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Neuharlingersiel wehr di … Eine Leiche … verpackt in Folie … mit einem leeren Heringsbecher in den Händen … Soll das ein Zeichen sein? Na klar! Denn der Tote ist Adde Jacobsen, Inhaber einer Plastikfabrik, der mehr Feinde als Freunde hatte. Gut, dass er hin ist, hört man es wispern! Zum Teufel mit dem Sondermüll, heißt es hinter vorgehaltener Hand, aber keiner will’s gewesen sein. Als man den Mord Umweltschützern in die Schuhe schieben will, laufen Oma Pusch und ihre Freundin Rita zur Hochform auf und ermitteln … … mit Flunken und Foten!
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Seitenzahl: 374
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Alles darf nicht so ernst genommen werden!
Im Verlag CW Niemeyer sind bereitsfolgende Bücher der Autorin erschienen:SchattenHautSchattenWolfSchattenGiftSchattenTodSchattenGrabSchattenSchwurSchattenSuchtSchattenGierSchattenZornSchattenQualSchattenSchuldFriesenNerzFriesenGeistFriesenSpielFriesenLustKurzKrimis und andere SchattenSeiten
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über www.dnb.de© 2020 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hamelnwww.niemeyer-buch.deAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: C. RiethmüllerEPub Produktion durch CW Niemeyer Buchverlage GmbHeISBN 978-3-8271-8379-8
Nané LénardFriesenSchmutz
Der Roman spielt hauptsächlich an allseits bekannten Orten der Nordseeküste,doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion. Sämtliche Handlungen und Charaktere sind frei erfunden.
Für Antje und Joachim
Prolog
Fast 30 Grad hatte das Thermometer heute in Neuharlingersiel gezeigt. Der Wahnsinn für Mitte Mai. Hinnerk (ein Personenregister befindet sich am Ende des Buches) war voller Frühlingsgefühle, als er an diesem lauen Abend im „Dattein“ einkehrte. Grund dafür war allerdings nicht nur das Bilderbuchwetter, sondern ein Tässchen Tee, das er mit Witwe Lina Hansen getrunken hatte. Schon lange scharwenzelte er um sie herum, und endlich hatte sie ihn eingeladen. Damit war er einen Schritt weitergekommen, fand er und meinte, das müsse dringend begossen werden. Mit Bier natürlich, denn eigentlich machte er sich nichts aus diesem Ostfriesengesöff, das man mit kochendem Wasser aufgoss, aber was tat man nicht alles für die Liebe? Auch Tee trinken!
Linas Gegenwart und der Kuchen hatten alles aufgewogen. Vielleicht wäre er sogar für die knackige Witwe gestorben, aber für ein Stück Friesenapfel auf jeden Fall, am liebsten mit dick Sahne. Anderthalb Stunden hatte er sich an den zwei Stückchen festgehalten, bevor er sich notgedrungen verabschiedete – der Schicklichkeit wegen. Ihm war keine weitere Verzögerungstaktik eingefallen. Hinnerk musste es langsam angehen lassen, sonst ergriff sie am Ende noch die Flucht. Mit zu viel Tee und zu wenig Kuchen im Magen verließ er Lina winkend, die noch an der Haustür stand und ihm nachsah. Auch das hielt der alte, hinkende Fischer für ein gutes Zeichen. Höchste Zeit also, die Sache zu begießen.
Im „Dattein“ waren alle Tische besetzt, darum drängte sich Hinnerk an die Theke und bestellte ein großes Helles samt Korn bei Silvia. Natürlich blieb es nicht bei dem einen „Deichgrafen“. Während der Alkohol in Hinnerks Kehle floss, wurde es draußen immer dunkler. Auch in der Birne des alten Fischers ging langsam das Licht aus. Er wiederholte sich, lallte und kicherte. Nachdem Silvia die Geschichte mit Lina und dem Tee bereits dreimal gehört hatte, verwehrte sie dem Alten ein weiteres Bier.
„Nu geh man nach Hause, Hinnerk“, schlug sie ihm vor und tätschelte seine Hand. Die war von der schweren Arbeit auf See gezeichnet und wies zahlreiche Narben auf.
„Noch‘n lütten Köm als Schl…enderschluck?“, versuchte Hinnerk hicksend sein Glück.
Silvia schüttelte bedauernd den Kopf.
„Soll ich dir ein Taxi rufen?“
Der Fischer tippte sich an die Stirn, grinste frech und warf ihr eine Kusshand zu. Dann torkelte er Richtung Ausgang.
Was sollte er zu Hause? Da war schließlich niemand. Zur Witwe Hansen konnte er auch nicht. Keinesfalls durfte sie ihn so sehen. Für einen Moment dachte er darüber nach, Oma Pusch, die über dem „Dattein“ wohnte, einen Besuch abzustatten, aber er hatte keinen Bock auf ihren missbilligenden Blick und verwarf die Idee. Blieb nur der Strand, und das war weiß Gott keine schlechte Alternative in dieser warmen Frühlingsnacht, fand Hinnerk, während er den Deich hinabhinkte, was ihm in leichten Schlangenlinien ganz gut gelang.
Auf eine Nacht im Strandkorb hoffte er nicht, obwohl hier unzählige standen, aber die waren mit Holzgittern gesichert. Er traute sich auch nicht, einen aufzubrechen und torkelte weiter. Da hinten hatte wohl jemand sein Schlauchboot vergessen. Vielleicht konnte er sich damit zudecken oder zumindest daran anlehnen, damit der Wind ihn nicht auskühlte. Mit letzter Kraft erreichte er den Berg aus Plastik, stolperte jedoch, weil er an der Ecke eines Strandkorbs hängen blieb und fiel der Länge nach in den Sand. Auch gut, war das Letzte, was er dachte, bevor das Licht in seinem Oberstübchen für diesen Tag endgültig ausging.
So ein Strand war praktisch. Der weiche Untergrund verzieh nicht nur den Sturz, sondern ließ auch das Bier versickern, das Hinnerk im Kneipenklo nicht mehr hatte wegbringen können. Doch das entging ihm vollkommen, da er längst in einen tiefen, traumlosen Schlaf versunken war, wobei er den Arm um das Schlauchboot schlang, als wäre es Lina.
Der nächste Morgen graute im wahrsten Sinne des Wortes. Es war nicht schön, auf was Hinnerk da blickte, als er die Augen wieder öffnete. Aus dem vermeintlichen Schlauchboot, das er immer noch umarmte, ragten direkt vor seiner Nase ein paar Zehen, die so tot aussahen, wie es nur möglich war. Mit einem Schlag war Hinnerk nüchtern und schrie, während er gleichzeitig versuchte, das Würgen zu unterdrücken.
Ein Schock für Lina Hansen, die den alten Fischer wie immer morgens beim Pfandflaschensammeln am Strand vermutete, und ihm ein Stück Friesenapfel als Frühstück bringen wollte. Mit lautem Wehklagen und fliegenden Röcken rannte sie den Deich hinab, um ihren Verehrer zu retten. Er war schließlich der Einzige, den sie hatte. Mit solch raren Exemplaren musste man sorgsam umgehen. Ihn ihrem Alter konnte das der letzte Bewerber um ihre Gunst sein.
Nachdem Hinnerk den ersten Schreck verdaut und sich wieder beruhigt hatte, peilte er die Lage. Jemand lief auf ihn zu, wahrscheinlich, weil er sich nicht im Griff gehabt hatte. Ein alter Fischer schrie nicht bei toten Zehen. Da hatte er weiß Gott schon Schlimmeres gesehen. Plötzlich erkannte er die Gestalt, die auf ihn zulief, und wurde blass. Herrje! Lina war im Anmarsch. Dauernd rief sie seinen Namen. Wie kam er jetzt raus aus der peinlichen Nummer? Notdürftig kämmte Hinnerk sein Haar mit den Fingern. Er hoffte, dass er nicht allzu schlimm aussah. So ein Kater konnte einen wesentlich älter wirken lassen, als man war. Außerdem stank er bestimmt wie ein Rudel räudiger Straßenköter. Aber auf keinen Fall durfte sie merken, dass er hier am Strand genächtigt hatte. Keuchend kam Lina bei ihm an. Zum Glück beachtete sie die knittrige Plastikhülle neben ihm nicht.
„Hinnerk, wat is los? Du hest so luud bölkt! Hest du di ramponert?“, fragte sie besorgt und suchte ihn mit den Augen nach Verletzungen ab.
„Nee, nee“, beschwichtigte er, „is nich so slimm. Ik hebb mi de Foot bufft. An’d Strandkörv.“ Er zeigte auf seinen Schuh.
Der Einfachheit halber wird der folgende Dialog in Hochdeutsch wiedergegeben.
„Soll ich pusten?“, fragte sie grinsend. „Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt mit deinem Geschrei.“
Hinnerk nickte und versuchte, immer zwischen ihr und den toten Zehen zu bleiben, damit sie sie nicht entdeckte.
„Tut mir leid, Lina“, sagte er zerknirscht. „Tat aber im ersten Moment ziemlich weh.“
„Ich hab dir Frühstück mitgebracht. Friesenapfel! Den mochtest du doch so gern.“ Sie machte einen Schritt auf ihn zu. „Herrgott, was stinkt denn hier so schrecklich?“ Lina rümpfte die Nase.
Vor lauter Verlegenheit zuckte Hinnerk nur mit den Schultern und versuchte, den Mund geschlossen zu halten.
„Du hast auch dein Handy bei mir vergessen“, fuhr sie fort und griff in ihre Tasche.
Hinnerk nahm ihr das Gerät und den Kuchen aus der Hand.
„Wollen wir uns nicht in den Sand setzen und gemeinsam frühstücken?“, lenkte Hinnerk ab und versuchte dabei in die andere Richtung zu atmen. „Da vorn ist ein gemütliches Plätzchen.“
„Wo sind eigentlich deine Flaschen?“, erkundigte sich Lina, der aufgefallen war, dass Hinnerk weder einen Sack mit Inhalt noch sonstiges Strandgut bei sich trug.
Er zuckte zusammen, dann begriff er, dass sie die Pfanddinger meinte.
„War noch nicht so üppig heute“, redete er sich heraus. „Komm, wir gehen da rüber.“
Lina versuchte an ihm vorbeizuschielen. „Und was ist das Große da hinter dir? Hast du das schon untersucht? Vielleicht ist da was in der Plastikfolie.“
Sie schob ihn zur Seite, bückte sich und nestelte an dem halb durchsichtigen Gewebe herum. Die Zehen hatte sie immer noch nicht im Blick.
„Bestimmt nur Müll“, versuchte Hinnerk das Schlimmste abzuwenden. „Besser, wir gehen hier schnell weg.“
Aber Lina war nicht aufzuhalten. Ihr Wunsch, Hinnerk etwas Gutes zu tun, ließ sie vehement an der Folie herumreißen. Schließlich erwischte sie einen Fetzen, ruckte daran und schwups entrollte sich das ganze Drama vor ihrer beider Augen.
Hinnerk stöhnte, als er den leeren Sahneheringstopf in den gefalteten Händen des Mannes sah. Doch die Kronkorken, die in den Augenhöhlen der Leiche das Beste vom Norden versprachen, waren zu viel für ihn. Mit einem letzten Seufzer fiel er in Ohnmacht.
Eigentlich war das Umkippen in so einem Moment Linas Part, aber das konnte sie sich heute nicht leisten, wo doch der Angebetete bewusstlos im Sand lag. Nicht, dass er Schaden nehmen würde. Er hätte sie außerdem nicht auffangen oder sich um sie sorgen können. Was also nützte es, wenn sie in die Knie ging? Hier war jetzt forsches, entschlossenes Handeln notwendig, und Lina ergriff die Initiative. Normalerweise wäre man auf die Idee gekommen, dass sie vielleicht einen Krankenwagen rufen oder die Polizei verständigen würde, aber Insider wussten, dass es nur Eine geben konnte, die jetzt dringend informiert werden musste: Lina Hansen rief Oma Pusch, alias Lotti Esen, an. Hinnerk atmete schließlich noch. Da konnte es nicht allzu schlimm sein.
Das Urgestein
Jeder an der Küste kannte Oma Pusch. Sie war ein echtes Original, ein Unikum und gehörte zum Hafen von Neuharlingersiel wie die Perle zur Auster. Mit vielen Bewohnern dieses herrlichen Örtchens und seiner Umgebung war sie verwandt. Man munkelte sogar, dass ihr Scharfsinn seit jener Zeit weitervererbt wurde, in der ihre Vorfahren als Piraten in der Nordsee ihr Unwesen trieben. Da konnte wirklich etwas Wahres dran sein, denn Oma Pusch, die eigentlich Lotti Esen hieß, war pfiffig, listig und manchmal auch ein bisschen durchtrieben. Dabei war sie stets gerecht und so ehrlich wie möglich. Davon konnte sich mancher eine Scheibe abschneiden. Glücklicherweise gab sie diese begnadeten Gene weiter. Das zeigte sich bei einigen ihrer Nachkommen schon jetzt. Fünf Kinder und 13 Enkel sprachen außerdem dafür, dass ihre eigene Linie nicht aussterben würde.
Die meisten von Ihnen werden bereits wissen, dass Oma Pusch noch eine besondere Gabe hat: Sie macht die besten Rollmopsbrötchen der Welt, indem sie sie mit einem Spritzer Honig verfeinert. Diese serviert sie Jung und Alt in ihrem Kiosk am Hafen, den sie aus reinem Spaß an der Freud’ betreibt. Geldsorgen kennt sie seit Langem nicht mehr und dankt dafür ihrem verblichenen Fridtjof. Der alte Seebär war so schlau gewesen, eine hoch dotierte Lebensversicherung abzuschließen, bevor er in die ewigen Jagdgründe der Fische eingegangen war, die er hatte fangen wollen.
Und so sitzt sie dort sorglos tagein, tagaus mit ihrer besten Freundin Rita, die ebenso neugierig ist wie sie selbst. Ein Kiosk ist die perfekte Tratschbörse. Was die Ermittler mühsam und haarklein bei Befragungen aus den Menschen herausquetschen müssen, bekommt Oma Pusch sozusagen frei Haus geliefert – und das auch noch freiwillig. Wer würde sich nicht gerne einer vertrauenswürdigen Großmutter anvertrauen? Inzwischen munkelt man sogar, dass ihre Aufklärungsquote bei Gewaltverbrechen höher ist als die der Kripo in Esens. Möglich, aber in jedem Fall ein Affront! Schon wegen der verwandtschaftlichen Verwicklungen, wo doch ihr Neffe … Aber davon später mehr.
Was sie uns jedoch noch immer verheimlicht, ist ihr genaues Alter. Sei’s drum. Im Grunde genommen ist es auch gar nicht wichtig, sie auf eine exakte Zahl festzunageln, denn sie bleibt, was sie ist – eine flotte Dame mit einer kaum zu bändigenden Energie und einem Riecher für kriminelle Machenschaften.
Beim Frühstück
„Scheiße, stell das Ding aus!“, kreischte der federlose Papagei Ronny auf sächsisch, als das Telefon klingelte. Dabei steckte er seinen Kopf unter den ledernen Flügel.
Auch Oma Pusch wunderte sich über den frühen Anruf, der laut Display nicht mal von ihrer Freundin Rita kam. Welcher Depp – sie grinste über den bayrischen Ausdruck – rief denn schon so früh bei ihr an?
Der Depp war weiblich und zunächst einmal überhaupt nicht zu verstehen, weil die Stimme im Galopp redete und sich ständig überschlug. Aber Oma Pusch meinte zu erkennen, wer da am anderen Ende dran war. Und das war mehr als ungewöhnlich.
„Lina, bist du das?“, fragte sie.
Japsen am anderen Ende. „Ja, ich krich kaum Luft.“
„Nun beruhig dich erst mal“, redete Oma Pusch ruhig wie auf ein krankes Pferd ein.
„Ich mich beruhigen? Das ist wohl kaum möglich. Der Hinnerk ist umgekippt. Direkt hier am Strand“, faselte sie weiter.
„Ach, du heilige …“, entfuhr es Oma Pusch. „Ist er blau angelaufen?“
„Hinnerk?“, fragte Lina verdutzt. „Nee, der nicht, eher der Adde.“
Welcher Adde?“, erkundigte sich Oma Pusch.
„Jacobsen, Adde Jacobsen von der Kunststofffabrik“, erklärte Lina.
„Und was macht ihr da zu dritt am Strand, um diese Uhrzeit? Adde wird doch wohl keine Plastikflaschen wegen des Pfandes einsammeln oder wegen der Umwelt.“ Sie kicherte, obwohl ihr bei dem Gedanken gar nicht lustig zumute war.
„Nee, der sammelt gar nichts mehr, nicht mal mehr böse Briefe oder Eier an seiner Hauswand, weil er tot ist“, informierte Lina. „Aber der Hinnerk ist auch bald hin, wenn du uns nicht hilfst.“
Sofort war Oma Pusch in Alarmbereitschaft. Hier stimmte etwas nicht. Sie konnte sich zwar nicht zusammenreimen, was Lina da genau meinte und ob sie noch richtig im Kopf war, aber es gab keine andere Möglichkeit es herauszufinden: Sie musste sofort da hin an den Strand.
„Wo genau seid ihr?“, hakte sie nach.
„Fast bei der Drachenwiese“, sagte Lina. „Kommst du, Lotti? Es ist alles so schrecklich.“
„Schon unterwegs“, versprach Oma Pusch. „Hast du einen Krankenwagen angerufen? Oder die Polizei?“
„Ganz bestimmt nicht“, erwiderte Lina aus Überzeugung. „Die weißen Männer nehmen mich immer mit, und mit der Polizei hat Hinnerk so seine Probleme. Das weißt du doch. Ich könnte deinen Sohn Nils, den Bestatter, anrufen.“
„Das geht nicht, ohne dass vorher …“, Oma Pusch zögerte. „Wie ist Adde denn gestorben? Mord oder natürlicher Tod?“
Es stöhnte im Hintergrund.
„Woher soll ich das wissen? Er liegt da in einer Plastikhülle. Ich glaube, er wacht gerade wieder auf“, sagte Lina freudig.
„Adde?“
„Nee, Hinnerk“, antwortete Lina.
Oma Pusch wurde es zu bunt. Die Nachbarin ihrer besten Freundin Rita redete wirres Zeug. Wer konnte wissen, was davon wirklich stimmte? Sie musste sich selbst ein Bild von der Situation machen.
„Lina, bleib genau da, wo du bist!“, befahl sie. „Rühr dich nicht vom Fleck! In Nullkommanichts bin ich bei dir.“
Kurz überlegte Oma Pusch noch, ob sie Rita informieren sollte, aber das hatte Zeit, bis sie das alles selbst in Augenschein genommen hatte. In Windeseile holte sie ihren neuen E-Scooter aus dem Kabuff und rannte die Treppe im „Dattein“, der uralten Hafenkneipe, hinab, über der sie wohnte. Mit diesem Flitzer war sie noch schneller am Strand als der Wind. Oma Pusch war schon als kleines Mädchen gerne Roller gefahren und sogar später noch auf dem Pucky ihrer Tochter, aber so einer mit eigenem Antrieb war doch noch eine Spur besser. Zwar besaß sie auch ein E-Bike, aber da musste man selbst mittrampeln. Außerdem waren die Dinger zu schwer und unhandlich. Hiermit war sie variabler. Fahren oder mit dem Scooter rennen, zum Bespiel den Deich hoch. Alles war problemlos möglich. Über den gepflasterten Bereich am Strand war sie im Nu bei Lina Hansen, die wie ein Häufchen Elend im Sand saß und Hinnerks Kopf auf ihrem Schoß kraulte. Es schien sie beide zu beruhigen. Das Gesicht des alten Fischers hatte schon wieder Farbe bekommen. Er machte allerdings keinerlei Anstalten aufzustehen.
„Moin“, sagte Oma Pusch, „scheint Hinnerk ja wieder gut zu gehen. Ist das Adde?“ Sie zeigte auf die Plastikhülle.
„Ja, aber geh nicht zu dicht dran“, warnte Lina Hansen. „Er sieht schrecklich aus.“
„Na, immerhin hast du ihn noch erkannt“, wunderte sich Oma Pusch.
„Ist doch einfach“, erwiderte die Witwe, „er liegt ja in Klarsichtfolie verpackt. Die hält frisch!“
„Aber da wird er wohl nicht allein hineingekommen sein“, mutmaßte Oma Pusch, „also dürfte es sich kaum um einen natürlichen Tod handeln.“
„Möglicherweise um einen Unfall“, krächzte Hinnerk. „Vielleicht ist er in seinem Werk in eine Maschine geraten, die ihn eingewickelt hat.“
„Und wie soll er hierhergekommen sein?“, konterte Oma Pusch.
Lina kicherte. „Könnte sein, dass man ihn mit seinem eigenen schmutzigen Verpackungsmüll im Meer verklappt hat. Würde ihm auf jeden Fall recht geschehen.“
„Hör auf so zu reden, Lina“, schimpfte Hinnerk. „Wenn das einer außer uns dreien hört, dann kommt der nachher noch auf die Idee, dass du etwas damit zu tun hast.“
„Ich?“, fragte Lina erstaunt. „Ich habe noch nie jemandem was zuleide getan.“
„Die Polizei kommt auf die dümmsten Ideen“, entfuhr es ihm, und er hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, weil Oma Puschs Neffe Eike bei der Kripo in Esens war.
Doch die überhörte es einfach. „Schauen wir uns doch die Sache mal genauer an, bevor wir wen anders anrufen“, sagte sie und zog ein paar Latexhandschuhe aus der Tasche, die sie sonst zum Spülen benutzte.
„Lotti, du solltest vielleicht wirklich nicht …“, begann Hinnerk. „Ist kein schöner Anblick, dies Gesicht.“
Aber je mehr man versuchte, Oma Pusch davon abzuhalten, die Leiche zu begutachten, umso mehr wollte sie es.
„Ach Papperlapapp“, antwortete sie und machte einen entschlossenen Schritt auf das längliche Paket zu. Das Erste, was ihr auffiel, waren die Zehen. Sie schluckte einmal und wandte sich dann der Folie zu, die Lina wieder über das Gesicht gedeckt hatte. Vorsichtig hob sie sie ab, stutzte kurz und beschwerte die Plane dann mit ihrer Handtasche auf dem sandigen Boden. Vor ihr lag tatsächlich Adde Jacobsen mit seinem unverwechselbar roten Lockenschopf und dem Muttermal direkt unter seinem Auge, das die Form eines Fisches hatte. Genauer gesagt erinnerte der „Schönheitsfleck“ an einen Hai. Nicht nur aus diesem Grund war er hinter seinem Rücken auch Sharky genannt worden. Jetzt im Tod war das Gesicht blaurot verfärbt, denn bevor Hinnerk ihn am Vorabend umarmt hatte, hatte er auf dem Bauch gelegen, weswegen sich die Totenflecken nun dort unschön zeigten. Hätte er nach seinem Ableben auf dem Rücken gelegen, wäre er nicht so gruselig anzusehen gewesen. Aber Oma Pusch biss sich auf die Lippen und wollte keinesfalls zugeben, dass auch ihr etwas flau in der Magengrube war. Wenigstens blieben ihr leere Augenhöhlen oder ein fahler Blick erspart, weil jemand die Verschlüsse zweier Bierflaschen in die Aussparung geklemmt hatte, sodass die Lider bedeckt waren. Nur ein Akt der Milde oder sollte das etwas bedeuten, überlegte Oma Pusch und zog die Kunststofffolie etwas weiter herunter. Aha, erwürgt, dachte sie, als sie die Strangulationsmarken unter dem Rest eines Fischernetzes entdeckte, das augenscheinlich dazu verwendet worden war, um dem Adde den Garaus zu machen. Die Sicht auf seinen weder jungen noch taufrischen Körper blieb ihr zum Glück wegen des Troyers erspart. Weshalb er jedoch diese lächerliche Plastikdose in den Händen hielt, in der einmal Sahneheringe gewesen sein mussten, konnte sie sich nicht erklären.
Etwas mühsam ob der Jahre richtete sich Oma Pusch auf und zog die Handschuhe auf links wieder aus. Dann deckte sie den Leichnam zu.
„Und?“, fragten Hinnerk und Lina wie aus einem Mund.
„Adde ist tot“, sagte sie.
„Wären wir nicht drauf gekommen“, beschwerte sich Lina schmollend. „Wir wollten wissen, ob du sagen kannst wieso.“
Hinnerk nickte. „Du kennst dich doch damit aus, mit diese Ermordeten und so.“
„Ihr seid lustig, ich bin doch kein Rechtsmediziner wie mein Schwager Enno“, protestierte sie. „Ich kann nur vage Vermutungen abgeben.“
„Denn man rut daarmit!“, forderte Lina.
„Wahrscheinlich ist er mit einem Fischernetz erdrosselt worden“, erklärte Oma Pusch. „Er hat da am Hals so Striemen. Aber ich hab ja nicht alles gesehen. Wenn ihm zum Beispiel einer was über die Omme gehauen hat, könnte ich das nicht erkennen, weil er doch draufliegt auf seinem Schädel.“
„Schon klar“, bestätigte Lina, „du siehst doch nicht mal, ob er da ganz drin ist oder ob die Mitte fehlt. Der Fuß könnte lose aus der Hülle ragen, ohne noch am Körper zu hängen. Vielleicht hat man ihn auch kas…“
„Lina!“, rief Hinnerk entsetzt. „Du hast ja eine schlimmere Fantasie als unsere Lotti, und das will schon was heißen.“
Oma Pusch musste schmunzeln. „Wenn du willst, kannst du da gerne selber nachsehen, aber ich gehe da nicht noch mal bei. Ich rufe jetzt meinen Neffen HINTERMOSER, den Kommissär, an.“
Sie betonte den Nachnamen absichtlich, weil sie ihn nicht leiden konnte. Hatte doch ihre Schwester einfach nach Bayern geheiratet und so einen Hinterwäldler-Bazi-Nachnamen angenommen. Unglaublich. Aber okay, Esen-Hintermoser wäre womöglich noch schlimmer gewesen. Ihn hätte man dort unten mit dem Namen Esen wahrscheinlich nicht mehr ernst genommen. Ein schreckliches Dilemma war da entstanden durch diese Nord-Süd-Verbindung aus Liebe. Immerhin hatte sich ihre Schwester beim Vornamen durchgesetzt. Der „Kleine“ hieß hübsch niederdeutsch Eike, was ihm im bajuwarischen Ausland echte Schwierigkeiten bereitet hatte, bis man auf die Idee gekommen war, ihm in der Schule den Spitznamen Eitzi zu geben. Eike Hintermoser war mittlerweile als Oberkommissar Leiter der kleinen Kripo in Esens und seine Tante Lotti deswegen stolz wie Bolle. Mit der richtigen Frau an seiner Seite, deren Nachnamen er einmal als ehelichen übernehmen würde, wäre die Scharte wieder ausgewetzt. Dann konnte man sogar darüber hinwegsehen, dass Eike eigentlich ein Unisex-Name war, weswegen man ihm einen zweiten hatte geben müssen, aber den verschwieg Oma Pusch lieber und auch ihr Neffe kürzte ihn nur mit einem X ab. Xaver hieß man hier einfach nicht – weder vorne noch hinten.
Auf jeden Fall hatte Oma Pusch schon die richtige Frau für ihren Eike im Sinn. Es war die bildschöne Nele Freese von der Spurensicherung, aber bisher biss der Dussel nicht an, obwohl man sehen konnte, dass die junge Dame ihm gegenüber durchaus aufgeschlossen war.
Oma Pusch seufzte und griff nach ihrem Smartphone.
„Halt!“, rief Hinnerk panisch. „Wir müssen hier verschwinden, die Lina und ich, bevor du die Kavallerie rufst. Du weißt genau, dass ich nichts mit Befragungen und solchem Kram zu tun haben will.“ Er rappelte sich auf, obwohl er seinen weichen Liegeplatz auf Linas Schoß sehr ungern verließ. Wer wusste schon, wann er jemals wieder in so eine Situation kommen würde?
„Du willst mir doch nicht im Ernst erzählen, dass die aus Esens eher hier sind, als ihr den Strand verlassen habt?“, erkundigte sich Oma Pusch schmunzelnd.
„Aber er hinkt doch. Vielleicht hat er deswegen Bedenken“, ergriff Lina Partei für den alten Fischer.
„Hauptsache, ihr seid euch einig“, fand Oma Pusch. „Also nehmt eure Hacken in die Hand und seht zu, dass ihr Land gewinnt, ihr zwei Angsthasen. Hab ich den Adde eben zufällig entdeckt.“
„Das würdest du für uns tun?“, fragte Lina glücklich.
„Selbstredend“, brüstete sich Oma Pusch, die sich in diesem Moment nichts sehnlicher wünschte, als dass die beiden endlich weg waren. Erst dann konnte sie heimlich Fotos von der Leiche schießen.
Lina drückte Oma Pusch an sich, hakte Hinnerk unter und schleifte ihn die ersten 50 Meter beinahe hinter sich her. Erst dann merkte sie, dass er völlig außer Atem war und ein vom Schmerz gezeichnetes Gesicht hatte.
„Wir sind ganz normale Touristen“, raunte Lina ihm zu und ging jetzt nur noch so schnell, dass ihr Partner mitkam. Zum Glück war der Strand noch vollkommen leer.
Oma Pusch dachte nicht im Traum daran, sofort ihren Kommissars-Neffen anzurufen. Der Tote lief ja nicht weg. Sie wartete noch einen kurzen Moment, dann drehte sie ihre Handschuhe um und blies hinein, bis sich alle Finger aufblähten. Jetzt konnte sie hineinschlüpfen. Aber die Hobby-Ermittlerin hatte sich verrechnet. Nun war sie zwar gegen mögliche Keime geschützt und würde auch keine Fingerabdrücke hinterlassen, doch es war ihr nicht möglich, den Auslöser für die Kamera am Smartphone zu betätigen. Der Handschuh ließ es nicht zu. Also musste Oma Pusch in den sauren Apfel beißen und einen davon ausziehen. Nach und nach schoss sie Fotos von Adde aus unterschiedlichen Perspektiven, mal machte sie Gesamt-, mal Detailaufnahmen. Als sie alles im Kasten hatte, sah sie auf die Uhr. Ein Glück, erst Viertel nach sechs. Ob sie wohl noch die Zeit hatte, kurz Rita anzurufen? Vielleicht wollte ihre Freundin den Toten selbst in Augenschein nehmen. Anrufen konnte sie wenigstens. Nicht, dass Rita später sauer war, wenn sie sie nicht mit dazugeholt hatte.
Oma Pusch streifte den linken Handschuh ebenfalls ab, versuchte aber diesmal, dass er so blieb, wie er war, dann wählte sie Ritas Nummer.
„Ja?“, kam es total verpennt aus der Muschel.
„Hier ist Lotti, willst du die Leiche am Strand selber sehen oder reichen dir Fotos davon?“
Noch im Halbschlaf taten sich schreckliche Bilder vor Ritas innerem Auge auf. Sie schüttelte sich und setzte sich im Bett auf. Dabei fiel ihr Blick auf den Wecker. „Lotti?“
„Wer sonst“, kam als Antwort.
„Bist du bescheuert, mich kurz nach sechs vor dem Aufstehen anzurufen und mir irgendwelchen Quatsch zu erzählen? Ich weiß genau, dass du um diese Uhrzeit garantiert nicht allein am Strand bist“, schimpfte Rita.
„Bin ich auch nicht“, konterte Oma Pusch, „der Adde ist auch da, zumindest seine sterblichen Überreste.“
„Welcher Adde?“, fragte Rita nun viel wacher.
„Adde Jacobsen!“
„Nee“, entfuhr es Rita, „der von der Plastikfabrik?“
„Ja, genau der.“
„Gibt’s ja nicht. Und wieso ist der tot? Er war doch gestern noch in der Zeitung“, wunderte sich Rita.
„Deswegen kann er doch heute trotzdem tot sein“, sagte Oma Pusch. „Wenn du’s nicht glaubst, komm doch her.“
Rita wurde misstrauisch. „Ist das so ein Mist wie mit der versteckten Kamera? Ich soll zum Strand gelockt werden und dann lachen alle über mich? Kein Bedarf! Du willst mi vernarhollen.“ Sie räkelte sich im Bett. Dort war es herrlich gemütlich.
„Auch gut“, stöhnte Oma Pusch, „dann musst du eben später mit den Fotos von Adde vorliebnehmen, aber ich will kein Gemecker hören. Immerhin hattest du die Möglichkeit, ihn dir selbst anzusehen.“
„Wo liegt er denn?“
„Auf dem Sandstrand, kurz vor der Drachenwiese“, erklärte Oma Pusch. „Okay, dann rufe ich jetzt den Eike an und setze die Maschinerie in Gang.“
„Tut mir leid“, erwiderte Rita jetzt etwas zerknirscht. Ihre Freundin schien sie tatsächlich nicht verladen zu wollen. „Ich bin doch auch noch gar nicht gewaschen.“
„Wetten, der Adde stinkt mehr als du?“ Oma Pusch prustete in den Hörer und kriegte sich sofort wieder ein, bevor Rita sauer werden konnte. „Tut mir leid, war ein Witz.“
„Wär ich nicht drauf gekommen“, antwortete Rita leicht indigniert. „Vorschlag: Ich mache mich eben fertig und komme dann in den Kiosk. Frühstücken können wir doch da zusammen. Oder hast du schon?“
„Nee, wann denn?“, wollte Oma Pusch wissen. „Ich bin doch auch sofort los, als Hinnerk mich verständigt hat.“
„Ach so“, fiel es Rita wie Schuppen von den Augen, „der Hinnerk hat den Adde gefunden. Das macht Sinn. Wenn du mir das gleich gesagt hättest …“
„… wärst du ungewaschen gekommen?“, vervollständigte Oma Pusch den Satz.
Rita überlegte ganz kurz. „Nee, wahrscheinlich auch nicht. Zeig mir man nachher die Fotos. Das reicht mir. Ich muss den jetzt nicht mit allen Sinnen genießen. Außerdem konnte ich ihn nicht leiden.“
„Wer konnte das schon?“, überlegte Oma Pusch laut. „Bei so viel Mikroplastik im Meer hatte der auch noch die Unverfrorenheit, eine Fabrik für Kunststoffe und Leichtstoffverpackungen direkt an der Küste zu errichten. Das ist so, als wenn du dem Teufel auch noch eine Fackel gibst.“
Rita lachte, aber eher über die Formulierung als über die Tatsache an sich.
„Weißt du noch, wie wir damals protestiert haben?“, erkundigte sich Rita. „Sogar die alte, hochbetagte Marga war mit dabei.“
„Stimmt“, erwiderte Oma Pusch, „für Marga ist das ganze Plastikgedöns Düvelswark. Sie packt auch heute noch ihren Fisch in Zeitungspapier. Obst, Gemüse und Eier kauft sie nur auf dem Markt direkt in ihren Stoffbeutel ein, den sie vor 60 Jahren mal selbst genäht hat. Da könnte sich so mancher eine Scheibe von abschneiden.“
„Und ihr Katzenfutter?“, überlegte Rita. „Das kriegt sie doch nur in Dosen.“
„Soweit ich weiß, nimmt sie Trockenfutter aus der Pappschachtel“, erinnerte sich Oma Pusch. „Aber du, nichts für ungut. Ich würde gerne noch weiter mit dir über den sinnvollen Umgang mit unseren Weltressourcen plaudern, doch wäre das nicht ein bisschen ungerecht dem Adde gegenüber?“
„Wenn man ihn nicht als Sondermüll betrachtet, vielleicht“, gab Rita zu.
„Das ist wohl fast jede Leiche, wenn man bedenkt, was da alles drin sein kann: Medikamente, künstliche Hüften oder Herzklappen, Tattoofarbe, Amalgam aus alten Zahnfüllungen.“ Oma Pusch schüttelte sich bei dem Gedanken. „Also gut, wir sprechen später weiter. Ich rufe jetzt Eike an und du sperrst den Kiosk auf, sobald du so weit bist.“
„Wird gemacht!“
„Ach, und bring frische Brötchen mit“, bat Oma Pusch. „Ich bin noch nicht beim Bäcker vorbeigekommen. Na ja, und ich werde wohl warten müssen, bis der ganze Tross von Ermittlern hier eingetroffen ist.“
„Wieso, es reicht doch, wenn du bei Eike eine Aussage machst“, schlug Rita vor.
„Du Dösbaddel, dann kriege ich doch zu wenig mit“, klärte Oma Pusch ihre Freundin auf. „Ich muss doch wenigstens meinen Schwager Enno von der Rechtsmedizin und die von der Spurensicherung abwarten.“
Jetzt lachte Rita lauthals. „Die werden dir was husten.“
„Okay, bis später“, beendete Oma Pusch nun endlich das Gespräch, weil sie sich über die Bemerkung ärgerte. Natürlich würde man versuchen, dass sie möglichst wenig mitbekam, aber sie war ja nicht von gestern. Manchmal war Rita eine dusselige Nuss, fand Oma Pusch.
Das ganze Komitee
Oma Puschs Anruf holte Oberkommissar Eike X. (wir wissen Bescheid) Hintermoser unter der Dusche hervor. Triefnass stolperte er aus der Wanne, blieb mit seinem großen Onkel an der Abtrennung hängen und schlidderte gerade noch ohne hinzufallen in Richtung Nachttisch, wo sein Smartphone lag.
Beim Blick aufs Display verdrehte er die Augen. Seine Tante, die Nervensäge! Wenn die ihn um diese Uhrzeit anrief, verhieß das nichts Gutes. Für einen Moment lang überlegte er, überhaupt nicht dranzugehen, aber dann packte ihn das schlechte Gewissen. Er rieb seinen Zeh und drückte auf Grün.
„Tante Lotti“, flötete er in den Hörer, „was verschafft mir die Ehre an diesem sehr frühen Morgen?“
„Ich kann nichts dafür“, waren Oma Puschs erste Worte. „Aber hier liegt A…, äh einer am Strand. Du musst mal gucken kommen.“
„Schnapsleiche oder richtig tot?“, erkundigte sich der junge Oberkommissar.
„Dem Fuß, der rausragt, nach zu beurteilen, würde ich sagen, der wacht nicht mehr auf“, informierte ihn Oma Pusch.
„Woraus ragt er denn?“, fragte Eike.
„Aus einer Plastikfolie“, erklärte sie.
„Komm“, sagte der Neffe, „wer ist es? Du willst mir doch nicht im Ernst erzählen, dass du keine Ahnung hast, wer da liegt. Ich fresse einen Besen, wenn du nicht nachgeschaut hast.“
„Dann schon mal guten Appetit“, erwiderte Oma Pusch frech. „Selbst wenn ich nachgeguckt hätte, hieße das immer noch nicht, dass ich ihn auch erkannt hätte.“
„Ach, es ist ein Er?“, forschte Eike weiter nach.
„Dem Foot nach schon. Ob Frauen so Haare auf den Zehen haben können, ist mir nicht bekannt.“
„Wohl eher auf den Zähnen“, sagte Eike und lachte über seinen eigenen Scherz. „Na gut, dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als selbst nachzusehen. Wehe, du rührst dich von der Stelle!“, drohte er noch und legte dann auf.
Aber Oma Pusch hatte etwas Wichtigeres zu tun. Sie rief ihren Sohn Nils, den Bestatter, an. Mittlerweile hatte sie sich damit abgefunden, dass sie auf Enkel aus dieser Linie verzichten musste. Wer wollte schon einen Ehemann, der tagein, tagaus an Leichen herumhantierte? So interessiert die Damen auch waren, sobald es um die Berufsfrage ging, schienen sich alle einig zu sein. Und wer sogar unwissend in sein Bett gehoppelt war, gruselte sich anschließend bei der Vorstellung, was diese Hände sonst so anfassten. Aber Nils war ihr Sohn. Sie liebte ihn natürlich trotzdem. Und was lag da näher, als ihm den einen oder anderen Auftrag zuzuschustern? Immerhin wusste sie meist zuerst, wo gestorben worden war, manchmal sogar schon, bevor es der Betreffende selbst realisiert hatte.
Total verpennt ging Nils Esen ans Telefon.
„Mensch Mutti, musst du mich so früh …“
Sie ließ ihn nicht ausreden. „Schwing die Hufe“, raunte sie in ihr Smartphone, „der Adde liegt hier tot am Strand. Du weißt schon, der Plastikmagnat. Das gibt bestimmt ’ne aufwendige Beerdigung. Schnappt ihn euch, der Rico und du, bevor es ein anderer mitkriegt.“
„Adde Jacobsen?“, fragte Nils interessiert. Das war schon eine große Nummer.
„Gibt es einen anderen Adde mit einer Riesen-Kunststofffabrik?“, fragte Oma Pusch leicht genervt. Sie sprach doch nicht spanisch.
„Natürlicher Tod?“, erkundigte sich Nils.
„Quatsch! So unnatürlich wie nur was“, erwiderte Oma Pusch. „Der muss also sowieso zu euch in den Keller in die Rechtsmedizin. Da wäre es doch blöd, wenn sich ein anderer die Hände reiben würde.“
„Ist viel dran zu restaurieren? Ich meine, ist er sehr entstellt?“
„Nee, für einen Ermordeten sieht er noch ganz passabel aus, finde ich, aber ich bin ja schon einiges gewohnt. Mach dir selbst ein Bild und steig jetzt aus den Federn. Rico musst du doch bestimmt auch noch wecken. Der Adde liegt hinten bei der Drachenwiese. Wäre also gut, wenn ihr mit eurem Transportsarg vom Campingplatz aus reinkommt.“
„Nun mal langsam mit den jungen Pferden“, bat Nils. „Du glaubst doch wohl nicht, dass meine Kollegen um die Uhrzeit schon Polizeifunk hören?“
„Und ob“, behauptete Oma Pusch, „du weißt doch, wie das mit dem frühen Vogel ist. Ich wäre immer auf Sendung.“
Nils lachte am anderen Ende der Leitung. „Kann ich mir vorstellen, dabei brauchst du das gar nicht. Hast du die Leiche selbst entdeckt oder hattest du wieder Informanten?“
„Ähm, nun ja“, druckste seine Mutter herum, „könnte sein, dass mir einer einen Wink gegeben hat.“
„Ich verwette meinen Arsch darauf, dass der humpelt und Hinnerk heißt“, sagte Nils.
„Schade um deinen Allerwertesten, den ich früher jahrelang gewickelt habe, aber du irrst dich. Es war Lina Hansen.“
„Ohne umzukippen?“, wunderte sich Nils.
„Na gut, ich gebe zu, Hinnerk war bei ihr“, gestand Oma Pusch.
„Soso, du führst deinen eigenen Sohn an der Nase rum. Schäm dich!“
„Später“, sagte Oma Pusch, „nu sieh zu, dass du in die Gänge kommst. Ich muss auch Schluss machen. Da hinten kommt dein Cousin Eike. Tschüssi. Ich erwarte dich hier so schnell wie möglich.“
So schnell es ihm durch den Sand gelang, ging Oberkommissar Eike (wir wollen den Xaver wieder vergessen) Hintermoser auf seine Tante Lotti zu. Sie konnte auch sehen, dass vom Deich aus bereits ein älterer Herr mit wehendem weißen Haar und weitere Menschen mit großen Taschen auf sie zukamen. Bald würden sie alle hier sein, den Fundort in Beschlag nehmen und sie vertreiben. Das war sie gewohnt, aber es ärgerte sie jedes Mal wieder maßlos. Ihr Neffe Eike hatte auch nichts Eiligeres zu tun, als ihr genau dies zu verstehen zu geben. Er zog einen klappbaren Campingstuhl unter dem Arm hervor, stellte ihn ein ganzes Stück von der Leiche entfernt an den Strand und bat seine Tante, dort Platz zu nehmen. Sie würde nichts von dem verstehen können, was da besprochen wurde. Unerhört! Dann näherte er sich der Plastikhülle, hob sie an, warf einen kurzen Blick auf Adde und verdrehte die Augen. Tante Lotti hatte wie immer recht gehabt. Vor ihm lag ein Strangulationsopfer. Er überlegte, wer das sein konnte. Gemächlich schlenderte er zu der alten Dame zurück und machte der Spurensicherung sowie dem Rechtsmediziner ein Zeichen, indem er auf den eingehüllten Toten zeigte.
„Moin, Lotti“, sagte Doktor Enno Esen, Oma Puschs Schwager, im Vorbeigehen grinsend. Er rieb sich im Geiste die Hände. Was er jetzt untersuchen sollte, würde die Witwe seines Bruders brennend interessieren. Das gefiel ihm, denn er rechnete sich doch etwas mehr bei ihr aus, nachdem er es schon mal zumindest als Hilfswärmflasche in ihr Bett geschafft hatte. Oma Pusch tat zwar so, als könne sie sich an den Umstand nicht mehr erinnern, aber Enno unterließ es in keinem Gespräch, ihr das vor Augen zu halten. Eine Mordermittlung könnte ihm also gute Karten bei ihr verschaffen, denn sie würde ihn löchern wollen, um zu wissen, wie sich alles genau zugetragen hatte.
Mit ein wenig Abstand schlenderte Bodo Siebenstein von der Spurensicherung an Oma Pusch vorbei. Es gab zwar keine Fehde mehr zwischen ihnen, aber Bodo erinnerte sich noch zu gut an die Schimpftiraden der Alten und war vorsichtig. Vor allem am frühen Morgen, wenn man noch nicht wissen konnte, wie Oma Pusch aufgelegt war. Der Streit mit seiner Trude zu Hause hatte ihm außerdem schon gereicht. Insofern war er waidwund. Sie war der Überzeugung gewesen, dass er nach Dienstschluss noch dringend das Unkraut zwischen den Steinen auf dem Gehweg herausziehen sollte. Das war das Letzte, wozu Bodo Lust hatte, und wenn er sich die Leiche so ansah, standen seine Chancen auf einen späten Feierabend richtig gut. Er atmete auf.
Direkt hinter Siebenstein folgte seine Mitarbeiterin Nele Freese. Für Oma Pusch ein interessanter Umstand, denn die Küstenschönheit hatte sie selbst als mögliche Partnerin für ihren Neffen Eike auserkoren, aber bisher schien es zwischen den beiden so überhaupt nicht zu funken.
„So, nun erzähl doch mal“, begann Eike die Befragung seiner Tante. „Wie genau hast du den Toten gefunden, wann war das und warum warst du hier?“
„In der Reihenfolge?“, erkundigte sich Oma Pusch, um Zeit zu gewinnen. Sie musste sich flugs noch etwas ausdenken, das schlüssig war. Senile Bettflucht ging immer.
„Die Reihenfolge ist mir egal“, erwiderte Eike, „aber ich will alles genau wissen, jedes Detail und lückenlos vom Zeitablauf her.“
„Also, das war so“, fing Oma Pusch zu erzählen an und sponn dabei reichlich Seemannsgarn. Gut, dass ihre Freundin Rita nicht mit von der Partie war. Sie konnte so schlecht flunkern. Außerdem änderte es ja an der Sache nichts. Adde war und blieb tot. „Ich konnte mal wieder nicht schlafen, Eike. Es ist schrecklich, sich die halbe Nacht so rumzuwälzen. Also habe ich mir gedacht, es wäre um diese frühe Uhrzeit doch praktisch, mit meinem E-Scooter auf dem Deich und dem Plattenweg am Strand zu üben, wo mich niemand sieht.“
„Soso“, sagte Eike und machte ein nachdenkliches Gesicht, „dann muss ich dir gleich mal 15 Euro abnehmen oder hast du beim widerrechtlichen Befahren des Fußgängerbereichs auch noch jemanden gefährdet oder behindert? Dann kostet es 20 oder 25 Euro.“
Oma Pusch tippte sich an die Stirn.
„Beamtenbeleidigung kommt also auch noch dazu. Warst du eigentlich in der Dämmerung ausreichend beleuchtet? Kennzeichen vorhanden? Und wie schnell fährt dein Dingens überhaupt?“ Eike grinste frech.
„Steht da hinten. Kannst du dir angucken, alles regelrecht“, konterte Oma Pusch.
„Später“, beschloss Eike, „jetzt wollen wir uns erst mal dem Toten widmen, aber erzähl mir keine Märchen, sonst buchte ich dich als Hauptverdächtige ein.“
„Schon klar, glaubt dir jeder“, antwortete Oma Pusch leicht verärgert. Was bildete sich der junge Schnösel ein? Auf diese Weise bekam er nur die Kurzversion. „Gibt eigentlich gar nicht viel zu erzählen. Ich war also am Strand, und da lag das Stück Folie. Ich hab reingesehen, ob jemand hier einfach seinen Müll abgelegt hat und dabei den Toten entdeckt. Mehr nicht. Kann ich jetzt gehen?“
„Willst du im Ernst behaupten, dass du keine Ahnung hast, wer da liegt?“, erkundigte sich Eike mit einem Augenzwinkern.
„Das hast du nicht gefragt“, sagte Oma Pusch schmollend. „Du hattest ja nichts Besseres zu tun, als mir zu drohen.“
„Aber du weißt, wer das ist?“, hakte Eike jetzt mit einem charmanten Lächeln nach.
„Vielleicht habe ich eine Ahnung“, erwiderte seine Tante.
Eike musste lachen. „Verkauf mich nicht für blöd. Raus mit der Sprache! Sonst verhafte ich dich doch noch wegen Behinderung der Staatsgewalt.“ Er zwinkerte ihr zu.
„Also es könnte sein, dass es der Adde ist“, redete sie um den heißen Brei herum.
„Adde wer? Den Nachnamen bitte!“
„Mensch, der Adde Jacobsen, der Plastikkönig.“
Oberkommissar Eike Hintermoser rief sich das Gesicht noch einmal in Erinnerung. Das konnte sein. Aber wenn das so war, dann prost Mahlzeit.
„Wie sicher bist du dir da, in Prozenten gerechnet?“, wollte Eike wissen.
Oma Pusch sah ihn fassungslos an. „99! Das eine Prozent ziehe ich ab, weil er einen eineiigen Zwillingsbruder haben könnte, von dem niemand etwas weiß.“
„Wahnsinn“, antwortete Eike, „warum tust du dann erst so rum? Das ist eine wichtige Info. Wir müssen dringend dafür sorgen, dass die Presse davon erst mal keinen Wind bekommt. Meine Herrn, da wird was los sein.“
„Wir kommen bestimmt ins Fernsehen“, freute sich Oma Pusch.
„Du ganz bestimmt nicht“, zerstörte Eike ihre Vorstellungen.
„Abwarten“, sagte sie schnippisch.
„Dass du ja nicht auf die Idee kommst, selbst irgendwelche Schmierblätter anzurufen, um denen eine Top-Story verkaufen zu wollen“, warnte Eike.
„Na, du hast eine Meinung von deiner Verwandtschaft“, beschwerte sich Oma Pusch.
„Nichts für ungut, Tantchen, aber ich kenne doch dein Mitteilungsbedürfnis. Diesmal hältst du dich trotzdem aus allem raus, versprochen?“ Eike tätschelte ihren Arm. „Lass uns man schön unsere Arbeit machen.“
Als er oben am Deich zwei Herren in dunklen Anzügen mit einem Transportsarg stehen sah, verdrehte er die Augen.
„Wusste ich es doch, sogar meinen Cousin, den Herrn Bestatter, hast du schon informiert. Tat denn das not? Den hätten wir später gerufen.“
„Damit andere, die frühmorgens schon Polizeifunk hören, schneller sind? Ich kümmere mich um meine Familie, was man von dir nicht gerade sagen kann“, schimpfte sie. „Einen Maulkorb willst du mir verpassen. Brauchst du aber nicht. Ist doch wohl klar, dass ich die Finger von den Pressefritzen lasse. Ich kenne auch keine, außer den dicken Willi hier um die Ecke, der sich überall rumtreibt. Und mit wem ich spreche, lasse ich mir sowieso nicht verbieten. Vergiss es! Ich schnacke mit Rita oder Kunden so viel, wie ich will. Hat dir übrigens früher auch schon genutzt.“
„Ist ja schon gut, Tante Lotti, nun hol erst mal Luft“, sagte Eike besorgt, weil sie ganz rot vor Wut angelaufen war. „Du musst nicht gleich alles in den falschen Hals kriegen. Was denkst du, was hier für ein Rummel herrscht, wenn das erst bekannt wird. Der Mann war schließlich in der Öffentlichkeit wenig beliebt. Es gibt bestimmt mehr Menschen, die ihn weghaben wollten, als wir uns vorstellen können. Insofern wollte ich nur, dass dir nichts passiert. Darum sollst du dich raushalten.“
„Ja, aber ich wollte seine Fabrik hier auch nicht und war sogar damals bei der Demo mit dabei. Weißt du noch? Zusammen mit Rita“, erwiderte Oma Pusch.
„Das behältst du besser für dich“, sagte Eike kopfschüttelnd. „So, ich muss dann mal zum Leichenfundort. Und du kannst zwei Dinge tun: Entweder bleibst du hier sitzen und genießt die Morgensonne, oder du entfernst dich vom Strand.“
Oma Pusch beobachtete, wie Nele und Bodo ein Zelt über Adde aufstellten. In einem großen Bogen war der Strand bereits mit Flatterband abgeriegelt worden. Man hatte auch einen Sichtschutz aufgestellt.
Langweilig, dachte Oma Pusch. Der spinnt wohl! Was soll ich hier unwies (dumm) rumsitzen?
„Nee, nee, ich geh dann mal besser, sonst verkühle ich mir noch die Blase“, nannte Oma Pusch als Ausrede für ihr sofortiges Verschwinden und düste mit ihrem E-Scooter ab. Die Fotos vom toten Adde hatte sie auf ihrem Smartphone gespeichert. Höchste Zeit, die Bilder mit Rita noch einmal genau unter die Lupe zu nehmen.
Erste Begutachtung
„Puh, da hat uns aber jemand ein besonders appetitliches Geschenk gemacht“, seufzte Bodo Siebenstein, der gemeinsam mit dem Rechtsmediziner versuchte, die Leiche teilweise aus der Plastikfolie zu befreien.
Das stellte sich allerdings nicht so ganz einfach dar. Ein Verpackungskünstler hatte sich große Mühe gemacht, Adde Jacobsen mit unzähligen Metern Klarsichtfolie zu umhüllen. Und die mussten jetzt minutiös wieder abgewickelt werden. In den ersten Lagen fanden Bodo und seine Kollegin Nele leere Shampoo-, Badezusatz- und Waschmittelflaschen, die sie archivierten und in Kisten verstauten.
„Ich verstehe das nicht“, wunderte sich Nele. „Ist das Ganze nicht ein bisschen übertrieben? Schon klar, dass das Plastikzeugs auf seine Fabrik zu beziehen ist, aber hätten da nicht die Folie und der Heringsbecher in den Händen gereicht? Gibt es so etwas wie Overkill auch beim Stigmatisieren?“
„Hab ich noch nicht gehört“, sagte ihr Chef Bodo, „du, Eike?“
„Nein, noch nie“, gab der Oberkommissar zu. „Du denkst, das macht die Sache schon wieder unglaubwürdig? Ein echter Umweltfreak hätte lieber ein Schild mit der Aufschrift ,Plastikschwein‘ angebracht, aber nicht so viel von dem verhassten Zeug zur Deko verwendet?“
„Exakt“, bestätigte Nele.
Bodo legte den Kopf schief. Das tat er immer, wenn er über etwas nachdachte.
„Ich wundere mich“, sagte er.
„Worüber?“, wollte Eike wissen.
„Fällt euch denn nichts auf?“, erkundigte sich Bodo.
Doktor Enno Esen, Eike Hintermoser und Nele Freese schüttelten den Kopf und sahen ihn ratlos an.
„Leere Plastikflaschen sind halt leere Plastikflaschen, nicht mehr und nicht weniger“, kam es von Enno.
„Umweltfrevel“, schimpfte Nele.
„Ja, ja“, erwiderte Bodo, „da habt ihr doch alle recht, aber darüber wollte ich jetzt nicht diskutieren. Ich spreche von etwas anderem. Man darf sich die Frage stellen, ob der Mörder sie hier aktiv für etwas benutzt hat.“
„Was sollte das denn sein?“, hakte Nele schmunzelnd nach.
„Höre und lerne“, antwortete Bodo, „der Plan des Mörders ist nämlich genial. Er hat bestimmt nicht daran gedacht, dass wir so schnell hinter seine Kulissen schauen. Wie denkt ihr, ist unser Toter hierhergekommen? Mit einem Pkw kommt man schwerlich hin. Es würde auch auffallen.“
„Mit der Schubkarre“, schlug Enno vor. „So würde ich’s jedenfalls machen. Wie ein Strandarbeiter halt.“
„Auf ’ner Folie kann man einen auch ganz gut über den Sand ziehen“, wandte Nele ein, „aber wir wissen ja nicht, wo derjenige hergekommen ist. Der Deich müsste auch erst überwunden werden.“