Fucked by Rock `n`Roll - George von Klitzing - E-Book

Fucked by Rock `n`Roll E-Book

George von Klitzing

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Beschreibung

Die randvollen Bierbecher flogen Clemens nur so um die Ohren! Das war hier kein Konzert mehr, es war Krieg! An einem Samstagabend traten sie mit ihrer Band in der Hamburger Markthalle im Vorprogramm der Kassierer auf. Der Puff war gerammelt voll und die Leute auch. Die Becher flogen nicht, weil die Band so schlecht war, sondern weil die Deppen einfach keine Ahnung vom guten Timing bei einer Bierdusche hatten. Als zweites von drei Kindern wuchs Clemens sehr behütet und konservativ erzogen in einem Dorf im Süden Dortmunds auf. Er bekam von seinen Eltern das volle Programm verpasst, in der Hoffnung, dass aus dem Bengel mal was wird: Fußball, Tennis, Feldhockey, Tanzschule, Cellounterricht, Pfadfinder und Teilnehmer bei Adel auf dem Radel. Das war so ganz weit weg von Punkrock. Egal, Clemens war stur, heiß und felsenfest davon überzeugt, mal ein ganz Geiler zu werden. Im zarten Alter von 29 Jahren wurde es ihm endgültig zu eng in Dortmund. Die Welt schrie seinen Namen und er wollte sie nicht länger zappeln lassen! In den folgenden Jahren gründete Clemens in seiner Wahlheimat Hamburg nun eine Band nach der anderen, immer in der Hoffnung, die Gang zu finden mit der er die Welt erobern konnte. Es folgten Jahre voller Hysterie & Wahnsinn!

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Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebtes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

FUCKED BY ROCK´N` ROLL

Punkrock, Sex & Notaufnahme!

Erstes Kapitel

Piff, Paff, Katschong! Die randvollen Bierbecher flogen Clemens nur so um die Ohren! Das war hier kein Konzert mehr, es war Krieg! An einem Samstagabend traten sie mit ihrer Band in der Hamburger Markthalle im Vorprogramm der Kassierer auf. Der Puff war gerammelt voll und die Leute auch. Die Becher flogen nicht, weil die Band so schlecht war, sondern weil die Deppen einfach keine Ahnung vom guten Timing bei einer Bierdusche hatten.

Die Bierdusche: Man reserviere ein Drittel seines Bieres für den entscheidenden Moment. Dieser ist entweder gekommen, wenn die Band sich Intromäßig so geil gesteigert hat, dass die Dusche als Szenenapplaus für das folgende Stück zu werten ist, oder der Wurf erfolgt kurz vor Beginn des Refrains. Taktgefühl ist wünschenswert. Jetzt holt der Werfer aus und schleudert seinen Becher in einem 75 Grad Winkel gen Bühne. Ziel ist nicht in erster Linie die Band, sondern die Decke des Raumes. Vor allem gilt es, der Band ein feines Bild zu präsentieren und ihrer Musik und der daraus resultierenden Stimmung Respekt zu zollen.

Aus Sicht einer Band ist doch der Anblick einer wild tobenden Horde, auf die es Bier und Becher regnet, die Erfüllung aller Musikerträume. Justin Bieber will Konfetti, Clemens Bier und Becher. Nur hatten sie es aber hier mit strohdoofen Pinneberger Voll-Honks zu tun. Vokuhila, Böse Onkelz-Shirt und schlammverschmierte Wanderstiefel. Und die hatten auch noch zu viel Geld. Die Ein-Drittel-Regel war denen völlig unbekannt. Elf Songs lang wurden er und seine Bandkollegen nach jedem Song mit höflichem Applaus beschenkt. Kein Problem, alles easy. Jetzt dachte sich Clemens, dass er ihnen endlich gibt, wonach ein Kassierer-Fan sich sehnt: die volle Plauzen-Show mit Bierdusche. Das Schlagzeug setzte ein zum letzten Song. Clemens schälte sich aus seinem klatschnassen T-Shirt und zog es sich genüsslich durch den Schritt, als würde es da jucken. Als Sänger bedankte er sich fürs Nichtweglaufen, wünschte den Leuten noch viel Spaß und feuerte pünktlich zur Gitarre sein Bier in Richtung Deckenmitte. Steil rein, steil raus. Das war seine Devise. Was dann folgte, war ein regelrechtes Kreuzfeuer aus Bierbechern. In kürzester Zeit stand die komplette Bühne unter Bier und er und seine Bandkollegen mussten ihre saucoolen Posen auf das Nötigste beschränken, um nicht auszurutschen. Der Song war vorbei, das Licht ging an. Runter von der Bühne, nächste Band.

Backstage wurde ihnen vom Bühnentechniker lebenslängliches Hausverbot in der Markthalle angedroht. Denn er sah sich jetzt gezwungen, sämtliche Kabel und die komplette Bühne zu reinigen. Was für eine Heulsuse. Oike, Helge, Michi, Gunnar und Clemens hatten bei diesem Konzert das erste Mal einen bandeigenen Kühlschrank. Mit Beschriftung. Den hatten sie allerdings schon zu zwei Dritteln vor dem Konzert geleert. Während Oike mit Wölfi, dem Sänger der Kassierer, ein Foto machte, fing der Rest der Band an, hinter dessen Rücken deren Biervorrat zu plündern und die Flucht vorzubereiten. Alles in allem ein gelungener Abend, wie Clemens fand. 150 Piepen cash auf die Hand und Hausverbot in einem der renommiertesten Läden der Stadt. Fuck the world!

Als zweites von drei Kindern wuchs Clemens sehr behütet und konservativ erzogen in einem Dorf im Süden Dortmunds auf. Er bekam das volle Programm verpasst, in der Hoffnung, dass aus dem Bengel mal was wird: Fußball, Tennis, Feldhockey, Tanzschule, Cellounterricht, Pfadfinder und Teilnehmer bei Adel auf dem Radel. Das war so ganz weit weg von Punkrock. Egal, Clemens war stur, heiß und felsenfest davon überzeugt, mal ein ganz Geiler zu werden.

1982 bekam er zu Weihnachten sein erstes Schlagzeug, ein Pearl Export in Silber-Metallic, geschenkt. Er gründete mit seinen Klassenkameraden der Waldorfschule Dortmund, Phillip und Christof, seine erste Band: The Scott Frees. Sie coverten Beatles-Songs und revolutionierten die musikalische Beschallung auf Waldorfschulveranstaltungen. Rockmusik war bis dahin nämlich absolut verpönt bei dieser Schulform und so kam es, dass Clemens seinen allerersten Auftritt an einem Rosenmontag im Eurythmie-Raum vor seiner eigenen Klasse absolvierte. Im Eurythmie-Raum. Alter!

Einen ersten Anlauf als Sänger unternahm er im Alter von 14 Jahren.

Er verdiente sich über Wochen Geld mit Rasenmähen und Blätterharken im Garten seiner Eltern, bis er endlich die astronomische Summe von 200 D-Mark sein Eigen nannte. Dann schnappte er sich drei selbst geschriebene Texte zum Thema „Wo zur Hölle sind die Mädchen“ und besuchte einen schmierigen Studiobesitzer in der Nähe von Dortmund. Clemens hatte zwar keinen blassen Schimmer vom Musizieren, aber er konnte sehr gut summen. Und das tat er dann auch. Der Studiotyp programmierte einen günstigen Beat, legte eine Keyboardspur darüber und verzierte das Ganze mit Gitarre und Bass.

Fertig war Clemens wirklich allererste Studioaufnahme unter dem Künstlernamen Keeran. Auflage: 5 Kassetten. Nach drei Wochen löste er sich selbst wieder auf. Zu geringe Nachfrage.

Es folgten weitere Einsätze als Perkussionist und Schlagzeuger in so ulkigen Bands wie Exhibition Now, Ich sehe einen Mann auf einem Stuhl und der Stuhl beißt ihm ins Bein, Rakumin und The Heidi Tripp Band.

Im Alter von 29 Jahren wurde es ihm endgültig zu eng in Dortmund.

Die Welt schrie seinen Namen und er wollte sie nicht länger zappeln lassen.

Am ersten Juni 2000 betraten Clemens und sein Dortmunder Kumpel Totte, mit Kartons beladen, das erste Mal seine neue Wohnung in Hamburg. Vierzehn qm für 600 Mark warm. In Dortmund hätte er für dasselbe Geld eine ganze Wohnung anmieten können. Es waren viele Kartons im Gegensatz zu seinem Auszug aus dem Elternhaus 1989.

Damals bestand sein Gepäck aus zwei Koffern, in die Klamotten, Geschirr und seine drei Lieblingspornos passten. Dazu kamen zwei Aldi-Tüten mit Kassetten, ein Karton mit Schallplatten und seine Kompaktanlage. Ready to rumble.

Jetzt war der Moment gekommen, in dem Clemens hoffentlich mal seine künftigen Mitbewohner kennenlernen würde. Einen Monat vorher hatte er, ohne zu wissen, wer noch in der WG lebte, den Vertrag unterschrieben.

Kaum betraten sie den Flur, da öffnete sich auch schon die Tür eines Mitbewohners: „Moin, bist du der Neue?“, fragte ihn ein schlaksiger, hochgewachsener Typ, Marke Student. Verwaschenes T-Shirt, zottelige Frisur und mit starken Ringen unter den Augen. „Hi, ich bin Clemens und habe das freie Zimmer bei euch angemietet“, antwortete er.

„Na dann herzlich willkommen. Warte, ich ziehe mir nur kurz Schuhe an und helfe euch dann beim Hochtragen.“ Der Typ schien ja schwer in Ordnung zu sein, dachte sich Clemens. Er war gespannt, was die dritte Person für ein Kandidat sein würde. Nach einer dreiviertel Stunde hatten sie alles in seinem Zimmer verstaut und setzten sich gemeinsam in die Küche. Zur Begrüßung bekam Clemens seine erste Flasche Astra und Totte einen Kaffee, da er noch nachts zurückfahren wollte. Clemens‘ Mitbewohner hieß Conny, war Anfang dreißig und studierte Bild und Ton an irgendeiner Hochschule. Ursprünglich kam er aus Süddeutschland. „Was hat dich denn hierher verschlagen, Clemens? Ich meine, außer dass Hamburg eine saugeile Stadt ist?“

„Ich brauche mehr Rock ‘n’ Roll. Wenn ich mich hier gut eingelebt habe, werde ich mir eine Band suchen, mit der ich hoffentlich mal richtig angreifen kann“, erwiderte Clemens. Conny musste lachen und stieß mit ihm an. Nachdem Totte seinen Kaffee ausgetrunken hatte, verabschiedete er sich und sie sollten ganze zwanzig Jahre brauchen, um sich wiederzusehen. Kaum waren sie allein, lud Conny Clemens in sein Zimmer ein und drehte einen Joint. Sie waren wirklich auf einer Wellenlänge. Jetzt erfuhr Clemens endlich etwas über die dritte, ominöse Person in diesem Haushalt.

„Also pass auf, in dem Zimmer am Ende des Flurs wohnt Werner. Der kommt aber nur zum Kacken und zum Kaffeekochen raus. Sonst bekommt man ihn den ganzen Tag nicht zu Gesicht. Der kocht und lebt ausschließlich in seinem Zimmer und hört den ganzen Tag nur Country. Ist ein schräger Typ, spricht nicht und sieht auch irgendwie merkwürdig aus.“ Alles klar, das waren jetzt die Infos zu Nummer drei. Ein halbes Jahr später schrieb Clemens mal einen Text über seinen Mitbewohner mit dem Titel „Evil Eddy“. Sie saßen noch bis vier Uhr morgens zusammen, rauchten, tranken und erzählten sich von ihren Plänen, die jeder für sich so auf dem Zettel hatte.

Als Clemens am nächsten Morgen aufwachte, konnte er es noch gar nicht richtig fassen. Er lebte jetzt tatsächlich in Hamburg! Und das tollste daran war, dass er genügend Erspartes mitgenommen hatte, um die erste Zeit nicht arbeiten gehen zu müssen. Alles, was er hatte, waren: Zeit, Geld und Durst!

Die Junisonne schien durch sein Fenster und Clemens beschloss, in die Küche zu gehen und sich erst einmal einen Kaffee zu kochen. Es war das erste Mal, dass Clemens in einer WG wohnte. Das hier schien eine sogenannte Zweck-WG zu sein. Es fiel ihm auf, dass Flur, Küche und Bad keinerlei persönliche Note von ihren Bewohnern verliehen bekommen hatten. Die Einrichtung der Küche war auf das Notwendigste reduziert. Es gab eine kleine Küchenzeile mit Herd und Spülbecken, einen Kühlschrank und einen Tisch mit drei Stühlen. Clemens suchte sich aus dem Hängeschrank über dem Herd einen halbwegs sauberen Kaffeebecher heraus. Auf dem Kühlschrank fand er Kaffee und Filter und auch die Milch im Kühlschrank war noch nicht sauer. Während der Kaffee durchlief, drehte Clemens sich die erste Kippe des Tages. Vor dem geöffneten Küchenfenster bewegte sich ein Baum leicht im Wind und in der Ferne hörte er einen Hippie auf seinen Bongos üben. Es war erst halb zehn Uhr morgens und Clemens konnte den Sommer regelrecht riechen. Es roch nach Aufbruch, Freiheit und Abenteuer. Noch vor 24 Stunden hatte er an seinem Tisch in einer Dortmunder 30 qm-Wohnung gesessen und dem Straßenverkehr vor seinem Küchenfenster gelauscht. Jetzt zwitscherten Vögel um die Wette und schienen ihm zuzurufen: Ja Alter, du hast es geschafft, du bist jetzt tatsächlich in Hamburg! Komm raus, spielen. Wir warten auf dich, um dir dein neues Zuhause zu zeigen. Plötzlich hörte er das Quietschen einer Tür. Das musste Werner sein, denn Conny hatte bereits früh das Haus verlassen. Clemens drehte sich auf seinem Stuhl in Richtung der Tür, bereit sich als neuer Mitbewohner vorzustellen. Und da stand er auf einmal: ein menschliches Wrack, Mitte Fünfzig mit zotteligen Haaren und ordentlich Chips-Krümeln auf seiner Jogging-Peitsche.

„Hallo, ich bin Clemens. Ich….“. Weiter kam er nicht. Werner hatte ihn mit dem Arsch nicht angeguckt, sondern stur seinen Weg in Richtung Nasszelle fortgesetzt. Was für ein Psycho, dachte sich Clemens. Er zündete seine Zigarette an und dachte nach. Nach fünf Minuten ging die Klospülung und Werner schlich genauso wortlos an der Küche vorbei in sein Zimmer zurück, wie er gekommen war. Wer weiß wie viele Menschen vor Clemens schon in dieser WG gewohnt hatten? Vielleicht hatte Werner einfach keinen Bock mehr, immer wieder neue Leute begrüßen zu müssen. Er ertrug den ständigen Wechsel einfach und lebte in seiner kleinen angebrannten 12 qm-Country-Welt. Kurz darauf ertönte Johnny Cash aus seinem Zimmer und durch den Türschlitz kroch eine Wolke aus Speck und Eiern, die in kürzester Zeit die gesamte Wohnung einnahm. Alles in allem gar nicht so übel, dachte sich Clemens. Aber einen kleinen Schnack hätte er gut gefunden. Es wurde Zeit, sein neues Zimmer gemütlich einzurichten: Matratze auf den Boden, Poster an die Wand, Anlage aufbauen, Kiste Bier kaufen. Fertig. Dann zog er seine Lederjacke an und verließ das Haus.

Es folgten lange, planlose Spaziergänge und ein gelegentliches Bier in einer Kneipe. Er stöberte in Plattenläden, die es scheinbar alle 100 Meter gab und es fiel ihm auf, dass die Häuserwände über und über mit Konzertplakaten gepflastert und sämtliche Laternenpfähle mit Band-Stickern tapeziert waren.

Er hatte das Gefühl, nie mehr Langeweile verspüren zu müssen. Er beschloss, sobald er seine Band gefunden hatte, die Wände mit ihren Plakaten ebenfalls zuzukleistern und keinen Laternenpfahl auszulassen.

Zweites Kapitel

Seinen ersten Kontakt zu Hamburg hatte Clemens bereits im Alter von zwölf Jahren. 1982 packte er an einem Dienstagabend spontan seine Sachen, setzte sich mit einem geklauten 50-Mark Schein seiner Mutter in den Zug von Dortmund nach Hamburg und schwor sich, nie wieder zurückzukommen.

Nach einer vierstündigen Zugfahrt stand er damals plötzlich um ein Uhr nachts in einer fremden Stadt vor einer Jugendherberge bei den Landungsbrücken und bat um Einlass. Kein Problem für Hamburg, als er nachweisen konnte, dass er Geld für die nächsten drei Nächte dabeihatte. Aus heutiger Sicht pädagogisch vielleicht schon etwas bedenklich. Sein erstes Frühstück am nächsten Morgen bestand aus zwei Cheeseburgern, die er sich mit einem Bettler teilte, weil es ihm anständig erschien und er Kontakt zum Tor der Welt suchte. Danach verbrachte er den Tag damit, in die Elbe zu spucken, selbstgedrehte Kippen zu rauchen und sein Leben zu verfluchen. Familie inklusive. Zuhause war anstrengend.

Was Clemens damals nicht ahnen konnte, war die Tatsache, dass genau jetzt in Hamburg der ganz große Punk abging! Volle Pulle Revolution in der Hafenstraße. Rückblickend hätte aus Klein-Clemens ein ganz fantastischer Steineschmeißer werden können, aber irgendwie führten seine Wege ihn nicht dorthin. Stattdessen verbrachte er die Zeit mit Rumgammeln, Schlafen, Schiffe gucken und einfach mal Urlaub machen von dem ganzen Stress zuhause.

Am dritten Tag war das Geld aufgebraucht. Er beschloss seinen besorgten Eltern wenigstens mal ein Lebenszeichen zu senden. Die 30 geklauten Pfennige mussten einfach drin sein, um die Eltern von einer Vermisstenanzeige abzuhalten. Nach wenigen Momenten ging seine Mutter ans Telefon: „von Hurtig?“ Clemens schluckte kurz, zog an seiner Fluppe und antwortete: „Hallo Mama, wie geht`s?“ Plötzlich war alle Coolness verflogen, denn er spürte wie erleichtert seine Mutter auf dieses erste Lebenszeichen ihres Sohnes reagierte. Plötzlich fühlte er sich sehr einsam.

„Wo bist du, was ist passiert, Clemens?“, fragte sie ihn besorgt. Aber genau das sollte zumindest jetzt noch sein großes Geheimnis bleiben. „Hey Mutter, ich musste mal raus, weg vom Stress, verstehst du?“ Mit zwölf. Stress.

Nein, seine Mutter verstand überhaupt nichts. Mit zwölf hat man gefälligst noch keinen Stress. Mit zwölf hat man Pickel und duscht länger aus Gründen. Clemens hatte Hunger, keine Kohle und ganz viel Heimweh irgendwie.

Am Abend des dritten Tages kam er wieder in Schwerte an, fuhr mit dem Bus die paar Stationen nach Dortmund-Holzen, schlich sich hoch in sein Zimmer und legte sich ins Bett. Da betrat auf einmal sein Vater das Zimmer, in der Hand eine Zugfahrkarte. Er setzte sich zu Clemens aufs Bett und fragte: „Sag mal Junge, du bist doch nicht wirklich in Hamburg gewesen?“ Clemens zuckte nur die Schultern. Irgendwie waren auch alle müde vom ständigen Streiten und jetzt zumindest froh, wieder komplett zu sein. Clemens ahnte damals noch nicht, dass dies nicht sein letzter Trip in die Hansestadt gewesen sein sollte.

Clemens fing in dieser Stadt komplett bei null an. Tabula rasa. Er kannte keine Menschenseele außer seinem Mitbewohner und niemand kannte ihn. Doch das sollte sich sehr bald ins komplette Gegenteil wandeln. Mehr als ihm lieb war. Was anderen Menschen Angst machen könnte, war für ihn die totale Befreiung. Er fühlte sich superstark und unverbraucht und in der Lage alles zu schaffen, was er sich wünschte. Er ahnte nicht, wie schnell sich alles entwickeln würde.

Eines der ersten Konzerte die Clemens in Hamburg besuchte, war eines der Queens of the Stone Age im Logo. Das Konzert war restlos ausverkauft und Clemens am Boden zerstört. Nachdem er sich genug Mut angetrunken hatte, klopfte er am Tourbus, der direkt vor dem Laden parkte. Erst passierte nichts.

Aufgeben war nicht, nochmal klopfen. Ein klitzekleines bisschen energischer. Plötzlich öffnete sich mit einem Zischen die hintere Tür des Night-Liners und ein unverschämt high aussehender Josh Hommes steckte seinen Kopf heraus: „What‘s up man?“ Clemens musste schlucken. Der Superstar persönlich. Okay, jetzt oder nie. „Moin Josh, I'm sorry that I'm bothering you, but the concert is sold out” fing er an zu stottern. “Yes, cool, isn't it” war seine Antwort. Clemens lächelte gequält. Nein, er fand das überhaupt nicht cool. Er wollte da unbedingt rein und schlug ihm einen Deal vor: „I have great weed for you here, will you let me in for it?” Inzwischen waren weitere Fans auf die ungewöhnliche Situation aufmerksam geworden und gesellten sich zu Clemens. “Keep your weed and get me a note and a pen” antwortete die coolste Sau der Stunde im Rock Olymp. Clemens verstand und flitzte in Richtung Kasse, um Stift und einen Bierdeckel zu besorgen. Als er Josh alles in die Hand drückte, fragte dieser ihn: “What‘s your name?” Wie cool war das denn gerade alles? Er unterhielt sich echt mit Josh Hommes? Zu dieser Zeit war Clemens noch absoluter Stoner-Rock-Fan und Josh so etwas wie der Messias. “Hi, I am Clemens.” Josh fing an etwas auf den Bierdeckel zu kritzeln: Clemens + 5, und reichte ihn an Clemens zurück. “Hand it in at the entry and try your luck.” Clemens war sich sicher, dass sie ihn an der Kasse auslachen würden. Josh bemerkte seine Unsicherheit, stieg aus und brachte Clemens mit seinen fünf neuen Bekannten persönlich zur Kasse! Eine Viertelstunde später erlebten sie ein bestialisch lautes und sehr langes Konzert. Was für eine Nacht. Drei Monate später trat dieselbe Band nur noch in Stadien auf.

Eines Abends nahm sein Mitbewohner Conny ihn mit zu Freunden auf die Reeperbahn. Im vierten Stock lebten Andy, Erec und Kai. Andy war drei Jahre älter als Clemens, von Beruf Krankenpfleger, immer etwas depressiv und ein leidenschaftlicher Trinker und Kiffer. Kai, ebenfalls Krankenpfleger, war eher der stille Typ, aber zuverlässig und pünktlich, wenn es kühles Bier gab. Clemens nannte ihn insgeheim auch gerne 4-Finger-Kai, da seine Mutter in den siebziger Jahren die falschen Medikamente bekommen hatte und er nun darunter zu leiden hatte. 4-Finger-Kai klang für Clemens nach einem coolen Western-Helden oder einer schrägen Figur eines Tarantino-Films. Erec machte eine ähnliche Ausbildung wie Conny im Bereich Bild und Ton. Er hätte aber genauso gut Berufs-Wikinger werden können. Lange Haare, durchtrainiert, strahlendes Lachen. Solange er unter zwei Promille blieb, war er ein feiner Kerl, aber wenn es darüber hinaus ging, verschwand er in die Nacht, sprang über Autodächer auf dem Kiez und übernachtete nicht selten in der Davidwache. Clemens war hier goldrichtig! Die drei wohnten in einer 3-Zimmer-Wohnung mit einer großen Wohnküche, in die sie sich natürlich einen schönen Tresen gebaut hatten. Da Andy von Spiel- auf Vinyl-Sucht umgesattelt hatte, verfügte er über die unfassbare Anzahl von 4000 Schallplatten. Egal was man hören wollte, er hatte es. Dazu schossen sie mit einem Luftgewehr vom Tresen aus auf leere Bierdosen an der gegenüberliegenden Wand. Es war eine klassische Junggesellen-WG, in der eher an die Beschaffung von Bier als an Sauberkeit gedacht wurde. Das hatte zur Folge, dass sich auch eine Großfamilie von Schaben in ihren vier Wänden einquartiert hatte. Sie trugen auch dazu bei, dass man bald nur noch von der „Schaben-WG“ sprach. Clemens war seinem Mitbewohner unendlich dankbar, dass er ihm diese Jungs vorgestellt hatte.

In den folgenden vier Jahren sollte er hier unvergessliche Momente erleben. Unter anderem erfuhr er von der Schaben-WG, wo er in Zukunft Gras und Schallplatten kaufen konnte. Die Basics eben. Die letzten zehn Jahre war er sein eigener Dealer gewesen, das war jetzt vorbei. Vorerst. In der Sternschanze, gegenüber der Roten Flora, gab es das Café Fun, ein kleines Billard-Café.

Man kaufte sich eine Alibi-Cola, setzte sich an einen Tisch und wartete. Entweder wurde man angesprochen oder ein junger Mann steckte seinen Kopf durch den Spalt der Kellertür und zwinkerte einem zu. Das war das Zeichen, zu ihm zu kommen und seine Bestellung aufzugeben. Startpreis waren 50 Mark. Das Gras war bombastisch. Seinen ersten Besuch im Café Fun hatte Clemens nie vergessen, weil sein nächster Weg ihn zu Burn Out Records führte, dem Laden für Punkrock und Hardcore auf Vinyl in Hamburg. Dort kaufte er sich das Album Apocalypse Dudes der norwegischen Band Turbonegro. Eine Empfehlung von Andy. Anfang der 2000er war das der heißeste Scheiß in Sachen Punk ‘n‘ Roll. Danach schlenderte Clemens in den nächsten Headshop und kaufte sich einen wunderschönen Eis-Bong aus Glas und eine Tüte voll Bier. Zuhause angekommen, füllte er den Bong mit Eis und Gras, öffnete ein Bier und nahm einen kräftigen Zug von seinem neuen Rauchgerät. Um Punkt zwölf Uhr mittags legte er die Nadel auf die Platte. Was er dann zu hören bekam, sollte der Soundtrack zu seinem neuen Leben werden! Die folgenden zwölf Songs hörte er in voller Lautstärke ohne Rücksicht auf die Nachbarschaft. Die Band zog ihm regelrecht die Falten aus dem Sack! „So läuft das hier ab heute, Werner“, grölte Clemens in Richtung seines WG-Nachbarn. Eine grandiose Platte! Ab sofort war er dem skandinavischen Punkrock komplett verfallen. Glucifer, Hellacopters, Backyard Babies und The Bones. Das war jetzt seine Musik, da sollte die Reise auch für ihn persönlich mit der nächsten Band hingehen.

Vor seinem Umzug nach Hamburg hatte er bereits Erfahrung als Sänger in Bands wie Brent Spar, Chroma Dip und Porter gesammelt. Das galt es jetzt zu optimieren. Ein paar Schippen obendrauf. Keine Gefangenen, einparken oder Gas geben? Barfuß oder Lackschuh? So wollte er an die Sache rangehen.

Bei seinen Streifzügen durch das abendliche Ottensen landete er auch irgendwann in einem Laden namens Subotnik. Es war ein Donnerstag und das Publikum fast ausnahmslos afrikanischer Herkunft. Aus den Boxen dröhnte nonstop Reggae, Dance Hall und Dub. Kiffen schien hier Pflicht zu sein. Clemens, das olle Weißbrot, war vor Glück schon wieder fast den Tränen nah. Das würde ihm in der alten Heimat niemand glauben. Wie er im Laufe des Abends feststellte, sollte er hier auch den besten White Russian bekommen, der jemals auf Erden zubereitet wurde. Nach drei Gläsern und diversen Joints war er jedes Mal in einer exzellenten Stimmung, um sich hemmungslos in den Strom der Reeperbahn zu stürzen und sich bis in die Morgenstunden treiben zu lassen.

St. Pauli wird von der Reeperbahn in zwei Hälften geteilt. Die erste Zeit arbeitete er sich ausschließlich durch die Bars, die, wenn man von Altona kam, auf der linken Seite liegen. Da gab es außer dem Rehkitz den Clochard, das Lunacy, den blauen Peter, Karins Eck, die Astra Stube, den Goldenen Handschuh, den Elbschlosskeller, die Seiler-Hütte,die Max Bar und das Nevada.

Wobei das Nevada eine vom Aussterben bedrohte Strip-Bar war, wo man es noch gegen einen Aufpreis hinter der Bühne mit der Tänzerin treiben konnte. Toll.

Im September feierte Clemens seinen 30. Geburtstag gemeinsam mit Conny und einer Flasche Whiskey unten im Waschsalon bei einer Runde Buntwäsche. Conny nutzte die Gelegenheit, um mit seiner Kamera zu üben, und filmte das Spektakel. Diese VHS-Kassette ist bis heute in Clemens‘ Besitz.

Clemens hatte noch immer keine richtige Lust, arbeiten zu gehen, merkte aber, dass der eigentliche Grund seines Umzugs, die ultimative Band zu gründen, wieder kräftig juckte. Außerdem ging ihm das ganze „Bingo-Bongo-Hippie-Gehampel“ in Altona-Ottensen immer mehr auf die Nerven. Dafür hatte er nicht seine Heimat verlassen! Er wollte die volle Packung Rock ‘n’ Roll, mit allem was dazu gehörte. Wo bekommt man das? Natürlich auf St. Pauli. Jetzt hieß es eine Zeitung kaufen und eine Butze auf der geilen Meile mieten. Im Januar 2001 bezog er dann ein 1-Zimmer-Apartment mit Kochnische und Bad in der Reeperbahn 127, Ecke Silbersackstraße, direkt über Crazy Jeans und mit dem S-Bahn-Eingang direkt vor der Tür. 25 Quadratmeter Punkrock. Mehr ging nicht. Zumindest nicht für die nächsten vier Jahre. Seinen Lebensunterhalt hatte er bisher mit Arbeitslosengeld und seinem Ersparten bestritten, aber seine Tischlerlehre sollte auch nicht ganz umsonst gewesen sein. Immerhin hatte er sich nach 26 Jahren Lotterleben 1996 tatsächlich dazu durchgerungen, diesen Beruf zu erlernen. Bis zu jenem Zeitpunkt hatte er immer diese Art von Scheißjob angenommen, die man so annimmt, wenn man überzeugt davon ist, übermorgen auf Tour zu sein: Lagerarbeiter, Kesselreiniger, Fast-Food-Kellner, Kurierfahrer, Bauhelfer, Tellerwäscher bei der britischen Armee, Verzinkerei-Helfer, Luftschiffer und Fotolaborant in Nachtschicht. Nur den Callboy und Leichenwäscher ließ er aus.

Oft wurde Clemens für seinen Wunsch, Berufsmusiker zu werden, belächelt. Die Menschen dachten immer, er würde sich Champagner schlürfend, vollgekokst und steinreich in einer Limousine von Gig zu Gig fahren sehen. Kein so schlechtes Bild, aber er hatte da eine sehr realistische Vorstellung von diesem Leben. Mehr so die normale Variante: vier bis fünf stinkende Typen in einem T4 auf der rechten Spur der Autobahn. Stundenlang unterwegs, um abends vom Veranstalter fünf Biermarken, Spritgeld, einen Teller Suppe und einen Penn-Platz hinter der Bühne zu bekommen. Und das alles für 45 Minuten Fame in einem Laden, den aus welchem Grund auch immer, im schlechtesten Fall nur zehn Leute besuchen würden. Scheiße ja, das ist Rock ’n‘ Roll! Alles andere wäre Bonus gewesen. Nix da mit Nutten ficken und Hotelzimmer zerkloppen.

Ab sofort bewarb er sich bei verschiedenen Hamburger Theatern. Er sah sich eigentlich nicht als klassischer Tischler, sondern wollte seine handwerklichen Fähigkeiten gerne in einem kreativen Umfeld einbringen. Den Zuschlag bekam er zwei Monate später von der Hamburgischen Staatsoper. Clemens war jetzt Kulissenschieber, nicht Kulissenbauer. Aber das war in Ordnung für ihn.

Nach wie vor galt für ihn das Prinzip: alles egal, Hauptsache Geld, in ein paar Monaten geht’s mit der Band los. Da ist ein festes Arbeitsverhältnis eher hinderlich. Die Arbeitszeiten in der Oper teilten sich in Früh- und Spätschicht auf. Die „Herren der Technik“, wie er und seine Kollegen respektvoll genannt wurden, waren bei allen Proben der Ballett- und Opernvorstellungen zugegen, um die nötigen Umbauarbeiten durchzuführen, sobald sich der Vorhang schloss. Nach ein paar Monaten kannte Clemens alle Opern, die Rang und Namen hatten: La Traviata, Die Zauberflöte, Carmen und Aida. Die Balletttänzer fielen alle, Männlein wie Weiblein, durch ihre durchtrainierten Körper auf. Bei den Damen hatte das ausnahmslos zur Folge, dass ihre Brüste verschwanden. Bei den männlichen Tänzern nahm Clemens an, dass sie besonders zu Schulzeiten kein leichtes Leben hatten. Hätte er sich für Ballett anstatt für Rockmusik entschieden, hätte ein solches Schulhof-Gespräch folgendermaßen klingen können: „Los Clemens, ab zum Training. Am Samstag klatschen wir den FC Sausack mal richtig vom Platz!“ Er hätte dann wohl antworten müssen: „Nee, ich kann heute nicht. Ich muss noch an meinen Pirouettes en dehors arbeiten und mein Cambré sitzt auch noch nicht so richtig.“ Das roch nach Schlägen, da war sich Clemens sicher.

Das Beste an seinem ersten Job in Hamburg war aber: Sie soffen wie die Löcher! Kaum war ein Umbau erledigt, egal ob bei der Probe oder der Vorstellung, ging es ruckzuck runter in die Kantine direkt unter Bühne. Dort gab es neben verschiedenen Gerichten auch Bier, Wein und Sekt. Hier trafen sie sich alle: die Primaballerina mit Korn in der Hand neben der ersten Geige, offensichtlich schwer bekifft, zusammen mit dem Dirigenten, der frisch gepudert aus der Herrentoilette gestolpert kam. Naja, und eben die Herren der Technik. Ein wirklich trinkfester Haufen, der jede Maurerkolonne unter den Tisch hätte saufen können. Clemens hatte ja bereits die wildesten Jobs gehabt und häufig wurde dort auch getrunken, aber die Kulissenschieber… die waren anders. Ärgerlich wurde es immer nur, wenn man gerade ein neues Bier geöffnet hatte und durch den Lautsprecher der Kantine eine kreischende Stimme keifte: „Die Herren der Technik bitte zur Bühne.“ Dann war der Spaß vorbei. Dann musste man abliefern. Nicht selten kam es vor, dass Kollegen beim Umbau aus 1,50 Meter Höhe von der Kulisse fielen. Die musste man dann schnell hinter den Vorhang ziehen, damit der Theatermeister davon nichts mitbekam.

Es lief wirklich gut für Clemens. Bude auf dem Kiez, Job im Theater. Es wurde allerhöchste Zeit, in eine Band einzusteigen! Und eine Freundin könnte auch nicht schaden. Clemens hatte sich mal wieder die aktuelle Rockstar Motherfucker und fünf Halbe am Kiosk seines Vertrauens gekauft, als er eine Anzeige las, die ihn neugierig machte: Band, 2 x Gitarre, Bass und Schlagzeug sucht brauchbaren Sänger für auf-die-Fresse-Rock-Zeug. Clemens griff zum Hörer: „Hi, ich habe eure Anzeige in der R.M. gelesen. Sucht ihr noch jemanden oder hat sich das erledigt?“ Kurze Pause. Dann antwortete eine Stimme, die Hoffnung machte: „Hi, ich bin Leif, der Schlagzeuger. Klar, suchen wir noch, sind ja nur Idioten unterwegs.“ Clemens musste grinsen. „Okay, klingt echt interessant. Ich schreibe englische Texte und Covern finde ich scheiße. Wollen wir uns mal treffen?“ Sie wollten. Die Jungs probten in einem der vielen Bunker in Hamburg und sie nannten sich Psycho Fuckers. Saucooler Name, das musste Clemens ihnen schon mal lassen. Ist die halbe Miete. Scheiß Name, scheiß Band. Keine Diskussion. Musikalisch ging es auch diesmal wieder in Richtung Stoner, Punkrock und Rock ‘n’ Roll mit psychedelischen Einschlägen. Alles ganz geil, aber es zuckte bei Clemens nicht da, wo es eben zucken sollte. Auch wenn sie musikalisch nicht zusammenkamen, blieben sie in Kontakt und liefen sich immer mal wieder im Hamburger Nachtleben über den Weg. Es folgten noch ein paar Termine zum Vorsingen bei verschiedenen Bands und dann war es endlich soweit.

Im Sommer 2001 hatte er über die Plattform Bandnet Kontakt zu vier Jungs aufgenommen, die ihn spontan zu einer Probe einluden. Von Punkrock waren sie weit entfernt, aber es rockte zumindest und Clemens hielt es ohne Band einfach nicht mehr aus. Sie mochten sich, irgendwo zuckte was. Sie gründeten gemeinsam die Band Don Elliot. Es war die klassische Besetzung mit zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug und Gesang. Clemens stellte gleich klar, dass er gerne das Organisatorische in die Hand nehmen wolle, damit mehr als nur eine Feierabend-Band daraus wird. Bis zu diesem Zeitpunkt war er ein richtiger Handy-Verweigerer gewesen, weil er Bedenken wegen der elektronischen Überwachung hatte. Das war vorbei. „Hey Clemens, wenn du hier das Booking übernehmen willst, hör auf mit dem Hippiescheiß und leg dir ein mobiles Telefon zu“, klärte ihn Karsten, der Lead-Gitarrist, auf. Ein paar Tage später sprach Clemens zum ersten Mal mit einem Knochen. Sein Name war Nokia.

Er schiss auf Understatement, er machte gerne Fässer auf!

Drittes Kapitel

Abgesehen von seinen Kinderzimmer-Proben auf Waschmitteltonnen ging es Mitte der Achtziger so langsam los für ihn. Für eine Schulveranstaltung 1986 wurde damals noch ein Schlagzeuger gesucht. Da besann sich Clemens auf das, was er musikalisch einigermaßen beherrschte, und meldete sich zum Dienst. Warum er aber dann an besagtem Abend in Frauenkleidern hinterm Schlagzeug saß, ist ihm bis heute schleierhaft. Wahrscheinlich brauchte der Bengel einfach immer den ganz großen Auftritt. Kurt Cobain fand das auch mal lustig. Wie sich herausstellen sollte, war vielleicht genau dieser schräge Auftritt der Grund, der einen gewissen Fahni dazu veranlasste, sich nach dem Konzert des blassen Bürschchens anzunehmen. Sie kamen klar, auf Anhieb. Manchmal ist das eben so. Auch eine gewisse äußerliche Ähnlichkeit wurde ihnen später mal nachgesagt und führte schon mal zu Verwirrung. Drei Dinge lernte Clemens sehr schnell von Fahni Spritter, wie er allgemein in Dortmund genannt wurde: Kiffen, Bier trinken & Rocken!

Ersteres wurde zusammen mit Fahnis Freund Marc zu dritt in einem Dortmunder Gebüsch erledigt. „Hey Clemens, nimm dein Bier mit, ich will dir mal was zeigen“, flüsterte Fahni Clemens ins Ohr. Sie waren auf einer Party eingeladen, die überwiegend von Frauen besucht wurde. Hatte Fahni eingestielt, war klar. Immer einen Schlag bei den Frauen, der Junge. Was Clemens jetzt kennenlernte, hat in der großen, weiten Welt die unterschiedlichsten Bezeichnungen: Gras, Marihuana, Pott, Shit, Weed, Mary Jane, holländische Minze, jamaikanische Wolle, Knaster, Mario Hahner, Mische, Perzel, harzen, barzen, einen gasen, buffen, den Busch räuchern, Dope, einen reindübeln, Grünes grillen, Egostoff, flotte Karotte, Hascholette, Sportzigarette, Hirndünger, Jolly rauchen, knistern, Lungenpeitsche, Material, Piece, quarzen.

Drauf geschissen: Die Show war eröffnet! Zurück aus dem Busch auf die Party, war ab sofort Fahni der Böse. Er hatte den bis dahin noch sehr schüchternen Clemens in Minutenschnelle in ein plapperndes Etwas verwandelt. Clemens war kaum noch zu bremsen. An diesem Abend wurde ein neues, prägendes Kapitel im Leben des Clemens von Hurtig aufgeschlagen und vorerst nicht mehr geschlossen. Die damit einhergehende Bocklosigkeit im Allgemeinen entging Clemens Mutter selbstverständlich nicht. So kam es, dass sie ihm im Herbst 1987 zum wiederholten Mal die für sie typische Frage stellte: