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In 'Geballte Kraft' von Hans Dominik taucht der Leser in die Welt des technologischen Fortschritts ein, welcher die Gesellschaft revolutioniert. Das Buch präsentiert eine faszinierende Vision der Zukunft, in der Wissenschaft und Technik im Zentrum stehen. Dominiks literarischer Stil ist geprägt von präziser Prosa und einer klaren Darstellung komplexer wissenschaftlicher Konzepte. Als Pionier der Science-Fiction-Literatur hat Dominik mit 'Geballte Kraft' einen Meilenstein geschaffen, der bis heute relevant bleibt. Das Buch reflektiert nicht nur die Zukunftsvisionen seiner Zeit, sondern regt auch zum Nachdenken über die Auswirkungen technologischer Entwicklungen auf die Gesellschaft an. Hans Dominik, ein deutscher Ingenieur und Schriftsteller, war bekannt für seine Werke, die sich mit technologischen und wissenschaftlichen Themen auseinandersetzten. Seine Leidenschaft für Technik und Zukunftsvisionen spiegelt sich deutlich in 'Geballte Kraft' wider, in dem er die Potenziale und Risiken der technologischen Entwicklung aufzeigt. Als Experte auf seinem Gebiet vermittelt Dominik sein Wissen auf unterhaltsame und informative Weise, was seine Werke sowohl wissenschaftlich als auch literarisch wertvoll macht. 'Geballte Kraft' von Hans Dominik ist ein Muss für alle Leser, die sich für Science-Fiction, technologische Entwicklungen und gesellschaftliche Veränderungen interessieren. Mit seiner visionären Darstellung einer von Technik geprägten Welt bietet das Buch nicht nur spannende Unterhaltung, sondern regt auch dazu an, über die Zukunft und die Rolle der Technologie in unserem Leben nachzudenken. Die lebendigen Charaktere und die packende Handlung machen 'Geballte Kraft' zu einem fesselnden Leseerlebnis, das den Leser noch lange nach der Lektüre beschäftigen wird.
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Seitenzahl: 201
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Ein »Fluidum«, das heißt etwas Flüssiges, nannten die gelehrten Zeitgenossen Galvanis und Voltas die Elektrizität; »denn eben wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein«. Ein geheimnisvolles Fluidum sagten ihre Nachfolger, die Davy, Ampère und Oerstedt, als sie entdeckten, daß dies neue undefinierbare Etwas, das sich aus den galvanischen Batterien in die Drähte ergoß, chemische Wirkungen von bisher ungeahnter Stärke hervorzubringen vermochte, daß es Fernkraftwirkungen durch den Raum hindurch ausübte und in ganz eigenartiger Weise mit den magnetischen Erscheinungen zusammenhing. Geheimnisvoll blieb die Elektrizität auch noch das ganze 19. Jahrhundert hindurch, obwohl man ihre Gesetze längst genau erforscht und sie als eine Form der Energie erkannt hatte. Viel schneller als die Theorie entwickelte sich hier die Praxis, wie das ja des öfteren in der Geschichte der Technik zu verzeichnen ist. Die Männer der Praxis zerbrachen sich nicht lange den Kopf darüber, was dieses elektrische Fluidum nun eigentlich wäre; sie nutzten zunächst die Tatsache aus, daß die Elektrizität sich mit einer unmeßbar großen Geschwindigkeit in Leitungsdrähten fortpflanzt.
So entstand um die Mitte des 19. Jahrhunderts der elektrische Telegraph. Bald überzog ein Netz von Drähten den europäischen Kontinent; bald streckten sich auch die Kabel durch die Ozeane, und der elektrische Strom erfüllte, was jene Männer, welche die Leitungen spannten, von ihm erwartet hatten. Tausend oder dreitausend Meilen entfernt tickte der Hebel des Empfängers im gleichen Moment ebenso, wie der Telegraphist auf der Geberstation die Taste bewegte. Die Ära der elektrischen Nachrichtenübermittlung brach damit an, wirkte umformend auf Handel und Wandel und gab Riesenstaaten, wie dem russischen und englischen Reich, die Möglichkeit einer straffen Organisation.
Das war viel, doch es war nicht alles. Das »Fluidum« vermochte mehr, wenn man es nur in der nötigen Stärke erzeugen konnte. Für die Telegraphie genügten die galvanischen Elemente. Um die Elektrizität als Energieform zu nutzen, als Bringerin von Licht und Kraft auszuwerten, mußte eine Stromquelle erschlossen werden, viele tausend Male mächtiger als die alten galvanischen Elemente. Diese Tat getan, den neuen Stromerzeuger intuitiv erschaut und praktisch entwickelt zu haben, ist das unvergängliche Verdienst des Deutschen Werner Siemens. Durch die Entdeckung des dynamo-elektrischen Prinzips und die Konstruktion der Dynamomaschine hat er ein neues Zeitalter eingeleitet, hat er der Menschheit Möglichkeiten erschlossen, an die vergangene Geschlechter in kühnsten Träumen nicht zu denken wagten.
75 Jahre sind jetzt seit jenem Tage verflossen, an dem die erste Dynamo aus ihrem Anker Starkstrom in die Leitung entsandte. Dem Gedenken dieses Tages und der Großtat des deutschen Altmeisters der Elektrotechnik Werner Siemens gilt das vorliegende Buch.
Durch die hohen Fenster des Großkraftwerkes im Westfalenland fallen die Strahlen der Nachmittagssonne. Ein breiter Lichtbalken läßt die bunten Fliesen des Fußbodens in dem saalartigen Raum der Schaltwarte aufleuchten und malt Lichter auf die gekachelten Wände. Hier ist das Gehirn der mächtigen Anlage, in der elektrische Energie im Betrage von vielen Megwatt , von vielen hunderttausend Pferdestärken erzeugt und weit über das Land hin verteilt wird.
In einem weiten Halbkreis sind Instrumentenpulte um einen Schreibtisch herum angeordnet, deren Tafeln wohl mehr als hundert Meß- und Schaltgeräte tragen. Wie die Nervenstränge eines lebendigen Organismus laufen von den Pulten elektrische Leitungen zu den verschiedenen Stellen des Werkes. Sensitiven Nerven sind die Drähte vergleichbar, die zu den Meßinstrumenten führen und Zeiger über die Skalen spielen lassen, deren Stand dem einsamen Mann an dem Schreibtisch, dem Schaltmeister, dem diese ganze wundersame Apparatur untersteht, angibt, welcher Dampfdruck in den Kesseln herrscht, mit welchen Umdrehungen die Turbinen laufen, welche Leistung die Elektroaggregate in diesem Augenblick hergeben, und noch vieles andere mehr. Motorischen Nerven entsprechen jene andere Leitungen, die von den Schalt- und Kommandoapparaten ausgehen. Ein schwacher Druck hier in der Schaltwarte auf einen der vielen Knöpfe oder Hebel genügt, und stärker flammt das Feuer unter den Kesseln auf, stärker oder schwächer strömt der Dampf durch die Turbinen, hundert Meg mehr oder weniger pulsen durch die Fernleitungen.
Still ist es in dem mächtigen Saal. Käme nicht hin und wieder ein leichtes Klicken und Klacken von den registrierenden Instrumenten her, so könnte man eine Nadel zu Boden fallen hören. Der Schaltmeister schlägt das vor ihm auf dem Tisch liegende Protokollbuch auf. Sein Blick geht zwischen den Meßinstrumenten und den Zeigern der Wanduhr hin und her; dann macht er eine Eintragung. Nur wenige Zahlen schreibt er in die Spalten der vorgedruckten Tabelle:
16 Uhr 15 Minuten: Gesamtbelastung 205 000 Kilowatt.
Nun greift er zu einem anderen Schriftstück. Es enthält die Lastanforderungen für den heutigen Tag, die schon in früher Morgenstunde von der zentralen Lastverteilungsstelle her telephonisch aufgegeben wurden. 250 000 Kilowatt sind nach dieser Anweisung von 16 Uhr 30 Minuten an in die Hochspannungsleitung abzugeben. Ein Turboaggregat von 50 Megwatt muß hinzugeschaltet werden, um diese Leistung zu schaffen. Schon vor geraumer Zeit hat der Schaltmeister seine Dispositionen dafür getroffen, hat durch die Kommandoapparate der Warte und auch durch das Telephon Anweisungen an die verschiedenen Stellen des Kraftwerkes gegeben, die bei der Ausführung des Manövers mitwirken müssen. Durch einen Blick auf die Meßinstrumente überzeugt er sich davon, daß seinen Anordnungen überall Folge geleistet wurde.
Die Manometer einer Kesselgruppe, die vor einer Stunde noch beinahe auf Null standen, zeigen schon den vollen Druck von 35 Atmosphären an. Es wirkte sich inzwischen aus, daß auf das Kommando der Schaltwarte hin Preßluft in stärkerem Strom die auf Staubform vorgemahlene Kohle in die Feuerungen blies und heiß wabernde Lohe seitdem die Wasserrohre dieser Kessel umgibt. Auch auf der Tafel, welche die Instrumente des zuzuschaltenden Turbosatzes enthält, haben sich die Stellungen der Zeiger geändert. Der Schaltmeister ersieht aus ihnen, daß die Luftpumpen im Kondensator der 70 000pferdigen Dampfturbine ein neunzigprozentiges Vakuum hergestellt haben. Sein Auge geht weiter zu einer anderen Skala, auf welcher der Zeiger sich langsam an die Zahl 1500 heranschiebt. Gleich wird das Aggregat hochgefahren sein, geht es ihm durch den Sinn, gleich werden die 1500 Umdrehungen in der Minute erreicht sein, mit der es laufen muß, bevor weitere Manöver gemacht werden können.
Fünfundzwanzigmal in der Sekunde rotiert jetzt im Maschinenraum die riesige Schaufeltrommel der Dampfturbine um ihre Achse und zwingt den fest mit ihr gekuppelten Rotor des großen Drehstromgenerators, die Drehung mitzumachen. Und auch der Anker einer Gleichstromdynamomaschine, der freitragend hinter dem letzten Lager auf der Achse befestigt ist, rotiert mit. Fast unscheinbar wirkt diese Maschine neben den massigen Gebilden der Turbine und des großen Elektrogenerators, obwohl sie doch für eine Leistung von 250 Kilowatt, von rund 350 Pferdestärken gebaut ist. An einer anderen Stelle würde sie gewiß einen recht stattlichen Eindruck machen; könnte sie doch zehntausend Glühlampen speisen und eine kleinere Stadt mit Licht versorgen, hier wird sie fast übersehen. Und doch ist sie so wichtig und unentbehrlich, denn sie liefert ja den Erregerstrom für den Rotor des Drehstromgenerators und setzt diesen um so vieles größeren Bruder dadurch überhaupt erst instand, elektrische Energie zu erzeugen.
Ein Gewicht von beinahe 200 Tonnen, das Gewicht von zwei schweren Schnellzuglokomotiven, haben die rotierenden Massen des Turboaggregates. Eine lebendige Kraft von 5000 Metertonnen ist allein in dem kreisenden Teil des Generators gespeichert, aber so genau sind diese Stahlmassen ausgewuchtet, so genau um die Rotationsachse abgeglichen, daß dem Beobachter, der neben dem Aggregat steht, kaum ein schwaches Zittern etwas von den gigantischen Kräften und Energien verrät, die hier am Werke sind.
Aber es hat Zeit gekostet, bis diese Massen in Schwung kamen. Sehr allmählich nur durften die von der Schaltwarte aus ferngesteuerten Apparate dem hochgespannten Dampf den Zutritt zu den Turbinen freigeben. Langsam nur durfte die Erwärmung der kalten Stahl- und Eisenteile vonstatten gehen, bis ihre Temperatur sich schließlich derjenigen des Dampfes angeglichen hatte, bis die gewaltige Schaufeltrommel danach anzufahren begann. Von Minute zu Minute wurde dann ihre Rotation schneller. Im Verlauf einer Stunde wurde das Aggregat hochgefahren, bis es nun – zwanzig Minuten nach 16 zeigt die Wanduhr – die betriebsmäßige Umdrehungszahl erreicht hat.
Auch der Anker der Gleichstromdynamo rotiert mit derselben Tourenzahl, doch vorläufig besteht noch keine geschlossene Verbindung zwischen seinen Drähten und den Schenkelwicklungen dieser Maschine. Erst die Bewegung eines Hebels in der Schaltwarte stellt sie her, regelt Widerstände und leitet dadurch ein eigenartiges Wechselspiel zwischen dem Anker und den ihn umgebenden Elektromagneten ein.
Minimal nur ist der Magnetismus, der von früheren Betriebszeiten her in den Eisenkernen der Elektromagnete zurückblieb. Kaum merklich sind die winzigen Ströme, die zunächst durch diesen schwachen Restmagnetismus in den Ankerdrähten induziert werden und die Wicklungen der Elektromagnete durchfließen. Doch ein wenig wird dadurch deren Magnetismus vergrößert, und schon erzeugt diese Verstärkung wieder eine Vergrößerung des im Anker induzierten Stromes. Noch kräftiger als bisher durchfließt der vom Anker kommende Strom die Magnetwicklungen, noch kräftiger induzieren im nächsten Moment die Elektromagnete den Anker. Von Sekunde zu Sekunde wächst der magnetische Fluß an, von Sekunde zu Sekunde steigt auch der von der Dynamo erzeugte Strom. Die Maschine hat sich selbst erregt, wie ihr Erfinder Werner Siemens das einst vor fünfundsiebzig Jahren voraussah.
In der Schaltwarte geben Spannungs- und Stromzeiger von diesen und auch noch von anderen Vorgängen Kunde. Sie lassen nicht nur die Klemmenspannung der Dynamo erkennen, sondern zeigen auch die Stärke des Gleichstromes an, der von ihr durch die schweren Kupferwicklungen des Rotors der Drehstrommaschine fließt. Rund 1000 Ampere sind es jetzt, und in einen gewaltigen Elektromagneten haben sie auch den Rotor verwandelt. Induzierend kann er jetzt ebenfalls auf die Windungen des Stators, des feststehenden Teiles der großen Maschine wirken, der den Rotor als Hohlzylinder umgibt. Elektromotorische Kräfte durchzucken die Statorwindungen, doch vorläufig fließen noch keine Ströme in ihnen, denn ihr Kreis ist noch nicht geschlossen. Etwas anderes muß erst geschehen, bevor darangegangen werden darf. Der Drehstromgenerator muß erst synchronisiert werden, bevor er zugeschaltet werden darf. »Synchronisiert!« Das Wort enthält dreierlei Forderungen. Die Spannung der Maschine muß gleich derjenigen der anderen im Werk laufenden sein, mit denen sie zusammen arbeiten soll. Ihre Periodenzahl von 100 Spannungswechseln in der Sekunde muß genau erreicht sein, und schließlich muß die Vektorlage der von ihr erzeugten Spannung mit derjenigen der anderen Turbosätze übereinstimmen, das heißt, auf die Tausendstelsekunde genau muß sie im Einklang mit dem Netz den Spannungshöchstwert und dann wieder den Spannungsnullwert liefern.
So umständlich der Vorgang des Synchronisierens in der Erklärung klingt, so einfach und schnell vollzieht er sich mit den neuzeitlichen, automatischen Parallel- Schalteinrichtungen und nimmt knapp eine Minute in Anspruch. Ein Hebeldruck in der Schaltwarte hat diese Apparatur in Betrieb gesetzt. Wie aufmerksame Wächter stehen die dazugehörenden Relais bereit, um genau in der Millisekunde zuzuschnappen, in der die Synchronisierungsbedingungen erfüllt sind. Und dann ist es geschehen. Schon zeigen die Meßinstrumente an, daß die Zuschaltung erfolgt ist. Wie durch ein geheimnisvolles, elektrisches Band ist der Generator dadurch gewissermaßen mit den anderen bereits in vollem Betrieb befindlichen Maschinensätzen des Kraftwerkes verbunden. Er kann nicht mehr außer Tritt fallen. Mit gleicher Tourenzahl und Spannungsphase muß er mitlaufen, wenn er zunächst auch noch ohne Belastung leer mitläuft!
Auf 16 Uhr 25 Minuten sind inzwischen die Zeiger der Uhr vorgerückt. Wieder die Betätigung eines Kommandoapparates in der Schaltwarte. Weiter öffnet sich das Dampfventil der Turbine im Maschinenraum; der Zeiger eines Strommessers in der Schaltwarte fängt an zu steigen, das Aggregat beginnt Last zu übernehmen. Von Minute zu Minute wächst die Zahl der Megwatt, die es an die Transformatoren und durch diese weiter an die Fernleitungen abgibt. Stärker brausen die Flammen unter den Kesseln, stärker strömt der Dampf durch die Schaufelkränze der Turbine; stärker flutet auch der erregende Gleichstrom durch die Windungen des Rotors und weiter steigen die Zeiger der Meßinstrumente, bis das Aggregat mit voller Last läuft.
Zusätzliche elektrische Arbeit von 70 000 Pferdestärken strömt in das Netz der Höchst- und Hochspannungsleitungen, das von der holländischen bis zur Schweizer Grenze reicht. Fließt, auf Niederspannung hinabtransformiert, weiter zu den vielen tausend Verbrauchsstellen in Städten, Dörfern und Weilern des deutschen Landes und steht überall zur Verfügung, wo sie benötigt wird. Im Großkraftwerk aber geht der Schaltmeister zu seinem Protokollbuch und macht eine neue Eintragung:
16 Uhr 30 Minuten: Gesamtbelastung 250 000 Kilowatt
Und nun hundert Jahre zurück bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts! Europa lebt noch in der ein wenig verschlafenen, aber letzten Endes ganz gemütlichen Zeit des Vormärz.
Auf Preußens Thron ist vor drei Jahren der vierte dem dritten Friedrich Wilhelm gefolgt, ohne daß sich dadurch allzuviel geändert hätte. In der Artilleriewerkstatt zu Spandau ist der Secondelieutenant Werner Siemens von Staats wegen mit Arbeiten zur Verbesserung der militärischen Sprengstoffe beschäftigt. Privatim befaßt er sich in jeder freien Stunde mit den überraschenden elektro-chemischen Wirkungen, die sich mit den von dem deutschen Physiker Robert Bunsen erfundenen galvanischen Elementen erzielen lassen. Wenn diese Elemente auch noch ihre Schattenseiten haben, mit: scharfen, übelriechenden Säuren gefüllt werden müssen und die elektrische Energie durch Oxydation des teuren Zinkmetalles erzeugen, so sind sie doch zur Zeit die einzigen wirklich ergiebigen Stromquellen. In der Tat hat es sich für den jungen Offizier auch gelohnt, die Unbequemlichkeiten, die mit ihrer Benützung verbunden sind, auf sich zu nehmen. Schon sind ihm schöne galvanische Vergoldungen und Vernicklungen gelungen, für welche die Industrie sofort großes Interesse zeigt ..., und immer mehr entwickelt der junge Artillerieoffizier sich bei diesen Arbeiten zum Wissenschaftler und Techniker. –
In Frankreich regiert um die gleiche Zeit Louis Philippe aus dem Hause Orléans. »Leben und leben lassen!« lautet die Losung des gutmütigen, dicken Bürgerkönigs, und die Geschäfte gehen nicht schlecht unter seinem Regime. Handel und Wandel florieren, und auch die Wissenschaften stehen in Blüte. Zwar ist André Marie Ampère schon seit sieben Jahren tot, doch seine bahnbrechenden Forschungen auf dem Gebiet der Elektrodynamik sichern nicht nur seinem Namen die Unsterblichkeit, sondern haben auch der französischen Physik zu einer führenden Stellung verholfen.
Schon sind seine Schüler und Nachfolger am Werk, die von ihm aufgedeckten Wechselwirkungen zwischen elektrischen Strömen und Magneten praktisch auszuwerten. Schon schnurren in den Laboratorien hier und dort Maschinchen, die, bald von Batterieströmen bewegt, ein wenig mechanische Energie liefern, bald auch im umgekehrten Prozeß, mechanisch angetrieben, elektrische Ströme erzeugen. Aber das alles ist eben erst im Entstehen. Vorläufig sind diese Apparate noch nicht vom Laboratoriumstisch heruntergekommen, und viel Wasser wird noch die Seine hinunterlaufen, bevor einmal brauchbare Stromquellen und Arbeitsmaschinen daraus werden. Noch immer ist man auf galvanische Elemente angewiesen, wenn man mit stärkeren elektrischen Strömen operieren und die mannigfachen Äußerungen und Erscheinungen der rätselhaften Naturkraft Elektrizität demonstrieren will; und das will man im Herbst des Jahres 1843 in Paris wieder einmal in größerem Stil unternehmen.
Der Physiker Professor Deleuil hat sich vorgenommen, den Einwohnern von Paris in einem groß angelegten Versuch die Beleuchtung der Zukunft, die elektrische Beleuchtung, vorzuführen. Einen Bundesgenossen für seine Pläne hat er in seinem Kollegen Dr. Archereau gewonnen, der bereits ganz brauchbare Regelwerke für das elektrische Bogenlicht konstruiert hat. Nun sitzen sie an einem Septembertag in dem physikalischen Cabinet von Dr. Archereau und besprechen das Unternehmen.
»Ganz groß soll es werden, mon confrère, einen großen Platz müssen wir mit dem neuen Licht beleuchten ...«, ruft der quecksilbrige, lebhafte Deleuil.
»Wie wäre es mit der Place de l'Opéra?« fragt der bedächtigere Archereau. »Man könnte die Lampen auf der Balustrade des Opernhauses aufstellen und den Platz von oben her anstrahlen.« Fast entrüstet springt Deleuil mit einer abwehrenden Bewegung auf.
»Viel zu klein, mein Lieber! Das würde die Mühe nicht lohnen. Den größten, schönsten Platz von Paris müssen wir für die Vorführung haben. Die Place de la Concorde würde das Richtige sein. Übrigens ...«, während er weiterspricht, läßt er sich wieder auf seinem Stuhl nieder, »von oben anstrahlen ...? Die Idee läßt sich hören; das könnte Effekte geben. Die Statue der Stadt Straßburg auf der Place de la Concorde ..., hundert Fuß über dem Straßenpflaster ... ein mächtiges Bogenlicht hoch oben auf den Knien der Bildsäule, das müßte wirken, mon confrère, die größte ... stärkste Lampe ... die stärkste, die es gibt ... einen Parabolspiegel dahinter, das Licht aus der Höhe auf den Platz geworfen ...« Zum zweiten Male springt Deleuil auf und läuft gestikulierend in dem Cabinet hin und her, während die Worte weiter von seinen Lippen sprudeln: »... die Gaslaternen müssen natürlich ausgedreht werden ... unsere Pariser werden staunen, wenn das neue Silberlicht den Platz überflutet.«
Er spricht noch weiter, und eine Weile läßt ihn Dr. Archereau ruhig gewähren. Doch dann, als Deleuil einmal eine Pause macht, nimmt auch er das Wort.
»Die größte meiner Lampen wollen Sie aufstellen?«
»Die größte und stärkste Lampe, die es überhaupt gibt«, bestätigt Professor Deleuil die Frage.
»Hm, hm.« Archereau streicht sich nachdenklich über die Stirn. »Meine größte Lampe braucht viel Strom. Wie ich es überschlage, werden wir eine Batterie von 200 Elementen brauchen.«
»Richtig, mon confrère. Die brauchen wir«, fällt ihm Deleuil ins Wort. »Die brauchen wir, und die werden wir auch schnell haben.«
Nachdenklich stützt Archereau den Kopf in die rechte Hand. Zögernd beginnt er zu sprechen. »Für die stärksten Lampen brauchen wir auch die größten Elemententypen. Ich zweifle, ob sich zweihundert Exemplare davon so schnell auftreiben lassen. Die Gläser dafür werden wahrscheinlich erst angefertigt, die Tondiaphragmen dafür erst geformt und gebrannt werden müssen. Es kann Wochen dauern, bis wir alles zusammen haben.«
»Wir dürfen keine Zeit verlieren«, unterbricht ihn Deleuil, »wir brauchen schönes Wetter für unser Experiment. Bei Regen und Schnee geht der größte Teil der Wirkung zum Teufel. Die Bäume auf der Place de la Concorde müssen noch in vollem Laub stehen. Mildes Herbstwetter muß herrschen, wenn wir die Illumination veranstalten, sonst läuft uns das Publikum davon.«
Archereau wirft einen Blick auf den Wandkalender.
»Wir schreiben heute den 15. September, Herr Professor Deleuil«, meint er danach. »Da ist nicht viel Zeit zu verlieren, wenn wir mit der Witterung noch zurechtkommen wollen.«
»Ah bah!«, schiebt Deleuil den Einwand beiseite. »Die neuen Gläser können in acht Tagen geblasen sein. Die liefert uns jede Glashütte. Die Diaphragmen brauchen auch keine längere Zeit. Es gibt da eine Poterie in la Courneuve, die uns die Sache machen kann. Ich bin mit dem Besitzer bekannt, werde noch heute nachmittag zu ihm hinausfahren, sobald wir die Maße festgelegt haben. Dicht dabei, in St-Denis, ist auch eine Glashütte. Da läßt sich alles in einer Tour erledigen. Nur über die Maße müssen wir uns vorher klarwerden. Welche Größe haben Sie sich ungefähr gedacht?«
Schon greift Deleuil nach einem Bleistift, um zu Papier zu bringen, was sie nun beschließen wollen, als Archereau mit einem neuen, schwerwiegenden Einwand kommt.
»Haben Sie auch daran gedacht, welche Kosten das Unternehmen verschlingen wird?«
Kosten?! Zum erstenmal fällt das Wort in ihrer Unterredung, und es nimmt bald eine bedrohliche Gestalt an, als Deleuil nun die Zahlen notiert, die Archereau vorbringt.
»200 Elemente soll die Batterie haben. Rechnen wir für das einzelne Element ohne Säurefüllung einmal 30 Franken ...«
»30 Franken? Ist das nicht zu hoch gegriffen?« versucht Deleuil zu widersprechen.
»Nicht zu hoch und nicht zu niedrig«, verteidigt Archereau seine Zahl. »Ich denke, daß wir mit diesem Satz ohne Komplikationen und Nachforderungen auskommen werden.
»6000 Franken für die leere Batterie«, notiert Deleuil auf seinem Block.
»Für die Füllung werden wir pro Element 10 Franken ansetzen müssen«, stellt Archereau weiter fest. Wieder protestiert Deleuil gegen die Höhe des Betrages, aber Archereau belehrt ihn schnell eines Besseren.
»Sie müssen an die nötige Nachfüllung denken, mon confrère. Die Salpetersäure muß stündlich erneuert werden, wenn die Batterien ihre volle Kraft behalten sollen. Wenigstens vier Stunden, ich denke etwa von 6 bis 10 Uhr abends, soll unsere Lampe brennen. Da müssen wir viel Salpetersäure in Reserve haben.«
»2000 Franken für Chemikalien«, schreibt: Deleuil als zweiten Posten nieder.
»Rechnen wir für die Aufstellung der Batterie, für die Montage der Lampen und als Löhne für die nötigen Hilfskräfte noch einmal 2000 Franken«, fährt Archereau in seinen Darlegungen fort, »so kommen wir auf insgesamt 10 000 Franken. Die Lampe haben wir, gottlob«. Er deutet, während er es sagt, auf die messingenen großen Regelwerke, die in einer Vitrine an der Wand stehen. »Ja, mein Lieber, 10 000 Franken, und 2000 hätte ich noch gern für Unvorhergesehenes. Das wäre die Summe, die wir für unsere Illumination benötigen. Ich habe sie nicht. Die Mittel meines Cabinets sind leider beschränkt. Verfügen Sie darüber?«
Jetzt ist es an Deleuil, die Stirn in nachdenkliche Falten zu legen. Er hat die Summe ebensowenig disponibel wie der andere. So hoch hat er sich die Kosten dieser Illumination überhaupt nicht vorgestellt und bisher kaum an die Geldfrage gedacht. Aber da der andere nun das heikle Problem aufwirft, beginnt sein lebhafter Geist auch sofort zu arbeiten.
»Die Kostenfrage? Pah! An den lumpigen 10- oder 12 000 Franken darf unser Projekt nicht scheitern.«
Hat er nicht erst kürzlich bei einer Soiree des Ministers Barelle den Bankier Leblanc kennengelernt, einen schnell reich gewordenen ehrgeizigen Finanzier? Der Mann will dekoriert werden. Er ist bereit, Tausende von Franken für irgendeine gemeinnützige Sache zu stiften, wenn seine Knopflochschmerzen gestillt werden. Der wird die Summe ohne Zögern hergeben, wenn man ihm einen Orden in Aussicht stellen kann. Minister Barelle – Professor Deleuil kennt ihn seit langem genau – wird mit sich reden lassen und die Sache vermitteln.
»Wo wollen wir diese Summe hernehmen?« fällt die Frage von Dr. Archereau in das Nachdenken Deleuils.
»Ich werde das vermitteln«, erwidert Deleuil mit Bestimmtheit, »in 48 Stunden werden wir das Geld haben.«
»Großartig, Herr Professor.« Anerkennung und etwas Bewunderung klingt aus den Worten von Doktor Archereau. Dieser Professor ist doch ein Teufelskerl. Immer weiß er einen Ausweg. Nach allen möglichen Stellen hin hat er Verbindungen. Auch jetzt wird er sicher Rat schaffen.
»Sie übernehmen also die Finanzierung und die Beschaffung der Gläser und Diaphragmen«, schließt Dr. Archereau die Vorbesprechung, »... ich werde für die Chemikalien und alles übrige sorgen und die Lampe liefern«.
»Abgemacht, mon confrère!«
Professor Deleuil will sich verabschieden, als Archereau ihn noch einmal zurückhält.
»Vergessen Sie auch nicht, daß wir die Zustimmung der Behörden für unsere kleine Illumination benötigen. Sie könnten vielleicht ...«
»Wird gemacht. Wenn ich den Minister spreche, werde ich das gleich mit vorbringen. Keine Sorge, cher confrère, das wird uns keine Schwierigkeiten bereiten.« Und dann bricht Professor Deleuil auf, um sofort mit Eifer an die neue Aufgabe zu gehen. –
Es hat mehr Mühe und Zeit gekostet, als Professor Deleuil in seinem Optimismus zuerst annimmt. Man ist während der Vorbereitungen bereits in den Oktober hineingekommen, aber zuletzt hat doch noch alles geklappt. Monsieur Leblanc hat die erbetene Summe gestiftet und darf seit einer Woche eine rote Rosette im Knopfloch tragen. In Wagenladungen sind die Gläser und Diaphragmen für die große Batterie in der französischen Hauptstadt eingetroffen, und ein Machtwort des Ministers hat Wunder getan. Nicht nur die Place de la Concorde, sondern auch das Denkmal der Stadt Straßburg ist für diese physikalische Demonstration zur Verfügung gestellt worden. In den umfangreichen Räumlichkeiten des steinernen Unterbaues der Statue hat Dr. Archereau auf hölzernen Regalen die 200 Elemente der großen Batterie aufgebaut. Die längste Feuerleiter der Pompiers ist an die Bildsäule angelegt worden, und auf dem Schoß der Statue steht auf einer provisorisch angebrachten hölzernen Konsole das größte Lampenwerk von Dr. Archereau. Von unten her gesehen fällt es wenig auf und ist für die Menge, die sich schon während der Nachmittagsstunden auf dem Platz bewegte, kaum bemerkbar.
Die Zeitungen haben nur eine kurze Notiz über das geplante Experiment der beiden angesehenen Gelehrten gebracht, aber von Mund zu Mund hat sich dann die Nachricht weiterverbreitet und damit an Umfang und Inhalt zugenommen.
»Eh, Monsieur!« spricht Monsieur Duval den Monsieur Dumont an. »Haben Sie es gehört? Die Place wird eine neue Beleuchtung bekommen, mit dem elektrischen Bogenlicht, das tausendmal stärker ist als unser altes Gaslicht. Eine Erfindung von Docteur Archereau soll es sein.«
»Das trifft nicht zu, meine Herren«, mischt sich Monsieur Meunier als Dritter in das Gespräch, »das elektrische Bogenlicht hat Monsieur Davy erfunden. Er hat es auch schon vor vierzig Jahren in Paris vorgeführt.« –
»Davy? Wer ist Davy?« fragt Monsieur Dumont.
»Ein Engländer natürlich«, sekundiert ihm Monsieur Duval. »Was brauchen wir Engländer in Paris? Unser Dr. Archereau hat die Erfindung gemacht.«