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Mörder machen keinen Urlaub! Sylt, Anfang Juli: Bei einem Raubüberfall auf ein Juweliergeschäft in Kampen kommen dessen Inhaber auf brutalste Weise ums Leben. Ein ausgemachter Schock, denn dort, wo sich die Schönsten und Reichsten der Insel treffen, ist der Sensenmann unerwünscht. Bei der Suche nach den Tätern verzeichnen Hannah und ihre Kollegen schnell erste Erfolge. Doch je tiefer sie graben, desto schneller löst sich alles sicher Geglaubte wieder in Luft auf … »Funkelndes Sylt« ist Teil 9 der Reihe »Hannah Lambert ermittelt«. Jeder Fall ist in sich abgeschlossen. Es kann allerdings nicht schaden, auch die vorangegangenen Fälle zu kennen ;) Bisher erschienen: »Ausgerechnet Sylt« »Eiskaltes Sylt« »Mörderisches Sylt« »Stürmisches Sylt« »Schneeweißes Sylt« »Gieriges Sylt« »Turbulentes Sylt« »Düsteres Sylt« »Funkelndes Sylt«– JETZT BRANDNEU! "Hannah Lambert ermittelt" ist mit über 1 Mio. verkauften Exemplaren eine der erfolgreichsten Krimi-Serien der letzten Jahre. Alle Teile sind als eBook und Taschenbuch verfügbar. Band 1-8 auch als Hörbuch … der 9. Teil folgt in Kürze.
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Friesenkrimi
Thomas Herzberg
Mörder machen keinen Urlaub!
Sylt, Anfang Juli: Bei einem Raubüberfall auf ein Juweliergeschäft in Kampen kommen dessen Inhaber auf brutalste Weise ums Leben. Ein ausgemachter Schock, denn dort, wo sich die Schönsten und Reichsten der Insel treffen, ist der Sensenmann unerwünscht. Bei der Suche nach den Tätern verzeichnen Hannah und ihre Kollegen schnell erste Erfolge. Doch je tiefer sie graben, desto schneller löst sich alles sicher Geglaubte wieder in Luft auf …
Funkelndes Sylt ist Teil 9 der Reihe "Hannah Lambert ermittelt". Jeder Fall ist in sich abgeschlossen. Es kann aber nicht schaden, auch die vorangegangenen Fälle zu kennen ;)
Bisher erschienen:
Ausgerechnet Sylt
Eiskaltes Sylt
Mörderisches Sylt
Stürmisches Sylt
Schneeweißes Sylt
Gieriges Sylt
Turbulentes Sylt
Düsteres Sylt
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Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Sämtliche Äußerungen, insbesondere in Teilen der wörtlichen Rede, dienen lediglich der glaubhaften und realistischen Darstellung des Geschehens. Ich verurteile jegliche Art von politischem oder sonstigem Extremismus, der Gewalt verherrlicht, zu selbiger auffordert oder auch nur dazu ermuntert!
Fassung: 1.0
»Rüm hart, klaar kiming« (weites Herz – klarer Horizont): Ein Zitat, das den inselfriesischen Kapitänen zugeordnet wird. Damit beschreiben sie – neben der Mentalität der Menschen, die dort zu Hause sind – auch eine in Deutschland einzigartige Landschaft. Sylt ist vermutlich der bekannteste Teil davon. Aber wer glaubt, auf der beliebten Ferieninsel nur Schickimicki vorzufinden, irrt gewaltig. Denn wer genauer hinsieht und einen kleinen Fußmarsch nicht scheut, stößt hier auf einmalige Orte, die man nie wieder vergisst. Es heißt nicht umsonst: »Wer sich in Sylt verliebt, den lässt die Leidenschaft nie wieder los.« Vom Millionär und Gentleman-Playboy Gunter Sachs stammt folgendes Zitat zum anderen Gesicht der Insel: »Ich fühle mich in Kampen auf Sylt ein bisschen wie ein Affe im Zoo … aber mit lieben Besuchern.«
Klar, wer den Sound neuester Sportwagen, Champagner und teure Boutiquen zum Glücklichsein braucht, wird auf Sylt ebenfalls fündig. Jeder wie er mag … und ich glaube, das beschreibt die Mentalität der Menschen hier am besten.
Sylt in Zahlen:
Länge von Nord nach Süd: 38 Kilometer
Breite von West nach Ost: 12,6 Kilometer (an der schmalsten Stelle sind es weniger als 500 Meter)
Und weil eben keine Straße nach Sylt führt, erfolgt die Anreise nur per Autozug, Fähre oder Flugzeug. Wer sich auf den Weg macht, dem wünsche ich viel Spaß auf der Insel. Vielleicht laufen wir uns ja zufällig bei Gosch über den Weg und essen zusammen ein Fischbrötchen. Aber Vorsicht: Nicht nur ich, sondern auch die Möwen dort sind verdammt hungrig ;)
Kampen/Sylt, Donnerstagabend
»Hier ist noch ein bisschen Platz im Tresor, Rudi!«, rief Agnes Knoop. Sie stand vor einem wahren Monstrum aus Stahl im Hinterzimmer ihres Juwelierladens. »Hörst du, Rudi? Es ist noch Platz für …«
Ihr Mann steckte den Kopf durch die halboffene Tür und schenkte seiner Frau ein Lächeln. Dabei strahlten seine Augen auch nach über vierzig Jahren Ehe wie am ersten Tag. »Ich höre dich, mein Schatz, und wenn du dich ein wenig geduldest, bin ich vorne gleich mit der neuen Uhrenkollektion fertig. Dann kannst du gerne deinen besten Freund damit füttern und für heute abschließen.« Gemeint war der überdimensionale Tresor, der ebenfalls ein Lächeln abbekam, allerdings eins der schrägen Sorte. Es folgte ein inbrünstiges Stöhnen. »Ich weiß gar nicht, wie die das Teil hier je wieder rausschaffen wollen, wenn wir uns demnächst zur Ruhe setzen.«
»›Zur Ruhe setzen‹«, flüsterte Agnes Knoop. »Glaubst du, du hältst es wirklich allein mit mir und deinem Garten aus? Ich meine – wir haben keine Enkelkinder und große Urlaubsreisen sind ja auch nicht so unser Ding. Erinnerst du dich noch an unsere erste und einzige Kreuzfahrt?«
Rudolf Knoops Gesicht verfinsterte sich. »Du hast recht! All das hier aufgeben? Wofür?«, sprach er und drehte sich filmreif im Kreis.
Was seine Frau mit einem unsicheren Blick quittierte. Und auch ihre Stimme klang nach wachsenden Zweifeln. »Falls du tatsächlich weitermachen willst … ich bleibe an deiner Seite – selbst wenn ich morgens mit einem Rollstuhl durch die Tür fahren muss. Immerhin reden wir von unserem Lebenswerk.«
»Jetzt pass mal auf, mein Schatz!« Rudolf Knoop packte seine Agnes an den Schultern und schüttelte sie sanft. »In drei Monaten ist endgültig Schluss. Auf diesen Moment haben wir unser Leben lang hingearbeitet. Vielleicht gebe ich den Karotten und Kohlköpfen Namen … drei Monate, dann lassen wir das Arbeitsleben ein für alle Mal hinter uns.«
Agnes Knoop zog die Tür zum Verkaufsraum weiter auf und linste an ihrem Mann vorbei. »Ich glaube nicht, dass heute noch jemand kommt. Wir könnten einfach abschließen und …« Sie lächelte schelmisch und wies kurz über die Schulter. »Erinnerst du dich, wie wir früher nach Feierabend manchmal übereinander hergefallen sind? Da waren die Wände noch grün und der Tresor stammte aus dem vorletzten Jahrhundert.«
»Du redest von der Zeit, als die Kinder klein waren und wir zu Hause keine ruhige Minute hatten. Falls ich mich recht entsinne, sind wir eigentlich immer und überall …« Ein leiser Gong, der vom Sensor an der Ladentür ausgelöst wurde, erklang und sorgte für eine Unterbrechung dieser schwärmerischen Reise in die Vergangenheit.
»Kümmerst du dich bitte«, bat Agnes Knoop ihren Mann. Als der sich in Bewegung setzte, lehnte sie die Tür hinter ihm an und widmete sich ihrem vermeintlich besten Freund. In dessen stählernen Fächern befand sich neben Schmuck und Uhren auch ein Schatz, den sie über Jahrzehnte hinweg angesammelt hatten und der ihnen im Alter ein komfortables Auskommen sichern sollte: Krügerrand Goldmünzen im Gegenwert einiger Millionen. Nach dem dritten Einbruch in das Juweliergeschäft der Knoops bestand deren Versicherung auf die Anschaffung eines neuen, aufbruchsicheren Tresors und ebenso auf Videoüberwachung in sämtlichen Räumen. Ansonsten hätte man den Vertrag vermutlich gekündigt.
Durch die Tür, die lediglich einen Spalt weit offen stand, hörte sie ihren Mann reden. Mit tiefer, sonorer Stimme, in die sie sich vor über vierzig Jahren sofort verliebt hatte. Die Hochzeit folgte gleich im Jahr darauf und mit Rückenwind, wie man so schön sagte. Ihr Sohn Holger war nämlich bereits auf dem Weg und dessen Mutter stand mit einer Kugel, die Verwandte und Freunde unmöglich übersehen konnten, stolz vor dem Altar. Zwei weitere Kinder und der Aufbau eines profitablen Juweliergeschäfts im munter wachsenden Kampen auf Sylt hatten zweifellos ihren Tribut gefordert. Aber nun – nach jahrzehntelanger Arbeit und all den Entbehrungen – würde bald Schluss damit sein.
Agnes Knoop, die gerade den Inhalt eines Tresorfaches in ein anderes verfrachtete, erstarrte mitten in der Bewegung, denn plötzlich war es im Hinterzimmer stockfinster. Das einzige Fenster war nicht nur doppelt vergittert, sondern auch seit zwanzig Jahren verdunkelt, um neugierige Blicke auszusperren. Im ersten Moment glaubte Agnes an einen Scherz ihres Mannes, doch dessen Stimme hörte sie – nun wesentlich lauter als zuvor – aus dem Verkaufsraum. Sie kannte ihren Rudi gut genug, wusste deshalb sofort, dass das kein gutes Zeichen war. Mitunter reichte dafür ein Kunde, der einen edlen Chronografen um tausende Euro runterhandeln wollte und zunehmend ungehalten wurde. An anderen, meist regnerischen Tagen außerhalb der Saison, wenn sich kaum jemand in das Juweliergeschäft verirrte, taten es auch Rückenschmerzen und fortschreitende Arthrose, um Rudolf Knoop schlechte Laune zu bereiten.
Nach ein paar wüsten Flüchen und einem dumpfen Schlag, der klang, als hätte ihr Mann mit der Faust auf eine der stabilen Vitrinen geschlagen, machte Agnes leise ein paar Schritte in Richtung Tür. Stimmen vernahm sie keine mehr, dafür schmerzerfülltes Keuchen, was für ein mulmiges Gefühl in ihren Eingeweiden sorgte.
»Alles in Ordnung, Rudi?«, fragte sie übertrieben laut. Eine Antwort blieb aus. »Rudi? Ist bei dir alles …?« Sie verstummte und verfluchte sich innerlich selbst, denn sie hatte, um zu lauschen, viel zu dicht an der Tür gestanden. Ein fataler und darüber hinaus schmerzhafter Fehler, denn als sie die Tür auf sich zurasen sah, blieb ihr keine Zeit mehr zum Ausweichen.
Mitten auf ihrer Stirn breitete sich eine regelrechte Explosion aus. Vergleichbar mit einem Ereignis, das Jahrzehnte zurücklag. Damals wollte ihr Rudi einen Apfelbaum um einen Ast erleichtern und sie war dumm genug gewesen, direkt darunter zu stehen. Die Folgen waren mehrere Tage Krankenhausaufenthalt sowie eine Beule, die sich erst Wochen später restlos verflüchtigte.
Sie taumelte zurück und musste mit ansehen, wie die Tür im nächsten Anlauf komplett aufflog. Darin erschien ein Mann, ein wahrer Riese. Und während sich dieser Hüne ihr mit seltsam bedächtigen Schritten näherte, sah sich Agnes Knoop einem ausdruckslosen, unrasierten Gesicht gegenüber. Jetzt veränderte sich etwas, denn die Augen nahmen einen Ausdruck an, der sie erschrocken zusammenzucken ließ. In diesen Augen erkannte sie etwas, das sie so noch nie zuvor erblickt hatte: blanke Mordlust!
Polizeipräsidium Niebüll, etwa zeitgleich
»Ich bring ihn um!«, fluchte Ole, der mit hochrotem Kopf ins Büro der Mordkommission gestürmt kam. »Wenn mich keiner von euch zurückhält, bring ich ihn um!«
»Wen?«, fragte Hannah, die in eine Akte vertieft war und für ihre Rückfrage nicht mal aufsah.
»Tu doch nicht so!«, ging es von Oles Seite unverändert aufgebracht weiter. »Das muss man sich mal vorstellen: Ich will mir eben im Lager ’ne neue Tintenpatrone für meinen Drucker holen und plötzlich steht Rohwedder hinter mir. Zuerst, ohne ein Wort zu sagen. Ich hab nur sein komisches Atmen gehört ... wie in ’nem Horrorfilm.«
Jetzt sah Hannah auf. »Und deshalb willst du ihn gleich umbringen? Kommt dir das selbst nicht auch ein bisschen kleinlich vor?«
»Er führt neuerdings Liste und meinte, ich hätte mir erst vergangene Woche ’ne neue Patrone geholt.«
»Stimmt ja auch«, steuerte Ralf bei und zog den Kopf ein, als er das Gesicht seines Kollegen sah.
»Weil ich sämtliche Berichte zu unserem Mordfall in Husum hier ausdrucken musste. Schließlich hat es Rohwedder geschafft, dass wir schon ewig keinen Zugriff mehr auf das neue Laserteil vorne haben.«
Hannah mischte sich ein. »Hast du ihn mal gefragt, wieso nicht?«
Ole war immer noch auf hundertachtzig. »Mit dem Blödmann werde ich bestimmt nicht über seinen Job diskutieren! Und mal davon abgesehen: Er hat mir, als Kripobeamten, überhaupt nichts zu sagen! Am besten ruf ich in Kiel an und beschwere mich über unseren neuen Revierleiter. Dann kann er noch von Glück reden, wenn er hinterher zwischen Joldelund und Süderlügum Streife fahren darf.«
Unterdessen war Hannah wieder in die Akte auf ihrem Schreibtisch versunken. Doch dann hob sie den Kopf und grinste. »Wenn du Rohwedder tatsächlich umbringst und im Knast landest, schnapp ich mir deinen Stuhl. Auf dem sitze ich nämlich viel bequemer als auf meinem.«
Ein Stück weiter ließ Ralf seinen Blick über Oles Schreibtisch schweifen. Vermutlich auf der Suche nach etwas Werthaltigem, das er annektieren würde, wenn sein Kollege hinter Gittern säße.
»Verkneif dir jedes Wort!«, fauchte Ole und hob drohend die Fäuste. Er sah Hannah und Ralf abwechselnd an, das Ergebnis war nach seinem Empfinden haarsträubend. »Ihr seid echt tolle Kollegen! Statt mir zu helfen, verteilt ihr mein Hab und Gut, noch bevor Rohwedder …«
»Ich kann es langsam nicht mehr hören!«, platzte Hannah dazwischen. Die Akte klappte sie zu und verpasste ihr einen lautstarken Klaps. »Ich kann Rohwedder auch nicht leiden, aber der Typ ist mir sowas von egal. Und wenn er jede Tintenpatrone auf einer von seinen Listen vermerken will, dann tu ihm einfach den Gefallen. Der Kleingeist wartet doch nur darauf, dass du dich angreifbar machst.«
»›Kleingeist‹ ist gut«, erwiderte Ole und lächelte erstmals seit Ewigkeiten. Danach drehte er sich im Kreis und schaute fragend. »Was ist hier eigentlich los? Wieso riecht es nicht nach Feierabend?«
»Hier müffelt es nach deinem Stinkekäse von heute Mittag«, beschwerte sich Ralf.
»Den hat mir die Mutter deiner Chefin als Pausenbrot mitgegeben. Du solltest also lieber gut überlegen, was du sagst.«
»Ob der von meiner Mutter ist oder nicht, ändert nichts am Gestank«, gab Hannah grinsend zu bedenken. »Außerdem wirst du immer komischer, seit du bei ihr wohnst.«
Auch Ralf war noch nicht fertig: »Wenn das nächste Mal was übrigbleibt, schmeiß die Käsereste lieber in Rohwedders Papierkorb!«
Ole war derweil mit seinem eigenen beschäftigt. »Da klebt alles zusammen«, knurrte er nach ein paar erfolglosen Versuchen. »Am besten bring ich das Ding nach draußen, bevor ich die Segel streiche.« Er war im Begriff, seinen Worten Taten folgen zu lassen, doch dann verharrte er kurzerhand und sah zu Ralf hinüber. »Ist für dich nicht heute schon Wochenende?«
»Ingrid arbeitet länger und kommt erst in ’ner Stunde in Niebüll an. Ihr Auto lässt sie auf der Insel und wir fahren mit meinem ins verlängerte Wochenende.«
»Wo gehts denn hin?«, fragte Hannah, die bereits stand und plötzlich Feierabendstimmung versprühte.
»Bad Lauterberg im Harz. Sollten Sie sich auch mal ansehen, Chefin. Ingrid hat dort ’ne hübsche kleine Ferienwohnung. Wenn Sie wollen, frage ich mal, wann die wieder frei ist und ob …«
Ole unterbrach ihn lachend: »Du und deine Ingrid – ihr liegt doch ohnehin nur den ganzen Tag im Bett. Dafür müsst ihr nicht nach Bad Gurkenheim fahren.«
»Bad Lauterberg«, korrigierte Ralf angesäuert. »Und was Ingrid und ich den ganzen Tag so treiben, geht dich rein gar nichts an!«
Hannah beschränkte sich darauf, zu schweigen und musterte ihre zwei Streithähne amüsiert. Dafür lehnte sie sich zurück und verschränkte die Hände vor der Brust.
Ole holte schon zum nächsten Schlag aus: »So, so ... euer Privatleben geht mich also nichts an«, zitierte er sinngemäß und tat so, als müsse er darüber nachdenken. »Wer hatte denn vor ’n paar Wochen Riesenkrach mit seiner Ingrid und hat mich auf Knien angefleht, mit ihr zu reden? Um ihr klarzumachen, wie sehr ihr Ralfi sie liebt und was er alles für sie tun würde.«
»Ist ja gut!« Ralf stand auf, ging zu Ole und streckte ihm seine Rechte entgegen. Die beiden umarmten sich kurz, wie man es unter Freunden tut. »Hast du mir sonst noch was zu sagen oder darf ich mit deinem Segen ins lange Wochenende starten?«
»Ich mach mich auch gleich vom Acker und wünsch dir viel Spaß! Sag deiner Ingrid, dass sie sich die neunte Staffel von Suits sparen kann. Da ist die Luft raus«, murmelte Ole grinsend.
»Und ich bin dann ebenfalls weg«, steuerte Hannah bei. »Frank und ich haben uns gegenseitig Serienverbot erteilt und proben heute unseren ersten Redeabend.«
»Was soll das denn sein?«, fragte Ole hörbar skeptisch.
»Wir hocken einfach nur zusammen, essen, trinken was und reden über Gott und die Welt.«
»Heißt das, ihr seid mit House of Cards durch?«
Diese Nachfrage sorgte in Hannahs Fall für ein deutlich erkennbares schlechtes Gewissen. Obwohl ihr Verlobter nicht in der Nähe war, senkte sie die Stimme. »Die beiden letzten Staffeln hab ich mir hier im Büro reingezogen. Ich musste doch wissen, wie es zu Ende geht.«
»Und Frank?«
Jetzt grinste Hannah. »Als er neulich bis spät in die Nacht im Büro war, hab ich am nächsten Morgen seine Sekretärin angerufen. Die hat auf seinem Computer nachgesehen …«
»Und?«
»Der falsche Hund war mit der letzten Staffel sogar vor mir fertig.«
Ole, der herzhaft lachte, musste innehalten, weil sein Telefon klingelte. Er langte zum Hörer und meldete sich keuchend: »Friedrichsen!«
»Martin hier. Hannah hat schon auf die zentrale Durchwahl umgeleitet.«
Ole tauschte einen kurzen Blick mit seiner Chefin und erhielt dabei den Freischein für eine kleine Notlüge. »Hannah ist lange weg. Irgendwann müssen wir ja auch mal Feierabend machen.«
Dieser Kommentar hinterließ bei Martin Clausen offenbar keinen großen Eindruck. »Die Einsatzleitstelle hat eben ’ne Streife nach Kampen geschickt. Angeblich gabs bei Knoop ein Blutbad.«
»Juwelier Knoop?«
»Kennst du noch einen anderen in Kampen?«
Ole holte hörbar Luft. »Wie sicher ist die Geschichte?«
»Ein Rettungswagen war zufällig auf der Ecke und ist bereits vor Ort. Ich hab gerade mit dem Notarzt telefoniert … im Laden ist alles verwüstet und es sieht so aus, als hätten es Rudi und Agnes nicht überlebt.«
»Kennst du die beiden schon länger?«, fragte Ole, dem inzwischen jeglicher Frohsinn vergangen war.
»Ich kenne jeden Insulaner schon länger! Würdest du bitte Hannah aus dem Feierabend holen? Früher oder später wird sie doch sowieso angeklingelt.«
Ole warf erneut einen Blick in Richtung seiner Chefin. »Lass das mal meine Sorge sein, Martin! Wir machen uns direkt auf den Weg und stehen auf dem nächsten Autozug.«
»Was ist los?«, fragte Hannah sofort, nachdem Ole aufgelegt hatte.
»Sagen dir die Namen Agnes und Rudi Knoop was?«
»Die betreiben auf Sylt eins der ältesten Juweliergeschäfte. Meine Eltern haben dort ihre Eheringe gekauft, da war ich noch ein kleines Kind. Warum fragst du?«
»Laut Martin liegen die Knoops blutüberströmt in ihrem Laden. Die Streifenkollegen sind unterwegs, schätze, in Kürze hören wir mehr.«
Nach ausgedehntem Schweigen reagierte Ralf als Erster. »Ich ruf sofort Ingrid an und sag ihr, sie kann zu Hause bleiben.«
Hannah mühte sich um ein Lächeln. »Sie wollen Bad Gurkenheim und die hübsche kleine Ferienwohnung einfach so sausen lassen? Das kommt gar nicht infrage, Herr Jansen!«
»Bad Lauterberg«, korrigierte Ralf abermals. »Sagen Sie nicht immer, dass Arbeit vorgeht und alle privaten Aktivitäten warten müssen, wenn wir einen neuen Fall haben?«
Hannah nickte, was sie aber nicht von einer Widerrede abhielt: »Erstens geht es bei Ihnen ja nur um ein verlängertes Wochenende und zweitens kriegen Ole und ich das schon allein hin. Sie packen Ihre Sachen und machen sich auf den Weg nach Bad …«
»… Lauterberg! Danke, Chefin!«
»Und wir sind mal wieder reif für die Insel«, stöhnte Ole. »Beweg dich, Hannah! Der nächste Autozug nach Westerland fährt in nicht mal zehn Minuten ab. Mit Glück erwischen wir den noch.«
Das Glück war den Ermittlern hold. Als eins der letzten Autos hatten sie es auf den Zug geschafft und Klanxbüll bereits passiert. Jeden Moment würden sie den Hindenburgdamm erreichen. Die Augustsonne hing tief über der Nordsee und tauchte das Wattenmeer in goldene Farben.
»Über den Sommer dieses Jahr kann sich niemand beschweren«, murmelte Ole vor sich hin. »Die Insel platzt jedes Wochenende aus allen Nähten. Ich frag mich, wie das weitergehen soll. Irgendwann wird alles wegen Überfüllung geschlossen.«
Hannah, deren Hände auf dem Lenkrad lagen, als müsse sie auch auf dem Zug lenken, sah zur Seite. »Hast du gelesen, dass sie weitere Ferienwohnungen verbieten wollen? Um mehr Platz für Einheimische zu schaffen.«
»Wird ohnehin nicht funktionieren. Hast du mitgekriegt, welche Strafen jemandem drohen, der sich nicht dran hält? Nahezu lächerlich! So ’nem Immobilienhai ist das doch völlig egal, der verbucht die Strafe unter Trinkgeld. Wenn du mich fragst, ist der Zug abgefahren und auf Sylt wird sich nie wirklich was ändern.«
»Ralf hat sich verändert«, sagte Hannah nach längerer Pause. Mittlerweile schaute sie durch die Frontscheibe auf das Heck eines Golfs mit Bochumer Kennzeichen. Auf dessen Rückbank tummelten sich mindestens drei Kinder, die immer verrücktere Grimassen schnitten. »Ich freue mich für ihn und Ingrid, aber …«
»Was?«, hakte Ole nach, weil seine Chefin plötzlich schwieg. »Du selbst hast ihn doch mehr oder weniger nach Bad Gurkenheim beordert und meintest, wir kämen auch allein klar.«
Hannah verkniff sich beim Namen der kreierten Fantasie-Ortschaft nur mit Mühe ein Grinsen. »Das ist ja für sich gesehen auch völlig okay. Trotzdem ist der liebe Herr Jansen leider nur noch selten richtig bei der Sache. Letzte Woche hat er mehrfach Dinge vergessen oder Aufgaben einfach nicht erledigt.«
»Passiert mir doch auch häufiger«, relativierte Ole.
»Bei dir war das aber auch noch nie anders! In Ralfs Fall …«
»Herzlichen Dank, Hannah! Dir kann es ohnehin keiner recht machen. Was hauptsächlich daran liegt, dass du heute dies und morgen was ganz anderes willst. Wie soll man da …?«
»Lass uns über den neuen Fall reden! Martin ist bestimmt längst da und ich befürchte, es wird ’ne lange Nacht werden.«
»Wie gut kennst du dieses Juwelier-Ehepaar eigentlich?«
Hannah runzelte die Stirn. »Hab ich euch doch vorhin erzählt: Meine Eltern haben vor zig Jahren ihre Eheringe bei den Knoops gekauft. Heutzutage schießen solche Läden wie Pilze aus dem Boden und sind morgen wieder verschwunden. Knoop ist in meinen Augen ’ne wahre Institution und ich denke, immer noch ziemlich erfolgreich.«
»Wie siehts denn bei dir und Frank aus?«
»Bei ihm läuft es blendend. Er ist zwar nur Sylter Bürgermeister, scheint sich in der Rolle aber pudelwohl zu fühlen. Ich glaube nicht, dass es ihn in absehbarer Zeit nach Kiel oder Berlin in die große Politik zieht. Ist auch besser so, sonst hör ich ihn demnächst im Fernsehen stottern.«
»Ich wollte wissen, wie es bei euch beziehungstechnisch aussieht!«
»Kein Kommentar!«, erwiderte Hannah mit schiefem Grinsen.
»Aber ihr seid noch verlobt, oder?«
Hannah schaute zur Seite. »Natürlich! Hast du etwa Angst, dass es bei uns irgendwann wie in House of Cards abgeht?«
»Mit Mord und Totschlag? Bei euch endet es wohl eher wie …«
»Danke!«, unterbrach Hannah rüde. Schließlich hatte sie, was die Fortsetzung betraf, schon einige Vorstellungen. »Zurück zu unserem Fall: Ich müsste meine Mutter fragen, aber soweit ich weiß, sind die Knoops unheimlich aktiv, wenn es sich um soziale Projekte auf Sylt dreht. Falls sie wirklich tot sind, gehen der Insel zwei wichtige Unterstützer verloren.«
Oles Handy klingelte. »Das ist Martin«, sagte er, bevor er das Gespräch mit einem Wisch annahm.
»Mach laut!«, knurrte Hannah neben ihm.
»Wir sind auf dem Zug und bald in Westerland«, fing Ole an, nachdem der Lautsprecher aktiviert war. »Bist du schon vor Ort?«
Martin Clausen – seines Zeichens Sylter Ein-Mann-Kripo – klang zutiefst erschüttert: »Ja … und hier hat einer kurzen Prozess gemacht. Agnes und Rudi liegen in großen Blutlachen am Boden. Sieht nach ’nem Raubüberfall aus. Der Tresor ist leergeräumt und von den Vitrinen ist auch kaum was übrig.«
Hannah lehnte sich zur Seite, packte Ole am Handgelenk und zog es samt Smartphone zu sich heran. »Hast du die Spurensicherung schon informiert?«
»Klar, dauert jedoch etwas, weil die meisten Kollegen im Urlaub sind. Der kümmerliche Rest beschäftigt sich gerade mit ’ner Wohnung in Neumünster. Da gabs ’ne Schießerei und ebenfalls zwei Tote. Aber wenn die Kollegen fertig sind, machen sie sich direkt auf den Weg hierher.«
»Ist der Tatort gesichert?«
»Vor der Tür wimmelt es nur so von Schaulustigen«, stöhnte Clausen. »Kein Wunder – bei dem Wetter. Wir haben die Ladentür abgesperrt und die Fenster von innen verhängt. Das muss man sich mal vorstellen: Die haben sich da draußen fast geprügelt, um Fotos zu machen und …«
»Ist gut, Martin«, unterbrach Hannah für ihre Verhältnisse sanft. »Hältst du noch ein bisschen durch oder sollen wir einen Bundeswehr-Tornado anfordern, der für Ordnung sorgt?«
Clausen lachte und beendete das Gespräch kurzum.
»Ich glaube, du kannst mein Handgelenk jetzt loslassen«, beschwerte sich Ole, weil Hannah keinerlei Anstalten machte.
Zumindest hatte sie ein Fazit parat. »Damit wäre es wohl amtlich: Sylt verliert zwei seiner wertvollsten Mitbürger.«
»Willst du Frank informieren?«
»Warum sollte ich?«
Ole ließ sich mit seiner Reaktion Zeit. »Früher habt ihr euch doch auch über alles ausgetauscht, was die Insel betrifft. Falls ich mal mit ihm reden soll, musst du es nur sagen.«
»Worüber reden?«, hakte Hannah in grenzwertigem Ton nach.
»Glaubst du, ich bin blind? Ihr telefoniert schon seit Wochen nicht mehr miteinander, Nachrichten werden auch keine mehr ausgetauscht und du blätterst unentwegt in irgendwelchen alten Akten. Willst du mir immer noch erzählen, dass bei euch alles blendend läuft?« Hannah wollte bereits antworten – sicher kein umfassendes Geständnis in Sachen Beziehung ablegen – doch Ole kam ihr mit weiteren Worten zuvor: »Und bevor du mir jetzt ’ne Breitseite verpasst: Vergiss nicht, wir sind Freunde!«
»Ja, es ist nicht mehr alles wie in den ersten Tagen und Wochen«, stöhnte Hannah, nachdem sie sich erkennbar heruntergefahren hatte. »Aber wo ist das denn so? Ich denke, bei anderen Paaren ist nach fast zwei Jahren Beziehung auch ein bisschen die Luft raus. Oder siehst du das etwa anders?«
»Ich hab noch nie so lange durchgehalten«, räumte Ole nach kurzem Zaudern ein. »Vielleicht, weil ich vor genau solchen Alltagsproblemen Angst habe.«
Während der Autozug in Westerland immer langsamer wurde und inzwischen beinahe stand, sah Hannah Ole direkt an. Ihre Augen wirkten traurig. »Willkommen im Club! Und falls dir irgendwann ’ne Lösung übern Weg läuft, sag gerne Bescheid.«
»Da draußen ist ja wirklich die Hölle los. Wir mussten oben an der Straße parken, weil ansonsten kein Durchkommen war«, beklagte sich Hannah, bevor sie Martin Clausen überhaupt begrüßte.
»Wir haben nur eine Streife und die Kollegen sind völlig überfordert«, erklärte der, während Hände geschüttelt wurden. »Vielleicht fordern wir lieber Verstärkung an, um einigermaßen Ordnung zu schaffen.«
»Was hast du bis jetzt herausgefunden?«, fragte Hannah und überging damit zunächst den Vorschlag.
»Für mich siehts so aus, als wären der oder die Täter einfach durch die Vordertür in den Laden spaziert. Hinten, wo Agnes mit eingeschlagenem Schädel liegt, ist die Tür abgesperrt und wahrscheinlich vor Jahren zum letzten Mal geöffnet worden. Davor stapeln sich Kartons, Prospekte … man glaubt es gar nicht.«
Ole drehte sich im Kreis und zog somit die Aufmerksamkeit seiner Chefin auf sich.
»Na, wie ist dein erster Eindruck?«
»Überall Kameras. Sollte doch mit dem Teufel zugehen, wenn die nicht irgendwas aufgenommen haben.«
Hannah nickte zufrieden. Sie machte ein paar Schritte zur Seite und schob sich zwischen zwei gläsernen Vitrinen hindurch, in denen bloß noch kümmerliche Überreste von Schmuck zu finden waren. Den überwiegenden Teil hatte sich jemand in größter Eile gewaltsam angeeignet. Hinter einer der Vitrinen lag Rudolf Knoop. Genauer gesagt: dessen Leiche.
»Fest steht, dass Rudi sich ordentlich gewehrt hat«, kommentierte Martin Clausen aus einiger Entfernung. »Da sind haufenweise blutige Handabdrücke und rechts von dir …« Clausen wartete, bis sich Hannah zu der erwähnten Stelle hinunterbückte. »… ist er wohl mit dem Kopf aufgeschlagen und k.o. gegangen. Da sind Blut und Haare – solche Spuren hat er bestimmt nicht freiwillig hinterlassen.«
»Du meinst, einer hat ihn mit dem Kopf auf die Vitrine gedonnert?«, nuschelte Hannah.
Clausen nickte, auch wenn niemand davon Kenntnis nahm. »Wer weiß, wie die Sache abgelaufen wäre, wenn er sich nicht gewehrt hätte? Wahrscheinlich hätten Agnes und Rudi überlebt und Tränen hätte es nur bei der Versicherung gegeben, weil …«
»Ist schon klar«, unterbrach Hannah sanft. Jetzt folgte eine Beschwerde: »Warum ist es hier drinnen eigentlich so dunkel? Ich kann ja kaum was erkennen!«
»Die Fenster hab ich nach meinem Eintreffen gleich als Erstes verhangen. Einer der Streifenkollegen hat mir dabei geholfen.«
»Gibt es für solche Fälle neuerdings nicht sowas wie elektrisches Licht?«
»Hier gibt es offenbar keinen Strom!«, erwiderte Clausen, erstmals leicht genervt. »Und bevor du weiter meckerst: Ich bin kein Elektriker, Hannah! Wir haben jeden Schalter probiert, aber … du siehst ja selbst, was Sache ist.«
Ole ergriff das Wort: »Ich geh raus und sag den Kollegen, sie sollen Verstärkung anfordern. Bei der Gelegenheit schau ich mich mal um, ob sich jemand am Verteiler zu schaffen gemacht hat.«
»Wie schautʼs sonst bei dir aus?«, fragte Clausen, als man unter vier Augen war. »Wir haben uns lange nicht gesehen. Dachte schon, du wärst sauer auf mich.«
Hannah, die immer noch mit dem Rand der Vitrine beschäftigt war und inzwischen ihre Taschenlampe zu Hilfe nahm, hob den Kopf. »Weshalb sollte ich sauer auf dich sein? Wir hatten neulich den Fall in Husum, danach einen blutrünstigen Familienvater in Schafflund. Da bleibt kaum Zeit, um nebenbei …«
»Von der Sache in Schafflund hab ich gehört. Was ist denn aus den vier überlebenden Kindern geworden?«
Hannah, deren Aufmerksamkeit längst wieder einer der Vitrinen galt, hielt inne und läutete die Erklärung mit einem geräuschvollen Stöhnen ein: »Ich hab letzte Woche mit der Verantwortlichen beim Jugendamt telefoniert. Die älteste Tochter ist in der Psychiatrie gelandet, ihr Bruder im Heim und die zwei jüngsten sind wohl bei ’ner Pflegefamilie untergekommen. Legst du Wert auf weitere Details?« Clausen winkte ab, doch das nahm Hannah nicht mal wahr oder ignorierte es schlichtweg. »Ich habe selten einen Fall erlebt, bei dem die Beweislage so eindeutig war. Alles spricht gegen den Familienvater, aber der hüllt sich unverändert in Schweigen. Wenn das so weitergeht, müssen seine restlichen Kinder vor Gericht antreten und in allen Einzelheiten schildern, wie ihre Mutter und vier ihrer Geschwister nacheinander abgeschlachtet wurden. Da wird einem richtig warm ums Herz, findest du nicht?«
»In erster Linie möchte ich niemals deinen Job machen«, konstatierte Clausen nach kurzem Überdenken. Jetzt deutete er auf den Bereich vor Hannahs Füßen und anschließend in Richtung Hinterzimmer. »Kanntest du die Knoops?«
Hannah überlegte, ob sie ein weiteres Mal über ihre Eltern und deren Eheringe referieren sollte, entschied sich jedoch fürs Gegenteil. »Nicht besonders gut. Alter Sylter Geldadel, richtig?«
»Der immer auf dem Teppich geblieben ist! Agnes hat viel Jugendarbeit geleistet und etliche Projekte mit Geld unterstützt. Rudi hat nicht gerne drüber gesprochen, aber viele auf der Insel haben ihm ’ne Menge zu verdanken. Übrigens … die beiden wollten sich im Herbst zur Ruhe setzen.«
»Gibt es einen Nachfolger?«
»Soweit ich weiß, nicht. Dafür kenne ich die beiden auch zu wenig.«
»Kinder?«
»Zwei Söhne und eine Tochter, wenn ich mich nicht irre.«
Hannah bewegte sich vorsichtig nach hinten und schlängelte sich nun zwischen anderen Vitrinen hindurch, denen sie für einen Moment ihre Aufmerksamkeit widmete. »Die haben alles mitgenommen, was sie auf die Schnelle schnappen konnten. Hast du dich im Hinterzimmer genauer umgesehen?«
»Dort steht ein riesiger Tresor. Wir müssen auf das Ergebnis der SpuSi warten, weil der komplett ausgeräumt wurde. Außerdem sieht es da noch chaotischer aus als hier.«
Ein Klopfen an der Ladentür unterbrach das Gespräch. Mehrfach war das Gesicht einer Frau zu erkennen, die sich ein paar Meter entfernt lautstark gegen einen der Uniformierten zur Wehr setzte.
»Die Schaulustigen werden auch immer dreister«, fluchte Hannah und drehte sich um.
»Das ist Vera … Vera Böhme. Sie arbeitet schon seit Ewigkeiten für die Knoops«, informierte Clausen eilig.
»Dann sollten wir sie lieber reinlassen.«
Das wurde überflüssig, denn Ole kehrte von seinem Außeneinsatz zurück. Von drinnen war zu hören, wie er mit Vera Böhme diskutierte und die kurz darauf vor sich her in den Laden schob. Er holte sofort zu einer Erklärung aus: »Keine Angst, das ist Frau …«
»Wissen wir längst!«, schnitt ihm Hannah das Wort ab und wandte sich an Vera Böhme. »Mein Kollege sagt, Sie arbeiten für die Knoops.«
»Ja, seit über zwanzig Jahren«, kam es mit zitternden Lippen zurück. »Sagen Sie mir bitte, was passiert ist?«
»Es tut mir schrecklich leid, aber die Knoops sind tot. Offenbar hat hier ein Raubüberfall stattgefunden, bei dem …« Hannah verstummte mitten im Satz. Notgedrungen, denn sie musste mit ansehen, wie Vera Böhme zuerst mit den Augen rollte, dann zu taumeln anfing und zweifellos auf dem grauen Nadelfilz gelandet wäre, wenn Ole nicht das Schlimmste verhindert hätte.
Er bettete den Körper der ohnmächtigen Frau behutsam auf den Boden und sah panisch zu seiner Chefin auf. »Sollen wir einen Arzt rufen?«
»Erst mal probieren wir es mit feuchten Tüchern und gutem Zureden. Ein Arzt macht die Knoops auch nicht wieder lebendig ...«
»Wo ist eigentlich Ralf?«, fragte Martin Clausen, der neben der ohnmächtigen Vera Böhme kniete und ihr Gesicht mit einem feuchten Handtuch tupfte.
Hannah konnte sich ein kurzes Lachen nicht verkneifen. »Wieso? Glaubst du, der kann das besser als du?«
»Er fährt übers Wochenende mit seiner Ingrid in den Harz. Wahrscheinlich sind sie gerade unterwegs«, lieferte Ole den aktuellen Stand.
»Scheint was Ernstes zwischen den beiden zu sein, oder? Ich hätte mir nie vorstellen können, dass einer wie Ralf …« Clausen hielt inne, denn Vera Böhme meldete sich hustend zurück. Nach ein paar Atemzügen und mit ein wenig Hilfe setzte sich die Frau auf und lehnte jetzt an einer der Glasvitrinen.
»Vielleicht reden wir lieber woanders mit ihr«, schlug Ole flüsternd vor, wofür er sich an Hannahs Seite gesellte.
»Willst du Martin hier allein lassen? Bis die SpuSi eintrifft und ein Staatsanwalt den Abtransport der Leichen genehmigt, ist es mindestens Mitternacht – vermutlich später.«
Ole wandte sich deutlich lauter an Vera Böhme: »Gehts wieder einigermaßen? Wollen Sie ein Glas Wasser oder soll ich mal schauen, ob ich irgendwo einen Schokoriegel herbekomme?«
Kopfschütteln. Die Frau sah die Polizisten rundherum nacheinander an. »Sind die Knoops wirklich tot?«
»Den Anblick werden wir Ihnen auf jeden Fall ersparen«, schritt Hannah ein und deutete auf eine kleine Sitzgruppe rechts vom Eingang. Dort hatten in der Vergangenheit sicherlich Verkaufsgespräche stattgefunden. »Schaffen Sie es da rüber? Mein Kollege hilft Ihnen gerne.«
»Es geht schon«, keuchte Vera Böhme und rappelte sich hoch. Als sie saß, mühte sie sich um ein Lächeln in Oles Richtung. »Ein Glas Wasser wäre doch ganz nett.«
Während sich Ole nach hinten begab, sah sich die Frau zum ersten Mal richtig um. »Wieso ist es hier eigentlich so dunkel?«
»Der Strom ist ausgefallen«, antwortete Hannah wahrheitsgemäß. »Oder wissen Sie mehr als wir? Gibt es einen Hauptschalter, der abends deaktiviert wird oder …?«
»Die haben hinter dem Haus die Hauptleitung gekappt«, wusste Ole zu berichten, der mit dem gewünschten Glas Wasser zurückkehrte. »Ziemlich professionell gemacht.«
Hannah warf erst Ole und dann auch Martin Clausen einen unmissverständlichen Blick zu. Da man sich länger kannte, war klar, was der bedeutete.
»Wir sehen mal, ob wir draußen endlich für Ordnung sorgen können«, stellte Ole in Aussicht. »Dauert wohl noch, bis die SpuSi eintrifft und sich was tut.«
»›SpuSi‹« wiederholte Vera Böhme fragend, nachdem die Männer den Laden beinahe fluchtartig verlassen hatten.
»Unsere Kollegen von der Spurensicherung«, erklärte Hannah, wobei sie die Einmalhandschuhe von ihren Fingern streifte. Auch wenn ihr nicht nach einem Lächeln zumute war, versuchte sie, eine halbwegs überzeugende Variante davon aufzusetzen. »Ich muss so schnell und so viel wie möglich über die Knoops erfahren – am besten mit Ihrer Hilfe. Fühlen Sie sich dazu imstande? Oder sollen wir noch ein bisschen warten?«
»Was möchten Sie denn wissen?«, schniefte Vera Böhme.
»Wie lange haben Sie für das Ehepaar Knoop gearbeitet?«
»Im Dezember wären es vierundzwanzig Jahre geworden. Aber das sollte ja ohnehin nicht mehr passieren …«
»Weil sich die Knoops zur Ruhe setzen wollten, richtig?«
Nicken.
Worüber sich Hannah ärgerte, denn ihre geschlossenen Fragen ließen solche Antworten überhaupt erst zu. Entsprechend vage fuhr sie fort: »Was können Sie mir ansonsten über die beiden erzählen? Über Ihr Verhältnis zueinander, die Kinder der Knoops … alles eben.«
»Die zwei waren wie Eltern für mich«, fing es mit Tränen in den Augen an. »Herr Knoop war sogar der Patenonkel von meinem Sohn und … das war im Prinzip wie Familie.«