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Garp kommt aus dem Gefängnis heraus, doch er lebt gefährlich ... Ein Thriller-Klassiker aus den 1920ern. Viel Action und Arbeit für Detektive, dazu historische Atmosphäre im Vorkriegs-Berlin.
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Seitenzahl: 77
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ISBN 978-3-96055-907-8
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Als Garp aus dem Gefängnis kam.
An einem regnerischen Aprilabend verließ ein großer schlanker Herr in dunkelgrauen Wettermantel und mit tief in die Augen gedecktem Hut das am Berliner Zoologischen Garten gelegene Paradies-Hotel und schritt eilends in das unfreundliche Wetter hinaus. Der Portier warf ihm einen erstaunten Blick nach, murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, und die Sache war hiermit vorläufig für ihn abgetan.
Eine halbe Stunde später tauchte derselbe Herr in einer kleinen Kneipe im Berliner Norden auf, fragte den ob solch vornehmen Besuchs sehr überraschten biederen Wirt nach einem Mann namens Huber und wurde daraufhin in das sogenannte Vereinszimmer gewiesen, wo zur mäßigen Freude des Kneipenbesitzers seit einer Stunde drei Leute, die er am liebsten sofort wieder fortgeschickt hätte, denn der »Blaue Schwan« war ein durchaus einwandfreies und ehrbares Lokal und der Wirt als alter Berliner hatte für eine gewisse Sorte Menschen einen untrüglichen Blick.
Der hochgewachsene Fremde hatte bei seinem Eintritt in das Vereinszimmer sehr schnell und geschickt eine Halbmaske vor sein Gesicht geschoben und war nun vollkommen unkenntlich.
Die gedämpfte Unterredung dauerte ungefähr eine halbe Stunde. Dann zahlte der Fremde, der seine Handschuhe nicht ablegte, jedem fünfhundert Mark, warf noch zwanzig Mark für die Zeche auf den Tisch und entfernte sich ohne besondere Eile. Der Wirt – genau wie der Portier – schickte ihm einen langen erstaunten Blick nach, und dieser Blick wurde noch mißtrauischer, als einer der drei hastig hinter dem Fremden das Lokal verließ. Aber »Zaunlatte« hätte sich diese Mühe sparen können. Der große Herr hatte ein Auto bereit und sauste davon, ohne daß Zaunlatte die Nummer lesen konnte. –
In derselben Nacht gegen zwölf Uhr ereilte dann Allan Garp das ihm vielleicht vorausbestimmte Geschick, als er mit seiner Schwester Ellen von Bekannten aus Potsdam heimkehrte. Es regnete wieder, und Garp fuhr daher recht vorsichtig, zumal Ellen, eine ebenso begeisterte wie leichtfertige Motorradlerin, aus reinem Übermut wiederholt seinen Weg kreuzte.
Dicht vor dem Eingang zur Avus-Bahn steigerte Garp das Tempo, um einer Taxe auszuweichen, und fast gleichzeitig – die Ursache hatte er nie begriffen – tauchte seiner Schwester Motorrad wiederum vor ihm auf, und das Unglück war geschehen. Er hatte seine eigene Schwester, mit der er freilich sehr kühl und förmlich verkehrte, überfahren und getötet.
Er kam vor Gericht. Die Zeugen, und das waren der Schofför und die beiden Insassen der Autotaxe, bekundeten übereinstimmend mit einem Polizeibeamten, daß Garp der Taxe zu schnell und auf der falschen Seite ausgewichen sei. Er wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, und sowohl seine Bekannten in Potsdam wie sein einziger noch lebender näherer Verwandter sagten sich völlig von ihm los. Der einzige, der zu ihm hielt und ihm Briefe schickte, war gerade der Mann, von dem er es am wenigsten erwartet hatte.
Er verbüßte seine Strafe in der Anstalt Plötzensee, und der Tag seiner Entlassung war ein noch regnerischerer und noch unfreundlicherer als jener 3. April, an dem ihm das furchtbare Unheil zugestoßen war. Schwere Gewitter tobten über Berlin, und als Allan Garp das Gefängnistor hinter sich hatte, dankte er es Doktor Lohr von ganzem Herzen, daß er ihn mit seinem Auto erwartete.
Richard Lohr war dem Namen nach Rechtsanwalt, sein großes Privatvermögen gestattete ihm jedoch vollkommen, seinen etwas merkwürdigen Liebhabereien zu leben. Er war dreißig Jahre alt, hatte eine Zeitlang Strafverteidiger gespielt und beschäftigte sich nun ausschließlich und rein theoretisch mit Kriminalfällen. Sein kühler, klarer Kopf begnügte sich mit einer Ausarbeitung von schriftlichen Theorien über kriminelle Tagesprobleme, und Zeitungen und Zeitschriften rissen sich geradezu nach seinen geistvollen Haarspaltereien, die er in der Art des seligen Sherlock Holmes abzufassen pflegte, die jedoch stets mit Witz und beißender Ironie durchtränkt waren.
Doktor Lohr bewohnte kleine neue Villa im Berliner Vorort Zehlendorf. Als er und sein Gast dort eintrafen, war die Köchin gerade einkaufen gegangen und der Diener säuberte die Zimmer im ersten Stock.
Dieser Diener, Karl Melzer mit Namen, vernahm das Nahen des Autos und das Zufallen der Haustür. Er wollte sich erst etwas säubern, bevor er nach den Wünschen der beiden Herren fragte, vernahm jedoch gleich darauf einen Schuß und erblickte vom Balkon Allan Garp, der wieder zum Auto stürmte und allein davonraste.
Karl Melzer eilte ins Erdgeschoß hinab und fand seinen Herrn mit einem schweren Kopfschuß im Herrenzimmer auf dem Teppich liegen. Er rief die Polizei und einen Arzt an, und da aus Lohrs Wandtresor, der offenstand. mehrere tausend Mark fehlten, wurde hinter Allan Garp sofort ein Steckbrief erlassen. Man entdeckte zwar Lohrs leeres Auto im Grunewald unweit des Restaurants Hundekehle, Garp selbst blieb verschwunden.
Doktor Lohrs Schußverletzung war zum Glück weniger schwer, als es anfänglich geschienen hatte, und seine Vernehmung am Nachmittag ergab, daß er, wie auch die Wunde bewies, von Garp von hinten brutal niedergeknallt worden war, und zwar mit Lohrs eigener Pistole.
Am Abend saßen wir wie stets zu dreien um den großen Kaminofen, und Harsts schmales Gesicht wurde in dem matten Dämmerlicht der Stehlampe nur dann deutlicher sichtbar, wenn er einen Zug aus der Zigarette tat und deren Spitze stärker aufglühte.
Steen, ein Jüngling mit kecker Wippnase und beängstigend modernem Anzug und haarscharfen Bügelfalten, hielt noch die dritte Ausgabe der heutigen Abendpost in Händen, und die Zeitung machte wieder einmal mit wortschreierischen Überschriften über »Allerneuestes über Allan Garps Raubmordversuch« blendende Geschäfte, obwohl das »Allerneuste« nur darin bestand, daß nun festgestellt war, Garp sei in einem Wettermantel Doktor Lohrs und in dessen Hut entflohen, die er offenbar in der Diele vom Haken gerissen habe.
Plötzlich schnurrte das Telefon. Harald meldete sich. Wir hörten mit.
»Hier Doktor Lohr, Zehlendorf ... Sie kennen mich gewiß dem Namen nach, Herr Harst.«
»Leider ... Ihre Angriffe gegen meine Arbeitsmethoden entbehren zuweilen der Sachlichkeit.«
»Um so stolzer dürfen Sie jetzt sein, daß ich Sie bitte, mich sofort zu besuchen. Weshalb, werden Sie sich denken können.«
»Allerdings ... – Gut, wir kommen. Schraut und ich. Unser junger Freund Steen ist etwas unpäßlich, leichte Grippe.«
Das war Schwindel. Fred Steen hatte nur anderes zu erledigen.
»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Harst ... Also auf Wiedersehen.«
Wir beide machten uns zum Ausgehen fertig. Im Flur hingen noch am Garderobenständer ein feuchter Wettermantel und ein nasser Hut.
»Fred, Sie nachlässiger Schlingel, – weg mit den Sachen!«, fauchte Harald den tief geknickten Steen sehr ärgerlich an. »Durch Ihre Bummelei können wir in Teufels Küche geraten!«
In unserer stillen Arnoldstraße sind Autotaxen selten. Wir hatten Glück. Zu meinem Erstaunen befahl Harst jedoch dem Fahrer: »Zunächst nach dem Paradies-Hotel am Zoologischen Garten.«
Der Portier im Hotel war noch derselbe wie vor einem Jahr. Er nahm uns in seine Loge und erklärte uns, die Geschwister Garp hätten allerdings »damals« hier gewohnt.
Durch Harsts eingehende Fragen wurde das Gedächtnis des Portiers schließlich so weit geweckt, daß er uns noch folgendes erzählte: An jenem Abend, als Miß Garp totgefahren wurde, hatte gegen sieben Uhr ein Herr das Hotel verlassen, der offenbar sein Gesicht zu verbergen suchte. Wahrscheinlich sei es aber Doktor Lohr, der Verehrer Miß Garps, gewesen.
Harsts geheimnisvolle Verbündete.
Wer das neue Villenviertel von Zehlendorf kennt, weiß auch, wie still und einsam dort die Straßen mit den weiten, noch unbebauten Flächen sind.
Die Großstadt bietet gerade in ihren Randortschaften für verbrecherische Elemente das beste Betätigungsfeld.
Trotzdem kam uns beiden bei diesem finsteren, regnerischen Wetter der jähe Überfall völlig überraschend. Eine große Limousine versperrte uns den Weg, ein paar Kerle knallten uns den Gifthauch von Scheintodpistolen ins Gesicht, und als ich wieder erwachte, lag ich neben dem Taxenschofför im Straßengraben. Leute bemühten sich um uns, und als der nächste Morgen heraufdämmerte, war Harald noch immer nicht gefunden. Nur sein blutbefleckter und von zwei Kugeln in der Brustgegend durchlöcherter Ulster hatte in einem nahen Waldstück gelegen.
Abends mußten Fred und ich jede Hoffnung aufgeben, da Waldarbeiter nachmittags nur mühsam einen brennenden Holzstoß gelöscht hatten, den Unbekannte zusammengetragen haben mußten. In den verkohlten Hölzern fand man Leichenreste, und der Rumpf dieser Reste wies zwei Kugelverletzungen auf. Eine Feststellung der Persönlichkeit des Toten war allerdings unmöglich.
Gegen neun meldete sich dann das Telefon. Hoffnungsfroh hob ich den Hörer ab, es war jedoch zu meiner bitteren Enttäuschung eine unbekannte Frauenstimme, die mir lediglich zurief: »Elf Uhr Restaurant Zum Blauen Schwan, Gartenstraße.«
Trotzdem drückte ich Fred vor Freude sehr derb die Hand.
Fred Steen hatte seinen sogenannten abgeklärten Tag. »Jubeln Sie nicht zu früh, Herr Schraut!«, warnte er. »Im übrigen möchte ich alleruntertänigst fragen, wer hier das Haus bewachen soll, während wir zum Schwan in die Gartenstraße schwimmen. Unser Heim muß einen Wächter haben. – warum, das brauche ich Ihnen nicht erst vorzuhalten.«
»Schmiedecke und Scylla«, erklärte ich kurz und rief auch schon »Argus« an.
Um Zehn erschienen Kautschuk-Gustav nebst Mastferkel von Terrierhündin, und der endgültig gebesserte Exsträfling war so selig, wieder einmal mit uns zusammen ein Ding drehen zu können, daß er sofort drei Weingläser Kognak hinuntergoß, ein Quantum, das ihm gar nichts ausmachte.
Punkt elf Uhr betraten wir den Schwan, und der zweifellos eingeweihte biedere Wirt führte uns sogleich in das Vereinszimmer, wo wir eine tief verschleierte Dame und einen älteren, bärtigen Mann mit grauen Künstlerlocken vorfanden, der neben sich einen Geigenkasten liegen hatte und der auch ganz wie ein Straßenmusikant aussah, auch der Nasenröte nach. Er trug gestopfte Zwirnhandschuhe.