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Herzzereißend und fessenld – das Finale der Götterleuchten-Serie »Das Kind der Sonne und der neue Gott werden ein neues Zeitalter hervorbringen, und die großen Schöpfer werden einer nach dem anderen fallen.« Josie folgt ihrer Bestimmung: die Titanen in ihre Grabkammern zu verbannen. Gestärkt durch die Liebe zu Seth, der zum Gott des Lebens und des Todes aufgestiegen ist, bereitet sich Josie auf die epische Schlacht vor. Doch neben den Titanen lauert eine weitere tödliche Bedrohung auf Josie und ihre Mitstreiter. Denn nur wenn das größte aller Opfer erbracht wird, können sie den Krieg gewinnen und das Schicksal der Welt entscheiden … »Jennifer L. Armentrout ist einfach eine unglaublich talentierte Autorin; mein Herz schlägt immer noch wie wild.« Book Gossips
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Seitenzahl: 492
Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel The Prophecy
© 2018 by Jennifer L. Armentrout Ungekürzte Ausgabe im MIRA Taschenbuch © 2021 für die deutschsprachige Ausgabe by MIRA Taschenbuch in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg Covergestaltung von zero Werbeagentur, München Coverabbildung von Dmitriy Rybin, tomertu, Carlos Amarillo, janniwet / Shutterstock E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN E-Book 9783745752182
www.harpercollins.de
Für euch, liebe Leser und Leserinnen.
Wind umtoste mich und wehte mir die kurzen, dünnen Strähnen, die sich aus meinem Haarknoten gelöst hatten, über die Wangen.
Für spätabends Anfang Juni war die Luft immer noch kühl. Jedenfalls frischer, als ich es aus dem Süden von Missouri gewöhnt war, wo ich aufgewachsen war und wo es um diese Jahreszeit so heiß war wie im Hintern des Teufels. Aber ich hatte das Gefühl, dass es hier in den Bergen von South Dakota nie richtig heiß wurde.
Ich holte tief Luft und konzentrierte mich auf einen großen grauen Felsbrocken, der wahrscheinlich schon seit Anbeginn der Zeit hier lag. Ich nahm den Arm hoch, zapfte den Äther an, der nun wieder reichlich durch meine Adern floss, nachdem meine Kräfte nicht mehr von einem Paar nicht ganz normaler Armreifen blockiert waren.
Es fühlte sich gut an, diese Energie zurückzuhaben, vor allem, da ich gerade jetzt Lust hatte, etwas in die Luft zu jagen.
Im Moment war ich supersauer auf einen gewissen goldblonden Gott.
Statt diese Wut beiseitezuschieben, wie ich das normalerweise getan hätte, zapfte ich sie an und gebrauchte sie, um Akasha zu befeuern, das tödlichste Element, das Sterblichen und Unsterblichen bekannt war. Ich rief das Luftelement an; dabei hatte ich in der Vergangenheit immer versagt. Manchmal hatte ich nur etwas bewegen wollen und es stattdessen in Brand gesetzt.
Deswegen hielt Luke sich für gewöhnlich von mir fern, wenn ich mit den Elementen trainierte.
Ich stellte mir vor, wie der Felsbrocken sich in die Luft emporschwang, und hielt dieses Bild fest. Energie durchströmte mich. Erst passierte nichts, schließlich begann der Brocken zu zittern, als bebe die Erde. Einen winzigen Augenblick später hob sich der dicke Felsblock, es war, als ergriffe ihn eine riesige Hand und zöge daran. Der Geruch nach Erde erfüllte die Luft, als der Fels sich aus dem Boden löste und hochstieg.
Ich bewegte den Felsbrocken nach links und dann nach rechts. Der gewaltige Stein ließ sich hin- und herschieben, als wiege er nicht mehr als eine Feder.
Obwohl ich es fertigbrachte, war ich nicht perfekt. Ich musste dazu in der Lage sein, die Elemente sofort und ohne Verzögerung einzusetzen. Ich ließ den Felsbrocken herunter und zuckte zusammen, kaum dass er auf die Erde krachte und schief in seinem Loch lag.
Ich drehte mich um und musterte die uralten Statuen namenloser Götter, die aus dem hohen, feinen Gras emporragten. Halb rechnete ich damit, einen der vielen Wächter oder Gardisten den Hügel heraufkommen zu sehen, doch das Feld, auf dem ich trainierte, blieb leer.
Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und wandte mich erneut dem Felsbrocken zu. Ich ignorierte die Müdigkeit, die meinen Körper überfiel, und schüttelte meine Schultern und Arme aus. Am liebsten hätte ich ein Nickerchen gemacht.
Ich hatte in letzter Zeit sehr viel geschlafen.
Angeblich war das normal, vor allem am Anfang einer Schwangerschaft. Das wusste ich, weil ich es gegoogelt und viel recherchiert hatte. Okay, ich hatte viel gelesen. Ein Teil von mir wünschte, ich hätte das bleiben gelassen, denn ich hatte dabei alles Mögliche erfahren, was ich lieber nicht erfahren hätte.
Daraufhin war ich zu so etwas wie einer Schwarzseherin geworden.
Denn – heiliger Scheiß! – so viel konnte schiefgehen. So viel! Gar nicht mitgerechnet die albtraumhaften Geburtsberichte, mit deren Lektüre ich einen Nachmittag verbracht hatte.
Seitdem fühlte ich mich traumatisiert.
Aber es konnte auch einfach so viel passieren. Was, wenn diesem Baby etwas zustieß? Ich fand das keine abwegige Frage. Bei normalen Schwangerschaften lief ständig aus dem einen oder anderen Grund etwas schief. Zur Hölle, manche Frauen fanden nie heraus, warum sie ihr Baby verloren hatten. Manchmal geschah es eben, und es gab keinen offensichtlichen Grund dafür.
Und wie ich zu Seth gesagt hatte, waren wir nicht normal.
Er war ein Gott und ich eine Halbgöttin. Sein Leben war wahnsinnig gefährlich und meins nicht unbedingt sicherer. Eigentlich war mein Leben sogar verdammt viel gefährlicher als seins. Er war absolut, was hieß, dass nur ein anderes absolutes Wesen ihn töten konnte. Das war Furcht einflößend, doch es existierten nur zwei andere Lebewesen, die eine echte Gefahr für Seth darstellten.
Cronus.
Und Zeus.
Aber ich?
Mein Herz machte einen Satz in meiner Brust. So ziemlich jedes andere Lebewesen, das besser für den Kampf ausgebildet war und die Elemente geschickter einsetzte als ich, stellte eine Gefahr für mich und mein Kind dar. Zugegeben, als Halbgöttin war ich nicht ganz so leicht umzubringen.
Dennoch konnte man mich töten.
Und wenn ich in einem Kampf gegen die Titanen ernsthaft verletzt wurde? Was würde das für das Baby bedeuten? Dass das Kind in mir meine Gefangenschaft bei Hyperion überlebt hatte, bewies, dass das Kleine ein Kämpfer war. Daran bestand kein Zweifel, aber ich war angreifbar, weil ich … weil man mich verletzen konnte.
Schwach war ich allerdings nicht.
Deswegen war ich auch hier draußen, statt mich in meinem Bett zu verkriechen.
Erneut rief ich das Luftelement an, doch dieses Mal nahm ich nicht die Hand hoch.
Ein Moment verstrich, dann stieg der Fels in die Luft.
Gut. Das war gut.
Ich atmete durch die Nase aus, ließ den Brocken behutsam sinken und ließ ihn schließlich wieder schweben.
Das wiederholte ich, bis mein Wille sich sofort in Bewegung umsetzte; bis der Fels nicht mehr zitterte, bevor er sich hob.
Ich hörte nicht auf, bis ich es richtig machte, und nach ungefähr einem Dutzend Malen tat der Felsbrocken, was ich wollte, und erhob sich ohne Zögern.
Unwillkürlich lächelte ich, während ich den Felsbrocken betrachtete, der knapp einen Meter über dem Boden schwebte. Das Teil musste eine Tonne wiegen, aber ich hatte es nur mit der Kraft meines Geistes hochgehoben.
Wie cool war das denn?
Selbst nach allem, was ich durchgestanden hatte, und nach allem, was ich gesehen hatte, konnte ich manchmal immer noch nicht glauben, dass das alles real war.
Ich war eine Halbgöttin.
Ich liebte einen Gott.
Ich war schw…
Ein Zweig knackte und erschreckte mich. Der Felsbrocken krachte auf den Boden und schlug mit solcher Wucht ein, dass der kniehohe Eisenzaun, der das Feld im Hintergrund begrenzte, umfiel.
»Wow«, sagte eine tiefe, leicht melodiöse Stimme. »Du hast ihn fallen gelassen, als wäre er heiß.«
Das war er.
Er war wieder da.
Ich fuhr herum, und wie immer stockte mir der Atem. Ganz gleich, wie wütend ich auf Seth war, er brachte es dennoch fertig, dass mein Herz schneller klopfte. Er war … er war einfach wunderschön; so schön, dass es beinahe schmerzte.
Seine Gesichtszüge waren so perfekt, dass ich an manchen Tagen nicht glauben konnte, dass Seth real war. Diese kräftigen Wangenknochen und vollen Lippen wirkten wie aus Ton modelliert. Und die Linie seines Kiefers war wie aus feinstem Marmor gemeißelt und vollkommen, genau wie jeder Quadratzentimeter seines Körpers.
Und ich musste es schließlich wissen, da ich jeden Quadratzentimeter seines Körpers so gut kannte.
Als ich Seth zum ersten Mal in einem Treppenhaus an der Radford-Universität gesehen hatte – damals, als ich noch ein normales Leben führte und Götter für mich bloß altgriechische Mythen waren –, erinnerte er mich an einen gefallenen Engel. Einen gefallenen Engel, der Probleme mit der Privatsphäre anderer Leute hatte. Ich hatte bis dahin nie jemanden getroffen, der aussah wie er, doch Seth war kein Engel, gefallen oder nicht. Er war buchstäblich ein Gott.
Der Berufene Gott.
Der Gott des Todes und des Lebens.
War ja klar, dass er wie ein Gott aussah.
Und mir war absolut egal, wie heiß er in diesem Moment wirkte, weil ich stinksauer auf ihn war.
Er schien sich dessen gar nicht bewusst zu sein, denn er lächelte mir zu – dieses gewisse Lächeln, bei dem ich normalerweise Schmetterlinge im Bauch bekam.
»Habe ich dir schon mal erzählt, wie es mich anmacht, wenn du mit deinem Geist Gegenstände bewegst?« Er trat um ein paar kleinere, aufeinandergestapelte Felsbrocken herum. »Falls nicht, lass es dir jetzt gesagt sein. Es macht mich wirklich …«
»Nicht.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
Er zog die Augenbrauen zusammen, die einen Hauch dunkler waren als sein golden wirkendes Haar.
»Was soll ich nicht?«
»Komm nicht an und versuche, mir zu schmeicheln«, erklärte ich. »Ich bin wütend auf dich.«
Seth blieb kurz vor mir stehen. Verwirrung zeigte sich in seinen markanten Zügen. »Weswegen bist du mir böse?«
Ich starrte ihn einen Moment an, dann wurde mir klar, dass er wirklich keine Ahnung hatte, dass ich wusste, was er getan hatte. »Da ist etwas, worüber wir nicht geredet haben, Seth.«
Er hob eine Hand und schob sich das Haar hinters Ohr zurück. »Yeah, ich kriege so ein Gefühl, dass da etwas ist.«
»In den letzten Wochen, Monaten sogar, ist eine Menge passiert. Meine ganze Welt hat sich verändert. Und deine auch! Ich habe herausgefunden, dass Apollo mein verdammter Dad ist und dass ich mithelfen soll, ein paar irre Titanen wieder in ihre Grabkammern zu sperren. Wobei wir übrigens nach wie vor keinen Schimmer davon haben, wie wir das anstellen sollen. Außerdem noch all das, was meiner Mom und meinen Großeltern zugestoßen ist.« Meine Stimme brach, und ich schluckte schwer, da ich plötzlich einen Kloß in meinem Hals spürte. »Und dann noch diese Katastrophe mit Atlas und Solos, und du bist ein Gott geworden und ausgerastet.«
Seth zog die Mundwinkel nach unten.
»Schließlich hat Hyperion mich entführt, doch du hast mich gefunden, was natürlich toll ist und alles.« Ich zählte übersprudelnd die Highlights der letzten paar Monate auf. »Dann finden wir heraus, dass ich schwanger bin, und du bringst Hyperion um. Also ja, es ist eine Menge verrücktes Zeug geschehen, aber ich habe es dennoch nicht vergessen.«
»Was vergessen?«, fragte er.
Im letzten Sonnenlicht schienen seine bernsteinfarbenen Augen zu leuchten.
Meine Haut prickelte, ich war frustriert und trat einen Schritt auf ihn zu. »Wo bist du gewesen?«
»Habe ich dir doch gesagt.« Er neigte den Kopf zur Seite. »Ich bin nach Andros zurückgesprungen, um mich mit …«
»Um dich mit Basil zu besprechen«, unterbrach ich ihn. »Aber das ist nicht alles, stimmt’s?«
Seth öffnete den Mund, sagte jedoch nichts. Als ihm klar wurde, was ich meinte, riss er die Augen auf. Ein Moment verging.
»Josie …?«
»Ich habe es nicht vergessen«, erinnerte ich ihn, ließ die Arme sinken und holte kurz Luft. »Und ich weiß, dass du nicht nur nach Andros zurückgekehrt bist, weil du mit Basil reden wolltest. Keine Ahnung, ob du vergessen hast, dass ich dich mit ihr gesehen habe.«
»So ist das nicht.«
Mit einem Mal stand Seth dicht vor mir. Nur noch zwei, drei Zentimeter trennten uns.
»Als du mich mit Karina gesehen hast, da …«
»Da hast du deine Kräfte aufgeladen. Ich weiß.« Ich reckte das Kinn, um ihm in die Augen zu schauen, denn Seth war gut einen Kopf größer als ich. »Es war keine romantische Begegnung oder so was. Davon spreche ich nicht.«
Forschend sah er mich an. »Du weißt, dass ich das tun muss. Wenn dem nicht so wäre, würde ich darauf verzichten. Das schwöre ich dir.«
»Ich weiß«, sagte ich noch einmal, und das stimmte. Nachdem Seth zum Gott geworden war, hatte er endlich erfahren, wieso er immer gegen die Verlockung des Äthers angekämpft hatte. Äther war der Treibstoff für die Kräfte der Götter und machte sie unsterblich. Deswegen blieben die Olympier meist auf dem Olymp. Dort war überall Äther. Aber Seth? Er existierte in der Welt der Sterblichen. Er konnte nur an Äther gelangen, wenn er … wenn er sich genauso nährte wie die Titanen.
»Mir wäre auch lieber, es wäre nicht so bald nötig gewesen, doch nachdem ich gegen Hyperion und diese verdammten Daimonen gekämpft hatte, brauchte ich neue Energie.«
Seit Seth Hyperion getötet hatte, waren gerade mal zwei Tage verstrichen, aber in diesen beiden Tagen hatte er viel zu tun gehabt. Hyperions Tod hatte nicht nur einen Riss durch das Reich der Sterblichen erzeugt, durch den Daimonen aus dem Tartarus entkommen waren. Erst gestern hatte ein Beben Oklahoma erschüttert. Die Welt der Sterblichen ahnte nicht, dass es sich nicht um ein normales Erdbeben handelte. Wir wussten nicht, ob ein weiterer Riss entstanden war, aber wir vermuteten, all das hing damit zusammen, dass Hyperion sehr mächtig gewesen war. Die durch seinen Tod ausgelösten Energiewellen setzten sich immer noch fort.
Das alles war jedoch nicht der Punkt.
»Du hast mir nicht die Wahrheit gesagt«, erklärte ich. »Du hättest mir den wahren Grund für deine Rückkehr verraten können.«
Seth schwieg und wandte den Blick ab. An seinem Kiefer zuckte ein Muskel.
»Ich kapiere ja, dass du das tun musst, und um ehrlich zu sein, es gefällt mir nicht, dass es eine der Priesterinnen sein muss, allerdings verstehe ich es. Du musst es tun.« Ich trat einen Schritt zurück, und Seth schaute mich erneut an. »Aber ich kapiere nicht, wieso du mich anlügst.«
»Ich … ich wollte dich nicht anlügen.«
Ich zog die Augenbrauen hoch.
»Okay. Ich habe einfach gehofft, du würdest nicht darüber nachdenken«, korrigierte er sich, was auch nicht viel besser war.
»Echt jetzt?«
»Ja. Wirklich.« Er seufzte und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. »Ich bin nicht gerade stolz darauf, Josie.«
»Warum solltest du dich schämen? Du musst es tun. Du bist ein Gott …«
»Aber mir ist bewusst, dass du es nicht magst. Ich merke, dass es dich stört, und anders könnte es ja auch nicht sein, oder? Dieser Bastard hat dich ausgesaugt, bis es dich – und unser Kind – fast umgebracht hat. Und du willst wirklich genau wissen, in welchem Moment ich dasselbe bei anderen tue?«
»Es ist nicht dasselbe.« Ich trat auf ihn zu, legte die Hände an seine Wangen und zwang ihn, mich anzuschauen. »Was du tust, ist nicht dasselbe wie bei Hyperion, und zwar aus einer Menge von Gründen. Wie kommst du nur auf die Idee, es wäre dasselbe?«
Seth biss die Zähne zusammen. »Dann ist es also hundertprozentig in Ordnung für dich, wenn ich es tue? Es stört dich überhaupt nicht?«
»Ehrlich? Ich wünschte, du müsstest dazu nicht ausgerechnet Karina, die absolut umwerfend aussieht, körperlich nahe kommen, aber das mal außer Acht gelassen? Nein. Es stört mich nicht.« Der Wind frischte auf und wehte ihm eine Locke über die Wange, und ich strich mit dem Daumen an seinem Kiefer entlang. »Ich wünschte nur, ich könnte diejenige sein, die dir geben kann, was du brauchst.«
»Nein.« Seth löste sich von mir und trat ein Stück zurück. »Ich würde dich niemals dafür ausnutzen und dadurch dich oder unser Kind in Gefahr bringen.«
»Das sage ich ja auch nicht«, erklärte ich und ignorierte, wie scharf er mich ansah. »Ich mag nur nicht, dass du versuchst, es vor mir zu verbergen. Das führt dazu, dass es sich anfühlt, als tätest du etwas Falsches. Und es gibt mir das Gefühl, dass du mir nicht vollkommen vertraust.«
»Dir nicht vertrauen? Ich würde mein Leben in deine Hände legen, Josie. Du bist die Einzige, der ich vertraue.«
»Doch du traust mir nicht genug, um dir sicher zu sein, dass ich dich nicht verurteilen würde? Dass ich begreifen würde, was du machen musst?«, wandte ich ein. »Du schließt mich von einem großen Teil deines Lebens aus, der nicht eines Tages auf magische Art verschwinden wird. Ich will nicht, dass diese Sache zu einer Art schmutzigem Geheimnis wird, bei dem wir beide so tun, als wüsste der andere nichts davon.«
Ich holte Luft. »Wir bekommen ein Kind, Seth. Ich möchte, dass nichts zwischen uns steht. Nicht jetzt. Und auch in Zukunft nicht. Ich möchte, dass wir uns einig sind. Immer.«
Seth ließ die Hände sinken. Er schwieg lange, so lange, dass ich keine Ahnung hatte, was er dachte. Doch dann bewegte er sich – so schnell, dass ich es mit den Augen kaum wahrnehmen konnte. Blitzschnell war er bei mir, schlang einen Arm um meine Taille und umfasste meinen Nacken. Scharf sog ich den Atem ein, und Seth fing ihn mit einem Kuss ein.
Vor Verblüffung zuckte ich zusammen. Das war kein behutsamer Kuss. Oh nein, er war tief und heftig und verbrannte mich bis in mein Innerstes, bis in meine Seele. Ich legte die Hände an seine Schultern, doch ich stieß ihn nicht weg, sondern schlang die Arme um seinen Nacken. Er verstärkte den Griff um meine Taille und zog mich an sich, bis unsere Körper sich vollständig aneinanderschmiegten. Als er seinen Mund von meinem nahm, hatte sein Kuss alle meine Sinne berührt.
Seth legte die Stirn an meine. »Du hast recht«, meinte er und stieß zittrig die Luft aus. »Ich hätte dir sagen sollen, was ich getan habe.«
»Hättest du«, pflichtete ich ihm bei und zerzauste ihm sein weiches Haar, das er im Nacken zurückgebunden hatte.
»Ich will, dass nichts zwischen uns steht«, erwiderte er so leise, dass es kaum mehr als ein Flüstern war, und strich mit dem Daumen über meine Wange. »Ab sofort.«
»Das war kein Scherz, als du gesagt hast, ab sofort soll nichts mehr zwischen uns sein«, stellte Josie fest. »Mir war nicht klar, dass du das wörtlich gemeint hast.«
»Absolut kein Scherz.« Die Haarsträhne, die ich mir um den Finger gewickelt hatte, war weder blond noch brünett. Darin schimmerte eine atemberaubende Anzahl von Farben, die von sehr hellem Blond bis zu gesponnenem Gold reichten. Keine Ahnung, wie Haare von Natur aus so viele Farbnuancen haben konnten.
»Was machst du?«
Ich riss den Blick vom seltsamsten und schönsten Haar los, das ich je gesehen hatte, und bemerkte, dass ich in strahlende jeansblaue Augen hinunterschaute.
Mir wurde die Brust eng, während ich Josies Gesicht musterte. Ihre Wangen waren rosig, was vielleicht daran lag, dass ich ihr Sekunden zuvor jedes einzelne Kleidungsstück ausgezogen hatte. Angesichts der hübschen Farbe ihrer Wangen hätte ich fast vergessen können, wie blass sie in den Wochen nach ihrer Gefangenschaft beim Titanen Hyperion gewesen war. Sie war durch die Hölle gegangen, und ich wusste, dass sie mir manches vorenthielt. Erlebnisse, die sie nicht mit mir teilte, weil sie ihr unangenehm waren oder weil sie besorgt darüber war, dass ich vor Wut die Hälfte der westlichen Hemisphäre abfackeln könnte.
Letzteres war nach wie vor eine Möglichkeit.
Es war schon passiert, dass ich spontan reagiert und erst danach – vielleicht, abhängig von meiner Stimmung – Fragen gestellt hatte.
»Bist du mir immer noch böse?«
Sie schüttelte den Kopf, der auf dem Kissen ruhte. »Wenn, dann würde ich nicht nackt hier liegen. Du bist talentiert, aber nicht so talentiert.«
Ich lachte. »Keine Ahnung. Ich schmeichle mir gern, dass ich so geschickt bin.«
»Da bin ich mir sicher.« Sie schaute mir in die Augen. »Wann musst du es wieder tun? Dich aufladen?«
Mein Blick streifte ihr Haar. Es gefiel mir, dass sie es so nannte und nicht das aussprach, was es wirklich war, mich nähren. Aufladen klang viel … technischer, harmloser. »In ein paar Wochen. Es kommt alles darauf an, ob ich krasser Gott spielen muss.«
»Ich will … ich will dich beim nächsten Mal begleiten.«
Ich sah sie an. »Echt jetzt?«
»Ja. Dann fühlt es sich vielleicht nicht mehr wie ein Geheimnis an.«
Im Grunde wollte ich nicht, dass sie dabei war, aber für sie würde ich es tun. »Wenn du das willst.«
»Ja.«
»Dann haben wir einen Plan«, erklärte ich. »Übrigens, warum warst du heute draußen auf diesem Feld?«
»Ich habe mit den Elementen trainiert. Dachte mir, da wäre es am sichersten.«
Ich grinste, wurde jedoch schnell wieder ernst. »Aber warum warst du allein dort draußen? Luke hätte dich begleiten können.«
Josie schnaubte. »Luke hat keine Lust, irgendwo in meiner Nähe zu sein, wenn ich mit den Elementen arbeite.«
»Dann hättest du Deacon oder sogar Alex oder Aiden mitnehmen sollen. Ich will nicht, dass du dort allein bist.«
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Ist ja nicht so, als wäre ich außerhalb der Universität herumspaziert. Ich war in Sicherheit.«
»Muss ich dich daran erinnern, dass die Mauern des Covenants schon mehr als einmal durchbrochen worden sind?«
»Und muss ich dich daran erinnern, dass ich auf mich selbst aufpassen kann?«
»Ich weiß.« Ich seufzte. »Es ist nur nicht …« Ich strich mit dem Daumen über ihre dichten Haarsträhnen und blickte auf ihre Hände hinunter, die sie auf ihren Bauch gelegt hatte. Mein verdammtes Herz hüpfte in meiner Brust wie auf einem Trampolin.
Josie war schwanger mit unserem Kind.
Eine Fülle ungebremster, widersprüchlicher Emotionen stieg in mir auf und verzehrte mich. Entsetzen. Glück. Angst. Vorfreude. Verrückt, wie viele Empfindungen man auf einmal spüren konnte.
Der Druck in meiner Brust wurde stärker. Was ich fühlte, war höllisch Furcht einflößend, allerdings auf eine gute Art. Eine, die mir sagte, dass ich alles tun würde, damit sie und unser Kind in Sicherheit waren. Wenn nötig, würde ich meine Hände dafür in Blut baden, ich hatte das schon getan. Mehr als einmal, und ich bedauerte es nicht besonders.
Liebe wog stärker als Reue.
Ich hätte nie gedacht, so etwas wirklich für eine andere Person empfinden zu können, und als ich Josie kennenlernte, war es nicht unbedingt Liebe auf den ersten Blick gewesen. Vielleicht ein wenig Lust auf den ersten Blick. Außerdem hatte es mich gestört, wem sie ähnelte und wer ihr Vater war.
Nie wäre es mir an diesem Tag im Treppenhaus in den Sinn gekommen, dass ich mich in Apollos Tochter verlieben würde. Zur Hölle. Jetzt hätte ich am liebsten darüber gelacht, aber genau das war geschehen.
Bis hierher zu gelangen, bis zu diesem Augenblick, war nicht einfach gewesen.
Die Götter wussten, dass ich gegen meine Gefühle für sie angekämpft hatte. Bei unserer ersten Begegnung war das Timing für eine Beziehung saumäßig mies. Damals hatte ich keine Zukunft. Die Götter setzten mich ein, um Sanierungen durchzuführen – ich jagte und vernichtete diejenigen, die sich auf Ares’ Seite geschlagen hatten. Und falls die Götter herausgefunden hätten, wie sie mich töten könnten, hätte ich die Ewigkeit als Hades’ Sklave zubringen müssen. Damals war ich allerdings noch der Apollyon. Jetzt war ich ein Gott, und ich hatte eine Zukunft, in der ich nicht bei jeder Laune anderer Götter zu springen brauchte.
Aber es steckte mehr dahinter. Vieles davon hatte mit mir zu tun. Damit, dass ich geglaubt hatte, Josie nicht verdient zu haben. Dass sie ohne mich sicherer wäre und es besser hätte. Dass ich es nach allem, was ich getan hatte und woran ich beteiligt gewesen war, nicht wert war, geliebt zu werden.
Die Wahrheit war, dass ich ihrer immer noch nicht würdig war, doch ich arbeitete daran.
»Seth?« Ihre leise Stimme lenkte meine Aufmerksamkeit auf sie. »Alles in Ordnung bei dir?«
»Ja.« Ich sah ihr in die Augen und grinste. »Ich versuche nur, herauszufinden, was genau deine Haarfarbe ist.«
»Du bist so was von komisch.« Sie zog ihr Haar aus meinen Fingern. »Echt komisch.«
Ich legte eine Hand an die Stelle, wo ihre ruhte, und schluckte gegen den Kloß in meinem Hals an. Er war plötzlich aufgetaucht, als ich mir vorgestellt hatte, wie sie mit einem dicken Bauch mit meinem Kind darin aussehen würde. Götter. Das brachte mich fast um, aber auf eine wunderbare Art.
»Du bist so schön«, erklärte ich und genoss ihren Anblick. Nackt lag sie vor mir, ganz weiche Kurven und rosig angehauchte Haut. »Habe ich dir das heute schon gesagt?«
»Heute Morgen und gleich nach dem Mittagessen.«
»Aber nicht während der letzten Stunde?«
»Nein.« Sie drehte sich auf die Seite, schaute mich an und berührte mit ihrer Hand meinen Oberkörper. »Wir sollten wirklich aus diesem Bett steigen.«
»Warum?« Ich küsste sie auf die Nasenspitze. »Ich habe dich gerade ausgezogen.«
Sie lachte. »Wir haben uns den ganzen Vormittag in diesem Zimmer verkrochen.«
»Ja und?« Ich strich über die Rundung ihrer Hüfte. »Was haben wir denn sonst zu tun?«
»Was sonst? Wir haben eine Menge zu tun, Seth.«
Josie schmiegte sich an mich und schob eins ihrer langen Beine zwischen meine, was absolut nicht dazu beitrug, mich dazu zu bewegen, aus diesem Bett zu steigen.
Als sie ihre Brüste an meinen Oberkörper presste, unterdrückte ich ein Aufstöhnen. »Und was zum Beispiel?«
»Wir müssen mit Deacon und Luke reden, um herauszufinden, ob sie mit der Planung für ihre Abreise nach Großbritannien fertig sind.«
Ich ließ meine Hand von ihrer Hüfte auf ihren Hintern gleiten und wurde mit einem scharfen Atemzug ihrerseits belohnt. »Du meinst, wir sollen feststellen, ob Aiden unserem Deacon schon erlaubt hat, mitzugehen.«
Leise lachend strich sie mit den Fingern über meine Brust.
»Ich fürchte, er wird Deacon in seinem Zimmer einsperren.«
»Kann schon sein.« Ich drückte ihre Hüften enger an meine. »Was seinen Bruder betrifft, könnte man Aiden überfürsorglich nennen.«
»Da schließt du wahrscheinlich von dir auf andere«, witzelte sie.
Ich zog mich zurück. »Wieso?«
Ihre Mundwinkel zuckten. »Ich meine nur, dass ihr mehr gemeinsam habt, als ihr zugeben wollt, Aiden und du.«
Ich drehte sie auf den Rücken und sah von oben auf sie hinunter. »Ich glaube, ich bin beleidigt.«
»Das erinnert mich an diese zwei Mädchen, die ich am College kannte.« Sie legte die Hände auf meine Schultern und grub die Nägel in meine Haut. »Die beiden haben einander absolut gehasst, und das Komischste war, dass sie vom Charakter her Zwillinge hätten sein können.«
Ich verlagerte mein Gewicht auf einen Ellbogen. »Aidens und mein Charakter sind nicht identisch.«
»Protestierst du jetzt nicht zu viel?«
Ich knabberte an ihrer Unterlippe und schlang einen Arm um ihre Hüfte. »Redest du vielleicht zu viel?«
Josie warf den Kopf zurück und lachte. »Mistkerl.«
»So hast du mich vorhin nicht genannt. Ich meine ja nur.« Ich strich mit den Lippen über ihre.
Sie schmiegte sich an meine Brust. »Hör auf, mich abzulenken.«
»Wovon ablenken?«, fragte ich und ließ beim Sprechen die Lippen über ihren Mund streifen.
»Von dem, was wir zu tun haben.« Sie keuchte auf, als ich mich zwischen ihre Oberschenkel schob. »Seth …«
Ich küsste sie und unterband damit die Aufzählung aller guten Gründe, aus denen wir von diesem Bett aufstehen sollten, und es gab eine Menge. Einen Riesenberg. Doch ich mochte an nichts davon denken. Nicht jetzt. Wir konnten uns später mit der Realität auseinandersetzen. Sie würde dann immer noch da sein.
Kaum dass ich meine Lippen über ihre gleiten ließ, stieß Josie diesen leisen Laut aus, der mir verriet, dass sie es auch nicht allzu eilig hatte, das Bett zu verlassen. Ich neigte den Kopf zur Seite und bewegte meine Zunge an ihrer Unterlippe entlang, damit sie den Mund öffnete. Viel Überredungskunst brauchte ich allerdings nicht.
Josie schien unter mir zu zerfließen.
Früher hatte ich versucht, mich zurückzuhalten, aber jetzt nicht mehr. Ich drang sofort in sie ein, und unser Kuss wurde tief und ungehemmt. Ich streichelte ihre Zunge mit meiner, und Josie kam mir entgegen. Sie strich mit einem Bein an meinem entlang, schlang es um meine Hüfte und presste mich dichter an sich. Das Gefühl, sie an meinem härtesten Körperteil zu spüren, brachte meine sämtlichen Nervenbahnen zum Glühen.
Ich hatte einmal geglaubt, süchtig nach Äther zu sein, nach dieser Flut cooler Macht, doch ich hatte mich geirrt.
Ich war süchtig nach Josie.
Danach, wie sie schmeckte. Nach den Lauten, die sie von sich gab, wenn sie kurz davor war zu kommen. Danach, wie sie meinen Namen rief. Wie sie vorher und hinterher mit mir stritt. Ganz einfach danach, wie sie war.
Schnell sog sie den Atem ein, und ich holte ihn mir zurück, als sie einen Arm um meinen Nacken schlang. Ich knabberte an ihrem weichen Mund, richtete mich auf und sah sie an. Ihre dichten, seidigen Wimpern flatterten, und sie öffnete die Augen. Wir blickten uns unverwandt an.
»Ich habe vergessen, was ich sagen wollte«, gestand sie mit belegter Stimme.
Leise lachend küsste ich sie unter dem Kinn und widmete mich wieder dem, was wirklich unerlässlich war. »Dann kann es nicht so wichtig gewesen sein.«
»Doch.«
Sie legte eine Hand auf meine Schulter, während ich mich weiter ihren Hals hinunterarbeitete.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass es wichtig war.«
»Ich weiß, was wichtig ist.« Ich zog mit Küssen eine Spur zu einer ihrer rosigen Spitzen, kostete jeden Quadratzentimeter Haut aus und übersprang keine einzige Stelle. »Das hier ist sehr wichtig.«
Sie atmete schnell und flach. »Da muss ich dir recht geben. Nur dieses eine Mal.«
»Oh, ich glaube, das wird mehr als einmal.« Grinsend nahm ich ihre harte Brustspitze in den Mund. Josie bog den Rücken durch, stieß die Hüften gegen meine und verlockte mich, das alles zu überspringen und tief in ihr zu versinken. Nichts wünschte ich mir mehr als das, doch ich ließ mir Zeit, weil wir sie heute, an diesem Nachmittag, hatten. Ich widmete mich ihrer anderen Brust, damit die sich nicht einsam fühlte.
So rücksichtsvoll war ich.
Ich strich über ihren Bauch und ließ die Hand zwischen ihre Schenkel gleiten. Josies scharfer Aufschrei wirkte auf mich wie eine Supernova, die in alle Richtungen explodierte. Ich zog das Mal zwischen ihren Brüsten nach, das Apollo hinterlassen hatte, nachdem er ihre Fähigkeiten entblockiert hatte. Allmählich rutschte ich tiefer, wobei ich an ihrem Bauch verweilte und sanft in die weiche Stelle unter ihrem Nabel biss. Josie grub die Finger in mein Haar, und ich hoffte, sie würde daran ziehen.
Ich liebte es, wenn sie das mit meinen Haaren tat.
Mit der Schulter drängte ich ihre Beine auseinander und rutschte noch tiefer. Als ich aufblickte, sah ich entzückt, dass ihre Augen offen waren.
Ich liebte es auch, wenn sie zusah.
Aber was ich noch mehr liebte? Das, was ich sah, wenn ich zu ihr aufschaute. So ein verdammt schöner Anblick. Ihre Brust hob und senkte sich unter schnellen Atemzügen, ihre harten Brustspitzen schimmerten feucht, ihre wunderschönen Lippen waren halb geöffnet, und ihre Augen strahlten vor Begierde.
Ich konnte nicht anders, als sie ein wenig aufzuziehen. »Findest du, wir sollten jetzt aufstehen? Du hast gesagt, wir hätten wichtige Dinge zu erledigen.«
Sie biss sich auf die Unterlippe.
»Das ist keine Antwort, Josie.«
Sie kniff leicht die Augen zusammen. »Ich finde, du könntest mit deinem Mund etwas Besseres anfangen, als zu reden.«
Ich lachte. »Verdammt, Mädchen.«
Sie grinste mir zu und stützte sich auf die Ellbogen. »Ich sage nur die Wahrheit, Sethie.«
»Allerdings.«
Und so tat ich es.
Josie hielt sich nicht lange auf ihren Ellbogen. Bald lag sie auf dem Rücken und wand sich unter meinem Mund, mit dem ich sie reizte. Ich trieb sie an den Rand des Abgrunds und ließ sie mit einer leichten Berührung meines Fingers an diesem einen gewissen Punkt hinunterstürzen. Sie zitterte immer noch am ganzen Körper, als ich mich hochschob, ihren heiseren Aufschrei mit meinem übertönte und tief in sie eindrang.
Ich hielt so lange still, wie ich konnte, und kriegte kaum Luft in meine verdammte Lunge oder welche hinaus. Meine Armmuskeln bebten, und mein Magen zog sich zusammen. Ich konnte mich nur auf ihre Empfindungen konzentrieren. Ganz gleich, wie oft ich diesen Moment erlebte, dieser Augenblick würde jedes Mal wieder der beste sein, auch wenn ich genau das bei jedem einzelnen Mal dachte.
Josie schlang die Arme um mich, richtete sich auf und küsste mich sanft. »Ich liebe dich.«
»Götter.« Ich stieß so etwas wie ein Knurren aus und küsste sie tief und ausgiebig, während diese Worte in meinem Kopf widerhallten. Ich konnte keinen Moment länger reglos abwarten.
Daher begann ich mich zu bewegen und genoss jede einzelne Sekunde, die sie auf mich reagierte. Was langsam anfing, eskalierte rasch. Ich positionierte die Arme unter ihre Schultern und drückte Josie fest an mich, als ich tief und hart in sie hineinglitt.
Sie passte sich mir auf jede mögliche Art an, und sowie ich spürte, dass sie erneut kam, konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Ich folgte ihr, stieß einen rauen Schrei aus, der mich bis ins Innerste erschütterte, und ließ meinen Kopf an ihre Schulter sinken.
»Ich liebe dich«, sagte ich dicht an ihrer erhitzten Haut.
Auch sie flüsterte diese drei Worte, und sie mischten sich mit meinem schnellen Herzschlag und meinem donnernden Puls.
Eine gefühlte Ewigkeit bewegte sich keiner von uns. Zur Hölle. Ein verdammter Minotaurus hätte nackt im Zimmer auf und ab spazieren können, und ich hätte einfach nur dagelegen. Aber ich musste sie mit meinem Gewicht erdrücken, daher wälzte ich mich von ihr herunter, allerdings nicht weit. Ich zog sie mit, sodass sie auf meiner Brust ruhte. So gefiel mir das. Kein Abstand zwischen uns, und ich hatte die Hände frei, um sie zu berühren. Eine davon fand den Weg in ihr Haar.
Ich habe so verdammtes Glück.
Diese Worte dachte ich wieder und wieder. Das Problem mit dem Glück war allerdings, dass es einen irgendwann verließ. Immer.
Ich schloss die Augen und räusperte mich. »Junge oder Mädchen?«
Diese Frage hatten wir einander während der letzten Woche oft gestellt. Man hätte meinen können, wir wären ihrer inzwischen überdrüssig geworden, doch das waren wir nicht.
Josie strich mit den Fingern an meinen Oberschenkeln entlang. »Mädchen.«
»Okay.« Ich stieß lange den Atem aus. »Wie wär’s mit Agatha? Es bedeutet ›die Gute‹.«
»Gefällt mir, aber ich finde, es klingt ein wenig altmodisch.«
»Hast recht. Mal sehen. Was ist mit Aileen? So ähnlich wie Eileen und dennoch etwas Besonderes.«
Sie lachte, und ich spürte ihren Atem an meiner Brust.
»Was bedeutet das?«
»Die Leuchtende, glaube ich.«
»Mag ich auch.« Sie gähnte. »Was hältst du von … Serena? Keine Ahnung, was es bedeutet, doch ich habe den Namen schon immer hübsch gefunden.«
»Das ist ein guter Name.« Ich begann, Buchstaben auf ihren Rücken zu malen. »Lass uns den in die engere Wahl ziehen.«
Josie küsste die Stelle über meinem Herzen. »Und was, wenn …?«
Als sie nicht zu Ende sprach, senkte ich das Kinn. »Was?«
Lange gab sie keine Antwort.
»Was, wenn etwas passiert? Zum Beispiel mit dem Baby?«
»Dem Baby wird gar nichts geschehen. Das schwöre ich bei meinem …« Das Herz schlug mir bis irgendwo oben in den Hals hinauf, und ich bewegte mich, ohne nachzudenken. Als wir saßen und uns in die Augen schauen konnten, legte ich die Hände um Josies Wangen. »Warte mal. Hast du das Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung ist?«
»Nein. Gar nicht. Ich meine, ich glaube, alles ist bestens. Ich fühle mich gut, aber es ist auch noch früh.« Sie schlang die Finger um meine Handgelenke. »Also wirklich früh, und ich weiß, dass bei einer normalen Schwangerschaft alles Mögliche passieren kann, und wir … wir haben ja keine Ahnung, ob diese normal wird. Wir wissen überhaupt nichts über diese Schwangerschaft.«
Mein Herz klopfte wieder langsamer, jedoch nicht viel. Herrje, gerade eben dachte ich, ich bekäme einen Herzanfall, und dabei war ich mir verdammt sicher, dass Götter keine kriegten. Natürlich hatte Josie hundertprozentig recht. Wir wussten fast nichts über diese Schwangerschaft. Aber es musste irgendwann schon einmal vorgekommen sein, dass eine Halbgöttin von einem Gott schwanger geworden war. Unmöglich, dass wir die Ersten waren, denen das passierte.
Verrückt, dass ich nie darüber nachgedacht hatte, ein Kind zu haben, bis ich diese Worte von Josie gehört hatte. Ich bin schwanger. Von dieser Sekunde an sehnte ich mich mit jeder Faser meines Seins nach diesem Kind – unserem Kind. Der bloße Gedanke, es zu verlieren, war, als würde ich mit Eiswasser übergossen. Ich empfand ein Grauen, wie ich es noch nie gefühlt hatte.
Es ängstigte mich zu Tode.
Ich wollte jedoch nicht, dass Josie sich stresste, und wenn das hieß, meine eigenen Sorgen für mich zu behalten, dann würde ich das gern tun.
»Ich bin mir sicher, sie wird normal.« Ich schlang die Arme um sie und zog sie an meine Brust. »Das wird die langweiligste Schwangerschaft aller Zeiten.«
Sie lachte und schob die Schulter unter meinen Arm, um mir so nah wie möglich zu sein. »Ich glaube, keine Schwangerschaft ist langweilig.«
»Unsere schon. Sie wird so normal, dass du vergessen wirst, dass du schwanger bist.«
Josie schüttelte den Kopf. »Selbst wenn die Schwangerschaft normal wird, sind wir nicht normal. Ich bin nicht normal.«
Da ich wusste, worauf sie hinauswollte, schloss ich die Augen und küsste sie auf den Scheitel.
Sie umschlang mich fester. »Ich muss die restlichen Titanen begraben. Damit müssen wir uns immer noch auseinandersetzen, und … sie werden sich nicht einfach fügen. Das wird ein Kampf, ein harter, langer Kampf.«
Ich sagte nichts darauf, denn ich bezweifelte, dass sie hören wollte, was ich davon hielt, dass sie gegen Titanen zu kämpfen beabsichtigte.
Dieser Tag war zu schön, um ihn zu ruinieren.
Und der Nachmittag war so … normal gewesen. So, wie ich mir vorstellte, dass sterbliche Paare ihre Zeit verbrachten, wenn sie nichts zu tun hatten, außer einander zu erkunden und zusammen zu sein.
Diese kurze Normalität war vorüber, doch es würde mehr solche Momente geben. Dafür würde ich verdammt noch mal sorgen; angefangen mit einer Sache, die mir im Hinterkopf herumschwappte und die ich schon tun wollte, seit ich herausgefunden hatte, dass sie schwanger war.
Ich wollte, dass Josie meine Frau wurde.
Und ich würde sie heiraten.
Frisch geduscht rieb ich mir das Haar mit einem Handtuch trocken und zog dann Schlafshorts und eins von Seths Shirts an, da ich nicht damit rechnete, in nächster Zukunft das Zimmer zu verlassen und unter Leute zu gehen.
Ich durchquerte das kleine Schlafzimmer, trat ans Fenster und schob den Vorhang zurück. Es war Nacht geworden, und der Himmel war voller Sterne. Hier draußen, in den Black Hills von South Dakota, war es wirklich schön, aber ich vermisste Andros, die Insel, auf der Seth aufgewachsen war.
Ich wollte zurück. Hoffentlich bald.
Ich lehnte die Stirn an das kühle Glas und schloss die Augen. Mir … mir fehlte meine Mom. Meine Großeltern. Und ich vermisste Erin, meine beste Freundin.
Ich wünschte, sie wären hier. Kein Tag verging, ohne dass ich an sie dachte. Sie sind an einem besseren Ort. Das sagte ich mir immer wieder. Meine Mom und meine Großeltern waren an einem besseren Ort, aber Erin … Hatte sie sich nach Hyperions Angriff erholt? Ich hatte keine Möglichkeit, das herauszufinden. Mein Vater blieb nie so lange, dass ich ihn fragen konnte. Er tauchte nur kurz auf und verschwand, bevor ich dazu kam, viel zu sagen.
Ich ging vom Fenster zurück und setzte mich aufs Bett. Jetzt hätte ich ein Gespräch mit meiner Granny gebrauchen können. Klar, sie hätte auch nichts über eine Schwangerschaft bei Halbgöttinnen gewusst, aber sie hätte mir – ach keine Ahnung – versichern können, dass alles gut werden würde.
Dass ich das schaffen würde.
Dass ich eine Geburt überstehen und ein Kind großziehen konnte. Dass ich verantwortungsvoll und reif genug war, um mit alldem umzugehen.
Und Erin würde bei mir sein und zusammen mit mir ausflippen, und sie … sie würde mir sagen, ich hätte das im Griff.
Wer wusste das schon? Vielleicht hätte Erin eine Ahnung von solchen Schwangerschaften. Schließlich war sie eine Furie.
Ich sah an mir herunter, hob den Saum meines geliehenen Shirts und entblößte meinen Bauch. Er sah genauso aus wie vor meiner Schwangerschaft. Na, nicht genau. Während meiner Gefangenschaft hatte ich abgenommen, doch mein Bauch war nach wie vor weich, und er war noch nie flach gewesen. Niemals. Aber er sah normal aus.
Was keine Überraschung war, logisch. Es konnten noch keine fünf Wochen sein, außer, es war vorher passiert. Bis auf jenes eine Mal hatten Seth und ich stets Kondome benutzt, die schützten allerdings auch nicht immer.
In ein paar Monaten würde man etwas sehen. Ich pikte in meinen Bauch …
Die Tür zum Gang öffnete sich, und Seth rief herein: »Josie?«
Ich spürte, wie meine Wangen heiß anliefen, ließ mein Shirt fallen und sprang auf. Ich huschte um die Ecke des Betts und lief eilig ins Wohnzimmer, das auch eine kleine Essecke hatte.
»Hey.« Seth stellte eine große braune Papiertüte auf den Tisch und grinste, als er mich in der Tür stehen sah. »Hast du geduscht?«
Ich lehnte mich an den Türrahmen. »Ja.«
»Ohne mich?«
Ich grinste ebenfalls. »Tja, ich wollte richtig zu Ende duschen.«
»Wenn ich bei dir gewesen wäre, wäre das nicht passiert.« Er griff in die Tüte und zog eine Schale mit Essen hervor und dann noch eine … und noch eine. »Ich war mir nicht sicher, was du willst, also habe ich ein paar Sachen mitgebracht. Hähnchen-Nuggets. Pommes frites. Mozzarella-Sticks, weil ich weiß, dass du Käse magst. Ich dachte, du könntest rotes Fleisch gebrauchen, deswegen habe ich mir am Ende noch einen Hamburger geschnappt.«
Mit aufgerissenen Augen starrte ich das Büfett an, das er nach und nach auf dem Couchtisch ausbreitete. Guter Gott.
Und noch ein Behälter tauchte auf, gefolgt von einer kleinen weißen Schale.
»Und da ich weiß, wie sehr du den Speck von dort magst, habe ich diese Frau gebeten, einen ganzen Teller davon zu machen. Sie war nicht glücklich darüber, aber du weißt ja, dass ich superüberzeugend sein kann – ach, und dann habe ich überlegt, dass du etwas Grünes brauchst, deswegen gibt es noch eine Schüssel gedämpften Brokkoli.«
Ich kämpfte gegen ein Grinsen an, riss den Blick von den vielen, vielen Essensbehältern los und sah in seine erstaunlich bernsteinfarbenen Augen auf. »Seth …«
»Was?« Er schob sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Möchtest du was anderes?« Er trat einen Schritt zurück, in Richtung Tür. »Ich kann noch mal in die Cafeteria laufen und …«
»Nein. Das ist mehr als genug.« Lachend stieß ich mich von der Tür ab und trat um den Couchtisch herum. »Ich habe das Gefühl, in ein Wettessen geraten zu sein.«
»Das würdest du gewinnen.«
Ich warf ihm einen scharfen Blick zu, aber er hatte recht. Ich würde gewinnen. Mit großem Vergnügen.
Seth grinste, als ich die Colaflasche nahm und den Deckel abdrehte. Auf dem Tisch standen auch ein Glas Wasser und eins mit Orangensaft. Mir war schleierhaft, wie er das ganze Essen und die Getränke hergebracht hatte.
Musste noch so eine göttliche Gabe sein.
»Du sollst das nicht alles essen«, erklärte er und sah durch die Haarsträhne, die sich wieder gelöst hatte und ihm über die Wange gefallen war, zu mir auf. »Aber ich will, dass du von allem ein bisschen isst. Ich will nicht, dass du Hunger leidest.«
Die Massen an Gerichten, die er mir gebracht hatte, hätten ein kleines Dorf satt machen können, und es wäre noch etwas übrig geblieben. Ein wenig übertrieben, doch ich verstand schon, warum er so viel geholt hatte. Während meiner Gefangenschaft bei Hyperion war es nicht gerade Priorität der Titanen, mich gut zu ernähren.
Das wusste Seth.
Und mir war klar, dass er das ständig im Hinterkopf hatte, zusammen mit einem gehörigen Maß an Schuldgefühlen. Er hatte damals nicht sofort entdeckt, dass ich entführt worden war.
Ich trat neben ihn, schlang die Arme um seine Mitte und reckte mich, um ihn auf die glatte Wange zu küssen. »Danke.«
Seth drehte sich zu mir und küsste mich, dann fasste er das Ende meines Pferdeschwanzes und zog daran. »Ich weiß, dass du am Verhungern bist.«
Ich entzog ihm meinen Pferdeschwanz. »Und woher weißt du das?«
Er legte den Kopf schief. »Na ja, könnte daran liegen, dass dein Magen während deines Nickerchens geknurrt hat wie Hades’ preisgekrönte Hunde.«
Mir klappte die Kinnlade hinunter. »Gar nicht wahr!«
»Doch. Ehrlich gesagt hat es mir Angst gemacht. Ich dachte, einer dieser Höllenhunde hätte den Weg in unser Zimmer gefunden und wollte gerade …«
»Schwachkopf.« Ich boxte ihn gegen den Arm.
Leise lachend trat er um mich herum und setzte sich auf die kleine Couch. »Aber ehrlich, das ist gut, oder? Wenn du etwas anderes willst, gehe ich es holen.«
Als mein Magen knurrte, nickte ich und wandte mich der Essensauswahl zu. »Das ist mehr als gut.« Ich schnappte eine Fritte und steckte sie mir in den Mund. »Ich wollte übrigens nicht wieder einschlafen. Tut mir leid.«
»Schon gut.« Er nahm meine Hand und zog mich hinunter, bis ich auf seinem Schoß saß. »Wenn du müde bist, musst du schlafen.«
»Ich glaube, das lag daran, dass ich mit den Elementen gearbeitet habe. Ich war ziemlich lange da draußen.«
»Bist du dir sicher, dass es gut ist, wenn du damit weitermachst?«
Ich zog eine Schulter hoch. »Ich wüsste nicht, warum nicht.«
Er griff an mir vorbei, nahm ein Hähnchen-Nugget und reichte es mir. »Wie fühlst du dich?«
»Gut.« Und das war die Wahrheit. Größtenteils. »Ich meine, ich bin müde, aber ich glaube, das ist normal bei dieser ganzen Schwangerschaftsgeschichte, selbst wenn ich nicht mit den Elementen trainiert hätte.«
Schweigend nahm Seth eines der Nuggets und biss hinein. »Ich möchte, dass du dich untersuchen lässt. Ich weiß, du hast gesagt, wahrscheinlich sei es zu früh für eine Vorsorgeuntersuchung, aber woher wissen wir das?« Er legte einen Arm um mich und drückte mich. »Wir wissen es nicht. Ich finde, es könnte nicht schaden, den Arzt hier zu fragen und zu hören, was er meint.«
Ich knabberte an meinem Nugget. »Eigentlich hast du recht.«
»Ich weiß.«
»Du bist heute total von dir selbst eingenommen, was?«
Zwinkernd aß er sein Stück Huhn auf. »Von Liebe zu dir.«
Kopfschüttelnd griff ich nach der Limonade. »Ich habe dasselbe gedacht, aber ich bin mir nicht sicher, ob er eine große Hilfe ist. Hier haben sie keine Frauenärzte. Wir müssen uns anderswo einen suchen, und das bedeutet, dass wir das Gelände verlassen müssen.«
Wo mich die Titanen womöglich aufspüren würden. Ich war bereit, das Risiko einzugehen, weil ich musste. Wir mussten jemanden finden, der uns zumindest eine Ahnung davon vermitteln konnte, womit wir bei dieser Schwangerschaft zu rechnen hatten.
»Ich bin mir sicher, der Arzt wird uns grundlegende Informationen liefern können und uns von ähnlichen Situationen wie unserer erzählen.«
»Es muss doch schon mal vorgekommen sein, dass ein Gott und eine Halbgöttin zusammengekommen sind und ein Baby bekommen haben.« Ich schürzte die Lippen. »Ich meine, nach allem, was ich über die Götter weiß, sind sie ziemlich sexbesessen.«
Er lachte leise. »Die Untertreibung des Jahres.«
Ich grinste ihm zu.
»Jedenfalls begleite ich dich, und dann sehen wir weiter.« Er strich mit der Hand an meinem Oberschenkel auf und ab. »Wir könnten morgen früh gehen.«
»Klingt nach einem guten Plan.« Ich griff nach dem Hamburger und biss ein Stück ab. Ein Klecks Ketchup quoll heraus, aber Seth fing ihn mit der Fingerspitze auf. Er zog die Augenbrauen hoch und leckte ihn sich vom Finger.
»Du bist wie meine ganz persönliche Serviette.«
»Ja.« Er küsste mich seitlich auf den Hals. »Ich weiß, wie ich mich nützlich machen kann.«
Ich machte mich über den Speck her und aß alle knusprigen Scheiben auf, denn er stellte die erstaunlichste Kombination aus salzig und süß dar, die ich je gekostet hatte. Keine Ahnung, wie die Küche hier ihren Speck zubereitete, aber davon zu essen war ein magisches Erlebnis.
Seth aß noch ein Chicken-Nugget, und ich würgte sogar ein paar Stücke Brokkoli herunter, bevor ich mich mit den Pommes frites beschäftigte. Es war Zeit, diese kostbaren Momente, in denen wir wie alle anderen waren, zu beenden. »Also, sollen wir darüber reden?«
»Darüber?«
Ich warf ihm einen langen Blick zu. »Darüber, den anderen Halbgott zu finden und herauszukriegen, wie wir diese Titanen begraben können … falls wir uns dafür entscheiden.«
»Ich dachte, Deacon und Luke konzentrieren sich auf den anderen Halbgott?«
»Schon, aber sie sind nicht in der Lage, sich selbst nach England zu teleportieren, um sich dort nach dem Kerl umzusehen. Unter diesen Umständen möchten wir nicht wirklich, dass sie einen Linienflug nehmen.«
»Dann kann ich sie hinbringen.« Seine Hand, die auf meinem Bein lag, kam zur Ruhe. »Und du kannst hierbleiben, wo du in Sicherheit …«
»Ich weiß, dass ich hier sicher bin, Seth, aber ich kann nicht ewig hierbleiben.« Ich beobachtete seinen Gesichtsausdruck. »Das weißt du genau.«
Seth bewegte eine Hand, und eine Serviette erhob sich aus der Tüte und flog zwischen seine Finger.
»Ich weiß, dass du hierbleiben kannst, bis die Titanen ausgeschaltet sind«, erklärte er, und ich erstarrte. »Was mich zu deiner Wortwahl bringt. Was meinst du mit: falls wir uns dafür entscheiden?«
Einen Moment lang wusste ich nicht, wovon er redete, dann wurde mir klar, was ich gesagt hatte. Mir drehte sich der Magen um. Hier gab es kein »falls«. Wir mussten die Titanen begraben. Sie umzubringen war keine Option, obwohl Seth schon zwei von ihnen erledigt hatte.
War das ein freudscher Versprecher gewesen?
»Weißt du eine andere Option?«
Seth reichte mir die Serviette, und ich wischte mir dir Finger ab. Ich warf sie auf den Tisch, löste mich aus seiner lockeren Umarmung und stand auf. »Es gibt keine andere Option. Wir müssen die Titanen begraben. Wir müssen nur herausfinden, wie.«
Seth stützte die Arme auf seine Knie. »Ich will dir die Wahrheit sagen, Josie. Ich möchte dich nicht einmal in der Nähe der Titanen sehen.«
Ich warf mir den Pferdeschwanz über die Schulter. »Weil ich schwanger bin?«
»Weil du schwanger mit unserem Kind bist und weil ich nicht will, dass du verletzt wirst«, erläuterte er und behielt mich im Auge. »Und ich versuche hier nicht, den überfürsorglichen Deppen zu geben.«
»Ich weiß.« Und ob ich das wusste. Ich begann vor dem vollgestellten Couchtisch auf und ab zu gehen. »Glaub mir, ich freue mich auch nicht darauf, dort draußen herumzulaufen und gegen die Titanen zu kämpfen, aber es ist …«
»Deine Pflicht«, beendete er meinen Satz, und seine Schultern verspannten sich. »Dieser ganze Mist von wegen Pflicht soll verdammt sein.«
Ich drehte mich zu ihm um und zog die Augenbrauen hoch.
»Nein. Ernsthaft. Du bist eine Halbgöttin. Toll. Du bist als eine Art Notfallplan erschaffen worden, aber du hast die Kontrolle über dein Leben.« Mit einer fließenden Bewegung stand Seth auf. Seine Arme hingen locker an seinen Seiten herab, doch sein Blick sprühte vor Intensität. »Diese Sache mit der Pflicht ist vollkommener Unsinn.«
»Seth …«
»Das ist genau wie mit den Halbblütern. Sie sind in eine Welt hineingeboren worden, in der sie auf Schritt und Tritt kontrolliert wurden, aber das hat sich geändert. Heute sind sie frei und können ihre Zukunft selbst bestimmen. Warum kann das bei dir nicht genauso sein? Und bei den anderen Halbgöttern.«
»Das ist etwas anderes.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust und ging in dem kleinen Raum auf und ab. »Nur wir besitzen die Fähigkeit, die Titanen aufzuhalten.«
»Das ist nicht wahr.« Er reckte das Kinn. »Ich kann sie ausschalten.«
»Ja, aber mit dem Ergebnis, dass schwere Erdbeben folgen, bei denen verkohlte Daimonen aus Erdrissen klettern.« Ich drehte mich um und ging bis zur kleinen Küchenecke, um auf und ab laufen zu können. »Das ist keine Option. Du kannst sie nicht alle töten.«
Seth sagte nichts.
Ich baute mich vor ihm auf, und mein Herz schlug plötzlich schneller, weil ich darüber nachdachte, was ich vorhin gesagt hatte. Wünschte sich ein kleiner Teil von mir, dass Seth sie einfach vernichtete? Obwohl ich die möglichen Konsequenzen kannte?
Falls ja, war das unglaublich egoistisch von mir.
Dadurch würden Menschen sterben, unschuldige Menschen. Die Sicherheit meines Kindes war meine höchste Priorität, aber könnte ich mit dem Wissen leben, dass ich Hunderte, wenn nicht Tausende zum Tode verurteilte?
»Es muss eine andere Möglichkeit geben«, sagte ich und setzte mich wieder in Bewegung. »Eine, die nicht verlangt, dass die Halbgötter direkt gegen die Titanen kämpfen, oder die nicht darauf hinausläuft, dass du sie umbringst.«
»Und wie genau sollen wir das herauskriegen?« Seth wedelte mit der Hand, und die leeren Pappschälchen bewegten sich zurück in die Tüte.
Ich schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Vielleicht bei Medusa? Sie ist alt und scheint viel zu wissen. Ich war heute in der Bibliothek und habe versucht, sie zu finden.«
»Kein Glück?«
»Nein.« Ich seufzte. »Ich habe das Gefühl, dass sie sich nur finden lässt, wenn sie will. Jedenfalls, zurück zu der Suche nach dem anderen Halbgott. Ich denke, das müssen wir immer noch tun, nur für den Fall, dass uns kein Plan C einfällt.«
Das ganze Essen war innerhalb von Sekunden weggeräumt.
»Was waren doch gleich die beiden ersten Pläne, nur damit wir von denselben Voraussetzungen ausgehen?«
»Plan A ist, dass wir die Titanen begraben. Plan B heißt, du tötest die Titanen, und hoffentlich wird Plan C der perfekte Plan, der nichts von beidem beinhaltet«, erklärte ich.
Seine Lippen zuckten. »Ich hoffe, wir finden einen Plan C, aber reden wir kurz über Plan A. Du brauchst nicht mit auf die Suche nach diesem Halbgott zu gehen.«
Ich legte den Kopf in den Nacken und stöhnte. »Und noch einmal: Soll ich einfach hierbleiben? Wie ich schon sagte, dir ist sicher klar, dass ich mich, um einen Frauenarzt aufzusuchen, in die Außenwelt begeben müsste?«
»Oder ich finde besagten Arzt und bringe ihn oder sie her.«
»Seth.«
»Was?« Er trat um den Couchtisch herum. »Wir könnten die Geräte herholen, und wie du weißt, kann ich sehr, sehr überzeugend wirken.«
Ich entfaltete meine Arme. »Schlägst du jetzt vor, einen Arzt zu kidnappen?«
Seth grinste – und zwar die üble Art von Grinsen, das mir verriet, dass er absolut nichts Gutes im Schilde führte.
»Kidnappen würde ich nicht sagen. Eher überzeugen.«
»Seth.«
»Josie.« Sein Grinsen wurde breiter, als er vor mich hintrat. »Ich habe nicht vor, einen Arzt zu entführen. Ich finde ganz ehrlich, dass es gut gehen wird, wenn wir das Gelände für kurze Zeit verlassen. Außerdem bist du dann mit mir zusammen. Aber in diese Stadt in England? Das ist nicht notwendig und wirklich gefährlich. Die Titanen werden sich vielleicht eine Weile unauffällig verhalten, doch sie werden trotzdem weiter nach Halbgöttern suchen.«
Ich stieß heftig die Luft aus. »Vor allem, weil ihnen jetzt die Nahrungsquelle ausgegangen ist.«
Seth nickte. »Es wäre nicht klug, dich am selben Ort aufzuhalten wie ein weiterer Halbgott, ob außerhalb dieser Mauern oder auf Andros.«
»Ist es dann klug, wenn Alex und Aiden dabei sind? Denn du weißt, dass sie Deacon begleiten werden, wenn er geht.«
Er rieb mit den Händen an meinen Armen auf und ab. »Das ist nicht unser Problem.«
Ich starrte ihn an.
»Ich weiß, das lässt mich jetzt klingen wie einen Esel, doch wenn Deacon geht, kennt er das Risiko. Und Alex und Aiden kennen es auch.« Seth sah mir forschend in die Augen. »Ich weiß, dass du dazugehören, dort draußen sein und für das Gute kämpfen willst, aber …«
»Eigentlich nicht«, flüsterte ich.
Seth blinzelte. Offensichtlich hatte ihn das überrumpelt.
Hitze stieg mir am Hals hinauf und breitete sich über meine Wangen aus. »Es ist wirklich schrecklich, das zuzugeben, was?« Ich versuchte, mich von ihm zu lösen, doch das ließ er nicht zu. Meine Schultern sackten nach vorn. »In den Filmen und Büchern ist die krasse Frau auch noch durch und durch Kriegerin, wenn sie schwanger ist. Wie Maggie aus The Walking Dead. Obwohl sie schwanger war, hat sie die Hilltop-Kolonie in den Kampf geführt. Nur mit einem Revolver bewaffnet. Oder vielleicht einer anderen Waffe. Keine Ahnung. Na ja, ich habe Superkräfte, also egal.«
Sein verkrampfter Kiefer entspannte sich. »Das ist eine Fernsehserie, Josie, und nicht das richtige Leben.«
»Ich weiß, dass es eine Fernsehserie ist, aber wenn es eine echte Zombie-Apokalypse wäre …«
»Eine Zombie-Apokalypse ist nicht echt.«
»Uhh! Ich weiß, ich meine ja nur, dass die Titanen die Zombies sind und ich die …«
»… Hilltop-Kolonie in den Kampf führen muss?« Seine Lippen zuckten.
»In ungefähr fünf Sekunden werde ich dich ernsthaft schlagen.«
»Tut mir leid«, sagte er leise.
Ich holte tief und geduldig Luft. »Ich meine, ein Teil von mir will immer noch diese krasse Kämpferin sein. Ich will da draußen sein und Halbgötter suchen, und ich will die Titanen zurück in ihre Gräber prügeln.«
Eine seiner Augenbrauen wanderte langsam nach oben. »Sie zurück in ihre Gräber prügeln?«
»Ja«, sagte ich seufzend. »Aber ich möchte auch nichts tun, was dieses Baby in Gefahr bringt. Ich weiß, wir haben das nicht geplant, und die ganze Vorstellung, schwanger zu sein, ist ehrlich gesagt Furcht einflößend, doch ich liebe das Kind jetzt schon.«
Seine Augen nahmen einen leuchtenden Bernsteinton an, und er legte die Hand an meine Wange.
»Ich auch, Babe. Wir haben das beide nicht geplant, aber ich liebe dieses Kind auch schon mit jeder Faser meines Herzens.«
Ich atmete tief ein. »Die Leute werden mich für schwach halten.«
Er blinzelte einige Male. »Ist mir vollkommen egal, was die Leute denken, Josie.«
Ich öffnete den Mund.
Seth war noch nicht fertig. »Und du solltest auch nicht das Geringste darum geben, was jemand anders denkt. Es ist ja nicht so, als würdest du vor diesem Kampf kneifen. Du bist schlau und versuchst, verschiedene Optionen zu prüfen, und du haushaltest mit deinen Kräften. Das ist nicht schwach, sondern weise.«
Ich presste die Lippen zusammen, schloss die Augen, schmiegte den Kopf an seine Brust und seufzte.
Seth lachte und legte seine Hand wieder auf meinen Arm. »Was machst du, Josie?«
»Ich denke über das Leben nach.«
»Mit dem Kopf an meiner Brust?«
»Stört dich das?«
»Nicht wirklich.« Er umfasste meine Taille. »Gefällt mir irgendwie.«
»Gut.«
Er legte das Kinn auf meinen Scheitel. »Kann ich dir die Wahrheit sagen?«
»Klar«, murmelte ich.
»Du bist unglaublich stark, Josie, aber du traust dir nicht genug zu.«
»Echt?« Ich ließ die Arme sinken.
»Ja, psychi mou. Innerhalb von Sekunden hat sich alles verändert, was du über die Welt zu wissen geglaubt hast, und du hast dich angepasst. Du hast deine Familie verloren und bist damit fertiggeworden.« Er umfasste mein Gesicht so, dass ich ihn ansah. »Hyperion hat dich entführt, und zwar nicht einmal, sondern zweimal, und du hast das überlebt. Du hast herausgefunden, dass du schwanger bist, und hast es akzeptiert. Und bei alldem hast du mich niemals abgeschrieben. Sogar, als ich mich wie ein Bastard aufgeführt habe. Selbst als ich dich verlassen habe, hast du niemals aufgegeben. Du bist alles andere als schwach, und ich will, dass du dich niemals – niemals, Josie – auch nur eine Sekunde für schwach hältst.«
Mir stockte der Atem. Seine Worte … ich hatte keine Ahnung gehabt, wie dringend ich sie gebraucht hatte, bis er sie aussprach, und er sagte die Wahrheit. Ich war nicht schwach. Zur Hölle, ich hatte allerhand ziemlich traumatische Erlebnisse überstanden, und dennoch stand ich hier als voll funktionierende Halberwachsene. Ich verkroch mich nicht in einer Ecke.
»Danke«, sagte ich und reckte mich auf die Zehenspitzen. Ich küsste ihn, um ihm zu zeigen, wie viel mir seine Worte bedeuteten. Dann nahm ich seine Hand, drehte ihn um und zog ihn Richtung Schlafzimmer. »Ich finde, es ist Zeit für den Nachtisch, meinst du nicht?«
Seth reagierte sofort, aber nicht mit Worten. Irgendwie schaffte er es, die Arme um mich zu schlingen. Er hob mich hoch und trug mich zum Bett.
Und dann besorgte er sich seinen Nachtisch.
Die Luft war dick und roch abgestanden wie stehendes, schlammiges Wasser. Ich hockte neben einem umgefallenen Müllcontainer. Die Gasse in der Nähe des düsteren, berühmt-berüchtigten Hotel Cecil war zu einer tiefen, zerklüfteten Spalte aufgerissen. Glühende Funken wirbelten aus der gähnenden Finsternis empor, und ein bestimmter moschusartiger Geruch lag in der Luft.
In der Ferne jaulten endlos Sirenen; ein ständiges, auf- und abschwellendes Kreischen, das pausenlos zu hören war, seit ich in Los Angeles eingetroffen war, um den neuesten Teil der »Kettenreaktion« in den Griff zu bekommen.