Gesammelte Geschichten - Johann Peter Hebel - E-Book

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Johann Peter Hebel

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Beschreibung

Ein Büblein klagte seiner Mutter: "Der Vater hat mir eine Ohrfeige gegeben." Der Vater aber kam dazu und sagte: "Lügst du wieder? Willst du noch eine?" Diese Büchlein ist voller Geschichten, die Johann Peter Hebel für das "Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreund" schrieb. Lustige, traurige und besinnliche Geschichten sind so im Laufe der Zeit entstanden.

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Johann Peter Hebel

Gesammelte Geschichten

aus dem Rheinischen Hausfreund

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Vorwort des Herausgebers

Johann Peter Hebel war uns allen bekannt als einer, der in Schulbüchern Geschichtlein geschrieben hat. Auch wenn dies nicht zutraf, so waren doch wohl in jedem Lesebuch mindestens eine seiner Geschichten vertreten.

Wir haben diese Geschichten nun gesammelt und geben sie gemeinsam in einem Band heraus. Anspruch auf Vollzähligkeit und ursprünglicher Reihenfolge stellen wir nicht.

Diese Geschichten sollen ein Leseerlebnis sein, wie seinerzeit die lustigen Geschichtlein in den Lesebüchern unserer Volksschule!

Entnommen sind diese gesammelten Geschichten dem „Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreund“, den „Kalendergeschichten“ und der Schrift „Anekdoten und Schwänke“. Ursprünglich stammen sie wohl alle aus dem Schatzkästlein.

 

In einem zweiten Abschnitt haben wir die 8 Geschichten vom Zundelheiner gesammelt, die verstreut im Schatzkästlein enthalten sind.

Der verachtete Rat

Man darf nie weniger geschwind tun, wenn etwas geschehen soll, als wenn man auf die Stunde einhalten will. Ein Fussgänger auf der Basler Strasse drehte sich um und sah einen wohlbeladenen Wagen schnell hinter sich hereilen. »Dem muss es nicht arg pressieren«, dachte er. – »Kann ich vor Torschluss noch in die Stadt kommen?« fragte ihn der Fuhrmann. – »Schwerlich«, sagte der Fussgänger, »doch wenn Ihr recht langsam fahrt, vielleicht. Ich will auch noch hinein.« – »Wie weit ist's noch?« – »Noch zwei Stunden.« – »Ei«, dachte der Fuhrmann, »das ist einfältig geantwortet. Was gilt's, es ist ein Spassvogel.« Wenn ich mit Langsamkeit in zwei Stunden hineinkomme, dachte er, so zwing' ich's mit Geschwindigkeit in anderthalber und hab's desto gewisser. Also trieb er die Pferde an, dass die Steine davonflogen und die Pferde die Eisen verloren. Der Leser merkt etwas. »Was gilt's«, denkt er, »es fuhr ein Rad vom Wagen?« Es kommt dem Hausfreund auch nicht darauf an. Eigentlich aber, und die Wahrheit zu sagen, brach die hintere Achse. Kurz, der Fuhrmann musste schon im nächsten Dorf über Nacht bleiben. An Basel war nimmer zu denken. Der Fussgänger aber, als er nach einer Stunde durch das Dorf ging und ihn vor der Schmiede erblickte, hob er den Zeigfinger in die Höhe. »Hab ich Euch nicht gewarnt«, sagte er, »hab' ich nicht gesagt: Wenn Ihr langsam fahrt!«

Missverstand 1

Im neunziger Krieg, als der Rhein auf jener Seite von französischen Schildwachen, auf dieser Seite von schwäbischen Kreissoldaten besetzt war, rief ein Franzose zum Zeitvertreib zu der deutschen Schildwache herüber: »Filu! Filu!« Das heisst auf gut deutsch: Spitzbube. Allein der ehrliche Schwabe dachte an nichts so Arges, sondern meinte, der Franzose frage: Wieviel Uhr? und gab gutmütig zur Antwort: »Halber viuri.«

Mancherlei gute Lehren 10

»Rom ist nicht in einem Tage erbaut worden.« Damit entschuldigen sich viele fahrlässige und träge Menschen, welche ihr Geschäft nicht treiben und vollenden mögen und schon müde sind, ehe sie recht anfangen. Mit dem Rom ist es aber eigentlich so zugegangen. Es haben viele fleissige Hände viele Tage lang vom frühen Morgen bis zum späten Abend unverdrossen daran gearbeitet und nicht abgelassen, bis es fertig war und der Hahn auf dem Kirchturm stand. So ist Rom entstanden! Was du zu tun hast, mach's auch so!

Der Schneider in Pensa

Der Schneider in Pensa, was ist das für ein Männlein! Sechsundzwanzig Gesellen auf dem Brett, jahraus, jahrein für halb Rußland Arbeit genug und doch kein Geld, aber ein froher, heiterer Sinn, ein Gemüt, treu und köstlich wie Gold, und mitten in Asien deutsches Blut rheinländischer Hausfreundschaft.

Im Jahre 1812, als Rußland nimmer Straßen genug hatte für die Kriegsgefangenen an der Beresina oder in Wilna, ging eine auch durch Pensa, das für sich schon mehr als einhundert Tagereisen weit von Lahr oder Pforzheim entfernt ist, und wo die beste deutsche oder englische Uhr, wer eine hat, nimmer recht geht, sondern ein paar Stunden zu spät. In Pensa ist der Sitz des ersten russischen Statthalters in Asien, wenn man von Europa aus hereinkommt. Also wurden dort die Kriegsgefangenen abgegeben und übernommen und alsdann weiter abgeführt in das tiefe, fremde Asien hinein, wo die Christenheit ein Ende hat und niemand mehr das Vaterunser kennt, wenn's nicht einer gleichsam als eine fremde Ware aus Europa mitbringt. Also kamen eines Tages mit Franzosen meliert, auch sechzehn Rheinländer, badische Offiziere, die damals unter den Fahnen Napoleons gedient hatten, über die Schlachtfelder und Brandstätten Europas ermattet, krank, mit erfrorenen Gliedmaßen und schlecht geheilten Wunden, ohne Geld, ohne Kleidung, ohne Trost in Pensa an und fanden in diesem unheimlichen Lande kein Ohr mehr, das ihre Sprache verstand, kein Herz mehr, das sich über ihre Leiden erbarmte. Als aber einer den andern mit trostloser Miene anblickte: »Was wird aus uns werden?« oder »Wann wird der Tod unserm Elend ein Ende machen, und wer wird den letzten begraben?« da vernahmen sie mitten durch das russische und kosakische Kauderwelsch wie ein Evangelium vom Himmel unvermutet eine Stimme: »Sind keine Deutschen da?« und es stand vor ihnen auf zwei nicht ganz gleichen Füßen eine liebe, freundliche Gestalt. Das war der Schneider von Pensa, Franz Anton Egetmeier, gebürtig aus Bretten im Neckarkreis, Großherzogtum Baden. Hat er nicht im Jahre 1779 das Handwerk gelernt in Mannheim? Hernach ging er auf die Wanderschaft nach Nürnberg, hernach ein wenig nach Petersburg hinein. Ein Pfälzer Schneider schlägt sieben bis acht mal hundert Stunden Wegs nicht hoch an, wenn's ihn inwendig treibt. In Petersburg aber ließ er sich unter ein russisches Kavallerieregiment als Regimentsschneider engagieren und ritt mit ihm in die fremde russische Welt hinein, wo alles anders ist, nach Pensa, bald mit der Nadel stechend, bald mit dem Schwert. In Pensa aber, wo er sich nachher häuslich und bürgerlich niederließ, ist er jetzt ein angesehenes Männlein. Will jemand in ganz Asien ein sauberes Kleid nach der Mode haben, so schickt er zu dem deutschen Schneider in Pensa. Verlangt er etwas von dem Statthalter, der doch ein vornehmer Herr ist und mit dem Kaiser reden darf, so hat's ein guter Freund vom andern verlangt, und hat auf dreißig Stunden Weges ein Mensch ein Unglück oder einen Schmerz, so vertraut er sich dem Schneider von Pensa an; er findet bei ihm, was ihm fehlt: Trost, Rat, Hilfe, ein Herz und ein Auge voll Liebe, Obdach, Tisch und Bett, nur kein Geld.

Einem Gemüte wie dieses war, das nur in Liebe und Wohltun reich ist, blühte auf den Schlachtfeldern des Jahres 1812 eine schöne Freudenernte Sooft ein Transport von unglücklichen Gefangenen kam, warf er Schere und Elle weg und war der erste auf dem Platze, und »Sind keine Deutschen da?« war seine erste Frage. Denn er hoffte von einem Tag zum anderen, unter den Gefangenen Landsleute anzutreffen, und freute sich, wie er ihnen Gutes tun wollte, und liebte sie schon zum voraus ungesehenerweise, wie eine Frau ihr Kindlein schon liebt und ihm Brei geben kann, ehe sie es hat. »Wenn sie nur so oder so aussähen«, dachte er. Wenn ihnen nur auch recht viel fehlt, damit ich ihnen recht viel Gutes erweisen kann.« Doch nahm er, wenn keine Deutschen da waren, auch mit Franzosen vorlieb und erleichterte ihnen, bis sie weitergeführt wurden, ihr Elend, als nach Kräften er konnte. Diesmal aber, und als er mitten unter so viele brave Landsleute, auch Darmstädter und andere, hineinrief: »Sind keine Deutschen da?« er mußte zum zweitenmal fragen, denn das erstemal konnten sie vor Staunen und Ungewißheit nicht antworten, sondern das süße deutsche Wort in Asien verklang in ihren Ohren wie ein Harfenton, und als er hörte: »Deutsche genug«, und von jedem erfragte, woher er sei er wär' mit Mecklenburgern oder Kursachsen auch zufrieden gewesen, aber einer sagte. »Von Mannheim am Rheinstrom«, als wenn der Schneider nicht vor ihm gewußt hätte, wo Mannheim liegt; der andere sagte: »Von Bruchsal«, der dritte: »Von Heidelberg«, der vierte: »Von Gochsheim«, da zog es wie ein warmes, auflösendes Tauwetter durch den ganzen Schneider hindurch. »Und ich bin von Bretten«, sagte das herrliche Gemüt, Franz Anton Egetmeier von Bretten, wie Joseph von Agypten zu den Söhnen Israels sagte: »Ich bin Joseph, euer Bruder« und die Tränen der Freude, der Wehmut und heiligen Heimatliebe traten a112n in die Augen, und es war schwer zu sagen, ob sie einen freudigeren Fund an dem Schneider oder der Schneider an seinen Landsleuten machte, und welcher Teil am gerührtesten war. jetzt führte der gute Mensch seine teuern Landsleute im Triumph in seine Wohnung und bewirtete sie mit einem erquicklichen Mahle, wie in der Geschwindigkeit es aufzutreiben war. jetzt eilte er zum Statthalter und bat ihn um dit Gnade, daß er seine Landsleute in Pensa behalten dürfe. »Anton«, sagte der Statthalter, »wann hab ich Euch etwas abgeschlagen?« jetzt lief er in der Stadt herum und suchte für die, die in seinem Hause nicht Platz hatten, bei seinen Freunden und Bekannten die besten Quartiere aus. jetzt musterte er seine Gäste, einen nach dem anderen. »Herr Landsmann«, sagte er zu dem einen, »mit Eurem Weißzeug sieht's windig aus. Ich werde Euch für ein halbes Dutzend neue Hemder sorgen.« »Ihr braucht auch ein neues Röcklein«, sagte er zu einem andern Euers kann noch gewendet und ausgebessert werden«, zu einem dritten, und so zu allen, und augenblicklich wurde zugeschnitten, und alle sechsundzwanzig Gesellen arbeiteten Tag und Nacht an Kleidungsstücken für seine werten rheinischen Hausfreunde. In wenigen Tagen waren alle neu oder anständig ausstaffiert. Ein guter Mensch, auch wenn er in Nöten ist, mißbraucht niemals fremde Gutmütigkeit; deswegen sagten zu ihm die rheinischen Hausfreunde: »Herr Landmann, verrechnet Euch nicht. Ein Kriegsgefangener bringt keine Münzen mit. So wissen wir auch nicht, wie wir Euch für Eure großen Auslagen werden schadlos halten können und wann.« Darauf erwiderte der Schneider: »Ich finde hinlängliche Entschädigung in dem Gefühl, Ihnen helfen zu können. Benutzen Sie alles, was ich habe! Sehen Sie mein Haus und meinen Garten als den Ihrigen an!« So kurz weg und ab, wie ein Kaiser oder König spricht, wenn, eingefaßt in Würde, die Güte hervorblickt. Denn nicht nur die hohe fürstliche Geburt und Großmut, sondern auch die liebe häusliche Demut gibt, ohne es zu wissen, bisweilen den Herzen königliche Sprüche ein, Gesinnungen ohnehin. jetzt führte er sie freudig wie ein Kind in der Stadt bei seinen Freunden herum und machte Staat mit ihnen. Der Erzähler hat jetzt nimmer Zeit und Raum genug, alles Gute zu rühmen, das er seinen Freunden erwies. So sehr sie zufrieden waren, so wenig war er es. jeden Tag erfand er neue Mittel, ihnen den unangenehmen Zustand der Kriegsgefangenschaft zu erleichtern und das fremde Leben in Asien angenehm zu machen. War in der lieben Heimat ein hohes Geburts oder Namensfest, es wurde am nämlichen Tage von den Treuen auch in Asien mit Gastmahl, mit Vivat und Freudenfeuer gehalten, nur etwas früher, weil dort die Uhren falsch gehen. Kam eine frohe Nachricht von dem Vorrücken und dem Siege der hohen Alliierten in Deutschland an, der Schneider war der erste, der sie wußte und seinen Kindern er nannte sie nur noch seine Kinder mit Freudentränen zubrachte, darum, daß sich ihre Erlösung nahte. Als einmal Geld zur Unterstützung der Gefangenen aus dem Vaterland ankam, war ihre erste Sorge, ihrem Wohltäter seine Auslagen zu vergüten. »Kinder«, sagte er, »verbittert mir meine Freude nicht!« »Vater Egetmeier«, sagten sie, »tut unserem Herzen nicht wehe!« Also machte er ihnen zum Schein eine kleine Rechnung, nur um sie nicht zu betrüben und um das Geld wieder zu ihrem Vergnügen anzuwenden, bis die letzte Kopeke aus den Händen war.

Das gute Geld war für einen anderen Gebrauch zu bestimmen; aber man kann nicht an alles denken. Denn als endlich die Stunde der Erlösung schlug, gesellte sich zur Freude ohne Maß der bittere Schmerz der Trennung und zu dem bitteren Schmerz die Not. Denn es fehlte an allem, was zur Notdurft und zur Vorsorge auf eine so lange Reise in den Schrecknissen des russischen Winters und einer unwirtbaren Gegend nötig war, und ob auch auf den Mann, solange sie durch Rußland zu reisen hatten, täglich dreizehn Kreuzer verabreicht wurden, so reichte doch das wenige nirgends hin. Darum ging in diesen letzten Tagen der Schneider, sonst so frohen, leichten Mutes, still und nachdenklich herum, als der etwas im Sinn hat, und war wenig mehr zu Hause. »Es geht ihm recht zu Herzen«, sagten die rheinländischen Herren Hausfreunde und merkten nichts. Aber auf einmal kam er mit großen Freudenschritten, ja mit verklärtem Antlitz zurück: »Kinder, es ist Rat; Geld genug!« Was war's? Die gute Seele hatte für 2000 Rubel das Haus verkauft »Ich will schon eine Unterkunft finden«, sagte er, »wenn nur Ihr ohne Leid und Mangel nach Deutschland kommt.« 0 du heiliges, lebendig gewordenes Sprüchlein des Evangeliums und seiner Liebe: »Verkaufe, was du hast, und gib es denen, die es bedürftig sind, so wirst du einen Schatz im Himmel haben.« Der wird einst weit oben rechts zu erfragen sein, wenn die Stimme gesprochen hat: »Kommt, ihr Gesegneten! Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist; ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet; ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt euch meiner angenommen.« Doch der Kauf wurde, zu großem Trost für die edlen Gefangenen, wieder rückgängig gemacht. Nichtsdestoweniger brachte er auf andere Art noch einige hundert Rubel für sie zusammen und nötigte sie, was er hatte von kostbarem russischem Pelzwerk, mitzunehmen, um es unterwegs zu verkaufen, wenn sie Geldes bedürftig wären oder einem ein Unglück widerführe. Den Abschied will der Hausfreund nicht beschreiben. Keiner, der dabei war, vermag es. Sie schieden unter tausend Segenswünschen und Tränen des Dankes und der Liebe, und der Schneider gestand, daß dieses für ihn der schmerzlichste Tag seines Lebens sei. Die Reisenden aber sprachen unterwegs unaufhörlich und noch immer von ihrem Vater in Pensa, und als sie in Bialystok in Polen wohlbehalten ankamen und Geld antrafen, schickten sie ihm dankbar das vorgeschossene Reisegeld zurück.

Das war das Gotteskind Franz Anton Egetmeier, Schneidermeister in Asien.

Der Barbierjunge von Segringen

Man muss Gott nicht versuchen, aber auch die Menschen nicht. Denn im vorigen Spätjahr kam in dem Wirtshause zu Segringen ein Fremder von der Armee an, der einen starken Bart hatte und fast wunderlich aussah, also dass ihm nicht recht zu trauen war. Der sagt zum Wirt, eh' er etwas zu essen und zu trinken fordert: »Habt Ihr keinen Barbier im Ort, der mich rasieren kann?« Der Wirt sagt Ja und holt den Barbierer. Zu dem sagt der Fremde: »Ihr sollt mir den Bart abnehmen, aber ich habe eine kitzliche Haut. Wenn Ihr mich nicht ins Gesicht schneidet, so bezahl' ich Euch vier Kronentaler. Wenn Ihr mich aber schneidet, so stech' ich Euch tot. Ihr wäret nicht der erste.« Wie der erschrockene Mann das hörte (denn der fremde Herr machte ein Gesicht, als wenn es nicht vexiert wäre, und das spitzige, kalte Eisen lag auf dem Tisch), so springt er fort und schickt den Gesellen. Zu dem sagt der Herr das nämliche. Wie der Gesell das nämliche hört, springt er ebenfalls fort und schickt den Lehrjungen. Der Lehrjunge lässt sich blenden von dem Geld und denkt: »Ich wag's. Geratet es und ich schneide ihn nicht, so kann ich mir für vier Kronentaler einen neuen Rock auf die Kirchweihe kaufen und einen Schnepper. Geratet's nicht, so weiss ich, was ich tue«, und rasiert den Herrn. Der Herr hält ruhig still, weiss nicht, in welcher entsetzlichen Todesgefahr er ist, und der verwegene Lehrjunge spaziert ihm auch ganz kaltblütig mit dem Messer im Gesicht und um die Nase herum, als wenn's nur um einen Sechser oder im Fall eines Schnittes um ein Stücklein Zundel oder Fliesspapier darauf zu tun wäre und nicht um vier Kronentaler und um ein Leben, und bringt ihm glücklich den Bart aus dem Gesicht ohne Schnitt und ohne Blut und dachte doch, als er fertig war: »Gottlob!«

Als aber der Herr aufgestanden war und sich im Spiegel beschaut und abgetrocknet hatte und gibt dem Jungen die vier Kronentaler; sagt er zu ihm: »Aber junger Mensch, wer hat dir den Mut gegeben, mich zu rasieren, so doch dein Herr und der Gesell sind fortgesprungen? Denn wenn du mich geschnitten hättest, so hätt' ich dich erstochen.« Der Lehrjunge aber bedankte sich lächelnd für das schöne Stück Geld und sagte: »Gnädiger Herr, Ihr hättet mich nicht verstochen, sondern wenn Ihr gezuckt hättet und ich hätt' Euch ins Gesicht geschnitten, so wär' ich Euch zuvorgekommen, hätt' Euch augenblicklich die Gurgel abgehauen und wäre auf- und davongesprungen.« Als aber der fremde Herr das hörte und an die Gefahr dachte, in der er gesessen war, ward er erst blass vor Schrecken und Todesangst, schenkte dem Burschen noch einen Kronentaler extra und hat seitdem zu keinem Barbier mehr gesagt: »Ich steche dich tot, wenn du mich schneidest.«

Seinesgleichen

Ein kunstreicher Instrumentenmacher, aber ein eingebildeter und unfeiner Mann, hielt sich schon einige Zeit in einem namhaften Städtlein auf und genoss dann und wann im Löwen abends eine Flasche Wein und einen halben Vierling Käs. Eines Abends, als sich die meisten Gäste schon früher denn gewöhnlich verlaufen hatten und der Instrumentenmacher oben noch allein sass, rückt zu ihm der bekannte Zirkelschmied mit seinem Schoppen Siebenzehner hinauf. »Euer Wohlgeboren«, sagte er, »redeten da vorhin an Ihre Nachbarn über die Quadratur des Zirkels. Ich hatte keine Freude zur Sache. Leute unsersgleichen«, sagte er, »können von so etwas wohl unter sich sprechen und einander Gedanken geben. Ich z. B. wäre Euerer Meinung nicht gewesen.« Der geneigte Leser kennt den Zirkelschmied, dass er immer auf eine Schelmerei ausgeht. Unter andern macht er sich gern an Fremde, die etwas gleich sehen, um hernach bei andern mit ihrer Bekanntschaft grosszutun, wie am Ende dieser Erzählung auch geschehen wird, und die Leute breitzuschlagen, wie man sagt. Der Instrumentenmacher aber betrachtete ihn mit einem vornehmen, verachtenden Blick und sagt: »Wenn Ihr bei Leuten Euresgleichen sein wollt, so kommt nicht zu mir; oder wer seid Ihr?« Der Zirkelschmied, des Schimpfes und der Schande gewöhnt, erwidert: »Sollte Euer Wohlgeboren aus meiner Rede nicht erkennen, dass zwei Künstler miteinander sprechen?« Des erboste sich der andere. noch mehr. »Ihr ein Künstler?« fragte er ihn, »ein Kammacher oder ein Besenbinder? Wollt Ihr ein Almosen von mir?« Der Zirkelschmied erwidert: »Herr Christlieb, das beugt mich, weniger wegen meiner, als wegen der Kunst. Leute unsersgleichen pflegen sich sonst eben so sehr durch feine Sitten auszuzeichnen als durch Kenntnisse und Geschicklichkeit.« Da stand der Instrumentenmacher auf: »Sprecht Ihr mir schon wieder von Euresgleichen«, sagt er. »Hör' ich's zum dritten Mal von Euch, so werf' ich Euch den Stuhl an den Kopf«, und lupfte ihn bereits ein wenig in die Höhe. Der Wirt aber, der bisher ruhig am Ofen stand, trat hervor und sagte: »Jetzt, Zirkelschmied, reist!«

Der Zirkelschmied aber erbost sich darüber auch und geht aus dem Löwen ins Rösslein gerad gegenüber, und »stellt euch vor«, sagte er dort zu seinen anwesenden Bekannten, »was sich der hergelaufene Instrumentenmacher, der Brotdieb, einbildet. Der hochmütige Gesell nimmt's für einen Affrunt auf, dass ich zweimal zu ihm sagte: Leute unsersgleichen, und ich sag's zum dritten Mal, wenn er's hören will, der Flegel, der impertinente, der gemeine Kerl.«

Der geneigte Leser lacht ein wenig, dass der Zirkelschmied darauf beharrt, ein Mann, den er für einen Flegel und gemeinen Kerl ausgibt, sei seinesgleichen.

Lerne erstens am Zirkelschmied: Man muss nie schimpfen, wenn man im Zorn ist, sonst schimpft und verunehrt man sich selbst.

Lerne zweitens an dem Instrumentenmacher: Man muss sich, wenn man etwas ist, mit liederlichen Leuten nie in Grobheiten gemein machen, sonst macht man sich wirklich zu ihresgleichen. Der Zirkelschmied hatte insofern recht.

Brennende Menschen

Zwar von feurigen Mannen hat man schon oft gehört, aber seltener von brennenden Frauen. Eine Apothekersfrau geht nachts mit der Magd in den Keller und will etwas holen. Die Magd steigt mit dem Licht auf eine Stellasche, greift auf den Schaft, wirft eine grosse Flasche voll Branntwein um, worin ungefähr 6-8 Mass waren, und zerbricht sie, der Branntwein strömt plötzlich herab, so über die Magd, so über die Frau. Das Licht kommt der Magd an den Ärmel. Die Magd fangt an lichterloh zu brennen, rot mit gelbem Schein. Die Frau will ihr zu Hilfe eilen. Die Frau brennt auch an. Beide rennen brennend die Treppe hinauf in den Hof. Der Apothekerjung sieht's und springt davon, meint, es woll' ihn einer holen, mit dem man nicht gern geht, den der Hausfreund nicht nennen darf. Im Hof am Brunnen begiessen sie sich mit Wasser. Das Wasser wird nicht Meister über den Branntewein. Endlich wirft sich die Magd auf den Dunghaufen im Hof und wälzt sich darauf. Die Frau wirft sich ebenfalls auf den Dunghaufen und wälzt sich auch. Beide löschten aus; die Magd wurde noch geheilt, aber die Frau musste sterben.

Merke: Wenn man brennt, muss man sich auf einem Misthaufen wälzen. Solches ist auch gut für die, welche den Branntewein inwendig im Leib haben. –

Die lachenden Jungfrauen

Wer weiss, wo Saratow liegt? Der Hausfreund hat viel Bücher. Er weiss alles. Saratow liegt weit gegen Sonnenaufgang in das wilde Asien hinein und ist ebenfalls der Sitz einer russischen Statthalterschaft, nämlich wie Pensa, und war im Jahr 1812 ebenfalls der Sammelplatz, wo viel Tausend unglückliche Kriegsgefangene abgegeben und dann tiefer hineingeführt wurden in das Elend.

Ein Transport von gefangenen Deutschen wird eines Tages eingebracht. Eine Menge von Einwohnern, wie zu geschehen pflegt, stehen auf den Gassen; die Neugierigen schauten, der Übermut trotzte und spottete, die Rachsucht fluchte und schimpfte. Keine Hand bot sich zur Pflege der kranken, der verwundeten, der verschmachtenden Fremdlinge an, eher zu etwas anderm. Niemand wehrte ihnen. Denn die Kriegsgefangenschaft spinnt keine Seide, und man kann nicht glauben, wie erbittert damals die Russen über ihre Feinde waren, und keiner wurde vorher gefragt, ob er zu den Schlimmen gehöre, sondern man nahm ihn dafür. Aber einem wohlbetagten Hauptmann und seinem Leutnant begegnete etwas Merkwürdiges. Denn eben als der Hauptmann den Leutnant an der Hand ergriff und ihn trösten wollte: »Fasse dich, junges Blut, auch das wird vorübergehen und ein Ende nehmen, mit dem Frieden oder mit dem Tode«, – in dem Augenblicke hören sie zunächst vor sich ein mutwilliges Lachen, und indem sie unwillkürlich aufschauen, – sie hätten's bereits können gewohnt sein, – was erblicken ihre Augen? In einem vornehmen russischen Gefährt zwei Jungfrauen, schön wie zwei Sonnen, lieblich wie der Frühlingstag, wenn die Rosen blühen. Beide Teile schauten einander an, aber ob auch die Jungfrauen sich wollten Gewalt antun, sie konnten sich nicht erwehren, und trat auch eine die andere auf den Fuss, so ward's nur ärger. Das griff schmerzhaft den sonst vielgeprüften Mut des bejahrten Hauptmanns an. Noch so jung, dachte er, und schon so entartet, und der Leutnant dachte: so schön und doch so grausam, und der Schmerz des einen brach in eine Träne, der Unmut des andern aber in Worte aus: »Töchter dieses unwirtlichen Landes«, fing der Hauptmann an, »ihr versteht zwar meine Rede nicht«, die Jungfrauen lachten aufs neue, – »aber wollte Gott, ihr verstündet sie«, da lachten auf einmal die Jungfrauen nicht mehr. »Gar unfein«, fuhr der Hauptmann fort, »steht das euerem Geschleckte, euerer Jugend und euren schönen Kleidern an, an dem Jammer schuldloser Menschen eure Augen zu weiden und mit solchem Hohngelächter unsere Herzen zu durchschneiden.« Da fiel ihm errötend die ältere der Jungfrauen in das Wort, sie war ungefähr 18 Jahre alt und die jüngere 17, und redete die Unglücklichen zu ihrem Erstaunen ebenfalls deutsch an, mitten in Saratow und mitten in Russland, mehr als 1000 Stunden weit von der Heimat deutsch. »Edle Fremdlinge«, sagte sie, sanft wie ein Engel und mit tiefbewegter Stimme, »sprecht nicht also, dass wir gekommen seien, unsere Augen an euerem Elende zu weiden und euere Herzen durch Verhöhnung zu martern, die wir die Absicht haben, euch zu bitten, dass ihr mit uns gehen wollet in die Wohnung unserer Eltern und Pflege und Liebe anzunehmen, bis die Engel des Friedens euch zurückführen mögen zu euren Fahnen oder in die Umarmungen eurer Angehörigen, dass ihr bei ihnen glücklich sein möget alle Tage eures Lebens.« Ihr entgegnete hinwiederum erstaunt über diese Worte der Hauptmann: »Edle Jungfrauen, wes herrlichen Geschlechts Töchter ihr sein möget, wenn dem also ist, wie ihr saget, so vertrauen wir uns eurer Einladung an, die ihr aus deutschem Blute entsprossen scheint, so ihr das Unrecht verzeihen könnt; womit mein Schmerz euch beleidigt hat.«

Als sie aber in den Wagen einstiegen, und der Hauptmann wollte; wie es sich traf, neben die ältere der Jungfrauen sitzen, widerfuhr ihnen noch etwas Apartes, denn es zog ihn die jüngere sanft auf ihre Seite: »Verzeiht mir«, sagte sie; »edler Fremdling, meine Ansprüche auf Euch sind mir zu wert. Meine Freundin hat kein Recht an Euch.« Und zu dem Leutnant sprach die ältere ebenfalls: »Meine Freundin hat kein Recht an Euch«, – und zog ihn sanft und sittsam an ihre Seite. Den zwei Kriegsgefangenen aber war alles recht, denn auch jedem andern hätte die Wahl zwischen beiden schönen Jungfrauen schwerer sein müssen als jeder andern Jungfrau die Wahl zwischen einem fünfzigjährigen Mann und einem zwanzigjährigen Jüngling.

Fragt sich nun: wer waren die Jungfrauen, und wo führten sie ihre Gefangenen hin? Antwort: Es leben in Saratow zwei reiche und angesehene deutsche Familienväter; der Deutsche kommt, wie das Quecksilber, überall durch, wenn er schon keins ist. Beide Familien waren des Abends vorher wie gewöhnlich beisammen und sprachen von allerlei. »Ist's wahr«, – sagte der eine, – »dass morgen deutsche Kriegsgefangene ankommen?« – »Sie sind schon angesagt«, erwiderte man ihm. – »Die armen Menschen haben einen schweren Gang«, – sprach wehmütig eine der Mütter. Da trat die ältere Jungfrau ihren Vater an: »Werden wir auch einen bekommen, mein Vater? Wie sorglich wollte ich gleich einer Tochter oder Schwester sein pflegen und ihn trösten.« Der Vater erwiderte: »Den Gefangenen bettet man nicht auf Rosen. Sie werden in den Vorstädten in den dürftigsten Hütten untergebracht.« – »Oder wolltet Ihr denn nicht selbst einen einladen oder Euch einen ausbitten von dem Hauptmann ihrer Bewachung?« – »Das könnte mir wohl übel gedeutet werden«, erwiderte der Vater, »sie sind Feinde des Vaterlandes, in welches wir selbst als Fremdlinge aus ihrer Heimat sind aufgenommen worden. Wir dürfen die Feinde nicht als unsere Landsleute erkennen. Doch wenn einen von ihnen mir das Schicksal ohne mein Zutun entgegenführt, will ich mich seiner nicht entschlagen«, und ebenso sprach auch der Vater der andern Jungfrau. Da redeten die beiden Töchter miteinander, und leichtsinnig und gutmütig, wie die Jugend ist, beschlossen sie, wenn die Gefangenen kämen, zu tun, was sie taten.

Anfänglich fuhren sie ein wenig um den Transport herum, wie wenn man auf den Jahrmarkt geht, um einzukaufen. Man sieht zuerst die Waren an, was da ist, ehe man auf Geratewohl kauft, das Nächste, das Beste. Als aber die Jungfrauen den Hauptmann erblickten, wie er dastand, wenig gebeugt von seinen Leiden, und angeschmiegt an ihn den Jüngling, den Leutnant, den das Schicksal zum ersten Mal in die Schule der Prüfung genommen hatte, und zwar gleich in die oberste Klasse, sagten sie zueinander, »diese zwei wollen wir nehmen.« – »Willst du den Alten?« sagte scherzhaft die jüngere. »Oder willst du ihn?« sagte zu ihr ihre Freundin. Da nahm die jüngere zwei Stecknadeln aus ihrem Busengewand, eine längere und eine kürzere, und zogen miteinander das Hälmlein mit Stecknadeln. Als aber die ältere den Leutnant zog und die jüngere den Hauptmann behielt, in dem Augenblick, als dieser sagte, »auch das wird ein Ende nehmen«, – lachten die Jungfrauen. Denn diesen Erbschatz teilt noch die Kindheit mit der Jugend, dass Schmerz und Freude leichter an ihr vorübergehen und in schnellern Ablösungen miteinander wechseln. Hernach aber, als der Hauptmann so ernsthaft sie anredete, »euer Ohr versteht zwar meine Rede nicht«, lachten sie von neuem. Denn wenn man einmal darin ist, man muss; und das Gefühl, dass es unschicklich sei, hilft nur dazu, die Unschicklichkeit zu begehen. Aber als sie den Schmerz erkannten, mit dem er nach einem süssen deutschen Wort in dieser fremden Welt wie nach einem Almosen seufzte, und sie hatten's in ihrem milden Herzen und konnten's ihm geben und waren deswegen da, da lachten sie nicht mehr und boten ihnen in deutscher Sprache und Rede die Pflege und Liebe ihrer Eltern an und führten sie zu ihnen. Die Väter hoben zwar die Finger gegen ihre Töchter auf »Was habt ihr getan!« aber im Herzen waren sie es froh. Sie zeigten sogleich der Obrigkeit an, was geschehen war, und der menschenfreundliche Statthalter gab ihnen gerne die Erlaubnis, auf ihre Bürgschaft zwar, ihre gefangenen Landsleute bei sich zu behalten bis auf ein Weiteres.

Da gebrach ihnen auf einmal nichts mehr, da waren sie auf einmal aller ihrer Leiden quitt, da verzogen sich alle ihre Bekümmernisse. Der Hauptmann in dem Hause, das ihn aufgenommen hatte, wurde angesehen und geliebt als ein Bruder, der Leutnant in dem seinigen als ein Sohn, von seiner schönen Retterin auch noch ein wenig anderst, nämlich ebenso wie sie von ihm, bis die Engel des Friedens kamen. Als aber die Engel des Friedens kamen, schangschierte der Leutnant seinen Glauben, nämlich, dass er in der Uniform sterben werde. Er verschaffte sich den Abschied von seinem Regiment und freut sich jetzt als Gatte der Liebe und der Jugend seiner schönen Retterin. Der Hauptmann aber trennte sich von diesen edeln Menschen und von seinem jungen Freund mit einer Rührung und mit einem Schmerz, der mehr Tränen als Worte hat, und kam wohlbehalten wieder in Deutschland und bei den Seinigen an, und wer ihn sah und vorher gekannt hatte, wunderte sich sein. »Ei, wie seid Ihr so jung geworden, Herr Hauptmann, in Eurer Gefangenschaft, Euch muss es nicht übel gegangen sein.«

Der geneigte Leser darf an der Wahrheit dieser Erzählung nicht zweifeln, denn der Hausfreund hat sie aus dem zweiten Mund. Nämlich der Hauptmann hat sie selbst einem rheinländischen Herrn Kriegsobristen also mitgeteilt, der auch weiss, wie man über die Berezina geht, und von dem Kriegsobristen aber hat sie der Hausfreund und hat seitdem schon manches Täublein mit ihm verzehrt und schon manches Schöpplein mit ihm herausgemacht, Fuchs oder Has.

Wasserläufer

Bekanntlich will es Leute geben, die im Wasser nicht untergehen.

Einer erzählte in einem Wirtshaus, er sei in Italien von der Insel Capri aus eine halbe Stunde weit aufrecht durch das Mittelländische Meer gegangen, und das Wasser sei ihm nicht höher gegangen als an die Brust. Mit der linken Hand habe er Tabak geraucht, nämlich die Pfeife gehalten, und mit der rechten ein wenig gerudert.

Ein anderer sagte: »Das ist eine Kleinigkeit. Im Krieg in den neunziger Jahren ist ein ganzes Bataillon Rotmäntler oberhalb Mannheim aufrecht über den Rhein marschiert, und das Wasser reichte keinem höher als bis an die Knie.«

Ein Dritter sagte: »Solches war keine Kunst. Denn sie hatten selbigen Tag, als sie am Rhein ankamen, schon einen Marsch von 20 Stunden zurückgelegt. So haben sie davon solche Blasen an den Füssen bekommen, dass es ihnen nicht möglich war, tiefer als so im Wasser zu sinken.«

Des Dieben Antwort

Einem Dieb, der sich mit Reden mausig machen wollte, sagte jemand: »Was wollt Ihr? Ihr dürft ja gar nicht mehr in Eure Heimat zurückkehren und müsst froh sein, wenn man Euch hier duldet.« – »Meint Ihr?« sagte der Dieb; »meine Herren daheim haben mich so lieb, ich weiss gewiss, wenn ich heimkäme, sie liessen mich nimmer fort.«

Böser Markt

In der grossen Stadt London und rings um sie her gibt es ausserordentlich viel gute Narren, die an anderer Leute Geld oder Sackuhren oder kostbaren Fingerringen eine kindische Freude haben und nicht ruhen, bis sie dieselben haben. Dies bringen sie zuweg manchmal durch List und Betrug, noch öfter durch kühnen Angriff, manchmal am hellen, lichten Tag und an der offenen Landstrasse. Einem geratet es, dem andern nicht. Der Kerkermeister zu London und der Scharfrichter wissen davon zu erzählen. Eine seltsame Geschichte begegnete aber eines Tages einem vornehmen und reichen Mann. Der König und viele andere grosse Herren und Frauen waren an einem schönen Sommertage in einem grossen königlichen Garten versammelt, dessen lange, gewundene Gänge sich in der Ferne in einem Wald verloren. Viele andere Personen waren auch zugegen, denen es nicht auf einen Gang und auf ein paar Stunden ankam, ihren geliebten König und seine Familie froh und glücklich zu sehen. Man ass und trank, man spielte und tanzte; man ging spazieren in den schönen Gängen und zwischen dem duftenden Rosengebüsch, paarweise und allein, wie es sich traf. Da stellte sich ein Mensch, wohl gekleidet, als wenn er auch dazu gehörte, mit einer Pistole unter dem Rock in einer abgelegenen Gegend an einen Baum, wo der Garten an den Wald grenzt, dachte: es wird schon jemand kommen. Wie gesagt, so geschehen. Kommt ein Herr mit funkelndem Fingerring, mit klingenden Uhrenketten, mit diamantnen Schnallen, mit breitem Ordensband und goldnem Stern, will spazieren gehn im kühlen Schatten und denkt an nichts. Indem er an nichts denkt, kommt der Geselle hinter dem Baum hervor, macht dem guten Herrn ein bescheidenes Kompliment, zieht die Pistole zwischen dem Rock und Kamisol heraus, richtet ihr Maul auf des Herrn Brust und bittet ihn höflich, keinen Lärm zu machen, es brauche niemand zu wissen, was sie miteinander zu reden haben. Man muss übel dran sein, wenn man vor einer Pistole steht, weil man nicht weiss, was drin steckt. Der Herr dachte vernünftig: Der Leib ist kostbarer als das Geld; lieber den Ring verloren als den Finger; und versprach zu schweigen. »Gnädiger Herr«, fuhr jetzt der Geselle fort: »wären Euch Eure zwei goldenen Uhren nicht feil für gute Bezahlung? Unser Schulmeister richtet die Uhr alle Tage anderst, man weiss nie, wie man dran ist, und an der Sonnenuhr sind die Zahlen verwischt.« Will der reiche Herr wohl oder übel, so muss er dem Halunken die Uhren verkaufen für ein paar Stüber oder etwas, so man kaum ein Schöpplein dafür kann trinken. Und so handelt ihm der Spitzbube Ring und Schnallen und Ordensstern und das goldne Herz, so er vorne auf der Brust im Hemd hatte, Stück für Stück ab um schlechtes Geld und immer mit der Pistole in der linken Hand. Als endlich der Herr dachte: Jetzt bin ich absolviert, gottlob! fing der Spitzbube von neuem an: »Gnädiger Herr, weil wir so gut miteinander zurechtkommen, wollet Ihr mir nicht auch von meinen Waren etwas abhandeln?« Der Herr denkt an das Sprichwort, dass man müsse zu einem bösen Markt ein gutes Gesicht machen, und sagt: »Lasst sehen!« Da zog der Bursche allerlei Kleinigkeiten aus der Tasche hervor, so er vom Zweibatzenkrämer gekauft oder auch schon auf einem ungewischten Bank gefunden hatte, und der gute Herr musste ihm alles abkaufen, Stück für Stück um teures Geld. Als endlich der Spitzbube nichts mehr als die Pistole übrig hatte und sah, dass der Herr noch ein paar schöne Dublonen in dem grünen, seidenen Geldbeutel hatte, sprach er noch: »Gnädiger Herr, wolltet Ihr mir für den Rest, den Ihr da, in den Händen habt, nicht die Pistole abkaufen? Sie ist vom besten Büchsenschmied in London und zwei Dublonen unter Brüdern wert.« Der Herr dachte in der Überraschung: »Du dummer Dieb!« und kauft die Pistole. Als er aber die Pistole gekauft hatte, kehrte er den Stiel um und sprach »Nun halt, sauberer Geselle, und geh augenblicklich voraus, wohin ich dich heissen werde, oder ich schiesse dich auf der Stelle tot.« Der Spitzbube aber nahm einen Sprung in den Wald und sagte: »Schiesst herzhaft los, gnädiger Herr; sie ist nicht geladen.« Der Herr drückte ab, und es ging wirklich nicht los, wie nebenstehende Figur beweist; denn sonst müsste man Rauch sehen. Er liess den Ladstock in den Lauf fallen, und es war kein Körnlein Pulver darin. Der Dieb aber war unterdessen schon tief im Wald, und der vornehme Engländer ging schamrot zurück, dass er sich also habe in Schrecken setzen lassen, und dachte an vieles.

Mancherlei gute Lehren 1

Die Menschen nehmen oft ein kleines Ungemach viel schwerer auf und tragen es ungeduldiger als ein grosses Unglück, und der ist noch nicht am schlimmsten daran, der viel zu klagen hat und alle Tage etwas anders. Erfahrung und Übung im Unglück lehrt schweigen. Aber wenn ihr einen Menschen wisst, der nicht klagt und doch nicht fröhlich sein kann, ihr fragt ihn, was ihm fehle, und er sagt's euch kurz und gut oder gar nicht, dem sucht ein gutes Zutrauen abzugewinnen, wenn ihr es wert seid, und ratet und helft ihm, wenn ihr könnt.

Wie einmal ein schönes Ross um fünf Prügel feil gewesen ist

Wenn nicht in Salzwedel, doch anderswo, hat sich folgende wahrhafte Geschichte zugetragen, und der Hausfreund hat's schriftlich.

Ein Kavallerieoffizier, ein Rittmeister, kam in ein Wirtshaus. Einer, der schon drin war und ihn hatte vom Pferd absteigen gesehn, ein Hebräer, sagte: »Dass das gar ein schöner Fuchs ist, wo Ihro Gnaden drauf hergeritten sind.«

»Gefällt er Euch, Sohn Jakobs?« fragte der Offizier.

»Dass ich hundert Stockprügel aushielte, wenn er mein wäre«, erwiderte der Hebräer.

Der Offizier wedelte mit der Reitpeitsche an den Stiefeln. »Was braucht's hundert«, sagte er. »Ihr könnt ihn um fünfzig haben.«

Der Hebräer sagte: »Tun's fünfundzwanzig nicht auch?«

»Auch fünfundzwanzig«, erwiderte der Rittmeister. »Auch fünfzehn, auch fünf, wenn Ihr daran genug habt.«

Niemand wusste, ob es Spass oder Ernst ist. Als aber der Offizier sagte: »Meinetwegen auch fünf«, dachte der Hebräer: Hab' ich nicht schon zehn Normalprügel vor dem Amtshaus in Günzburg ausgehalten und bin doch noch koscher?

»Herr«, sagte er, »Sie sind ein Offizier. Offiziersparole?« Der Rittmeister sprach: »Traut Ihr meinen Worten nicht? Wollt Ihr's schriftlich?«

»Lieber wär's mir«, sagte der Hebräer.

Also beschied der Offizier einen Notarius und liess durch ihn dem Hebräer folgende authentische Ausfertigung zustellen: »Wenn der Inhaber dieses von gegenwärtigem Herrn Offizier fünf Prügel mit einem tüchtigen Stock ruhig ausgehalten und empfangen hat, so wird ihm der Offizier seinen bei sich habenden Reitgaul, den Fuchs, ohne weitere Lasten und Nachforderung alsogleich als Eigentum zustellen. So geschehen da und da, den und den.«

Als der Hebräer die Ausfertigung in der Tasche hatte, legte er sich über einen Sessel, und der Offizier hieb ihm mit einem hispanischen Rohr mitten auf das Hinterteil dergestalt, dass der Hebräer bei sich selbst dachte: Der kann's noch besser als der Gerichtsdiener in Günzburg, und lautauf Auweih schrie, so sehr er sich vorgenommen hatte, es zu verbeissen.

Der Offizier aber setzte sich und trank ruhig ein Schöpplein. »Wie tut's, Sohn Jakobs?« Der Hebräer sagte: »Na, wie tut's, gebt mir die andern auch, so bin ich absolviert.«

»Das kann geschehen«, sprach der Offizier und setzte ihm den zweiten auf, dergestalt, dass der erste nur eine Lockspeise dagegen zu sein schien; darauf setzte er sich wieder und trank noch ein Schöpplein.

Also tat er beim dritten Streich, also beim vierten. Nach dem vierten sagte der Hebräer: »Ich weiss nicht, soll ich's Euer Gnaden Dank wissen oder nicht, dass Sie mich einen nach dem andern geniessen lassen. Geben Sie mir zum vierten den fünften gleich, so bin ich des Genusses los, und der Fuchs weiss, an wen er sich zu halten hat.«

Da sagte der Offizier: »Sohn Jakobs, auf den fünften könnt Ihr lange warten«, und stellte das hispanische Rohr ganz ruhig an den Ort, wo er es genommen hatte, und alles Bitten und Betteln um den fünften Prügel war vergebens.

Da lachten alle Anwesende, dass man fast das Haus unterstützen musste, der Hebräer aber wendete sich an den Notarius, er solle ihm zum fünften Prügel verhelfen, und hielt ihm die Verschreibung vor. Der Notarius aber sagte: »Jekeffen, was tu' ich damit? Wenn's der Herr Baron nicht freiwillig tut, in der Verschreibung steht nichts davon, dass er muss.« Kurz, der Hebräer wartet noch auf den fünften und auf den Fuchs.

Der Hausfreund aber wollt' diesen Mutwillen nicht loben, wenn sich der Hebräer nicht angeboten hätte.

Merke: Wer sich zu fünf Schlägen hergibt um Gewinns willen, der verdient, dass er vier bekommt ohne Gewinn. Man muss sich nie um Gewinns willen freiwillig misshandeln lassen.

Das fremde Kind

Durch den Schnee und durch die Tannen des Schwarzwalds kommt abends am 5. Dezember 1807 ein achtjähriges Mägdlein halb barfuss, halb nackt vor das Häuslein eines armen Taglöhners im Gebirg und gesellt sich, mir nichts, dir nichts, zu den Kindern des armen Mannes, die vor dem Hause waren, und gaukelt mit ihnen, geht mit ihnen, mir nichts, dir nichts, in die Stube und denkt weiter nimmer ans Fortgehen. Nicht anders als ein Schäflein, das sich vor der Herde verlaufen hat und in der Wildnis herumirrt, wenn es wieder zu seinesgleichen kommt, so hat es keinen Kummer mehr. Der Taglöhner fragt das Kind, wo es herkomme. »Oben aben von Gutenberg.« – »Wie heisst dein Vater?« – »Ich habe keinen Vater.« – »Wie heisst deine Mutter?« – »Ich habe keine Mutter.« – »Wem gehörst du denn sonst an?« – »Ich gehöre niemand sonst an.« – Aus allem, was er fragte, war nur so viel herauszubringen, dass das Kind von den Bettelleuten sei aufgelesen worden, dass es mehrere Jahre mit Bettlern und Gaunern sei herumgezogen, dass sie es zuletzt in St. Peter haben sitzen lassen, und dass es allein über St. Märgen gekommen sei und jetzt da sei. Als der Taglöhner mit den Seinigen zu Nacht ass, setzte sich das fremde Kind auch an den Tisch. Als es Zeit war zu schlafen, legte es sich auf den Ofenbank und schlief auch; so den andern Tag, so den dritten. Denn der Mann dachte: ich kann das arme Kind nicht wieder in sein Elend hinausjagen, so schwer es mich ankommt, eins mehr zu füttern. Aber am dritten Tag sagte er zu seiner Frau: »Frau, ich will's doch auch dem Herrn Pfarrer anzeigen.« Der Pfarrherr lobte die gute Denkungsart des armen Mannes, der Hausfreund auch; »aber das Mägdlein«, sagte der Pfarrherr, »soll nicht das Brot mit Euern Kindern teilen, sonst werden die Stücklein zu klein. Ich will ihm einen Vater und eine Mutter suchen.« Also ging der Pfarrherr zu einem wohlhabenden und gutdenkenden Mann in seinem Kirchspiel, der selber wenig Kinder hat, und der Hausfreund weiss just nicht, wie er's dem Manne sagte: »Peter«, sagte er, »wollt Ihr ein Geschenk annehmen?« – »Nach dem's ist«, sagte der Mann. – »Es kommt von unserm lieben Herr Gott.« – »Wenn's von dem kommt, so ist's kein Fehler.« Also bot ihm der Pfarrherr das verlassene Mägdlein an und erzählte ihm die Geschichte dazu, so und so. Der Mann sagte: »Ich will mit meiner Frau reden. Es wird nicht fehlen.« Der Mann und die Frau nahmen das Kind mit Freuden auf. »Wenn's guttut«, sagte der Mann, »so will ich's erziehen, bis es sein Stücklein Brot selber verdienen kann. Wenn's nicht guttut, so will ich's wenigstens behalten bis im Frühjahr. Denn dem Winter darf man keine Kinder anvertrauen.« Jetzt hat er's schon viermal überwintert und viermal übersommert auch. Denn das Kind tat gut, ist folgsam und dankbar und fleissig in der Schule, und Speise und Trank ist nicht der grösste Gotteslohn, den das fromme Ehepaar an ihm ausübt, sondern die christliche Zucht, die väterliche Erziehung und die mütterliche Pflege. Wer das fremde Töchterlein unter den andern in der Schule sieht, sollt' es nicht erkennen, so gut sieht es aus, und so sauber ist es gekleidet. So etwas tut dem Hausfreund wohl, und er könnte den braven Taglöhner und die braven Pflegeeltern des Kindes mit Namen nennen, wer sie sind, und wie sie heissen. Aber über seinen Mund kommt's nicht.

Rettung vom Hochgericht

Eines Tages sagte zu sich selbst ein einfältiger Mensch: »Dumm bin ich; wenn ich mich nun auf pfiffige Streiche lege, so wird kein Mensch vermuten, dass ich's bin.« Also legte er sich aufs Stehlen. Aber schon nach dem ersten Diebstahl wurde er als Täter entdeckt und überwiesen, weil er die goldene Uhr, die er gestohlen hatte, selber trug und alle Augenblicke herauszog. Einige Ratsherrn meinten, man könnte wegen seiner Einfalt etwas glimpflicher mit ihm verfahren als mit andern und ihn auf ein Jahr oder etwas ins Zuchthaus schicken. »So?« sagten die andern, »ist's nicht genug, dass so viele verschmitzte Halunken das saubere Handwerk treiben? Soll man für die dummen auch noch Prämien aussetzen, damit alles stiehlt?« und sechs gegen fünf sagten: Er muss an den Galgen. Auf der Leiter, als ihm der Henker den Hals visitierte, sagte er zu ihm: »Guter Freund, Ihr habt's ziemlich dick da herum sitzen, noch dicker als hinter den Ohren. Fast hätt' ich einen längern Strick nehmen sollen.« Denn wirklich war dem armen Schelm das Kinn ziemlich stark mit dem Hals verwachsen, und als der Henker den Strick ohnehin ungeschickt angebracht hatte und den armen Sünder von der Leiter hinabstiess, glitschte dieser mit dem Kopf aus der Schlinge heraus und fiel unversehrt herab auf die Erde. Einige Zuschauer lachten, aber der grösste Teil erschrak und tat einen lauten Schrei, als ob sie fürchteten, es möchte dem Malefikanten, den sie doch wollten sterben sehn, etwas am Leben schaden. Aber der Henker stand einige Augenblicke wie versteinert oben auf dem Seigel und sagte endlich: »So etwas ist mir in meinem Leben noch nie passiert.« Da sagte der Malefikant unten auf der Erde kaltblütig und mit gequetschter Stimme: »Mir auch nicht«, und alle, die es hörten, vergassen die Ernsthaftigkeit einer Hinrichtung, und dass auf dem Weg über das Hochgericht ein armes, verschuldetes Gewissen an seinen ewigen Richter abgeliefert wird, und mussten lachen. Der Blutrichter selber hielt das Schnupftuch vor den Mund und sah auf die Seite. Die glimpflichern Ratsherren aber ermahnten die strengern: »Lasst jetzt den armen Ketzer laufen. Am Galgen ist er gewesen, und mehr habt ihr nicht verlangt, und Todesangst hat er ausgestanden.« Also liessen sie den armen Ketzer laufen.

Gutes Wort, böse Tat

In Hertingen, als das Dorf noch rottbergisch war, trifft ein Bauer den Herrn Schulmeister im Felde an. »Ist's noch Euer Ernst, Schulmeister, was Ihr gestern den Kindern zergliedert habt: so dich jemand schlägt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar?« Der Herr Schulmeister sagt: »Ich kann nichts davon und nichts dazu tun. Es steht im Evangelium.« Also gab ihm der Bauer eine Ohrfeige und die andere auch, denn er hatte schon lang einen Verdruss auf ihn. Indem reitet in einer Entfernung der Edelmann vorbei und sein Jäger. »Schau doch nach, Joseph, was die zwei dort miteinander haben.« Als der Joseph kommt, gibt der Schulmeister, der ein starker Mann war, dem Bauer auch zwei Ohrfeigen und sagte: »Es steht auch geschrieben: Mit welcherlei Mass ihr messet, wird euch wieder gemessen werden. Ein voll gerüttelt und überflüssig Mass wird man in euern Schoss geben«, und zu dem letzten Sprüchlein gab er ihm noch ein halbes Dutzend drein. Da kam der Joseph zu seinem Herrn zurück und sagte: »Es hat nichts zu bedeuten, gnädiger Herr; sie legen einander nur die heilige Schrift aus.«

Merke: Man muss die heilige Schrift nicht auslegen, wenn man's nicht versteht, am allerwenigsten so. Denn der Edelmann liess den Bauern noch selbige Nacht in den Turn sperren auf sechs Tage, und dem Herrn Schulmeister, der mehr Verstand und Respekt vor der Bibel hätte haben sollen, gab er, als die Winterschule ein Ende hatte, den Abschied.

Mittel gegen Zank und Schläge

Zwei Eheleute nicht weit von Segringen lebten miteinander in Friede und Liebe, abgerechnet, dass sie bisweilen einen kleinen Wortwechsel bekamen, wenn der Mann einen Stich hatte. Alsdann gab ein Wort das andere. Das letzte aber gab gewöhnlich blaue Flecke. Zum Beispiel: »Frau«, sagte der Mann, »die Suppe ist wieder nicht genug gesalzen, und ich hab' dir's doch schon so oft gesagt.« Die Frau sagt: »Mir ist sie so eben recht.« Der Mann bekommt etwas Röte im Gesicht. »Du unverständiges Maul, ist das eine Antwort einer Frau gegen ihren Mann? Soll ich mich nach dir richten?« Die Frau erwidert: »Draussen in der Küche ist das Salzfass. Ein ander Mal koch' dir selber, oder sieh, wer dir kocht.« Der Mann wird flammenrot und wirft der Frau die Suppe samt dem Teller vor die Füsse. »Da, friss die Tränke selber!« Jetzt geht's der Frau auf, wie wenn man ein Stellbrett aufzieht, und das Wasser fliesst in die Läufe, und alle Mühlenräder gehn an, und sie überschüttet ihn mit Schmähungen und Schimpfnamen, die kein Mann gern hört, am wenigsten von einer Frau, am allerwenigsten von seiner eigenen. Der Mann aber sagt: »Ich seh' schon, ich muss dir den Rücken wieder ein wenig blau anstreichen mit dem hegebuchenen Pinsel.« – Solcher Liebkosungen endlich müde, ging die Frau zu dem Pfarrherrn und klagte ihm ihre Not. Der Herr Pfarrer, der ein feiner und kluger junger Mann war, merkte bald, dass die Frau durch Widersprechen und Schimpfen gegen ihren Mann selber schuld an seinen Misshandlungen sei. »Hat Euch mein seliger Vorfahr nie von dem geweihten Wasser gegeben?« sagte er. »Kommt in einer Stunde wieder zu mir!« Unterdessen goss er reines, frisches Brunnenwasser in ein Fläschlein, das ungefähr einen Schoppen hielt, versüsste es mit Zucker und liess ein Tröpflein Rosenöl darein träufeln, dass es einen lieblichen Geruch gewann. »Dieses Fläschlein«, sagte er zu ihr, »müsst Ihr in Zukunft immer bei Euch tragen, und so Euer Mann wieder aus dem Wirtshaus kommt und will Euch Vorwürfe machen, so nehmt ein Schlücklein davon und behaltet's im Munde, bis er wieder zufrieden ist. Alsdann wird seine Wunderlichkeit nie mehr in Zorn ausbrechen, und er wird Euch keine Schläge mehr geben können.« Die Frau befolgte den Rat; das geweihte Wasser bewährte seine Kraft, und die Nachbarsleute sagten oft zusammen: »Unsere Nachbarn sind ganz anders geworden. Man hört nichts mehr.« – Merke!

Das Mittagessen im Hof

Man klagt häufig darüber, wie schwer und unmöglich es sei, mit manchen Menschen auszukommen. Das mag denn freilich auch wahr sein. Indessen sind viele von solchen Menschen nicht schlimm, sondern nur wunderlich, und wenn man sie nur immer recht kennete, inwendig und auswendig, und recht mit ihnen umzugehen wüsste, nie zu eigensinnig und nie zu nachgiebig, so wäre mancher wohl und leicht zur Besinnung zu bringen. Das ist doch einem Bedienten mit seinem Herrn gelungen. Dem konnte er manchmal gar nichts recht machen und musste vieles entgelten, woran er unschuldig war, wie es oft geht. So kam einmal der Herr sehr verdriesslich nach Hause, und setzte sich zum Mittagessen. Da war die Suppe zu heiss oder zu kalt oder keines von beiden; aber genug, der Herr war verdriesslich. Er fasste daher die Schüssel mit dem, was darinnen war, und warf sie durch das offene Fenster in den Hof hinab. Was tat der Diener? Kurz besonnen warf er das Fleisch, welches er eben auf den Teller stellen wollte, mir nichts, dir nichts, der Suppe nach auch in den Hof hinab, dann das Brot, dann den Wein und endlich das Tischtuch mit allem, was noch darauf war. »Verwegener, was soll das sein?« fragte der Herr und fuhr mit drohendem Zorn von dem Sessel auf. Aber der Bediente erwiderte ganz kalt und ruhig: »Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihre Meinung nicht erraten habe. Ich glaubte nicht anders, als Sie wollten heute in dem Hofe speisen. Die Luft ist so heiter, der Himmel so blau, und sehen Sie nur, wie lieblich der Apfelbaum blüht, und wie fröhlich die Bienen ihren Mittag halten!« – Diesmal die Suppe hinabgeworfen, und nimmer. Der Herr erkannte seinen Fehler, heiterte sich im Anblick des schönen Frühlingshimmels auf, lächelte heimlich über den schnellen Einfall seines Aufwärters und dankte ihm im Herzen für die gute Lehre.