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"Sie sind genau der Mann, den ich brauche, Bell", rief er aus. "Setzen Sie sich. Ich habe Ihnen einiges zu erzählen. Es gibt ein sehr ernstes Geheimnis, dass Sie hoffentlich für mich lösen können. Es steht in Verbindung mit einem Haus, von dem gesagt wird, dass es darin spukt." Er fixierte mein Gesicht mit seinen hellen Augen, während er sprach. Ich schwieg und wartete darauf, dass er weitersprechen würde. "Zunächst", fuhr er fort, "muss ich Sie darum bitten, diese Angelegenheit absolut vertraulich zu behandeln."
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Seitenzahl: 261
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Herausgeber
Erik Schreiber
Übersinnliche Detektive
Saphir im Stahl
e-book 060
Übersinnliche Detektive 2
Erste Auflage 01.10.2021
© Saphir im Stahl Verlag
Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
www.saphir-im-stahl.de
Übersetzung: Tanja Bröse-Kronz
Lektorat: Esther Haffner
Titelbild: Jan-Aziz Smailovic
Vertrieb neobooks
Herausgeber
Erik Schreiber
Übersinnliche Detektive
John Bell
Saphir im Stahl
Inhaltsverzeichnis
Das Geheimnis der kreisrunden Kammer The mystery of the circular chamber
Der Wächter der Tür The warder of the door
Das Geheimnis des Felwyn-Tunnels The mystery of the Felwyn tunnel
Die Acht-Meilen-Schleuse The eight-mile lock
Wie Shiva sprach How Shiva spoke
Um ein Alibi zu geben To prove an alibi
Das Geheimnis der Emu-Ebene The secret of Emu plain
Das Geheimnis der kreisrunden Kammer
Eines Tages Ende September erhielt ich den folgenden Brief von meinem Anwalt:
„Mein lieber Bell,
ich würde es begrüßen, wenn Sie es einrichten könnten, mich morgen Vormittag um 10:00 Uhr aufzusuchen. Die Angelegenheit ist äußerst privater Natur.“
Zur angegebenen Zeit fand ich mich in Mr. Edgcombes privaten Räumen ein. Ich kannte ihn schon seit Jahren – tatsächlich waren wir alte Freunde – und jetzt war ich bestürzt über den Ausdruck der Sorge, um nicht zu sagen Angst, auf seinen üblicherweise gelassenen Gesichtszügen.
„Sie sind genau der Mann, den ich brauche, Bell“, rief er aus. „Setzen Sie sich. Ich habe Ihnen einiges zu erzählen. Es gibt ein sehr ernstes Geheimnis, dass Sie hoffentlich für mich lösen können. Es steht in Verbindung mit einem Haus, von dem gesagt wird, dass es darin spukt.“ Er fixierte mein Gesicht mit seinen hellen Augen, während er sprach. Ich schwieg und wartete darauf, dass er weitersprechen würde.
„Zunächst“, fuhr er fort, „muss ich Sie darum bitten, diese Angelegenheit absolut vertraulich zu behandeln.“
„Selbstverständlich“, antwortete ich.
„Sie wissen, dass ich mich oft über Ihr spezielles Hobby lustig gemacht habe, aber gestern wurde mir klar, dass die Erfahrungen, die Sie besitzen, Sie dazu befähigen, mir wertvollen Beistand in diesen Schwierigkeiten zu leisten.“
„Ich werde mein Bestes für Sie tun, Edgcombe“, erwiderte ich.
Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und verschränkte die Hände.
„Der Fall ist kurzgefasst folgender“, begann er. „Es geht um die Familie Wentworth. Der einzige Sohn, Archibald, ein Künstler, ist vor Kurzem unter mysteriösen Umständen gestorben. Er war, wie Sie wahrscheinlich wissen, einer der vielversprechendsten Aquarell-Künstler der modernen Schule und seine Bilder wurden dieses Jahr in der Akademie auf Höchste gelobt. Er war der Erbe des Wentworth-Vermögens und sein Tod hat wegen der Ansprüche eines Mitglieds eines entfernten Zweigs der Familie, dem das Vermögen zusteht, falls der derzeitige Gutsherr stirbt, einige Komplikationen verursacht. Dieser Mann hat den größten Teil seines Lebens in Australien verbracht, ist knapp bei Kasse und gehört offensichtlich zu einer Gruppe Krawallmacher. Er hat mich zwei oder drei Mal aufgesucht und ich muss offen zugeben, dass ich von seinem Auftreten nicht begeistert war.“
„Hatte er irgendetwas mit dem Tod des Künstlers zu tun?“, unterbrach ich.
„Scheinbar überhaupt nichts, wie Sie bald feststellen werden. Wentworth hatte sich angewöhnt, von Zeit zu Zeit in verschiedenen Teilen des Landes auf Skizzier-Touren zu gehen. Er war zu Fuß unterwegs und besichtigte auf der Suche nach Motiven sonderbare, abgelegene Ecken. Er trug niemals viel Geld bei sich und reiste scheinbar immer als armer Mann. Vor einem Monat begab er sich allein auf eine dieser Reisen. Er hatte einen lukrativen Auftrag von Barlow&Co erhalten, Gemäldehändlern aus The Strand. Er sollte verschiedene Teile des Flusses Merran malen, und obwohl er das Geld nicht wirklich nötig hatte, schien er froh zu sein, einen Grund für eine schöne Reise zu haben. Er verließ seine Familie in bester Gesundheit und Stimmung und schrieb ihnen von Zeit zu Zeit. Aber vor einer Woche erhielten sie die Nachricht, dass er plötzlich in einem Gasthaus am Merran verstorben sei. Natürlich gab es Ermittlungen und eine Autopsie. Dr. Miles Gordon, der Arzt der Wentworths, wurde herbeigerufen und war bei der pathologischen Untersuchung dabei. Er ist völlig ratlos, was die Todesursache anbelangt. Die medizinische Untersuchung ergab, dass Wentworth zum Zeitpunkt des Todes völlig gesund war. Es gab keine Verletzungen , die einen anderen Schluss nahegelegt hätten, und alle Organe waren in Ordnung. Auch gab es keinerlei Spuren von Gift oder Gewalt. Das Urteil des Pathologen war, dass Wentworth an Herzversagen gestorben war, was, wie Sie wissen, nur ein Synonym für eine unbekannte Todesursache ist.
Das Gasthaus, in dem er starb, ist sehr einsam gelegen und hat den Ruf, dass es dort spukt. Der Wirt schien einen schlechten Charakter zu haben, obwohl ihm nie etwas bewiesen werden konnte. Aber ein junges Mädchen, das in dem Gasthaus wohnt, machte eine Aussage, die zunächst jeden erschreckte. Auf Nachfrage sagte sie, dass sie Wentworth ernsthaft gewarnt habe, in dem von Geistern heimgesuchten Raum zu schlafen. Sie hatte dem Gerichtsmediziner kaum davon erzählt, als sie zu Boden fiel und einen epileptischen Anfall erlitt. Als sie wieder zu sich kam, war sie missmutig und schweigsam und man konnte nichts mehr aus ihr herausbringen. Der alte Mann, der Inhaber, erklärte, dass das Mädchen zurückgeblieben sei, aber er machte keinen Versuch zu bestreiten, dass das Haus den Ruf eines Spukhauses hat, und sagte, dass er selbst Wentworth gebeten hatte, nicht dort abzusteigen.
Nun, das ist die ganze Geschichte. Die Nachforschungen des Gerichtsmediziners scheinen Fremdeinwirkung auszuschließen, aber ich habe einen sehr starken Verdacht. Was ich von Ihnen möchte ist, dass Sie diesen beweisen, falls er korrekt sein sollte. Werden Sie den Fall übernehmen?“
„Selbstverständlich werde ich das“, antwortete ich. „Bitte informieren Sie mich über weitere Einzelheiten und geben Sie mir ein schriftliches Dokument mit, das bezeugt, dass ich in Ihrem Auftrag handele, nur für den Fall.“
Edgcombe stimmte zu und schon bald machte ich mich auf den Weg. Der Fall klang nach einem interessanten Problem und ich hoffte, dass ich ihn erfolgreich lösen können würde.
An diesem Abend bereitete ich mich sorgfältig vor. Ich würde früh am nächsten Morgen nach ... shire aufbrechen, um für meine Zwecke die Rolle eines Amateurfotografen anzunehmen. Da ich alle notwendigen Details von Edgcombe bekommen hatte, ging ich meine Vorgehensweise schon einmal sorgfältig im Geist durch. Zunächst würde ich ein kleines Dorf namens Harkhurst besuchen und in dem Gasthaus, dem ‚Crown and Thistle‘, absteigen. Hier hatte Wentworth zwei Wochen verbracht, als er mit seinem Auftrag, den Fluss Merran zu zeichnen, startete. Ich hielt es für wahrscheinlich, dass ich dort einige Informationen erhalten konnte. Die Umstände würden dann meine weiteren Schritte bestimmen, aber meine Absicht war, von Harkhurst zum ‚Castle Inn‘ zu reisen, das etwa sechs Meilen Fluss aufwärts lag. Das war das Gasthaus, in der sich die Tragödie zugetragen hatte.
Gegen Abend des folgenden Tages kam ich in Harkhurst an. Als meine Kutsche vor dem ‚Crown and Thistle‘ vorfuhr, stand die Wirtin in der Tür. Sie war eine drall gebaute Dame mit gütigem Gesicht. Ich fragte nach einem Zimmer.
„Natürlich, mein Herr“, antwortete sie. Sie geleitete mich in das kleine Gasthaus und führte mich die Treppe hoch, um mir ein kleines Zimmer zu zeigen, recht sauber und bequem, mit Fenster zum Hof. Ich sagte, dass ich es nehmen würde, und sie eilte nach unten, um das Abendessen vorzubereiten. Nach dem Mahl, das sich als hervorragend herausstellte, beschloss ich, den Wirt in der Bar aufzusuchen. Er zeigte sich sehr gesprächig und aufgeschlossen.
„Das ist ein abgelegener Ort“, sagte er. „Wir haben nicht oft jemanden, der einen ganzen Monat bleibt.“ Während er sprach, ging er zur Tür und ich folgte ihm. Die Schatten der Nacht begannen sich herabzusenken, aber sie konnten die Schönheit des malerischen Weilers nicht vor mir verbergen.
„Und doch ist es ein wunderschöner Platz“, sagte ich. „Ich hätte gedacht, dass er Touristen anlocken würde. Zumindest für Fotografen ist es ideal hier.“
„Sie haben recht, mein Herr“, antwortete der Mann, „und obwohl wir nicht oft Gesellschaft im Gasthaus haben, kommt hier und da ein Künstler auf Wanderschaft vorbei. Es ist keine drei Wochen her“, fuhr er fort, „dass ein Gentleman wie Sie bei uns war, nur ein wenig jünger, der für ein oder zwei Wochen blieb. Er war ein Künstler, und er zeichnete von morgens bis abends – ach, der arme Kerl!“
„Warum sagen Sie das?“, fragte ich.
„Ich habe guten Grund dazu, mein Herr. Hier, Weib“, rief er über seine Schulter zu Mrs. Johnson, seiner Frau, die gerade dazu kam, „dieser Gentleman hat nach unserem Gast, Mr. Wentworth, gefragt, aber vielleicht sollten wir ihm heute Nacht nicht so eine düstere Geschichte erzählen.“
„Bitte tun Sie es“, sagte ich. „Was Sie angedeutete haben, hat meine Neugierde geweckt. Warum bedauern Sie Mr. Wentworth?“
„Er ist tot, mein Herr“, sagte die Wirtin mit feierlicher Stimme. Ich täuschte Entsetzen vor und sie fuhr fort: „Und es war alles seine eigene Schuld. Ach je, ich muss beinahe weinen, wenn ich daran denke. Er war der netteste Gentleman, den ich je getroffen habe, und so stark, herzlich und angenehm. Nun, mein Herr, alles ging gut, bis er eines Tages zu mir sagte: ‚Ich werde Sie verlassen, Mrs. Johnson. Ich werde zu einem kleinen Gasthaus namens ‚Castle Inn‘ gehen, weiter den Merran hinauf.‘
‚Das ‚Castle Inn‘‘, rief ich aus. ‚Nein, Mr. Wentworth, das werden Sie nicht, nicht wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist.‘
‚Und warum nicht?‘, fragte er, mich mit seinen so strahlend blauen Augen anschauend, wie Sie sie noch bei niemandem gesehen haben. ‚Warum sollte ich nicht im ‚Castle Inn‘ einkehren? Ich habe den Auftrag diese spezielle Flussbiegung zu zeichnen.‘
‚Nun dann, mein Herr‘, antwortete ich, ‚wenn das so ist, nehmen Sie ein Pferd und einen Wagen von hier und fahren hinüber, sooft Sie möchten. Das ‚Castle Inn‘ ist kein christlicher Ort zum Einkehren.‘
‚Wie meinen Sie das?‘, fragte er mich.
‚Ihm wird nachgesagt, dass es dort spukt, mein Herr, und was in diesem Haus passiert, weiß Gott allein, aber das ,Inn‘ hat jahrelang keinen Gast gehabt, nicht seit Bailiff Holt dort zu Tode gekommen ist.‘
‚Zu Tode gekommen?‘, fragte er. ‚Und wie ist das passiert?‘
‚Gott weiß es, ich nicht‘, antwortete ich. ‚Und die Untersuchung des Gerichtsmediziners ergab, er sei an Herzversagen gestorben, was immer das bedeutete, aber die Leute hier meinen, es war vor Entsetzen.‘ Mr. Wentworth hat nur gelacht. Er glaubte kein Wort von dem, was ich sagte, und am nächsten Tag, mein Herr, war er weg und hatte alle seine Habseligkeiten mit sich genommen.“
„Und was passierte dann?“, fragte ich, als sie innehielt.
„Was dann passierte, mein Herr? Genau das, was ich erwartet hatte. Zwei Tage später erhielten wir die Nachricht von seinem Tod. Armer junger Gentleman! Er starb in demselben Zimmer, in dem Holt seinen letzten Atemzug getan hat. Und oh, und es gab einen großen Wirbel, denn es stellte sich heraus, dass er, obwohl er auf uns ziemlich arm gewirkt hatte, mit wenig oder gar keinem Geld, nicht mittellos war und dass er reiche Verwandtschaft hatte und ein großes Vermögen auf ihn wartete. Natürlich gab es gerichtsmedizinische Ermittlungen und all das, und berühmte Ärzte kamen aus London und unser Dr. Stanmore, der die Straße hinunter wohnt, wurde gerufen. Obwohl sie alles taten, was in ihrer Macht stand, und ihn auch mit dem Mikroskop untersuchten, konnten sie keine Todesursache finden, und so bescheinigten sie Herzversagen, wie auch im Fall des armen Holt. Aber, mein Herr, das war es nicht. Es war Entsetzen, blankes Entsetzen. An diesem Ort spukt es. Es ist ein geheimnisvolles, schauderhaftes Haus und ich hoffe nur für Sie, dass Sie nichts mit ihm zu tun haben werden.“
Sie fügte noch ein paar Sätze hinzu und verließ uns.
„Das ist eine merkwürdige Geschichte“, sagte ich, mich zu Johnson wendend. „Ihre Frau hat meine Neugier angefacht. Ich würde nur zu gerne noch mehr Einzelheiten erfahren.“
„Da scheint es nicht mehr zu erzählen zu geben, mein Herr“, erwiderte Johnson. „Es ist wahr, was meine Frau sagt, dass das ,Castle Inn‘ einen schlechten Ruf hat. Es nicht der erste, noch nicht mal der zweite Todesfall dort.“
„Sie erwähnten den Dorfdoktor. Denken Sie, er könnte mich weiter über das Thema aufklären?“
„Ich bin sicher, er wird sein Bestes tun, mein Herr. Er wohnt nur sechs Häuser weiter, in dem roten Haus. Vielleicht möchten Sie die Straße hinuntergehen und mit ihm sprechen?“
„Sind Sie sicher, dass er es nicht als zu aufdringlich empfindet?“
„Nicht er, mein Herr. Er wird nur zu erfreut sein, sich mit jemandem von außerhalb dieses kleinen verschlafenen Nests zu unterhalten.“
„Dann werde ich ihn aufsuchen“, antwortete ich, nahm meinen Hut und ging die Straße hinunter. Ich hatte Glück, Dr. Stanmore zu Hause anzutreffen und in dem Moment, in dem ich sein Gesicht sah, beschloss ich, ihn ins Vertrauen zu ziehen.
„Die Sache ist die“, sagte ich, nachdem wir uns die Hände geschüttelt hatten, „ich hätte mir nicht die Freiheit genommen, bei Ihnen vorzusprechen, wenn ich nicht das sichere Gefühl hätte, dass Sie mir helfen können.“
„Und auf welche Weise?“, fragte er, nicht steif, sondern mit einem eifrigen, forschenden, interessierten Blick.
„Ich wurde aus London hierher geschickt, um in dem etwas rätselhaften Wentworth-Fall zu ermitteln“, sagte ich.
„Wirklich?“, fragte er überrascht. Dann fuhr er ernst fort: „Ich fürchte, da haben Sie sich auf eine wahrlich aussichtslose Unternehmung eingelassen. Man hat bei der Autopsie nichts herausgefunden, was den Tod verursacht haben könnte. Es gab keine Verletzungsspuren am Körper und alle Organe waren gesund. Ich habe Wentworth öfter getroffen, als er hier verweilte, und er war ein herzlicher und stark aussehender junger Mann, wie ich selten jemanden getroffen habe.“
„Aber das ,Castle Inn‘ hat einen schlechten Ruf“, warf ich ein.
„Das ist wahr. Die Leute hier fürchten sich davor. Man sagt, es spukt dort. Aber ehrlich, mein Herr, Sie und ich müssen uns über solch dumme Geschichten keine Sorgen machen. Der alte Bindloss, der Wirt, lebt seit vielen Jahren dort und es konnte ihm nie etwas Verwerfliches nachgewiesen werden.“
„Ist er alleine?“
„Nein, seine Frau und seine Enkelin leben auch dort.“
„Eine Enkelin?“, sagte ich. „War das nicht das Mädchen, dass eine überraschende Aussage bei der Befragung machte?“
„Nichts von Bedeutung“, antwortete Dr. Stanmore, „Sie hat nur wiederholt, was Bindloss selbst schon gesagt hatte – dass es im Haus spukt und dass sie Wentworth gebeten habe, nicht in diesem Zimmer zu schlafen.“
„Wurde jemals versucht zu klären, warum es in diesem Zimmer spukt?“, fragte ich weiter.
„Nicht, dass ich wüsste. Wahrscheinlich sind Ratten der Auslöser.“
„Aber gab es nicht schon andere Todesfälle in dem Haus?“
„Das stimmt.“
„Wie viele?“
„Nun, ich selbst hatte mit nicht weniger als drei ähnlichen Vorkommnissen zu tun.“
„Und was war das Urteil der Jury?“
„In allen Fällen Tod durch Herzversagen.“
„Das heißt, Todesursache unbekannt,“ sagte ich, ungeduldig aufspringend. „Es wundert mich, Dr. Stanmore, dass Sie sich mit diesem Stand der Sache zufrieden geben.“
„Was hätte ich denn machen sollen?“, fragte er. „Ich werde gebeten, die Leiche zu untersuchen. Ich finde alle Organe völlig gesund vor. Ich kann nicht die kleinste Spur von Gewalteinwirkung entdecken noch irgendeines Giftes. Welch andere Aussage kann ich mit gutem Gewissen treffen?“
„Ich kann nur sagen, dass es für mich nicht zufriedenstellend wäre“, antwortete ich. „Ich möchte hinzufügen, dass ich von London hierhergekommen bin mit der festen Absicht, dieses Rätsel zu lösen. Ich werde selbst im ,Castle Inn‘ absteigen.“
„Und?“, fragte Dr. Stanmore.
„Und in dem verfluchten Zimmer schlafen.“
„Natürlich glauben Sie nicht an den Geist.“
„Nein, aber ich glaube an falsches Spiel. Nun, Dr. Stanmore, werden Sie mir helfen?“
„Sicherlich, wenn ich kann. Was soll ich tun?“
„Dies – ich werde morgen zum ,Castle Inn‘ gehen. Wenn ich nach drei Tagen nicht zurückgekehrt bin, werden Sie nach mir suchen und gleichzeitig diesen Brief an Mr. Edgcombe, meinem Londoner Anwalt, senden.“
„Wenn Sie nach drei Tagen nicht wieder hier erschienen sind, werde ich die Hölle in Bewegung setzen“, versprach Dr. Stanmore, „und natürlich Ihren Brief absenden.“
Kurz darauf schüttelten der Doktor und ich uns zum Abschied die Hände.
Nach einem frühen Abendessen am folgenden Tag verließ ich meine gutmütigen Wirtsleute; mit Rucksack und der Kamera über der Schulter machte ich mich auf den Weg. Ich achtete darauf, niemandem zu erzählen, dass ich zum ,Castle Inn‘ ging, und aus diesem Grund nahm ich auch einen Umweg durch ein Waldstück.
Die Sonne ging fast unter, als ich mich einem zerbrochenen Wegweiser näherte, auf dem in halbverwitterten Buchstaben zu lesen war: ‚To the Castle Inn‘. Ich befand mich am Anfang eines schmalen Trampelpfads, der offensichtlich kaum benutzt wurde, denn er war dicht mit Gras bewachsen. Von dort aus konnte ich kein bewohntes Grundstück erblicken, aber gerade in diesem Moment drang ein leises, etwas zusammenhangloses Lachen an mein Ohr. Ich drehte mich schnell um und sah ein hübsches Mädchen mit hellen Augen und kindlichem Gesicht, dass mich mit Interesse betrachtete. Ich hatte kaum Zweifel, dass es sich um die Enkelin des alten Bindloss handelte.
„Würdest du mir freundlicherweise sagen“, bat ich, „ob dies der Weg zum ,Castle Inn‘ ist?“
Meine Bemerkung überraschte sie offensichtlich. Sie beugte sich vor, packte mich an der Hand und versuchte, mich von dem Trampelpfad wegzuziehen, zurück auf den Hauptweg.
„Gehen Sie weg!“, schrie sie, „wir haben keine Betten im ,Castle Inn‘, die zu einem Gentleman passen. Gehen Sie! Gehen Sie!“, fuhr sie fort und zeigte auf den sich windenden Weg. Ihre Augen loderten nun in ihrem Gesicht, aber ich bemerkte, dass ihre Lippen zitterten und dass sie kurz davor stand, in Tränen auszubrechen.
„Aber ich bin müde und meine Füße schmerzen“, antwortete ich. „Ich sollte für die Nacht in dem Gasthaus absteigen.“
„Tun Sie das nicht!“, wiederholte sie. „Sie stecken Sie in einen Raum mit einem Geist. Gehen Sie nicht dorthin. Es ist kein Ort für Gentlemen.“ Nachdem sie dies gesagt hatte, brach sie nicht in Tränen aus, sondern in ein helles, schrilles, fast idiotisches Lachen. Sie schlug sich plötzlich mit einer Hand an die Stirn, drehte sich um und floh so schnell wie der Wind den schmalen Pfad entlang und außer Sicht. Rasch folgte ich ihr. Ich glaubte nicht, dass das Mädchen nur annähernd so verrückt war, wie sie wirkte, aber ich hatte keinen Zweifel, dass etwas Außergewöhnliches ihren Verstand belastete.
Nach der nächsten Kurve kam das Gasthaus in Sicht. Es war ein eigenartiges Gebäude und ich blieb einen Augenblick lang stehen, um es anzusehen. Das Haus war ganz aus Stein gebaut. Im mittleren Teil gab es zwei Stockwerke. Er hatte eine quadratische Grundfläche und an jeder der vier Ecken ragte ein runder Turm empor. Das Haus war direkt am Fluss errichtet worden, direkt unterhalb eines großen Mühlteichs. Ich ging zur Tür und klopfte mit meinem Stock an. Sie war verschlossen und sah genauso wenig einladend aus wie der Rest dieser Gegend. Nach einem Moment wurde sie zwei oder drei Inch weit geöffnet und das mürrische Gesicht einer alten Frau tauchte in dem Spalt auf.
„Was wollen Sie?“, fragte sie.
„Ein Bett für die Nacht“, antwortete ich. „Können Sie mich unterbringen?“
Sie schaute misstrauisch zunächst auf mich, dann auf meine Kamera.
„Sie sind ein Künstler, ohne Zweifel“, sagte sie, „und die wollen wir hier nicht mehr.“
Sie war dabei, mir die Tür vor der Nase zuzuschlagen, aber ich schob meinen Fuß in den Türspalt.
„Ich bin leicht zufriedenzustellen“, sagte ich. „Können Sie mir nicht irgendeine Lagerstätte für die Nacht anbieten?“
„Sie haben besser nichts mit uns zu schaffen“, antwortete sie. „Gehen Sie nach Hackhurst. Sie können dort im ‚Crown and Thistle‘ absteigen.“
„Da komme ich her“, antwortete ich. „Und die Wahrheit ist, ich kann keinen Meter mehr laufen.“
„Wir wollen keine Gäste im ,Castle Inn‘“, beharrte sie. Dabei lehnte sie sich vor und sah mir ins Gesicht. „Sie gehen besser“, warnte sie mich, „sie sagen, der Ort sei verflucht.“
Ich brachte ein Lachen hervor.
„Sie erwarten nicht, dass ich das glaube, oder?“, sagte ich. Sie betrachtete mich von Kopf bis Fuß. Ihr Gesichtsausdruck war furchtbar düster.
„Sie müssen alles wissen, mein Herr“, sagte sie nach einer Pause. „Etwas geht in diesem Haus vor und keine lebendige Seele weiß, was es ist. Denn es gab niemanden, der überlebt hätte, um davon berichten zu können. Es ist nicht mehr als eine Woche her, dass ein junger Gentleman herkam. Er war wie Sie, tolldreist, und auch er wollte ein Bett und akzeptierte kein Nein. Ich sagte ihm deutlich, und mein Mann ebenso, dass dieser Ort von Geistern heimgesucht wird. Er glaube es genauso wenig wie Sie. Nun, er schlief in unserem einzigen Gästezimmer, und er – er starb dort.“
„Woran ist er gestorben?“, fragte ich.
„Angst“, war die kurze, lakonische Antwort. „Nun, möchten Sie hereinkommen oder nicht?“
„Ja. Ich glaube nicht an Geister. Ich möchte ein Bett und ich bin entschlossen, Ihres zu nehmen.“
Die Frau stieß die Tür weit auf.
„Sagen Sie nicht, dass ich Sie nicht gewarnt hätte“, rief sie aus. „Kommen Sie herein, wenn Sie unbedingt müssen.“ Sie führte mich zur Küche, wo ein Feuer im Ofen glimmte.
„Setzen Sie sich, ich rufe Bindloss“, sagte sie. „Ich kann Ihnen nur dann ein Bett versprechen, wenn Bindloss zustimmt. Liz, komm mal für eine Minute her.“
Man hörte schnelle, jugendliche Schritte im Flur und das hübsche Mädchen, dass ich am Anfang des Trampelpfades gesehen hatte, trat herein. Ihre Augen suchten mein Gesicht, ihr Lippen bewegten sich, um etwas zu sagen, aber kein Laut kam heraus.
„Geh, und finde deinen Großvater“, befahl die alte Frau. „Sag ihm, hier ist ein Gentleman, der ein Bett wünscht. Frag ihn, was zu tun ist.“ Das Mädchen bedachte mich mit einem langen und eigenartigen Blick, drehte sich auf dem Absatz um und verließ den Raum. Sobald sie fort war, lehnte die alte Frau sich vor und schaute mich neugierig an.
„Es tut mir leid, dass Sie bleiben“, sagte sie. „Vergessen Sie nicht, dass ich Sie gewarnt habe. Denken Sie daran, das hier ist wirklich kein anständiges Gasthaus. Einst war es eine Mühle, aber das war vor Bindloss‘ und meiner Zeit. Einst kamen die Herren im Sommer zum Fischen, aber dann kam die Geschichte mit dem Geist auf und zuletzt hatten wir so gut wie keine Gäste mehr, nur dann und wann einen seltsamen und ungewollten Gast. Sehen Sie, es gab drei Todesfälle hier. Ja“ – sie hob eine ihrer knochigen Hände und begann an den Fingern abzuzählen – „ja, drei bisher. Drei, genau. Ah, da kommt Bindloss.“
Man hörte einen schlurfenden Schritt aus dem Flur und ein alter Mann, vom Alter gebeugt, mit einem langen weißen Bart betrat den Raum.
„Wir haben keine Betten für Fremde“, rief er in einem lauten und aggressiven Tonfall. „Hat Ihnen das meine Frau nicht gesagt? Wir vergeben keine Zimmer hier.“
„Wenn das der Fall ist, sollten Sie keinen Wegweiser am Ende des Pfades aufstellen“, entgegnete ich. „Ich bin nicht in der Stimmung, noch einmal acht Meilen durch unbekanntes Gelände zu laufen, um einen anderen Unterschlupf zu finden. Können Sie mich nicht irgendwie unterbringen?“
„Ich habe dem Gentleman alles erzählt, Sam“, sagte seine Frau. „Er ist genauso wie der junge Mr. Wentworth und fürchtet sich kein bisschen.“
Der alte Wirt kam näher und schaute mich an.
„Passen Sie gut auf,“ sagte er, „Sie bleiben auf eigenes Risiko. Ich möchte Sie nicht hier haben, und meine Frau auch nicht. Also ja oder nein?“
„Ja“, sagte ich.
„Es gibt nur ein Zimmer, in dem Sie schlafen können.“
„Ein Zimmer ist ausreichend.“
„Es ist das, in dem Mr. Wentworth gestorben ist. Wollen Sie nicht lieber Ihre Sachen nehmen und gehen?“
„Nein, ich werde bleiben.“
„Dann gibt es nichts mehr zu sagen.“
„Lauf, Liz“, sagte die Frau, „und zünde den Kamin im Salon an.“
Das Mädchen verließ den Raum und die Frau nahm eine Kerze in die Hand und sagte, sie würde mir die Kammer zeigen, in der ich schlafen sollte. Sie führte mich einen langen engen Flur entlang und öffnete eine Tür. Zwei Stufen führten in den eigenartigsten Raum hinunter, den ich je gesehen hatte. Die Wand war komplett rund und mit einer grotesk gemusterten Tapete ausgekleidet. Ein schmales Bettgestell aus Eisen fand sich in der Mitte und der Boden war bis auf eine kleine Fußmatte neben dem Bett blank. Ein billiger Waschplatz, zwei Stühle und ein kleiner Tisch mit einer stumpfen Glasplatte standen an der Wand neben einer tiefen Schießscharte, die das Fenster bildete. Der Raum befand sich offensichtlich in einem der Rundtürme. Ich hatte noch nie ein weniger einladendes Quartier bezogen.
„Ihr Abendessen wird sofort fertig sein, mein Herr“, sagte die Frau und stellte die Kerze auf den kleinen Tisch, bevor sie mich alleine ließ.
Dieser Ort fühlte sich klamm und zugig an. Die Flamme der Kerze flackerte und brachte den Talg einseitig zum Schmelzen. Es gab keinen Kamin im Zimmer und oben verjüngten sich die Wände zu einem Punkt hin, was dem ganzen Raum den Anschein eines riesigen Trichters gab. Ich machte mich kurz frisch, so gut es mir gelang, und ging in den Salon. Dort stand ich beim Feuer, dass nur ärmlich brannte, als sich die Tür öffnete und das Mädchen Liz hereinkam, ein Tablett in der Hand. Sie stellte es auf den Tisch und näherte sich mit leisen Schritten.
„Nur Narren kommen in dieses Haus“, sagte sie, „und Sie sind einer von ihnen.“
„Lass mich bitte mein Abendessen einnehmen, ohne zu reden“, antwortete ich. „Ich bin müde und hungrig und möchte zu Bett gehen.“
Liz stand für einen Moment völlig still.
„Das ist es nicht wert“, erwiderte sie wie zu sich selbst. „Nein, das ist es nicht wert. Aber ich sage nichts mehr. Die Leute nehmen meine Warnungen nie an!“
Die Stimme ihrer Großmutter, die sie rief, veranlasste sie, aus dem Raum zu eilen.
Mein Abendessen war besser als erwartet. Nachdem ich es beendet hatte, wanderte ich in die Küche in der Hoffnung, ein weiteres Gespräch mit dem alten Mann führen zu können. Er saß alleine am Feuer, ein riesiger Mastiff lag zu seinen Füßen.
„Können Sie mir sagen, warum man dem Haus nachsagt, es sei verflucht?“, fragte ich plötzlich, während ich mich zu ihm hinunterbeugte.
„Woher soll ich das wissen?“, fragte er heiser. „Das Weib und ich, wir sind seit zwanzig Jahren hier und haben nie etwas gehört oder gesehen, außer dass bestimmte Leute im Haus gestorben sind. Das ist ziemlich unangenehm für mich, denn sowohl Ärzte als auch der Gerichtsmediziner kommen hierher und es gibt unzählige Verhöre und viel Wirbel. Die Leute sterben, obwohl niemand Hand an sie gelegt hat. Die Ärzte können nicht herausfinden, warum sie tot sind, aber sie sind tot. Nun, es macht keinen Sinn noch mehr zu erzählen. Sie sind hier und vielleicht überstehen Sie die eine Nacht ja heile.“
„Ich sollte gleich zu Bett gehen“, sagte ich, „aber ich hätte gerne ein paar Kerzen. Könnten Sie mir welche geben?“
Der Mann drehte sich um und schaute zu seiner Frau, die gerade in die Küche gekommen war. Sie ging zur Kommode, öffnete eine Holzkiste und legte mir drei oder vier Talgkerzen in die Hand. Ich stand mit einem demonstrativen Gähnen auf.
„Gute Nacht, mein Herr“, sagte der alte Mann, „Gute Nacht. Ich wünsche Ihnen alles Gute.“
Einen Moment später war ich auf meinem Zimmer und schloss die Tür. Ich unterzog es einer gründlichen Untersuchung. Sofern ich auf den ersten Blick erkennen konnte, gab es keinen anderen Zugang außer der Tür, die passend zu der runden Wand geformt war. Ich bemerkte jedoch einen minimalen Luftzug und fand schließlich heraus, dass er hinter der eichenen Wandvertäfelung hervorkam. Ich konnte zunächst keine Ursache für den Luftzug entdecken, aber er war auf unangenehme Weise da. Ferner fiel mir auch, dass das Bett recht eigenartig war. Es hatte nicht, wie üblich, Rollen an den vier Beinen, stattdessen waren diese etwa einen halben Inch in dafür gedachte Sockel im Holzboden eingelassen. Diese Entdeckung erweckte weiteres Misstrauen in mir. Es war offensichtlich, dass das Bett dazu gedacht war, in einer bestimmten Position zu bleiben. Ich sah, dass es direkt zu dem kleinen, tief in der Wand versunkenen Fenster zeigte. Als ich auf die Uhr schaute, stellte ich fest, dass es bereits nach elf war, und platzierte zwei Kerzen auf einem kleinen Tischchen neben dem Bett. Dann legte mich hin, ohne zuvor meine Kleidung abzulegen. Ich lauschte gespannt, um auch nur das leiseste Geräusch zu erhaschen, aber die Stunden vergingen und nichts geschah.
Im Haus war alles still und von draußen konnte ich deutlich das Wasser hören, wie es über das Mühlrad plätscherte.
Ich lag die ganze Nacht wach, aber als die Morgendämmerung hereinbrach, fiel ich in einen unruhigen Schlaf. Ich erwachte vom grellen Tageslicht, dass durch das schmale Fenster hereinfiel.
Nach einer schnellen Morgentoilette machte ich einen Spaziergang und begab mich anschließend zum Frühstück. Dieses war für mich in der großen Küche vorbereitet worden und der alte Mann saß beim Ofen.
„Nun“, sagte die Frau, „ich hoffe, Sie haben gut geschlafen, mein Herr.“ Ich bejahte und mir fiel auf, dass der alte Bindloss und seine Frau jetzt wesentlich besser gelaunt waren. Sie sagten, dass ich, wenn ich mit dem Zimmer zufrieden sei, eine weitere Nacht im Gasthaus bleiben könne. Ich verriet ihnen, dass ich eine Menge Fotos aufnehmen müsse und mir das sehr gelegen käme. Während ich sprach, sah ich mich nach dem Mädchen um, Liz. Sie war nirgends zu sehen.
„Wo ist Ihre Enkeltochter?“, fragte ich die alte Frau.
„Sie ist den Tag über unterwegs“, war die Antwort. „Es ist zu viel für Liz, Fremde zu treffen. Sie regt sich auf und dann bekommt sie Anfälle.“
„Was für Anfälle?“
„Ich kann Ihnen nicht sagen, wie man sie nennt, aber sie sind übel und schwächen sie. Armes Ding! Liz darf sich nicht zu sehr aufregen.“ An dieser Stelle warf Bindloss seiner Frau einen warnenden Blick zu. Sie schaute zu Boden und ging auf die andere Seite des Raumes, um etwas in einem Topf umzurühren.
Am Nachmittag lieh ich mir, unter dem Vorwand, Hechte angeln zu wollen, ein paar Schnüre von Bindloss und außerdem ein altes Boot, das am Ufer des Mühlweihers festgemacht war. Das Wetter war perfekt für diese Zeit des Jahres.
Auf meine Gelegenheit wartend, steuerte ich mit dem Boot das Ufer des Dammes an, der den Weiher vom Fluss trennte, und ging diesen in Richtung des Mühlrades entlang, über welches das Wasser rauschte.
Als ich das Haus so vom gegenüberliegenden Ufer aus beobachtete, sah ich, dass der Turm, in dem sich mein Zimmer befand, einst ein Teil der Mühle selbst gewesen sein musste und ich bemerkte weiterhin, dass das Mauerwerk dort vergleichsweise neu war. Es musste also Umbaumaßnahmen gegeben haben, als die Mühle stillgelegt und in ein Gasthaus verwandelt worden war. Ich kletterte an der Seite des Mühlrads hinunter, indem ich mich an den Streben festhielt, welche grün und glitschig waren, und spähte zwischen den Schaufeln hindurch.
Während ich noch meine Untersuchungen anstellte, erschreckte mich plötzlich eine Stimme.
„Was machen Sie dort unten?“
Ich sah auf. Der alte Bindloss stand am Ufer und schaut auf mich hinab. Er war alleine, sein Gesicht verzerrt vor Angst und Aufregung. Ich zog mich selbst hastig wieder nach oben und stand dann neben ihm.
„Was schnüffeln Sie hier unten herum?“, fragte er mit seinem hässlichen alten Gesicht direkt vor meinem. „Sie Narr! Wenn Sie gestürzt wären, hätten Sie ertrinken können. Niemand kann auch nur einen Zug in diesem Mühlbach schwimmen. Und dann hätte es einen weiteren Todesfall gegeben und der ganze Ärger hätte von Neuem begonnen! Würden Sie die Güte haben, mein Herr, und diesen Ort verlassen? Ich will Sie hier nicht mehr haben.“
„Ich habe vor, morgen früh abzureisen“, versuchte ich ihn zu beschwichtigen, „und ich bin Ihnen wirklich sehr verbunden, dass Sie mich vor der Mühle gewarnt haben.“