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Beschreibung

Mit Fridays for Future haben die Klimaproteste eine zuvor nie erreichte gesellschaftliche Breite und politische Aufmerksamkeit erlangt. Doch wer beteiligt sich eigentlich an dieser sozialen Bewegung, was motiviert die Menschen zu protestieren und welche Einstellungen haben die Beteiligten? Mehrere Umfragen unter Protestierenden aus dem Jahr 2019 bilden den Ausgangspunkt der Analyse von Sebastian Haunss, Moritz Sommer und 26 weiteren Autor*innen dieses Buchs. In zwölf Kapiteln geben sie Einblicke in Entscheidungs- und Mobilisierungsstrukturen lokaler Fridays for Future-Gruppen, analysieren die Reaktionen auf die Proteste in Medien, Politik und Gesellschaft und untersuchen die Einstellungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu Themen des Klimawandels. Die einzelnen Kapitel sind so geschrieben, dass sie einem breiteren Publikum einen Zugang zu den ersten Forschungsergebnissen zu Fridays for Future bieten.

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Sebastian Haunss, Moritz Sommer (Hg.)

Fridays for Future – Die Jugend gegen den Klimawandel

Konturen der weltweiten Protestbewegung

Verlag und Herausgeber danken der Otto Brenner Stiftung (www.otto-brennerstiftung.de) sowie der Heinrich-Böll-Stiftung (www.boell.de), die die Veröffentlichung dieses Buches (und Teile der empirischen Vorstudien) unterstützt haben.

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-Non-Commercial 4.0 Lizenz (BY-NC). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium ausschliesslich für nicht-kommerzielle Zwecke. (Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/deed.de)

Um Genehmigungen für die Wiederverwendung zu kommerziellen Zwecken einzuholen, wenden Sie sich bitte an [email protected]

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© 2020 transcript Verlag, Bielefeld

Covergestaltung: Maria Arndt, Bielefeld

Coverabbildung: Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-Westfalen/flickr.com: »Fridays for future in Düssseldorf 29.11.2019«

Korrektorat: Wolfgang Delseit, Köln

Print-ISBN 978-3-8376-5347-2

PDF-ISBN 978-3-8394-5347-6

EPUB-ISBN 978-3-7328-5347-2

https://doi.org/10.14361/9783839453476

Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de

Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

 

1. Fridays for Future

Konturen einer neuen Protestbewegung

Sebastian Haunss, Moritz Sommer, Lisa Fritz

2. Wer demonstriert da?

Ergebnisse von Befragungen bei Großprotesten von Fridays for Future in Deutschland im März und November 2019

Moritz Sommer, Sebastian Haunss, Beth Gharrity Gardner, Michael Neuber, Dieter Rucht

3. The same, only different

Die Fridays for Future-Demonstrierenden im europäischen Vergleich

Michael Neuber, Piotr Kocyba, Beth Gharrity Gardner

4. Mobilisierungsprozesse von Fridays for Future

Ein Blick hinter die Kulissen

Dieter Rucht und Dieter Rink

5. Freitag ist Streiktag

Die wöchentlichen Fridays for Future-Protestkundgebungen

Charlotte Grupp, Max Hundertmark, Sophie Mandel

6. Schulstreik

Geschichte einer Aktionsform und die Debatte über zivilen Ungehorsam

Simon Teune

7. Kollektive Identität und kollektives Handeln

Wie werden Entscheidungen in Fridays for Future-Ortsgruppen getroffen?

Luca Marie Döninghaus, Konstantin Gaber, Renée Gerber, Jonas Laur, Helena Redmer, Ann-Katrin Schlott, Anne Wollschläger

8. Nähe und Distanz

Das Verhältnis zwischen Umwelt-NGOs und Fridays for Future

Timo Gentes, Lina Löning, Alena Trapp

9. Fridays for Future im Spiegel der Medienöffentlichkeit

Max Goldenbaum und Clara S. Thompson

10. Die gesellschaftliche Unterstützung von Fridays for Future

Sebastian Koos und Franziska Lauth

11. Fridays for Future als Sinnbild ihrer Generation

Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht

12. Fridays for Future

Eine Erfolgsgeschichte vor neuen Herausforderungen

Moritz Sommer und Sebastian Haunss

Abbildungsverzeichnis

Autor_innenverzeichnis

1. Fridays for FutureKonturen einer neuen Protestbewegung

Sebastian Haunss, Moritz Sommer, Lisa Fritz

Wenn neuartige Massenproteste auf der Bildfläche erscheinen, sind (Vor-)Urteile schnell zur Hand. Die Auswahl der medialen Bilder bestimmt dabei die subjektive Einordnung der Kommentator_innen ebenso wie die politische Positionierung gegenüber den Anliegen der Protestierenden (Teune/Sommer 2017). Das war bei Fridays for Future nicht anders. Gerade zu Beginn der Proteste in Deutschland im Winter 2018/19 bestimmten pauschalisierende Charakterisierungen der Demonstrierenden die öffentliche Debatte. In Teilen konservativer und rechter Kreise wurde diskreditierend von naiven oder gar unpolitischen »Wohlstandskindern« (Die Welt vom 2. Februar 2019) gesprochen, die in erster Linie am Schulschwänzen interessiert oder von Umweltorganisationen gesteuert seien. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums kam es schnell zu einer euphorischen Umarmung der Protestbewegung, die als hoffnungsfrohes Zeichen einer massenhaften Politisierung der Jugend interpretiert wurde. Augenscheinlich in dieser Frühphase von Fridays for Future in Deutschland war der Gegensatz von enormer Aufmerksamkeit bei gleichzeitig kaum vorhandenem faktenbasierten Wissen über die Bewegung.

In dieser Situation lag es nahe, mit den Methoden der Protest- und Bewegungsforschung den Versuch zu unternehmen, mehr über diesen neuen Akteur der Klimabewegung herauszufinden. Den Anstoß gab ein Aufruf schwedischer Kolleg_innen, sich an einer international angelegten Befragung der Protestierenden des ersten globalen Klimastreiks am 15. März 2019 zu beteiligen (Wahlström u. a. 2019). Dieser wurde in Deutschland von einer Gruppe von Forscher_innen des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung (ipb) aufgegriffen, zu der auch die beiden Herausgeber dieses Buches gehörten. Eine derartige Befragung stellt einen erheblichen personellen und organisatorischen Aufwand dar. Glücklicherweise stieß unser Vorhaben gleich bei drei Stiftungen auf offene Ohren. Die Heinrich-Böll-Stiftung, die Otto Brenner Stiftung und die Stiftung 100 prozenterneuerbarmachten durch ihre kurzfristigen Finanzierungszusagen die Durchführung der Befragungen und die schnelle Auswertung der Ergebnisse möglich. Eine erneute Finanzierungszusage der Otto Brenner StiftungundderHeinrich-Böll-Stiftung ermöglichte später auch die Produktion dieses Buchs. Ohne diese Unterstützung wäre das Projekt kaum möglich gewesen.

Eine erste, selektive Auswertung der deutschen Befragungsergebnisse konnten wir bereits Ende März 2019 präsentieren. Im August 2019 folgte eine ausführliche Darstellung im ipb working paper Fridays for Future. Profil, Entstehung und Perspektiven der Protestbewegung in Deutschland (Sommer u. a. 2019), das den Ausgangspunkt für dieses Buch lieferte.

Zu diesem Zeitpunkt im Sommer 2019 war klar, dass die Geschichte von Fridays for Future weitergehen würde. Die Mobilisierung zu den freitäglichen Protesten hatte bis zu den Sommerferien angehalten und sich auf immer mehr Städte in ganz Deutschland ausgebreitet. Den Massendemonstrationen am 15. März 2019 folgte im Mai ein weiterer globaler Aktionstag und im Juni Massenproteste gegen den Braunkohleabbau im Bündnis mit den Aktivist_innen von Ende Gelände. Ihren bisherigen Mobilisierungshöhepunkt erreichte Fridays for Future am 20. September 2019, an dem sich in Deutschland bis zu 1,4 Millionen Menschen in über 500 Städten am 3. Globalen Klimastreik beteiligten. Gleichzeitig waren keine substanziellen Veränderungen der nationalen und internationalen Klimapolitiken zu beobachten. Fridays for Future hatte es zwar ganz oben auf die mediale Agenda geschafft, eine politische Umsetzung ihrer Forderungen blieb jedoch aus. Daran änderte auch das aus Sicht der Demonstrierenden enttäuschende Klimapaket der Bundesregierung im Herbst 2019 nichts. So verlagerte sich der Fokus der öffentlichen Debatte alsbald weg vom (jugendlichen) Profil der Demonstrierenden, ihrer Motivation oder der Legitimität ihrer freitäglichen Schulabstinenz hin zu Diskussionen um eine vermeintliche ›Radikalisierung‹ der Bewegung. Diese Debatte wurde durch das zeitgleiche Auftreten der Gruppe Extinction Rebellion, die deutlich konfrontativer als FFF mit Brückenbesetzungen und anderen Formen des zivilen Ungehorsams für einen radikalen Wandel in der Klima- und Umweltpolitik eintrat, weiter befeuert. Spätestens mit den nun deutlich weniger gut besuchten Massendemonstrationen des 4. Globalen Aktionstags am 4. November 2019 setzte eine Findungsphase ein, in der die strategische und inhaltliche Ausrichtung in Teilen der Bewegung infrage gestellt wurden sowie deutliche Erschöpfungserscheinungen unter vielen Aktivist_innen und ein sichtbar abnehmendes Medieninteresse hervortraten. Der in dieser komplizierten Phase einsetzende Ausbruch der Coronapandemie und die damit einhergehenden Demonstrationsbeschränkungen kamen somit zur Unzeit und stellten die Bewegung vor existenzielle Herausforderungen. Umso bemerkenswerter ist, wie schnell FFF reagierte und wie es der Bewegung gelang, auch in der Coronakrise mit innovativen Mitteln des On- und Offlineprotests die Einhaltung der Klimaschutzziele aufrechtzuerhalten. Fridays for Future ist gekommen, um zu bleiben.

Bereits jetzt hat die Bewegung eine nicht zu unterschätzende gesellschaftliche und politische Wirkung entfacht, die im Schlusskapitel ausführlicher dargestellt wird. Eine wesentliche Leistung besteht darin, dass Fridays for Future die gesellschaftliche Aufmerksamkeit für den Klimawandel in Deutschland deutlich verstärkt hat. Abbildung 1.1 gibt den Verlauf der Google-Suchanfragen mit dem Inhalt »Klimawandel« relativ zum Spitzenwert im September 2019 wieder. Geht man davon aus, dass derartige Suchanfragen ein Indikator für das Interesse an einem Thema sind, so war das Interesse am Klimawandel im September 2019 rund zehnmal so hoch wie zum Beginn der Proteste von Greta Thunberg im Sommer 2018. Dieser Bedeutungszuwachs lässt sich nicht allein auf den erneuten Hitzesommer 2019 zurückführen. Vielmehr zeigt der Verlauf einen deutlichen Zuwachs seit dem Aufkommen der Proteste in Deutschland und eine sichtbare Korrelation der globalen Streiktage mit den Spitzenwerten der Suchanfragen. Es ist naheliegend, dass auch politische Ereignisse wie die Europawahlen im Mai 2019 oder die Verabschiedung des Klimapakets im September 2019 in Zusammenhang mit dem gestiegenen Informationsbedürfnis stehen. Allerdings legt insbesondere das Zusammentreffen des absoluten Höchstwerts mit den bislang größten Demonstrationen am 20. September 2019 die Vermutung nahe, dass die Bewegung das gesellschaftliche Interesse am Klimawandel zugleich steigern und nutzen konnte.

Abbildung 1.1: Google-Suchanfragen mit dem Inhalt »Klimawandel«

Fridays for Future hat eine beachtliche Entwicklung hinter sich und bereits jetzt Spuren in der Gesellschaft und im politischen Gefüge der Bundesrepublik Deutschland hinterlassen. Und so geht es in diesem Buch nicht allein mehr darum zu fragen, wer dem Aufruf der Fridays for Future-Gruppen folgt und für den Klimaschutz auf die Straße geht. Die Autor_innen der einzelnen Kapitel nähern sich dem Phänomen Fridays for Future aus verschiedenen Blickwinkeln. Neben den Auswertungen der Demonstrationsbefragungen in den folgenden beiden Kapiteln bieten die Beiträge vielfältige Einblicke in die Organisationspraxis und das Selbstverständnis der Bewegung. Sie ordnen die Protestformen historisch und in den Kontext früherer Klimaproteste ein, untersuchen den gesellschaftlichen Rückhalt der Bewegung und diskutieren die Herausforderungen, vor denen Fridays for Future steht.

Zunächst richtet das zweite Kapitel den Blick auf die Großdemonstrationen von Fridays for Future in Deutschland. Mit einem Vergleich von Ergebnissen der Demonstrationsbefragungen, die im März und November 2019 in Berlin und Bremen durchgeführt wurden, zeigen Moritz Sommer, Sebastian Haunss, Beth Gharrity Gardner, Michael Neuber und Dieter Rucht, wie sich das Profil und die Einstellungen der Protestierenden innerhalb dieser acht Monate verändert haben. Die zu Beginn der Proteste im März in erster Linie von relativ protestunerfahrenen Schüler_innen und stark von (jungen) Frauen getragenen Proteste sind im November einer deutlich breiteren Mobilisierung gewichen. Die Demonstrant_innen richten ihren Protest an die Politik, der sie aber kaum zutrauen, aus eigenem Antrieb etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen. Die überwiegend links eingestellten Protestierenden zeigen dennoch ein stabiles, grundsätzliches Vertrauen in das Funktionieren demokratischer Institutionen. Insgesamt sind die Demonstrierenden auch im November noch zuversichtlich, mit ihrem Engagement politische Entscheidungen beeinflussen zu können.

Im dritten Kapitel von Michael Neuber,Piotr Kocyba und Beth Gharrity Gardner geht es um die internationale Seite der Proteste. Die länderübergreifende Koordination der Demonstrationen in Abwesenheit einer zentralen Struktur ist bemerkenswert. Vergleichbare, international abgestimmte, aber lokal stattfindende Proteste waren bisher vor allem auf einmalige Ereignisse oder auf jährlich wiederkehrende Anlässe wie den 1. Mai, den Frauenkampftag oder den Christopher Street Day beschränkt. Kapitel 3 beruht auf zwei international koordinierten Demonstrationsbefragungen vom März und September 2019. Die Autor_innen zeigen, wie sich die FFF-Protestierenden in den sieben untersuchten Ländern voneinander unterscheiden, welche Gemeinsamkeiten sie aufweisen und wie sich das Profil der Demonstrierenden im Zeitverlauf verändert.

Die Großdemonstrationen stellen den sichtbarsten Teil der Protestmobilisierung dar. Für die Kontinuität der Bewegung sind jedoch die in der Regel deutlich kleineren wöchentlichen Proteste und die dauerhafte Organisationsarbeit der Aktivist_innen wichtiger. Drei Kapitel greifen diese Aspekte auf und werfen einen detaillierten Blick auf die regelmäßigen Kundgebungen (Kapitel 5) und auf die Mobilisierungs- und Organisationsarbeit (Kapitel 4 und 7). Zudem ordnet Kapitel 6 die Protestform des Schulstreiks in einen breiteren Zusammenhang ein.

Kennzeichen und Namensgeber der Fridays for Future sind die wöchentlich stattfindenden Freitagsproteste, die bis zu den Einschränkungen durch die Coronapandemie in vielen Städten Deutschlands und weltweit stattfanden. In Kapitel 5 beobachten und vergleichen Charlotte Grupp, Max Hundertmark und Sophie Mandel diese Kundgebungen, an denen die Bewegung seit ihren Anfängen festhält, in Hamburg und Bremen. Die Autor_innen gehen näher auf die persönlichen und politischen Hintergründe der Aktivist_innen ein, beschreiben wiederkehrende Rituale und schildern die Reaktionen der anwesenden Bürger_innen.

Dieter Rucht und Dieter Rink machen in Kapitel 4 durch einen Blick auf die Mobilisierungsdynamik von FFF deutlich, welche Wachstumsschübe FFF bereits hinter sich hat. Für diesen Erfolg braucht es günstige Rahmenbedingungen ebenso wie engagierte Initiator_innen, denn organisatorische Lernprozesse und die Mobilisierung so vieler Menschen bedeuten Arbeit. Wie diese Mobilisierungsarbeit aussieht und wo mögliche Grenzen des Wachstums der Bewegung liegen, wird in diesem Kapitel näher betrachtet.

Luca Marie Döninghaus, Konstantin Gaber, Renée Gerber, Jonas Laur, Helena Redmer, Ann-Katrin Schlott und Anne Wollschläger werfen in Kapitel 7 einen detaillierten Blick auf die Organisationspraxis der Aktivist_innen. Anhand der Auswertung teilnehmender Beobachtungen von Sitzungen lokaler FFF-Gruppen in Bremen und Bremerhaven bieten sie Einblicke in die dezentrale Organisationsstruktur von FFF. Die Autor_innen zeigen, auf Grundlage welcher Überlegungen und auf welche Art und Weise Entscheidungen getroffen werden und inwiefern Prozesse der Entscheidungsfindung reflektiert werden. Sie verdeutlichen, wie Fridays for Future in diesen Diskussionen eine kollektive Identität herausbildet, die die Bewegung durchsetzungs- und handlungsfähig macht.

Das Ringen um Respekt und die Begegnung auf Augenhöhe – Dinge, die Jugendliche aus der Auseinandersetzung mit ihren Eltern oder Lehrer_innen kennen – ist auch bei der Entstehung sozialer Bewegungen Thema. Neue Akteur_innen müssen Wege finden, ihren Themen Nachdruck zu verleihen. Simon Teune ordnet in Kapitel 6 die markante Protestform des Schulstreiks von FFF in die Tradition des zivilen Ungehorsams ein und zeigt, warum man diese nicht als Schulschwänzerei abtun sollte.

Kapitel 8, 9 und 10 wechseln die Perspektive und betrachten FFF nicht aus der Innensicht der Organisator_innen und Protestteilnehmer_innen, sondern aus der Außensicht etablierter klimapolitischer NGOs (Kapitel 8), der Medien (Kapitel 9) sowie der Bevölkerung (Kapitel 10). Sie liefern Erkenntnisse darüber, wie FFF von anderen Akteuren wahrgenommen wird und welchen Rückhalt die Bewegung in der Gesellschaft hat.

Fridays for Future hat von den vorhandenen Strukturen der Klima- und Umweltbewegung profitiert, steht aber gleichzeitig vor der Aufgabe, eine eigenständige Identität zu entwickeln. Die Autor_innen des achten Kapitels, Timo Gentes, Lina Löning und Alena Trapp, haben Interviews mit Vertreter_innen der Umweltschutzorganisationen BUND, Greenpeace und Denkhaus Bremen geführt und beleuchten deren Blick auf Fridays for Future. Sie fragen nach den Einstellungen der etablierten Verbände, der Art und Intensität der Kooperation und nach Kritik an der jungen Bewegung. Bei allen thematischen Gemeinsamkeiten wird dabei auch deutlich, wie FFF sich ihrerseits von älteren Organisationen abgrenzt.

Ohne die massenmediale Berichterstattung wäre Fridays for Future nicht das geworden, was es heute ist. Kapitel 9 legt den Fokus auf die Arena der medialen Öffentlichkeit und untersucht insbesondere die dort an FFF geäußerte Kritik. Max Goldenbaum und Clara S. Thompson zeigen, wie sich unterschiedliche Sichtweisen auf die Bewegung und ihre Forderungen herauskristallisiert haben. Sie gehen darauf ein, wie die Reaktionen auf Protestformen und -forderungen ausfallen und wie sich die Medienresonanz und der Tenor der Berichterstattung über die Zeit entwickelt haben.

Kapitel 10 untersucht die öffentliche Meinung zu FFF. Um als Bewegung Fuß zu fassen, bedarf es gesellschaftlichen Rückhalts. Um wirkmächtig zu werden, muss es Menschen geben, die die Anliegen der Aktivist_innen teilen und umsetzen. Sebastian Koos und Franziska Lauth untersuchen auf Grundlage von Daten des German Internet Panel, wen FFF erreicht, wer der Bewegung die nötige Unterstützung gibt und wer sogar bereit ist, den eigenen Lebensstil im Sinne von FFF und zugunsten des Klimas zu verändern.

Kapitel 11 ordnet Fridays for Future in einen breiteren gesellschaftlichen Kontext ein. Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht diskutieren, inwiefern die Bewegung als Sinnbild für die junge Generation in Deutschland gelten kann. Was macht diese Generation aus, die durch die Klimaproteste so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, und was unterscheidet sie von anderen Generationen? Das Kapitel gibt einen Überblick über Werte, Sichtweisen und Selbstbewusstsein der jungen, ausgesprochen politisierten »Generation Greta«.

Im Schlusskapitel führen Moritz Sommer und Sebastian Haunss eine Reihe der in den einzelnen Beiträgen aufgenommenen Fäden zusammen. Sie diskutieren, welche die bisher erkennbaren Erfolgsbedingungen von Fridays for Future sind, worin sich die aktuellen Proteste von den vorangegangenen Klimaprotesten unterscheiden und warum gerade diese Differenz zum Erfolg der Bewegung beigetragen hat. Sie gehen auf die Reaktion auf die Coronapandemie ein und blicken auf zentrale Herausforderungen, die vor der noch immer jungen Bewegung liegen.

Eine Besonderheit dieses Sammelbands sollte abschließend noch erwähnt werden: Ein aufmerksamer Blick in das Autor_innenverzeichnis am Ende des Buchs verrät, dass es sich bei einem Teil der Autor_innen nicht um etablierte Wissenschaftler_innen, sondern um Studierende der Politikwissenschaft der Universität Bremen handelt. Ein Teil der Kapitel ist aus einem Forschungsseminar zu Fridays for Future im Wintersemester 2019/20 hervorgegangen. Angesichts des großen studentischen Interesses an Fridays for Future entstand die Idee, wissenschaftliches Arbeiten nicht nur zu erlernen, sondern auch unmittelbar anzuwenden und so zum Wissen über die bisher noch wenig erforschte Bewegung beizutragen.

Literatur

Sommer, Moritz/Rucht, Dieter/Haunss, Sebastian/Zajak, Sabrina (2019): Fridays for Future. Profil, Entstehung und Perspektiven der Protestbewegung in Deutschland, ipb working paper 2.2019, Berlin: Institut für Protest und Bewegungsforschung, https://protestinstitut.eu/wp-content/uploads/2019/08/ipb-working-paper_FFF_final_online.pdf.

Teune, Simon/Sommer, Moritz (2017): Zwischen Emphase und Aversion. Großdemonstrationen in der Medienberichterstattung, ipb working paper 2.2017, Berlin: Institut für Protest- und Bewegungsforschung, https://protestinstitut.eu/wp-content/uploads/2017/07/ipb-Forschungsbericht-Gro%C3%9Fdemonstrationen-in-der-Medienberichterstattung.pdf

Wahlström, Mattias/Kocyba, Piotr/De Vydt, Michiel/de Moor, Joost (2019): Protest for a Future: Composition, Mobilization and Motives of the Participants in Fridays for Future Climate Protests on 15 March, 2019 in 13 European Cities, https://protestinstitut.eu/wp-content/uploads/2019/07/20190709_Protest-for-a-future_GCS-Descriptive-Report.pdf.

2. Wer demonstriert da? Ergebnisse von Befragungen bei Großprotesten von Fridays for Future in Deutschland im März und November 2019

Moritz Sommer, Sebastian Haunss, Beth Gharrity Gardner, Michael Neuber, Dieter Rucht

Ab Winter 2018/2019 entstanden auch in Deutschland immer mehr lokale Gruppen, die das Motto Greta Thunbergs aufgriffen und Schulstreiks für das Klima organisierten. Diese Proteste unter dem Namen Fridays for Future (FFF) hatten wenig gemein mit den Klimaprotesten der vorangegangenen Jahrzehnte, die von etablierten Umweltschutzorganisationen getragen wurden und deren Fokus einerseits auf den internationalen Klimakonferenzen und andererseits – insbesondere in Deutschland – auf dem Kampf gegen CO2-intensive Energiegewinnung vor allem im Braunkohletagebau lag (Dietz/Garrelts 2013). Mit der Mobilisierung zum 1. Globalen Klimastreiktag am 15. März 2019 zeichnete sich der Beginn einer neuen transnationalen, möglicherweise sogar globalen Protestbewegung ab. Auffällig war in dieser Frühphase der Bewegung der Gegensatz von enormer medialer und gesellschaftlicher Aufmerksamkeit bei gleichzeitig kaum vorhandenem Wissen über die Protestierenden und ihre Anliegen.

Die von einem schwedischen Forschungsteam initiierte europaweite Befragung der FFF-Demonstrierenden am 15. März 2019 setzte an diesem Wissensdefizit an (Wahlström u. a. 2019). Das Ziel war es zu erkunden, wer sich an den Protesten von Fridays for Future beteiligte. Welchen sozialen und politischen Hintergrund haben die Menschen, die den Aufrufen der lokalen Fridays for Future-Gruppen folgten? Hatten die Protestierenden sich schon zuvor in der Klimabewegung engagiert oder wurden hier Menschen aktiv, für die Protest eine ganz neue Erfahrung war? Was waren die Motive der Protestierenden? Was wollten sie mit ihrem Protest erreichen? Wie beurteilten sie die Wirkung ihres Protests? Und wie schätzten sie das demokratische System und einzelne politische Institutionen ein?1

In den Folgemonaten wurde dann klar, dass Fridays for Future kein Strohfeuer war. Die Mobilisierung zu den freitäglichen Klimastreiks hatte im Frühjahr und bis zu den Sommerferien 2019 angehalten und sich auf immer mehr Städte in ganz Deutschland ausgebreitet. Gleichzeitig war die planmäßige Umsetzung der international vereinbarten Beschlüsse der Pariser Klimakonferenz vom Dezember 2015 weiterhin ausgeblieben. Das zentrale Anliegen der Protestierenden blieb unerfüllt. Somit verlagerte sich im Herbst 2019 die mediale Debatte weg von Fragen nach der Motivation und Legitimität des regelwidrigen Schulstreiks hin zu Diskussionen über eine vermeintliche oder tatsächliche Erschöpfung bzw. Frustration der Aktivist_innen.

Vor dem Hintergrund der anhaltenden Protestmobilisierung und deren Bedeutung wurden weitere Befragungen geplant, bei denen mithilfe weitgehend identischer Fragebögen mögliche Veränderungen der Zusammensetzung und der Einstellungen der Protestierenden ermittelt werden sollten. Die Ergebnisse einer Befragung der Demonstrationen am 20. September 2019 erschienen im Februar 2020 in einem englischsprachigen, ländervergleichenden Report (de Moor u. a. 2020), der die neuen Daten systematisch mit denen der Märzumfrage verglich und der auch einen Berichtsteil zu den Befragungsergebnissen in Berlin und Chemnitz beinhaltete (Neuber/Gardner 2020, siehe Neuber u. a., Kapitel 3).

Neben dieser international angelegten Befragung im September ist es gelungen eine weitere Befragung zum 4. Globalen Klimastreik am 29. November 2019 in Deutschland durchzuführen. Dafür wurden erneut die Demonstrierenden in den beiden Städten der Erhebung im März (Berlin und Bremen) befragt. Mit der parallelen Befragung in zwei Städten sollte verhindert werden, dass mögliche ortsspezifische Besonderheiten fälschlich als generelle Merkmale der Protestierenden interpretiert werden.

Dieses Kapitel präsentiert neben den Daten vom 15. März 2019 die Ergebnisse der Befragungen am 29. November 2019. Es liefert eine umfassende Analyse der Charakteristika der Demonstrierenden in Berlin und Bremen. Für den Vergleich der Daten vom März und November sprechen neben der identischen Städteauswahl zwei weiteren Überlegungen: Zum einen erfassen wir sowohl die ersten als auch – zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Buchmanuskripts im Juli 2020 – vorerst letzten großen, bundesweiten Straßenproteste von Fridays for Future in Deutschland. Der Abstand von rund acht Monaten erlaubt es, das soziodemografische Profil und die Einstellungen der Demonstrierenden in der Frühphase der Bewegung und zu einem Zeitpunkt, als sich die Bewegung bereits etabliert hatte, zu vergleichen. Zum anderen bietet der Vergleich der März- und Novemberdaten die Möglichkeit zu überprüfen, ob das im September 2019 beschlossene Klimapaket einen Einfluss auf die Einstellungen und Motive der Demonstrierenden hatte. Mit dem vom sogenannten Klimakabinett vorgelegten Maßnahmenbündel hatte die Bundesregierung die ersten aus ihrer Sicht weitreichenden Maßnahmen zur Einhaltung der Klimaschutzziele seit dem Beginn der FFF-Proteste in Deutschland vorgelegt.

Im Vordergrund unserer Analyse stehen also die Veränderungen zwischen März und November 2019. Dabei gehen wir von zwei Erwartungen aus: Die erste Überlegung, die als Diffusionshypothese bezeichnet werden kann, folgt dem Eindruck, die Bewegung habe sich zunehmend sozial verbreitert. Die Medien vermittelten im ersten Quartal 2019 das Bild, die FFF-Proteste seien von jungen Schüler_innen dominiert, was die Ergebnisse der Märzbefragung weitgehend bestätigen (Sommer u. a. 2019). Der starke Zulauf der Bewegung zwischen Frühjahr und Herbst 2019, die breite gesellschaftliche Unterstützung und die Mobilisierung weit über den Sozialraum Schule hinaus legen die Vermutung nahe, dass sich bei den späteren Protesten deutlich mehr ältere Menschen beteiligen würden. Der Aufruf für den globalen Protest am 20. September (zugleich der Tag, an dem in Deutschland das entscheidende Treffen des Klimakabinetts stattfand) richtete sich ausdrücklich an alle gesellschaftlichen Gruppen (#AlleFürsKlima). Die Ergebnisse der Befragungen an diesem Tag zeigen in der Tat eine breitere soziale Basis der Teilnehmer_innen und insbesondere die erwartete Altersverschiebung (Neuber/Gardner 2020: 119 f.). Somit stellte sich im November die Frage, ob es Fridays for Future gelungen war, die Mobilisierung auch älterer Menschen aufrechtzuerhalten und sich die im September beobachtete Altersverschiebung somit fortsetzen würde oder ob die Novemberproteste wie im März wieder vom jüngeren Kern der Bewegung geprägt sein würden.

Die zweite Erwartung betrifft die Einstellungen der Protestierenden. Zu Beginn des Jahres waren die FFF-Proteste von einer starken Euphorie und Zuversicht der Protestierenden getragen, durch den Druck auf der Straße grundlegende Fortschritte in der Klimapolitik zu erzielen. Diese anfängliche Hoffnung schien spätestens nach dem »Klimapaket« der Bundesregierung, das weit hinter den Forderungen der Protestierenden zurückblieb, einer wachsenden Frustration zu weichen (Frustrationshypothese). Wir erwarten daher im Vergleich der März- und Novemberdaten, dass sich diese Enttäuschung auch in den Einstellungen der Befragten niederschlägt. Insbesondere dürfte das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Bundesregierung gelitten haben. Aber auch ein grundlegenderer Vertrauensverlust in die politischen Institutionen könnte sich abzeichnen.

Diese allgemeinen Erwartungen werden in der Analyse in dreifacher Hinsicht überprüft. Wir arbeiten zum Ersten die Veränderungen und Kontinuitäten zwischen den beiden Befragungszeitpunkten März und November 2019 heraus. Zweitens vergleichen wir in Anlehnung an die Praxis der Berichte zu den Septemberbefragungen (de Moor et al. 2020) zwei Alterskohorten: einerseits die Schüler_innen und jungen Erwachsenen von 14 bis inklusive 25 Jahren, die wir in Übereinstimmung mit der Praxis vieler Jugendstudien als »Jugendliche« bezeichnen; andererseits die über 25-Jährigen, die wir – obwohl in juristischer Hinsicht in Deutschland bereits 18-Jährige als erwachsen gelten – der Einfachheit halber als »Erwachsene« bezeichnen. Schließlich stellen wir einige Vergleiche zwischen den Merkmalen der FFF-Protestierenden und den Teilnehmer_innen an thematisch anders gelagerten Protesten in Deutschland vor. Hierbei greifen wir auf Daten zurück, die vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung (ipb) und früheren Forschungsgruppen am Wissenschaftszentrum Berlin erhoben wurden. Der Vergleich der FFF-Demonstrationen in Berlin und Bremen spielt dagegen nur eine untergeordnete Rolle, zumal sich die Ergebnisse in beiden Städten kaum voneinander unterscheiden.

Befragungen bei den FFF-Protesten

Befragungen von Demonstrierenden sind mittlerweile ein etabliertes Instrument, um etwas über Menschen zu erfahren, die an kollektiven und öffentlichen Protesten teilnehmen (van Aelst/Walgrave 2001; Walgrave/Verhulst 2011; Andretta/della Porta 2014). Während in der medialen Berichterstattung über Proteste vor allem die Meinungen und Positionen der Organisator_innen der Proteste sowie die Äußerungen von Personen des öffentlichen Interesses präsent sind, liefern methodisch kontrollierte Befragungen ansonsten nicht zugängliche Informationen über die oft sehr diversen Eigenschaften, Motive und Hintergründe der Bürger_innen, die sich an den Protesten beteiligten.

Die in diesem Kapitel ausgewerteten Befragungen fanden zu zwei herausgehobenen Anlässen statt. Der 15. März 2019 war der Tag, an dem Fridays for Future zum ersten Mal weltweit und koordiniert zum Global Climate Strike For Future aufgerufen hatte. In Deutschland wurden an diesem Freitag an 226 Orten Demonstrationen und Kundgebungen angekündigt. Die zweite Befragung erfolgte im Rahmen des 4. Globalen Klimastreiks am 29. November 2019, für den in Deutschland in über 500 Städten Proteste geplant waren. An diesem Tag sollte der Bundesrat über das sogenannte Klimapaket entscheiden; und zugleich war es der letzte Freitag vor der 25. UN-Klimakonferenz (COP 25), die Anfang Dezember in Madrid stattfand.

Die Demonstrationen am 15. März 2019 und 29. November 2019

Die Demonstrationen am 15. März 2019 unterschieden sich nicht grundsätzlich von den zu diesem Zeitpunkt bereits etablierten wöchentlichen dezentralen Protesten der lokalen Fridays for Future-Gruppen. Auch für den 15. März wurde lokal mobilisiert; es gab keine bundesweite zentrale Demonstration. Eine Besonderheit im Vergleich zu den vorangegangenen wöchentlichen Demonstrationen bestand allerdings darin, dass dieser Protesttag in seinem globalen Rahmen besonders hervorgehoben wurde und auch der planerische Vorlauf für die Mobilisierung deutlich länger war. Bereits Mitte Februar erfolgte der Aufruf zu einem »globalen Streik« am 15. März. Im deutlich anwachsenden Medienecho für FFF ab der letzten Februarwoche (siehe Goldenbaum/Thompson, Kapitel 9) deutete sich bereits an, dass die Demonstrationen an diesem Tag größer als an den vorangegangen Freitagsprotesten ausfallen könnten.

Tatsächlich lag dann die Zahl der Protestteilnehmer_innen an vielen Orten deutlich über den Erwartungen der Organisator_innen. In Bremen war die lokale FFF-Gruppe optimistisch von 1.000 Protestierenden ausgegangen, demonstriert haben dann ca. 5.500 Menschen (eigene Zählung). In Berlin war die Veranstaltung mit 5.000 Personen angemeldet worden und beteiligt haben sich dann zwischen 20.000 (Polizei) und 25.000 Menschen (Veranstalter_innen). In beiden Städten wurden somit die Erwartungen der Veranstalter_innen um rund das Fünffache übertroffen.

Zwischen März und November lässt sich eine deutliche Professionalisierung der Organisation der Demonstrationen beobachten. Im März wirkten die Veranstaltungen sehr spontan und improvisiert. Die unerwartet hohen Teilnehmer_innenzahlen führten an einzelnen Orten dazu, dass die technischen Mittel (z. B. Lautsprecherwagen und Mikrofonanlagen) unterdimensioniert waren und nur ein kleiner Teil der Demonstrierenden überhaupt in der Lage war, den Beiträgen auf den Auftakt- und Abschlusskundgebungen zu folgen. Dagegen gab es im November oft große Bühnen für die Kundgebungen und mehrere Lautsprecherwagen im Demonstrationszug.

Die Stimmung bei den Märzdemonstrationen war insgesamt fröhlich bis euphorisch. Insignien anderer Organisationen als FFF fehlten weitgehend. In Bremen waren vereinzelt Plakate mit den Logos etablierter Umweltorganisationen sowie einzelne Fahnen der Piratenpartei zu sehen. In Berlin wurden einzelne Fahnen und Schilder mit dem Logo von Extinction Rebellion sowie Transparente von Umweltorganisationen gezeigt. Die Optik der Demonstrationszüge prägten aber ganz eindeutig Tausende selbstgemalte Pappschilder mit einigen wiederkehrenden Sprüchen (»There is no Planet B«), vor allem aber sehr vielen individuellen und teilweise originellen Slogans. Dagegen waren bei den Demonstrationen im November die Fahnen und Symbole von anderen Gruppen als Fridays for Future deutlich präsenter, ohne aber das Erscheinungsbild der Demonstration zu dominieren.

Angeführt wurden die Demonstrationen jeweils von einer Gruppe sehr junger Schüler_innen. Offenkundig achteten die Organisator_innen darauf, die Demonstration durch diese Gruppe zu repräsentieren. So konnten wir bei der Märzdemonstration in Berlin beobachten, dass ein deutlich älterer Organisator bzw. Ordner mit Megafon speziell die jungen Teilnehmer_innen (von ca. 11 bis 14 Jahren) gezielt hinter dem Fronttransparent platzierte. Dort skandierten die Kinder, begleitet von rhythmischen Hüpfbewegungen, in ausgelassener Stimmung ihre Parolen (zum Beispiel: »Wir sind hier. Wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut.«). Nachdem sich alle interessierten Fotograf_innen vor oder seitlich des Transparents postiert hatten, setzte sich der Zug, angeführt von den jubelnden Kindern, in Bewegung. Im März waren innerhalb der Demonstrationszüge keine organisierten Blöcke erkennbar. Die Mehrzahl der Schüler_innen beteiligte sich in Gruppen von ungefähr Gleichaltrigen, die Jüngeren manchmal in Begleitung ihrer Lehrer_innen.

Im November entsprach das äußerliche Bild der Demonstrationen eher dem, was man von anderen themenbezogenen Bündnisdemonstrationen kennt. Einem nach wie vor von Schüler_innen angeführten ersten Block folgten im Verlauf des Demonstrationszuges zuweilen klar erkennbare einzelne Blöcke politischer und sonstiger Gruppen. Vertreten waren etablierte Umwelt- und Verkehrsverbände, einzelne Gewerkschaften und diverse Parteien des linken Spektrums. Diese organisierten Gruppen bildeten jedoch, zusammengenommen, weiterhin eine deutliche Minderheit der Protestierenden. Selbstgemalte Pappschilder waren immer noch präsent, aber längst nicht mehr so häufig wie im März. Die schon rein optisch deutlichste Veränderung war jedoch die völlig andere Altersstruktur der Demonstrierenden. Zwar waren immer noch sehr viele Schüler_innen unterwegs, aber sowohl in Berlin als auch in Bremen stellten die Schüler_innen offenbar nur noch den kleineren Teil der Protestierenden.

Die Stimmung auf den Demonstrationen im November war entspannt, aber weniger enthusiastisch als bei den Demonstrationen im März oder bei den deutlich größeren Demonstrationen am 20. September 2019 mit 250.000 (Berlin) bzw. 35.000 (Bremen) Teilnehmer_innen. Die Polizei blieb an beiden Terminen sehr zurückhaltend und beschränkte sich vor allem darauf, den Verkehr zu regeln. Allerdings war die Polizeipräsenz im November etwas stärker als noch im März. Zumindest in Bremen begleiteten im November auch kleine Gruppen voll ausgerüsteter Bereitschaftspolizist_innen die Demonstration.

Bei den Demonstrationen im März und November standen die allermeisten der von uns angesprochenen Teilnehmer_innen der Befragung offen und interessiert gegenüber. Es gab nur sehr wenig ablehnende Reaktionen. In beiden Fällen registrierten wir einen relativ großen Anteil an Schüler_innen, die teils deutlich jünger als 14 Jahre waren. Da wir aus Datenschutzgründen Personen unter 14 Jahren nicht befragen konnten, ist diese Gruppe in den Ergebnissen der Befragung nicht präsent. Wir schätzen, dass in Bremen und in Berlin jeweils zwischen 5 und 15 Prozent der Demonstrierenden jünger als 14 Jahre waren. Damit liegt das tatsächliche Durchschnittsalter der Demonstrierenden unter den Werten, die wir unten bei der Auswertung der Umfragedaten nennen.

Befragungen von Demonstrierenden und das Problem der Repräsentativität

Im Vergleich mit anderen Befragungen von Demonstrierenden, bei denen nur einzelne Protestereignisse im Fokus standen, bietet das hier gewählte Befragungsdesign, das an die Praxis anderer Länder und einzelne Proteste vergleichender Studien angelehnt ist (van Stekelenburg u. a. 2012), eine Reihe von Vorzügen: Zum einen haben wir die Befragung mit demselben Fragebogen an mehreren Orten gleichzeitig durchgeführt. Das trägt der eher ungewöhnlichen Mobilisierungsweise von Fridays for Future Rechnung, die bisher fast ausschließlich lokal mobilisiert haben, statt auf bundesweite Großdemonstrationen zu setzen. Zum anderen haben wir sowohl in Berlin als auch in Bremen jeweils zwei Demonstrationen zum selben Thema zu unterschiedlichen Zeitpunkten befragt. Die Umfrage bietet also nicht nur einen einmaligen Einblick in die Motive und Überzeugungen der FFF-Demonstrant_innen, sondern liefert auch Aussagen über die Entwicklung der Bewegung im Zeitverlauf. Zum Dritten wurde die Umfrage im Rahmen einer länderübergreifenden Zusammenarbeit konzipiert, bei der Forscher_innenteams in 15 Ländern die Teilnehmer_innen der FFF-Klimastreiks unter Verwendung desselben Fragebogens befragten. Kapitel 3 geht auf die Durchführung und die Ergebnisse dieser internationalen Befragung näher ein.

Weil es kaum praktikabel ist, eine pro Person etwa 20 Minuten dauernde Befragung während einer Demonstration oder während einer Kundgebung durchzuführen, wurden bei den Fridays for Future-Demonstrationen kleine Handzettel mit einem QR-Code bzw. einem Link zu einer Onlineumfrage verteilt. Jeder Handzettel enthielt einen zufällig generierten einmaligen Code, sodass mit diesem Zettel nur eine einmalige Teilnahme an der Umfrage möglich war.

Tabelle 2.1: Übersicht der FFF-Protestbefragungen im März und November 2019

Demonstration

Teilnehmende, geschätzt

Verteilte Fragebögen

Rücklauf

Rücklaufquote; 

Prozent

März 2019

25.500

2.200

355

16,1

 

Berlin

20.000

1.202

204

17,0

 

Bremen

5.500

998

151

15,1

November 2019

46.000

1.615

345

21,4

 

Berlin

40.000

560

104

18,6

 

Bremen

6.000

1.055

241

22,8

Tabelle 2.1 liefert eine Übersicht über die Rahmendaten der vier Befragungsaktionen. Bei den auf den ersten Blick möglicherweise niedrig erscheinenden Rücklaufquoten handelt es sich dennoch um Quoten, die weit über denen repräsentativer Bevölkerungsumfragen liegen. Generell sollte an der Höhe der Quote allein nicht die Aussagekraft der Ergebnisse gemessen werden, kommt es doch darauf an, bei der Auswahl der Protestierenden systematische Verzerrungen zu vermeiden. Um Aussagen über die Gesamtheit der Protestierenden treffen zu können, muss sichergestellt werden, dass die ausgewerteten Antworten tatsächlich die Zusammensetzung der Demonstrierenden widerspiegeln. Dafür sind bei der Durchführung der Befragung besondere Maßnahmen notwendig, die hier kurz vorgestellt werden sollen (Walgrave/Verhulst 2011; Andretta/della Porta 2014).

In repräsentativen Bevölkerungsumfragen, zum Beispiel zu Wahlen oder zu politischen Einstellungen, werden in der Regel 1.000 bis 2.000 Personen befragt. Für die Grundgesamtheit, also beispielsweise die Bevölkerung Deutschlands, kann damit ein repräsentatives Bild gewonnen werden, weil sehr genaue Informationen über deren Alters- und Einkommensverteilung, Geschlechts- und Religionszugehörigkeit und viele andere Merkmale bereits bekannt sind. Achtet man nun darauf, dass die Stichprobe der Befragten die Verteilung der relevanten Merkmale möglichst genau abbildet, dann ist es mit einer relativ geringen Fehlerwahrscheinlichkeit möglich, auf Basis der relativ kleinen Gruppe der Befragten Aussagen über die gesamte Bevölkerung zu machen.