffnung Russlands, sie verbringen ein, zwei Stunden mit Gesprächen, die hauptsächlich den Roman betreffen, erst gegen Morgen nehmen sie Abschied. Dostojewski, der diese Nacht immer die glücklichste seines Lebens genannt hat, lehnt am Fenster, sieht ihnen nach, kann sich nicht fassen und fängt zu weinen an. Sein Grundgefühl hiebei, das er, ich weiß nicht mehr wo, beschrieben hat, war etwa: »Diese herrlichen Menschen! Wie gut und edel sie sind! Und wie gemein ich bin! Wenn sie in mich sehen könnten! Wenn ich es ihnen nur sage, so glauben sie es nicht.« Dass sich dann Dostojewski auch noch vornahm, ihnen nachzueifern, ist nur ein Schnörkel, ist nur noch das letzte Wort, das die unbesiegbare Jugend haben muss, und gehört nicht mehr zu meiner Geschichte, die also zu Ende ist. Merken Sie liebe Frau Milena das Geheimnisvolle, vom Verstand nicht zu Durchdringende dieser Geschichte? Es ist, glaube ich, dieses: Grigoriew und Nekrassow waren, soweit man allgemein davon sprechen kann, gewiß nicht edler als Dostojewski, aber nun lassen Sie den allgemeinen Überblick, den ja auch Dostojewski in jener Nacht nicht verlangte und der im Einzelfall nichts nützt, hören Sie nur auf Dostojewski und Sie werden überzeugt sein, dass Grigoriew und Nekrassow wirklich herrlich waren, Dostojewski unrein, gemein ohne Ende, dass er natürlich Grigoriew und Nekrassow niemals auch nur von der Ferne erreichen wird, von einem Abzahlen ihrer ungeheueren, unverdienten Wohltat wird erst recht niemals die Rede sein. Man sieht sie förmlich vom Fenster aus, wie sie sich entfernen und damit ihre Unnahbarkeit andeuten. - Leider wird die Bedeutung der Geschichte durch den großen Namen Dostojewskis verwischt.

Wohin hat mich meine Schlaflosigkeit geführt? Gewiss zu nichts, das nicht sehr gut gemeint wäre.

Ihr Franz K

Mai 1920

Liebe Frau Milena,

nur paar Worte, ich schreibe Ihnen wohl morgen wieder, heute schreibe ich nur meinetwegen, nur um etwas für mich getan zu haben, nur um den Eindruck Ihres Briefes ein wenig von mir fortzuheben, er säße sonst auf mir Tag und Nacht. Sie sind sehr sonderbar Frau Milena, Sie leben dort in Wien, müssen dies und jenes leiden und haben dazwischen noch Zeit sich zu wundern, dass es andern, etwa mir, nicht besonders gut geht und dass ich eine Nacht ein wenig schlechter schlafe als die vorige. Da hatten meine hiesigen drei Freundinnen (drei Schwestern, die älteste fünf Jahre alt) eine vernünftigere Auffassung, sie wollten mich bei jeder Gelegenheit, ob wir beim Fluss waren oder nicht, ins Wasser werfen und zwar nicht etwa deshalb weil ich ihnen etwas Böses getan hatte, durchaus nicht. Wenn Erwachsene Kindern so drohen, so ist das natürlich Scherz und Liebe und bedeutet etwa: Jetzt wollen wir zum Spaß einmal das Aller unmöglichste sagen. Aber Kinder sind ernst und kennen keine Unmöglichkeit, zehnmaliges Misslingen des Hinunterwerfens wird sie nicht überzeugen können, dass es nächstens nicht gelingen wird, ja sie wissen nicht einmal dass es in den zehn Fällen vorher nicht gelungen ist. Unheimlich sind Kinder, wenn man ihre Worte und Absichten ausfüllt mit dem Wissen des Erwachsenen. Wenn eine solche kleine Vierjährige, die zu nichts da zu sein scheint, als sie zu küssen und an sich zu drücken, dabei stark wie ein kleiner Bär, noch ein wenig bauchig aus den alten Säuglingszeiten her, gegen einen losgeht und die zwei Schwestern helfen ihr rechts und links und hinter sich hat man nur schon das Geländer und der freundliche Kinder-Vater und die sanfte schöne dicke Mutter (beim Wägelchen ihres vierten) lächeln von der Ferne dem zu und wollen gar nicht helfen, dann ist es fast zu ende und es ist kaum möglich zu beschreiben wie man doch gerettet wurde. Vernünftige oder ahnungsvolle Kinder, wollten mich hinunterwerfen ohne besonderen Grund, vielleicht weil sie mich für überflüssig hielten und kannten doch nicht einmal Ihre Briefe und meine Antworten.

Das »gut gemeint« im letzten Brief muss Sie nicht schrecken. Es war eine Zeit, eine hier nicht vereinzelte Zeit vollkommener Schlaflosigkeit, ich hatte die Geschichte niedergeschrieben, diese oft im Zusammenhang mit Ihnen durchdachte Geschichte aber als ich mit ihr zu ende war, konnte ich zwischen der Schläfenspannung rechts und links nicht mehr genau erkennen, warum ich sie erzählt hatte, außerdem war da noch gestaltlos die Menge dessen was ich Ihnen draußen auf dem Balkon im Liegestuhl hatte sagen wollen und so blieb mir nichts übrig als mich auf das Grundgefühl zu berufen, ich kann ja auch jetzt nicht viel anderes.

Sie haben alles was von mir erschienen ist außer dem letzten Buch »Landarzt«, einer Sammlung kleiner Erzählungen, die Ihnen Wolff schicken wird, wenigstens habe ich ihm vor einer Woche deshalb geschrieben. Im Druck ist nichts, ich wüsste auch nicht was kommen könnte. Alles was Sie mit den Büchern und Übersetzungen tun werden, wird richtig sein, schade dass sie mir nicht wertvoller sind, damit die Übergabe in Ihre Hände das Vertrauen das ich zu Ihnen habe wirklich ausdrückte. Dagegen freue ich mich durch paar Bemerkungen über den Heizer, die Sie wünschen, wirklich ein kleines Opfer bringen zu können, es wird der Vorgeschmack jener Höllenstrafe sein, die darin besteht dass man sein Leben nochmals mit dem Blick der Erkenntnis durchnehmen muss, wobei das Schlimmste nicht die Durchsicht der offenbaren Untaten ist sondern jener Taten die man einstmals für gut gehalten hat.

Trotzallem aber ist das Schreiben doch gut, mir ist ruhiger als vor zwei Stunden mit Ihrem Brief draußen auf dem Liegestuhl. Ich lag dort, einen Schritt von mir war ein Käfer auf den Rücken gefallen und war verzweifelt, konnte sich nicht aufrichten, ich hätte ihm gern geholfen, so leicht war ihm zu helfen, eine offenbare Hilfe konnte man durchführen mit einem Schritt und einem kleinen Stoß, aber ich vergaß ihn über Ihrem Brief, ich konnte auch nicht aufstehn, erst eine Eidechse machte mich wieder auf das Leben um mich aufmerksam, ihr Weg führte sie über den Käfer, der schon ganz still war, es war also, sagte ich mir, kein Unfall gewesen, sondern ein Todeskampf, das seltene Schauspiel des natürlichen Tier-Sterbens; aber als die Eidechse über ihn hinweggerutscht war, hatte sie ihn damit aufgerichtet, zwar lag er noch ein Weilchen totstill, dann aber lief er wie selbstverständlich die Hausmauer hinauf. Irgendwie bekam ich wahrscheinlich dadurch auch ein wenig Mut wieder, stand auf, trank Milch und schrieb Ihnen.

Ihr Franz K

Morgen schicke ich Ihnen die Bemerkungen, es wird übrigens sehr wenig sein, seitenlang gar nichts, die wie selbstverständliche Wahrheit der Übersetzung ist mir wenn ich das Selbstverständliche von mir abschüttle immer wieder erstaunlich, kaum ein Mißverständnis, das wäre ja noch gar nicht so viel, aber immer kräftiges und entschlossenes Verstehn. Nur weiß ich nicht, ob nicht Tschechen Ihnen die Treue, das was mir das Liebste an der Übersetzung ist (nicht einmal der Geschichte wegen sondern meinetwegen), vorwerfen; mein tschechisches Sprachgefühl, ich habe auch eines, ist voll befriedigt, aber es ist äußerst voreingenommen. Jedenfalls, wenn es Ihnen jemand vorwerfen sollte, suchen Sie die Kränkung mit meiner Dankbarkeit auszugleichen.

Mai 1920

Liebe Frau Milena

(ja die Überschrift wird lästig, aber es ist einer jener Griffe in der unsichern Welt, an denen sich Kranke anhalten können und es ist noch kein Beweis der Gesundung wenn ihnen die Griffe lästig werden) ich habe niemals unter deutschem Volk gelebt, Deutsch ist meine Muttersprache und deshalb mir natürlich, aber das tschechische ist mir viel herzlicher, deshalb zerreißt Ihr Brief manche Unsicherheiten, ich sehe Sie deutlicher, die Bewegungen des Körpers, der Hände, so schnell, so entschlossen, es ist fast eine Begegnung, allerdings wenn ich dann die Augen bis zu Ihrem Gesicht heben will, bricht dann im Verlauf des Briefes - was für eine Geschichte! -

Feuer aus und ich sehe nichts als Feuer.

Es könnte dazu verführen, an das Gesetz Ihres Lebens, das Sie aufstellen zu glauben. Dass Sie wegen des Gesetzes, unter dem Sie angeblich stehn, nicht bedauert werden wollen, ist ja selbstverständlich, denn die Aufstellung des Gesetzes ist nichts als reiner Hochmut und Überhebung (já jsem ten který platí), die Proben; die Sie für das Gesetz gegeben haben, sind allerdings nicht weiter zu besprechen, da kann man nur still Ihre Hand küssen. Was mich betrifft, so glaube ich ja an Ihr Gesetz, nur glaube ich nicht, dass es so blank grausam und auszeichnend für immer über Ihrem Leben steht, es ist zwar eine Erkenntnis, aber nur eine Erkenntnis auf dem Wege und der Weg ist unendlich.

Davon aber unbeeinflusst ist es für den irdisch beschränkten Verstand eines Menschen schrecklich, Sie in dem überheizten Ofen zu sehn, in dem Sie leben. Ich will einmal nur von mir sprechen. Sie hatten, wenn man das Ganze etwa als Schulaufgabe ansieht, mir gegenüber dreierlei Möglichkeiten. Sie hätten mir zum Beispiel gar nichts von sich sagen können, dann hätten Sie mich aber um das Glück gebracht, Sie zu kennen und, was noch größer ist als das Glück, mich selbst daran zu erproben. Also durften Sie es mir nicht verschlossen halten. Dann hätten Sie mir manches verschweigen oder schönfärben können und könnten das noch, aber das würde ich in dem jetzigen Stande herausfühlen, auch wenn ich es nicht sagte und es würde mir doppelt weh tun. Also auch das dürfen Sie nicht tun. Bleibt dann als dritte Möglichkeit nur: sich selbst ein wenig zu retten suchen. Eine kleine Möglichkeit zeigt sich ja in Ihren Briefen. Öfters lese ich von Ruhe und Festigkeit, öfters freilich vorläufig noch von anderem und zum Schluss gar: »reelní hrůza«.

Was Sie über Ihre Gesundheit sagen (meine ist gut, nur mein Schlaf ist in der Bergluft schlecht) genügt mir nicht. Die Diagnose des Arztes finde ich nicht übermäßig günstig, vielmehr ist sie weder günstig noch ungünstig, nur Ihr Verhalten kann entscheiden, welche Deutung man ihr geben soll. Gewiss, die Ärzte sind dumm oder vielmehr sie sind nicht dümmer als andere Menschen aber ihre Prätentionen sind lächerlich, immerhin, damit muss man rechnen, dass sie von dem Augenblick an, wo man sich mit ihnen einlässt, immer dümmer werden und was der Arzt vorläufig verlangt ist weder sehr dumm noch unmöglich. Unmöglich ist, dass Sie wirklich krank werden und diese Unmöglichkeit soll bleiben. Worin hat sich Ihr Leben verändert, seitdem Sie mit dem Arzt gesprochen haben - das ist die Hauptfrage.

Dann noch einige Nebenfragen, die Sie mir erlauben mögen: warum und seit wann haben Sie kein Geld? Warum haben Sie, wie Sie schreiben, früher mit vielen Leuten in Wien verkehrt und jetzt mit niemandem?

Ihre Feuilletons wollen Sie mir nicht schicken, Sie haben also nicht das Vertrauen zu mir, dass ich diese Feuilletons in dem Bilde das ich mir von Ihnen mache, an der richtigen Stelle einzeichnen kann. Gut, dann bin ich also in diesem Punkte mit Ihnen böse, was übrigens kein Unglück ist, denn es ist schon wegen des Ausgleiches ganz gut, wenn in einem Winkel des Herzens ein wenig Böse Sein für Sie bereit liegt.

Ihr Franz K

Mai 1920

Liebe Frau Milena,

der Tag ist so kurz, mit Ihnen und sonst nur mit ein paar Kleinigkeiten ist er verbracht und ist zu Ende. Kaum dass ein Weilchen Zeit bleibt an die wirkliche Milena zu schreiben, da die noch wirklichere den ganzen Tag hier war, im Zimmer, auf dem Balkon, in den Wolken.

Woher kommt die Frische, die Laune, die Unbekümmertheit in Ihrem letzten Brief? Hat sich etwas geändert? Oder täusche ich mich und helfen die Prosastücke dabei mit? Oder beherrschen Sie sich so gut und damit auch die Dinge? Was ist es?

Ihr Brief beginnt richterlich, ich meine das im Ernst. Und Sie haben recht mit dem Vorwurf »či ne tak docela pravdu« so wie Sie im Grunde recht hatten hinsichtlich des »dobře míněno« Es ist ja selbstverständlich. Hätte ich voll und dauernd die Sorge so wie ich es geschrieben habe, ich hätte es über alle Hindernisse hinweg auf dem Liegestuhl nicht ausgehalten und wäre einen Tag später in Ihrem Zimmer gestanden. Die einzige Probe auf die Wahrhaftigkeit, alles andere sind Reden, dieses mit eingeschlossen. Oder Berufungen auf das Grundgefühl, dieses aber ist stumm und hat die Hände im Schoß.

Wie kommt es, dass Sie die lächerlichen Leute, die welche Sie beschreiben (mit Liebe und deshalb zauberhaft beschreiben), dann den welcher fragt und viele andere noch nicht satt haben. Sie haben doch zu urteilen, die Frau urteilt doch am Ende. (Die Sage von Paris verdunkelt das ein wenig, aber auch Paris urteilt nur darüber, welcher Göttin Schlussurteil das stärkste ist). Es käme ja nicht auf die Lächerlichkeiten an, es könnten nur Lächerlichkeiten des Augenblicks sein, die dann im Ganzen ernst und gut werden, ist es diese Hoffnung, die Sie bei diesen Menschen hält? Wer kann sagen, dass er die geheimen Gedanken der Richterin kennt, aber ich habe den Eindruck, dass Sie die Lächerlichkeiten als solche verzeihen, verstehn, lieben und durch Ihre Liebe adeln. Während doch diese Lächerlichkeiten nichts anderes sind als das Zick-Zack-Laufen der Hunde, während der Herr querdurch geht, nicht gerade mitten durch, sondern genau dort, wo der Weg führt. Aber es wird trotzdem ein Sinn in Ihrer Liebe sein, das glaube ich fest (nur fragen und es sonderbar finden, muss ich) und es fällt mir, um nur eine Möglichkeit dessen zu bekräftigen, ein Ausspruch eines Beamten aus meiner Anstalt ein. Vor einigen Jahren war ich viel im Seelentränker auf der Moldau, ich ruderte hinauf und fuhr dann ganz aus gestreckt mit der Strömung hinunter, unter den Brücken durch. Wegen meiner Magerkeit mag das von der Brücke aus sehr komisch ausgesehn haben. Jener Beamte, der mich eben so einmal von der Brücke sah, fasste seinen Eindruck, nachdem er das Komische genügend hervorgehoben hatte, so zusammen: es hätte so ausgesehn, wie vor dem Jüngsten Gericht. Es wäre wie jener Augenblick gewesen, da die Sargdeckel schon abgehoben waren, die Toten aber noch stillagen.

Einen kleinen Ausflug habe ich gemacht (nicht jenen großen, den ich erwähnt Habe und der nicht zustande kam) und war fast drei Tage fast unfähig, vor (einer nicht unangenehmen) Müdigkeit etwas zu tun, selbst zu schreiben, nur gelesen habe ich, den Brief, die Aufsätze, öfters, in der Meinung, dass solche Prosa natürlich nicht um ihrer selbst willen da ist, sondern eine Art Wegzeiger auf dem Weg zu einem Menschen, auf einem Weg, auf dem man immer glücklicher weitergeht, bis man in einem hellen Augenblick erkennt, dass man ja gar nicht weiter kommt, sondern nur in seinem eigenen Labyrinth noch umherläuft, nur aufgeregter, verwirrter als sonst. Aber jedenfalls: das ist keine gewöhnliche Schreiberin, die das geschrieben hat. Ich habe danach zu Ihrem Schreiben fast so viel Vertrauen wie zu Ihnen selbst. Ich kenne (bei meiner geringen Kenntnis) im Tschechischen nur eine Sprachmusik, die der Božena Němcová, hier ist eine andere Musik, aber jener verwandt an Entschlossenheit, Leidenschaft, Lieblichkeit und vor allem einer hellsichtigen Klugheit. Sollten das erst die letzten Jahre hervorgerufen haben? Schrieben Sie auch früher? Sie können natürlich sagen, dass ich lächerlich voreingenommen bin und Sie haben auch recht, gewiss bin ich voreingenommen, aber voreingenommen nur durch das, was ich nicht erst in den (übrigens ungleichen, stellenweise durch die Zeitung schädlich beeinflussten) Stücken gefunden, sondern wiedergefunden habe. Die Minderwertigkeit meines Urteils können Sie aber gleich daran erkennen, dass ich, durch zwei Stellen verführt, auch den zerschnittenen Modeaufsatz für Ihre Arbeit halte. Sehr gern würde ich mir die Ausschnitte lassen, um sie wenigstens noch meiner Schwester zu zeigen, aber da Sie sie gleich brauchen lege ich sie bei, auch sehe ich die Rechenoperationen am Rande.

Ihren Mann habe ich wohl anders beurteilt. Er schien mir in dem Kaffeehauskreis der verlässlichste, verständigste, ruhigste, fast übertrieben väterlich, allerdings auch undurchsichtig, aber nicht so, dass das Vorige dadurch aufgehoben worden wäre. Respekt hatte ich immer vor ihm, zur weiteren Kenntnis hatte ich weder Gelegenheit noch Fähigkeit, aber Freunde, besonders Max Brod hatten eine hohe Meinung von ihm, das war mir dann immer gegenwärtig, wenn ich an ihn dachte.

Besonders gefiel mir zu einer Zeit seine Eigenheit in jedem Kaffeehaus am Abend einigemal antelephoniert zu werden. Da saß wohl jemand statt zu schlafen beim Apparat, dämmerte hin, den Kopf auf der Rückenlehne und schreckte von Zeit zu Zeit auf um zu telephonieren. Ein Zustand, den ich so gut verstehe, dass ich vielleicht nur deshalb davon schreibe.

Ihr Franz K

Was meinen Sie? kann ich noch bis Sonntag einen Brief bekommen? Möglich wäre es schon. Aber es ist unsinnig, diese Lust an Briefen. Genügt nicht ein einziger, genügt nicht ein Wissen? Gewiss genügt es, aber trotzdem lehnt man sich weit zurück und trinkt die Briefe und weiß nichts als dass man nicht aufhören will zu trinken. Erklären Sie das, Milena, Lehrerin!

Mai 1920

Wie ist es, Milena, mit Ihrer Menschenkenntnis? Manchmal schon zweifelte ich an ihr, zum Beispiel wenn Sie von Werfel schrieben, es sprach ja daraus auch Liebe und vielleicht nur Liebe, aber doch missverstehende und wenn man von allem absieht, was Werfel ist und nur bei dem Vorwurf der Dicke bleibt (der mir überdies unberechtigt scheint, Werfel wird mir schöner und liebenswerter von Jahr zu Jahr, ich sehe ihn allerdings nur flüchtig) wissen Sie denn nicht, dass nur die Dicken vertrauenswürdig sind? Nur in diesen starkwandigen Gefäßen wird alles zu ende gekocht, nur diese Kapitalisten des Luftraums sind, soweit es bei Menschen möglich ist, geschützt vor Sorgen und, Wahnsinn und können sich ruhig mit ihrer Aufgabe beschäftigen und sie allein sind, wie einmal einer sagte, als eigentliche Erdenbürger auf der ganzen Erde verwendbar, denn im Norden wärmen sie und im Süden geben sie Schatten. (Man kann das allerdings auch umkehren, aber es ist dann nicht wahr.)

Dann das Judentum. Sie fragen mich ob ich Jude bin, vielleicht ist das nur Scherz, vielleicht fragen Sie nur ob ich zu jenem ängstlichen Judentum gehöre, jedenfalls können Sie als Pragerin in dieser Hinsicht nicht so harmlos sein wie etwa Mathilde, Heines Frau. (Vielleicht kennen Sie die Geschichte nicht. Es kommt mir vor, als hätte ich Ihnen Wichtigeres zu erzählen, auch schade ich mir irgendwie zweifellos, nicht durch die Geschichte, aber durch deren Erzählung; aber Sie wollen doch auch einmal etwas Hübsches von mir hören. Meißner, ein deutsch-böhmischer Dichter, kein Jude, erzählt es in seinen Erinnerungen. Mathilde ärgerte ihn immer mit ihren Ausfällen gegen die Deutschen: die Deutschen seien boshaft, überwitzig, rechthaberisch, wortklauberisch, aufdringlich, kurz ein unerträgliches Volk! »Sie kennen doch die Deutschen gar nicht« sagte dann endlich einmal Meißner. »Henry verkehrt doch nur mit deutschen Journalisten und die sind hier in Paris alle Juden.« »Ach« sagte Mathilde »da übertreiben Sie, es mag ja hie und da unter Ihnen ein Jude sein, zum Beispiel Seiffert -«. »Nein« sagte Meißner »das ist der einzige Nichtjude.« »Wie?« sagte Mathilde »Jeitteles zum Beispiel (es war ein großer starker blonder Mensch) wäre ein Jude?« »Allerdings« sagte Meißner. »Aber Bamberger?« »Auch.« »Aber Amstein?« »Ebenso.« So gieng es weiter alle Bekannten durch. Schließlich wurde Mathilde ärgerlich und sagte: »Sie wollen mich ja nur zum Besten halten, zu guter Letzt werden Sie noch behaupten wollen, auch Kohn sei ein jüdischer Name, aber Kohn ist doch ein Vetter von Henry und Henry ist Lutheraner.« Dagegen konnte Meißner nichts mehr einwenden.) Jedenfalls scheinen Sie keine Angst vor dem Judentum zu haben.

Das ist auf das letzte oder vorletzte Judentum unserer Städte bezogen etwas Heldenhaftes und - alle Scherze weit weg! ~ wenn ein reines Mädchen zu Ihren Verwandten sagt: »Laßt mich« und dorthin auszieht, dann ist es mehr als der Auszug der Jungfrau von Orleans aus ihrem Dorfe.Sie dürfen dann auch den Juden jene besondere Ängstlichkeit vorwerfen, trotzdem ein solcher allgemeiner Vorwurf mehr teoretische als praktische Menschenkenntnis enthält, mehr teoretische, denn erstens trifft der Vorwurf nach Ihrer frühern Beschreibung Ihren Mann gar nicht, zweitens trifft er nach meiner Erfahrung die meisten Juden nicht und drittens trifft er nur Vereinzelte, diese aber sehr stark zum Beispiel mich. Das Merkwürdigste ist es ja, daß der Vorwurf allgemein nicht paßt. Die unsichere Stellung der Juden, unsicher in sich, unsicher unter den Menschen, würde es über alles begreiflich machen, daß sie nur das zu besitzen glauben dürfen, was sie in der Hand oder zwischen den Zähnen halten, daß ferner nur handgreiflicher Besitz ihnen Recht auf das Leben gibt und daß sie, was sie einmal verloren haben, niemals wieder erwerben werden, sondern daß es glückselig für immer von ihnen fortschwimmt. Von den unwahrscheinlichsten Seiten drohen den Juden Gefahren oder lassen wir um genauer zu sein die Gefahren weg und sagen: »drohen ihnen Drohungen.« Ein Ihnen naheliegendes Beispiel. Ich habe zwar vielleicht versprochen davon zu schweigen (zu einer Zeit, als ich Sie noch kaum kannte) aber ich habe kein Bedenken es Ihnen gegenüber zu erwähnen, denn es sagt Ihnen nichts Neues, zeigt Ihnen die Liebe der Verwandten und Namen und Details sage ich nicht, weil ich sie nicht mehr weiß. Meine jüngste Schwester soll einen Tschechen, einen Christen heiraten, er, sprach einmal von seiner Absicht, eine Jüdin zu heiraten, mit einer Verwandten von Ihnen, sie sagte: »Nur das nicht, nur nicht mit Juden sich verbinden! Hören Sie: unsere Milena u.s.w.«

Wohin wollte ich Sie mit dem allen führen? Ich habe mich ein wenig verirrt, aber es tut nichts, denn Sie sind vielleicht mitgegangen und nun sind wir beide verirrt. Das ist ja das eigentlich Schöne bei Ihrer Übersetzung, daß sie treu ist (zanken Sie mich nur wegen des »treu« aus, Sie können alles, aber zanken können Sie vielleicht am besten, ich wollte Ihr Schüler sein und immerfort Fehler machen, um nur immerfort von Ihnen ausgezankt werden zu dürfen; man sitzt auf der Schulbank, wagt kaum aufzuschauen, Sie sind über einen gebeugt und immerfort flimmert oben Ihr Zeigefinger, mit dem Sie Aussetzungen machen, ist es so?) also daß sie »treu« ist und daß ich das Gefühl habe, als führte ich Sie an der Hand hinter mir durch die unterirdischen, finstern, niedrigen, häßlichen Gänge der Geschichte, fast endlos (deshalb sind die Sätze endlos, haben Sie das nicht erkannt?) fast endlos (zwei Monate nur, sagen Sie?) um dann beim Ausgang im hellen Tag hoffentlich, den Verstand zu haben, zu verschwinden.

Eine Mahnung für heute abzubrechen, für heute die glückbringende Hand freizugeben. Morgen schreibe ich wieder und werde erklären, warum ich, soweit ich für mich bürgen kann, nicht nach Wien kommen werde und werde mich flicht früher damit beruhigen, ehe Sie sagen: Er hat recht.

Ihr F

Bitte schreiben Sie die Adresse ein wenig deutlicher, ist Ihr Brief schon im Umschlag dann ist er schon fast mein Eigentum und Sie sollen fremdes Eigentum, sorgfältiger, mit mehr Verantwortungsgefühl behandeln. Tak. (So.) Ich habe übrigens auch den Eindruck, ohne es näher bestimmen zu können, daß ein Brief von mir verloren gegangen ist. Ängstlichkeit des Juden! Statt zu fürchten, daß die Briefe gut ankommen! Jetzt werde ich noch etwas Dummes zur gleichen Sache sagen, d. h. dumm ist daß ich etwas, was ich für richtig halte, sage, ohne Rücksicht darauf daß es mir schadet. Und dann redet noch Milena von Angstlichkeit, gibt mir einen Stoß vor die Brust oder fragt, was im Tschechischen an Bewegung und Klang ganz dasselbe ist: jste žid (Sind Sie Jude)?

Sehen Sie nicht, wie im: »jste« die Faust zurückgezogen wird, um Muskelkraft anzusammeln? Und dann im »žid« den freudigen, unfehlbaren, vorwärts fliegenden Stoß? Solche Nebenwirkungen hat für das deutsche Ohr die tschechische Sprache öfters.

Sie fragten zum Beispiel einmal, wie es komme, daß ich meinen hiesigen Aufenthalt von einem Brief abhängig mache und antworteten gleich selbst: nechápu (Verstehe ich nicht). Ein fremdartiges Wort im Tschechischen und gar in Ihrer Sprache, es ist so streng, teilnahmslos, kaltäugig, sparsam und vor allem nußknackerhaft, dreimal krachen im Wort die Kiefer aufeinander oder richtiger: die erste Silbe macht einen Versuch die Nuß zu fassen, es geht nicht, dann reißt die zweite Silbe den Mund ganz groß auf, nun paßt schon die Nuß hinein und die dritte Silbe endlich knackt, hören Sie die Zähne? Besonders dieses endgiltige Schließen der Lippen am Schluß verbietet dem andern jede andere weitere gegenteilige Erklärung, was ja allerdings manchmal recht gut ist zum Beispiel wenn der andere so schwätzt wie jetzt ich. Worauf der Schwätzer wieder um Verzeihung bittend sagt: »Man schwätzt doch nur, wenn man einmal ein wenig froh ist«Allerdings Brief kam heute von Ihnen nicht. Und was ich zum Schluß eigentlich sagen wollte, habe ich auch noch nicht gesagt.

Nächstens. Gern, gern würde ich morgen etwas von Ihnen hören, die letzten Worte die ich von Ihnen vor dem Zuschlagen der Tür - alle zuschlagenden Türen sind abscheulich - gehört habe, sind schrecklich.

Ihr F

Mai 1920

Also die gestern versprochene Erklärung:

Ich will nicht (Milena, helfen Sie mir! Verstehen Sie mehr, als ich sage!) ich will nicht (das ist kein Stottern) nach Wien kommen, weil ich die Anstrengung geistig nicht aushalten würde. Ich bin geistig krank, die Lungenkrankheit ist nur ein Aus-den-Ufern-treten der geistigen Krankheit. Ich bin so krank seit den 4, 5 Jahren meiner ersten zwei Verlobungen. (Ich konnte mir die Fröhlichkeit Ihres letzten Briefes nicht gleich erklären, später erst fiel mir die Erklärung ein, immer wieder vergesse ich es: Sie sind ja so jung, vielleicht gar nicht 25 Jahre, erst 23 vielleicht. Ich bin 37, fast 38, fast ein kleines Menschenalter älter, fast weißhaarig von den alten Nächten und Kopfschmerzen.) Ich will nicht die lange Geschichte vor Ihnen ausbreiten mit ihren wahren Wäldern von Einzelnheiten, vor denen ich mich noch immer fürchte, wie ein Kind nur ohne des Kindes Vergessenskraft. Gemeinsam war den 3 Verlobungsgeschichten, daß ich an allem schuld war, ganz unanzweifelbar schuld, beide Mädchen habe ich unglücklich gemacht und zwar - hier rede ich nur von der ersten, von der zweiten kann ich nicht sprechen, sie ist empfindlich, jedes Wort auch das freundlichste wäre die ungeheuerlichste Kränkung für sie, ich verstehe es - und zwar nur dadurch, daß ich durch sie (die sich, wenn ich es gewollt hätte, vielleicht geopfert hätte) nicht dauernd froh, nicht ruhig, nicht entschlossen, nicht heiratsfähig werden konnte, trotzdem ich es ihr höchst freiwillig immer wieder zugesichert hatte, trotzdem ich sie manchmal verzweifelt lieb hatte, trotzdem ich nichts erstrebenswerteres kannte als die Ehe an sich. Fast 5 Jahre habe ich auf sie eingehauen (oder, wenn Sie wollen, auf mich) nun, glücklicherweise, sie war unzerbrechlich, preußisch jüdische Mischung, eine starke sieghafte Mischung. Ich war nicht so kräftig, allerdings hatte sie nur zu leiden, während ich schlug und litt.

- Zuende, ich kann nichts mehr schreiben, nichts mehr erklären, trotzdem ich erst am Anfang bin, die Geisteskrankheit beschreiben, die andern Gründe für den Nichtbesuch anführen sollte, ein Telegramm ist gekommen »Treffpunkt Karlsbad achten erbitte schriftliche Verständigung«. Ich gestehe, es machte, als ich es aufmachte, ein fürchterliches Gesicht, trotzdem dahinter das selbstloseste, stillste, bescheidenste Wesen steht und trotzdem das ganze auf meinen Willen eigentlich zurückgeht. Das kann ich jetzt nicht begreiflich machen, denn ich kann mich ja auf eine Beschreibung der Krankheit nicht beziehn. Soviel ist bisher sicher, daß ich Montag von hier fortfahre, manchmal sehe ich das Telegramm an und kann es kaum lesen, es ist als wäre da eine Geheimschrift, die die obere Schrift verwischt und lautet: Fahre über Wien! ein offenbarer Befehl, aber ohne jede Schrecklichkeit der Befehle. Ich tue es nicht, schon äußerlich ist es unsinnig, nicht den kurzen Weg über München zu nehmen, sondern den doppelt so langen über Linz und dann gar auch noch weiter über Wien. Ich mache eine Probe: auf dem Balkon ist ein Spatz und erwartet daß ich ihm vom Tisch aus Brot auf den Balkon werfe, statt dessen werfe ich das Brot neben mich mitten im Zimmer auf den Boden. Er steht draußen und sieht dort in dem Halbdunkel die Speise seines Lebens, es lockt maßlos, er schüttelt sich, er ist mehr hier als dort, aber hier ist das Dunkel und neben dem Brot ich, die geheime Macht. Trotzdem überhüpft er die Schwelle, noch paar Sprünge aber mehr wagt er nicht, in einem plötzlichen Schrecken fliegt er fort. Aber was für Kräfte in diesem jämmerlichen Vogel stecken, nach einem Weilchen ist er wieder hier, untersucht die Lage, ich streue noch ein wenig, um es ihm leichter zu machen und - wenn ich ihn nicht absichtlich-unabsichtlich, so wirken die geheimen Mächte, durch eine kleine Bewegung vertrieben hätte, er hätte sich das Brot geholt.

Es ist so, daß mein Urlaub Ende Juni zu ende geht und ich zum Übergang - auch wird es hier schon sehr heiß, was mich allerdings an sich nicht stören würde - noch irgendwo anders auf dem Land sein will. Auch sie wollte fahren, nun sollen wir einander dort treffen, ich bleibe paar Tage dort und dann vielleicht noch paar Tage in Konstantinsbad bei meinen Eltern, dann fahre ich nach Prag, überblicke ich diese Reisen und vergleiche sie mit dem Zustand meines Kopfes, dann ist mir etwa so, wie es Napoleon hätte sein müssen, wenn er bei Entwerfen der Pläne für den russischen Feldzug gleichzeitig ganz genau den Ausgang gewußt hätte.

Als damals Ihr erster Brief kam, ich glaube es war kurz vor der sein sollenden Hochzeit (deren Pläne zum Beispiel ganz ausschließlich mein Werk gewesen sind), freute ich mich und zeigte ihr ihn. Später nein nichts mehr und diesen Brief zerreiße ich nicht wieder, wir haben ähnliche Eigenheiten, nur habe ich keinen Ofen zur Hand und fürchte fast aus Anzeichen, daß ich einmal auf die Rückseite eines solchen angefangenen Briefes einen Brief an jenes Mädchen geschickt habe.

Aber das alles ist unwesentlich, ich wäre auch ohne das Telegramm nicht imstande gewesen nach Wien zu fahren, im Gegenteil, das Telegramm wirkt eher als Argument für die Fahrt. Ich komme ganz bestimmt nicht, sollte ich aber doch es wird nicht geschehn - zu meiner schrecklichen Überraschung in Wien sein, dann brauche ich weder Frühstück noch Abendessen, sondern eher eine Bahre auf der ich mich ein Weilchen niederlegen kann.

Leben Sie wohl, es wird keine leichte Woche hier sein

Ihr F

Wenn Sie mir einmal ein Wort Karlsbad postlagernd schreiben wollen, nein erst nach Prag.

Was für ungeheuere Schulen sind das, in denen Sie unterrichten, 200 Schüler, 50 Schüler. Einen Fensterplatz in der letzten Reihe wollte ich haben, eine Stunde lang, dann verzichte ich auf jede Begegnung mit Ihnen (die allerdings auch ohne das nicht erfolgen wird) verzichte auf alle Reisen und - genug, dieses weiße Papier, das kein Ende nehmen will, brennt einem die Augen aus und darum schreibt man.

- Das war Nachmittag, jetzt geht es gegen 11. Ich habe es so geordnet, wie es im Augenblick einzig möglich war. Ich habe nach Prag telegraphiert, daß ich nach Karlsbad nicht kommen kann, erklären werde ich es mit Zerrüttung, was einerseits sehr wahr ist andererseits aber nicht sehr konsequent, denn eben wegen dieser Zerrüttung wollte ich früher nach Karlsbad. So spiele ich mit einem lebendigen Menschen. Aber ich kann nicht anders, denn in Karlsbad könnte ich weder reden noch schweigen oder richtiger: ich würde reden selbst wenn ich schwiege, den ich bin jetzt nichts anderes als ein einziges Wort. Nun fahre ich aber zweifellos nicht über Wien, sondern Montag über München, wohin weiß ich nicht, Karlsbad, Marienbad, jedenfalls allein. Schreiben werde ich Ihnen vielleicht, Briefe von Ihnen allerdings erst in Prag, erst in 3 Wochen bekommen.

Juni 1920

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Juni 1920, Freitag