Freunde müssen töten - B.C. Schiller - E-Book

Freunde müssen töten E-Book

B. C. Schiller

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Beschreibung

In Linz verschwinden sieben junge Mädchen spurlos. Als Chefinspektor Tony Braun zu ermitteln beginnt, stößt er auf eine zwielichtige Modelagentur in Bratislava und einen einflussreichen Konzern, für den tote Mädchen Routine sind. Doch dann taucht plötzlich ein psychopathischer Mörder auf, der in Braun einen Freund und sich selbst als Erlöser osteuropäischer Prostituierter sieht. Wer ist dieser Mörder, der Mädchen Taubenflügel annäht, um sie in Engel zu verwandeln, bevor er sie tötet? Je näher Tony Braun der Wahrheit kommt, desto tiefer muss er eintauchen in eine Welt aus Geld, Macht, Perversion und Tod. Alle Thriller sind in sich abgeschlossen und können unabhängig von den anderen gelesen werden. Lesen Sie auch die weiteren Tony Braun Thriller: "Totes Sommermädchen" - "wie alles begann" - der erste Fall "Töten ist ganz einfach" - der zweite Fall "Freunde müssen töten" - der dritte Fall "Alle müssen sterben" - der vierte Fall "Der stille Duft des Todes" - der fünfte Fall "Rattenkinder" - der sechste Fall "Rabenschwester" - der siebte Fall "Stiller Beobachter" - der achte Fall "Strandmädchentod" - der neunte Fall "Stilles Grabeskind" - der zehnte Fall

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INHALT

Impressum

Anmerkung

Über die Autoren B.C. Schiller

Bücher von B.C. Schiller

Bücher von B.C. Schiller

Bücher von B.C. Schiller

Bücher von B.C. Schiller

Bücher von B.C. Schiller

1. 1. Im Reich der Engel

2. 2. Rotes Auge

3. 3. Schlechtes Gefühl

4. 4. Letzte Station

5. 5. Wien macht Druck

6. 6. Das schwarze Paradies

7. 7. Ein Taubenmann verzaubert

8. 8. Ein Patient spielt Schach

9. 9. Ein Sieg wird gefeiert

10. 10. Der Verfall hat begonnen

11. 11. Ein Mann dreht auf

12. 12. Die Warnung

13. 13. Die Freundschaftsanfrage

14. 14. Die schwarze Taube

15. 15. Wer steht schon auf tote Mädchen

16. 16. Russische Abwehr

17. 17. Der Hafenstern

18. 18. Die Könige von Bratislava sind wir

19. 19. Das goldene Zeichen

20. 20. Der Neustart

21. 21. Ein Mädchen wird vermisst

22. 22. Die Legende der Vogelmädchen

23. 23. Sex und Drogen

24. 24. Die „Wahren Werte“

25. 25. Das weiße Gift

26. 26. Talk ohne Limits

27. 27. Der Freundschaftsbeweis

28. 28. Töten ist einfach schön

29. 29. Der schwarze Faden

30. 30. Die Schiffsladung

31. 31. Die Vergangenheit meldet sich

32. 32. Der Weg ist schwer zu erkennen

33. 33. Für Reue ist es jetzt zu spät

34. 34. Vor dem Vergessen bewahren

35. 35. Das rote Tuch

36. 36. Ein Freund macht einen Besuch

37. 37. Siebenundvierzig Tauben und fünf Patronen

38. 38. Sowjetsterne auf Brustwarzen

39. 39. Der weiße Engel

40. 40. Uns kann nie etwas passieren

41. 41. Im weißen Zimmer

42. 42. Der Taubenmann

43. 43. Die grünen Lieblinge

44. 44. Jimmy kann nicht fliegen

45. 45. Futter für hungrige Hunde

46. 46. Eis bricht

47. 47. Die Cinderella-Maske

48. 48. Ein Mädchen taucht auf

49. 49. Im Auge des Taifuns

50. 50. Die Schmerztherapie

51. 51. Der Junge im Taubenkäfig

52. 52. Der Erlöser und seine Engel

53. 53. Die Rückkehr der Schwarzen Madonna

54. 54. Requiem für verschwundene Mädchen

55. 55. Ein Einhorn findet seinen Besitzer

Epilog

Danksagung

Sämtliche Figuren und Ereignisse dieses Romans sind der Fantasie entsprungen. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, ist zufällig und von den Autoren nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung der Blue Velvet Management e.U. urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

Copyright Blue Velvet Management e.U.,

A – 4020, Linz, Derfflingerstrasse 14, 2013, 2018, 2022, 2024

Lektorat: Erika Krammer

Korrektorat: Erika Krammer

Covergestaltung: www.afp.at

Bildmaterial: weiße kaputte taubenfeder mit einem Blutstropfen auf hellgrauem beton Hintergrund mit Rissen: Adobe Firefly KI-Tool

Hintergrund: Authors own

Wir haben uns erlaubt, einige Namen und Örtlichkeiten aus Spannungsgründen neu zu erfinden, anders zu benennen und auch zu verlegen. Sie als LeserInnen werden uns diese Freiheiten sicher nachsehen.

ÜBER DIE AUTOREN B.C. SCHILLER

Barbara und Christian Schiller leben und arbeiten in Wien und auf Mallorca mit ihren beiden Ridgebacks Calisto & Emilio.

Gemeinsam waren sie über 20 Jahren in der Marketing- und

Werbebranche tätig und haben ein totales Faible für spannende Krimis und packende Thriller.

B.C. Schiller gehören zu den erfolgreichsten Spannungs-Autoren im deutschsprachigen Raum. Bisher haben sie mit ihren Krimis über 3.000.000 Leser begeistert.

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BÜCHER VON B.C. SCHILLER

TONY-BRAUN-THRILLER:

TOTES SOMMERMÄDCHEN – der erste Tony-Braun–Thriller –

»Wie alles begann«

TÖTEN IST GANZ EINFACH – der zweite Tony-Braun-Thriller

FREUNDE MÜSSEN TÖTEN – der dritte Tony-Braun-Thriller

ALLE MÜSSEN STERBEN – der vierte Tony-Braun-Thriller

DER STILLE DUFT DES TODES – der fünfte Tony-Braun-Thriller

RATTENKINDER – der sechste Tony-Braun-Thriller

RABENSCHWESTER – der siebte Tony-Braun-Thriller

STILLER BEOBACHTER – der achte Tony-Braun-Thriller

STRANDMÄDCHENTOD – der neunte Tony-Braun-Thriller

STILLES GRABESKIND – der zehnte Tony-Braun-Thriller

Alle Tony-Braun-Thriller waren monatelang Bestseller in den Charts. Die Thriller sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.

BÜCHER VON B.C. SCHILLER

GRETCHEN LARSSEN UND DAS OSTSEEMÄDCHEN: der erste Band mit Gretchen Larssen

GRETCHEN LARSSEN UND DAS DÜNENOPFER: der zweite Band mit Gretchen Larssen

GRETCHEN LARSSEN UND DER OSTSEEZORN: der dritte Band mit Gretchen Larssen

GRETCHEN LARSSEN UND DIE OSTSEESCHULD: der vierte Band mit Gretchen Larssen

GRETCHEN LARSSEN UND DER KÜSTENMÖRDER: der fünfte Band mit Gretchen Larssen

GRETCHEN LARSSEN UND DER OSTSEEMORD: der sechste Band mit Gretchen Larssen

GRETCHEN LARSSEN UND DIE OSTSEETRÄNEN: der siebte Band mit Gretchen Larssen

BÜCHER VON B.C. SCHILLER

MALLORCA-INSELKRIMI:

MÄDCHENSCHULD – ist der erste Band der neuen spannenden Mallorca-Inselkrimi-Reihe mit der Inspectora Ana Ortega und dem Europol-Ermittler Lars Brückner. Die Krimis sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.

SCHÖNE TOTE – der zweite Band mit Ana Ortega und Lars Brückner.

FAMILIENBLUT – der dritte Band mit Ana Ortega und Lars Brückner.

NORDTOD - KÜSTENTHRILLER:

NORDTOD - DIE KOLIBRIMÄDCHEN: der erste spannende Cold-Case-Fall mit der schwedischen Ermittlerin Signe Nord.

BÜCHER VON B.C. SCHILLER

DUNKELSTEIG – Trilogie:

DUNKELSTEIG: der erste Band mit Felicitas Laudon

DUNKELSTEIG – SCHULD –der zweite Band mit Felicitas Laudon

DUNKELSTEIG – BÖSE: der dritte und letzte Band mit Felicitas Laudon

Psychothriller:

DIE FOTOGRAFIN

DIE SCHWESTER

DIE EINSAME BRAUT

BÜCHER VON B.C. SCHILLER

Die TARGA-HENDRICKS-Thriller:

DER MOMENT, BEVOR DU STIRBST – der erste Fall mit Targa Hendricks

IMMER WENN DU TÖTEST – der zweite Fall mit Targa Hendricks

DUNKELTOT, WIE DEINE SEELE – der dritte Fall mit Targa Hendricks

Die DAVID-STEIN-Thriller:

DER HUNDEFLÜSTERER – David Steins erster Auftrag

SCHWARZER SKOPRION – David Steins zweiter Auftrag

ROTE WÜSTENBLUME – David Steins dritter Auftrag

RUSSISCHES MÄDCHEN – David Steins vierter Auftrag

FREMDE GELIEBTE – David Steins fünfter Auftrag

EISIGE GEDANKEN – David Steins sechster Auftrag

TODESFALTER – David Steins siebter Auftrag

LEVI-KANT-Cold Case-Krimi:

BÖSES GEHEIMNIS – der erste Cold Case

BÖSE TRÄNEN – der zweite Cold Case

BÖSES SCHWEIGEN – der dritte Cold Case

Tauchen Sie ein in die B.C. Schiller Krimi-Welt.

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FREUNDE MÜSSEN TÖTEN

Thriller

B.C. SCHILLER

1. IM REICH DER ENGEL

Am Morgen ihres Todes wurde sie erstmals in das Reich der Engel geführt. Die alten Steinwände glänzten feucht und der Geruch von Moder und Schimmel wehte ihr ins Gesicht. Sie musste einen Brechreiz unterdrücken. Über faulige Holzträger, mit denen das Gewölbe abgestützt wurde, flitzten geschäftige Ratten. Ihnen konnte der intensive Geruch nach Fäulnis und Verwesung nichts anhaben, im Gegenteil, sie genossen diesen Ort der Zersetzung.

Sie versuchte, ihren Blick auf die roten Augen und die gelben Zähne einer Ratte zu fokussieren, die knapp vor ihrem Gesicht über einen schrägen Balken huschte, aber ihre Pupillen rutschten nach oben und sie musste gestützt werden, damit sie nicht in einen der zahlreichen Schächte fiel und sich das Genick brach.

Das wäre schade gewesen.

Dann hätte sie nicht mehr das Rondell erreicht mit dem gewellten, verschimmelten Boden und den vielen geborstenen Spiegeln. Vor allem aber hätte sie niemals die Mädchen kennengelernt, die mit ihren angenähten Federn und toten Augen wie kleine Engel aussahen und sie neugierig betrachteten, während sie begierig darauf warteten, dass sie eine von ihnen werden würde.

Wenn das Mittel nachließ, spürte sie den Schmerz überall an ihrem Körper, sah schattenhaft die kleinen Federn auf ihrer Brust und die blutigen Flügel auf ihren Schultern. Am liebsten hätte sie laut aufgeschrien, aber sie brachte keinen Ton hervor, nur ein heiseres Krächzen, denn ihre Kehle war ausgedörrt und das Schlucken fiel ihr schwer.

Irgendein intaktes Kämmerchen in ihrem Schädel flüsterte ihr höhnisch zu, dass dieser Albtraum nie zu Ende sein würde, dass diese Federn, die in ihre Haut genäht waren, die schmerzten und wie Feuer brannten, dass diese Federn ihren Tod herbeiführen würden. Mit glasigen Augen starrte sie auf den an ihrem Oberarm festgeklebten Plastikbeutel, aus dem wie in Zeitlupe monoton eine gelbe Flüssigkeit in einen Schlauch tropfte, weiter bis zu der Kanüle glitt, die direkt in ihrer dicken, blau angelaufenen Vene in der Armbeuge befestigt war und ihr die Illusion vermittelte, sie könne diese Folter überleben. Dieses tropfende Geräusch vermischte sich mit dem mitleidlosen Klacken des mit einem winzigen Diamanten besetzten Sekundenzeigers ihrer Armbanduhr, dem einzigen Gegenstand, der ihr noch geblieben war, und der sie daran erinnerte, dass ihre Zeit abgelaufen war.

2. ROTES AUGE

Als es wie jeden Abend an der Tür läutete, wusste Gregor Pestalozzi noch nicht, dass er den Rest seines Lebens in dem „weißen Zimmer“ mit sinnlosem Schachspielen verbringen würde.

Erst als er die fremde Stimme hörte, die sich hoch und schrill wie ein Schneidbrenner in sein Gehirn fräste, schreckte er hoch und blickte verwirrt in seinem Zimmer umher, als würde er das schmale Bett, den Kasten, den Schachbrettteppich und die Papierstöße mit seinen Anmerkungen und Analysen zu der Fischer-Spasski-Partie zum ersten Mal sehen.

Auf seinen Knien rutschte er über den Teppich aus schwarzen und weißen Quadraten, schob die Tür einen Spaltbreit auf, nur so weit, bis ein schmaler Lichtstrahl in den dunklen Raum fiel, und er in dessen hellem Schein auf den Bauch sank, um zu lauschen. Doch Worte und abgehackte Sätze flossen an ihm vorbei wie geschmeidiges Quecksilber und glitten durch seine Finger, ohne dass er ihren Sinn begreifen konnte.

Er nutzte den Augenblick, als sie erneut die Tür des Penthouses geöffnet hatte, wahrscheinlich wollte sie den Besucher wieder hinauswerfen, um schnell in ihr Schlafzimmer zu schleichen. Dort versteckte er sich wie immer in dem großen Kleiderschrank und spähte zwischen den Lamellen der Schiebetür genau auf ihr Bett.

Diesmal jedoch kam sie nicht direkt in das Schlafzimmer, wie sie das sonst immer tat, diesmal blieb sie im Wohnzimmer. Er hörte sie nervös auf den Boden trampeln, auch der Besucher war noch hier und ging mit lauten Schritten auf und ab, mit Schritten, die aggressiv wie Peitschenschläge auf das Parkett knallten.

Jetzt wurde die Tür zum Schlafzimmer aufgerissen. Doch es war nicht wie sonst, dass sie sich die Kleider vom Leib rissen und dann nackt ins Bett fielen. Diesmal zögerte sie, wurde aber von dem Besucher vorwärtsgedrängt und immer weiter zum Bett geschoben. Die Atmosphäre wurde düster und spannungsgeladen, und als auch das Licht der Stehlampe in der Ecke zu flackern begann, biss er sich ganz fest in den Finger, bis er das Blut schmeckte und das Geschrei, das er einfach ausgeblendet hatte, kehrte mit aller Macht zurück. Ihre Stimme war ein kaum verständliches, hysterisches Kreischen, eine schwarze Schallwelle, die sich wie eine Flut bis zu ihm ausbreitete und versuchte, ihn nach draußen zu ziehen. Fast wäre es ihr gelungen, ihn mit diesen panischen Hilferufen herauszulocken, doch als er die harten Schläge hörte, die auf sie niederprasselten, verkroch er sich noch weiter hinter ihren Kleidern.

In dem Handgemenge fiel, von beiden unbemerkt, eine Brosche mit einem geschnitzten Einhorn aus Elfenbein vor dem Kleiderschrank auf den Teppich und das rubinrote Auge des Einhorns starrte ihn an.

Nach einem Schlag in die Magengrube ging sie stöhnend in die Knie und in diesen letzten Sekunden, ehe ihr die Plastikfolie über das Gesicht gezogen wurde, trafen sich ihre Blicke. Er schloss blitzschnell seine Augen, presste die Handflächen über seine Ohren, um die Ordnung in seinem Kopf nicht zu gefährden. Jetzt stand er an der Kippe und natürlich wäre es in diesem Zustand am besten gewesen, er hätte laut die Züge der ersten Schachpartie aus Reykjavik heruntergebetet, die Züge der Eröffnungspartie Spasski gegen Fischer vom 11. Juli 1972. Aber dann wäre er gehört worden und die Unordnung und das Chaos hätten Besitz von ihm ergriffen. Deshalb schwieg er und spielte die Partie lautlos.

Wie immer stoppte er nach dem 29. Zug, ruderte wie ein Taucher, der soeben noch durch das Wrack eines gesunkenen Schiffes getrieben war, nach oben, nur dass es sich bei ihm um das Wrack seines Gehirns handelte. Doch in diesem Moment des Auftauchens realisierte er, dass im Schlafzimmer alles ruhig war.

Vorsichtig öffnete er die Augen, spähte wieder durch die Lamellen und hörte das Wasser im Bad rauschen. Mit angehaltenem Atem schob er die Schranktür auf und kroch nach draußen. Das Zimmer war leer, nur die Brosche mit dem weißen Einhorn lag noch immer auf dem Boden und das rubinrote Auge funkelte böse. Hastig hob er die Brosche auf und behielt sie in seiner Faust. Nebenan im Bad wurde der Wasserhahn abgedreht und aggressive Schritte näherten sich. Lautlos wie ein Schatten rollte er sich unter ihr Bett und verschmolz mit dem cremefarbenen Teppichboden. Stundenlang lag er unter dem Bett und spielte die Schachpartie wieder lautlos bis zum 29. Zug, so lange, bis sein Gehirn sich wie eine Zentrifuge zu drehen begann und alle Logik gegen die Wände schleuderte. Da begann er zu zittern und der Schaum vor seinem Mund erstickte ihn beinahe.

Mit der Brosche in seiner Faust, um das rubinrote Auge nicht sehen zu müssen, schlich er hinüber ins Wohnzimmer und musste sich sofort wieder abschotten, um die Unordnung, die wie eine Lawine über ihn hereinbrach, zu überleben. Aber diesmal war die Unordnung nicht in seinem Kopf, diesmal war sie in dem riesigen Wohnzimmer mit der großen Glasfront und dem Blick auf die Stadt Linz. Diesmal stand er mitten in diesem Chaos.

Alle Bücher lagen verstreut auf dem Boden, die Stereoanlage war aus dem Regal gezerrt und die Bilder von den Wänden gerissen worden. Die Kissen der schweren Couch hatte jemand mit einem Messer aufgeschnitten und der silberne Laptop, auf dem sie immer gearbeitet hatte, war verschwunden. Um die Ordnung wieder herzustellen, musste er jetzt auf einem Bein zurück ins Schlafzimmer hüpfen und weiter in das angrenzende Badezimmer.

Dort fand er endlich seine Schwester Laura. Sie lag nackt und entspannt in der Wanne, hatte allerdings kein Schaumbad verwendet, wie sie es sonst so gerne tat, und das irritierte ihn. Ihr Kopf war über den Rand der Wanne weit nach hinten gebogen, sodass er nur ihren lang gezogenen Hals und das Kinn sehen konnte. Jetzt entdeckte er das umgestürzte Schminktischchen und die über den Boden verstreuten, zerbrochenen Parfumfläschchen und Lippenstifte. Im Licht der grellen Spots glitzerten die Splitter wie kleine Diamanten und die Duftwolke, die vom Boden aufstieg, war betörend. Laura lag in dem noch immer heißen Wasser, aus dem die Dampfschwaden aufstiegen wie draußen der Nebel. Die weiße Haut ihres Körpers war bereits ein wenig aufgequollen und porös. Ihr Gesicht konnte er nicht sehen, denn die Plastikfolie, die mehrmals eng um ihren Kopf gewickelt worden war, verbarg ihre Züge. Wie zum Hohn hatte ihr jemand die Miss-World-Krone über der Plastikfolie auf den Kopf gesetzt.

„Die. Ordnung. Wieder. Herstellen!“, schrie er und wunderte sich über den rauen Klang seiner Stimme. „Die. Ordnung. Wieder. Herstellen!“, brüllte er und sprang in die Höhe. Das machte er mehrmals. Dann hatte er sich so weit unter Kontrolle, dass er den leblosen Körper aus dem Wasser ziehen konnte. Gemeinsam platschten sie auf den Boden, kleine Bäche rannen ihre Körper entlang, bildeten kleine Pfützen auf den Fliesen. Die Plastikfolie knisterte und beschlug, machte ihr Gesicht vollkommen unsichtbar. Zaghaft zupfte er ein Stück Folie von ihrem Kopf, doch nun verstärkte sich das Chaos und sprang wie ein gefährlicher Funke in seinen Schädel, um sein Gehirn in Brand zu setzen.

„Bauer. d2. Auf. d4. – Fehler. Beim. 29. Zug“, heulte er mit überkippender Stimme. Er brüllte die ganze Partie durch die offene Tür ins leere Schlafzimmer hinaus, schlug dazu mit dem umgestürzten Schminktisch den Rhythmus auf den Boden, heulte und tobte, bis ihn ein eigenartiges Geräusch stoppte.

Überrascht schaute er auf und sah zwei fremde Männer in der Tür stehen. Beide fixierten ihn mit durchdringenden Blicken und zielten mit großen Pistolen auf ihn.

* * *

Der Mann im Badezimmer starrte Chefinspektor Tony Braun mit blutunterlaufenen Augen unverwandt an und schien aus einer tiefen Trance zu erwachen.

„Langsam aufstehen und zu uns herüberkommen!“, befahl Braun und machte eine Kopfbewegung Richtung Tür, ohne seine Pistole zu senken. Sein Partner, Inspektor Dominik Gruber, trat jetzt einen Schritt zurück und sicherte Braun den Rücken gegen eventuelle unliebsame Überraschungen. Der Mann schien sie nicht gehört zu haben, denn er rührte sich nicht, sondern atmete hektisch mit offenem Mund und bewegte seinen Kopf ständig vor und zurück.

„Aufstehen! Kommen Sie hierher!“, rief Braun erneut und winkte den Mann zu sich. Als der Mann wieder keine Reaktion zeigte, schlug Braun mit dem Lauf seiner Glock so fest gegen die Badezimmertür, dass es von den verfliesten Wänden zurückhallte. Jetzt schrak der Mann auf, schob mit einer zärtlichen Handbewegung den Kopf einer leblosen Frau von seinem Schoß hinunter auf den Boden und strich mit dem Handrücken über ihre Wange. Eine groteske Geste, denn der Kopf der Frau war mit einer Plastikfolie umwickelt und darauf steckte eine verbogene Goldkrone. Langsam richtete sich der Mann auf, ohne mit den Kopfbewegungen aufzuhören. Auch schien er ständig lautlos zu sprechen, denn seine Lippen bewegten sich unentwegt und sein Mienenspiel wirkte auf Braun ziemlich neurotisch. Der Mann war groß und sehr dünn, sein graues T-Shirt und seine zerschlissenen Jeans hatten dunkle Wasserflecke. Immer heftiger schleuderte er den Kopf vor und zurück, dabei riss er die Augen weit auf und schien das Schachbrettmuster der Badezimmerfliesen förmlich in sich aufzusaugen. Langsam und merkwürdig verdreht kam er näher und Gruber gab Braun ein Zeichen. Dann bemerkten beide, dass der Mann anscheinend panische Angst davor hatte, auf die schwarzen Fliesen zu treten. Noch immer schien er nicht zu realisieren, was eigentlich vor sich ging.

„Gruber, wir brauchen sofort den Notarzt und die Spurensicherung“, flüsterte Braun. „Du siehst nach der Frau, ich kümmere mich um den Kerl da.“ Gruber nickte mit zusammengepressten Lippen, ließ aber den Mann nicht aus den Augen, als er vorsichtig an der Wand entlangglitt, um am Tatort so wenig Spuren wie möglich zu zerstören.

„Wie heißen Sie?“, fragte Braun den Mann, der jetzt knapp vor ihm stand, endlich mit den nervigen Kopfbewegungen aufgehört hatte, dafür aber das Kinn fest gegen seine Brust presste und mit weit aufgerissenen Augen an Braun vorbei ins Leere stierte.

„Wie heißen Sie?“, fragte Braun, diesmal lauter, der Typ ging ihm langsam auf die Nerven. Als er wieder keine Antwort erhielt, packte er den Mann rüde am Arm und zog ihn in das riesige Wohnzimmer.

Gehorsam wie ein kleines Kind trippelte der Mann mit kleinen Schritten neben Braun her und bewegte hektisch, wie unter Zwang, die Lippen, ohne einen Laut von sich zu geben.

„Warum sprechen Sie nicht laut!“, rief Braun, dem in Augenblicken wie diesem jedes psychologische Einfühlungsvermögen fehlte. Er hatte das schon so oft erlebt: Ein Beziehungsstreit, der mit Mord endet, und der Täter plädiert sofort auf Unzurechnungsfähigkeit.

Genauso wie der Kerl hier, der verkauft uns doch nur für blöd, dachte er. Genervt schubste Braun den Mann auf ein unbeschädigtes Sofa der ausladenden Sitzlandschaft und pflanzte sich dicht vor ihm auf.

„Schluss jetzt mit dem Theater!“, zischte er, packte den Mann bei den Schultern und schüttelte ihn. „Verarsche uns bloß nicht, Junge!“, schoss er nach und zog dessen Kopf an den Haaren hoch, um Blickkontakt herzustellen. „Mach endlich den Mund auf!“ Doch statt zu antworten, glitten die Pupillen des Mannes nach hinten und Braun konnte nur noch das Weiße seiner Augen sehen. Vor Wut schnaubend richtete er sich wieder auf, kratzte sich den Dreitagebart.

Gruber telefonierte gerade mit dem Notarzt. Aus dem Bad drangen undeutlich einige Wortfetzen: „Nein, kein Puls mehr. Wahrscheinlich erstickt“, hörte Braun die gepresste Stimme seines Partners.

Scheiße! Wie ich vermutet habe, dachte Braun und versuchte, das Kinn des Mannes zu heben, um endlich irgendeinen Kontakt mit ihm herzustellen. Doch der Mann kniff die Augen fest zusammen. Seine Miene verlor den neurotischen Zug und verfinsterte sich immer mehr, je stärker er die Stirn in Falten legte. Verächtlich spuckte er jetzt in einem gefährlich monotonen Singsang Buchstaben und Zahlen in Brauns Richtung: „d2. Nach. d4.“ Zuerst langsam, dann schnell und immer schneller. Immer wieder „d2. Nach. d4“. Es war einfach die totale Verarsche, am liebsten hätte Braun dem Kerl eine gescheuert.

Doch er riss sich zusammen, brüllte stattdessen „Aufhören!“ und schüttelte den Mann erneut. „Aufhören! Wer ist die tote Frau im Bad?“ Doch der Mann war anscheinend wieder in seine eigene Welt abgetaucht, in der es nur so von Buchstaben und Zahlen zu wimmeln schien und zu der Braun keinen Zutritt hatte. Er gab auf, weil er einsah, dass es keinen Zweck hatte, den Mann weiter zu befragen.

„Gruber, wir brauchen für den Kerl auch einen Psychiater!“, rief er in das Badezimmer, wo Gruber noch immer telefonierte. „Ich mache das selbst“, sagte er dann, als von Gruber keine Antwort kam.

Gerade als Braun sein Handy aus der Anzugtasche gezogen hatte, um den psychiatrischen Notdienst der Polizei anzurufen, stand der Mann mit abgehackten Bewegungen auf und trippelte wie ferngesteuert auf Braun zu. Der Mann schien wieder in eine tiefe Trance gefallen zu sein, wirkte mit seinem langen schmalen Körper wie ein zerbrechliches Wesen von einem anderen Stern, wie ein zart flackerndes Irrlicht, das in einer Moorlandschaft aufleuchtet und die Wanderer ins Verderben stürzt.

„Sofort hinsetzen!“, rief Braun hektisch, denn plötzlich hatte er das Gefühl, dass von dem Mann eine eigentümliche Gefahr ausging. Deshalb wollte er ihn mit seinem ausgestreckten Arm auf Distanz halten, schnell das Telefon wieder einstecken und die Handschellen hervorholen, um den Mann sicherheitshalber zu fixieren.

Dann ist mir wohler! Er spürte, wie der Schweiß unter dem weißen T-Shirt seinen Rücken hinunterlief. Doch wie befürchtet, ignorierte der Mann Brauns Befehl und trippelte zielgerichtet weiter mit diesem mitleidlos wütenden Blick, mit dem er Braun aus schmalen Augenschlitzen fixierte, und diesem geifernden Mund, aus dem ein wirrer Buchstabensalat, verpackt in Spucketröpfchen, auf Brauns Anzugsjacke und den Parkettboden regnete.

„Sind Sie taub! So geht das nicht! Setzen Sie sich sofort wieder!“ Die plötzlich aufkommende Panik ließ Brauns Stimme überkippen und Panik war keine gute Strategie, das wusste Braun aus Dutzenden von Einsätzen. Trotzdem war sie da. Er verwünschte sich dafür, dass er die Glock wieder zurück in das Holster gesteckt hatte und dass es jetzt unendlich lange dauern würde, bis er sie wieder im Anschlag hatte.

Während er blitzschnell seine Möglichkeiten durchcheckte, war der Mann auch schon bei ihm und die Perspektive verdrehte sich um 90 Grad, als Braun krachend auf dem Parkettboden landete. Während er die Fäuste ballte, um zurückzuschlagen, spürte er plötzlich die eisernen Hände des Mannes, die seinen Hals umklammerten und zudrückten. Es war natürlich lächerlich, aber der einzige Gedanke, der ihm durch den Kopf rauschte, war, dass der Mann eigentlich Pianisten-Hände hatte und nicht die brutalen Pranken eines Mörders. Mit seinen Fäusten hieb er dem Mann in die Nieren, doch genauso gut hätte er einen Sandsack beim Aufwärmtraining im Box-Club attackieren können - die Reaktion war gleich null. Jeder Schlag, den er setzte, war vollkommen wirkungslos. Wie ein auf Mord programmierter Roboter drückte der Mann Brauns Hals zu, stierte ihn dabei mit einem bedrohlichen Glitzern in seinen starren Augen an, gab dazu ein Kauderwelsch aus Buchstaben, Zahlen, Spucke und übel riechendem Atem von sich und presste Braun die Kehle zu. Einmal noch bäumte sich Braun auf, umklammerte die eisenharten Hände, die im Begriff waren, sein Leben auszulöschen, und trommelte mit den Absätzen seiner klobigen Schnürstiefel auf das Parkett, dann wurde es schwarz vor seinen Augen und er fiel ins Bodenlose.

3. SCHLECHTES GEFÜHL

Die Mauern des Hochsicherheitsgefängnisses wirkten in dem nebeldurchzogenen morgendlichen Zwielicht noch deprimierender als sonst. Die glatten grauen Mauern ragten an die fünf Meter senkrecht in die Höhe und schlossen oben mit einer Stacheldrahtkrone. An den Ecken befanden sich Wachtürme mit riesigen Scheinwerfern, die sofort jede falsche Bewegung der Insassen in helles Licht tauchen würden. Diese Wachtürme waren immer mit zwei bewaffneten Männern besetzt, die sowohl das Innere des Hochsicherheitsgefängnisses checkten als auch ein wachsames Auge auf die Umgebung hatten.

Auf der schmalen Straße, die an der Gefängnismauer entlangführte, stand schon seit einiger Zeit ein verdreckter alter Range Rover, an dessen Kühlerhaube ein Mann mit verschränkten Armen lehnte. Er war etwa 45 Jahre alt, trug einen schwarzen Anzug und ein weißes T-Shirt, hatte kinnlange schwarze Haare, die ihm der kalte Wind ständig ins Gesicht wehte, und einen Dreitagebart. Um den Hals trug er eine weiße Manschette, wie man sie zur Stabilisierung des Nackens bei einem Schleudertrauma erhält. Der Blick des Mannes ging ins Leere, er erweckte den Eindruck, als wäre er intensiv mit einer Idee beschäftigt und deshalb tief in seiner Gedankenwelt versunken.

„Siehst du den Mann da?“, fragte ein Wachbeamter und deutete nach unten auf die Gestalt neben dem Range Rover. Sein Kollege nickte.

„Der kommt öfters hierher und starrt auf die Mauer.“

„Das ist aber doch sehr verdächtig. Sollen wir nicht Alarm schlagen?“, fragte der andere.

„Nein, wozu.“ Der Wachbeamte konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. „Der Mann ist Polizist.“

* * *

Tony Braun starrte auf die fugenlose graue Mauer des Hochsicherheitsgefängnisses von Garsten bei Steyr, warf dann einen Blick nach oben zu dem Wachturm, wo ihn die Wachmannschaft durch ihre Ferngläser beobachtete. Vorsichtig drehte er den Kopf in der unförmigen Halskrause, die er seit der Attacke von Gregor Pestalozzi tragen musste und die ihm wahnsinnig auf die Nerven ging. Er drückte eine Schmerztablette aus der Blisterverpackung und schluckte sie ohne Wasser. Der Wind pfiff die Mauer entlang, wehte Motorenlärm zu Braun herüber, trotzdem bildete er sich ein, die dünnen Räder des schwarzen Rollstuhls quietschen zu hören, mit dem der Gelähmte manisch im Gefängnishof Runde um Runde zog.

Natürlich wusste Braun, dass er auch heute wieder unverrichteter Dinge wegfahren würde. Die Schmerztablette wirkte bereits, denn als Braun vorsichtig den Kopf bewegte, spürte er nichts. Erleichtert riss er sich die lächerliche Halskrause herunter und warf sie in seinen Wagen. Als er sich ans Steuer setzte, schlug er mit der Faust auf das Lenkrad.

„Scheiße! Aber das nächste Mal schaffe ich es!“, zischte er verärgert, startete den Motor und fuhr zurück nach Linz in die Polizeidirektion.

Die Mordkommission war im zweiten Stockwerk eines hässlichen Büroturms aus den Sechzigerjahren untergebracht und Brauns Büro befand sich am hinteren Ende des Gangs, wo durch eine Milchglasscheibe spärliches Tageslicht hereinsickerte und den in deprimierendem Grau gestrichenen Wänden einen trüben Glanz verlieh. Links und rechts gingen unzählige Türen ab, hinter denen seine Kollegen die Straftaten bearbeiteten, die in einer Stadt wie Linz zum Alltag gehörten. Auf weiß lackierten Bänken saßen zusammengesunkene Gestalten, die mit offensichtlich schlechtem Gewissen auf ihre Vernehmung warteten, dazwischen standen wie düstere Schatten uniformierte Polizisten in ihren dunkelblauen Monturen. Doch Braun achtete nicht weiter darauf, er war ziemlich mieser Laune, hatte immer die Tür links vorn im Blick, hinter der sich die Kommandozentrale befand, die diesen endlosen Kreislauf aus Kriminalität und Bestrafung mit Befehlen und Anweisungen in Bewegung hielt. Das war das Büro des Chefs der Mordkommission - sein Büro.

Als Braun die Tür öffnete, telefonierte sein Partner Dominik Gruber gerade.

„Du rührst dich nicht von der Stelle“, flüsterte Gruber noch schnell in sein Handy und beendete dann hastig das Gespräch. Abwartend lehnte er am Besprechungstisch, der vor einer leeren Wand stand, auf die man bei Bedarf mit einem altersschwachen Beamer Fotos, Videos und Protokolle projizieren konnte.

Dominik Gruber war der Designstar der Mordkommission Linz, der immer wieder als Fotomodell für den Polizeikalender herhalten musste, dessen Bild in allen Zeitungsredaktionen archiviert war und immer dann zum Einsatz kam, wenn allgemein über die Mordkommission berichtet wurde und man einen besonders smarten Polizisten mit Ecken und Kanten abbilden wollte. Auch jetzt war Gruber wieder absolut top gestylt, sein ebenmäßiges gebräuntes Gesicht verzog sich zu einem angedeuteten Lächeln, gerade so viel, dass seine tadellosen weißen Zähne hervorblitzten.

Gruber verkörperte auf den ersten Blick perfekt den Sonnyboy, wären da nicht die bis auf die Haut abgebissenen Fingernägel gewesen und das eingetrocknete Blut am kleinen Finger, das er vergessen hatte wegzuwischen. Braun war auch aufgefallen, dass Gruber in letzter Zeit zunehmend hektischer geworden war, oft stundenlang verschwand, um dann kommentarlos wieder aufzutauchen. Er hatte schon öfter vorgehabt, seinen Partner darauf anzusprechen, aber bisher hatte sich noch keine Gelegenheit ergeben und jedes Mal, wenn Braun über Privates redete, hatte Gruber abgeblockt und das Gespräch schnell in eine andere Richtung gebracht.

„Ich habe die Pestalozzi-Akten für die Pressekonferenz schon vorbereitet.“ Gruber deutete auf mehrere Ordner, die sich auf dem Besprechungstisch stapelten. Er bemerkte Brauns Blick auf seine Hand und lutschte hastig das Blut vom kleinen Finger. Der Fall, dem Braun seine bescheuerte Halskrause zu verdanken hatte, war durch die internationale Presse gegangen, schließlich war die ermordete Laura Pestalozzi eine ehemalige Miss World gewesen und hatte nach Beendigung ihrer Modelkarriere als Eventmanagerin für den internationalen Krell-Konzern gearbeitet.

„Wie du ja weißt, hat die Staatsanwaltschaft ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag gegeben.“ Gruber wedelte mit einem Schnellhefter.

„Ich habe es schon gestern Abend gelesen. Der mutmaßliche Mörder von Laura Pestalozzi, ihr Bruder Gregor, soll also für unzurechnungsfähig erklärt und in die Psychiatrie abgeschoben werden. Das befürwortet Goldmann, der Psychiater.“

Braun war erst seit zwei Tagen wieder im Dienst, hatte sich in dieser Zeit aber bereits einen detaillierten Überblick über den Mordfall Laura Pestalozzi verschafft, denn als Leiter der Mordkommission musste er bei der morgigen Pressekonferenz die Fragen neugieriger Journalisten gekonnt parieren.

„Was hältst du von dem Psychiater?“, fragte Gruber plötzlich.

Braun zuckte mit den Schultern.

„Kenne ich nicht besonders gut“, antwortete er einsilbig wie immer, wenn er es mit der Wahrheit nicht so genau nahm. Er öffnete seinen Schrank, in dem außer drei identischen schwarzen Anzügen, fünf weißen T-Shirts und einem Paar schwarzer Schnürstiefel nur leere Bierdosen waren sowie ein Foto seines Sohnes Jimmy an der Innenseite der Tür, und hängte sein schwarzes Sakko auf den leeren Haken.

Er stellte sich vor die große Pinnwand gegenüber vom Fenster und betrachtete zum wiederholten Mal die Fotos, welche die Spurensicherung von der ermordeten Laura Pestalozzi gemacht hatte. Doch seine Gedanken schweiften wieder ab, landeten in der Praxis von Raphael Goldmann, den er gegen seinen Willen hatte aufsuchen müssen - das war Vorschrift, wenn ein Polizist attackiert wurde. Er dachte an das funktionelle Büro des Psychiaters in der Klinik, und wie er hinter seinem fast leeren Schreibtisch saß, im Minutentakt eine Taubenfeder in eine Styroporkugel steckte, was ein knirschendes Geräusch verursachte, das Braun auch jetzt noch schaudern ließ.

„Es ist normal, dass Sie sich an den Angriff nicht mehr erinnern können. Das ist ein Zeichen dafür, dass Ihr Unterbewusstsein den Vorfall positiv verarbeitet. Trotzdem sollten Sie die Tabletten nehmen, die werden Ihnen helfen.“

Mit der rechten Hand schob er Braun eine Schachtel mit Pillen über die blanke Schreibtischfläche und zwinkerte ihm aufmunternd zu. „Die machen richtig high.“ Er verzog seine dünnen, blutleeren Lippen zu einem angedeuteten Grinsen und bleckte seine unregelmäßigen Zähne.

Nun, in einer Beziehung hatte der Psychiater recht gehabt, diese Pillen machten wirklich high, und als Braun mit seinem Range Rover deswegen einen Betonpfeiler in der Tiefgarage rasierte, warf er sie in den Müll und ging stattdessen lieber auf einige Dosen Bier in den Anatolu Grill am Hafen. Doch davon brauchte Gruber ja nichts zu wissen.

Braun trat einen Schritt zurück, kniff die Augen zusammen und die Bilder verschmolzen zu einem abstrakten Todesgemälde. Während er versunken vor der Pinnwand stand, zählte Gruber weiter die Fakten auf, die zusammen mit dem psychiatrischen Gutachten die Basis für das Briefing mit dem Polizeipräsidenten Wagner am Nachmittag und die Pressekonferenz am nächsten Tag bilden würden.

„Gregor Pestalozzi leidet unter dem Asperger-Syndrom, eine spezielle Form von Autismus. Deshalb hat er auch nicht normal reagiert, als wir aufgetaucht sind, und spricht auch jetzt noch immer nicht“, beendete Gruber seine Ausführungen.

Braun blätterte konzentriert in den Akten. „Alles, was Gregor Pestalozzi in seinem Schädel hat, sind Schachpartien“, brummte er.

„Fakt ist also, Pestalozzi kann laut Psychiater nicht für seine Tat belangt werden und wird deshalb ohne Verhandlung in die Psychiatrie abgeschoben. Fall abgeschlossen, der Mord an unserer Miss World ist gesühnt und Big Boss Wagner und die Presse sind zufrieden“, fasste Gruber das Wesentliche zusammen. Braun grunzte missgelaunt und machte auch kein Hehl daraus, dass ihm die bisherigen Ermittlungsergebnisse überhaupt nicht zusagten. Das werden wir mal sehen, ob wir damit zufrieden sind, dachte Braun insgeheim.

4. LETZTE STATION

In Matovce, einer verschlafenen slowakischen Ortschaft direkt an der ukrainischen Grenze, stieg Sherban B. Sherban aus seinem Wagen und verfluchte den schlechten Zustand der Straße. Mit einem weichen Rauledertuch, das er immer gefaltet in seiner Jackentasche trug, wischte er sorgfältig die Schmutzspritzer von der Stoßstange seines schwarzen Dodge V8. Wie bei einem erotischen Vorspiel befeuchtete er dann mit seiner Zunge eine Ecke des Tuches und kratzte behutsam die weiße Vogelscheiße aus dem Gesicht der weinenden Madonna, die als Airbrush-Gemälde vorn auf der lang gestreckten Motorhaube seines Sportwagens prangte.

Ein kalter Wind blies über den verlassenen Hauptplatz. Sherban zog den Reißverschluss seiner weichen Designlederjacke bis zum Hals hoch, verschränkte fröstelnd die Arme vor der Brust und blickte zu den beiden niedrigen Gebäuden, die ein wenig außerhalb der Ortschaft lagen. Gebäude war übertrieben, tatsächlich handelte es sich um angerostete Container, die man rechts und links der vom Regen aufgeweichten Schotterstraße aufgestellt hatte, um den Verkehr zu kontrollieren.

Das war eine Grenzstation, welche die Slowakei von der Ukraine trennte. Der Grenzübergang war täglich nur vier Stunden geöffnet, ein so genannter kleiner Grenzverkehr, das wurde zwar an den Schengen-Außengrenzen nicht gerne gesehen, aber bei dem geringen Verkehrsaufkommen war es leicht, die aus der Ukraine kommenden Lastwagen, Busse und Autos auf Schmuggelware oder illegale Einreisende zu kontrollieren.

Vorsichtig lehnte sich Sherban mit verschränkten Armen an die Kühlerhaube seines Dodge V8. Er zündete sich eine Zigarette an, beobachtete die Grenzposten, die mit ihren Sturmgewehren gelangweilt von einem Container zum nächsten schlenderten, dabei rauchten oder mit den Stiefelspitzen Muster in den Straßendreck zeichneten. Natürlich langweilten sie sich, natürlich wären auch sie gern in der Hauptstadt Bratislava stationiert, natürlich hätten sie auch gern die Zulagen, die man dort für die Schwerpunktkontrollen bekam, natürlich wussten sie, dass jeder, der in einen Grenzort wie Matovce versetzt wird, auf dem Abstellgleis gelandet ist und einem das Stigma des Versagers ein Leben lang anhaftet.

Deshalb musste man das Beste aus der Situation machen und das Beste war, die 400 Euro Monatslohn zu verdoppeln, auf einer virtuellen Lohnliste aufzuscheinen, einer Lohnliste, für die man nichts weiter zu tun brauchte als die Augen zu schließen, wenn ein ukrainischer Bus die Grenze passierte, genauso wie es die Kollegen auf der ukrainischen Seite auch taten, nur dass diese noch weniger verdienten.

Als Sohn eines hohen kommunistischen Funktionärs aus Rumänien war Sherban in Bukarest und später in Moskau auf Eliteschulen gegangen. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in seiner Heimat kam er, wie viele der verhassten Funktionäre, in Haft. An diese Zeit wollte er unter keinen Umständen denken. Aber die brutalen Tätowierungen auf seinem Körper, die er täglich sah, wenn er vor dem Spiegel stand, erinnerten ihn immer wieder aufs Neue und mit aller Härte an die schlimmsten Monate seines Lebens.

Um viele dunkle Erfahrungen reicher und sowohl psychisch als auch physisch für den Rest seines Lebens deformiert, musste er nach seiner Entlassung natürlich Geld verdienen. Da er sich schon immer für Mode und Fitness interessiert hatte, betrieb er einen schwunghaften Handel mit gefälschten Kosmetikartikeln und Anabolika. Als jedoch der Sohn eines Oligarchen an Sherbans Aufputschmitteln qualvoll starb, interessierte sich plötzlich die russische Polizei für seine Geschäfte. Zum Glück hatte Sherban genügend Geld, um seiner Verhaftung zu entgehen, er konnte sich in die Slowakei absetzen.

Sein Pech war nur, dass einer der damals mit seinem Fall befassten Moskauer Polizisten in die Privatwirtschaft gewechselt war und ausgerechnet in Bratislava einen Club eröffnet hatte, für den er die Mädchen von Madonna-Models wollte. Sherban hatte sich zunächst geweigert, doch als er mit Nachdruck darauf hingewiesen wurde, dass nach wie vor ein russischer Haftbefehl gegen ihn existierte, musste er wohl oder übel eine Geschäftsbeziehung mit dem Ex-Polizisten eingehen, um seine Haut zu retten.

Doch jetzt war keine Zeit, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, jetzt hieß es, nach vorn zu blicken. Aus der Gesäßtasche seiner kunstvoll zerschlissenen Designerjeans fischte Sherban den Brief hervor, der ihn hier in dieses gottverlassene Nest geführt hatte, den Brief, der ihn dazu bewogen hatte, seinen teuren Dodge über schlechte Straßen zu lenken, den Brief, der ein neues Gesicht für Madonna-Models brachte. Das passierte im Durchschnitt ein- bis zweimal im Monat und jedes Mal holte Sherban die Mädchen persönlich an der Grenze ab. Er achtete peinlich genau darauf, niemals eine Grenzstation zweimal hintereinander zu benutzen, deshalb war er auch schon seit einigen Monaten nicht mehr in Matovce gewesen, deshalb kam ihm der Ort auch noch trostloser vor, als er ihn in Erinnerung hatte.

Ein kleiner, schwarzweiß gefleckter Hund näherte sich kriecherisch, auf der Suche nach etwas Fressbarem. Mit einem angedeuteten Fußtritt verscheuchte Sherban den Köter, betrachtete das Foto des Mädchens, das in einem gottverlassenen Kaff irgendwo in der Ukraine einen Schönheitswettbewerb gewonnen hatte und jetzt von der großen Modelkarriere im Westen träumte. Kopfschüttelnd las er wieder den in kindlicher Handschrift auf Russisch und Deutsch verfassten Brief, in dem das Mädchen lang und breit vom Westen und seinen Möglichkeiten schwärmte. Sie schien ein überkluges Mädchen zu sein, das gleich mit ihren Fremdsprachenkenntnissen protzte. Das behagte Sherban gar nicht, aber er würde ihr schon beibringen, dass Klugheit in seinem Modelbusiness schlimmer als Dummheit war.

Er konnte sich nicht mehr an den Namen des Mädchens erinnern – Marusha, es fiel ihm in dem Augenblick ein, als er das Foto umdrehte. Wie alle Mädchen träumte auch Marusha von einer Karriere als Supermodel, sah sich bereits auf den Covers der internationalen Fashion-Magazine, bei Fotoshootings an exotischen Destinationen. Unwillkürlich musste Sherban grinsen, es war immer wieder das Gleiche. Diese Mädchen glaubten, gutes Aussehen allein würde schon ausreichen. Doch darauf würden sie später schon kommen. Das Modelbusiness war harte Arbeit und bei Madonna-Models war die Arbeit noch härter, dort mussten die Mädchen alles geben. Er, Sherban, würde aus diesen unförmigen Rohdiamanten kleine, entzückende Edelsteine formen, die wirklich Klasse und seinen Ruf auch über die Slowakei bis nach Österreich getragen hatten. Er hatte sich einen Kundenstock erarbeitet, den er niemals enttäuschte, der ihm blind vertraute und der sich dieses Vertrauen und diese Leistung auch etwas kosten ließ.

Natürlich kam es auch vor, dass die Models nicht die ausgefallenen Wünsche der Kunden erfüllen wollten oder dass die Dinge auf der Suche nach dem speziellen Kick aus dem Ruder liefen, so, wie das vor einiger Zeit in Linz passiert war. Dort hatte es Betriebsunfälle gegeben und sein Kunde war in Panik geraten. Zunächst hatte es so ausgesehen, als würde er seinen größten Auftraggeber verlieren. Doch dann hatte sein Kunde einen Mann engagiert, der Betriebsunfälle auf seine Weise entsorgte und alles war wieder gut.

5. WIEN MACHT DRUCK

„Alle Indizien sprechen dafür, dass Gregor Pestalozzi seine Schwester Laura ermordet hat. Sind Sie nicht auch dieser Meinung?“

Robert Wagner, der Polizeipräsident von Linz, intern von allen Mitarbeitern Big Boss Wagner genannt, verschränkte die Arme vor seiner Brust und sah aus dem Fenster seines Büros im sechsten Stock des Polizeipräsidiums in den grauen Nebel, der die Stadt schon seit Tagen in ein diffuses und deprimierendes Zwielicht hüllte. Als er keine Antwort von Tony Braun erhielt, der vor seinem Schreibtisch saß, drehte er sich um und versuchte, ein aufmunterndes Lächeln in sein Gesicht zu zaubern.

Braun runzelte die Stirn und strich sich sein schwarzes Haar mit beiden Händen zurück. Gedankenverloren betrachtete er einen Ordner, der vor ihm auf Wagners Schreibtisch lag.

„Es stimmt, die Indizien sprechen für Gregor Pestalozzi als Täter. Nur mein Bauchgefühl sagt mir etwas anderes“, erklärte er nach einer Weile zögernd.

„Sie und Ihr viel gerühmtes Bauchgefühl, Chefinspektor! Was verrät es uns denn heute?“ Ein ironischer Ausdruck schlich sich auf Wagners Gesicht und verstärkte seine fuchsähnlichen Züge.

„Warum sollte Pestalozzi seine Schwester umbringen und die Wohnung verwüsten? Auf mich machte er einen verzweifelten Eindruck. Er hat seine tote Schwester gefunden und ist durchgedreht. Sie dürfen dabei nicht vergessen – der Mann ist krank“, ließ sich Braun nicht aus der Ruhe bringen.

„Zu diesem Schluss kommt auch das Gutachten von unserem Psychiater Goldmann.“ Wagner hielt den Schnellhefter zur Bestätigung in die Höhe und ließ ihn dann wieder auf seinen mit Papieren angehäuften Schreibtisch segeln. Langsam ging er um den Schreibtisch herum, blieb erst ganz knapp vor Braun stehen und beugte sich zu ihm hinunter.

„In Wien möchte man, dass die Sache vom Tisch ist“, flüsterte er vertraulich und schob sein spitzes Gesicht noch näher an Braun heran, sodass dieser die geplatzten Adern in dem kalkweißen Gesicht von Wagner überdeutlich sehen konnte. „Laura Pestalozzi war eine ehemalige Miss World und weit über die Grenzen hinaus bekannt!“

Braun hob überrascht die Augenbrauen. Wagner hatte seine Hausaufgaben gemacht und sich anscheinend intensiv mit dem Modelbusiness beschäftigt.

„Der Fall hat international für Schlagzeilen gesorgt. Eine schöne Frau mit einem verrückten Bruder, von dem niemand etwas wusste. Solche Geheimnisse lieben nun einmal die Leser.“ Mit seinen grauen Augen starrte Wagner durchdringend in Brauns Gesicht. „Der Auftrag aus Wien lautete unmissverständlich: den Fall unter allen Umständen so schnell wie möglich aufklären.“

Wagner richtete sich langsam wieder auf, umrundete seinen Schreibtisch und setzte sich Braun gegenüber. „Das haben wir auch erreicht. Auftrag ausgeführt!“, sagte er im Brustton der Überzeugung und klopfte zur Bekräftigung noch mit der flachen Hand auf den Tisch.

„Wir lassen uns also von Wien vorschreiben, wie wir zu ermitteln haben?“, fragte Braun und rutschte genervt auf seinem Stuhl hin und her. Es war immer wieder das Gleiche. Big Boss Wagner hasste Schwierigkeiten und suchte wie üblich den bequemsten Weg. Vor allem aber wollte er es jedem recht machen. Das war vielleicht auch das Geheimnis seines Erfolgs: Seilschaften bilden, niemandem zu nahe treten, wegschauen, wenn es darauf ankam.

Wagner verdrehte die Augen und schnaufte hörbar.

„Braun, als Leiter der Mordkommission müssen Sie doch wissen, dass es manchmal übergeordnete Interessen gibt! Laura Pestalozzi war internationale Eventmanagerin der Krell-Holding. Ihr gewaltsamer Tod schadet dem Unternehmen, das hauptsächlich im Ausland tätig ist. Um das internationale Rating des Unternehmens nicht zu gefährden, hatte der Fall deshalb auch höchste Priorität.“

„Der Tod einer Eventmanagerin gefährdet ein börsennotiertes Unternehmen?“, fragte Braun ungläubig. „Da steckt doch noch mehr dahinter!“ Herausfordernd sah er Wagner an, der sich jetzt sichtlich unwohl fühlte und hektische rote Flecken in seinem weißen Gesicht bekam.

„Laura Pestalozzi hat rauschende Feste für die wichtigsten Kunden und Investoren organisiert. Ende der Diskussion, Braun!“, sagte Wagner knapp und klappte gedankenverloren den silbernen Bilderrahmen mit dem Porträt seiner Frau auf und nieder.

Genervt zuckte Braun mit den Schultern, dachte, Scheiß drauf! und fragte ruhig: „Wer in Wien macht Druck? Das Innenministerium?“

„Nicht nur das Innenministerium. Auch das Außenministerium setzt mir zu, deshalb muss der Fall abgeschlossen sein.“

Wagner war wirklich nicht zu beneiden und er tat Braun irgendwie leid, aber trotzdem: Big Boss Wagner war ein Opportunist.

Wagner schien seine Gedanken zu erraten, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und straffte seine Schultern, um Autorität zu verströmen.

„Bevor Sie mich für einen Feigling halten, Braun, sollten Sie vielleicht einmal in größeren Dimensionen denken und da ist dieser Fall nun einmal eine Randnotiz. Denken Sie auch an die morgige Pressekonferenz und an die öffentliche Meinung. Ich möchte, dass Sie die Öffentlichkeit von unserer kompetenten Ermittlungsarbeit überzeugen.“ Wagner streckte sein Kinn angriffslustig vor. „Wir sind die Kämpfer für Recht und Ordnung, Braun. Die Bevölkerung muss Vertrauen in unsere Arbeit haben!“

Wagner schwieg, faltete die Hände unter seinem Kinn und starrte auf die Decke des Büros, wo sich in einer Ecke ein hässlicher dunkler Fleck gebildet hatte, der seine Ausläufer immer weiter die Wand nach unten schob und auf eine undichte Stelle am Dach zurückzuführen war. Plötzlich schien es, als hätte Wagner eine Idee, denn ein Ruck ging durch seinen Körper, und er sah Braun prüfend an.

„Wenn Sie etwas Konkretes vorweisen können und sich nicht nur auf Ihr diffuses Bauchgefühl berufen, dann können Sie die Ermittlungen wieder aufnehmen. Doch im Augenblick ist der Fall offiziell abgeschlossen.“

Damit war die Diskussion beendet und Braun informierte Wagner über die Ergebnisse der Spurensicherung. Auch der Abschlussbericht des Gerichtsmediziners Paul Adrian brachte keine neuen Erkenntnisse. Da die Leiche längere Zeit im Wasser gelegen hatte, waren mögliche DNA-Spuren vernichtet worden.

Die Obduktion hatte die vorläufige Diagnose des Notarztes nur bestätigt: Laura Pestalozzi war zweifelsfrei erstickt worden und bereits tot, als der Täter sie in die Badewanne verfrachtete, denn sie hatte kein Wasser in der Lunge. Auch die Hämatome und Druckspuren auf ihrem Körper waren post mortem entstanden. Manche konnte man nicht zuordnen, doch einige davon stimmten zweifelsfrei mit den Handdimensionen und Fingerabdrücken ihres Bruders überein. Der Gerichtsmediziner Paul Adrian hatte sich verärgert bei Braun über die Hektik beklagt, die bei diesem Fall an den Tag gelegt worden war. Braun konnte nicht viel dazu sagen, denn er war nach dem Angriff von Pestalozzi zwei Wochen außer Gefecht gewesen. Fakt war, dass die einzigen verwertbaren Spuren von Gregor Pestalozzi stammten.

Doch Tony Braun ahnte, dass dieser Fall noch eine ganz andere Dimension hatte …

6. DAS SCHWARZE PARADIES

Als sich Sherban auf dem tristen Parkplatz von Matovce eine neue Zigarette anzündete, wurde er plötzlich von einer unerklärlichen Unruhe erfasst.

Angestrengt starrte er auf das grüne Zifferblatt seiner Rolex Seamaster, verfolgte den träge laufenden Sekundenzeiger, so als könne er ihn kraft seines Willens zwingen, langsamer zu laufen, aber die Sekunden wurden zu Minuten und der Bus aus der Ukraine war schon dreißig Minuten überfällig. Das war bisher noch nie vorgekommen und Sherbans Körper spannte sich, als er sich von der Motorhaube abstieß. Ohne die Grenze aus den Augen zu lassen, öffnete er die Tür seines Sportwagens, tastete unter den Schalensitz, fühlte den Griff der Pistole und sein Pulsschlag normalisierte sich langsam wieder.

Kein Grund zur Nervosität, versuchte er sich zu beruhigen. Ukrainische Busse sind immer unpünktlich. Prüfend ließ er den Blick über die hässlichen Betonbauten des Platzes schweifen. Nichts regte sich, der Ort war wie ausgestorben, nur in einem einstöckigen unverputzten Bau zuckte und flackerte ein Neonschild mit dem Wort „Bar“, daneben eine abgeschlagene schwarze Tafel mit einem weißen Pferd. Plastiktüten und Papierfetzen wurden von einem jähen Windstoß über den Platz gewirbelt. Ein gebeugter Mann, der sich schwer auf einen Stock stützte, wankte aus der Bar, wohl bis oben hin voll mit selbst gebranntem Schnaps, und verschwand in einem der Nebenhäuser. Die Zöllner hatten sich vor dem kalten Wind in ihre Container geflüchtet und auch Sherban quetschte sich in die aerodynamischen Schalensitze seines Dodge, atmete genussvoll den Geruch von Leder und Holz ein, von Kraft und Erfolg, den der Innenraum seines Wagens verströmte. Nichts erinnerte mehr an seine Vergangenheit, jetzt war er ein erfolgreicher Modelagenturchef mit internationalen Kontakten, niemand wäre auf die Idee gekommen, in ihm etwas anderes zu sehen.

Sherban schaltete das Radio ein, suchte einen Musiksender, der zu seiner Stimmung passte, aber der Empfang in dieser elenden Ecke der Slowakei war schlecht und in einem Anfall von Paranoia wagte er nicht, den integrierten MP3-Player zu aktivieren. Internet-Daten konnten gespeichert werden, deshalb hatte er schon früher vorsorglich den Chip für das Navigationssystem ausbauen lassen und telefonierte mit gewissen Kunden nur mit billigen Wegwerfhandys.

Gerade als er den Kopf gemütlich an die Nackenstütze legte, kam vorn an der Grenzstation Bewegung auf. Schnell stieg er aus dem Wagen, die Zöllner waren bereits aus ihren Containern gekommen, rotteten sich vor dem Aluminiumtor zusammen, dann sah Sherban auf der ukrainischen Seite bereits langsam den altersschwachen Autobus, der mit einem schrillen Quietschen direkt vor dem Aluminiumtor zum Stehen kam. Nach einer scheinbar endlos langen Zeit wurde das Tor geöffnet, eingehüllt in eine Abgaswolke ächzte der Autobus bis zu den Containern, wo mit einem lauten Röcheln der Motor verendete. In einer langen Prozession stiegen die Fahrgäste aus, die Reisepässe hielten sie wie Erkennungszeichen vor sich. Einer der Zöllner sammelte alle Dokumente ein, ging schnell auf einen der Container zu, nicht ohne vorher in Sherbans Richtung mit dem Kopf zu nicken. Schon nach kurzer Zeit kam er wieder zurück, winkte ein Mädchen, das mit gesenktem Kopf in der Reihe stand, zu sich und gab ihm den Pass zurück. Dann schob er das Mädchen an den Containern vorbei in Richtung Sherban.

„Marusha!“ Sherban pfiff anerkennend durch die Zähne. Dieses Mädchen hatte Klasse, das hatte er sofort gespürt, seine Intuition hatte ihn nicht im Stich gelassen.

„Marusha“, immer wieder flüsterte er den Namen, fixierte sie mit einem prüfenden Blick. Über einsfünfundsiebzig groß, mit aschblondem Haar, den hohen Wangenknochen, die seine Kunden so liebten, und den Schatten unter den Augen, die ihr eine leicht beschädigte Aura gaben, eine kranke Verletzlichkeit, die sie noch interessanter machte. Wie alt war sie doch gleich? Er rief sich den Brief ins Gedächtnis. 16 Jahre, das richtige Alter, sie war einfach perfekt.

Grüßend hob er die Hand, winkte Marusha zu sich, konzentrierte sich auf ihren Gang, der noch schwankend und unsicher war, so wie bei allen Mädchen, wenn sie unter Sherbans prüfendem Blick versuchten, selbstbewusst zu erscheinen.

„Hello Marusha! My name is Sherban from Madonna-Models!“, begrüßte er das Mädchen auf Englisch, doch Marusha antwortete in flüssigem Deutsch.

„Danke, Herr Sherban, danke für die Chance, die Sie mir geben. Ich werde Sie nicht enttäuschen. Ich gebe alles.“

Wie eingeübt kamen die Sätze aus ihrem Mund und Sherban konnte sich gut vorstellen, wie sie in dem dreckigen Autobus, eingekeilt zwischen ausgemergelten Saisonarbeitern mit zukunftslosem Blick und fauligen Zähnen, diese Sätze immer wieder aufgesagt hatte: „Ich gebe alles!“ und „Ich werde Sie nicht enttäuschen!“ mit immer größerer Euphorie, je weiter sie sich von dem Drecksnest entfernt hatte, aus dem sie stammte. Das machten sie alle, da war Marusha keine Ausnahme.

„Ich freue mich, dass du jetzt bei Madonna-Models bist. Es wird eine tolle Zeit für dich. Wir haben ja so viel vor!“ Während er seine standardisierte Begrüßung herunterleierte, wippte er auf den Zehenspitzen, war aber trotz der hohen Absätze mit seinen einssechzig wesentlich kleiner als Marusha.

„Du bist das Mädchen, auf das Europa wartet“, schloss er seine Rede und griff – ganz Kavalier – nach ihrer Reisetasche, eine widerlich abgewetzte und schmutzstarrende Ethno-Bag, die er am liebsten sofort entsorgt hätte, stellte sie behutsam in den Kofferraum des Dodge, nicht ohne zuvor ein Putztuch daruntergelegt zu haben.

„Gib mir deinen Pass, Marusha.“ Noch immer lächelnd hielt ihr Sherban die offene Hand entgegen, doch Marusha zögerte und eine kleine, kaum sichtbare Denkfalte machte sich auf ihrer Stirn bemerkbar. Noch ehe sie eine Frage stellen konnte, gab Sherban auch schon seine vorbereitete Erklärung ab.

„Wir sind jetzt in Europa, Marusha! Da gibt es Bürokratie und Formalitäten. Es muss alles seine Richtigkeit haben, du willst doch nicht wieder zurück in die Ukraine, oder?“

Mit Panik im Blick schüttelte Marusha den Kopf. Ihre großen grauen Augen färbten sich leicht ins Lila, schienen eine imaginäre Grenze, die in ihrem Kopf gewesen war, zu überschreiten, schienen ihre triste Herkunft endgültig zu vergessen und wollten sich voll auf das neue, das bessere Leben einlassen. Gehorsam öffnete sie ihre kleine Umhängetasche, auf der mit Faserschreiber versucht worden war, das Gucci-Logo zu kopieren, und streckte Sherban zögernd ihren Pass entgegen.

„Natürlich nicht, Herr Sherban! Natürlich nicht! Bitte entschuldigen Sie. Es tut mir leid. Ich gebe mein Bestes!“

„Braves Mädchen! Du wirst es noch weit bringen. Fahren wir.“ Galant öffnete er ihr die Tür auf der Beifahrerseite, doch Marusha blieb vor dem schnittigen schwarzen Wagen stehen, strich vorsichtig mit ihrer Handfläche über den Lack.

„So ein Auto kenne ich nur aus den Magazinen“, flüsterte sie ergriffen und tippte andächtig auf den versenkbaren Türgriff.

„Ein Dodge V8 mit 450 PS. Beschleunigt von 0 auf 100 in 4,3 Sekunden“, erwiderte Sherban nicht ohne Stolz. Marusha starrte ihn zunächst nur verständnislos an, begann dann zu strahlen, ihre Zähne waren weiß und ebenmäßig, ein Glücksfall, so konnte er sich fürs Erste den Zahnarzt sparen.

„Madonna-Models“, hauchte sie und wies mit ihrem ausgestreckten Arm auf die Kühlerhaube mit dem Airbrush-Gemälde der weinenden Madonna.

„Los jetzt, wir haben es eilig!“ Langsam ging Sherban das kindische Getue auf die Nerven, deshalb ging er auch nicht mehr darauf ein, sondern bugsierte Marusha in den Wagen und trat dann voll aufs Gas. Der Motor heulte mit seiner ganzen Kraft auf, die Reifen drehten kurz durch und schleuderten eine Dreckfontäne auf die Häuserfront. Mit Genugtuung stellte Sherban fest, dass sich Marusha panisch an den Türgriff klammerte und den Mund fest zusammenpresste, aber keinen Laut von sich gab. Er beschleunigte noch mehr, obwohl die Straße in einem katastrophalen Zustand war und er den Wagen in Bratislava sofort einer Spezialwäsche unterziehen musste.

Nach knapp 50 Kilometern, als sie endlich auf dem Autobahnzubringer waren, hielt er plötzlich vor einer abgewirtschafteten Raststätte, langte nach hinten auf den Rücksitz und warf Marusha eine Plastiktüte auf den Schoß.

„Ich habe mich nach deinen Angaben gerichtet. Kleidergröße 36, Schuhgröße 40, das stimmt doch?“

Verwirrt nickte das Mädchen, öffnete dann vorsichtig den Sack und stieß einen Schrei des Entzückens aus, als sie Designerjeans, Pailletten-T-Shirt, Leo-Print-Jacke und Marken-Sneakers nacheinander herausfischte. An allen Kleiderstücken baumelte noch das Preisschild, auch das gehörte zur Strategie von Sherban: Sollen die Mädchen ruhig wissen, was in sie investiert wird!

„Zieh das an!“, forderte er Marusha auf und beugte sich über ihren Körper, um die Beifahrertür zu öffnen. „Deine alten Sachen kannst du gleich in den Müll werfen!“, rief er ihr noch hinterher.

Ungefähr zwei Stunden später hatten sie die Stadtautobahn von Bratislava erreicht, der Verkehr wurde dichter und Marusha starrte mit offenem Mund auf die Neonreklame, die immer zahlreicher wurde, je näher sie dem Stadtzentrum kamen. In ihrem neuen Outfit sah sie wirklich hinreißend aus und Sherban beglückwünschte sich zum wiederholten Mal für seinen guten Instinkt, als er ihr Foto gesehen hatte. Sie hatte zwar noch immer die selbst gemachte Gucci-Tasche auf ihrem Schoß, aber er wollte nichts überstürzen, wollte sie zunächst nicht sofort und ganz und unwiderruflich von ihrer Vergangenheit trennen. Unauffällig wischte er sich die rechte Hand an der Innenseite seiner Jeans ab, dort, wo ihm Marusha so überschwänglich den Handrücken geküsst hatte.

„Danke, danke! Sie sind so gut zu mir! Ich gebe mein Bestes!

---ENDE DER LESEPROBE---