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Dieses eBook: "Friedrich Schiller: Der Mann und das Werk" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Friedrich Schiller (1759-1805) wurde als zweites Kind geboren. Auf herzoglichen Befehl und gegen den Willen der Eltern musste Schiller 1773 in die Militärakademie Karlsschule eintreten. Schiller begann zunächst ein Rechtsstudium. Er wechselte das Studienfach und wandte sich der Medizin zu. Während dieser Zeit fesselten ihn die Werke der Dichter des Sturm und Drang und die Gedichte Klopstocks. Im selben Jahr verfasste er das Theaterstück Der Student von Nassau. 1776 erschien sein erstes gedrucktes Gedicht Der Abend. Schiller studierte die Werke Plutarchs, Shakespeares, Voltaires, Rousseaus und Goethes. Ebenfalls 1776 begann er die Arbeit an dem Freiheitsdrama Die Räuber. 1781 vollendete Schiller sein Theaterstück, das noch im selben Jahr anonym gedruckt wurde. Anfang 1782 erschien die Anthologie auf das Jahr 1782 mit 83, meist von Schiller verfassten, Gedichten. Als im August desselben Jahres dem Herzog eine Beschwerde vorgetragen wurde, dass Schiller mit seinen Räubern die Schweiz verunglimpft habe, spitzte sich der Konflikt zwischen Landesherrn und Autor zu. Schiller wurde Festungshaft angedroht und jede weitere nicht-medizinische Schriftstellerei verboten. Auf Einladung des Theaterintendanten Dalberg kehrte Schiller im Juli 1783 nach Mannheim zurück und trat dort im September die Stelle eines Theaterdichters an. Im gleichen Monat erkrankte er am "Nervenfieber". Im Jahr 1789 nahm Schiller eine Professur in Jena an und lehrte dort als Historiker. Qualifiziert hatte er sich insbesondere mit seiner Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande. Im Februar 1805 erkrankte er schwer und traf zum letzten Mal mit Goethe. Noch kurz vor seinem Tod vollendete Schiller die Übersetzung von Jean Racines klassischer Tragödie Phèdre.
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Lebengeschichte einer der bedeutendsten deutschsprachigen Dramatiker und Lyriker
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1550-1723
Die berühmtesten deutschen Dichter bringen keinen Glanz des Geschlechtes mit: bei Wenigen wird noch der Groß- oder Urgroßvater genannt, meistens aber verliert sich schon mit dem Vater der Name in unaufgehellte Dunkelheit, und der Gefeierte selbst steht in jener Größe da, welche ein römischer Cäsar mit dem bekannten Worte gestempelt hat: »dieser Mann scheint mir aus sich selbst geboren.« Wenn man sich jedoch die Mühe nähme, den Familien unserer großen Männer rückwärts nachzugehen, so ist darum, daß man in keine Paläste tritt, nicht zu fürchten, daß man in Schlupfwinkel geraten würde, deren ein Lebensbeschreiber, dem die Ehre seines Helden am Herzen liegt, sich zu schämen hätte. Vielmehr dürfte man zuletzt sich in irgend einem ehrlichen deutschen Dorfe befinden, wo in den Geschlechtsregistern ein reines Blut und ein unbefleckter Name von Jahrhundert zu Jahrhundert rückwärts jenen freien Ahnen sich nähert, die zwar nicht mit erblichen Geschlechtsnamen prangten, aber deren starker Arm einst die Römer aus den Wäldern des Vaterlandes verjagt hat.
So kühne Hoffnung dürfen wir von Erforschung des Geschlechtes schwäbischer Dichter freilich nicht hegen. Die Kirchenbücher der württembergischen Dörfer namentlich gehen wohl insgesamt nicht bis zur Reformation herab, sehr viele sind nach der Nördlinger Schlacht von den Kaiserlichen zerstört worden. Doch ist es dem Verfasser dieser Lebensbeschreibung durch die Gefälligkeit zweier Pfarrämter gelungen, den Mannsstamm Schillers mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit bis ins siebente Glied rückwärts und in die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts zu verfolgen.
Schillers Vater, Johann Kaspar Schiller, ist zwei Stunden nördlich von der Ghibellinenstadt Waiblingen und in ihrem Oberamte, zu Bittenfeld (nicht Bitterfeld) einem altwürttembergischen Pfarrdorfe von etwa tausend Einwohnern am 27. Oktober des Jahres 1723 geboren: dessen Vater, der Großvater des Dichters, hieß Johannes Schiller, war Schultheiß des Dorfes und Bäcker, und am 20. Oktober 1682 zu Bittenfeld geboren; heirathete am 30. Oktober 1708 eine Bewohnerin des Dorfes Altdorf, Eva Margaretha Schatzin, und starb am 11. Juni 1733. Der Vater des Johannes, der Urgroßvater des Dichters, hieß, wie der Enkel, Johann Kaspar Schiller, war Mitglied des Gerichts und, wie sein Sohn, ein Bäcker. Seine Gattin hieß Anna Katharina. Er starb 37 Jahre 8 Monate alt am 4. September 1687. Dieser ist im Tauf- und Kopulationsbuche Bittenfelds nicht zu finden, und er soll von Großheppach nach Bittenfeld gezogen seyn. 9
Wir wenden uns also nach diesem stattlichen Dorfe des weinreichen Remsthals, das gleichfalls im Waiblinger Oberamte und eine kleine Meile südöstlich von der Stadt Waiblingen gelegen, etwa 1400 Einwohner zählt und durch die Zusammenkunft der Helden Marlborough, Prinz Eugen und Markgraf Ludwig von Baden im dortigen Wirthshause zum Lamm am 9. Junius des Jahrs 1704 eine geschichtliche Illustration erhalten hat. Wirklich entdecken wir hier ^ einen Hans Schiller, geboren den 13. März 1650, dessen Alter bis auf 2 Monate mit der Altersangabe Hans Kaspars zu Bittenfeld übereinstimmt, und der weder im Kopulationsbuche noch im Todtenbuche Großheppachs zu finden ist. Die kleinen Differenzen können denjenigen, der die Ungenauigkeit alter Kirchenregister aus der Erfahrung kennt, nicht irre machen. Höchst wahrscheinlich ist Hans Schiller von Großheppach der Urgroßvater des Dichters. Der Vater des Hans hieß Ulrich Schiller, wie es scheint, geboren den 2. Juni 1617; Ulrichs Vater war Georg Schiller, geboren den 15. May 1587; Georgs Vater Jakob Schiller, zu dessen Geburt die Kirchenbücher nicht mehr hinaufreichen, der aber um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts geboren seyn wird. Jakobs uns unbekannter Großvater muß im besten Mannesalter den Bauernkrieg der Gegend erlebt haben, und als im Jahr 1514 »der arme Kunrad« auf dem Kappelberg, eine Stunde von Heppach, sich verschanzte, kann ein Schiller Zeuge gewesen seyn. Von Jakob Schiller bis Friedrich von Schiller sind es sieben Generationen. Hans Schiller hatte einen Bruder Jerg und mehrere Schwestern. Der Name Schiller kommt auch sonst in den Kirchenbüchern Großheppachs sehr häufig vor und mehrere dieses Namens werden als Gerichtsschreiber und Schultheißen aufgeführt. 10 Zu Marbach selbst, dem Geburtsorte des Dichters, findet sich ein Zweig jenes Geschlechts: einem Johann Kaspar Schiller, Bürger und Bäcker, wurde dort im Jahr 1727 ein ChristophFriedrich und im J. 1731 ein Johann Friedrich Schiller geboren. 11
Durch diese Genealogie, welche das Geschlecht des Dichters mit großer Wahrscheinlichkeit mitten aus einem Rebenthale aufsprossen läßt, wird auch ein Licht auf die Bedeutung seines Geschlechtsnamens geworfen. Schiller heißt nämlich im Remsthale, wie in andern Weingegenden, am Neckar, am Niederrhein, in Ungarn, seit Jahrhunderten ein Wein, dessen Farbe schielt, der weder weiß noch dunkelroth ist und aus gemischten Traubensorten gewonnen wird; denn schielen heißt in den süddeutschen Dialekten schillen. In einem andern Weindorfe jenes Thales ist eins der ausgebreitetsten Geschlechter das der » Unger,« was unwillkürlich an die Ungertrauben erinnert; sollte nicht auch Schillers Urvater zu Heppach im Remsthale seinen Namen vom Schillerwein, den er baute, erhalten haben? So sind wir wenigstens nicht genöthigt, den ersten Schiller zu einem Strabo oder Pätus zu machen, römische Familiennamen, die einen Schieler bezeichnen.
1723 bis 1759.
Johann Kaspar Schiller, des Dichters Vater, wird nach den Zeugnissen verschiedener Zeitgenossen als einfach, kraftvoll, gewandt, thätig fürs praktische Leben, dabei rasch und rauh, geschildert; nur Eines nennt ihn einen im Grunde abentheuerlichen, schiefen, stets, über Entwürfen brütenden Kopf. Nach der Schilderung eines noch lebenden Hausfreundes war er von kleiner, wohl proportionirter Statur, kräftig und lebendig, seine Stirne gewölbt, sein Auge lebhaft; er hatte eine strenge, militärische Dressur, die sich auch auf die Religionsübungen des Hauses erstreckte, während seine innern Ueberzeugungen etwas von der kühlen Aufklärung des Zeitalters an sich trugen. Wissenschaftliche Studien im strengeren Sinne hatte er nicht gemacht, obgleich die verklärende Freundschaft oder Bewunderung für den Dichter, seinen Sohn, selbst dem Vater Beschäftigung mit der Dichtkunst und eine natürliche Anlage zu derselben, viele Belesenheit in der Weltgeschichte, Studium der Philosophie, der Mathematik, der Militärgeschichte und namentlich des dreißigjährigen Krieges zuschreibt. Dies Alles beschränkte sich wohl auf Liebhabereien, Lektüre, oder der alte Schiller wird mit seinem Verwandten Johann Friedrich Schiller 12 verwechselt.
Im Jahre 1745, als ein Jüngling von 22 Jahren, war dieser Johann Kaspar, der seinen Vater in einem Alter von nicht vollen 10 Jahren verloren hatte, mit einem bayerischen Husarenregimente als Feldscherer in die Niederlande gegangen, und wurde hier auch als Unteroffizier zu kleinen kriegerischen Unternehmungen gebraucht. Der Aachener Friede des Jahres 1748 gab ihn seinem Vaterlande Württemberg zurück, und er heirathete am 22. Jul. 1749 13 die Mutter des Dichters zu Marbach, einem unfern von Ludwigsburg anmuthig auf einem Rebenhügel am Neckar gelegenen Landstädtchen. Die Wundarzneikunst nährte ihn hier nur kümmerlich. Er gab sie daher mit dem Ausbruche des siebenjährigen Krieges auf und wurde Fähnrich und Adjutant bei dem damaligen Regimente Prinz Louis, das ein Theil des Hülfskorps war, welches in einigen Feldzügen jenes Krieges mit dem österreichischen Heere focht. Als in Böhmen dieses Korps durch ein ansteckendes Fieber heimgesucht wurde, besorgte Schiller, den seine Mäßigkeit gesund erhielt, da es an Wundärzten fehlte, die Kranken und vertrat bei'm Gottesdienste die Stelle des Geistlichen durch Verlesung von Gebeten und Leitung des Gesanges. In der Folge stand er bei einem andern Regimente in Hessen und Thüringen, und kehrte nach beendigtem Kriege in das Quartier zu Ludwigsburg zurück, wo er landwirthschaftlichen Beschäftigungen oblag und Gründer einer glücklich gedeihenden Baumschule wurde. Herzog Carl von Württemberg übertrug ihm bald eine größere Anstalt dieser Art, die auf der Solitude, dem schönen herzoglichen Waldschlosse bei Stuttgart, errichtet worden war. Hier lebte er in der spätern Zeit ununterbrochen, von seinem Fürsten geachtet und zuletzt mit dem Majorstitel geschmückt, dem Gartenbau und der Baumzucht, die er als Kenner trieb und Pflegte, und über welche er, mit Beihülfe fremder Redaktion,, auch Bücher geschrieben hat. Von seinen Untergebenen war er wegen seiner Biederkeit und Unparteilichkeit geliebt, aber auch um seiner strengen Ordnungsliebe willen gefürchtet. Gattin und Kinder bewiesen ihm die ehrerbietigste Hochachtung und die innigste Liebe. Er erlebte noch den vollen Ruhm seines Sohnes, und langte mit vor Freude zitternden Händen nach den Manuskripten, die aus der Fremde an die Verlagshandlung gesendet, vor allen Dingen dem glücklichen Vater mitgetheilt wurden.
1723 bis 1759.
Bis ins hohe Lebensalter gesund, wurde er im dreiundsiebenzigsten Lebensjahr an den Folgen eines vernachläßigten Katharr's nach achtmonatlichem Leiden am 7. September 1796 von der Seite seiner Gattin genommen. Ueber seinen Tod schrieb der Sohn an die geliebte Mutter Worte, die ein unsterbliches Denkmal seiner Gesinnung sind: »Auch wenn ich nicht einmal daran denke, was der gute verewigte Vater mir und uns Allen gewesen ist, so kann ich mir nicht ohne wehmüthige Rührung den Beschluß eines so bedeutenden und thatenvollen Lebens denken, das ihm Gott so lange und mit solcher Gesundheit fristete, und das er so redlich und ehrenvoll verwaltete. Ja wahrlich, es ist nichts Geringes, auf einem so langen und mühevollen Laufe so treu auszuhalten, und so, wie er, noch im dreiundsiebenzigsten Jahre mit einem so kindlichen reinen Sinn von der Welt zu scheiden. Möchte ich, wenn es mich gleich alle seine Schmerzen kostete, so unschuldig von meinem Leben scheiden, als Er von dem seinigen! Das Leben ist eine so schwere Prüfung, und die Vortheile, die mir die Vorsehung in mancher Vergleichung mit ihm gegönnt haben mag, sind mit so vielen Gefahren für das Herz und für den wahren Frieden verknüpft! ... Unsrem theuren Vater ist wohl, und wir Alle müssen und werden ihm folgen. Nie wird sein Bild aus unserm Herzen erlöschen, und der Schmerz um ihn soll uns nur noch enger unter einander vereinigen.«
Vom Vater des Dichters wenden wir uns zur Mutter, die uns wichtiger ist, weil sie zu seinem Wesen und seiner Bildung mehr beigesteuert zu haben scheint.
1640 bis 1759.
Elisabetha Dorothea Kodweiß ward zu Marbach, fünf Stunden von Stuttgart und eine Meile von Ludwigsburg entfernt, am 13. Dezember 1732 14 geboren. Ihr Vater war Georg Friedrich Kodweiß, nicht Johann Friedrich, wie ihn, einem Schreibfehler des Marbacher Taufbuchs nach, Schillers Biographen hier und da nennen. Dieser mütterliche Großvater des Dichters war am 4. Juni 1698 geboren; er war ein ehrsamer Bürger und Bäcker, Sohn und Enkel zweier Johann Kodweiß, beide Bäcker, der ältere auch Bürgermeister von Marbach (geb. den 5. April 1640). Weiter rückwärts erscheint das Geschlecht in den mangelhaften Kirchenbüchern der am 17. Jul. 1693 eingeäscherten Stadt Marbach nicht. 15 Eine Familiensage leitet dasselbe von einem herabgekommenen Adelsgeschlechte von Kottwitz (nicht Kattwitz) ab, und läßt es aus Norddeutschland nach Schwaben einwandern. Schillers Muttervater hatte sich als Wirth und Holzmesser ein kleines Vermögen rechtlich erworben, dasselbe aber bei einer großen Neckarüberschwemmung eingebüßt. Mit Unrecht wird also Schillers Mutter das Kind wohlhabender Landleute genannt, und durch ein seltsames Mißverständnis; denselben eine guteingerichtete Wirtschaft in Cannstadt und Ludwigsburg zugeschrieben. Vielmehr mußte der herabgekommene Mann zuletzt seine Zuflucht zur Thorwartsstelle zu Marbach in einem noch jetzt vorhandenen Hause nehmen, das damals eine armselige Hütte war, die unser Dichter als Knabe, wenn er den Großvater von Ludwigsburg her besuchte, aus Scham nicht von vorn betreten mochte, sondern in die er vom Stadtgraben aus hinterwärts hineinschlüpfte. 16
1732 bis 1759.
Schillers Mutter war schlank, ohne eben (wie häufig erzählt wird) groß zu seyn, in der Jugend hochblond, das Gesicht durch Sommerflecken gezeichnet, die Augen etwas kränklich, die Züge von sanftem Wohlwollen und Empfindung beseelt; die Stirne breit. Mit gewöhnlichem Verstande 17 verband sie Innigkeit des Gefühls, wahre Frömmigkeit, Sinn für Natur, Anlage zur Musik und selbst zur Poesie, daher sie im Kreise ihrer Gespielinnen als Mädchen wohl für eine Schwärmerin galt. Das Spiel der Harfe soll sie leidenschaftlich geliebt haben, und den Gatten, der ihre erste Liebe war, begrüßte sie im achten Jahre ihrer damals noch kinderlosen Ehe am ersten Tage des Jahres 1757 mit den einfachen Strophen, die, als von Schillers Mutter gedichtet, wohl im Gedächtnisse seiner Verehrer aufbewahrt werden dürfen:
O hätt' ich doch im Thal Vergißmeinnicht gefunden Und Rosen nebenbei! Dann hätt' ich Dir gewunden Im Blüthenduft den Kranz zu diesem neuen Jahr, Der schöner noch als der am Hochzeittage war.
Ich zürne, traun, daß itzt der kalte Nord regieret, Und jedes Blümchens Keim in kalter Erde frieret! Doch eines frieret nicht, es ist mein liebend Herz,Dein ist es, theilt mit dir die Freuden und den Schmerz.
So anspruchlos diese Verse sind, so zeugen sie doch von einer Fertigkeit im Versbau und einem Sinne für den Rhythmus, welche nicht zweifeln lassen, daß die Anlage zur äußerlichen Form der Poesie bei Schiller ein Erbstück der Mutter war, zu deren Lieblingsbüchern Klopstocks damals kaum erschienene Messiade, Uz und Gellert gehörten. Sonst unterrichtete sie sich gerne in der Naturgeschichte, und sie, die bestimmt war, die Mutter eines berühmten Mannes zu werden, vertiefte sich auch am liebsten in die Lebensbeschreibungen berühmter Männer.
Schillers Mutter überlebte den Gatten sechs Jahre, welche sie theils in dem württembergischen Landstädtchen Leonberg, unweit von der Solitude, theils bei ihrer Tochter Louise in der Nähe von Heilbronn zubrachte. Sie starb Anfang Mai's 1802. Von ihrem Tode schreibt der Sohn: »Möge der Himmel der theuern Abgeschiedenen Alles mit reichen Zinsen vergelten, was sie im Leben gelitten und für die Ihrigen gethan. Wahrlich sie verdiente es, liebende und dankbare Kinder zu haben, denn sie war selbst eine gute Tochter für ihre leidenden und hülfsbedürftigen Eltern, und die kindliche Sorgfalt, die sie selbst gegen die letztern bewies, verdient es wohl, daß sie von uns ein Gleiches erfuhr.«
Aus der Ehe der Schillerschen Eltern entsprossen vier Kinder, drei Töchter und als zweites Kind der Sohn. Die älteste Tochter, Elisabethe Christophine Friederike (geb. den 4. September 1757) Wittwe des Hofraths Reinwald zu Meiningen, lebt noch dermalen (1839), und konnte sich mitten im Greisenalter »des völligen Gebrauchs ihrer Sinne und einer Heiterkeit der Seele« rühmen, »die gewöhnlich nur die Jugend beglückt.« Auch das dritte Kind, Dorothee Louise, Gattin des vor Kurzem verstorbenen Stadtpfarrers Frankh zu Möckmühl im Würtembergischen, überlebte den Bruder; die jüngste Tochter Nanette, oder, wie Schiller selbst sie nennt, Nane, eine »liebe und hoffnungsvolle Schwester« des Dichters, durch Geist und jungfräuliche Schönheit ausgezeichnet, starb schon im achtzehnten Jahre (1796), als gerade ihr Bruder »einige Vorkehrungen treffen wollte, die ihr Glück vielleicht gegründet hätten.«
Inhaltsverzeichnis
1759ff.
Johann Christoph Friedrich Schiller ward nicht den 10., wie bis heute einstimmig gesagt wird, sondern den 11. November 18 1759 zu Marbach geboren. Die Mutter hatte, nach einem sehr glaubwürdigen Zeugnisse, ihren Gatten, der damals Lieutenant im Infanterieregimente des Generalmajors Romann war, in dem Lager besucht, wo er bei den gewöhnlichen Herbstübungen des württembergischen Militärs sich aufhalten mußte, und in seinem Zelte fühlte sie die ersten Anzeichen ihrer nahen Entbindung. So hätte beinahe Schiller das Licht der Welt zuerst in einem Lager erblickt; doch gelang es der Mutter noch, in ihr elterliches Haus, 19 von wo aus sie den Gatten besucht hatte, nach Marbach zurückzukehren, wo sie eines Knaben genaß, den der Vater »dem Wesen aller Wesen« empfahl, »daß es demselben an Geistesstärke zulegen möchte, was Er aus Mangel an Unterricht nicht erreichen konnte.«
Eine uralte Sage läßt an der Stelle dieser Stadt, wo jetzt die lustigen Rebenhügel prangen, im wilden Walde der Urzeit einen Riesen hausen, welcher ein leibhaftiger Heidengott – Mars oder Bacchus – gewesen, und von ihm leitet sie den Namen der Stadt ab. Ein geistiger Riese war es auch jetzt, der in der Riesenstadt geboren ward, und die Poesie hat sich dieser sinnbildlichen Beziehung bemächtigt. Schiller kam als unscheinbares und schwächliches Kind zur Welt. Die Mutter war krank und konnte ihn nicht stillen, daher ihre Schwester, Margaretha Stolpp, welche dem Vater Schiller zum Besitze seiner Gattin geholfen hatte, den Knaben aus Pietät an die Brust nahm. Schiller erkannte dieß mit dankbarem Gemüthe, und als er im Jahr 1793 im Vaterlande war, besuchte er von Ludwigsburg aus die gute Tante, zu der er sich auch in seinen Kinderjahren vor der Strenge des Vaters manches Mal geflüchtet hatte, zu wiederholten malen. 20 Indessen erwuchs das Kind, anfangs ferne von der Aufsicht eines strengen Vaters, auf dem Arm einer zarten Mutter, langhalsig, sommerfleckig, rothlockig, wie diese, und entfaltete sich unter heitern und harmonischen Eindrücken. Schiller selbst zählte die späteren Besuche in dem großelterlichen Hause zu seinen freundlichsten Jugenderinnerungen.
1763 ff.
Es dauerte gegen vier Jahre, bis der Vater mit dem Hubertsburger Frieden (1763) aus dem siebenjährigen Kriege heimgekehrt, seinen bleibenden Wohnsitz wieder im Vaterlande nahm. So lange blieb der Knabe Fritz im Hause der genügsamen Großeltern unter der ausschließlichen Pflege der Mutter. Die Erziehung des zärtlichen, von den Kinderkrankheiten schwer heimgesuchten Kindes wurde mit größter Liebe und Aufmerksamkeit besorgt, und krampfhafte Zufälle, an welchen das Kind wiederholt litt, überwand glücklich seine gute Natur.
An der geistigen Ausbildung des Sohnes soll auch außer dem heimgekehrten Vater ein mütterlicher Oheim des Dichters, und ein Arzt und Hausfreund Antheil genommen, jener dem kleinen Fritz den ersten Unterricht im Schreiben, in der Naturgeschichte und der Geographie ertheilt, dieser ihn spielend über den Bau der Welt und des menschlichen Körpers belehrt haben. Schon im vierten oder fünften Jahre war der Kleine auf Alles aufmerksam, was der Vater im Familienkreise vorlas, eilte von seinen liebsten Spielen zu Bibelandacht und Gebet herbei, und war mit den blauen, gen Himmel gerichteten Augen, den hochblonden Locken um die helle Stirne, und den gefalteten Händchen, wie ein Engelskopf anzuschauen. So schilderte ihn die ältere Schwester. Auch später unter Kameraden, ging Schiller nie ohne Nachtgebet zur Ruhe; doch konnte er das laute Beten seiner Schlafgenossen nicht recht leiden: »es bedarf keines solchen Geplärres,« sprach er. 21 Folgsamkeit, sittlicher Zartsinn, Nachsicht gegen Geschwister und Gespielen zeichneten schon den Knaben aus. Den ununterbrochensten Einfluß auf Gemüth und Geist übte bei ihm die Mutter. An Sonntagsnachmittagen, wenn sie mit den beiden Kindern aus dem Hause, das seit des Vaters Rückkehr die Eltern für sich bewohnten, nach der nahen Großelternhütte wandelte, pflegte sie ihnen das kirchliche Evangelium des Tages auszulegen, und rührte einst am Ostermontage durch die Erzählung von Christus und den zwei nach Emmaus wandernden Jüngern die beiden Geschwister zu heißen Thränen. Zu anderer Zeit unterhielt sie die Kinder mit Zaubermähren und Feengeschichten, und später, so wie die Fassungskraft des Knaben es erlaubte, führte sie ihn auch in die Hallen der deutschen Dichtkunst ein, so weit ihr selbst diese zugänglich waren. Klopstocks Messiade, Opitzens Gedichte, Gerhards herrliche, geistliche Lieder, denen sich das Dichtergemüth des Sohnes mit Vorliebe zuwandte, Gellerts fromme Gesänge, die dem Knaben auch bald sehr theuer waren, wurden gelesen: nur als der üppige Auswuchs der schlesischen Schule, Hofmannswaldau, an die Reihe kam, und der Knabe in einem Sonett die Geliebte dieses Dichters »den Brustlatz kalter Herzen, der Liebe Feuerzeug, den Blasebalg der Seufzer, das Löschpapier der Thränen, die Sandbüchse der Pein, das Schlafstühlchen der Ruhe, und der Phantasie Klystier« mußte nennen hören, wandte er sich mit lächelndem Widerwillen von dem Buche ab und rief: »ich will kein Klystier!« und wenn die gewöhnlichen Neujahrsgratulanten der Landstädte und Dörfer mit ihren Verschen anrückten, so sagte er wohl: »Mutter! es ist ein Hofmannswaldau draußen!«
1765 ff.
Der Schauplatz des hier zuletzt Erzählten ist nicht mehr Marbach. Denn im Jahr 1765 wurde Schillers Vater, jetzt Hauptmann im Generalmajor von Stein'schen Infanterieregimente, von seinem Herzog als Werbeoffizier nach der Reichsstadt Schwäbisch Gmünd geschickt, und durfte seinen Aufenthalt im Dorf und Kloster Lorch, als nächstem württembergischem Gränzorte, nehmen. Dadurch wurde der Knabe im sechsten Jahre aus dem lachenden Neckarthale 22 in die ernste Stille eines von Nadelhölzern umstellten Wiesengrundes versetzt. Das Dorf Lorch liegt am Fuße des Hügels, den, schon auf der Staffel eines Tannengebirges, die Klostergebäude krönen, vor deren Mauern auf einem Vorsprung eine uralte Linde Wache hält: der Hohenstaufen mit einem Gefolge von Bergen blickt nach dem Kloster herüber, das zahlreiche Gräber jenes erlauchten Geschlechtes umschließt; in der Tiefe schlängelt sich der Remsfluß freundlicheren Gegenden und segensreichen Nebenpflanzungen zu.
In dieser Einsamkeit, an der das Herz des Dichters noch in späten Jahren hing, wurde jetzt Schillers Erziehung in Gemeinschaft mit einem Freunde des Hauses, dem Ortspfarrer Moser, 23 einem wackern Manne, besorgt, der nur wenig Jahre älter war, als Schiller der Vater. Von ihm erhielt der kleine Fritz den ersten Unterricht in der lateinischen und griechischen Sprache, und Schiller hat seinem Lehrer durch den Charakter des Pastors Moser in den Räubern ein dankbares Denkmal gesetzt. Mit dem Sohne dieses würdigen Geistlichen, Carl Moser, schloß der Knabe die erste Jugendfreundschaft, deren Spuren sich noch im reifen Alter des Dichters vorfinden. Auch seine lang in der Seele fortglimmende Neigung zum Studium der Theologie scheint aus den Eindrücken zu stammen, die er im Pfarrhause zu Lorch aufgenommen hatte. Oft sah man ihn mit einer schwarzen Schürze statt des Kirchenrocks umbunden, ein Käppchen auf dem Kopfe, von einem Stuhle herab der Mutter und Schwester sehr ernsthaft predigen, und seine kindischen aus Bibelsprüchen zusammengereihten Vorträge zeigten schon eine Spur logischen Zusammenhangs.
Schillers gründlichster Biograph findet in diesem Spiele schon die tiefste Bestimmung der Natur träumend errathen. »Schiller ist wirklich dem Wesen nach ein Prediger geworden, aber nicht von der Kanzel, sondern von der Schaubühne herab, nicht vor einer confessionellen Gemeinde, sondern ein Prediger vor der großen Menschenfamilie.« 24
Von der Entwicklung seines sittlichen Charakters wird schon aus dieser frühesten Periode nur Gutes gemeldet. Er ging gerne in Kirche und Schule, und nur die Natur konnte ihn zuweilen zu kleinen Diebstählen an der Schulzeit verführen, die dem strengen Vater verborgen bleiben mußten; aber auch auf die Spaziergänge begleitete ihn sein gutes Gemüth und seine Menschenliebe, und mit gränzenloser Freigebigkeit verschenkte er an Arme, was er besaß. Versunken in Naturgenuß stand einst der achtjährige Knabe mit seinem Jugendfreund im Walde und rief: »O Karl, wie schön ist es hier! Alles, alles was ich habe, könnte ich hingeben, nur diese Freude möchte ich nicht missen!« Er wurde beim Wort genommen: unter der Last eines Reisigbündels schlich ein Kind in Lumpen durch den Wald. »Das arme Kind!« rief der kleine Schiller voll Mitleiden, kehrte seine Taschen um, und gab, was er hatte: zehen Kreuzer, und eine alte silberne Schaumünze, ein Geburtstagsgeschenk seines Vaters, von der er sich recht ungern trennen mochte. Ein andermal stellte er sich dem Vater ohne Schnallen an den Schuhen dar, und gestand, daß er dieselben einem armen Jungen zum Sonntagsschmucke gegeben, weil er sich selbst mit seinen Sonntagsschnallen begnügen könne. Und an Kameraden verschenkte er nicht nur Dinge, über die er frei verfügen konnte, sondern, wenn ihre Armuth sein Mitleiden recht rege machte, Bücher, ja Kleidungsstücke und Bettlaken, so daß selbst der Vater mit fühlbaren Züchtigungen einschreiten mußte, deren Vollziehung jedoch zuweilen die sanftere Mutter sich erbat. Im Uebrigen waren Gehorsam und Folgsamkeit Grundzüge seines Charakters.
Die Natur war der Lieblingsaufenthalt des Knaben; oft wünschte er in der schönen Gegend der Sonne mit lautem Gesang, der überhaupt seine jugendlichen Schritte im Freien fast immer melodisch begleitete, eine gute Nacht, und wenn er sich der herrlichen Farbenmischung an den Wolken erfreute, rief er wohl gar Stuttgarts Maler laut auf, es zu versuchen und diese Farben auch so aufzutragen. Einer seiner Lieblingsspaziergänge war der Kalvarienberg der katholischen Nachbarstadt Gmünd, in welche Stadt der Vater beinahe täglich wanderte, um seinem unglücklichen Werberberuf nachzugehen; und nicht selten weilte er in den dunkeln Hallen der uralten, schmucklosen, düstern Kirche Lorchs bei den Gräbern der Hohenstaufen. »Diese religiösen und geschichtlichen Eindrücke in des Kindes Gemüth aufgenommen, waren vielleicht die ersten Fäden des magischen Gewebes der tragischen Darstellung, die der Genius in seiner Seele anlegte.« Der Vater erklärte ihm dazu die Geschichtsdenkmale der Gegend; der Sohn durfte ihn in die Uebungslager, zu den Förstern im Walde und reisend auf das schöne Lustschloß Hohenheim begleiten. Auf solche Weise nährten wechselnde Lebensbilder seine Phantasie, und ein einfaches Hausleben kräftigte dabei sein Inneres. Denn »schlichte Sitte, Ehrgefühl und zarte Schonung der Frauen im Familienkreise waren die Lebenselemente, in denen der Knabe aufwuchs.« Selbst der rauhe Vater zeigte der Mutter und den Töchtern gegenüber jenes Zartgefühl, das die edle Berichterstatterin, von der wir diese Worte entlehnt haben, als eine ursprüngliche Stimmung der Organisation betrachtet, als eine der Eigenschaften, der man am ersten Erblichkeit zuschreiben kann. So war denn dieses Zartgefühl, verbunden mit Wahrheitsliebe und Gewissenhaftigkeit, auch bei Schiller ein elterliches Erbtheil.
Aber jene feinere Behandlung des Knaben und das Beispiel zarter Familienliebe wirkte bei diesem weder leibliche noch geistige Verzärtelung. Sein kühner Geist wagte es schon frühe, über die Gränzen des Elternhauses hinauszuschweifen, und es regte sich bei Zeiten in ihm jener Weltbürgersinn, der ihn als dramatischen Dichter so edel, frei und stolz machte. Die Tagebücher des neunjährigen Knaben ergingen sich in der Länderbeschreibung und Geschichte Persiens und den Thaten Alexanders, und wenn er von Schiffern und Reisenden erzählen hörte, konnte er oft begeistert ausrufen: » Vater, ich muß in die Welt! Auf einem Punkte der Welt bin ich; die Welt selbst kenne ich noch nicht.« Und der Mutter, die ihn ermahnte, im Vaterlande zu bleiben und sich redlich zu nähren, erwiederte er mit glühenden Wangen: »Vaterland, Vaterland! haben wir denn ein anderes als die ganze Welt? Wo es Menschen gibt, da ist das Vaterland. Und verlasse ich dann meine Eltern und Freunde, wenn ich zum Beispiel in Ispahan bin, mich dankbar ihrer erinnere, und alles das, was ich mein Glück nenne, mit ihnen theile?« In dieser Sehnsucht verschlang er die Reisen des Columbus, die Eroberungen des Kortes, die Weltumseglung Dampierre's. Sein Geist schien zu ahnen, zu welchen Wanderungen durch das Ideengebiet der Menschheit er selbst aufbewahrt sey.
Auch in einigen Handlungen kühner Furchtlosigkeit bildete sich der kecke Unternehmungsgeist vor, der den Mann als Dichter und Denker beseelte.
Bei einem Besuche in Hohenheim wurde der kleine Friederich sehr lange gesucht. Er war in dem Hause, in welchem der Vater abgestiegen war und das einen Theil der fürstlichen Gebäude ausmachte, die das Schloß umgaben, aus einem Salonfenster gestiegen und hatte eine Entdeckungsreise über die Dächer unternommen. Eben war er im Begriffe, den Löwenkopf, in welchen eine der Dachrinnen auslief, näher zu besichtigen, als der erschrockene Vater ihn entdeckte und ihm laut zurief. Der Knabe aber blieb so lange regungslos auf dem Dache, bis der Zorn des Vaters sich gelegt hatte und ihm Straflosigkeit zugesichert war.
Ein andermal – noch mochte Schiller nicht über sieben Jahre zählen – fehlte der Kleine um das Abendessen, als eben ein finsteres Gewitter am Himmel stand und die Blitze schon die Lust durchkreuzten. Im ganzen Hause wurde er vergebens gesucht, und mit jedem Donnerschlage vermehrte sich die Angst der Eltern. Endlich fand man ihn nicht weit vom väterlichen Hause im Wipfel der höchsten Linde, die er unter dem Krachen des ganz nahen Donners jetzt erst zu verlassen Miene machte. »Um Gottes willen, wo bist du gewesen,« rief ihm der geängstete Vater entgegen. »Ich mußte doch wissen, woher das viele Feuer am Himmel kam!« entgegnete der muthige Knabe. – Ist es nicht, als hätte er sich schon am frühen Lebensmorgen im Arsenal der Schöpfung umsehen wollen, um dereinst von ihr jene Flammenblitze zu entlehnen, mit welchen er im Reich der Geister die lang entweihte Bühne und von der Bühne aus die Welt der Freiheit und Sittlichkeit zu reinigen unternahm?
In seinen Arbeiten zeigte Schiller von früher Jugend auf unermüdliche Beharrlichkeit, und ein Geschäft, das einmal von ihm vorgenommen war, mußte, trotz der nicht seltenen Vorwürfe des Vaters, oft heimlich, mit Unterbrechung des Schlafes, selbst bei Lampenschein beendet werden. In diesen Ernst mischte sich indessen wohl auch einmal der Humor. Unter den kleinen Kunstschätzen, die der Vater, vielleicht als Familiengut der muthmaßlich aus Sachsen abstammenden Gattin besaß, war auch ein Oelgemälde, das die Eroberung Magdeburgs durch Tilly vorstellte, das größte und beste in der Sammlung. Der Eroberer war darauf abgebildet, wie er, den rechten Arm in die Seite gestützt, durch die Straßen reitet und mit blutgierigem Blicke den Schauplatz der Zerstörung mustert. Gruppen wehklagender Frauen, fliehender Greise und Kinder, wüthender Mordbrenner, umgeben von brennenden und einstürzenden Häusern, faßten das den Feldherrn darstellende Mittel des Bildes ein. Der kleine, sechsjährige Schiller nahm sich dieses Gemälde, dessen viele ausdrucksvolle Gesichter seine Aufmerksamkeit anzogen, aufs Korn und übte an ihm das erstemal in seinem Leben die Kunst freier, poetischer Umgestaltung. Es ward von ihm in eben so viele kleine Theile zerschnitten und zerstückelt, als es Gegenstände enthielt. Tilly selbst erhielt zu verdienter Strafe seiner Grausamkeit ein geschwärztes Mohren-, oder Teufelsgesicht, und führte, auf Papier geklebt, einen Reihen von Rossen und Soldaten an. Die Einwohner Magdeburgs, Männer, Weiber und Kinder bildeten einen zweiten Reihen und füllten ein anderes Papier, Greise und alte Mütter beschloßen den Zug; aber auf einem dritten Bogen waren die einzelnen Theile der Personen muthwillig unter einander geworfen: Kinderköpfe saßen auf dem Rumpfe eines alten Mannes, auf dem Leib eines den Säbel ziehenden Kroaten ein verschämter Mädchenkopf; ein schmucker Offizier endete in das Haupt eines sich bäumenden Rosses. Diese Umgestaltung eines theuer gehaltenen Bildes in hogarthische Carricaturen wurde übrigens dem jungen Dichter vom strengen Vater wenig verdankt.
Im Jahr 1768 verließ die Schiller'sche Familie Lorch, (wo der Vater in ziemlich beschränkten Umständen gelebt hatte, da er hier während drei ganzer Jahre nicht den mindesten Sold 25 empfing, sondern von seinem Vermögen zehren mußte. Auf eine nachdrückliche Vorstellung bei dem Herzoge ward er endlich von seinem Posten als Werbeoffizier abgerufen und der Garnison Ludwigsburg einverleibt, wo er den rückständigen Sold in Terminen ausbezahlt erhielt. Der neunjährige Fritz Schiller wurde nun in die lateinische Schule Ludwigsburgs geschickt, und neben dem Latein auch im Griechischen und Hebräischen, als den unerläßlichen Erfordernissen des künftigen Theologen – denn diesen Beruf hatte der Knabe nun gewählt – jedoch in diesen beiden Fächern ziemlich spärlich unterrichtet, aber im Griechischen durch eigenen Fleiß vorwärts gebracht. Sein Lehrer, Magister Johann Friedrich Jahn, ein noch vielen Württemberg wohlbekannter Schulmann, denn er regierte die Ludwigsburger Schule bis gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts, wird mit zu viel Strenge als ein kalter, rauher, murrsinniger Polterer geschildert; er war es nicht mehr und nicht weniger, als die meisten Präceptoren jener Zeit, – ein fermer Lateiner, und nichts weiter. So trocken denn auch Ovid, Virgil und Horaz behandelt werden mochten, im Latein machte Schiller doch gute Fortschritte, und im Landexamen, jener noch bestehenden allgemeinen Schreckensprüfung 26 der unmündigen Candidaten der Theologie im Württemberger Lande, die damals vier bis fünf Jahre hintereinander auf dem Stuttgarter Gymnasium vorgenommen wurde, erhielt er (1769 – 1772) das Zeugniß eines hoffnungsvollen Knaben und seine Fortschritte wurden mir das letztemal als etwas langsamer bezeichnet, wo ohne Zweifel Kränklichkeit seinen Fleiß hemmte.
1768 ff.
Von einem Jugendfreunde – dem erst im jüngsten Jahrzehend verstorbenen königl. bayerischen Medizinalrathe von Hoven – wird Schiller in dieser Periode als ein, der Einschränkung ungeachtet, in welcher er vom Vater gehalten wurde, sehr lebhafter, ja beinahe muthwilliger Knabe geschildert. Die jüngern Gesellen fürchteten den Tongeber bei ihren Spielen und selbst den ältern und stärkern imponirte seine Furchtlosigkeit, die sich neckend, aber immer gutmüthig, sogar an Erwachsene wagte, wenn sie ihm zuwider waren. An wenigen vertrauten Freunden hing er fest und mit Aufopferung. In der Klasse einer der besten Schüler, ward er doch hauptsächlich durch große Ehrfurcht vor dem Vater, dem er nie genug thun konnte, zum Fleiß angetrieben.
1770 ff.
Schillers Charakter erhielt etwas Aengstliches, als er im Jahr 1770 bei dem Abzuge des Vaters auf Solitude dem strengen Jahn in Wohnung und Kost übergeben wurde, und Vater und Lehrer schüchterten ihn mit steten Ermahnungen, und wegen seines linkischen Benehmens wohl auch mit Püffen und Ohrfeigen ein. Am wenigsten verfing bei ihm in dieser Zeit der Religionsunterricht. »Der Knabe hat noch gar keinen Sinn für Religion!« klagte der mürrische Pädagog von Zeit zu Zeit den betrübten Eltern. Aber auf welchem Weg und in welcher Gestalt wurde ihm auch diese beigebracht! Schiller hatte Frömmigkeit mit der Muttermilch eingesogen, Gellerts Lieder wußte er auswendig, an Luthers und Paul Gerhards Liedern hatte er sich mit Lust erquickt. »Ein feste Burg ist unser Gott –« von Jenem, von Diesem das durch des großen Friedrichs Spott geächtete » Nun ruhen alle Wälder – « und »Befiehl du deine Wege« – waren Lieblingslieder Schillers geworden. Nun sollte er auf einmal das kauderwälsche Lied » In dulci jubilo, nun singet und seyd froh –« auswendig lernen, und der Katechismus wurde ihm selbst vom Geistlichen unter der drohenden Peitsche eingetrieben. Während so die Lehrer ihn mit einer leblosen Dogmatik plagten, las der Knabe unter dem Tische seine alten frommen Lieder, und zu Hause sah man ihn oft die Bibel auf dem Schooße; die Psalmen hatte er mehrmal durchgelesen, ein Freund überraschte ihn, als er ein Kapitel aus dem Propheten Jesaias perorirte, und in den Räubern finden sich Spuren, daß der Prophet Ezechiel mit seinen erhabenen Gesichten seiner Seele tief eingeprägt war. Unter anderm scheint die Unbeholfenheit der Lehrer selbst das Hohelied als Lehrmittel gebraucht zu haben und sie wurden durch die vorlaute Frage des Knaben, »ob denn dieses Lied wirklich der Kirche gesungen sey,« überrascht und geärgert. Die Antwort wurde dem Vater hinterbracht, und der kleine Ketzer, zur Rede gestellt, fragte: »hat denn die Kirche Zähne von Elfenbein?« da regte sich auch im Vater der versteckte Oppositionsgeist der Aufklärung. Lachend mußte er sich umkehren, und murmelte vor sich hin: »Mitunter hat sie Wolfszähne!«
1768.
In Ludwigsburg sah der neunjährige Knabe zum erstenmal ein Theater, glänzend, wie die Regierung eines prachtliebenden Herzogs es erwarten ließ. Die Wirkung, die es auf ihn hervorbrachte, wird als mächtig geschildert. Alle seine jugendlichen Spiele kehrten sich dieser neuen Welt zu; bis in sein vierzehntes Jahr führte er dramatische Scenen mit ausgeschnittenen Puppen auf, und Plane zu Trauerspielen fingen seine junge Seele zu beschäftigen an. Auch die Geschichte, die damals in den Geist der Jugend durch die Lesung der alten Autoren gleichsam nur eingeschwärzt wurde, führte ihm große und warm empfangene Gestalten zu: Solon, Diogenes, Sokrates, Plato, Archimedes, Seneca von den Weisen und Gelehrten; nicht Cäsar, sondern Brutus von den großen Männern; Cyrus, Alexander, Hamilcar und Hannibal unter den Feldherrn spielten in seinen Gedanken und Gesprächen eine Rolle; und nie las er die Geschichte vom Sturze des Karthagers Hanno ohne den zürnenden Ausruf: »man hätte dem biedern alten Manne folgen sollen!«
1769.
Zum ersten Versuch in der Reimkunst begeisterte den zehnjährigen Schiller der Lohn von zwei Kreuzern, den er, unter Androhung der Peitsche, für sein rüstiges Katechismussprechen in der Kirche vom Geistlichen sich verdient hatte. Mit einem Freunde, der die gleiche Belohnung erhalten hatte, pilgerte er auf's Land und erhielt die saure Milch, die er auf dem alten, benachbarten Schlößchen Harteneck vergebens gesucht hatte, nach langem Fragen im nächsten Dorfe Neckarweihingen, in reinlicher Schüssel mit silbernen Löffeln, und für die kleine Baarschaft noch Johannistrauben dazu. Auf dem Heimwege kehrte sich Schiller auf der Anhöhe, die den Ueberblick über beide Orte gestattete, um, und seine Lippen ergoßen sich in einen gereimten pathetischen Fluch über den Ort, der sie hungrig entlassen, und in einen Segen über den andern, der sie so milde gespeist hatte.
1772.
Die Ablegung seines Glaubensbekenntnisses, die in Württemberg gewöhnlich gegen das vierzehnte Jahr bei der evangelischen Jugend stattfindet, fiel bei Schiller gewiß nicht in das Jahr 1770 oder gar früher, sondern nicht eher, als er (im Jahr 1772) seinen Kurs in der lateinischen Schule zu Ludwigsburg geendet hatte, und die Eltern können dieser Feierlichkeit sehr wohl von der Solitude aus, wo der Vater schon über die herzogliche Baumschule gesetzt war, beigewohnt haben, denn eine schnurgerade Kunststraße führte damals von dem Lustschlosse in 2–3 Stunden nach jener Residenz. Vielleicht war die Mutter auch in Ludwigsburg wohnen geblieben. Sie, die noch immer still und unbemerkt über der Seele ihres Sohnes wachte, soll diesen den Tag vor der Confirmation auf der Straße herumschlendernd bemerkt und ihm über seine Gleichgültigkeit gegen die wichtige Handlung des folgenden Tages Vorwürfe gemacht haben. Gerührt zog sich der Knabe zurück und überreichte nach wenigen Stunden, der einen Sage zu Folge, der Mutter ein deutsches, der andern zu Folge dem Vater ein lateinisches Gedicht, das seine religiösen Empfindungen in Worte kleidete.
Schillers Neigung war noch immer dem Studium der Theologie zugewandt und er stand nun im Begriffe, in eine der vier niedern Klosterschulen des Landes einzutreten, und hier in mönchischer Kleidung und Zucht, welche diesen Bildungsanstalten noch aus der katholischen Zeit geblieben waren, Horen singend und Vesper lesend, vier Jahre lang sich auf das Universitätsstudium unter strengem Unterrichte vorzubereiten. Aber es war im Rathe der Vorsehung anders mit ihm und seinem Dichtergenius beschlossen.
Inhaltsverzeichnis
1773ff
Der Herzog Carl von Württemberg, ein Herr von ausgezeichnetem Geiste, raschem Urtheil, umfassendem Gedächtnisse, lebhafter und unsteter Einbildungskraft, einem starken Willen im Dienste der Leidenschaft und einer lang ungebändigten Sinnlichkeit, hatte, nachdem er Jugend und Mannesalter an Glanz und Genuß aller Art verschwendet, aus großer Liebe zu wissenschaftlicher Bildung, deren Mangel er an sich mit unbestimmter Pein zu empfinden schien, dem Streben seines rastlosen Geistes in reiferen Jahren ein edleres Ziel gesteckt. »Ermüdet von Sinnenlust, Kunstgenüssen des Auslandes, und den phantastischen Einfällen, die eine übertriebene Liebe zum Luxus eingab, suchte er an der Seite einer guten, deutschen Frau (der Gräfin Franzisca von Hohenheim, die er später zu seiner rechtmäßigen Gemahlin erhob) in der Gründung einer idealischen Landwirthschaft, in der Förderung aller Zweige des Wissens, auch durch Errichtung eines Erziehungsinstituts Beschäftigung, die der Innerlichkeit des Lebens, zu der das herannahende Alter drängt, zusagte.« Die Carlsakademie, die aus diesem Triebe nach edlerm Ruhme hervorging, hatte übrigens auf dem Lustschlosse Solitude im Jahr 1770 einen nur geringen Anfang genommen, als militärisches Waisenhaus für vierzehn Soldatenkinder, die im Tanz, Gesang und andern Künsten unterrichtet wurden, um dereinst den Freuden des damals noch üppigen und prachtvollen Hofes zu dienen. Aber schon nach einem Jahr, als die Zahl der Zöglinge sich schnell vermehrt hatte, wurde sie zur »militärischen Pflanzschule« erhoben, und jetzt auch schon den Ausländern geöffnet. Der Kreis der Lehrgegenstände erweiterte sich mit der Begeisterung des Herzogs für sein Werk: Mathematik, Geschichte und Erdkunde, Religion, Latein und Mythologie wurden von einem vermehrten Lehrerpersonal vorgetragen; doch waren die Lehrfächer anfangs noch nicht streng fixirt. Die Zöglinge selbst waren in zwei Klassen oder vielmehr Kasten getheilt: Kavaliers oder Offizierssöhne, und gemeine Eleven, meist Soldatenkinder, doch auch hier und da der »Sohn eines rechtschaffenen Bürgers« aus den Haupt- und Landstädten. Die erste Klasse war vorläufig für das Militär bestimmt, der größte Theil der Eleven den Künsten, der Malerei, Bildhauerei, Architektur, Stukkatur, Musik, Gärtnerei, aber auch den Handwerken gewidmet, denn es gab selbst eine Abtheilung von Schneidern und Schustern. In den Unterrichtsstunden bestanden vier Abtheilungen. Für den Ehrgeiz der Zöglinge wurde durch Preismedaillen und einen, später gedoppelten, Orden, für Zucht und Ordnung durch ein streng militärisches Regiment gesorgt. Die Offizierssöhne trugen hellblaue kommistüchene Westen mit Ermeln, Kragen- und Ermelaufschlag von schwarzem Plüsch, Beinkleider von weißem Tuch, einen kleinen Hut, zwei Pavilloten an jeder Seite, ohne Puder, dazu lange, falsche Zöpfe nach bestimmtem Maße. Der Paradeanzug hatte mehrere Abstufungen und zum größten Putze trug alles Umformen. Der Werth, welcher auf diesen Schmuck vom Herzoge selbst gelegt wurde, wird durch sein Urtheil über einen Zögling bezeichnet, das, freilich nur von einem Spaßvogel dem fürstlichen Gründer in den Mund gelegt, lautete: »Ich sag', der N. N. ist der beste Zögling der Anstalt, sowohl in der Vergette, als in der Conduite. « Oberaufseher und Aufseher, aus der Zahl der Sergeanten, waren, was pedantische Aufsicht betrifft, exemplarische Männer, und der oberste unter ihnen, mit Namen Nies, von Schiller oft genannt, führte das Kommando mit einer Betriebsamkeit und einem Kleinlichkeitsgeiste, daß man in seiner Nähe kaum athmete. Harte Strafen züchtigten Nachläßige und Widerspenstige; und einmal wollten verstockte Zöglinge bei'm Befehle körperlicher Züchtigung das Schreckenswort vernommen haben: »bis Blut kommt!« Von dieser Strenge hörte indessen Vieles auf, als das Institut unter dem Namen »Militärakademie« im J. 1774 eine höhere Richtung erhielt, Offiziere vorgesetzt, Professoren angestellt, Fakultätsfächer und Lehrstunden bestimmt wurden. Einen höheren Schwung nahm vollends die Anstalt, als sie gegen Ende des J. 1775 nach Stuttgart in die schönen Gebäude hinter dem Schlosse verlegt wurde, die noch ihren Namen tragen. Allmählig waren jetzt regelmäßige Kurse in der Rechtswissenschaft und Arzneikunde, dann ein umfassenderer Vortrag in der Religionslehre, und von den Künsten die Kupferstecherkunst mit gründlichem Unterrichte hinzugekommen. Auch wurden Fremde und Einheimische gegen ein Kostgeld aufgenommen, und jetzt wurde die Anstalt nicht nur von Stadtstudierenden zahlreich besucht, sondern auch aus allen Weltgegenden strömten Jünglinge zu ihr, um in der mit Lehrern trefflich besetzten, berühmten Akademie sich zu bilden. Deutsche aller Stämme, Franzosen, Schweizer, Russen, Polen, Engländer, Italiener, Dänen, Schweden, Holländer, West- und Ostindier fanden sich an diesem Heerde der Kultur zusammen. Der Gründer erhielt die Anstalt aus eigenen Mitteln, durch seine Aufsicht, seine täglichen Besuche, seine Theilnahme an den Unterrichtsstunden als Zuhörer und Frager, seine Leutseligkeit und Strenge in Belohnungen und Strafen. Er liebte die Zöglinge so herzlich, daß, nach der Versicherung eines noch lebenden Augenzeugen, die herzogliche Kutsche, in welcher Carl selbst mit seiner Franziska fuhr, sich nicht selten von innen und außen mit Eleven bepackt von der Solitude nach Stuttgart schleppte. Aber die ernste, militärische Zucht dauerte fort. Subordination war das Grundgesetz des Instituts, der Stock, die Degenklinge und die Trommel beinahe die einzigen äußerlichen Aufforderungsmittel zu den Studien. In Parade ward in die Unterrichtsstunden gezogen, in Parade zum Mahl, in Parade zu Bette, zusammen taktmäßig und steif traten die Jünglinge in die Lehrzimmer, das Commandowort: Marsch, halt, links um, schwenkt euch! rief sie zu der Beschäftigung mit den Wissenschaften. Die strengste Verläugnung ihrer Individualität, die Erstickung der hervorstechendsten, wenn nicht zu dem ganz auf's praktische Leben angelegten Erziehungsplane passenden Talente, die Gefangennehmung des eigenen selbstständigen Sinnes und die gänzliche Unterwerfung des Willens unter den des Stifters wurde von den Zöglingen verlangt und im Durchschnitt auch geleistet. »Alles, was wir sind, alles, was wir werden, ist das erhabene Werk euer Herzoglichen Durchlaucht,« sprach, schon in Gegenwart Schillers, am dritten Stiftungstage der militärischen Pflanzschule in öffentlicher Rede ein »junger, gelehrter und liebenswürdiger Kavalier«, der jedoch das, was er seitdem geworben, nicht ganz auf seines Herzogs Rechnung, ohne eigene Imputation, zu schieben hatte.
Wie diese berühmte Anstalt eine Frucht der Begeisterung und Pedanterei in seltsamer Mischung war, so trug sie auch gemischte Früchte. Große Künstler, Gelehrte, Krieger, Geschäftsmänner, ja einige der ersten Köpfe Europa's 27 wurden in ihr gebildet, aber auch verdorbene Halbgenie's, frivole Freigeister, kleinliche Tyrannen. Gründliche Wissenschaftlichkeit und seichte Aufklärung, edle Thätigkeit und unruhige Gewaltthätigkeit, selbstbewußte Kraft und eitle Selbstüberschätzung verbreiteten sich mit ihren Zöglingen in einem Doppelstrome befruchtend und verderbend über das Land, in dessen Schoße sie entstanden war, und wohl auch über dasselbe hinaus.
Während die Carlsakademie, später von Kaiser Joseph zur hohen Schule erhoben, im Farbenglanze der Uniformen blühte, schlich der verlebte Geist früherer Jahrhunderte in dickem Blute langsam durch die Adern der alten Erziehungsinstitute des Landes, und wie dort der Corporalsstock hinter den Coulissen regierte, so bewegte sich in den Klosterschulen und dem theologischen Stifte zu Tübingen die schwarze Kutte und der geistliche Talar nach der schwerfälligen Mönchsregel. Dennoch war dieser verjährte Zwang nicht so lästig und hemmend für den aufstrebenden Geist, als jener moderne illustrirte Despotismus. In den alten Gelehrtenschulen Württembergs verfolgte er den Jüngling nur in die öffentlichen Gebetsstunden, in die Collegien und etwa zu Tische. Am Arbeitspulte war dieser so ziemlich Herr über seine Gedanken, und der freien Entfaltung seiner Naturanlagen war nicht dieselbe Zwangsjacke angelegt wie dem Körper.
Es ist erlaubt zu fragen, was aus Schiller geworden wäre, was die Welt mit diesem hochbegabten Geist empfangen hätte, wenn er, seiner früheren Neigung entsprechend, nicht in der Carlsakademie, sondern in den württembergischen Klöstern seine erste wissenschaftliche Bildung empfangen hätte. Einer seiner Jugendfreunde zweifelt nicht, daß unser Dichter, wenn er nicht zum Erlernen von Wissenschaften genöthigt worden wäre, für die er entweder gar keinen Sinn hatte, oder denen er nur durch die größte Selbstüberwindung einigen Geschmack abgewinnen konnte, sich zu einem Theologen gebildet haben würde, der durch bildereiche Beredsamkeit, und durch richtige Anwendung einer tiefen Philosophie auf die Religion Epoche gemacht hätte. Wir können so bescheidene Erwartungen, welche den Genius auf die Kanzel und den theologischen Lehrstuhl beschränken wollten, keineswegs theilen. Vielmehr glauben, wir, daß auch in dieser Laufbahn sich Schiller nicht mit der Anpassung seines Geistes ans Gegebene und Positive, oder gar mit der rhetorischen Form begnügt hätte, sondern daß er in der Wissenschaft, wie er es in der Poesie gethan hat, auf ungewohnten Bahnen der höchsten Wahrheit zustrebend, als Denker dasselbe geworden wäre, was er als Dichter geworden ist: der Mitschöpfer einer neuen Periode. 28 Gewiß ist, daß er dem Studium der Kantischen Philosophie um ein Jahrzehend früher auf diesem Wege zugeführt worden wäre, und wer weiß, ob nicht sein tiefsinniger Geist, ohne Störung und Versuchung in stillen Klostermauern Jahre lang auf das höchste Objekt des Wissens geheftet, einem Schilling und Hegel, welche dieselbe Laufbahn zehn oder fünfzehn Jahre später betraten, die Palme vorweggenommen hätte.
Aber nicht aufs Erkennen allein, aufs Schaffen war unser großer Landsmann vom Lenker der menschlichen Geschicke angewiesen, und nicht zum Gründer einer philosophischen Schule sollte ihn die einsame Zelle, sondern zum ersten dramatischen Dichter der neuem Zeit eine zwar widerliche und, harte, aber lebendiger Anschauungen volle Schule, und darin Pein, Irrthum, Zweifel, Leidenschaft mit ihren Verirrungen und endlich die Flucht ins Leben hinaus, und ein heißer Kampf mit der Aussenwelt bilden.
Der Herzog Carl von Württemberg, in der Schöpfung seiner militärischen Pflanzschule begriffen, ließ, um die fähigsten jungen Leute kennen zu lernen, von Zeit zu Zeit bei den Lehrern Umfrage halten, und so wurde ihm denn in Ludwigsburg unter andern vorzüglichen Schülern auch der Sohn seines Dieners Schiller genannt. Sogleich erging an den Vater der Antrag des Herzogs, den Knaben in die Pflanzschule aufnehmen und dort auf fürstliche Kosten erziehen lassen zu wollen. In der Schiller'schen Familie verursachte dieses großmüthige Anerbieten die größte Bestürzung, denn Vater und Mutter waren dem Lieblingsplane des Sohnes, sich dem geistlichen Stande zu widmen, keineswegs abhold gewesen, und namentlich hatte die sanftere Mutter sehnlich gewünscht, den geliebten, einzigen Sohn auf dem sittlich gefahrloseren Pfade der vaterländisch theologischen Bildung ruhig fortschreiten zu sehen. Der Vater wagte daher eine freimüthige Vorstellung an den Herzog, des Inhalts, daß der Knabe schon alle Vorbereitungsstudien zum geistlichen Stande gemacht habe, und der Herzog schien zufrieden gestellt: bald aber wiederholte sich sein Begehren zweimal hinter einander, die Wahl des Studiums wurde dem Sohne freigestellt, eine bessere Versorgung, als es im geistlichen Stande möglich wäre, versprochen.
Der Ausspruch des Gebieters, des Wohlthäters der Familie konnte nicht mehr überhört werden, und mit mißmuthigem Herzen wanderte der noch nicht vierzehnjährige Jüngling Mitte Januars 773 mit 43 Kreuzern in der Tasche und »15 Stück unterschiedlichen lateinischen Büchern« im Ranzen, 29 aus dem Vaterhause in die Pflanzschule, und wählte hier das Studium der Rechtswissenschaft, weil es, nach der Meinung der Eltern, die beste Versorgung versprach.
Die erste Nachricht, wie es dem Knaben in den neuen Fesseln behagte, erhalten wir aus seinem eigenen Munde. »Lieber Carl!« so schrieb Schiller ein halbes Jahr nach seiner Aufnahme an seinen Jugendfreund Moser, der damals in Ludwigsburg lebte, am 12. Juli 1773, komm selbst, sieh, prüfe und urtheile! dein Friedrich ist sich nie selbst überlassen! den Einmal festgesetzten Unterricht muß er anhören, prüfen und repetiren, und Briefe an Freunde zu schreiben steht nicht in unserem Schulreglement. Sähest du mich, wie ich neben mir Kirsch's Lexikon liegen habe und vor mir das dir bestimmte Blatt beschreibe, du würdest auf den ersten Blick den ängstlichen Briefsteller entdecken, der für dieses geliebte Blatt eventualiter einen niegesehenen Schlupfwinkel in einem geistesarmen Wörterbuche sucht.« Außerdem berichten uns zwei akademische Jugendgenossen über Schillers Eintritt und anfänglichen Aufenthalt in dieser Anstalt, in welcher er, als nicht Sohn eines aktiven Offiziers, nicht unter den Kavalieren, sondern unter den Eleven seinen Platz nahm. Der eine, der nachmalige Generallieutenant von Scharffenstein, ein geborner Elsäßer, schildert uns die komische Gestalt, welche der neue Ankömmling in der ordonnanzmäßigen Kleidung des Instituts machte: »lang für sein Alter, Beine beinahe ganz mit den Schenkeln von Einem Kaliber, sehr langhalsig, blaß, mit kleinen rothumgrenzten Augen, nicht der reinlichste in seiner Toilette, – ein ungeleckter Kopf voll Papilloten mit einem enormen Zopf« – so wird uns Schiller von dem überrheinischen Kameraden gezeichnet.
Der andere, von Hoven, schon von Ludwigsburg her sein Gespiele, erzählt uns, wie der junge Zögling in den gelehrten Sprachen, in welchen er schon zu Ludwigsburg einen sehr guten Grund gelegt, bedeutende Fortschritte machte; wie denn auch bei der Preisvertheilung am 14. Dezember 1773, welche in Gegenwart des Herzogs vorgenommen wurde, mit dem ersten Preis in der griechischen Sprache »Johann Christoph Friedrich Schiller von Marbach« in den Listen aufgezählt wurde und dort noch zu finden ist. 30 Französische Schriftsteller lernte er bald ohne Schwierigkeit lesen, in der Geographie, Geschichte, Mathematik machte er ebenfalls gute Fortschritte, und das Studium der Philosophie zog ihn gleich anfangs mächtig an. Nur mit der Rechtswissenschaft, die er mit dem Jahr 1774 (also im fünfzehnten Lebensjahre!) zu studieren anfing, wollte es ihm nicht gelingen, er blieb hinter seinen Mitschülern zurück und wurde von den Lehrern für talentlos gehalten. Nur der Scharfblick des Herzogs sah richtiger und urtheilte einst über den im Examen Stockenden: »laßt mir Diesen nur gewähren; aus Dem wird etwas!«
Schiller selbst hatte das Gefühl, daß er auf diesem Wege nicht vorwärts kommen könne. »Daß du eher zum Zweck kommen würdest, als ich,« schrieb er an seinen Freund Moser (18. Oktober 1774), »ahnete ich jetzt erst, als ich durch Erfahrung einsehen lernte, daß dir, einem freien Menschen, ein freies Feld der Wissenschaften geöffnet war. Dem Himmel sey es gedankt, daß in unsern Kriminalgesetzbüchern nicht auch, neben der Strafe des Felddiebstahls, eine Pön auf Diebstahl in entlegenen wissenschaftlichen Feldern gesetzt ist, denn sonst würde ich Armer, der ganz heterogene Wissenschaften treibt und im Garten der Pieriden manche verbotene Frucht naschet, längst mit Pranger und Halseisen belohnt worden seyn.« Je drückender ihm die Sklaverei erschien, desto trotziger gebärdete sich sein jugendlicher Geist. »Du wähnst,« heißt es in einem Briefe an denselben Freund vom 20. Februar 1775, »ich soll mich gefangen geben dem albernen, obgleich im Sinne der Inspektoren ehrwürdigen Schlendriane? So lange, wie mein Geist sich frei erheben kann, wird er sich in keine Fesseln schmiegen. Dem freien Mann ist schon der Anblick der Sklaverei verhaßt – und er sollte die Fesseln duldend betrachten, die man ihm schmiedet? O Carl, wir haben eine ganz andere Welt in unserem Herzen, als die wirkliche ist; – wir kannten nur Ideale, nicht das, was wirklich ist. Empörend kommt es mir oft vor, wenn ich da einer Strafe entgegen gehen soll, wo mein inneres Bewußtseyn für die Rechtlichkeit meiner Handlungen spricht. – Die Lektüre einiger Schriften von Voltaire hat mir gestern noch sehr vielen Verdruß verursacht.« 31
Daß die Erzieher und Lehrer Voltaire's Schriften nicht gern in den Händen des sechzehnjährigen Knaben sahen, war nun eben keine Probe von Tyrannei. Andererseits würde diesem Unrecht geschehen seyn, wenn man ihn darum auf dem Wege des Unglaubens und Leichtsinns hätte sehen wollen. Vielmehr war Schiller bis jetzt noch frommen Regungen ganz hingegeben, oft mit Gebet beschäftigt, theilnehmend an Andachtsstunden der Stillen, mit Sehnsucht dem verlassenen Studium der Theologie zugekehrt, und auf sein Inneres mit jenem ernsten Blicke gerichtet, den er im spätern Denken und Dichten auf die ganze Welt warf. In der Selbstschilderung, zu welcher ihm im Jahr 1774 der Herzog Veranlassung gab, als er den Zöglingen Schilderungen von sich und allen Genossen ihrer Abtheilung zur Aufgabe machte, gestand er ein, daß er in manchen Stücken noch fehle, »daß er eigensinnig, hitzig, ungeduldig sey;« er schrieb sich aber auch getrost wiederum »ein aufrichtiges, treues, gutes Herz zu,« und erklärte, »daß er sich weit glücklicher schätzen würde, wenn er dem Vaterlande als Gottesgelehrter dienen könnte.« Ueber Kameraden ließ er sich nur da hart aus, wo er »Ehrerbietung gegen Vorgesetzte an Niederträchtigkeit grenzen« sah. Die bessern von diesen schilderten ihn bei dieser Gelegenheit als »lebhaft, lustig, voll Einbildungskraft und Verstand;« wieder als »bescheiden, schüchtern und mehr in sich vergnügt als äußerlich.« Den einen fiel auf, daß er beständig Gedichte lese, andere ahnen schon, daß seine eigene Neigung auf Poesie und zwar auf tragische gehe. Wieder einer giebt ihm das launige Zeugniß, daß er gewiß »ein guter Christ, aber nicht sehr reinlich sey.«
Inhaltsverzeichnis
1774 ff.
Die metrischen Übersetzungen lateinischer Dichter, in welchen Schiller sich übte, die Bewunderung und die ersten Nachahmungen Klopstocks, selbst der fromme Kindergedanke, der Messiade einen Moses im Epos gegenüber zu stellen, können noch nicht als ein Erwachen seiner Muse betrachtet werden. Auch der Mangel an Interesse für das Studium der Rechtswissenschaft und das fleißige Lesen der Classiker möchten wir nicht als einen Hauptanstoß zur Erweckung seines Dichtergenie's betrachten. Richtiger urtheilt sein Jugendfreund Scharffenstein, wenn er den ersten Ursprung von Schillers Poesie in unterdrückter Kraftäußerung zu finden glaubt, und darauf aufmerksam macht, daß die ersten Produkte, die dem ungestümen Knaben die Neigung des Genossen erworben, nicht, wie sonst gemeiniglich in diesem Alter aufgetreten wird, von weicher, sentimentaler Art waren, sondern ein starkes mit den Conventionenbereits in Fehde begriffenes Gemüth verkündigten Ein festes Benehmen des Freundes gegen den Intendanten besang Schiller in einer Ode, die er für sein Meisterstück hielt. Von dieser Epoche schrieb sich der innige Anschluß der zwei Freunde und der völlige Austausch ihres Innern her. Diese Freundschaft war eine geraume Zeit Lieblingsgegenstand der ersten Lieder Schillers, von denen sich leider nichts erhalten hat. Um die gleiche Zeit bildete sich auch eine Art ästhetischer Vereinigung zwischen Schiller, Hoven, Scharffenstein und dem späterhin bekannt gewordenen Gelehrten Petersen. Jeder sollte etwas machen, und man träumte schon vom drucken lassen. Während Hoven einen Roman à la Werther, Petersen ein weinerliches Schauspiel, Scharffenstein ein Ritterstück nach Art des Götz zu schreiben sich unterfingen, suchte Schiller nach einem tragischen Stoffe (er hatte Gerstenbergs Ugolino schon im Jahr 1773 gelesen). Gern hätte er, nach seiner eigenen spätern Aeußerung »Rock und Hemde um einen solchen Stoff gegeben,« und fand ihn endlich im Selbstmord eines Studenten. Sein Stück hieß » Der Student von Nassau.« Die Jünglinge standen im süßen Wahne der Autorschaft und recensirten sich gegenseitig aufs vortheilhafteste, bis eine grobe, nicht ohne Witz erfundene Posse eines französisch gebliebenen Kameraden von Mömpelgard ihre Eitelkeit tüchtig und plump mitnahm und dem kindischen Beginnen ein Ziel setzte.
»Trotz ihrer Abgeschlossenheit,« sagt Hoffmeister, »spürten unsere Jünglinge die neue Aera, welche in der deutschen Literatur begonnen hatte.« Göthe war der Gott dieser Gesellschaft. Denn zu der Zeit, da Schiller mit seiner Knabenhand nach dem Blitze zu langen wagte, den er kurz darauf als Jüngling mit blutrothem Strahle der Welt in den Räubern entgegenschleuderte, hatte der größte deutsche Dichter ihr die Schönheit im kecken Spiegel der Wahrheit schon zehn Jahre lang entgegengehalten. Wer hätte damals aus den ersten rohen Versuchen unseres jungen Dichters, wer auch noch später, trotz aller Bewunderung, aus jenem Gorgonenbilde, in welchem er, mit der Begeisterung der Indignation, der Gesellschaft ihre eigene drohende Auflösung zeigte, den Schluß zu ziehen gewagt, daß derselbe Genius dereinst neben Göthe sich stellend, das Bild der Schönheit im ruhigen Spiegel der Anmuth und Würde, im Spiegel der vollendeten Sittlichkeit auffangen werde?
Die Kühnheit Göthe's, dessen Werther er frühzeitig verschlungen, und dessen Götz von Berlichingen bald nach Gerstenbergs Ugolino in Schillers Hände kam, erregte indessen neben der Bewunderung einen gewissen Aerger in der Seele des Jünglings, denn er soll ihn manchmal das arrogante Genie genannt haben und er gestand in der Folge selbst, daß er den großen Mann zu rasch und nach gefaßten Vorurtheilen beurtheilt.
Etwas später als mit Göthe's Dichtungen wurde Schiller mit dem Genius Shakspeare's bekannt. Einer seiner Lehrer, der nachmalige Prälat von Abel, ein edler, liebreicher Mann, dessen Andenken im Herzen vieler Schüler lebt, die binnen 56 Jahren in Stuttgart, Tübingen und im Kloster Schönthal zu seinen Füßen saßen, der sich auch um Schillers Bildung mehrfache Verdienste erwarb und dem dieser die zärtlichste Zuneigung bewahrte, las in der Unterrichtsstunde eine Stelle aus jenem Dichter vor. Schiller fuhr wie von einem elektrischen Schlag erschüttert, auf, und horchte wie bezaubert. Nach der Stunde erbat er sich vom Professor das Buch und später verschaffte ihm sein Freund von Hoven die Wieland'sche Uebersetzung Shakspeare's, und zwar, im jugendlichem Scherze, gegen ein Lieblingsgericht. »Gleich dem gewaltigen, felsenentstürzenden Strom ergriff dieser mächtige Geist sein ganzes Wesen, und gab seinem Talente die entschiedene Richtung zum Dramatischen.« Doch ist Schillers späteres Geständniß höchst merkwürdig und seine Empfindung hat gewiß mehr als Ein junger Leser des Briten getheilt: »Als ich in einem sehr frühen Alter diesen Dichter zuerst kennen lernte,« sagte er, 32 »empörte mich seine Kälte, seine Unempfindlichkeit, die ihm erlaubte, im höchsten Pathos zu scherzen... Durch die Bekanntschaft mit neueren Poeten verleitet, in dem Werke den Dichter zuerst aufzusuchen, seinem Herzen zu begegnen, mit ihm gemeinschaftlich über seinen Gegenstand zu reflektiren, war es mir unerträglich, daß der Poet sich hier gar nirgends fassen ließ, und mir nirgends Rede stehen wollte. Mehrere Jahre hatte er schon meine ganze Verehrung, und zwar mein Studium, ehe ich sein Individuum lieb gewinnen lernte. Ich war noch nicht fähig, die Natur aus der ersten Hand zu verstehen.« 33 Nach Verlauf eines Jahres entstand jetzt ein Trauerspiel, »Cosmus von Medici.« Von Hoven versichert, daß es ächt tragische Scenen und vorzüglich schöne Stellen enthalten habe; mehrere derselben wurden später in die Räuber aufgenommen. Neben den genannten Dramen war der Julius von Tarent, von Leisewitz, damals ein Lieblingsstück Schillers. Außerdem las er auch in dieser Zeit fleißig historische Werke, vorzüglich den Plutarch; von Philosophen aber Mendelsohn, Sulzer, Lessing, und vor allen seinen damaligen Liebling, den edlen Moralisten Garve, dessen Anmerkungen zu Verguson er beinahe auswendig wußte. Seine Muttersprache studierte er vorzüglich aus Luthers Bibelübersetzung.
1775.
Diese Studien nahm Schiller mit nach Stuttgart hinab, wohin die militärische Pflanzschule in jenen schönen vierflügeligen Kasernenbau zu Ende des Jahrs 1775 verlegt wurde. Nicht so getreu sollte er seiner widerwillig getriebenen Berufswissenschaft bleiben. Zur Erweiterung der Anstalt gehörte nämlich auch die Aufnahme der Medicin unter die Lehrfächer. Der Herzog, dem zu viele Zöglinge in seiner Akademie die Rechte zu studieren schienen, ließ umfragen, welche wohl Lust hätten, das Studium der Heilkunde zu ergreifen. Unter diesen letztern, stellte sich auch, entweder freiwillig, oder auf eine Unterredung des Herzogs mit dem Vater, unser Schiller. Er wählte, nach Scharffenstein, diesen Beruf nicht eigentlich aus Vorliebe, »es war mehr ein Raptus, oder weil er ihn für liberaler und freier hielt, oder hauptsächlich weil die bei dieser Fakultät angestellten Lehrer ihm besser behagten.« Ingeheim leitete ihn auch schon die Rücksicht auf seine Lieblingsneigung, die Poesie; denn er dachte, Seelenlehre, Menschennaturkunde und verwandte Kenntnisse könnten ihm bei seiner Kunst als Dramatiker, theils als Dienerinnen, theils als Helferinnen von Nutzen seyn. Die Familie scheint diesen Wechsel nicht gerne gesehen, und Schillers Seele selbst scheint er einigen Kampf gekostet zu haben. Für die Richtung seines Geistes war der Tausch offenbar höchst wichtig; vor manchen Rohheiten wäre vielleicht sein Jugendleben ohne ihn bewahrter geblieben, aber eine Fülle von psychologischen und physiologischen Studien bereicherte durch diesen Beruf seinen Dichtergeist. Auch urtheilte er frühzeitig, »daß sein Feuer für die Dichtkunst erlöschen würde, wenn sie seine Brodwissenschaft bliebe, und er ihr nicht blos die reinsten Augenblicke widmete,« und noch in späteren Jahren war er der Meinung, »daß es auch für den Dichter gut sey, irgend ein wissenschaftliches Fach absolvirt zu haben, sey es nun, welches es wolle.«