Für die Sterne bestimmt - Mary Robinette Kowal - E-Book

Für die Sterne bestimmt E-Book

Mary Robinette Kowal

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Beschreibung

1961 plant die Menschheit den ersten Flug zum roten Planeten. Elma York, die als »Lady Astronaut« berühmt wurde, will daran teilnehmen, doch die Mission verlangt Opfer. Soll sie wirklich ihren Mann und die Chance, eine Familie zu gründen, hinter sich lassen, um Jahre im All zu verbringen? Und dann ist der Missionsleiter auch noch Colonel Parker, Elmas persönlicher Erzfeind, mit dem sie eine schwierige Vergangenheit verbindet. Die Herausforderungen sind groß, doch Elma setzt alles daran, ihren Traum zu verwirklichen – denn das Überleben der Menschheit hängt davon ab, dass der Sprung ins Weltall gelingt.

»So spannend wie ›Der Marsianer‹. Ein richtig großartiges Buch.«
ORF über »Die Berechnung der Sterne«

Mit dem zweiten Band »Für die Sterne bestimmt« setzt Mary Robinette Kowal ihre preisgekrönte Alternativweltgeschichte fort, die mit »Die Berechnung der Sterne« begann.

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Entdecke die Welt der Piper Science Fiction!

www.Piper-Science-Fiction.de

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Judith C. Vogt

© Mary Robinette Kowal 2018

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»The Fated Sky« bei Tor Books, New York, 2018

© Piper Verlag GmbH, München 2022

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestalung: Guter Punkt, München nach einem Entwurf von Jamie Stafford-Hill

Coverabbildung: Gregory Manchess

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich der Piper Verlag die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Zitat

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Zweiundzwanzig

Dreiundzwanzig

Vierundzwanzig

Fünfundzwanzig

Sechsundzwanzig

Siebenundzwanzig

Achtundzwanzig

Neunundzwanzig

Dreißig

Einunddreißig

Zweiunddreißig

Epilog

Dank

Historisches

Bibliografie

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Literaturverzeichnis

Für meine Nichte Laura Olafson, die in unendliche Weiten vorstößt.

Oft ists der eigne Geist, der Rettung schafft,Die wir beim Himmel suchen. Unsrer KraftVerleiht er freien Raum, und nur dem Trägen,Dem Willenlosen stellt er sich entgegen.Welch eine Macht hebt meine Lieb so hoch,Heißt mich erst sehn und macht mein Aug nicht froh?Des Glückes weitsten Raum vereint Natur,Dass sich das Fernste küsst wie Gleiches nur.Unmöglich sei für den ein kühner PlanDer seine Mühn bei sich erwägt, im Wahn,Was war kann nicht mehr sein. Die ihren WertZu zeigen rang, hat sie je Lieb entbehrt?Des Königs Krankheit … täuscht mich nicht, Gedanken;Ich halte fest und folg euch ohne Wanken.

Helena in Ende gut, alles gut, William Shakespeare

Eins

IAC-Leitung gegen Budgetkürzungen

von JOHN W.FINNEY

Extrablatt der National Times

16. August 1961 – Horace Clemons, Leiter der International Aerospace Coalition, warnte die Vereinten Nationen heute, alle Einschnitte ins bereits »minimale« Raumfahrtbudget würden eine bemannte Landung auf dem Mars noch in diesem Jahrzehnt verhindern. Er rief zudem in Erinnerung, dass jede Verzögerung im Zeitplan der ersten Marsexpedition die Kosten in die Höhe triebe, die bereits auf 20 Milliarden Dollar geschätzt werden. Ein direktes Resultat der in diesem Jahr vom Kongress vorgenommenen Budgetkürzung um 600 Millionen Dollar sei, dass die IAC die »Versicherung« habe opfern müssen, die im Programm als »Schutz gegen unvorhersehbare oder hartnäckige technische Probleme« verankert gewesen sei, sowie die Verschiebung entscheidender experimenteller Flüge mit dem Cygnus-Raumfahrzeug.

Erinnerst du dich daran, wo du warst, als die Friendship-Sonde auf dem Mars landete? Ich steckte gerade mitten in den Vorbereitungen für meine Rückreise vom Mond, wo ich eine Dreimonatsschicht in der Artemis-Basis absolviert und geologische Angestellte von unserer kleinen Kolonie zu ihren verschiedenen Untersuchungsgebieten geflogen hatte.

Obwohl wir alle Astronautinnen und Astronauten waren, konnte nur eine Handvoll von uns tatsächlich fliegen, was allerdings vor allem dazu führte, dass ich mir wie eine glorifizierte Busfahrerin vorkam.

Der Rest der zweihundert Menschen, die die Basis besiedelten, kam und ging, je nachdem, welche Aufgaben sie auf dem Mond erfüllten. Nur etwa fünfzig waren »Permanente« und wohnten in den Untergrundbunkern, die unser Zuhause darstellten.

Zusammen mit etwa der halben Bevölkerung der Basis bewegte ich mich halb hopsend, halb gehend in schwacher Gravitation durch eine der unterirdischen Fußgängerröhren, die wir »Baker Street« genannt hatten, hinüber in die »Innenstadt«. Da es keine Atmosphäre gab, die uns vor der kosmischen Strahlung auf dem Mond abschirmte, hatten wir die oberste Schicht der Mondoberfläche zusammenscharren und die Gänge unter Regolith begraben müssen. Optisch sah die Basis von außen aus wie eine verwitternde Sandburg. Von innen bestand sie größtenteils aus Gummi, ab und an von Lichtquellen, Aluminiumstreben und Drucktüren unterbrochen.

Eine der Türen öffnete sich mit einem Zischen, und Nicole hopste mit der Klinke in der Hand hindurch. Sie schloss die Tür nachdrücklich hinter sich.

Ich spreizte die Beine, um meinen Vorwärtsdrall zu stoppen, als ich meinen letzten Hüpfer beendete. Nicole war mit dem letzten Schiff gekommen, um ihre Schicht hier anzutreten, und ich freute mich sehr, sie zu sehen. »Guten Morgen!«

»Ich dachte, du wärst auf dem Rückweg zur Erde!« Wie ich trug Nicole einen leichten Druckanzug und den Sicherheitshelm aus Gummi wie eine Gasmaske aus dem Krieg am Gürtel. Beides brachte nicht viel, aber sollten die Röhren brechen, würden wir so zehn Minuten lang mit Sauerstoff versorgt und könnten uns in Sicherheit bringen.

»Bin ich auch, aber ich will auf keinen Fall die erste Sondenlandung auf dem Mars verpassen!« Ich war als Co-Pilotin eines kleinen Shuttles zwischen der Basis und der Lunetta, der IAC-Plattform in der Umlaufbahn, eingeteilt. Das war kaum mehr als ein Weltraumbus, doch die großen Schiffe wie die der Solaris-Klasse von der Lunetta zur Erde wurden alle von Männern gesteuert – nicht, dass das irgendwie ein Streitthema für mich wäre oder so. Ich tätschelte die Reisetasche, die ich über der Schulter trug. »Danach mach ich mich sofort auf den Weg zur Lunetta-Rakete.«

»Bestell einer heißen Dusche schöne Grüße von mir.« Sie hopste mit mir die Baker Street hinab. »Denkst du, wir sehen Marsmännchen?«

»Wahrscheinlich nicht. Es sieht da so öde aus wie auf dem Mond, zumindest den Bildern aus der Umlaufbahn nach zu urteilen.« Wir hatten das Ende der Baker Street erreicht. Das Deltadruckanzeigegerät an der Tür zeigte den normalen Mond-Wert von 0,34 bar an, daher betätigte ich den Ratschengriff, um sie zu öffnen. »Nathaniel sagt, er zieht sich eigenhändig die Eckzähne, wenn es Marsmännchen gibt.«

»Das ist … anschaulich. Aber wo wir gerade von ihm sprechen: Wie geht es ihm?«

»Gut.« Ich öffnete die Tür. »Er hat Sehnsucht nach … nun ja … Raketenstarts.«

Lachend schlüpfte Nicole durchs Schott zwischen Baker Street und der Innenstadt. »Ach, ihr beide seid ja noch immer wie Frischvermählte!«

»Ich bin ja nie zu Hause!«

»Du solltest ihn mal hierher einladen.« Sie zwinkerte mir zu. »Ich meine, jetzt, wo Privatquartiere eine Option sind.«

»Genau … Du und der Senator, ihr solltet vielleicht mal darüber nachdenken, wie gut Geräusche durch die Lüftungsschächte zu hören sind.« Ich begann damit, das Schott zu schließen.

»Wartet!« Eugene Lindholm kam mit langen Sprüngen die Baker Street herab. Falls du noch nie gesehen hast, wie Leute sich in geringer Schwerkraft bewegen: Es ist ein bisschen, als würde sich die Grazie eines Kleinkinds mit den ausholenden Sprüngen eines Gepards mischen.

Ich öffnete die Tür weiter. Er schätzte die Höhe falsch ein und stieß sich beim Durchhüpfen den Kopf.

»Alles in Ordnung?« Nicole nahm seinen Arm, um ihn zu stabilisieren.

»Danke.« Er stemmte eine Hand an die Decke, während er sein Gleichgewicht wiederfand. In der anderen hielt er einige Unterlagen.

Nicole sah mich an, bevor sie an die Tür zur Innenstadt trat. Ich nickte und schloss die Baker-Street-Tür, aber sie öffnete die andere nicht.

»Also … Eugene. Als jemand, der mit Parker fliegt …« Sie wies auf die Zettel in seiner Hand. »Willst du nicht ein paar davon aus Versehen fallen lassen?«

Er grinste. »Wenn du auf Dienstpläne hoffst, das sind nur ausgeschnittene Rezepte für Myrtle.«

»Sch…ade.« Sie öffnete das Schott, und wir betraten die Innenstadt.

Durch die Druckdifferenz wehte ein für den Mond seltener Geruch heran, lehmig und grün mit der weichen Note von Wasser. Über dem Zentrum der Kolonie ließ eine weite Kuppel gefiltertes Licht ein, das die hier wachsenden Pflanzen nährte. Sie stellte unsere erste wirklich dauerhafte Konstruktion dar.

Die Räume entlang der Wände dienten als Wohnquartiere. Manchmal wünschte ich mir, ich wäre immer noch hier untergebracht, aber die Quartiere der neuen Pilotinnen und Piloten befanden sich näher an den Landeplätzen. Andere Alkoven dienten als Büros oder beherbergten unser einziges Restaurant. Es gab zudem einen Friseur, einen Secondhandladen und ein »Kunstmuseum«.

Genau im Zentrum befand sich ein winziger »Park«. Allerdings war er nicht größer als ein übergroßes Doppelbett und hatte gerade mal einen Pfad in der Mitte. Aber er war grün.

Was züchteten wir in dieser vorsichtig verbesserten Erde? Löwenzahn. Wie sich herausgestellt hat, sind die Blätter schmackhaft und nährstoffreich, wenn man sie ordentlich zubereitet. Ein weiterer Liebling ist die Kaktusfeige, deren hübsche Blüten sich in süße Samenhülsen verwandeln und deren flache Blätter geröstet oder gebacken werden können. Einiges, was wir als Unkraut kannten, wuchs sehr gut in nährstoffarmer Erde.

»Himmel!« Eugene schlug sich auf den Oberschenkel. »Der Löwenzahn blüht. Myrtle hat angedroht, dass sie ihr Glück mit Löwenzahnwein versuchen will.«

»Mit ›angedroht‹ meinst du ›versprochen‹, oder?« Nicole hüpfte an den Hochbeeten vorbei. »Ach, Elma, trink auch einen trockenen Martini für mich mit, wenn du nach Hause kommst.«

»Mindestens einen doppelten.« Ich war immer davon ausgegangen, Nathaniel und ich wären unter den ersten Siedelnden auf dem Mond, doch nun, da die Artemis-Basis etabliert war, hatte die Agency ihre Aufmerksamkeit auf die Besiedelung des Mars gerichtet und er musste auf der Erde bleiben, um die Operationen zu planen.

Der Mars dominierte alle Gespräche innerhalb der IAC. Die der Rechnerinnen, die über den Gleichungen schwitzten. Die der Lochkartenmädels, die endlose Codezeilen einstanzten. Die der Cafeteriadamen, die Stampfkartoffeln und Erbsen ausgaben. Die von Nathaniel, der mit seinen Berechnungen beschäftigt war … Alles sprach vom Mars.

Auf dem Mond sah es nicht viel anders aus. Auf der anderen Seite der Innenstadt hatte man einen riesigen Fernseher aus dem Startkontrollzentrum geholt und auf eine Art Podium gestellt. Es sah so aus, als drängte sich die halbe Kolonie um diesen Fernseher.

Die Hilliards hatten eine Decke mitgebracht und veranstalteten so etwas wie ein Picknick. Sie waren nicht die Einzigen, die ein geselliges Ereignis daraus machten. Die Chans, Bhatramis und Ramirez hatten sich auch vor dem Podium auf den Boden gesetzt. Es befanden sich noch keine Kinder in der Kolonie, aber davon abgesehen herrschte hier schon Kleinstadtflair.

Myrtle hatte ebenfalls eine Decke ausgebreitet und winkte Eugene zu sich. Er winkte lächelnd zurück. »Da ist sie ja. Wollt ihr uns Gesellschaft leisten? Wir haben noch eine Menge Platz auf der Decke.«

»Danke, das wäre wunderbar.«

Ich folgte ihm zur Decke, die aus alten Uniformen zusammengestückelt war, und ließ mich mit Eugene und Myrtle darauf nieder. Sie hatte eine neue Frisur, nicht mehr so bauschig und mondtauglicher – vor allen Dingen, weil im Weltall doch eher von der Verwendung von Haarspray abzusehen war. Eugene und sie hatten sich freiwillig bereit erklärt, zu den ersten permanenten Besiedelnden zu gehören. Ich vermisste sie sehr, wenn ich auf der Erde war.

»Hey!« Eine Stimme von weiter vorn brachte das Gemurmel der Unterhaltungen zum Schweigen. »Es fängt an.«

Ich erhob mich auf die Knie, um über die Köpfe derer zu blicken, die vor mir saßen. In körnigem Schwarz-Weiß zeigte der Fernseher eine Übertragung aus der Mission Control in Kansas, die bei uns mit 1,3 Sekunden Verspätung ankam. Ich studierte jedes Bild und hielt Ausschau nach Nathaniel. Zwar liebte ich meinen Job, aber monatelang von meinem Mann getrennt zu sein, war eine Herausforderung. Ich dachte sogar manchmal darüber nach, zu kündigen und wieder als Computer-Girl zu arbeiten.

Auf der Mattscheibe sah ich Basira, die rasant an Gleichungen arbeitete, während der Fernschreiber Seite um Seite ausspie. Sie zog eine dicke Linie unter eine Zahl und hob den Kopf. »Die Doppler-Signatur zeigt, dass die Zwei-Stufen-Trennung erfolgreich war.«

Mein Herz schlug schneller, denn das bedeutete, dass die Sonde nun in die Marsatmosphäre eintrat. Oder sich vielmehr bereits darin befand. Es fühlte sich seltsam an, dass die Zahlen, die sie vom Mars erhielt, schon zwanzig Minuten alt waren. Die Mission war längst entweder erfolgreich gewesen oder gescheitert.

Zwanzig Minuten alt – ich sah auf die Uhr. Wie viel Zeit hatte ich noch, bevor ich im Hangar erwartet wurde?

Nathaniels Stimme drang aus den Lautsprechern, und ich atmete sehnsüchtig ein. »Atmosphäreneintritt in drei, zwei, eins … Geschwindigkeit 17000 Kilometer. Abwärtsdistanz zum Landeplatz beträgt 703 Kilometer. Fallschirm sollte sich in fünf Sekunden öffnen. Vier. Drei. Zwei. Eins. Jetzt. Erwarten Bestätigung …«

Die ganze Kuppel schien den Atem anzuhalten, nur das konstante leise Summen der Ventilatoren bewegte die Luft. Ich beugte mich näher zum Gerät, als könnte ich die Zahlen sehen, die aus dem Fernschreiber kamen, oder Basira beim Rechnen helfen. Und das, obwohl es vier Jahre her war, dass ich im Rechenzentrum gearbeitet hatte oder irgendetwas Komplizierteres als die Orbitalmechanik hatte berechnen müssen.

»Fallschirm bestätigt! Der Fallschirm wurde entdeckt.«

Jemand stieß einen Jubellaut aus. Wir waren noch nicht auf der Marsoberfläche, aber schon sehr nah dran! Ich verhakte die Finger in einer Ecke der Flickendecke, als könnte ich die Sonde mit meinen Bewegungen steuern.

»Die Bestätigung des Raumfahrzeugs, dass die Bremsrakete gezündet wurde, steht noch aus.« Nach wie vor redete Nathaniel über ein Ereignis, das vor zwanzig Minuten geschehen war, während ich seine Stimme mit 1,3 Sekunden Verzögerung hörte. Die Launen des Weltraumlebens!

»Zu diesem Zeitpunkt sollten wir uns am Boden befinden.«

Bitte, o bitte, lass ihn recht haben! Denn wenn diese Sonde nicht landete, würde das die Marsmission zu einem abrupten Stopp bringen. Ich sah wieder auf die Uhr. Er müsste die Landung mittlerweile bestätigen können, aber die Sekunden tickten einfach nur vorbei.

»Einen Augenblick. Wir warten auf Bestätigung vom Deep Space Network und der Lunetta-Relaisstation.« Nathaniel war nun nicht mehr zu sehen, aber ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie er an seinem Schreibtisch stand und den Bleistift so fest umklammerte, dass er jeden Moment durchbrechen konnte.

Ein Laut drang zu uns herüber.

Neben mir atmete Nicole scharf ein. »Was ist das?«

Er wiederholte sich, und die Mission Control brach in wilden Jubel aus. Nathaniels Stimme kämpfte sich durch den Lärm. »Was Sie da hören, meine Damen und Herren, ist der Bestätigungston unserer Marssonde. Das ist die erste Übertragung von einem anderen Planeten. Wir bestätigen: Friendship ist gelandet und ebnet nun den Weg für unsere bemannten Missionen.«

Ich sprang auf die Beine – das taten wir alle – und vergaß die Schwerkraft. Wir lachten, als wir ungelenk in die Höhe schossen, und bejubelten die erfolgreiche Mission der Friendship-Sonde und das Team, das sie geplant hatte.

»Du bist spät dran.« Grissom starrte mich nieder, als ich schwungvoll die Pilotenlounge am Hafen betrat. Seine Reisetasche lehnte an der Bank, und er trank Kaffee aus einer Schluckpackung.

Ich warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. »Dreißig Sekunden.«

»Das ändert nichts an der Tatsache.«

Er hatte recht, aber es würde niemandem sonst auffallen, zumal wir ohnehin noch zwei Stunden auf den Start warten mussten. »Und du bist nach wie vor hässlich.«

»Ha! Ich vermute, du hast die Landung geschaut?« Er gab mir unsere Flugpläne zur Überprüfung, während wir zum Schiff gingen. Grissom grummelte viel, aber er war genauso süchtig nach dem Weltall wie ich.

Ich nickte, mein Blick glitt über die Seiten voller Zündungszeiten und -spannen, Flugverhalten und -geschwindigkeit. Wir würden drei Tage mit dem Transit zur Lunetta verbringen, in denen uns nicht viel anderes zu tun blieb, als die Messgeräte zu überprüfen. Gott, sogar der langsame Druckanstieg vom Druck der Mondbasis zum Lunetta-Standard war automatisiert! »Es gab noch nichts zu sehen, aber ich wollte … Ich weiß auch nicht. Da sein.«

Grissom brummte. »So ging es mir bei der Mondlandung.«

Die Stille hing einen Moment lang zwischen uns und erinnerte uns daran, dass ich vor drei Jahren Teil dieser Mission gewesen war. Das hatte mich zu einer Art Berühmtheit gemacht, was vielleicht einer der Gründe war, warum ich das Leben auf dem Mond ein wenig mehr genoss als das auf der Erde. Ich musste mich hier nicht mit Fans herumschlagen – normalerweise zumindest.

»Hast du sie gesehen? Die Marslandung, meine ich.«

»Nee. Hab’s im Radio gehört.« Er zuckte mit den Achseln, als wir den Korridor erreichten, der zu unserem Schiff führte. »Hab noch ein bisschen Zeit mit meiner Süßen verbracht, bevor wir losfliegen. Meine nächste Schicht verbringe ich am brasilianischen Raumhafen, wo ich einen Monat für das neue Schiff trainiere.«

»Die Polaris-Klasse?« Ich pfiff leise, als er nickte. »Bestätige meinen Neid.«

Er schnaubte. »Ich werde mindestens eine Woche brauchen, bevor ich überhaupt stehen kann, nachdem ich so lange hier oben war. Das Training selbst wird nur zwei Wochen dauern.«

»Trotzdem! Das hört sich alles großartig an. Außerdem ist Brasilien toller als Kansas.« Ich hielt am Schott zur Pilotenkabine des Taxis und überprüfte die Deltadruckanzeige, die mir 0,34 bar auswies, bevor ich die Luke öffnete. Es bestand immer die Möglichkeit, dass sich auf der anderen Seite kein Schiff befand, selbst wenn wir vor dem richtigen Ausgang standen. »Eine vertikale Landung wird die Heimflüge so viel einfacher machen.«

»So sanft wie mit dem Mondlander wird es nicht.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich mag den Gleiter lieber. Man sieht beim Anflug mehr, aber der neue ist nicht so wetterabhängig, und da die Hurrikane schlimmer werden … Andererseits beschwere ich mich nicht, wenn wir noch ein paar Tage im Orbit bleiben müssen, um auf ein Sturmloch zu warten.«

»Sicher, aber auch nur, weil du so ein Weichei bist, was die Schwerkraftakklimatisierung angeht.« Ich schlüpfte geduckt in das kompakte Pilotenabteil. Die schwache Schwerkraft auf dem sich drehenden Teil der Lunetta betrug ein Drittel der Erdschwerkraft – genau wie auf dem Mars – und stellte einen guten Übergang für Leute dar, die vom Mond heimkamen. »Hoffentlich haben wir gutes Wetter, wenn wir runtergehen. Ich kann es gar nicht abwarten.«

»Dann hättest du mal pünktlich sein sollen.«

Ich streckte ihm lachend die Zunge raus, und wir machten uns daran, die Vorflugchecks durchzuführen. Zu den angenehmen Dingen beim Start auf dem Mond gehörte, dass wir es mit weniger Variablen zu tun hatten als auf der Erde. Ohne nennenswerte Atmosphäre mussten wir uns nicht mit Wind und Wetter oder irgendetwas in der Art herumschlagen, nur mit diesem bisschen Schwerkraft.

Ins Passagierabteil hinter uns passten zwanzig Personen. Während der meisten Flüge war es voller Spezialkräfte, die zur Erde zurückkehrten, nachdem sie das Projekt, für das sie heraufgekommen waren, abgeschlossen hatten. Entsprechend befanden sich im Frachtraum ihr persönliches Gepäck, wissenschaftliche Experimente und unsere wenigen Exportwaren. Eine Geologin hatte beispielsweise begonnen, Mondgestein zu bearbeiten, und ihre Skulpturen erzielten auf der Erde erstaunliche Preise. Myrtle machte mit ihren »Mond-Quilts« aus recyceltem Material so viel Geld, dass sie ihre drei Söhne damit durch die Graduiertenschule bringen konnte. Die schönen Künste florierten im All auf erstaunliche Weise. Ich hatte mich dem angeschlossen und an Papierskulpturen aus alten Lochkarten versucht, es jedoch noch nicht gewagt, sie zu verkaufen.

Sogar Menschen auf der Erde, die dem Raumfahrtprogramm keine Sympathie entgegenbrachten, waren fasziniert von allem, was vom Mond kam. Ich schätze, wenn man Jahrtausende lang einen Ort durch Mythen und Legenden romantisiert hat, braucht es eine Weile, bis er alltäglich wird.

Grissom und ich waren schon so oft zusammen geflogen, dass unser Vorflugscheck reine Routine war. Das hieß nicht, dass wir Schritte übersprungen hätten. Routine und Wetterbedingungen hin oder her – wir saßen hier immer noch wortwörtlich auf einer Bombe.

Schon witzig … dass man sich an gewisse Dinge so gewöhnen kann.

Zwei Stunden später hatten wir unsere Checkliste durchgearbeitet, und alle im Passagierabteil waren angeschnallt. Grissom musterte mich und nickte dann. »Lass uns die Kerze anzünden.«

Die Triebwerke erwachten flüsternd zum Leben, beinahe lautlos auf der luftlosen Mondoberfläche. Wir starteten, und aufgrund der Beschleunigung spürte ich endlich wieder ein wenig Gewicht, als der Mond mich an sich reißen wollte. Unter uns blieben die graubraunen Krater zurück und verschwammen in der Hitze unserer Triebwerke.

Sagte ich eben, dass man sich an alles gewöhnen kann? Das war möglicherweise eine Lüge.

Bei der Ankunft in der niedrigen Erdumlaufbahn und beim Andocken an die Orbitalstation war ich eine Raumpilotin: Selbst im Co-Piloten-Sitz, in dem ich mich vor allem mit navigatorischen Berechnungen herumschlug, war ich aufs Engste in alles eingebunden. Grissom und ich übergaben das Schiff unserem Ersatz, der sich nun zu einer Dreimonatsschicht auf dem Mond aufmachte, und schwebten ins Innere der Station.

Beim Verlassen der Lunetta und der Erdumlaufbahn hingegen war ich nur eine Passagierin auf dem Weg zur Erde. Bislang hatte die International Aerospace Coalition noch keine Frauen in den großen Orbitalraketen als Pilotinnen eingesetzt. Es gab keine offizielle Bestimmung, die besagte, dass wir sie nicht steuern durften, aber immer, wenn ich nachfragte, antwortete man mir nach dem Motto, man wolle meine Expertise dort einsetzen, »wo sie am wertvollsten ist«. Da man die Lady Astronauts vor allem aufgrund ihrer Rechenkünste ins Korps aufgenommen hatte, war es schwierig, ihnen an anderer Stelle Platz einzuräumen.

Ich schwebte mit den anderen, die sich auf dem Weg zur Erde befanden, ins Passagierabteil. Während der sich drehende äußere Ring der Lunetta eine künstliche Schwerkraft besaß, blieb das Zentrum bewegungslos, damit man daran besser andocken konnte. Das machte die Gepäckverladung gleichzeitig einfacher und schwieriger. Die Dinge wogen nichts, hatten jedoch die Tendenz, davonzuwandern, wenn man sie nicht befestigte. Ich klemmte meine Tasche ins kleine Fach unter meinem Sitz und schnallte sie dort fest, bevor ich den Deckel schloss.

»Elma!« Im Gang schwebte Helen Carmouche, geborene Liu. Sie trug das dunkle Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, dessen Spitzen über ihrem Kopf schwebten.

»Ich wusste gar nicht, dass du an Bord dieser Rakete bist!« Grinsend schob ich mich auf sie zu und umarmte sie – dabei schoss ich beinahe an ihr vorbei, weil ich so daran gewöhnt war, zumindest gegen die Mikrogravitation des Mondes anzuarbeiten. Doch Helen hakte einen Fuß unter eine Schiene wie eine Null-g-Profi und fing mich auf.

Erinnerst du dich, wie ich sagte, dass man sich an alles gewöhnen kann? Es fühlte sich nicht viel anders an, als wäre ich in einer Straßenbahn oder einem Zug in sie hineingestolpert.

»Wir brauchen ein wenig Erdtraining!« Sie beäugte den Sitz neben mir. »Darf ich?«

»Aber absolut!« Ich schwang mich nach oben, um sie vorbeizulassen. »Wie geht’s Reynard?«

Sie stopfte lachend ihre Tasche ins Fach. »Er sagt, er hat das Wohnzimmer neu gestrichen. Ich hab schon Angst.«

Ich zog mich näher an die »Decke«, um andere vorbeizulassen. »Vor seiner Farbwahl oder seinen Fähigkeiten?«

»Ich sage nur ein Wort: Marsrot. Aber woher kennt er den Ton?« Sie schüttelte den Kopf und zog die Gurte mit geübter Leichtigkeit an. »Wir haben ja noch nicht mal Bilder von der Oberfläche.«

»Es könnte schlimmer sein. Stell dir vor, er hätte Regolithgrau genommen.«

»Neutral wäre besser.« Sie schloss das Fach mit einem Klicken. »Wie geht’s Nathaniel?«

Ich seufzte unwillkürlich. Es rutschte mir einfach so raus. »Gut?«

Sie straffte sich und hielt sich am Sitz fest. »Das klingt nicht gut.«

»Nein, nein. Es geht ihm gut. Alles in Ordnung.« Ich zog mich auf meinen Sitz herab und widmete mich dem Anschnallen. Während ich mir die Schulterriemen überstreifte, starrte Helen mich an. »Es ist einfach hart, so lange weg zu sein. Du kennst das ja.«

Sie setzte sich neben mich und tätschelte meine Hand. »Wenigstens geht’s jetzt nach Hause.«

»Entschuldige – ich sollte mich nicht beschweren, nicht nach einer dreimonatigen Trennung.« Helen gehörte zum Marsmissionsteam, daher hatte sie vierzehn Monate trainiert, und wenn sie nächstes Jahr zur Expedition aufbrach, würden Reynard und sie drei Jahre lang getrennt sein. »Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie du das schaffst.«

»Es wäre vermutlich schlimmer, wenn wir schon länger verheiratet wären.« Sie zwinkerte mir zu. »So dauert das Verliebtsein noch an. Verstehst du? Wenn ich nach Hause komme …«

»Gibt es eine Zündung?«

»Aller Triebwerke!«

Die Lautsprecher erwachten knisternd zum Leben. »Meine Damen und Herren, hier spricht Captain Cleary. Wir legen nun jeden Moment von der Station ab und sollten in etwa einer Stunde auf der Kansas-Astrolandebahn ankommen.«

Routine. Diesen Trip zwischen Erde und Mond hatte ich nun schon ein Dutzend Mal absolviert. Jedes Mal liefen die Dinge ein bisschen glatter. Ein bisschen … normaler. Es unterschied sich kaum noch von einer Zugfahrt quer durchs Land. Nur dass selbstverständlich alles anders war.

Eine leichte Erschütterung vibrierte durchs Schiff, als der Haltemechanismus sich von der Station löste. Außerhalb des kleinen Bullauges schienen Glühwürmchen herumzuwirbeln, wann immer gefrorene Kondensflüssigkeit auf dem Raumschiffrumpf aus dem Schatten der Station ins Sonnenlicht kam. Das Frostgestöber um uns herum leuchtete vor dem tintenfarbenen All.

Wem versuche ich hier weiszumachen, dass das alles nur Routine sei? Es ist magisch! Um uns herum drehte sich die gewaltige bogenförmige Station schwindelerregend im Kreis. Wenn ich nicht festgeschnallt gewesen wäre, hätte ich mich vorgebeugt und die Nase gegen das Fenster gedrückt.

»Da!« Helen zeigte auf etwas, das sich vor uns ganz knapp außerhalb meines Sichtbereichs befand. »Die Marsflotte!«

Das Schiff vibrierte und setzte zu einer langsamen Drehung an, um in eine Position zu gelangen, aus der es den Orbit verlassen konnte. Dabei kam die aus drei Schiffen bestehende Flotte in Sicht, die für die erste Marsexpedition entwickelt worden war. Gegen den pechschwarzen Himmel wirkten die beiden Passagierschiffe und das Versorgungsschiff wie unregelmäßige Zylinder. Die Passagierschiffe waren lang und schmal und wie die Raumstation von einem zentrifugalen Ring gegürtet. Jemand hatte den Ring mal mit einem … Erwachsenenspielzeug verglichen, was mir zweierlei Dinge verriet: zum einen, dass ich offenbar prüder war, als ich dachte, und zum anderen, wie dieses spezielle Spielzeug aussehen und funktionieren musste. Ich hatte Nathaniel noch nicht nach den Details gefragt, weil ich mir nicht sicher war, ob ich wissen wollte, was er darüber wusste.

Wenn man keine Erfahrung mit derlei Dingen hatte, gaben die Schiffe jedenfalls einen wunderschönen Anblick ab. »Weißt du … es gibt Momente, da bin ich ein bisschen neidisch auf euch.«

»Na ja.« Helen zuckte mit den Schultern. »Ich werde die ganze Zeit mit meiner Nase in Berechnungen stecken, auf dem Hin- wie auf dem Rückweg.«

»Worum, denkst du, beneide ich dich denn?« Ich verdrehte die Augen. »Ich bin praktisch Busfahrerin!«

»Auf dem Mond.«

»Richtig. Und ich liebe es. Aber … es ist keine große Herausforderung.« Ich hätte mich der Marsmission anschließen können, wenn ich gewollt hätte, aber Nathaniel und ich überlegten, Kinder zu bekommen. »Ich denke darüber nach, mich als Pilotin zur Ruhe zu setzen und wieder ins Rechenzentrum zu gehen.«

Helen schnaubte verächtlich, wie nur sie es vermochte. »Und dann fliegst du nur noch deine Cessna?«

»Oder ich arbeite in der Astronautenausbildung. Ich bin einfach …« Gelangweilt. »Ich möchte mich auf meine Ehe konzentrieren.«

Helen erwies mir die Ehre ihres patentierten Naserümpfens. Sie ist wirklich eine Meisterin dieser kleinen ungläubigen Laute. Nur die Tatsache, dass der Orbitalsinkflug die Rakete erschütterte, schützte mich vor der vollen Wucht ihrer Verachtung.

Hinter uns stieß jemand einen kleinen Jammerlaut aus. Helen sah über die Schulter und beugte sich dann näher zu mir. »Warte nur auf den Atmosphärenübergang!«

»Vielleicht kehrt die Person zum ersten Mal zur Erde zurück.« Ich drehte mich nicht um. Grandma hatte immer gesagt, dass Starren das Grausamste ist, was man einer beschämten Person antun kann, und ich konnte das Gefühl nachvollziehen. Selbst das Training kam nicht an die Realität heran, und es würde noch sehr viel schlimmer werden, bevor wir unten ankamen.

Helen und ich unterhielten uns in der ersten halben Stunde und tauschten Neuigkeiten über das Leben im Weltall aus. Dann trudelte ein Stück Popcorn langsam aus jemandes Tasche. Dieses erste Anzeichen von Schwerkraft zeigte uns an, dass wir uns nah genug an der Erde befanden und die Atmosphäre verlangsamte.

Draußen erhitzte sich die Umgebung nun allmählich auf 1649 Grad Celsius. Vor dem Fenster glühte die Luft orangefarben, und supererhitzte Atmosphäre peitschte als Plasmasog auf uns ein. Es ist immer wieder faszinierend, wie leise es bei diesem Teil des Sinkflugs wird. Für Vibrationen gibt es noch nicht genug Atmosphäre, außerdem ist das Schiff im Prinzip ein großer Gleiter ohne Triebwerksgeräusche. Aber noch leiser sind die Menschen, die das Spektakel des Wiedereintritts betrachten. Das wird niemals langweilig.

Der Captain schwenkte in die erste einer langen Reihe von S-Kurven, um uns zu verlangsamen. Die g-Kräfte packten uns, pressten uns in die Sitze. Es waren nur zwei g, aber nach Monaten in einem Sechzehntel davon fühlte es sich an, als würde ich in Schlamm begraben.

Die g-Kräfte stiegen weiterhin und pressten mich an die Lehne meines Sitzes. Ich rechnete damit, dass der Captain uns in den nächsten Schwung der S-Kurve ziehen würde, aber wir drehten uns einfach weiter. Das war keine Routine mehr.

Und hier im Passagierabteil konnte ich nichts, aber auch gar nichts daran ändern.

Zwei

Cygnus 14 landet nach Fehler oder Aussetzer weitab vom Kurs

Von Steven Lee Myers

KANSAS CITY, KS, 20. August 1961 – Eine der Raumfähren der Cygnus-Klasse, die Astronauten von der Lunetta-Raumstation der International Aerospace Coalition zurück zur Erde bringen, landete heute mehr als 400 km vom Zielort entfernt. In der IAC wird eine technische Fehlfunktion oder ein Pilotenfehler während des Sinkflugs in Betracht gezogen. Die Cygnus-Klasse wurde seit Aufnahme des Programms kaum verändert, doch die heute gelandete Rakete ist eine neue Variante und machte den ersten Flug mit modifizierten Triebwerken und Lenksystemen, die Abstieg und Landung hätten vereinfachen sollen.

Meine Arme waren bleischwer, und ein Clydesdale-Hengst saß auf meiner Brust und trommelte mit seinen Hufen gegen meine Rippen. Mühsam schlug ich die Augen auf, um herauszufinden, warum ihn niemand verscheuchte, doch ich sah nur Regolithgrau. Nicht den Mond. Nein … den Sitz vor mir. Stöhnend drehte ich den Kopf, doch ich musste innehalten, als mich Übelkeit überkam.

Die g-Kräfte mussten irgendwann so in die Höhe geschossen sein, dass ich das Bewusstsein verloren hatte. Ich weiß nicht, wie der Captain es geschafft hatte, die Rakete zu landen – und schon gar nicht, was schiefgelaufen war –, aber wundersamerweise schienen wir überlebt zu haben.

Das Klopfen hielt an, doch der Clydesdale erwies sich als mein eigenes Körpergewicht, da ich zum ersten Mal seit drei Monaten der Erdschwerkraft unterworfen war. Es stank nach Erbrochenem und Urin. Langsam drehte ich den Kopf, um das Telemetriepanel zu überprüfen, das die Lebenserhaltungssysteme anzeigte. Alles stand auf Erdenormalwert, doch bis sie die Tür öffneten, befanden wir uns in einer luftdichten Büchse und mussten das Protokoll einhalten.

Danach wandte ich mich Helen zu. Sie war noch bewusstlos, was mich nicht überraschte, schien aber unverletzt zu sein.

Ich schloss die Augen und atmete kontrolliert und langsam durch den Mund ein und aus, während wir auf die Bergung durch das Rettungsteam warteten. Es brauchte schon außergewöhnlich lange. Andererseits wusste ich natürlich nicht, wie lange wir schon am Boden waren und womit sie es noch zu tun hatten. Vielleicht hatte ein Landerad Feuer gefangen oder etwas in der Art.

Endlich – es ist ein bisschen peinlich, dass ich es so lange nicht begriffen hatte – fiel mir auf, dass das Dröhnen vom Schott kam. Es musste klemmen! Sosehr meine Südstaatenerziehung auch von mir verlangte, dass ich aufstand und half, so sagte mir doch mein Astronautinnentraining, dass ich die Protokollcheckliste einhalten musste, die mir sofort in den Sinn kam.

Roch es nach Rauch? Nein. Sauerstoff? Vorhanden. Verletzungen? Mir ging es gut, Helen offenbar auch … Ich öffnete die Augen und drehte mich sehr vorsichtig im Sitz, um mich in der Kabine umzusehen. Die anderen waren blass oder grün im Gesicht, aber niemand schien unmittelbar gefährdet zu sein. Ein Schwarzer auf der anderen Seite des Gangs erwiderte meinen Blick. Es war der Geologe mit der schiefen Nase, der fürs Marsteam arbeitete, wie hieß er noch gleich …? »Sollen wir ihnen mit der Tür helfen?«

Ich schüttelte nicht den Kopf. »Sie haben Werkzeug. Wir sind in Sicherheit, also lassen wir sie ihre Arbeit tun.«

Er nickte, wurde sofort graugrün und schluckte vernehmlich. Ich zuckte mitfühlend zusammen. Jedes Mal, wenn man sich von einer Schwerkraft in die andere begibt, verursachen rasche Kopfbewegungen Übelkeit.

Leonard Flannery – so hieß er! Wir hatten uns auf Helens und Reynards Hochzeit nett über das Loire-Tal unterhalten. Er war entsetzt gewesen, weil ich in der Zeit, in der ich dort Flugzeuge überführt hatte, nicht dazu gekommen war, den Wein zu probieren.

Wie um meine Entscheidung, sitzen zu bleiben, zu bestätigen, öffnete sich die Luke mit dem Zischen veränderten Luftdrucks. Das entfernte Donnern der T-38-Begleitflugzeuge dröhnte durch die Kabine. Sonnenlicht und Frischluft folgten, darüber lagen der Geruch von verbranntem Gummi, Erde und frisch gemähtem Gras. Ich schloss die Augen, denn gottverdammt, ich würde jetzt nicht wegen irgendwelchen Grünzeugs weinen.

»Niemand bewegt sich!« Eine Waffe wurde entsichert, Metall klackte auf Metall.

Meine Augen öffneten sich ohne mein Zutun. Gebückt traten sechs Männer in Tarnzeug ein und hielten uns mit Gewehren in Schach. Sie hatten unterschiedliche Hautfarben und verbargen ihre Gesichter hinter bunt zusammengewürfelten Masken. Einer trug eine Sturmhaube, die alles verbarg bis auf die Tatsache, dass er Schwarz war. Ein anderer hatte das sonnengebräunte Gesicht mit einem Tuch maskiert, das ihn wie einen Comicbanditen aussehen ließ. Ein dritter trug eine Gasmaske. Die anderen hatten Staubmasken, wie sie auf Baustellen üblich waren.

Wie waren sie an der IAC-Sicherheit vorbeigekommen? Oh … Moment. Die Begleitflugzeuge kreisten noch. Ich konnte nicht sagen, wo der Captain uns zu Boden gebracht hatte, aber eins ahnte ich: Wir waren nicht in Kansas. Für diesen Fall kannte ich weder Protokoll noch Routine.

Neben mir stöhnte Helen.

»Hey! Schnauze!« Der Mann mit Sturmhaube, Knarre und starkem Brooklyn-Akzent stürmte durch den Gang, um mit der Waffe auf Helen zu zielen. Sie riss den Kopf hoch und übergab sich sofort. Wie ein Profi wandte sie sich so, dass ich nicht getroffen wurde, allerdings bekam ihre Hose ein bisschen ab. Das verursachte ein kollektives Würgen in anderen Teilen der Kabine.

Ich schluckte schwer und biss die Zähne zusammen. Wer hätte gedacht, dass die Jahre, in denen mir meine von der Angstneurose hervorgerufene Übelkeit zu schaffen gemacht hatte, mir noch mal nützlich sein würden? Trotzdem kämpfte mein Herz mit dem Stress und der Schwerkraft, als der Brooklyn-Mann seine Waffe auf jedes neue Geräusch richtete. Hinter der Maske kniff er die braunen Augen zornig zusammen. »Was zum … Was für eine Krankheit habt ihr?«

Hinter mir würgte jemand. Ein anderer Mann sagte: »Nehmt ja nicht die Masken ab! Nicht, dass wir uns noch anstecken!«

»Weltraumkeime!«

Es war sicher nicht besonders schlau, zu lachen, aber ein winziges »Ha!« entwich mir. Es hallte durch die Kabine und bewirkte, dass sich alle Augen auf mich richteten. Aber ernsthaft – Weltraumkeime? Das klang wie aus einem Radiohörspiel.

»Findest du das lustig?« Brooklyn kam näher und presste mir die Waffe an die Schläfe. »Findest du es lustig, die Erde zu vergiften?«

»Hey, Mann. Mach das nicht!« Leonard stemmte sich gegen den Gurt. »So was kommt gar nicht gut. Mach …«

»Maul halten!« Brooklyn richtete sein Gewehr auf Leonard. »Ich hab keine Zeit für einen Onkel Tom. Du bist Teil des Problems, und wir werden es lösen.«

»Hey!« Der Mann mit der Gasmaske trat militärisch-zackig vor. Er hielt den Lauf seiner Waffe gesenkt. Selbst durch den Filter klang er nach Drill-Sergeant. »Krank oder nicht, die Uhr tickt. So eine Chance kommt nicht noch mal, also … Heilige Scheiße! Du bist die Lady Astronaut!«

Ich hatte noch nie einen Fan getroffen, der eine Waffe auf mich richtete. Aber immerhin gab mir das gewissermaßen ein Drehbuch vor. Wie ich mit Fans reden konnte, wusste ich schließlich. Selbst mit der Pistole an der Schläfe lächelte ich diesen neuen an. Hinter den Sichtscheiben der Gasmaske konnte ich trübe haselnussbraune Augen erkennen, wobei in einem ein dunkler Fleck zu sehen war. »Sie sind wohl ein Fan von Mr. Wizard.«

»Meine Tochter liebt die Sendung.« Kurz wurde sein Blick weich, doch dann schüttelte er den Kopf, und spannte die Schultern an. »Egal. Außer …« Er legte Brooklyn eine Hand auf den Arm. »Sie könnte es tun. Ihr werden sie zuhören.«

»Ich dachte, wir wollen die Piloten.«

»Na ja, wir kommen ja nicht zu ihnen durch, oder? Das Cockpit ist versiegelt. Aber sie ist eine echte Berühmtheit. Ein nationales Kulturgut. Sie werden …«

Ich hörte in der Ferne das Heulen von Sirenen, und es wurde sekündlich lauter. Brooklyn straffte sich und warf einen Blick zur Tür zurück. »Scheiße! Die sind schnell.«

»Was hast du denn erwartet, du Dämlack?« Mein Fan griff nach meinem Arm und versuchte, mich aus dem Sitz zu zerren, ohne die Schultergurte zu lösen.

»Kann ich vielleicht helfen?« Ich hob vorsichtig die Arme, sodass sie sie sehen konnten. »Da sind ziemlich viele Schnallen dran.«

Er trat brummend zurück, um mir Platz zu gewähren. Mit bleiernen Fingern fummelte ich an den Schultergurten herum. Das Gewicht der Erde zog mich nieder, selbst die Gurte schienen unfassbar schwer zu sein. Wie viel Zeit ich auch auf dem Mond im Fitnessraum verbrachte, die erste Woche auf der Erde war immer die Hölle. Und die ganze Zeit über kamen die Sirenen näher und näher.

Von seinem Sitz aus sagte Leonard: »Bitte. Nehmt keine weiße Frau als Geisel. Ihr wisst, was dann passiert.«

Einen Moment lang zögerte mein Fan, dann schüttelte er den Kopf. »Es ist ihnen egal, wenn wir eine Schwarze entführen. Aber die Lady Astronaut? Dann hören sie uns zu!«

Als ich mich aus den Gurten geschält hatte, packte mich mein Fan wieder am Arm und zerrte mich auf die Beine. Ich musste mich schwer auf ihn und die Lehnen vor mir stützen, während mein Gehirn herauszufinden versuchte, was es mit all dem Gewicht anfangen sollte. Nur mit Mühe blieb ich stehen, während sich die Kabine wie wild um mich herum drehte. Erbrechen klang nach einem guten Plan.

»Sie …« Helens Stimme hinter mir brach. Aber die treue Seele setzte noch mal an. »Ihr wird schummrig sein. Ihr müsst langsam gehen, wenn ihr nicht wollt, dass sie euch vollkotzt.«

Mein Magen war schon leer, weil ich es immer vermeide, vor einem Flug etwas zu essen. Trotzdem hielt ich ganz still, um zur Besinnung zu kommen. »Was wollt ihr von mir?«

»Du wirst in der Tür stehen und unsere Forderungen weitergeben.« Brooklyn schubste mich den Gang hinab, und ich stolperte, weil ich die Füße einfach nicht anheben konnte.

Mein Fan fing mich auf, bevor ich hinfiel. »Mach einfach, was wir sagen, dann geschieht niemandem etwas.«

»Klar. Natürlich.« Ich war außer Atem. Ich wusste nicht, ob die Anstrengung oder die Angst der Grund dafür war. Vielleicht beides. Ich stützte mich auf meinen Fan, während wir uns zur Luke begaben.

Nun schienen alle Mitreisenden wach zu sein. Früher waren mir alle Mitglieder des Astronautenkorps vertraut gewesen, aber mittlerweile kannte ich höchstens die Hälfte von ihnen flüchtig, und andere kamen mir nur entfernt bekannt vor. Aber ich wusste, dass auf Helen, Leonard und Malouf im Notfall Verlass war. In Türnähe fummelte Cecil Marlowe aus der Maschinenbauabteilung an ihren Schultergurten, als wollte sie aufstehen. Ruby Donaldson sah mit ihren blonden Zöpfen aus wie ein Kind, dabei war sie im Krieg Ärztin an vorderster Front gewesen.

Wie mochte es den Piloten ergehen? Vermutlich waren sie bei Bewusstsein und begriffen, was hier geschah, oder sie wussten zumindest, dass jemand anders als das Rettungsteam an Bord gelangt war. Am hinteren Ende gab es eine Gegensprechanlage, aber keine Kamera. An ihrer Stelle hätte ich zugehört, um mehr Informationen zu erhalten. Außerdem hätte ich es an die Mission Control weitergegeben.

Ich räusperte mich. »Was soll ich denn von euch sechs weitergeben?«

Brooklyn hielt mich am Ende des Gangs auf. »Sag ihnen, dass es Probleme hier auf der Erde gibt. Sie sollen das All in Ruhe lassen, bis sie die Erde in Ordnung gebracht haben.«

Ich nickte langsam. Sie gehörten zu Earth First, was ich mir ja hätte denken können. Die meisten von ihnen stammten aus den Regionen, die es in der Zeit nach dem Meteoreinschlag am härtesten erwischt hatte. Der Bursche aus Brooklyn hatte vermutlich alles verloren und war in den Ruinen von Brooklyn zum Verrotten zurückgelassen worden, weil er Schwarz war. »Okay, aber dazu braucht ihr doch die anderen hier drin nicht …«

»Das würde dir gefallen, was?«

»Es wäre nett.« Auf der anderen Seite der Tür hielten Rettungswagen mit Blaulicht – offensichtlich ein örtlicher Krankenwagen und drei Löschfahrzeuge und nicht die IAC. Ein Fahrzeug hielt so, dass ich »Madison County« auf den Türen lesen konnte.

»Wo sind wir?«

»In Alabama.«

»Okay … Nun, dann wird es ein wenig dauern, bis jemand von der IAC hier ist.« Obwohl sie dank Begleitflugzeugen und Radar wissen würden, wo wir runtergegangen waren, mussten sie immer noch hierherfahren. »Einigen Leuten geht es nicht gut; warum überlasst ihr sie nicht den Sanitätern? Dadurch … würdet ihr die Weltraumkeime isolieren.«

Einer der Männer steckte den Kopf nach draußen und zog ihn rasch wieder zurück. »Rettungssanitäter kommen näher!«

»Halt sie auf!« Mein Fan ruckte mit dem Kinn, und die Gasmaskenkanister wackelten bei der Bewegung.

Der Mann an der Tür atmete ein, streckte dann den Gewehrlauf aus der Tür und schoss in die Luft. Der Lärm hallte durch die Kabine und erfüllte sie mit grausamen Echos. Er schrie nach draußen: »Das ist nah genug!«

Brooklyn schob mich vorwärts. Sein Daumen grub sich über meinem Ellbogen ins Fleisch, aber gleichzeitig war sein Griff das Einzige, was mich aufrecht hielt.

Mein Fan warf mir einen Blick zu. »Sag ihnen, dass wir ein Nachrichtenteam hier sehen wollen. Und den Präsidenten. Und Dr. Martin Luther King.«

»Und das Oberhaupt der UN!«, rief einer der Männer mit Dreieckstuch. Er hatte von der Truppe die dunkelste Hautfarbe und einen unerwarteten britischen Akzent. Ich kannte natürlich andere Schwarze Briten, war aber davon ausgegangen, die Earth Firster wären alle aus Amerika.

»Ihr wisst … Ihr wisst, dass das nicht …« Nicht passieren wird, aber ich hielt inne, bevor ich zu unverblümt wurde. »… nicht schnell geht.«

Der Brite hob die Augenbraue. »Der Krankenwagen war ganz schön schnell hier.«

»Der Krankenwagen ist hier aus der Stadt!« Ich war mir nicht sicher, was ich tun sollte. Mein Training hatte mich auf Berechnungen und das Steuern von Raumschiffen vorbereitet. Was ich über Geiselsituationen wusste, kannte ich aus Filmen, und ich war mir ziemlich sicher, dass Der Attentäter kein gutes Vorbild darstellte. Keiner dieser Männer würde eine Spielzeugpistole für einen echten Revolver halten. Ich konnte sie nicht unter Strom setzen. Verdammt noch mal, ich konnte ja kaum stehen! Mir blieb nur, dafür zu sorgen, dass sie ruhig und kooperativ waren. »Ich sag es ihnen, aber ihr solltet wissen, dass ihr warten müsst.«

»Du bist nicht in der Position, uns Vorschriften zu machen«, entgegnete der Brite.

»Das ist mir bewusst. Ich will nur sicherstellen, dass ihr alle Informationen habt, die ihr braucht. Der Flug von Kansas hierher dauert fünf Stunden. Okay? Das ist alles, was ich sagen wollte.« Tatsächlich waren es eher zwei Stunden, aber ich dachte mir, dass ein bisschen mehr Zeit nicht schaden würde … Würden sie den Präsidenten in eine T-38 stecken, wäre er in zwanzig Minuten hier, aber das erschien mir doch unwahrscheinlich. Ich drehte mich zur Tür und blinzelte in ungefiltertes Sonnenlicht. »Sie werden fragen, worüber ihr mit ihnen sprechen wollt.«

»Das kann warten, bis sie hier sind. Richtig?« Mein Fan wies zur Tür. »Ein Nachrichtenteam, der Präsident, Dr. King und das Oberhaupt der UN. Du sagst nichts anderes. Kapiert?«

Brooklyn marschierte durch den Gang zurück und zielte mit dem Gewehr auf Helen. »Als Absicherung.«

Nur das Adrenalin und die Tatsache, dass ich Jahrzehnte damit verbracht hatte, meine Angstneurose zu verbergen, hielten mich jetzt noch aufrecht. In meinem Anzug fühlte sich meine Haut zu eng an, und meine Knie bebten mit jedem Schlag meines rasenden Herzens. Irgendwie war ich trotzdem in der Lage, zu nicken und zur Tür zu treten.

Ich legte eine Hand auf den Türrahmen. Meine Finger bebten und untergruben meinen Versuch, Zuversicht auszustrahlen. Die Feuerwehrmänner standen in der Nähe ihrer Wagen und berieten sich offenbar, während der Krankenwagenfahrer über Funk mit jemandem sprach. Einer der Feuerwehrmänner sah mich und tippte seinen Kollegen an.

Ich atmete tief ein, um den Anweisungen unserer Entführer Folge zu leisten, doch die ungefilterte Luft voller Staub, Pollen und Benzindunst bescherte mir einen Hustenanfall. Gekrümmt hielt ich mich am Türrahmen fest, allerdings lag das nicht am Husten, vielmehr versuchte ich, nicht das Bewusstsein zu verlieren. Jemand legte mir eine Hand auf den Rücken und eine weitere auf den Arm, um mich zu stabilisieren.

»Alles in Ordnung?« Mein Fan kauerte sich neben mich und nutzte den Türrahmen als Deckung.

Ich nickte und bereute es sofort. Rasch biss ich die Zähne zusammen, schluckte schwer und wartete, dass die Welt aufhörte, sich zu drehen. »Helfen Sie mir, mich aufzurichten? Ganz langsam?«

Er nickte, wobei die Gasmaske wackelte, und dann half er mir beim Aufstehen. Seine Hand ruhte weiter auf meinem Arm, während er mich mit seinen haselnussbraunen Augen ansah, bis ich einen weiteren vorsichtigen Atemzug wagte. Der Notarzt hatte sich bei meinem Hustenanfall genähert, als könnte er nicht anders.

Ich konzentrierte mich auf ihn, einen weißen jungen Mann von Anfang zwanzig mit zerzaustem blondem Haar, das sich aus der Pomade befreit hatte. »Diese Männer möchten ein Nachrichtenteam, und sie wollen mit dem Präsidenten, dem Oberhaupt der UN und Dr. Martin Luther King Jr., sprechen.«

»Mit wem?« Ein Feuerwehrmann mit Schultern wie ein Bär und Sommersprossen auf den blassen Wangen entfernte sich von der Gruppe. »Was wollen sie?«

Ich sah zur Seite, und mein Fan schüttelte den Kopf. »Sag ihm, dass sie das herausfinden werden, wenn der Präsident hier ist.«

Was gleichbedeutend war mit »niemals«, wie ich die Regierung kannte.

Gangabwärts richtete Brooklyn immer noch das Gewehr auf Helen, also wiederholte ich die Botschaft, bevor ich aus der Sonne trat. »Darf ich mich bitte setzen?«

Ich hatte halb erwartet, dass sie einfach aus Bosheit Nein sagen würden, aber mein Fan führte mich zurück zu meinem Sitz. Brooklyn senkte den Lauf, als ich auf ihn zukam, und Helen sank in sich zusammen, als hätte das Gewehr sie an einem Haken hochgehalten.

Sosehr ich mich auch in meinen Sitz fallen lassen wollte, setzte ich mich doch sehr vorsichtig hin. Mein Fan half mir, als wäre ich eine alte Dame und keine Geisel. Ich räusperte mich und hätte einiges für ein Glas Wasser gegeben. »Wir könnten vielleicht darüber reden, was ich dem Präsidenten sagen soll, wenn er hier ankommt. Sie haben Probleme auf der Erde erwähnt …?«

Mein Fan wechselte einen Blick mit Brooklyn und sah dann an mir vorbei, vermutlich zu einem der anderen Geiselnehmer. Auf der anderen Seite des Gangs beugte sich Leonard ein wenig zu uns herüber und lauschte. Während ich an der Luke gestanden hatte, musste er seine Schultergurte gelöst haben.

Mit verengten Augen musterte mich mein Fan. Ich wusste nicht, was er sah, aber er nickte schließlich. »Die Leute auf der Erde werden im Stich gelassen. Die Gelder fließen alle ins Raumfahrtprogramm, statt dass damit was gegen den Schlamassel getan wird, den der Meteor hinterlassen hat! Menschen drängen sich in Wohnungen. Geflüchtete, die immer noch – zehn Jahre später! – nicht nach Hause können, weil die Versicherungen einfach von höherer Gewalt sprechen und dass die Regierungen die Ressourcen halt so zuteilen, wie sie gebraucht werden.« Er zog wütend die Brauen zusammen. »Als könnten wir nicht sehen, wie die Ressourcen zugeteilt werden! Als würden wir nicht wissen, welche Viertel außen vor bleiben!«

Ich hatte so viel Zeit in der Raumfahrtindustrie verbracht und mit Leuten zusammengearbeitet, die genau verstanden, was mit dem Klima der Erde geschah, und beinahe vergessen, dass Menschen auch viel unmittelbarere Bedürfnisse hatten. »Wenn das Klima sich so erwärmt, wie die Meteorologie voraussagt, dann stecken wir alle in Schwierigkeiten, es sei denn, wir haben Basen auf anderen Planeten errichtet … Das Raumfahrtprogramm ist für alle Menschen auf der Erde!«

»Ach, bitte. Das kennen wir doch schon. Das All ist für die Eliten, und alle anderen werden zurückbleiben.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein! So wird das nicht laufen.«

»Schau dich doch um!«

Ich folgte seiner Aufforderung und drehte den Kopf sehr vorsichtig, damit mir nicht wieder schlecht wurde. Unsere Entführer hatten sich so verteilt, dass zwei am hinteren Ende der Kabine postiert waren und drei an der Tür. Nur mein Fan stand noch neben mir. Alle Passagiere hatten einen grünlich-grauen Teint, aber ich konnte nicht sagen, ob es an der Schwerkraft oder der Situation lag. Vermutlich beides. Helen hatte die Hände im Schoß gefaltet und die Miene so konzentriert verzogen, wie ich es von ihr nur vom Schachspielen und Rechnen kannte. Leonard hatte die Hände unter die Achseln geschoben und saugte an seiner Unterlippe, während er uns beobachtete. Ruby Donaldsons rechtes Knie wackelte, und Vanderbilt DeBeer kaute am Nagelbett seines Daumens herum.

»Keinem von ihnen geht es gut.«

»Sieh noch mal hin. Wie viele sehen aus wie ich?«

Ich warf Leonard einen Blick zu, und er zuckte zusammen. Eines Tages würde ich hoffentlich schneller schalten. In einer Rakete voller Astronautinnen und Astronauten saßen ein Schwarzer Mann, eine Taiwanesin und dreißig Weiße. Oder neunundzwanzig und eine Jüdin, je nachdem, wozu man mich zählte. »Ich kann nicht behaupten, dass Sie falschliegen …«

»Aber du wirst es trotzdem versuchen.« Er wechselte die Pistole in die andere Hand.

»Das Programm befindet sich noch in einer frühen Phase.« Leute hatten glamouröse Bilder vom Raumfahrtprogramm im Kopf, inspiriert von Serien wie Buck Rogers, aber so war es nun mal nicht. »Hören Sie … Ich lebe sechs Monate im Jahr auf dem Mond. Wir haben kein fließendes Wasser. Mein Bett ist ein Schlafsack. Es gibt keinen Alkohol …« Überwiegend. Zumindest keinen genießbaren. »Das Essen kommt immer aus der Dose. Und ein Fehler könnte den Tod der ganzen Kolonie bedeuten. Im Moment braucht man eine ganz bestimmte Ausbildung, um im All zu leben. Wahrscheinlich haben hier alle an Bord ein Diplom oder einen Doktortitel.«

Mein Fan lehnte sich vor und kniff hinter der Gasmaske die Augen zusammen. »Und du vermutest, dass Schwarze so was nicht haben.«

Auf der anderen Seite des Ganges räusperte sich Leonard. »Na ja, einige schon …« Er hielt inne, als mein Fan zu ihm herumfuhr. »Dann lass mal hören, was du zu sagen hast, Onkel Tom.«

Leonard verdrehte die Augen. »Für die akademische Ausbildung, die im Programm benötigt wird, braucht es mehr als harte Arbeit. Ohne Geld und Verbindungen hat man da schlechte Karten. Es ist zwar ein halsbrecherischer Stunt, den ihr hier abzieht, aber ich kann eure Gründe verstehen.«

Raumschiffe sind luftdicht. Selbst mit der offenen Luke, durch die schwüle Luft von draußen hereindrang, gab es nicht viel Zirkulation. Es war August. Wir befanden uns im Süden. Und beim Absturz hatten sich fast alle übergeben.

Nach vier Stunden waren die Hitze und der Gestank einfach unerträglich. Zu dieser Zeit hätten wir eigentlich längst im IAC-Akklimatisierungszentrum in Wasserbetten liegen sollen. Stattdessen mussten wir aufrecht sitzen, der vollständigen Erdanziehungskraft ausgesetzt, in einem Raum, der mit dem üblen Geruch menschlichen Auswurfs erfüllt war.

Helen legte mir eine Hand aufs Bein und tippte mit dem Zeigefinger darauf. Sie war einfach brillant: Morsecode! Ich legte eine Hand auf ihre, als würden wir einander trösten, und tippte eine Bestätigung.

In einer langen Kette aus kurzen und langen Stupsern buchstabierte sie: NUTZDIEANGSTVORKEIMEN.

Ich tippte auf ihren Handrücken: WIE?

ICHSPIELETOT. Sie hielt inne und sah mich aus dem Augenwinkel an. DUREDEST.

Witzigerweise wusste ich, dass sie »tot spielen« konnte. Es gibt im astronautischen Training eine »Todessimulation«, bei der wir üben, was passiert, wenn ein anderer Astronaut stirbt. Normalerweise setzen sich die, die die »Todeskarte« gezogen haben, einfach für den Rest der Simulation hin, aber Helen hatte ihren Tod voll ausgespielt, gekrönt von einem alarmierend rasselnden Atemzug, um danach auf die unheimlichste Weise schlaff herumzuliegen.

Ob das funktionieren würde? Aber andererseits würde der Präsident garantiert nicht herkommen … und wir wussten nicht, was diese Männer tun würden, wenn ihnen das klar wurde. Ich setzte mich auf und hielt Ausschau nach meinem Fan. Sein Name war Roy, was ich nur wusste, weil Brooklyn ihn gefragt hatte, wo die Toilette war.

Roy war vielleicht der Einzige, dem es dank seiner Gasmaske auf diesem Schiff noch ansatzweise gut ging. Ich hob eine Hand, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, und – o Wunder! – er kam sofort herüber. »Ich habe über Ihre Ziele nachgedacht und möchte Ihnen einen Vorschlag machen.«

»Na, da bin ich aber gespannt.«

Helen tat das Heldenhafteste, was ich je gesehen habe, beugte sich vor, warf den Kopf ruckartig in den Nacken und übergab sich auf Roys Schuhe. Alles, was wir bewusst vermieden, seit wir zurück auf der Erde waren, hatte sie rasch hintereinander getan, noch dazu mit brillanter Präzision.

Roy stolperte zurück und prallte gegen Leonards Sitz. Selbst durch die Gasmaske konnte ich erkennen, dass er angewidert das Gesicht verzog.

Die anderen Geiselnehmer waren sofort alarmiert und richteten die Waffen auf uns, während sie noch herauszufinden versuchten, was eigentlich geschehen war. Helen hob die Arme, zitterte und krächzte: »Weltraum…« Sie hustete. »…keime.«

Schon brach sie auf meinem Schoß zusammen. Obwohl ich gewusst hatte, was geschehen würde, schrak ich entsetzt zurück. Dann legte ich ihr einen Finger an den Hals, wo ihr Puls schnell und kräftig ging. Ich blickte zu Roy auf und wünschte mir innig, dass er mir glauben möge. »Es geht ihr ziemlich schlecht.«

Hinter Roy lehnte sich Leonard in seinem Sitz vor. »Denkt ihr, sie hören euch zu, wenn ihr Astronautinnen in einer Rakete sterben lasst? Denkt ihr, Dr. King wird euch dann unterstützen?«

Mit der Hand an Helens Hals bettelte ich: »Bitte! Lassen Sie bitte die Leute gehen, denen es am schlechtesten geht, um Ihre guten Absichten zu demonstrieren.«

»Wir sollen unsere Druckmittel einfach weggeben?«

»Ein Akt des Mitgefühls, bei dem Sie den Leuten, denen es nicht gut geht, medizinische Hilfe zukommen lassen, kann Ihre Sache nur fördern.« Es machte nicht den Anschein, als würde er nachgeben. Kein bisschen. »Ich bleibe als Vermittlerin hier.«

Dawn Sabados aus der Kommunikationsabteilung würgte trocken, und das ließ die Fassung eines hellhäutigen Mannes mit Dreieckstuch bröckeln. Er schüttelte den Kopf. »Komm schon … Bevor wir uns das alle einfangen.«

Roy, der durch seine Gasmaske geschützt war, musterte jeden Einzelnen seiner Kameraden. Brooklyn hatte trotz der Sturmhaube eine Hand auf Mund und Nase gepresst. Er hob sie lange genug, um zu sagen: »Mach schon!«

»Okay.« Er packte mich am Arm. »Du musst ihnen sagen, was passieren wird.«

Ich schob Helen zur Seite. Sie blieb so »tot« wie in der Simulation und ließ einen Arm herabhängen. Roy half mir auf die Beine, und der Raum wurde grau und schwankte um mich herum. Ich packte etwas – die Lehne, denke ich –, bis es mir gut genug ging, dass ich den Gang hinabstolpern konnte.

Bevor wir an der Tür ankamen, hielt ich inne und wandte mich Roy zu. »Die Sanitäter werden herkommen müssen, um sie in Empfang zu nehmen. Die meisten sind zu schwach zum Stehen.«

Der Brite, der wachsam mit seinem Gewehr am Türrahmen lehnte, sah auf. »Immer zu zweit?«

Roy nickte. »Und keine Heldentaten.«

»Verstanden.« Ich trat zur Tür. Der Brite musste mich stützen. Die Sonne stand nun deutlich tiefer und tauchte alles in schönes goldenes Licht, das nur von den roten und blauen Lampen der Ersthelfer gebrochen wurde. Draußen standen noch mehr Krankenwagen und nun auch mehrere Streifenwagen. Die Geiselnehmer hatten ihr Nachrichtenteam bekommen. Offenbar waren gleich drei Fernseh- und mehrere Radiosender angerückt.

Allerdings hielten sie Abstand und befanden sich außerhalb der militärischen Absperrung, die um die Rakete herum errichtet worden war. Als ich in den Türrahmen trat, richteten sich alle Waffen auf mich. Ich musste schlucken, bevor ich sprechen konnte. »Sie wollen einige herauslassen, um ihren guten Willen zu zeigen. Immer zwei auf einmal. Die Sanitäter dürfen näher kommen und sie abholen.«

Und dann zerrten sie mich von der Tür zurück. Meine Knie gaben nach, und ich fiel zu Boden. Der Brite packte mich und riss mich wieder auf die Beine, und die plötzliche Bewegung … Tja, ich wurde bewusstlos.

Als ich wieder zu mir kam, war ich mit den Entführern allein in einem Schiff, in dem es nach Erbrochenem und Furcht stank.

Drei

Earth-First-Anhänger lassen 31 von 32 Geiseln als »Geste guten Willens« aus Raumschiff frei

Von David Bird

MONTGOMERY, AL, 21. August 1961 – Die Protestierer von Earth First nutzten die Gunst der Stunde, als das Raumschiff Cygnus 14 bruchlandete, stürmten es und nahmen 32 Astronautinnen und Astronauten als Geiseln. Heute ließen sie alle bis auf eine Astronautin als »Geste des guten Willens« frei. Die verbleibende Geisel ist Dr. Elma York, die auch als »Lady Astronaut« bekannt ist und an Bord bleiben soll, bis die Forderungen erfüllt sind. Sie dient ihnen zudem als Mittlerin zu den Behörden.

Zehn Stunden. Im Schiff war es dunkel; es wurde nur von den Strahlern erhellt, die das Rettungsteam darauf ausgerichtet hatte. Mein Gleichgewichtssinn war gar nicht glücklich darüber, wieder auf der Erde mit ihrer Schwerkraft zu sein. Mir ging es schlecht, und ich fühlte mich sogar noch schwächer als unmittelbar nach der Landung. Trotz meiner Bemühungen war ich noch zweimal ohnmächtig geworden, nachdem ich zur Tür hatte gehen müssen, um erneut die Forderung nach dem Präsidenten, dem Oberhaupt der UN und Dr. Martin Luther King Jr., weiterzugeben.

Sie würden nicht kommen. Mir war das klar. Es konnte sich nur noch um Stunden handeln, bevor die Earth Firster es auch begriffen. Präsident Denley war berüchtigt dafür, dass er seinen Truppen befohlen hatte, im Koreakrieg auf die Zivilbevölkerung zu schießen. Ich glaubte nicht daran, dass er vor diesen Männern einknicken würde.

Zwischen meinen Ausflügen zur Tür saß ich auf einem der leeren Sitze im vorderen Teil der Rakete und versuchte, mit dem Kopf an der Nackenstütze ein Nickerchen zu machen. Doch selbst um zwei Uhr nachts und im Dunkeln war ich zu angespannt, um Schlaf zu finden. Dass meine Augen geschlossen waren, ermunterte die Geiselnehmer jedoch, freier zu sprechen.

»Verdammte Scheiße! Ich hab Hunger.« Das war der Brite, der Lysander hieß. Er war mit Brooklyns Schwester verheiratet, die Roys Cousine war. Ich wusste inzwischen, dass diese ganze Aktion nicht geplant gewesen war. Die Männer waren auf der Jagd gewesen, hatten den Absturz der Rakete gesehen und waren vom Zorn der vergangenen zehn Jahre hergetrieben worden.

»Denkst du, du kannst uns was zu essen besorgen?« Brooklyn rüttelte mich an der Schulter.

Ich wartete, bis er mich ein zweites Mal schüttelte, bevor ich die Augen öffnete. Abermals nutzte ich Taktiken, die ich aus Filmen kannte, und hoffte, dass es sich auszahlte, wenn ich mich schwächer stellte, als ich war. Nicht, dass ich mich noch viel schwächer hätte stellen können. »Hm?«

Brooklyn wiederholte es und wies auf die Tür: »Sag ihnen, sie sollen uns was zu essen bringen!«

Roy schüttelte den Kopf. »Sei doch kein Idiot. Sie könnten doch alles vergiften, was sie uns reinschicken!«

»Dann bitten wir eben um Konserven.« Brooklyn zuckte mit den Schultern. »Eine Dose Frühstücksfleisch und ein Laib Brot. Dann können wir uns Sandwiches machen.«

Beim Wort »Frühstücksfleisch« machte mein Magen einen verzweifelten Satz, und ich schmeckte Galle, die ich wieder herunterschluckte. »Darf ich auf die Toilette gehen? Ich glaube, ich muss …« Ich presste eine Hand auf den Mund. »Bitte?«

Roy packte mich am Arm und schaffte mich zur Toilettenkabine. Sie war weltalloptimiert und verfügte über eine Vakuumtoilette und einen Handlauf, damit man an Ort und Stelle blieb. Hier auf der Erde reichte die Gefällezuführung natürlich aus.

Ich stolperte hinein, schloss die Tür und lehnte mich einen Moment daran, bevor ich auf die Knie sank und mich elendig übergab. Die Krämpfe ließen mich keuchend und schwach auf dem Boden des kleinen Raums zurück.

Roy hämmerte gegen die Tür. »Bist du fertig?«

»Fast!« Der Gedanke daran, aufzustehen und den ganzen Weg zum Sitz zurückzugehen, fesselte mich schier an den Boden und …

Schüsse.

Ich gebe zu, dass ich aufkreischte. Außerhalb der Toilettenkabine konnte ich die abgehackten Feuerstöße von Schrotflinten und die helleren Einschläge von Sturmgewehren hören. Und Männer, die schrien.

Ja, ich rollte mich zusammen. Ja, ich hatte furchtbare Angst. Ich war im Zweiten Weltkrieg gewesen, und obwohl ich das Kampfgeschehen nie sehen sollte, war ich an manchen Tagen … an manchen Tagen beim Überführen von Flugzeugen zu belagerten Stellungen geschickt worden. Ich wusste, was da draußen geschah, und ich wäre eine Närrin gewesen, hätte ich keine Angst gehabt, wo doch nur die Wände und die Plastiktür der Kabine zwischen mir und dem Tod standen.

Ich kauerte mich zusammen, legte die Arme um den Kopf und versuchte, mich so klein wie möglich zu machen. Das war’s. Heldenhafter wurde es nicht – ich versuchte einfach, nicht erschossen zu werden.

Die Schüsse verhallten.

»Sauber!«, gab eine männliche Stimme nach der anderen weiter, bis sie vor der Toilettentür ankamen. Jemand drückte die Klinke herab. »Dr. York? Ich bin Sergeant Mitchell Ohnemus von der UN.«