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EIN COTTAGE IM WINTERWALD von ANN LETHBRIDGE Um ein bisschen Immergrün bittet die arme Cassandra den Diener des Anwesens. Wie nett, dass er sie sogar in den verschneiten Winterwald begleitet! Sie ahnt nicht, dass der Viscount persönlich ihr gerade einen Mistelzweig reicht … GEHEIMNISVOLLER ENGEL von JACQUELINE NAVIN William of Thalsbury ahnt, dass Olivia keine Dienerin ist: Ihre Hände sind zu zart für die Arbeit in der Küche. Doch wer ist die geheimnisvolle Schönheit mit den unergründlichen Augen, die sogar das Herz des starken Ritters in weihnachtliche Stimmung versetzt? SÜNDIGE STUNDEN IN DER HEILIGEN NACHT von ANNIE BURROWS Weihnachten – das Fest der Rache? Lange hat Lord Sinclair sich ausgemalt, wie er es der schönen Lady Caroline zurückzahlen kann, dass sie ihn einst abgewiesen hat. Jetzt braucht sie seine Hilfe – und er weiß, was er von ihr verlangen wird: Die sinnliche Lady soll eine höchst intime Stunde in der Christnacht mit ihm verbringen! MEIN ENGEL NAMENS AMALIE von LYN STONE Skandal! Man sah, wie Alex seine Hand unter Amalies Röcke schob – niemand glaubt dem Medicus, dass er eine Verletzung untersuchen wollte! Ist eine Hochzeit noch vor Heiligabend die Lösung?
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Seitenzahl: 460
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Titel
Inhalt
Ein Cottage im Winterwald
Cover
Titel
Impressum
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
Geheimnisvoller Engel
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Titel
Impressum
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
10. KAPITEL
11. KAPITEL
12. KAPITEL
Epilog
Sündige Stunden in der Heiligen Nacht
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Titel
Impressum
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
Mein Engel namens Amalie
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Titel
Impressum
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
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Contents
IMPRESSUM
Ein Cottage im Winterwald erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2015 by Michèle Ann Young Originaltitel: „Wallflower, Widow…Wife!“ erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL SAISON , Band 41 Übersetzung: Barbara Kesper
Umschlagsmotive: Roni-G, lilkar, Andrew_Mayovskyy, Christian Horz / GettyImages
Veröffentlicht im ePub Format in 11/2021
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck
ISBN 9783751513357
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Dezember 1813
A dam Royston St. Vire, Viscount Graystone und Erbe des Earl of Portmaine, drückte seinen Nasenrücken mit Daumen und Zeigefinger und begab sich dann wieder an die Zahlenkolonne in dem verstaubten alten Rechnungsbuch. Die vom Alter dunkle Täfelung, der schäbige Teppich und die alten Eichenmöbel schienen das karge winterliche Sonnenlicht, das durch die engen Fenster der Bibliothek sickerte, geradezu aufzusaugen. Vielleicht wäre eine weitere Kerze hilfreich.
Steif von der in diesem rückständigen alten Herrenhaus herrschenden Kälte, gegen die nicht einmal das lodernde Kaminfeuer viel ausrichtete, bog er den Rücken durch und lockerte seine verkrampften Finger. Die Kladden erzählten eine traurige Geschichte. Cousin Josiah hatte Thornton seit Jahren vernachlässigt. Um es auf den neusten Stand zu bringen, müsste eine gewaltige Summe investiert werden, und selbst dann … Er würde seinem Vater den raschen Verkauf nahelegen.
Er rieb sich den Nacken. Papierkram. Wie er es hasste.
Die alte Ruhelosigkeit überkam ihn. Er beäugte die Brandyflasche, die er am Vortag auf dem Weg durchs Dorf zusammen mit andern Vorräten erworben hatte. Brandy würde nicht helfen, schneller fertig zu werden, würde allerdings seinen Drang zum Aufbruch dämpfen. Die Pflicht seinem Vater und dem Besitz gegenüber verlangte von ihm, diese Aufgabe zu erfüllen.
Beim Gedanke an Daheim, wo er mitfühlenden Blicken und betroffenen Gesichtern ausgesetzt war, verspürte er einen Druck im Magen. Schlimmer noch würden die Versuche seiner Mutter sein, ihn zu verkuppeln. In ihrem letzten Brief hatte sie ihn wissen lassen, dass sie über die Feiertage eine bestimmte junge Dame eingeladen hatte. Er nahm seiner Mutter die Schachzüge, mit denen sie ihn noch einmal unter die Haube zu bringen suchte, nicht übel. Sie verstand nicht, dass er ganz zufrieden damit war, einem seiner jüngeren Brüder die Sorge um den nächsten Portmaine-Erben zu überlassen. Für ihn kam eine Heirat nicht mehr infrage.
Verdammt, er wollte nicht an seine verstorbene Frau denken! Es tat zu weh. Besonders um diese Jahreszeit. Marion hatte Weihnachten geliebt. Sie hatte das Leben geliebt. Und wäre er ein besserer Ehemann gewesen, wäre er seiner Pflicht nachgekommen, würde sie auch dieses Weihnachtsfest noch genießen können.
Wut und Reue verursachten einen geradezu körperlichen Schmerz, wie stets, wenn er seine Gedanken zu Marion schweifen ließ. Er umklammerte die Feder; die Finger zitterten ihm, so heftig war den Impuls, sie durch den Raum zu schleudern. Stattdessen tauchte er sie in das Tintenfass und konzentrierte sich gewaltsam auf Sir Josiahs Rechnungsbücher.
Wären doch Menschen nur berechenbar wie Zahlen. Zahlen enttäuschten nie, und wenn die Rechnung nicht aufging, konnte man sie korrigieren. Mühsam entzifferte er die kritzeligen Anmerkungen neben jeder Zahl. Wenigstens bot das Durcheinander, das Sir Josiah hinterlassen hatte, ihm einen vernünftigen Grund, seine Rückkehr nach Portmaine für ein paar weitere Tage aufzuschieben. Abermals begann er, die Zahlenreihe zu addieren.
„Du machst es“, sagte eine hohe Stimme draußen vor dem Fenster, das auf die Auffahrt hinausging.
„Nein, du! Du hast es dir ausgedacht. Und du bist die Ältere.“ Helle weibliche Stimmen, gewählter Ton. Zu jung, um für den Eheabgeneigten eine Bedrohung darzustellen, dem Himmel sie Dank.
Die Türglocke läutete.
Er ignorierte es. Da Sir Josiahs Dienstboten in den Ruhestand geschickt worden waren – alle bis auf den Stallburschen – und Adam seinem Diener über die Feiertage freigegeben hatte, gab es niemanden, die Tür zu öffnen. Auch erwartete er keinen Besuch. Bei der Schlüsselübergabe hatte der Sachwalter wissen wollen, ob Adam im nahen Dorf eine Haushälterin oder dergleichen einzustellen wünsche, doch angesichts seines voraussichtlich nur kurzen Aufenthalts hatte er verneint.
Abermals läutete die Glocke. Da ließ sich jemand nicht abschrecken. Er seufzte, stand auf und begab sich in die kalte, grottengleiche Diele. Im gleichen Moment, als er die Tür aufriss, griff das größere von zwei Mädchen nach der Klingel. Mit einem erschreckten Schrei stolperte es gegen seinen Bauch.
Er fing das Kind auf, stellte es wieder fest auf die Füße und schaute düster auf es nieder. „Was wollt ihr?“
Die Kleinere verschwand hinter dem Rücken der Älteren und spähte von da mit großen blauen, von hellen Wimpern umrahmten Augen zu ihm empor.
Das ältere Mädchen – es schien etwa zehn zu sein, eine rosenwangige Brünette, einen blauen Strickschal hoch um den Hals geschlungen – stemmte ihre Hände in den dicken Fausthandschuhen auf die nicht vorhandenen Hüften. „Wir möchten Seine Lordschaft sprechen.“
Woher wussten sie von seiner Anwesenheit in Thornton House? Er schaute noch finsterer. „Und wer bitte wünscht das?“, grollte er.
Die Kleinere versteckte sich erneut, doch die Ältere richtete sich tapfer auf. Unwillkürlich bewunderte er ihren Mut. Es gab nicht einen Groom in seinen Ställen, der nicht gezuckt hätte, wenn er in, wie sie es nannten, „einer seiner Stimmungen“ war. „Ich bin Miss Lucy Melford, und dies ist meine Schwester Diana.“ Sie sprach bedächtig, als hätte sie die Worte einstudiert und müsste sich nun an jedes einzelne erinnern. „Wir wünschen Lord Gray stone in einer sehr wichtigen Sache zu sprechen. Wenn Sie uns bitte melden würden?“
Ein seltsames Gefühl machte ihm die Kehle eng. Angesichts dieses kleinen Bündels Selbstbewusstsein musste er sein Lächeln unterdrücken. Sie erinnerte ihn an seine Schwestern, als sie in dem Alter gewesen waren – zeigten Löwenmut, wenn sie in Wirklichkeit vor Angst fast erstarrten. Er beugte sich zu ihr, um mit dem gebieterischen kleinen Fratz auf Augenhöhe zu sein. „Seine Lordschaft ist nicht daheim.“
Miss Melford wandte sich zu ihrer Schwester um. „Das sagen sie immer, wenn sie einen nicht empfangen wollen.“
Hinter ihrem menschlichen Schutzwall hervor wisperte Miss Diana: „Ich sagte dir doch, wir sollten wegbleiben!“
Adam konnte nicht widerstehen. „Worum geht es?“
Die ältere junge Dame betrachtete ihn nachdenklich, vielleicht um zu sehen, ob er Freund oder Feind war. „Wir müssen etwas Wichtiges fragen.“
„Lucy! Diana!“, rief eine atemlose weibliche Stimme.
Adam richtete sich zu seiner vollen Körpergröße auf – er war eine imposante Erscheinung – und musterte das dritte weibliche Wesen, das die Auffahrt emporlief. Eine Erwachsene, angetan mit einer tristen Pelisse von undefinierbarem Braun und ausgeblichener schwarzer Haube. Wesentlich mehr konnte er von ihr nicht sehen, wie sie da mit vorsichtig gesetzten Schritten über den schneebedeckten Weg eilte. Ihm verging der Spaß. Ihr Götter, ich sollte wissen, dass kleine Mädchen nur in Begleitung älterer Damen vorkommen! Gouvernanten oder Mütter oder dergleichen. Gefährliches Terrain für einen Mann, der allein und unverheiratet war und das auch zu bleiben gedachte.
Als sie bei den Kindern ankam, schob er die Tür langsam zu.
Die Gouvernante, oder was sie nun war, schaute auf und furchte die Stirn. „Kinder, ich sagte euch, dass ihr Seine Lordschaft nicht belästigen sollt.“
Adam stockte der Atem. Weil sie … so unerwartet jung war. Niemand hätte ihr Gesicht mit den von der Dezemberkälte entzückend geröteten Wangen hübsch genannt. Für das, was man gewöhnlich als schön bezeichnete, war ihre Nase eine Idee zu scharf gebogen und ihr Mund zu groß. Doch hatte sie höchst bemerkenswerte Augen, wie er sie nie zuvor gesehen hatte – groß, von klarem Haselnussbraun, klug und ausdrucksvoll, und aus diesen Augen nahm sie nun das Bild auf, das sich ihr an der Tür bot. Sie schaute noch kritischer. Ihre Lippen wurden schmal. Eine sehr auf Form und Anstand bedachte Dame also, die übrigens manch einer betrüblich hochgewachsen nennen mochte. Nicht er jedoch. Selten nur traf er auf eine Frau, die er nur ein wenige Zoll überragte. Von junonischer Gestalt und mit üppigen Formen, die er absolut verlockend fand. Entsetzt über seine eines Gentlemans unwürdigen Gedanken zwang er sich, den Blick auf ihr Gesicht zu heften.
„Mädels, es war nicht recht, gegen meinen Wunsch hierher zu gehen“, sagte sie und ihre Miene wurde streng. „Kommt auf der Stelle mit mir.“
„Aber, Mama, er will grad Seine Lordschaft fragen“, sagte Miss Melford. „So ist es doch, nicht wahr?“
Mama? Wie konnte das sein? Sie konnte unmöglich alt genug sein, um die Mutter dieser Kinder zu sein.
Er schaute von der Mutter zu den kleinen, ernsten Gesichtern, die zu ihm aufblickten. „Das kommt auf die Frage an.“ Hölle, musste er wirklich so brummig klingen?
„Bitte behelligen Sie Seine Lordschaft nicht“, sagte Mrs. Melford, von ihrem eiligen Erklimmen der Auffahrt immer noch schwer atmend, welcher Umstand bewirkte, dass ihre braune Pelisse im Brustbereich höchst erfreulich auf- und niederwogte.
Zum zweiten Mal richtete Adam seinen Blick nur mühsam zurück auf ihr Gesicht und las Bestürzung in jenen schönen Augen, die von einem Kranz strahlend goldener Wimpern umgeben waren. Strähnchen der gleichen Farbe waren ihrer Haube entwischt und ringelten sich in zarten Löckchen um ihr ovales Gesicht.
„Und Sie sind?“, fragte sie, die zart geschwungenen Brauen hebend.
Ganz kurz runzelte er die Stirn, dann wurde ihm klar, was hinter der Frage und dem Tonfall steckte. Sie hielt ihn für einen Dienstboten. Wie auch die beiden Mädchen. Sie hatten keine Ahnung, mit wem sie sprachen. Und kein Wunder! Er war in Hemdsärmeln und Weste zur Tür gegangen. Was kein Gentleman tun würde. Aber dann, er war derzeit nicht so recht der Gentleman.
„Royston.“ Ohne groß nachzudenken nannte er den Mädchennamen seiner Mutter, wie oft, wenn er in Geschäften des väterlichen Besitzes unterwegs war. Selbstverteidigung gegen Schleimer, Kriecher und kupplerische Mütter.
Die Frau zögerte. „Cassandra Melford. Bitte richten Sie Lord Graystone aus, die Störung tue mir leid.“
Eine stolze Frau, trotz ihrer Aura vornehmer Armut. Der unerwartete Funken Interesse, den er verspürte, züngelte höher. „Warum stellen Sie nicht einfach Ihre Frage? Dann kann Seine Lordschaft entscheiden, ob er es als Belästigung empfindet.“
„Wir wollten fragen, ob Seine Lordschaft uns wohl erlaubt, in seinem Wald Immergrün für Weihnachten zu schneiden“, warf Miss Lucy, das schlaue kleine Kätzchen, schnell ein, ehe ihre Mama es unterbinden konnte. Dabei zeigte sie vage nach rechts, wo Adam bereits eine ausgedehnte Waldfläche aufgefallen war. „Und vielleicht, ich meine, wenn wir vielleicht einen Stück Baumstamm fänden – also, rein zufällig, verstehen Sie –, könnten wir das auch haben?“ Sie lächelte und zeigte eine Lücke zwischen ihren Schneidezähnen.
Miss Diana lugte hinter ihrer Schwester hervor und zog einen Finger aus ihrem rosigen Mund. „Da ist …“
„Pscht!“, befahl Miss Lucy.
Offensichtlich hatte das Kind das Holz seiner Wahl schon entdeckt.
„Kinder, es ist Unrecht, in den Wälder Seiner Lordschaft herumzustreunen“, tadelte die Mama sanft, als wollte sie so den schweren Schlag mildern. „Bestimmt finden wir auch in den Hecken am Wegrand ein wenig Immergrün. Gleich morgen gehen wir suchen, das versprach ich doch. Und vielleicht hat Mr. Harkness ein schönes dickes Scheit, das wir … ihm abkaufen könnten.“
Wie verräterisch das kurze Stocken war! Geld war das Problem. Sie lächelte entschuldigend, ein Lächeln, das ihr ernstes Gesicht verwandelte, bezaubernde Wärme strahlte es aus.
„Verzeihen Sie, dass wir Sie bemüht haben, Mr. Royston.“
So tapfer sie auch lächelte, in ihren Augen stand Traurigkeit. Das schmerzte Adam. Er tat sein Bestes, es nicht zu sehen. Er war kein Ritter in glänzender Rüstung.
„Warten Sie, ich gehe fragen.“ Zum Teufel, warum tat er das?
Mrs. Melford war sichtlich drauf und dran abzulehnen.
„Es dauert nur einen Moment.“ Er schloss die Tür und rügte sich für sein Täuschungsmanöver. Dabei fand er es seltsamerweise angenehm, mit einer Frau zu reden, die nicht widerlich unterwürfig war. Oder mitleidig. Oder die affektiert und lockend mit den Wimpern klimperte.
„Er sagt, wir sollen warten.“ Miss Lucys helle Stimme drang durch die Tür.
Kurze Stille.
„Er hat nur die Tür zugemacht. Er bleibt einfach da stehen“, verkündete Klein Diana, die offensichtlich dicht vor der Tür stand. Und lauschte.
Ein Zucken um seinen Mund erkannte er als ein beginnendes Lächeln von Lippen, die mangels Übung eingerostet waren.
Er schlich ein paar Schritte tiefer in die Diele hinein, wobei er kaum glauben konnte, wie idiotisch er sich aufführte, stapfte dann zurück und zog die Tür auf. Nur um Mrs. Melford in dem Kampf begriffen zu finden, ihre Töchter vom Haus fortzuführen.
Er folgte ihnen ein paar Schritte und rief laut: „Seine Lordschaft sagt, unter einer Bedingung. Ich muss Sie begleiten. Morgen Nachmittag kann er mich entbehren.“ Bis dahin sollte er mit dem Schreibkram fertig sein, aber für die Rückreise nach Portmaine wäre es zu spät, wenn er noch im Hellen eintreffen wollte. Warum allerdings er überhaupt überlegte, sich auf das hier einzulassen … vielleicht, weil die Mädchen ihn an seine jüngeren Schwestern erinnerten, die er kaum einmal sah. Oder weil die Frau seine Neugier geweckt hatte.
„Nein, Danke“, sagte Mrs. Melford steif.
„Mama …“, bettelte Miss Lucy, die großen Augen bekümmert.
„Natürlich heißt das nicht ohne Sie, Madam“, äußerte Adam, der sofort das Problem erkannte: ein Fremder, der zwei kleine Mädchen irgendwohin begleitete. „Und natürlich auch mit Mr. Melford.“
Die Frau straffte die Schultern. „Es gibt keinen Mr. Melford.“
Eine Witwe. Warum aber hob das seine Stimmung beträchtlich, da er doch sein Bedauern ausdrücken sollte?
„Mit wem auch immer“, erklärte er. „Aber Seine Lordschaft besteht darauf, dass ich dabei bin.“
„Wir stehlen doch nichts“, sagte Miss Lucy indigniert.
Adam zuckte die Achseln, spielte jäh Gleichgültigkeit vor, die er keineswegs empfand. „Brauchen Sie nicht Hilfe bei dem großen Scheit? Außer Sie hätten dafür einen Diener.“ Was er aufgrund ihrer geflickten, abgetragenen Kleider schwer bezweifelte.
Sichtlich hin- und hergerissen betrachtete Mrs. Melford die hoffnungsvollen Gesichter ihrer Kinder. Sie seufzte den Seufzer einer geplagten Mutter, der ihm nur zu vertraut war, da er ihn selbst von seinen Eltern oft genug gehört hatte. „Also morgen um zwei Uhr.“
„Wo kann ich Sie finden?“
Überrascht, dann verwirrt, sah sie auf. „Ivy Cottage. Wir sind Mieter Seiner Lordschaft.“
„Ivy Cottage?“
„Ein Stück die Straße entlang, zwischen dem Herrenhaus und dem Dorf.“ Sie nahm ihre Töchter bei der Hand und entfernte sich.
Der schlammfarbenen Hässlichkeit zum Trotz schwang ihre Pelisse in höchst erfreulicher Manier um ihre gerundeten Hüften. Jäh stand er still. Seit Jahren hatte sich sein Blut beim Anblick einer weiblichen Kehrseite nicht einmal erwärmt. Und das sollte es auch jetzt nicht. Die Frau war seines Vaters Mieterin. Sie verdiente mehr Respekt. Und sie war eindeutig nicht diese Art Frau. Zwar mochte sie ja Witwe sein, aber sie war eindeutig auch eine Dame.
Er schloss die Tür. Ivy Cottage? Er konnte sich an einen zahlenden Mieter auf diesem verfluchten hinterwäldlerischen Besitz nicht erinnern.
Fünfundzwanzig Bienenwachskerzen. Cassie musterte die Früchte ihrer Arbeit. Ihre Arbeit und die der wunderbaren kleinen Geschöpfe, die ihr außerdem zahllose Gläser Honig geschenkt hatten. Wer hätte geglaubt, dass ein Interesse ihrer Kindheit sie vor dem drohenden Verderben schützen konnte? Die Kehle wurde ihr eng. Und hinter ihren Lidern brannte es.
Sir Josiah St. Vire war ein gütiger alter Mann gewesen und hatte Honig in seinem Tee geliebt – speziell ihren Honig, dem der hier gehäuft vorkommende Weißklee seinen besonderen Geschmack verlieh. Wenn dieser neue Mietherr wie sein Vorgänger Honig und Kerzen als Mietzins akzeptieren würde, schaffte sie es vielleicht, noch weitere zwölf Monate zu überstehen. Allerdings war sein Diener, Mr. Royston, nicht von der freundlichen Sorte. Eher der große böse Wolf aus dem Märchen, bereit, sie alle mit Haut und Haar zu verschlingen.
Ihre Wangen wurden heiß. Oh, nein, nicht schon wieder erröten! Schon gestern Nachmittag hatte sie sich ermahnt: Sein Blick war nicht anerkennend gewesen. Kein junger Mann schaute je ein zweites Mal, wenn er erst ihre überragende Größe und reizlose Figur gemustert hatte. Die Glut in Mr. Roystons Augen war Ärger gewesen, weil er seine Vorstellungen nicht hatte durchsetzen können.
Nach ihrer Erfahrung wollten Männer immer ihren Kopf durchsetzen, wenn Frauen im Spiel waren. In ihrem Machtspiel waren Frauen nur Spielmarken. Und wenn etwas nicht nach Plan ging, wurden sie unangenehm und rachsüchtig. Wie damals ihr Bruder, nachdem sie ihren ersten Heiratsantrag abgelehnt hatte. Da hatte er ein sehr hässliches Bild von ihrer Zukunft als völlig von ihm Abhängige gezeichnet. Und wie ihr Gemahl, als er herausfinden musste, dass selbst ein Earl kein Garant dafür war, dem kostbaren Sohn Eintritt in die vornehme Gesellschaft zu verschaffen. Keine Frau konnte darauf vertrauen, dass ein Mann seine Macht klug nutzte.
Als Witwe war sie frei, selbst zu entscheiden, ihren eigenen Weg zu wählen. Und es war ihr recht gut gelungen.
Auf der Feuerstelle in dem kleinen, sich ans Haus schmiegenden Schuppen simmerte im Wasserbad ein Zinntopf. Sie warf einen Blick hinein. Das Wachs darin reichte noch, um ein paar Kerzen mit der Hand zu formen, dann hätte sie genug Vorrat.
„Guten Tag“, drang eine schön gefärbte männliche Stimme an ihr Ohr.
Sie zuckte zusammen und wirbelte herum. „Mr. Royston!“
Groß ragte er auf. Über ihr ! Ihre Erinnerung hatte ihr keinen Streich gespielt. In diesem engen Raum wirkte der Mann irritierend groß und beunruhigend breit in den Schultern. Vor ihm kam sie sich klein vor, beinahe zierlich. Eine äußerst befremdliche Empfindung. Mit sichtlicher Neugier sah er umher. Um als klassisch gut aussehend durchzugehen, waren seine Züge zu schroff, doch erneut war sie wie betäubt von seiner wilden männlichen Schönheit. Und überrascht sah sie, dass seine Augen nicht, wie sie gedacht hatte, dunkel waren, sondern auffallend smaragdgrün. Ein Ruck ging durch sie hindurch.
Sie sträubte sich gegen die seltsame Reaktion. „Warum sind Sie hier?“
„Sind Sie bereit?“
Ihr Blick flog zur Uhr auf dem Bord. Noch zwei Minuten bis zwei. Verflixt, sie hatte die Zeit vergessen. „Ich brauche nur einen Moment. Wir treffen uns draußen auf dem Weg.“ Nicht unbedingt höflich, doch sie war eine alleinstehende Frau und wünschte keine Missverständnisse.
Er ignorierte den Wink und schlenderte umher wie eine Raubkatze – oder wie der Repräsentant eines Mietherrn auf der Suche nach Zeichen der Vernachlässigung. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, musterte er die Gestelle mit den Kerzen, die über seinem Kopf von der Decke hingen. „Dann sind das Ihre Bienenkörbe in dem unteren Grasland.“
Das war keine Frage. „Dafür habe ich Sir Josiahs Erlaubnis.“ Lieber Gott, wenn der neue Besitzer ihr verbot, die Bienen auf seinem Land zu halten, würde es schwer für sie werden. „Ich bezahlte für die Miete mit Honig und Kerzen. Er meinte, dass die Bienen seinem Obstgarten nützlich seien.“
Royston traf ihren Blick. Er furchte die Stirn. „Sind die für Ihren eigenen Gebrauch?“
Als ob sie sich den Luxus leisten könnte! Stolz reckte sie das Kinn. „Mr. Driver verkauft die überzähligen Kerzen und den Honig auf dem Markt in der Stadt.“
„Hmm.“ Nachdenklich sah er sie an. „Sollten wir nicht aufbrechen?“
Der Themenwechsel irritierte sie, doch sie tastete kommentarlos nach den Schürzenbänder in ihrem Rücken, musste aber feststellen, dass sie sich verknotet hatten.
Nach kurzem Zögern trat er näher, und wieder war sie sich seiner Größe und kraftvollen Statur sehr bewusst. „Kann ich helfen?“ Er zog seine Handschuhe aus und enthüllte große Hände, jedoch elegant geformt und nicht rau von der Arbeit wie die ihren. Der erste Diener eines Gentlemans verbrachte seine Zeit nicht mit Gärtnern oder Kerzenziehen.
Sie wandte ihm den Rücken zu. „Ja, Danke.“ Andernfalls müsste sie schließlich die Bänder zerschneiden.
Er strahlte eine unglaubliche Wärme aus. Jedes Mal, wenn er ihr Kleid streifte, erbebte sie innerlich sacht. Sie zwang sich, reglos zu stehen, während er sich an dem Knoten zu schaffen machte.
„So!“, sagte er und trat zurück.
Lächelnd drehte sie sich zu ihm um. „Ich danke Ihnen.“ Ihr stockte der Atem unter seinem eindringlichen Blick, der nicht nur ihr Gesicht erfasste, sondern ihren ganzen Körper. Die meisten Männer fühlten sich von ihrer Größe eingeschüchtert, dieser hier eindeutig nicht, und sie war sich plötzlich ihrer Weiblichkeit sehr bewusst.
Strahlend grüne Augen funkelten amüsiert. „Soll ich auch helfen, die Schürze abzulegen?“
Herrje, sie, eine verwitwete Dame reifen Alters, stand da wie ein betörtes Schulmädchen. Rasch nahm sie die Schürze ab, nur um sich derer durch seine Hand entledigt zu sehen.
Er beugte sich vor und berührte ihre Lippen ganz sanft, beinahe flüchtig, mit den seinen. Der Hauch eines Kusses, der ihr das Blut heiß ins Gesicht trieb und sie zurücktaumeln ließ.
Rasch fasste er mit jenen starken, tüchtigen Händen ihre Oberarme und schenkte ihr ein verwirrendes Lächeln.
Ihr Herz begann zu rasen. Sie fuhr sich mit der Hand an die Kehle.
„Halt, Vorsicht, Mrs. Melford“, sagte er, die Stimme dunkel vor Lachen. „Wir wollen doch nicht, dass Sie ins Feuer stürzen.“ Sobald er sie sicher auf den Füßen wusste, ließ er sie los.
So sicher, wie ihre Füße in der Nähe dieses Mannes sein würden, denn ihren Knien konnte sie nach diesem Kuss immer noch nicht trauen. „Mr. Royston …“, begann sie streng. „Sie werden sich mit mir keine solchen Freiheiten erlauben. In der Tat …“
Er schaute zur Decke, und sie folgte seinem Blick.
Bei allen Heiligen, sie stand unter einem Zweig Misteln. Deshalb also das Gekicher, als die Mädels heute Vormittag aus dem Schuppen kamen. Lucy musste auf einen Stuhl geklettert sein, um die Zweige an den Balken zu binden. Unartige Mädchen.
Er streckte die Hand aus, pflückte nach alter Sitte eine Beere und steckte sie in seine Brusttasche.
Himmel, der Mann war wunderbar groß gewachsen!
Da ihr der Wind aus den Segeln genommen war, suchte sie nach Worten. „Sie werden vor dem Haus auf mich warten, Sir“, sagte sie streng.
Er verneigte sich. „Gewiss, Madam.“
Kaum dass er die Tür hinter sich geschlossen hatte, sank sie schwach auf einem Hocker nieder. Was war mit ihr los? War sie wirklich so einsam, so sehr männlicher Gesellschaft bedürftig, dass sie sich in den ersten Mann verguckte, der ihr ein gewinnendes Lächeln schenkte? Sie hätte seine Begleitung nie annehmen dürfen.
Sie atmete tief ein, streute Asche über das Feuer und ging hinaus. Dank Gott stand er nicht draußen an ihrer Hintertür und erwartete, dass sie ihn ins Cottage einlade. Es musste nur ein Dorfbewohner zufällig vorbeikommen, und es gebe den gleichen Tratsch wie damals, als jemand Sir Josiah hatte aus ihrer Tür kommen sehen. Sie eilte ins Haus.
Adam verschluckte ein reuiges Lachen. Jene kleinen Mädchen hatten ihn fein erwischt, als er an die Haustür klopfte.
Er hätte wissen müssen, dass die förmliche, steife Mrs. Melford an dem Spiel, sich unterm Mistelzweig einen Kuss abzuholen, nicht beteiligt gewesen war. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass der dort hing. Dennoch konnte er einfach nicht bedauern, ihre süßen Lippen gekostet zu haben, ihren lieblichen Duft nach warmem Bienenwachs und Rosen. Wie Sommer an einem Wintertag.
Er sollte sich entschuldigen – was es aber wahrscheinlich nur schlimmer machen würde. Außerdem tat es ihm absolut nicht leid. Nicht im Mindesten. Er war erregter, als es seit Langem der Fall gewesen war. Trotzdem ging es nicht an, dass er mit einer ehrbaren Witwe flirtete. Ein Ausrutscher und er fände sich auf dem Weg zum Altar wieder, durch sie oder durch einen ehrgeizigen Verwandten.
Nicht dass er Mrs. Melford verdächtigte, ein intrigantes, dreistes Ding auf der Jagd nach einem Gemahl zu sein. Ganz im Gegenteil. Sie war gewiss nicht so berechnend, dass sie sich absichtlich unter einen Mistelzweig postiert hätte, um geküsst zu werden. Die Frau errötete jedes Mal, wenn er sie ansprach.
Nein, sie war süß und unschuldig und praktisch mittellos. Gemäß Sir Josiahs Büchern ein Wohlfahrtsfall.
Dann kam ihm ein hässlicherer Gedanke, einer, der Zorn in ihm weckte. Vielleicht war Mrs. Melford ja so unschuldig gar nicht. Vielleicht hatte ihr verblichener Mietherr ja eine andere Art der Mietzahlung entgegengenommen. Vielleicht war sie deshalb dauernd errötet und hatte so beunruhigt gewirkt.
Falls ja, war es nur gut, dass der alte Josiah zu seinem Schöpfer eingegangen war. Finster musterte Adam das Cottage, während er über Männer nachsann, die verarmte Damen von Stand ausnutzten.
Die Tür öffnete sich, und Mrs. Melford und ihre Töchter traten ins Freie. Wieder ergötzte er sich an ihrer herrlich vollen Figur. Beim Anblick ihres anmutig geschwungenen Halses unter der hässlichen Haube verlangte es ihn, das sichtbare Streifchen cremiger Haut zu berühren. Ihren Pulsschlag an seiner Zunge zu spüren.
Zum Teufel! Hatte er so lange keine Frau mehr in seinem Bett gehabt, dass ihm jeder Anstand abhandengekommen war? Die Frau verdiente Besseres. Mit einem Ruck wandte er sich ab und fummelte an Soldiers Zaum, wie um etwas zu richten.
Die kleinen Mädchen, die aus dem Gartentor gerannt kamen, verharrten jäh, als sie Pferd und Wagen sahen, und schauten verwundert. „Fahren wir damit?“, fragte Diana. „Wir gehen sonst immer zu Fuß.“
„Ich dachte mir, dass wir das große Scheit irgendwie fortschaffen müssen.“
„Das ist Sir Josiahs Wägelchen“, meinte Lucy.
„Was für ein hübsches Pferd“, sagte Diana bewundernd.
Das hübsche Pferd war sein eigenes. Sir Josiahs Kutschpferde, wenn auch durchaus nett, würden vermutlich eine solch niedere Arbeit für unter ihrer Würde halten.
„Danke. Du wirst mit deiner Schwester hinten auf der Bank sitzen und uns den Weg weisen. Ihr findet da ein, zwei Kissen, damit ihr es bequem habt.“
„Sie scheinen an alles gedacht zu haben“, meinte Mrs. Melford, die Lucy hinaufhalf, während er Diana in das Wägelchen hob.
War sie über seine Voraussicht erfreut? Oder nicht? Man konnte es ihr nicht ansehen. Er half ihr hinauf, folgte ihr und trieb das Pferd an.
„Ich wollte Sie heute Morgen nicht bei der Arbeit stören“, sagte er, quasi als Friedensangebot für beides – sie gestört zu haben und vielleicht, ein ganz klein wenig, auch für den Kuss. Aber dafür nur ganz, ganz wenig.
„Ich war gerade fertig.“
Sie reagierte, wie es sich gehörte. Eine Dame würde von seinem neckenden Beinahe-Kuss niemals offiziell Notiz nehmen. Obwohl sie ihm vielleicht eine Ohrfeige hätte versetzen sollen. Was ihn auf einen bedrückenden Gedanken brachte. „Haben Sie Verwandtschaft in der Umgebung?“ Irgendeinen männlichen Verwandten, der sich für das Wohlergehen der Damen seiner Familie verantwortlich fühlte.
„Nicht dass ich der Meinung bin, es geht Sie etwas an, Mr. Royston, aber was ich an Familie habe, ist nicht der Rede wert.“
Nicht der Rede wert hieß nicht, keine, es hieß nur, dass man sich nicht zu ihr bekannte. „Das tut mir leid.“ Und meinte es wirklich, denn es war höchst zweifelhaft, dass der nächste Besitzer von Thornton Hall einen Mieter behielt, der keine Miete zahlte.
„Vielleicht gibt es unter den Gentlemen in der Umgebung einen Anwärter auf Ihre Hand?“ Ein Mann, der ihn – und mit Recht – für sein freches Betragen fordern würde.
„Eine Heirat ist das Letzte, was ich wollte! Nie wieder werde ich mich in die Gewalt eines Mannes begeben!“
Ob ihrer ungestümen Äußerung zuckte er zusammen. Ihre Ehe musste in der Tat unerfreulich gewesen sein. Er unterdrückte den Wunsch, ihr mehr zu entlocken, zügelte sein Pferd und übergab ihr die Leinen. Soldier, anders als das zweite männliche Wesen hier der perfekte Gentleman, wartete geduldig, bis er das Tor geöffnet hatte, das den Weg über ein Feld zum nahen Wald freigab. Adam sprang auf und ließ das Tier wieder anziehen.
„Hat Ihr Dienstherr wohl vor, Sitz auf Thornton Hall zu nehmen?“, fragte sie, als ahnte sie irgendwie, was er vorhin gedacht hatte. Das gefiel ihm an ihr – wie sie überlegte und Schlüsse zog, selbst wenn daraus unbequeme Fragen resultierten.
Einerseits, in seiner Funktion als Mietherr, wünschte er, er hätte gestern seinen echten Namen genannt und die Tür geschlossen. Andererseits, als Mann mit plötzlich erwachtem Jagdtrieb, war er froh, dass sie so anbetungswürdig verwirrt und köstlich weiblich auf seiner Schwelle gestanden hatte – so ganz anders als seine üblichen weiblichen Bekanntschaften – und ihn so verlockt hatte, auf ihre irrige Vorstellung von ihm einzugehen.
„Nein, die Absicht hat er nicht.“
„Sie sind sich sehr sicher“, meinte sie zweifelnd. „Vielleicht würde er aber vermieten wollen?“
Das war Haschen nach dem letzten Strohhalm, eindeutig. Doch nur ein Narr würde Cousin Josiahs heruntergekommenen Besitz mieten, wenn die Instandsetzung beträchtliche Aufwendungen erforderte. Es wäre nicht nett, ihr Hoffnungen zu machen, nur um sie hinterher zu zerschlagen. „Das ist nicht der Fall.“
„Sie genießen also sein Vertrauen.“
Er hörte nur ungern, wie enttäuscht sie klang. „Als der Verwalter des Earl of Portmaine bin ich in all seine Entscheidungen eingeweiht.“ Eine korrekte Beschreibung der Pflichten, wie er sie für seinen Vater während der letzten fünf Jahren erfüllt hatte, also eigentlich keine Lüge, auch wenn es ihm so vorkam.
„Mr. Royston!“, rief Lucy.
Er wandte sich zu ihr um. „Wie kann ich Ihnen dienen, Miss Melford?“
Ob seiner Förmlichkeit kicherte sie. „Setzen Sie mich und Lucy wohl ab, damit wir Ihnen den Weg zu dem schönen Ilexbusch zeigen können? Efeu gibt es da auch.“
Vielleicht auch Misteln? Er wollte lieber nicht fragen.
Er sprang ab und umrundete den Wagen. „Runter mit euch, junge Damen.“
Kaum unten, trotteten die Mädchen zügig voran.
„Hier entlang, Mr. Royston“, rief die Ältere ihm zu.
Zum Glück war der Pfad breit genug und fest gefroren, um Pferd und Wagen auszuhalten.
„In Anbetracht des vorgesehenen Verkaufs ist es sehr gütig von Lord Graystone, uns seinen Wald plündern zu lassen“, sagte Mrs. Melford. Es klang resigniert.
Gütig war nicht das richtige Wort. Lüstern und hinterlistig. Beides passte besser.
„Meinen Sie nicht, ich sollte ihm danken? Ich möchte es keinesfalls an Höflichkeit fehlen lassen.“
Und dann würde sie wissen, ein wie lüsterner, hinterlistiger Geselle er war.
„Seine Lordschaft trat heute Morgen für die Weihnachtstage die Heimreise an.“ Hätte antreten sollen.
Sie runzelte die Brauen. „Und Sie blieben hier?“
„Nur kurz noch. Ich habe noch eine Sache zu erledigen, dann fahre ich ebenfalls.“
„Und Sie sind ganz sicher, dass er Thornton im nächsten Jahr verkaufen will?“
Einen Augenblick wünschte er, er könnte seine Pflicht gegenüber seinem Vater und den Besitzungen vergessen und ihr das Cottage weiterhin überlassen. Aber wozu? Damit sie ihn lieber mochte? Um ihr süßes Naturell auszunutzen? Oh, er verdiente wirklich nicht, dass sie zu ihm aufblickte wie zu einer Art Retter.
„Es tut mir leid“, sagte er und war überrascht, wie wahrhaft bedauernd er es meinte.
A ls sie zu Mr. Royston hinauf in den hohen Ilex schaute, fand Cassie es kaum glaublich, dass ein Mann, der so zart küssen konnte, in der Lage war, dicke Zweige so mühelos und energisch abzuhacken. Zweifellos schützten seine dicken Lederhandschuhe vor den größten Stacheln, doch bestimmt hatte er mehr als nur einen Kratzer abbekommen.
„Aus dem Weg!“, rief er nun.
Rasch zog sie die Kinder fort von dem Baum. Eine Sekunde hing der schlanke Ast an einem anderen fest, dann fiel er neben die vier anderen, mit glänzend roten Beeren prangenden zu Boden.
Mr. Royston landete neben dem Haufen. Er sah sie irritiert an. „Was ist das für eine Melodie?“
Oh, sie musste unbewusst vor sich hin gesummt haben, wie sie es manchmal tat, wenn sie froh war. Was unter dem Dach ihres Gemahls nicht oft geschehen war. Und wenn es vorkam, hatte es ihn gestört.
„Es ist ein Weihnachtslied“, verkündete Lucy und begann prompt zu singen. Das Lied vom Ilex und Efeu, die alles weihnachtlich bekränzten.
Zu Cassies Staunen fiel er in den Gesang ein. Er hatte einen schönen Bariton.
„Ich schätze, dass ist ein Wink, dass ich als Nächstes die Efeuranken schneiden soll“, sagte er gespielt mürrisch.
„Hier lang.“ Lucy rannte voran.
Mr. Royston zwinkerte amüsiert. „Ihre Begeisterung ist ansteckend.“ Er stemmte die Hände in die Hüften und musterte die dicken Zweige. „Genügt das wohl für Ihre Zwecke?“
„Für mich und das halbe Dorf dazu“, sagte sie und ächzte innerlich, weil sie so undankbar klang. „Vielen Dank, wir werden schöneren Schmuck haben als je zuvor.“
Diana griff nach einem dünnen Ast. Schnell fing Mr. Royston ihre Hand ab. „Vorsicht! Der hier ist wirklich unglaublich stachelig.“
Er hockte sich hin, schnitt einen kleinen Zweig ab, entfernte die Stacheln und überreichte ihn Diana mit einer schwungvollen Geste. „Mylady, Ihr Sträußchen. Achtung, dass es Sie nicht pikst.“
Die Kleine kicherte und hielt es vorsichtig von sich weg.
„Sag Danke“, mahnte Cassie.
Diana strahlte ihn an. „Danke, Mr. Royston.“ Und sie stürzte auf ihn zu, umarmte ihn stürmisch und rannte dann ihrer Schwester hinterher. „Lucy, sieh, was ich habe!“
„Sie schneiden besser noch einen“, empfahl Cassie. Ob seiner Freundlichkeit musste sie höchst alberne Tränen zurückdrängen. „Für Lucy. Falls es Ihnen nichts ausmacht, meine ich.“
Früher war es so schrecklich anzusehen gewesen, wie der ältere Bruder der Mädchen mit ihnen um die Gunst des Vaters gekämpft hatte. Herbert hatte sich als grässlicher Quälgeist gezeigt, eifersüchtig auf die Töchter aus der zweiten Ehe seines Vaters. Dabei war es ihm immer gelungen, seine Bosheit in Gegenwart des Vaters hinter einem unschuldsvollen Lächeln zu verbergen, doch er wütete innerlich, weil sein Vater ein Hausmädchen geheiratet hatte. Er fand es unwürdig.
Herberts Vater hatte sich in viel höheren Kreisen nach einer Frau für ihn umgesehen. Die Tochter eines Earls erschien ihm als feiner Fang. Was immer Cassies Bruder in Bezug darauf, Herbert im ton einzuführen, versprochen hatte – unglücklicherweise war es ihm nicht gelungen, die Abneigung der vornehmen Welt gegen den hoffnungslos vulgären Erben des steinreichen Clifford Norton zu beseitigen. Keiner der erstklassigen Klubs hatte Herbert aufnehmen wollen, sodass er sich mit drittrangigen abfinden musste. Was Vater wie Sohn wenig erfreute. Sie hatten sich gerächt, indem sie einen juristischen Weg fanden, Cassie die bei der Heirat abgemachte finanziellen Versorgung zu streichen, da ja ihre Familie ihren Teil des Handels nicht erfüllt habe. Wodurch Cassie abgesehen von ihrem Schmuck völlig mittellos dastand.
„Nein, es macht mir gar nichts.“ Lächelnd, mit Wärme im Blick, schaute Mr. Royston den Mädchen hinterher. „Dank Ihnen sind Ihre Töchter gut geraten, Mrs. Melford.“
Sie errötete tief. Wann hatte sie zum letzten Mal ein echtes Kompliment bekommen? Nachdem ihre Familie das Versprechen auf gesellschaftlichen Aufstieg nicht einhalten konnte, hatte ihr Gemahl sie als herbe Enttäuschung betrachtet, und das umso mehr, als sie ihm nicht den heiß begehrten zweiten Sohn schenkte, und Herbert hatte sie bei jeder Gelegenheit übel verleumdet, bis Clifford endgültig fand, dass er mit ihr einen miserablen Handel gemacht hatte.
„Sie sind meine Stieftöchter“, erklärte sie. „Ihnen fehlte ihre verstorbene Mutter ganz schrecklich, als ich ihren Papa heiratete. Wir mochten einander auf den ersten Blick.“
Er bot ihr seinen Arm, während sie den Kindern folgten. Cassie hörte deren Stimmen nicht allzu weit voraus.
Als sie zu Mr. Royston aufsah, entdeckte sie Interesse in seinem Blick und merkte, dass ihr das nicht unlieb war. Während der kurzen Stunde in seiner Gesellschaft hatte sie ihre Geldsorgen vergessen und empfand tatsächlich einmal Freude. „Was wollten Sie fragen?“
„Sie sind noch sehr jung, dafür dass Sie Witwe und für zwei kleine Mädchen verantwortlich sind.“
Gut beobachtet und höflich gefragt. „Ich heiratete sehr jung, mit kaum achtzehn. Ich war die dritte Frau meines Gatten.“
Sein Gesichtsausdruck wurde grimmig.
Doch sie mochte weder Mitleid noch Widerwillen sehen und wandte ihr Gesicht ab. Sie hatte sich bewusst für die Heirat entschieden. Entweder das oder sich damit aussöhnen, für den Rest ihres Lebens die altjüngferliche Tante für die Kinder ihres Bruders zu spielen, dazu verdammt, seiner Familie als Packesel zu dienen. Indem sie Clifford heiratete, bekam sie ihr eigenes Heim und die beiden Mädchen, die sie auf Anhieb liebte. Nach dessen Tod war sie fast froh, keine eigenen Kinder zu haben, die unter Herberts brutale Herrschaft geraten wären. Nur war sie nicht froh. Nicht ein bisschen. Kinder wären das einzig Gute gewesen, das jene Ehe hervorgebracht hätte.
„Mein Gemahl brauchte eine weibliche Hand für die Mädchen. Auch hoffte er …“ Sie brach ab. Mehr über seine sonstigen ehrgeizigen Wünsche zu sagen mochte unklug sein. „Und ich benötigte ja einen Gemahl. Die Mädchen bedeuten mir sehr viel.“ Der Gedanke, sie zu verlieren … Ihr schnürte sich die Kehle zu, sodass sie nicht weitersprechen konnte.
Er legte eine Hand über die ihre. Sie spürte seine Wärme. Gewiss unmöglich durch zwei Schichten Leder? Sie kamen zu einer Lichtung, auf der die Kinder schon eifrig an langen, um einen Baumstamm sich windenden Ranken zerrten. Scheinbar, um ihnen zu helfen, löste Cassie sich von Adams Arm, doch eigentlich, um Abstand zu gewinnen. Der Mann ließ ihr Herz schneller schlagen. Brachte sie dazu, Dinge zu wollen, denen sie schon lange entsagt hatte
Es war ihr Fehler. Ihr gefiel, wie er mit den Mädchen umging, diese bärbeißig-sanfte Art. Und ihr gefiel sein so seltenes Lächeln, das eine andere, weichere Seite seines Charakters offenbarte. Und, ehrlich gesagt, kein Mann hatte ihr je diese ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt. Ihr wurden jedes Mal die Knie weich, wenn er ihr eine kleine Höflichkeit erwies. Und trotz seines ungehörigen Kusses war sein Betragen das eines Gentlemans. Vielleicht war er ein entfernter Cousin der edlen Portmaines, für die er arbeitete.
„Komm, Mama, hilf mir“, bat Diana, die mitten in einem Knäuel aus Efeu steckte und an einer Ranke zog. Als Cassie hinauf in den Baum schaute, bemerkte sie, dass das nicht das einzige Gewächs war, das der Baum beherbergte.
Ungehörige Erregung kribbelte in ihr.
Um ihre Gedanken abzulenken, nahm sie das Ende der Ranke und wickelte den Trieb über ihrem Arm auf, wie man Wolle aufwickelt. Mr. Royston half Lucy, bis jedes Mädchen einen dicken Ring forttragen konnte.
„Wollt ihr beiden das nicht zum Wagen bringen?“, meinte Cassie, wobei sie den überraschenden Drang zu kichern unterdrückte. Frauen mit ihren Proportionen kicherten nicht. „Mr. Royston und ich bringen dann den Ilex.“
Cassie sah den beiden nach, bis sie außer Sicht waren. Dann lächelte sie zu Mr. Royston auf , wobei sie sich angesichts seiner Statur erstaunlich weiblich und zierlich vorkam. „Vielen Dank. Einen so schönen Ausflug gab es für die zwei schon lange nicht mehr.“
„Eigentlich sollte ich Ihnen für die Einladung dazu danken.“ Er verneigte sich leicht. Als sie sich nicht vom Fleck rührte, trat er mit verwirrtem Blick näher. „Stimmt etwas nicht?“
Sie streckte eine Hand aus, als wartete sie, dass er ihr seinen Arm böte. Als er nah genug war, legte sie ihm die Hand auf die Schulter, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf den Mund, nicht einfach mit einer zarten Berührung, sondern mit dem sanften Druck verschmelzender Lippen. Sandelholz, Wald und der warme Duft nach Mann stieg ihr in die Nase. Sacht fuhr sie mit der Zunge über den Schwung seiner Lippen, und mit einem kleinen, tief aus der Kehle kommenden Ächzen gab er nach. Mit kraftvollen Armen umfing er sie, zog sie dicht an sich und vertiefte den Kuss. Zärtlich spielte seine Zunge mit der ihren.
Sie schmiegte sich an ihn, schob die Finger in die weichen, seidigen Locken in seinem Nacken. Ihr Körper schien vor Wonne und Verlangen zu summen. Ihre Glieder wurden träge. Sie drängte sich gegen ihn, spürte seine breite Brust an ihren Brüsten und seufzte vor Zufriedenheit.
Schließlich brach er den Kuss ab und ließ seine Stirn an der ihren ruhen, wie um sein Gleichgewicht wiederzufinden. „Mrs. Melford, was hat das zu bedeuten?“ Seine Stimme war leise und tief und köstlich, sündhaft neckend, doch mit einem Hauch Hoffnung auf mehr von dieser Kost.
Sie lehnte sich ein wenig zurück und zeigte lächelnd nach oben, weit hinauf in den Baum. „Wie du mir, so ich dir, Mr. Royston.“ Sie hielt den Atem an, plötzlich von Unsicherheit erfasst. War sie zu weit gegangen?
Als er das dichte Knäuel Misteln oben zwischen den Ästen entdeckte, erhellte ein jungenhaftes Grinsen seine Züge. „Dann also wie du mir, so ich dir, Mrs. Melford.“
Bärbeißig, das ja, dieses Lächeln, aber es wärmte sie durch und durch. Und die in seiner Miene aufflackernde Sinnlichkeit – sollte er sie wohl anziehend finden? – brachte ihr Herz aus dem Takt. „Wenn Sie mögen, nennen Sie mich Cassie, solange wir unter uns sind.“
Seine Augen wurden groß. Zweifellos fragte er sich, wie weit sie mit „unter uns“ zu gehen plante. „Gut, wenn Sie Adam zu mir sagen.“
Sie spürte ein sündiges kleines Beben tief in ihrem Leib. Ihr stockte der Atem. Sehr weit wollte sie gehen. Viel zu weit. Sie verlor eindeutig ihre Bodenhaftung. „Wir sollten uns beeilen, sonst kommen die Kinder uns noch suchen.“
Indem sie ihm ihren Vornamen anbot, diese köstlich üppige und doch so förmliche und korrekte Frau, gab sie behutsam zu verstehen, dass sie von ihm mehr wollte als Freundschaft oder Unterstützung. Eine andere Erklärung war nicht möglich.
Sie wollte ihn, Adam. Nicht den Erben einer Grafschaft, sondern Adam, den unbedeutenden Verwalter. Den Mann, der begeistert aus voller Brust Weihnachtslieder sang. Ausnahmsweise einmal bekam er das Anerbieten ohne Blick auf vorteilhafte Bindungen, sei es ehelicher oder finanzieller Art. Wenn es auch zwangsläufig nur eine sehr kurze Tändelei sein konnte, falls er es überhaupt so weit kommen ließ.
Er warf die letzten Zweige auf die kleine Ladefläche. „Kommt dem nicht zu nahe“, warnte er die beiden Kleinen.
Wenn aber getändelt werden sollte, wie könnte es bewerkstelligt werden? Natürlich würde er so diskret wie möglich vorgehen, um ihren Ruf bei den Nachbarn nicht zu gefährden, denn wenn sie Ivy Cottage verließ, würde sie wahrscheinlich eine neue Bleibe im nahen Umkreis mieten.
Oder versuchte sie so, ihn zu verpflichten, damit er seinen Dienstherrn überredete, sie an Ort und Stelle wohnen zu lassen. Eine kalte Hand drückte ihm das Herz ab. Ehe die Sache weiterging, würde sie erfahren müssen, dass er ihr den Gefallen nicht tun konnte. Ein vernünftiger Mann ließ seine finanziellen Entscheidungen nicht durch jedes hübsche Frauenzimmer, das ihm über den Weg lief, beeinflussen, auch wenn seine lüsternen Anwandlungen zum Gegenteil tendierten.
Sein erhebendes Gefühl, seine frohe Erwartung wichen langsam. Er kletterte auf den Wagen und trieb Soldier an.
Mrs. Melford bedachte ihn mit einem scheuen Lächeln. Dann sah sie zum Himmel auf. „Ich glaube, es wird mehr Schnee geben.“
Dunklere Wolken waren dräuend herangezogen, und der Wind hatte aufgefrischt. Ein unwirtlicher Dezembertag wie er im Buche stand.
„Schnee zu Weihnachten?“, sagte Lucy.
„Möglicherweise.“
Die Kleine quietschte vor Freude.
Bezaubert von ihrer kindlichen Begeisterung sah Adam sich breit lächelnd um. „Dann müssen wir rasch euer großes Scheit finden.“
„Das ist da hinten am Waldrand“, erklärte Lucy.
„Da! Da ist es!“ Lucy zeigte mit dem Finger.
Dort lag ein Baumstamm, der schon, bereit zum Transport, in große Stücke gesägt worden war.
„Oh …“, kam es von Mrs. Melford. „Ich glaube, Sir Josiah hatte den wohl schon fürs Herrenhaus vorgesehen, Lucy. Das ist nicht der alte, umgestürzte Stumpf, den du beschrieben hattest.“
„Aber er ist umgestürzt.“
„Nein, der wurde gefällt.“
„Meine Damen“, unterbrach Adam sie, teils belustigt von der kleinen Streiterei, wie sie seine Schwestern früher daheim so oft mit ihm ausgefochten hatten, und teils besorgt, welche Lösung er anbieten könnte. „Ich bin mir sicher, Lord Graystone wird nichts gegen eine kleine Weihnachtsfreude für seine Mieter einzuwenden haben.“
„Er sollte vorher gefragt werden“, erklärte Cassie entschieden.
War er ja, nur durfte sie das nicht wissen. Wie konnte er den rätselhaften Stolz dieser Frau nur umgehen, ohne wie ein Narr dazustehen? „Heute Morgen, bevor er abreiste, erwähnte ich die Sache mit dem Holz, und er hatte keine Einwände.“
Zweifelnd sah sie ihn an. „Es sollte sich um Windbruch handeln, Mr. Royston. Ich möchte mir keinerlei Freiheiten nehmen.“
„Die nehme ich mir dann“, sagte er und sprang vom Wagen. „Wenn Seine Lordschaft nachträglich doch etwas dagegen haben sollte, werde ich Ihnen das Scheit kaufen, als Weihnachtsgabe.“
„Das kann ich unmöglich annehmen.“
„Eine Gabe für Miss Lucy“, sagte er.
„Mama?“ Mit großen, flehenden Augen sah das Mädchen seine Mutter an. Es beherrschte die Kunst des Erschmeichelns offensichtlich perfekt.
Ihre Mama atmete tief ein. „Mr. Royston, sollte Seine Lordschaft Bezahlung verlangen, werden Sie es mir mitteilen, und ich werde dafür genauso zahlen wie für unser Feuerholz. Schließlich ist es nichts anderes. Sie werden mich die Antwort Seiner Lordschaft bitte wissen lassen.“
So war also ihr Stolz zufriedengestellt, während er sehr unbehaglich bis zum Hals in seinem Lügensumpf steckte. Er musste die Sache beenden, durfte die Frau nicht wiedersehen, wenn er sie erst an ihrer Haustür abgesetzt hatte. Mit einer ehrbaren Frau zu tändeln, stand einem Mann von Ehre nicht zu Gesicht.
Er hievte das Stück Stamm in den Wagen und betrachtete es, die Hände in die Hüften gestemmt, düster. Es war beschlossene Sache. Er würde Mann und Maus und Holz und Grünzeug an dem Cottage abladen, und das war es dann. Lord Graystone würde ihnen von seinem nächsten Aufenthaltsort schreiben und ihnen mitteilen, dass sie mit sechs Monaten Frist sein Mietobjekt zu räumen hätten. Mehr, als ihren Auszug aufzuschieben, konnte er nicht tun, und das auch nur, weil sie eine alleinstehende Frau war.
So sehr er sich auf dem Rückweg auch bemühte, es gelang ihm einfach nicht, bei dieser ausgelassenen kleinen Familie Zurückhaltung zu wahren. Sie ließen es einfach nicht zu. Als Lucy ein fröhliches Weihnachtslied anstimmte und Cassie und Diana einfielen, stand stumm zu bleiben nicht zur Wahl. Sie sangen begeistert, mit überströmender Freude, und seine Gelassenheit geriet ins Wanken, denn es erinnerte ihn an viele Weihnachtsfeste, zu denen seine Gattin dieselben Lieder gesungen hatte.
Vor dem Cottage angekommen, trug er das gewaltige Scheit ins Haus und setzte es beim Kamin ab, dann half er den Mädchen mit ihrem reichen Schatz an Immergrün. Kaum waren die beiden aus ihren Mänteln geschlüpft, setzte Cassie sie an den Küchentisch, wo sie begannen, die langen Zweige in passende Stücke zu schneiden.
„Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten?“, fragte sie Adam.
„Wir haben Shortbread“, verkündete Diana.
„Danke, leider nein. Auf Thornton wartet Arbeit auf mich.“ Es fiel ihm erstaunlich schwer abzulehnen, da er sah, wie sehr es sowohl sie als auch die Kinder enttäuschte, doch er brachte ein Lächeln zustande. „Außerdem braucht Soldier jetzt Stallruhe und eine Portion Hafer.“ Ein einleuchtendes Argument, das die Stimmung zu heben schien. Cassie geleitete ihn zur Tür.
Sie reichte ihm seinen Hut, den er beim Eintreten abgelegt hatte. Ihr Lächeln war scheu und teuflisch verlockend, und ihr Blick huschte aufwärts, über seinen Kopf. „Danke, dass Sie uns begleitet haben.“
Mistelzweige machten einen Narren aus einem Mann, der eigentlich das Richtige tun wollte.
Sie legte ihm sacht die Hände auf die Schultern, hob sich auf die Zehen.
Ein Kuss. Ein freundschaftlicher Kuss, mehr hatte sie gewiss nicht im Sinn.
Er erwiderte ihren Kuss, spürte Wärme, Weichheit, Nachgiebigkeit, legte einen Arm um ihre Schultern, um ihr Halt zu geben, um sie dichter an sich zu ziehen. Leise aufseufzend sank sie gegen ihn. Ihrer beider Lippen waren wie füreinander gemacht. Jede Vernunft hatte sich verabschiedet.
Aus der Küche kam ein Kichern, und Cassie löste sich hastig, mit bedauerndem Lächeln, von ihm. „Wollen Sie morgen zum Dinner kommen, falls Sie noch hier sind?“
„Gerne.“ Verflucht, er hätte Nein sagen sollen. Seinen Hut einem Schild gleich vor die Brust haltend, trat er den Rückzug an. „Falls ich tatsächlich noch hier sein sollte.“ Würde er nicht.
„Lassen Sie mich morgen Vormittag wissen, ob Sie kommen. Wir essen um fünf.“ Damit schloss sie die Tür hinter ihm.
Innerlich verfluchte er seine Schwäche, und doch musste er sich immer wieder fragen, ob es tatsächlich so schlimm wäre, einen weiteren Tag anzuhängen.
D as Dinner war vorbereitet, und Cassie betrachtete den Tisch, den Lucy und Diana mit Ilexzweigen geschmückt hatten. Wie fröhlich das Rot und Grün aussahen! Im Leuchter brannten sogar zwei ihrer Bienenwachskerzen, die sie für den Anlass geopfert hatte.
Ihr gingen immerfort die gleichen Fragen im Kopf herum. Was hatte sie sich dabei gedacht, einen fremden Mann zum Essen einzuladen? Was nur würden die Dorfbewohner sagen, falls es bekannt würde? Es war nicht ratsam, in einem so kleinen Ort dem Klatsch Nahrung zu geben. Hoffentlich kam bei diesem Wetter nach Einbruch der Dunkelheit keiner mehr an ihrem Haus vorbei. Im Grunde war ihr das alles bewusst gewesen, und doch hatte sie die Einladung ausgesprochen. Etwas an dem Mann ließ sie glauben, dass er einsamer war, als er zugeben würde. Nachdem er zu den Mädchen so freundlich gewesen war, gebot es schon der Anstand, ihn ebenso freundlich zu empfangen.
Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, es war kurz vor fünf. Wenn sie nicht mit ihrer Schürze erwischt werden wollte, musste sie sich beeilen.
Sie lief die Treppe hinauf in ihr Zimmerchen, wusch sich und schlüpfte in ihren besten Sonntagsstaat. Ein Blick in den kleinen Spiegel erinnerte sie an ihre Mängel – ihre unelegante Erscheinung, ihre volle, nachgerade üppige Figur. Sie seufzte kurz. Wenn sie glaubte, er fände sie mehr als so eben attraktiv, machte sie sich etwas vor. Vermutlich waren seine Küsse dem Augenblick geschuldet, dem Geist der Jahreszeit. Sie bedeuteten nichts. Sacht fuhr sie sich mit einem Finger über die Lippen, erinnerte sich, wie es sich angefühlt hatte, die seinen zu kosten.
So verboten aufregend.
Würde er sie heute Abend wieder küssen? Und wenn, was würde sie tun? Ihr Herz schlug schneller. Würde sie wagen, sich zu nehmen, was sie von diesem Mann begehrte? Es war bekannt, dass Witwen sich Liebhaber zulegten. Dass sie dreist und lüstern waren. Hatte er deshalb heute Morgen zugesagt, nachdem es gestern noch so aussah, als würde er nicht kommen?
Hatte sie ihn tatsächlich erst vorgestern zum ersten Mal gesehen? Ihr war, als würde sie ihn schon ihr ganzes Leben lang kennen, dabei wusste sie doch gar nichts über ihn. Während sie noch ihr sorgfältig aufgestecktes Haar mit einem Häubchen schmückte, eilte sie hinüber ins Zimmer der Mädchen.
„Du siehst so schön aus, Mama“, sagte Lucy.
Cassie drückte ihre Tochter. „Du aber auch.“
Diana reckte ihr die Arme entgegen, und Cassie nahm sie hoch und gab ihr einen Kuss. „Gehen wir hinunter und warten auf unseren Gast?“
Ihr voran rannten die Mädchen die hölzernen Stufen hinab. Cassie spürte ein Flattern im Magen. Wie sehr sie sich auch bemühte, Mr. Royston einfach als Dinnergast zu betrachten, ihr Körper sah das anders. Zweifellos war sie nicht die erste Witwe und auch nicht die letzte, die erwog, einem Gentleman mehr als nur ihre Gesellschaft anzubieten, doch sie fürchtete, sie könnte einen schrecklichen Fehler begehen.
Kaum saßen die Mädchen in dem kleinen Wohnzimmer, als es hart an der Tür klopfte. Sofort begann Cassies Puls zu rasen. Sie öffnete.
Und da stand er, sein dunkelbraunes Haar mit Schnee bestäubt, und lächelte zögernd. In seinen grünen Augen stand Vorsicht, als ob auch er Zweifel hegte, ob den Abend hier zu verbringen klug sei. Dabei sah er so stattlich aus, so groß, so sehr männlich, dass ihr Verstand aussetzte und ihr Körper vor Lust vibrierte. „Es schneit.“
Er verbeugte sich. „Ja. Guten Abend, Mrs. Melford.“
Glut stieg ihr in die Wangen. „Treten Sie doch ein.“ Er trat ein, und sie nahm ihm Mantel, Hut und Handschuhe ab.
Er verbeugte sich in Richtung der Kinder. „Guten Abend, Miss Melford, Miss Diana.“
So hübsche Manieren.
Die Mädchen neigten den Kopf und knicksten, wie sie es sie gelehrt hatte. „Guten Abend, Mr. Royston“, riefen sie im Chor.
Diana huschte zu ihm und ergriff seine Hand. „Kommen Sie, sehen Sie, wie schön der Tisch aussieht!“
Der Mann ließ sich lachend in die Küche ziehen und lobte den geschmückten Tisch überschwänglich. „Hier duftet etwas ganz köstlich“, sagte er und zwinkerte Cassie zu. „Ich muss zugeben, nach dem Gang durch den Schnee habe ich richtigen Hunger.“
„Schneit es heftig?“
„Der Wind treibt ein paar Flocken her. Es bleibt nicht liegen.“ Er lächelte amüsiert. „Außer auf mir.“
Auch sie lächelte. „Setzen wir uns doch. Mr. Royston, wenn Sie bitte den Ehrenplatz am Ende der Tafel einnehmen.“
Adam rückte den Damen die Stühle zurecht, und sie ließen sich nieder.
„Lucy“, bat Cassie, „sprich das Tischgebet.“
Überreich gesättigt streckte Adam seine Beine vor dem Kamin aus. Schlicht wie es gewesen war, konnte er sich doch nicht erinnern, ein Mahl mehr genossen zu haben. Seine Zufriedenheit hatte nichts mit den Speisen zu tun, die einfach, herzhaft und schmackhaft gewesen waren. Über alles hinaus hatte ihn aber die Gesellschaft einer warmherzigen Frau und ihrer beiden munteren Töchtern erfreut.
Cassie war ein wahrer Schatz. Liebevoll. Saft. Freundlich. Und doch so heiter. Und ihr Körper so prachtvoll üppig, dass er Mühe hatte, seine Hände bei sich zu behalten.
Stirnrunzelnd schaute er in die Flammen. Heute Abend war nach langer, langer Zeit etwas in ihm zum Leben erwacht. Er hatte tatsächlich Vergnügen empfunden. Hatte Pflicht und Verantwortung vergessen und war froher gewesen als seit ewigen Zeiten. Unbewusst hatte er dies alles anscheinend vermisst. Sehr vermisst. Vielleicht hatten seine Eltern recht, es war Zeit, nach vorn zu schauen.
Was, und Marion vergessen? Das konnte er nicht. Wollte er nicht.
Die Geräusche von oben, die besagten, dass eine Mutter ihre Kinder zu Bett brachte, wurden leiser. Geräusche, die er nie hatte erleben dürfen. Teils aus diesem Grund blieb er Portmaine und seiner Familie so oft fern. Es erinnerte ihn zu sehr an das, was er so achtlos fortgeworfen hatte. Also reiste er von Landsitz zu Landsitz und kümmerte sich um die Verwaltung. Immer beschäftigt. Und indem er sich nützlich machte, gelang es ihm einigermaßen, bei Verstand zu bleiben.
Leichte Schritte erklangen auf der schmalen Treppe, er sah ein Paar hübsch geformte Knöchel und dann die ganze Cassie. Sie lächelte zaghaft.
Er erhob sich, und sein Körper spannte sich, denn dieses spezielle Lächeln ging ihm durch und durch. Es war lange her, dass sein Körper sich beim Lächeln einer anständigen Frau so begeistert regte. Üblicherweise war er zu sehr mit der Überlegung beschäftigt, wie er deren Gesellschaft meiden konnte, falls sie ernsthafte Absichten bekunden wollten.
Ein echter Gentleman würde ihr einen Kuss auf die Wange hauchen, ihre Kochkünste loben, ihr für ihre Freundlichkeit danken und sich rasch davonbegeben.
Nur fühlte er sich heute Abend nicht sonderlich wie ein Gentleman. Nicht einmal annähernd. Er wollte mehr.
Sie bedeutete ihm, sich zu setzen, doch er nahm ihre bebende Hand und schaute ihr in die so ausdrucksvollen Augen. „Die Mädchen sind im Bett?“
Langsam stieß sie den Atem aus. „Ja. Diana schläft schon.“ Ihre Miene wurde ernst. „Dieser Abend war sehr schön für mich. Sie sind so freundlich zu den Mädchen.“