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In den letzten sechzehn Jahren sind, vom Autor beinahe unbemerkt, eine große Anzahl an Gedichten, Erzählungen, Schauspielen und Reiseberichten entstanden, dazu über zweitausend Seiten Tagebuchnotizen und musikalische Einfälle. Sie waren ursprünglich gar nicht für eine Veröffentlichung vorgesehen, doch der Verleger Walo C. Ilg ermutigte den Autor, eine Auswahl zu treffen und zu einem Buch zusammenzustellen.
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Seitenzahl: 274
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Wovon man nicht sprechen kann, davon muss man singen.
Fundstück vom 18. Jan. 2008
Für
W. C. I.
Sven Hinz, geboren 1979 in Bad Arolsen (Nordhessen), besuchte von 1995 bis 1999 die traditionsreiche Landesschule Pforta in Sachsen-Anhalt. Er studierte ab dem Jahr 2000 in Freiburg im Breisgau Schulmusik, Musikwissenschaft, Sprachwissenschaft und Germanistik an der Musikhochschule und an der Albert-Ludwigs-Universität. 2012 schloss er sein Studium als Magister Artium ab. Seitdem lebt er in Freiburg als freischaffender Komponist, Chorleiter und Phonetiklehrer.
Von 2006 bis 2012 war er Mitarbeiter im Projekt conTimbre, einer Klangdatenbank für Neue Musik, die vom Freiburger Komponisten Thomas Hummel initiiert wurde (www.contimbre.com).
2007 erhielt er von Karlheinz Stockhausen den „Hazel-Clark-Preis“ für eine musikwissenschaftliche Arbeit über Stockhausens Werk „KLANG – Die 24 Stunden des Tages (3. Stunde)“. 2011 gründete er den Freiburger Oberton- und Experimentalchor, den er bis 2017 leitete. Im gleichen Jahr nahm er seine Tätigkeit als Phonetiklehrer an der Medizinischen Akademie für Logopädie auf.
Von 2013 bis 2014 arbeitete er als Phonetiker beim Institut für Deutsche Sprache in Mannheim (IDS). Seit 2015 ist er als Lektor und Hörbuchsprecher im Schweizer AbisZett-Verlag tätig, außerdem produzierte er mehrere Sendungen für den Bayerischen Rundfunk.
Bisher komponierte Sven Hinz etwa siebzig Werke, darunter vier Musicals, ein Passionsoratorium und eine Messe, außerdem mehrere Liederzyklen für Sopran und Orchester, elektronische Musik sowie Chor- und Orgelwerke.
Mehr über Sven Hinz und seine Projekte erfahren Sie unter
www.klangsignale.com
„Gedankenklänge“ lautete der Titel einer kleinen Aphorismensammlung, die ich im Jahre 2005 für einen Freund, Wolfgang Langner, zusammengestellt hatte. Er lebte in Köln, und ich war neugierig, wie meine „Gedankenklänge“ wohl von ihm, einem siebzigjährigen ehemaligen Lehrer, aufgenommen worden seien. Ich hatte vor, ihn mit meinem Besuch zu überraschen. So kam ich unangemeldet nach Köln, klingelte an seiner Tür – und ein Mensch, den ich nicht kannte, öffnete sie. Wie sich herausstellte, war mein Freund Wolfgang Langner kurz zuvor überraschend und viel zu früh an Blutkrebs verstorben.
Obwohl nur wenige Texte aus dieser Sammlung in das vorliegende Buch aufgenommen wurden, war es mir ein Bedürfnis, zumindest in Anklängen den Titel zu übernehmen. Zum einen, weil darin eine Erinnerung an einen lieben Menschen mitschwingt, und weil die Wortzusammensetzung „Gedankenklang“ auf die Verbindung von Wort und Musik verweist.
Was haben Sprache und Musik gemeinsam? Ihrer inneren und äußeren Verwandtschaft nachzuspüren galt schon immer mein Interesse und ist eine starke Motivation für vieles, was ich tue, ob als Chorleiter, Phonetiklehrer, Komponist oder Autor.
Die Texte dieses Buches umfassen fünf Bereiche: Gedichte, Erzählungen, Reisebeschreibungen, Theaterstücke und Tagebucheinträge. Nicht enthalten sind musikwissenschaftliche Aufsätze, Radiobeiträge oder Konzerteinführungen – diese sind jedoch größtenteils auf meiner Homepage www.klangsignale.com zugänglich.
Da ich das Schreiben nicht als meine Haupttätigkeit betrachte – das Komponieren liegt mir näher – habe ich mich nur wenig um die Herausbildung eines eigenen Stils bemüht. Hinter vielen Texten mag man zuweilen ein deutliches Echo anderer Autoren vernehmen, das oftmals durchaus beabsichtigt ist: bei den Gedichten tönen vor allem Christian Morgenstern und einmal sehr deutlich Eichendorff hindurch. Bei einigen Kurztexten stand, speziell bei den „Sechs Tiergeschichten“, Franz Kafka Pate – unter anderem war dessen Parabel von der Maus ein bewusstes Vorbild. Die fantasievollen Namen und Wortschöpfungen in der Nachdichtung „Der Elefantenfluch“ hingegen sind von Walter Moers inspiriert.
Eine prägende Rolle in meinem Leben spielte seit dem Jahr 2000 der Ulysses von James Joyce. Der Einfluss und die absorbierende Kraft dieses Buches waren dermaßen groß, dass ich zweimal nach Dublin gereist bin, um mit anderen „Joyceanern“ den sogenannten „Bloomsday“ zu zelebrieren, der jährlich am 16. Juni gefeiert wird. Entsprechend sind die Reiseberichte gespickt mit Anspielungen und Zitaten aus dem Ulysses.
Unübersehbar ist der Einfluss Becketts auf meine Theaterstücke. Anders als bei diesem bedeutenden Vorbild ist mir jedoch die Einbeziehung der Schauspieler bei der Erarbeitung eines Stückes wichtig. Welche Figur welchen Text spricht, ist oft nicht festgelegt, sondern wird durch Spiegelstriche angezeigt. Auch die Reihenfolge der Szenen ist in manchen Stücken, insbesondere bei „Zusammen oder getrennt?“ variabel, so dass durch unterschiedliche Anordnungen der Szenen ganz verschiedene Geschichten erzählt werden können.
Das abschließende Kapitel „Aus meinem Tagebuch“ ist ein Sammelsurium musikalischer Ideen, Wortspiele, Aphorismen und Ansichten zu verschiedensten Themen. Während der Jahre 2002 bis 2018 – mit einer Unterbrechung von einigen Jahren zwischen 2012 und 2016 – sind insgesamt neun Tagebücher und ein musikalisches Arbeitstagebuch entstanden. Aus über zweitausend Seiten habe ich eine kleine Auswahl von etwa sechzig Einträgen getroffen, von denen ich das Gefühl habe, dass sie möglicherweise geeignet sein könnten, den Bereich des Privaten zu verlassen, um etwas auszulösen in der Imagination der Leserinnen und Leser.
An dieser Stelle möchte ich besonders meinem langjährigen Freund und Förderer Walo C. Ilg danken, der unermüdlich an mich glaubt und mich ermutigt hat, meine Texte zu veröffentlichen. Ohne seine Unterstützung wäre dieses Buch nicht erschienen.
Dir, lieber Walo, ist dieser „Gedankenklang“ gewidmet.
Freiburg, im November 2018
Julia und Romeo
Was ich dir wünsche
Es war, als hätt’ der Himmel
Der Liegestuhl
Der Lügestuhl
Rosalie, die Himmelskuh
Ein stiller Gruß
In Venedig
Worum es geht
Gehst durchs Herbstlaub
Die Ansprache des Herrn Baron von Maître-Luftzug
Ein Engel spricht
Abendlied
Weit draußen
Wie der fliegende Teppich erfunden wurde
Sechs Tiergeschichten
Geschichte vom Bär
geschichte vom hund und der katze
geschichte vom wolf und der ziege
Geschichte von der Klapperschlange
geschichte von der maus
geschichte vom schwein und dem schwan
Der Elefantenfluch
Die erste Reise des Marco Solo
Blatt und Baum
Laudatio auf eine Pionierin…
Von den Silben
Die Welt als Auffahrunfall und Vorstellung
Wie der Teufel gewann
Nachtrag zu Buridans Esel
„Turning Darkness Into Light“
Lebendige, atmende Stadt
Zeitauslöschende Musik
Der See in der Nacht
Stilübung in Lübeck
Geschichten aus Ecuador
Im Tal der Toten Hamster
Jäger des Verlorenen Kaffees
Das Leben sagt, du sollst jetzt Panflöte spielen
Der Flug des Kondors
In Bernados Haus
Zusammen oder getrennt?
Ich sterbe gerade
Familienbeschimpfung
Nach dem Erwachen
Ideen und Visionen zur Musik
Frohe Botschaft
Paradox
Land und Meer
Luna apparuit (Der Mond ist aufgegangen)
Gut versorgt
Zu spät
Früh und spät
Am siebenten Tag
Am jüngsten Tag
Am Baum der Erkenntnis
Zehn Arten, einen Fluss zu überqueren
Summa theologica
Überholvorgang
Beim Schreiben einer Hausarbeit
Sternschnuppen
Zusammen oder getrennt?
Idee im Traum
Limerick
Wie manche Komponisten heißen
Fast überall
Endlich erwachsen
Kluger Spruch
Bedenklich
Grenzen der Sprache
Vorherbestimmt
Meerklänge
Über Bruckner
Januskopf
Trinität
Apokalyptisches
Eine Bitte
Chanson für meinen Kühlschrank
Innen und außen
In Besitz genommen
Tag der Offenen Tür
tanzen
Das Ende der Welt
Was wissen schon die Sterne
Geht von selbst
Vierfacher Wortsinn
Verwandlung für Deutschland
E.T. ahnt etwas
Langsam
Du und ich
Nur eine Stimme sein
Über dem Ärmelkanal
Kleiner Trost
Weg und Ziel
Ende
Radiosendungen
Aufsätze, Vorträge und Konzerteinführungen
Bücher
Musicals
Hörspiele und Filmmusiken
Oratorien und Bühnenmusik
Vokalmusik
Instrumentalmusik
Klanginstallationen und Aktionen
Elektronische Musik
Die Julia sprach zum Romeo:
„Och, bleib doch noch e bissle do!“
Der Romeo zum Aufbruch rät,
weil draußen schon die Lerche kräht.
Die Julia lacht: „Isch mir egal,
des war beschdimmd e Nachdigall!“
So hüpfen sie nochmal ins Bett
und komponieren ein Duett.
(2018)
Von den Hunden: die niedlichen,
Von den Demos: die friedlichen.
Von den Geldbeträgen: die erheblichen,
Von den Kümmernissen: die erträglichen.
Von den Unterrichtsstunden: die gelungenen,
Von den Tortenstücken: die verschlungenen.
Von den Schülern: die dankbaren,
Von den Schönheitsäpfeln: die zankbaren.
Von den Sommerabenden: die südlichen,
Von den Wintertagen: die gemütlichen.
Von den Kollegen: die vernünftigen,
Von den Glücksmomenten: die künftigen.
(2003)
Es war, als hätt‘ der Himmel
die Erde still geküsst.
Doch sie hat sich geweigert,
weil sie so spröde ist.
(2006)
Ein Liegestuhl steht auf dem Land,
er schaut und fühlt sich sehr entspannt.
Bis einer kommt und ihn besitzt
und ihm die schöne Sicht stibitzt.
Der Lügestuhl im Stillen grollte:
„Noch jeder, der mich je besessen,
weil er die Wahrheit finden wollte,
ist einer Lüge aufgesessen.“
(2017)
Steigt vom Blau des Himmels nieder
Rosalie, die Himmelskuh.
Käut das Blau des Himmels wieder,
schmatzt und legt sich dann zur Ruh.
Morgens rupft sie frische Kräuter,
schmatzt und freut sich ihres Seins.
Kratzt genussvoll sich das Euter
an den Kanten eines Steins.
Rosalie, die Himmelsmuhme,
liebt im Stillen Nachbars Pferd.
Rupft sich eine Butterblume,
die sie fressend ihm verehrt.
Rosalie liebt diese Erde
ziemlich, doch beim Kuhgebimmel
ihrer heißgeliebten Herde
denkt sie öfters an den Himmel.
Nachts betrachtet sie die Sterne,
schaut dem Großen Ochsen zu,
seufzt und muht: „Ach, wär ich gerne
wieder eine Himmelskuh!“
(2017)
Die Katze tut auf leisen Pfoten,
was ihr strengstens ist verboten:
nämlich in die Ecke koten.
(2016)
Für Daniel
Im Geiste hast du mich
Durch die verwunschnen Gassen begleitet
Durch die schlafenden Haare einer ertrunkenen Frau
Die schlangengleich dem, der sich nähert
Seele und Sinne bestricken…
Erst wenn du aufhörst, sie zu begehren
Lässt sie dich los.
Doch nachts noch
Erscheint sie dir, umwindet und zieht dich
Unwiderstehlich mit sich hinab
In ihr feuchtwarmes fauliges Nest.
Lieder singt sie, und weiß nicht
Dass sie es tut. Nichts
Weiß sie, nichts will sie wissen
Kennt nur ihr trunkenes, in sich gewundenes Selbst
Narzisstisch berückt und verzaubert von ihrem nie
Endenden Fall. Stirbt sie nicht schon
Lange dahin, hat sie nicht tausendmal schon
ihren letzten Seufzer getan?
Abbild der Welt. Wo, wenn nicht dort
Kostet ein Milchkaffee fünfzehn Euronen
Dauert das Warten vorm Dome San Marco länger
Als ein Besuch beim
Damenfrisör? (Und das will was heißen.)
Genug denn, genug, du siehst, sie lässt mich nicht!
Eitel und unbewusst hat sie mich hypnotisiert.
Ihr nur verfallen bin ich auf ewig
(oder zumindest noch
Anderthalb Wochen).
(2012)
Es geht um Macht
nicht um Angst
Es geht um Liebe
nicht um Macht
Es geht um Erkenntnis
nicht um Liebe
Es geht um Sein
nicht um Erkenntnis
Es geht um Gott
nicht um Sein
Es geht um dich
(2017)
Gehst durchs Herbstlaub
träumst das Rascheln
schwimmst im Wasser
träumst das Nass
träumst das Schlafen
träumst das Wachen
liest selbst träumend diesen Satz.
(2016)
…als dieser mit seiner ganz neuen Erfindung,
einem durchsichtigen Heliumballon, in den Himmel stieg
„Werte Herren, edle Damen
mit den hocherlauchten Namen,
es ist mir eine große Ehre,
dass ich endlich alles Schwere,
was ich trage,
froh der Erde übergebe,
auf dass ich schwebe.
Vergnügte Tage.“
Sprach’s und löste vom Ballong
alle Fesseln, stieg empor und fuhr davong.
Und weil der Heliumballon nun einmal durchsichtig war, konnte man natürlich nichts weiter sehen als einen jauchzenden Herrn mit Stock und Zylinder, welcher in einem Weidenkorb über den Himmel fuhr. Die Leute glaubten darum nicht so recht an die Existenz der neuen Erfindung und hielten dies alles – wieder einmal – für einen geschickten Trick.
(2010)
Wünscht euch keine Flügel –
sondern breitet sie aus.
(2017)
Der Mond ist ausgegangen,
die goldnen Sternlein bangen
um Hambachs alten Forst.
Der Forst steht schwarz und wartet,
bis man die Bagger startet
bei RWE, dem dummen Horst.
(2018)
Weit draußen, jenseits aller Ideen von richtig und falsch, liegt ein Feld – dort will ich dich treffen.
Rumi
Meine Radiostation steht unter Palmen auf einer winzigen Insel im Südpazifik. Die Insel ist so klein, dass man sie an einem Tag umrunden kann; man denke an den Planeten des Kleinen Prinzen. Am Morgen läuft man los, es ist angenehm kühl, die Sonne blendet noch nicht auf dem ziemlich glatten Ozean. Links liegen die Mangroven, und rechts schäumen friedfertige Brecher heran. Es wird ein schwülheißer Tag werden, also besser den Strohhut mitnehmen und mehrere Literflaschen mit kühlem Quellwasser.
Die Sendungen meiner Radiostation können überall auf der Welt in gleichbleibend hoher Qualität jederzeit empfangen werden. Die Signale sind absolut störungsfrei. Von außen sieht mein Sender aus wie eine gewöhnliche Strohhütte, aber sie ist aus Stahlbeton, mit einer riesigen Fensterfront nach Süden, aufs Meer. Beton und fugenlos schließende Türen, falls eine Flutwelle über die Insel hereinbrechen sollte. Ich muss mich nicht darum kümmern, in einem solchen Fall die Türen rechtzeitig zu verschließen. Die Automatik der Türen und Fenster ist an Seismographen gekoppelt, die in einem Ring von dreihundert Kilometern im Radius um die Insel herum angeordnet sind.
Ich weiß nicht, wer mein Programm empfängt, aber es werden einige Menschen in allen Ländern dieser Erde sein, denn ich bekomme häufig von ihnen eMails. Mein Computer sortiert sie automatisch nach Kategorien wie Freude, Lob, Dankbarkeit, Überraschung und deren Gegenteil. Ich lese sie fast alle, und einige beantworte ich.
Ich weiß, dass mein Programm überall verstanden wird, denn mein Computer übersetzt fast zeitgleich meine Moderationen korrekt in jede beliebige Sprache, und zwar genau mit der Klangfarbe und dem Ausdruck meiner Stimme.
Ich sende nicht jeden Tag, und es gibt kein Programmschema. Es kann vorkommen, dass von meiner Insel monatelang keine Funkwellen ausgehen. Dann wieder bin ich vierundzwanzig Stunden on air, kündige Sendungen an, die auch eingehalten werden, denke mir neue Formate und Konzepte aus. Mein Sender muss sich nicht um Einschaltquoten und Hörerzahlen kümmern, es gibt keine Werbung und keine Nachrichten.
Zu den Sprachen, in denen gesendet wird, zählt auch Latein. Es gibt bestimmt Menschen, die das schätzen.
Manchmal lese ich etwas vor, gelegentlich singe ich was, aber meistens spiele ich Musik. Mittels drahtlosem Internet habe ich Zugriff auf jedes jemals gespielte Musikstück, ich kann nach beliebigen Kriterien suchen und auswählen. Wenn Menschen so freundlich sind, mir ihre selbstgemachte Musik zu schicken, dann sende ich sie auch. Manchmal sofort, manchmal erst nach Jahren.
Nicht nur Musik, sondern auch Geräusche. Es kann sein, dass ich tagelang nichts als Kieselsteinklänge sende, entweder selbsterzeugte oder von irgendwo auf der Welt.
(Aufgezeichnet während eines Praktikums im Saarländischen Rundfunk, 2007)
Eine wahre Legende
Ein Yogi reiste einst in eine ferne Stadt und erstand dort eine kostbare Yogamatte. Auf der Heimreise überkam ihn Angst, man möge ihm die Matte stehlen, und so beschloss er, sie über Nacht in einem Hotelsafe einzuschließen. Doch der Safe war viel zu klein, und wie sehr der Meister auch drückte und schob, es wollte die Matte sich nicht hineinzwängen lassen. Da endlich wurde der Druck zu groß, und die biegsame Matte schoss aus dem Safe hervor, flog zum offenen Fenster hinaus, und der Yogi, der sich an seinen Besitz klammerte, hinterdrein.
Dies geschah an einem Mittwochnachmittag vor undenklicher Zeit, als Ottoman der Schwerfällige letzter Kaiser von Thrappadozien war.
(2016)
(2007-13)
Geschichte vom Bär
Es war mal ein Bär, der führte ein Leben.
Eines Morgens wachte er auf in einem Glas. Komisch. Ob das was mit mir zu tun hat, fragte er sich. Oder passiert das jedem mal? Und er setzte sich hin und guckte, ob es was zu gucken gab. Ein bisschen Glas, ein bisschen Gras, ein bisschen was. Immerhin! Hätte auch Beton gewesen sein können. Er wusste, dass es so was gab.
Dann sagte er sich: Es gibt nichts anderes zu gucken außer Glas und Gras. Und es gibt auch mich zu gucken. Und wenn es was zu gucken gibt, dann kanns auch einen geben, der das anguckt, was es da zu gucken gibt. Ob wohl gerade einer guckt? Und er hob eine steife Tatze und winkte ein bisschen für den, der da guckte – vielleicht. So. Und noch mal in die andere Richtung. Sicherheitshalber.
Als er fertig war mit Winken, dachte er darüber nach, was er jetzt tun wollte. Ihm fiel nichts ein außer Brummen. Also setzte er sich hin und brummte ein bisschen. Hmm-hm-hm-brm. Brm… brm. Das klang ganz anders als sonst, wegen dem Glas um ihn herum: Brmmbrm.
Er machte die Augen zu und hörte dem zu, der da brummte. So eine schöne Stimme! Er hielt sich die Ohren zu und hörte immer noch, wie es brummte. Weil er brummte. Brrm! Der Bär fühlte sich ganz frei dabei.
Als er fertig gebrummt hatte, schlug er wieder die Augen auf. Vom vielen Brummen war das Glas vor ihm beschlagen. Ganz klar: der Atem! Das wusste der Bär ganz genau.
Mit der Tatze, mit der er nicht gewunken hatte, wischte er das Glas ab. Das quietschte schön: uii-ui-ui. Das konnte man gar nicht buchstabieren, wenn man es aufschreiben wollte. So ein Glück, dass ich nichts habe, um das Quietschen aufzuschreiben, dachte der Bär.
Als er fertiggewischt hatte, fragte er sich: Warum steckt eigentlich ein Bär in einem Glas? Warum keine Katze? Er dachte, dass er wohl daran liegen könnte, dass er eben ein Bär war und keine Katze. Außerdem gab es vielleicht auch irgendwo eine Katze, die in einem Glas steckte, das konnte gut sein. Und wenn es so war, dann war es egal, ob es eine Katze war oder ein Bär, der in einem Glas steckte, es kam nicht drauf an.
War es denn also egal, ob er eine Katze war oder ein Bär?
Er dachte nach und fand, dass es egal war, ob er eine Katze war oder ein Bär oder eine Maus, solange er in einem Glas steckte. Hier drinnen konnte er sich aussuchen, was er war, hier war er frei. Und nach langem Grübeln, als es schon oft geregnet hatte und der Bär davon getrunken hatte (denn Grübeln macht durstig) und nachdem viele Beeren von dem Strauch, der über dem Glas wuchs, in dem der Bär saß, hinabgefallen waren (denn Leben macht hungrig), da entschied er sich dafür, ein Bär zu sein. Aber das bin ich ja schon! fiel ihm dann ein. Und er fühlte sich ganz glücklich.
keine lust zu fauchen sagte sich die katze als sich der hund ihr näherte bin jetzt nich dazu aufgelegt. der hund hielt das für ein zeichen der zustimmung und legte sich neben sie in den korb und weil es ihn erregte begann er sie zu begatten. die katze ließ das geschehen und schlief darüber ein. als sie leise zu schnarchen anfing schlich sich der hund davon.
es dauerte nicht lange da gebar die katze mehrere lebensfähige äußerst interessante mischlinge. sie starb bei der geburt. für die mischlinge hat sich bisher noch kein interessent gefunden.
määääh sprach die ziege ich bin keine fickziege määäh määh mäh
zick nich rum entgegnete der wolf und aß und verschlang sie obwohl er ohnehin schon magenprobleme hatte. seine großmutter litt am reizdarm und mit sicherheit hatte der wolf diesen ihren erbteil übernommen. aber er dachte sich etwas warmes tut mir gut und ziegenfleisch ist jetzt wieder aktuell und außerdem ist es ein bioprodukt. was für ein quatsch hörte er in sich die stimme seiner mutter darauf kommts doch gar nich an ob du die ziege roh isst oder gebraten. tierisches eiweiß ist zwar gut aber eben nich ausreichend denn du benötigst essentielle aminosäuren die sich hauptsächlich in
der wolf aber um der stimme seiner mutter zu entfliehen wurde ein asket und nährte sich von beeren. will hier jemand von mir geliebt werden fragte er täglich beim beerenpflücken die bäume und den wind. vielleicht fiel ihm bald ein die ziege aber die war tot und gefressen und also ging er hin und sammelte ihre knochen zusammen die er übriggelassen hatte und so gut es ging rekonstruierte er ihre gestalt und setzte sich davor und sandte ihr jeden abend ein bisschen liebe die er übrig hatte und das war ein primitiver kult.
Es war eine Klapperschlange, die konnte ihr eigenes Klappern nicht mehr ertragen. Also krümmte sie sich runter zu ihrem Schwanz, biss rein und hielt fest. Das half, aber jetzt stieg ihr das eigene Gift durch den Körper in den Kopf, lähmte sie, und sie konnte nicht mehr loslassen.
Sowas Dummes. Mir könnte das nicht passieren.
nirgendwo ist eine katze unterwegs dachte sie wie immer wenn man eine braucht. es macht nichts. ich werde hier auf eine warten und ich denke dass ich dazu doch genug geduld besitze. wenn eine kommt wird sie zunächst vermutlich mit mir spielen wollen also nehme ich mir vor mit ihr zu spielen und werde beispielsweise linksherum im kreise laufen wenn sie mich dazu veranlasst vorausgesetzt natürlich ihre anweisungen sind klar verständlich. vielleicht sollte ich ein wenig dabei piepsen ich habe bislang eher selten gepiepst und hoffe doch dass es mir gelingt denn aus bestimmten gründen werde ich jetzt darauf verzichten es zu üben. falls die katze nämlich ganz besonders leise schleicht könnte ich ihr schleichen durch mein üben übertönen. deshalb will ich jetzt die augen schließen und das tat sie um sich gut zu konzentrieren.
komm spiel mit mir rief das schwein und trippelte am ufer auf und ab. doch der schwan in der mitte des teiches war nicht nur kurzsichtig, sondern auch noch ziemlich taub und so kam es dass es aussah als ignorierte er das zum spielen aufgelegte schwein mit absicht. das schwein schmiss wütend mit schlammklumpen nach dem ruhig dahinziehenden schwan. seit diesen tagen und auch schon davor hat kein schwan je mit einem schwein gespielt.
Nach einer indonesischen Legende
Im fernen Land Warúlistan lebten mal ein König und eine Königin. Die beiden wünschten sich sehnlichst ein Kind, doch ihnen war kein Glück beschieden, so sehr sie auch seufzten und klagten. Endlich schlich sich eines Nachts der König zu Wírula Wadistradámados, dem größten und mächtigsten Zauberer des Landes, der für seine fantastischen Taschentischtuchtricks besonders berühmt war.
„Höre“, sprach der König, „mein Weib wünscht sich ein Kind; bist du so mächtig, wie du sagst, dann mach, dass sie in diesem Jahr noch schwanger wird.“
Der Zauberer zog ein dreifarbig-magisches Tricktaschentischtuch hervor und schneuzte sich. „Und? Was bekomme ich dafür?“ grommelte er verschnupft.
„Wirst du schon sehen“, war die Antwort…
So sprach der König, und so geschah es. Über eine kleine Zeit gebar die Königin ein Kind, und durch die Straßen der Hauptstadt dröhnte dunkeldumpf die Stimme der Großen Holzstaatsglockentrommel Kulkulk:
„Leute, öffnet eure Ohren:
Heute hat die Königin
Uns einen süßen Prunz geboren.“
Die Glockentrommel sagte „Prunz“, weil sie schon so alt war. Am Hofe ward sechs Tage lang gefeiert, vom Wamasamadámstag bis zum Shiwaduliwoktag. Nur den Zauberer Wírula Wadistradamádos hatte niemand eingeladen.
Als am siebten Tag der ganze Hofstaat dick und rund und vollgefressen an der Festmahlstafel schnarchte, erschien der Zauberer voll Zorn in der Kammer der Amme, wo die Wiege mit dem Prinzen stand, und sprach dort einen fürchterlichen Fluch:
„Rudommo rirummo ridimu
Rommdu ridumi rodimur:
Riesig ringle sich dem Wicht
Runzel-Rüssel im Gesicht.“
So sprach der Zauberer, und so geschah es! Der großäugigen Amme aber, die steif und starr vor Schrecken war, drohte er: „Solltest du es wagen, einer Menschenseele zu verraten, dass ich es war, der dies getan – der große Wírula Wadistradámados…“ – an dieser Stelle zog er aus Gewohnheit sein dreifarbig-magisches Taschentricktischtuch hervor – „nun, du wirst schon sehen, was du davon hast“, schneuzte sich und verschwand.
Das war schlimm für die Amme, denn sie redete für ihr Leben gern. Und ausgerechnet dieses wunderscheußliche Geheimnis sollte sie für sich behalten müssen? Es kribbelte und kitzelte sie überall, wenn sie nur dran dachte. Dem König und der Königin erzählte sie: „Ich bin bloß mal eben kurz ein bisschen eingeschlafen, und als ich aufwachte, hatte der Prinz diesen miesen Riesenrüssel vom Zau-, vom Zau-, vom au-au-au, ich weiß, ich weiß, ich weiß nicht mehr woher!“
Nicht eine ruhige Stunde hatte die Amme noch. Wo sie lief und stand, das Geheimnis plagte sie am ganzen Leib, es bollerte und kollerte, es gluckerte und muckerte, es rieselte und wieselte und kieselte und schnargelte und gugelte und gagelte und bubbelte und babelte in ihr: Der Wírula Wadistradámados hat den Prinzen angerüsselt! Wir haben einen Rüsselprinzen! Einen Rünzenprissel-Prasselrinzen-Ranzenprüssel, weil der Wirula, der Waruli, der Waladistradamados den Prunzen angerasselt hat…
So tönte es und dröhnte es den ganzen Tag. Und trotzdem hielt die Amme ihren schmalbelippten Mund verschlossen. Weil jedoch das Geheimnis mächtig in ihr prunzelte, gewahrte die Amme, wie sie jeden Tag ein bisschen anschwoll. Binnen eines Monats war sie so kugelig und prall wie eine überreife Flidschifladschifrucht.
Das war schlimm für die krummbeinige Amme, denn jetzt konnte sie nicht mehr auf den Markt gehen, wenn sie selbst mal eine Flidschifladschifrucht haben wollte. Die Leute hätten sie ja ausgelacht! Sie probierte es mit Salben, Ketten, Amuletten, klatschte in die Hände und sang seltsame Gesänge, und als das alles überhaupt nicht half, besuchte sie die Hexe Dosmadástra Diwa Larúwi. Die hunkelte brummend und hinkend ein paarmal um sie herum, hängte ihr noch mehr Amulette um den Hals und kreischte endlich:
„Etze kretze kritze krall:
Dein Bauch ist deshalb prunzig-prall,
weil das Geheimnis, das du weißt,
dich heimlich in die Galle beißt.“
Sie empfahl der Amme, sich jemanden zu suchen, dem sie ihr Geheimnis anvertrauen könne. Sie selber wolle davon nichts hören. Für ihre Beratung verlangte die Hexe Dosmadástra Diwa Larúwi dreiunddreißig Ragatala sowie sämtliche Amulette, die die Amme trug, und schubste sie hinaus.
Ziemlich erleichtert machte sich die pumpelige Amme auf den Weg. Vielleicht, dachte sie, vielleicht kann ich meinem Mann davon erzählen. Sein Bauch ist dick genug, es wird wohl kaum auffallen, wenn er etwas anschwellen sollte. Kaum war sie heimgekehrt, sang sie ihrem Mann aus vollem Hals ins Ohr:
„Stell dir vor! Der Wírula Wadistradámados hat den Prinzen angerüsselt! Wir haben einen Rassenprünzel-Rinzenprassel-Prünzelrissen! Der Wírula, der Wáruli, der Waladistradámados, der hat den Prassen angerunzelt!“
Ihr dicker Mann nickte sehr bedächtig seinen dicken Kopf. Er hatte kein Wort verstanden und wünschte nichts als seine Ruhe. Im selben Augenblick war es der Amme, als habe man ihr mit gewaltigem Pflopp einen Korken aus dem Halse gezogen. Sie fühlte, wie ihr Bauch zusammenschnurrte, bis sie wieder spillrig und klapprig war wie zuvor.
Nicht lange, und beim Mann der Amme zeigten sich dieselben seltsamen Symptome. Bald sah er aus wie eine warulistánische Wurstkuh; er rührte sich noch weniger als sonst von der Stelle und brummelte hilflos vor sich hin:
„Der Waru, der Liru, der hat den…“ – „Schweig!“, fuhr seine Frau ihn an, „kein Wort will ich davon hören. Erzähl das, wenn du magst, den jungen Bulbalbbäumen jenseits der südlichen Stadtgrenze; in diesem Haus jedoch hältst du deinen Mund.“ Und sie bewarf ihn mit seinem Lieblingssofakissen.
Also tapfte plumpfüßig der Ammenmann hinaus. Er trollte sich wie geheißen zu den Bulbalbbäumen vor der Stadt, schmiegelte sich an einen schmächtigen Stamm und sprach, ohne zu wissen, was er redete:
„Weil der Liwula, der Lawilu den Prussen angeranzelt hat.“ Es dauerte nur eine kleine Schrecksekunde lang, bis sich des Mannes magischer Blähbauch wieder in einen gewöhnlichen Blähbauch verwandelt hatte. Zufrieden truttelte er heim.
Kaum war er fort, da knarzte es und knurzte es, und das dünne Bulbalbbäumchen begann zu wuchern und zu wachsen, dass es nur so krackste…
Etwas später ließ der König wieder mal ein landesweites Fest ausrufen, denn eben hatte der Prinz seinen ersten Stoßmilchzahn bekommen. Am festgesetzten Tag schlug der Rituelle Oberhofgroßmeister wie gewohnt den Kulkulk, dessen Stimme durch die vollgepfropften Hauptstadtstraßen dröhnte; und dies war, was sie sprach:
„Leute, hört genauestens hin:
Heut freut sich erneut die Königin
über des Prinzen Grasmolchziehn.“
„Was bitte?“ sagte der Rituelle Oberhofgroßmeister, „das sollte heißen ‚Großmilchzahn’, mein Lieber. Noch einmal, wenn ich bitten darf.“ Und er schlug den Kulkulk wieder an, und heraus kam dies:
„Glaubt mir, ihr könnt mir vertrau’n:
Der Prinz kann endlich etwas kau’n
mit seinem neuen Grießmulchzaun.“
Der Hofgroßmeister probierte es, zur Freude des versammelten Volkes, noch viele Male; doch außer „Graußmalchzehn“ und „Mießgrulchzäun“ brachte der Kulkulk nichts hervor, was sinnvoll und verständlich gewesen wäre. Es war nicht zu überhören, dass die alte Holzglockentrommel offenbar einen Sprung bekommen hatte. Also befahl der König, dass man sie entfernen und eine neue herstellen solle. Zu diesem Zweck schickte man drei Kulkulkbauer in den Bulbalbwald am südlichen Stadtrand; dort fällten sie den dicksten Bulbalbbaum, den sie finden konnten, höhlten ihn aus und hängten ihn hoch in den Kulkulkturm. Als endlich alles fertig war, hob der Rituelle Oberhofgroßmeister selbst einen neuen Bulbalbholzhammer und schlug die Glockentrommel an; und dies war, was sie sang und sagte:
„Einst kam zum Prinz der Wírula,
der Waladistradámados.
Und weil der ziemlich sauer war,
dass man sich ohne ihn begoss
beim Prinzgeburtstagsfest im Schloss
(das hat ihn sehr verdrüsselt!),
hat er den Prinz – berüsselt!“
Nun war es heraus, und jeder hatte es gehört! Das Volk war zuerst vor Staunen ziemlich still; dann begann es da und dort zu kichern und zu fichern und zu klaspern und zu raspern, und es tuschelte und pruschtelte, es goggelte und prullte, es hollerte und schollerte, es jubuhbelte und hökelte und schnubelte und jökelte und keckerte und kriegelte vor lauter Schadenfreude. So ein Festvergnügen war dem Volk noch nie geboten worden! Alles lachte, und das war es, was den Prinz vom Fluch des Zauberers erlöste.
In des kleinen Prinzen Kammer nämlich hatte die Amme vor lauter Schreck die Schale voller Milch verschüttet, in die sie jeden Tag den Prinzenrüssel tunkte. Das Geheimnis war verraten worden! Was würde ihr geschehen? Doch da gewahrte sie, dass der Runzelrüssel mitsamt dem Stoßmilchzahn verschrumpelte und schrumpfte, bis an seiner Stelle wieder ein süßes Knubbelnäschen saß.
Der Zauberer steckte inmitten der jöhlenden Volksmenge fest, und wahrscheinlich hätte ihn keiner erkannt, wenn er nicht plötzlich, von Panik gepackt, verzweifelt sich durch die Menschenmenge gewühlt und zu fliehen versucht hätte. Eh er sich’s versah, war er den drei Kulkulkbauern in die Arme gelaufen, die ihn unverzüglich vor den König schleppten. Dort empfing ihn, kreischend und tanzend und mit dreiunddreißig Amuletten behängt, seine alte Feindin Dosmadástra Diwa Larúwi: sie murkelte mummelnd um ihn herum, riss ihm sein dreifarbig-magisches Taschentricktischtuch, in das er sich schneuzen wollte, aus der Hand und krakeelte lauthals:
„Was du andern aufgebockt,
bekommst du selber eingebrockt.
Raudi rammdu ridimor:
Rappig-lappig schlapp’ dein Ohr.“
Da wucherten auch schon dem Zauberer zwei zarte Elefantenöhrchen aus dem grauen Gelöck; rasch entrollten sie sich und schlabberten ihm schließlich wie zwei schlaffe Bulbalbbaumblätter bis auf die Schultern herab. Die schadenfrohe Heiterkeit des Volkes kannte keine Grenzen mehr. Vor Scham verhüllte sich der Zauberer mit seinen neuen Großkohlohren und entfloh endgültig durch die Hintertür des Schlosses. Man hat nie wieder von ihm gehört, und an diesem Tag feierte man ein dröhnendes Fest mit Kulkulk, Prinz und Amme und vor allem vielen frischen Flidschifladschifrüchten.
(2013)
Eliteia
In unbestimmter Zukunft wird Marco Solo, der berühmte Weltreisende, ein Land besuchen, das seit einiger Zeit, obwohl es sich demokratisch gibt, leicht totalitäre Züge anzunehmen beginnt.
Wie bei solchen Regierungen üblich, werden gewisse Entscheidungen damit begründet, dem Wohle aller und dem Fortschritt der Menschheit dienlich zu sein. In diesem speziellen Fall befasste sich die Regierung mit folgender Frage:
„Wie kommt es, dass gerade solche Menschen sich bevorzugt vermehren, welche am wenigsten dazu geeignet sind? Die Stumpfen und Ungebildeten bringen drei, vier Kinder oder mehr hervor, und die Akademiker haben für Kinder zu wenig Zeit.“
Um nun die breite Masse einerseits von planloser Fortpflanzung abzuhalten und andererseits die geistige Elite zu größerer Gebärfreudigkeit zu animieren, etablierte die Regierung folgendes Programm:
Alle geschlechtsreifen Einwohner des Landes, Frauen wie Männer, haben sich, von ihrem sechzehnten Lebensjahr an bis zum Zeitpunkt der Zeugung ihres ersten Kindes, einem jährlich wiederkehrenden Intelligenztest zu unterziehen. Dieser allgemein schlicht als „Quiz“ bezeichnete Vorgang ist in mehrere Stufen gegliedert, deren erste, die sogenannte „Nullrunde“, einer groben Vorsortierung dient: zeugungsberechtigt oder nicht? Einfache Rechenaufgaben mit ganzen Zahlen, lautes Vorlesen eines vierzeiligen Gedichts, Beantwortung einiger praktischer Fragen, etwa der, ob man eine brennende, mit Fett brutzelnde Bratpfanne mit Wasser löschen dürfe, führt im Falle des Versagens zur sofortigen Sterilisation. Etwa fünfzehn Prozent aller Kandidaten, fortan als „Nullzeuger“ bezeichnet, werde auf diese Weise aus dem „genetischen Pool entfernt“, wie es in einem Informationsblatt der Regierung heißt.