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Karl Friedrich Henckell war ein deutscher Lyriker und Schriftsteller. Dieser Band beinhaltet seine schönsten Gedichte in den Sammlungen: Buch des Lebens Buch des Kampfes Im Weitergehn Weltmusik
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Seitenzahl: 437
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GesammelteLyrik
Karl Henckell
Inhalt:
Karl Friedrich Henckell – Biografie und Bibliografie
Buch des Lebens
Hymnus an das Leben
Aufschrei
Durch die Maiennacht
Gewitter
Gebet
Dämon
In Qualen
Psalm der Freude
Im Kasernenarrest
Alter Berliner Weihnachtsmarkt
Die Zwei
Vagabunden
Meiner Mutter
Heimfahrt
Auf einem Stein
Trotziges Leben
Ergebung
Wandrer
Weltenritt
Wie wir's lieben ...
Ein Leben
Tatenlos
Züricher Bilder
Springbrunn
Promenade
»Sechsläuten«
Venezianische Nacht auf dem Zürichsee
Maimarkt
Vielliebchen
»Troupe internationale«
Im Exil
Es taut
Himmelfahrt
Morgenwanderung
Trutzlied
Hymnus
Angst
Immergrün
Im Zwielicht
Leise Klage
Schwermut
Der Mörser
Winter
Müde
Melancholie
Müßiggang
Bettler
Windmühle
Frau Welt
Zwischensommer
Frühlingsspiel
Mein Ça ira
Lebensplan
An Tomarkin
Kling! ...
Durchs Frühlicht
Wandlung
Anders
Meine Welten
Besinnung?
Frage
Schattenfroh
Friedensgruß
Im Morgenschiff
Dank dir, Erde!
Neues Leben
Symphonie in Stanzen
Ausgleich
Zeichen der Seele
Verlust und Trost
Das Wundervöglein
Beschwörung
Dauersinn
Grundton
Mein Pakt
Erkenntnis
Lockung
Rosenstimmen
Winzer Tod
Unbekümmert
Die Tanne
Runen
Mein Herz
Nicht genug!
Gesang des Pilgers
Ach ja!
Nachdank
Wanderziel
Diesseits
Inschriften
Höher!
Erscheinung
Am Rhein ob Ragaz
Kleine Symphonie
Rückkehr zur Weltstadt
Totenfrühling
Schmerz und Verklärung
Letzter Verzicht
Stiller Gruß
Aus der Tiefe
Hüttenlicht
Schnitterlied
Tischlied im Freien
Das Mütterchen
Die gelbe Rose
Dreiklang der Seele
Sei stark!
Geh in die Sonne!
Gefahr
Gaudeamus igitur!
Mein Weinlied
Beim Tiroler
Am Glücksrad
Lied des Todes
Höhenblick
Vision
Verzicht und Erhebung
Weiter!
Die schöne Welt
Einem fernen Freunde
Unser Hufeisen
Glück
Lebensbrot
Zuflucht der Seele
Brandopfer
Schicksalswahl
Kronenträger
Der Kreuzfahrer
Kruzifixus
Proteus Seele
Unterirdischer Weg
Lebensschale
Die kommenden Tage
Alte Heimat
Aufwärts
Leben
Die Berufung
Das Diadem
Weihnacht
Ein Oster-Requiem
Die alte Linde
Rote Rosen
Lebensbrandung
Lethe
Welt
Klage der Jünglinge
Auferstehung
Buch des Kampfes
Das Lied des Steinklopfers
Am Brückenrande
Morgengruß
Das Lied vom Eisenarbeiter
Psalm
Ruhe, meine Seele
Reif ist die Frucht
Lied auf der Heide
An die Jugend
Wandelbilder
Sedanfeier
Kommen wird der Tag ...
Durch!
Eisgang
Sturmsegen
Im Schachte der Zeit
Näherin im Erker
Die Engelmacherin
Lebenslauf
Der Korpsbursch
Frau Finkenstein an ihre Tochter Eva
Pump von Pumpsack
Die Dirne
Klingelbeutel
Die Dampfwalze
Schwül
Kurze Elegie
Im Café
Schwirrende Schwalben
Friedhof
Christnacht
Lockspitzellied
Bürgersöhnchen
Ein weißes Blatt
Des Schülers Klage
Prometheus
Ulrich von Hutten
Giordano Bruno
Daniel Defoe1
Fußnoten
Bekenntnis
Fichte
Deutsches Lied
Die kranke Proletarierin
Neuland
Gerechtigkeit
Sicherheit
Memento der Freiheit!
Sozialreform
Russisches Armband
Streik
Te Deum
Dampfernte
Ausgebaggert
Schornstein und Blitzableiter
Nachwuchs
Arbeiterlied
Das Ausnahmegesetz
An die deutsche Nation
Der Polizeikommissar
An das ideale Proletariat
Zwiegespräch
Herzschlag
O Mutter!
Vom Rigi
Trutznachtigall
Von Volkes Gnaden
Mein Ziel
Blut und Bomben?
Majestätsbeleidigung
Gründeutschland
Den Feinden
Verdämmernde Zeiten
Statistik
Viadukt
Zwei Welten
Zukunftsblüte
Gesang der »modernen Barbaren«
Lied der Armen
Moderne Musen
Schach dem Schicksal!
Auf!
Nein
Weltmai
Zu zwei Rokoko-Assietten
Börsencafé
An den Zaren
Ist's genug?
Vom 18. März 1871
Französische Erwartung
Krieg dem Kriege
Unser Kamerad
Im Kerker1
Fußnoten
Die Freiheit1
Fußnoten
Flirt
Tadellos
Spiel-Adel
Trauung
»Vornehm«
Protektion
Die Not
Schwertblüte
Der Geisteskämpfer
Der Zukunftsdichter
Kaiser und Arbeiter
Arbeit und Bildung
Sang der Thüringer Tannen
Das große Ungeheuer
Von der Friedrichstraße
Des Großstadtjungen Traum
Weihe
Erkenntnis
Utopia
Doppelte Sehnsucht
Türmerlied
Okishima
Die Hyäne
Apokalypse
Der Riese
Ihr Weltmai
Feuerbrand
Aufschwung
Sturm
Seinestimmung in Paris
Carmagnole
Der Heilige Nimbus
Simson und Delila
Suum cuique!
Sieger
Bismarck
1. Dem Einiger
2. Dem allmächtigen Gegner
3. Dem Toten
Ferdinand Lassalle
Walstatt
Wohlauf!
Die Welle
Junge Gäste
Heimkehr vom Werk
Hymne an Zeppelin
Geistesruf
An die neue Jugend
1. Geleit
2. Parole
Die Kanone
Basel
Zur neuen Welt1
Fußnoten
Wilder Jäger
Deutsche Wandlung
Selbsttreue
An Deutschland
Auf Wacht
Weihnachtsaat
Der große Pflüger
Komm, o Pfingsten!
Schicksalssterne
Ostern 1917
Pfingsttrost 1917
Es werde gar!
Hexengeflüster
Kurze Ode
Stimme des Berges
Soldatentraum
An den Kaiser!
Der rote Vogel
Freiheits-Gesang
Sehnsucht
Deutsche Pfingsten 1919
Neuer Bund
Deutsche Not
Nach uns die Sündflut!
Buch der Sprüche
Leben / Gesellschaft / Kunst
Natur
Einkehr
Richtung
Was not tut
Gott
An die »Wohlanständigen«
Neueste Mode
Zukunftsbrot
Das Urteil von Chicago
Umkehrung
»Tendenz«
Irrtum
Byzanz
Keil
Zollerigula und das Tatarenroß
Schuldfragen
Praktisch
Widmung
Fee Gloria
Frühlingskorn
Dichtung und Arbeit
Elektrizität
Eigener Weg
Wahlspruch
Meister
Dichterorden
Wichtigtuer
Einem Zaghaften
Orchis poetica
Pegasus-Publikum
Zensur
Wirken – Verzichten
Deutscher Frühling
Der bessere Patriot
Wahrheit nach unten und oben
Falsche Phrase
Heuchler
Individuell
Lebe!
Dankbarkeit
Einem Aszeten
Einheit
Schlagworte
Den »Traditionellen«
Das Leben ein Brief
Mängel der Kritik
Die Kritikaster
Künstlersonne
Ziel der Frauen
Schillerzitat
Blutige Wahrheit
Dollar Imperator
Meine Freiheit
Mein Neujahrswunsch
In ein Studentenjahrbuch
»Man«
Ausgelacht
Zwischenraum
Mensch und Partei
Stille halten
Überlegen
Der Snob
Den Totengräbern
Weg zur Kunst
Zu einer Kriegsradierung
Kämpferin Kunst
Der frische Wind
Zukunftsdank
Gemeinwirtschaft
»Freiheit«
Gewaltstaat
Diktatur
Fanatiker
U.A.w.g.
Fußnoten
Auf eine Kranzschleife
Unbekümmert
Dauerrecht
Enttäuschung
Unverzeihlich
Literarische Falschmeldung
Humor
Jahresringe
Kleiner Hort
Heimspruch
Wegebahner
Mein Motto
Größte Sünden
Unverloren
Läuterung
Das letzte Wort
Im Weitergehn
Im Weitergehn
Das Gedicht
Frühlingsabend
Maienmorgen
Nachtigallen am See
Maifahrt
Flöte im Walde
Vor Sonnenuntergang
Hochsommer
Herbstmorgen
Weiße Nacht
Entführung
Lied des Todes
Parkpromenade
Bei München
Wotanseiche
Unser Hufeisen
Amsel vorm Fenster
Harter Traum
Heimliches Licht
Heimweg am Fluß
Sternenbitte
Vision im Reif
Weiter!
Die schöne Welt
Verzicht und Erhebung
Schicksalswahl
Leben
Mein Sanssouci
Geh in die Sonne
Zuflucht der Seele
Glück
Lebensbrot
Mutbringer
Der Kreuzfahrer
Kruzifixus
Neues Leben
Der Kronenträger
Aufschwung
Sturm
Seinestimmung in Paris
Carmagnole
Weihnacht
Hymnus an das Leben
Form und Leben
Der Heilige Nimbus
Modernes Ketzergericht
Am Glücksrad
Sprüchlein
Stille halten
Weg zur Kunst
Mein Neujahrswunsch
Einem fernen Freund
Sonnentod
Das Kellerglas
Letzter Abschied
Der tote Recke
Johannes Brahms
Liliencron
Verlorene Poeten
Sieger
Wächterin
Unterirdischer Weg
Proteus Seele
Wildbach
Höhenblick
Lebensschale
Die kommenden Tage
Weltmusik
Die Berufung
Leben
Das Diadem
Aufwärts
Weltmusik
Lebensbrandung
Geistesruf
Ein Oster-Requiem
Totenfrühling
Weihnacht
Heimkehr vom Werk
An die neue Jugend
Junge Gäste
Alte Heimat
Heimat des Herzens
Erster Ertrag
Mein Dank
Mein Weinlied
Beim Tiroler
Beim Rheinwein
Der Augenblick
Der schönste Kranz
Der Tröster
Humor
Jahresringe
Kleiner Hort
Zu einer Kriegsradierung
Kriegsdutzendlyrik
Kämpferin Kunst
Wegebahner
Heimspruch
Mein Motto
Festrede zum 100sten
Im Gefängnis
Das alte Tor
Der Fliederstock
Eduard Mörike
Ludwig Uhland
Die Wächterin
Hymne an Zeppelin
Die Welle
Wohlauf
Basel
Wilder Jäger
Bismarck
Deutsche Wandlung
Sir Roger Casement
Kosakendank
Krieg
An Italien
Die Kanone
Selbsttreue
An Deutschland
Auf Wacht
Mensch und Partei
Zukunftsdank
Der frische Wind
Weihnachtssaat
Komm, o Pfingsten!
Der große Pflüger
Schicksalssterne
Ostern
Pfingsttrost
Es werde gar
Die alte Linde
Hexengeflüster
Kurze Ode
Stimme des Berges
Soldatentraum
Gesammelte Lyrik, K. Henckell
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN:9783849627560
www.jazzybee-verlag.de
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Lyrischer Dichter, geb. 17. April 1864 in Hannover, verstorben am 30. Juli 1929 in Lindau. Studierte Philosophie in Berlin, dann in München, ließ sich 1886 in Lenzburg in der Schweiz nieder und lebt jetzt als Verlagsbuchhändler in Berlin. In seinen Dichtungen zeigt H. neben seiner sozialistischen Gesinnung viel sprachliche Begabung, echt lyrische Phantasie, aber es fehlt ihm Selbstkritik und die Fähigkeit, ein größeres künstlerisches Werk aufzubauen. Von ihm erschienen: »Umsonst. Ein soziales Nachtstück« (Berl. 1884); »Poetisches Skizzenbuch« (Minden 1885); »Strophen« (Zürich 1887); »Amselrufe« (das. 1888, 2. Aufl. 1890); »Diorama« (das. 1890); »Gründeutschland« (1890); »Trutznachtigall« (Stuttg. 1891); »Aus meinem Liederbuch« (Münch. 1892); »Buch der Freiheit« (Anthologie, Berl. 1894); »Zwischenspiel« (Lieder vom heimlichen Kaiser, Zürich 1894); »Gedichte« (das. 1898); »Gedichte für das Volk. Eine Auswahl« (das. 1901), »Aus meinen Gedichten« (das. 1902); »Gipfel und Gründe«, neue Gedichte (das. 1904), ausgewählte Gedichte u. d. T. »Mein Liederbuch« u. »Neuland« (Leipz. 1903) und die kritische Studie »Moderne Dichterabende« (Zürich 1895). 1895–99 gab er die »Sonnenblumen. Flugblätter der Lyrik« (Zürich) heraus.
Ruft das dichterische Werk des Lebenden nach einleitendem Wort und selbstbiographischen Daten? Hat nicht seine eigentliche Existenz ihren annähernd wesensgemäßen Ausdruck gerade in den mannigfaltigen Versschöpfungen vieler Jahre gefunden, aus deren geschlossener Gliederung die folgenden Bände sich wie von selbst zu einem rhythmischen Bilde seiner Natur und seines Werdeganges gestalteten? Ganz gewiß, für Aufnahme und Wirkung dieser meiner, im engeren und weiteren Sinne, lyrischen Lebensbekenntnisse wäre kaum erforderlich, eine Skizze der äußeren Vorgänge und Umstände voranzuschicken, in denen sich von der Geburt bis zum gegenwärtigen Tage mein Dasein auch sonst bezeugt und abgespielt hat. Was einmal irgendwie Kunst ward, trägt ja immer den Führer in sich, der auf jede Frage die feinste und gültigste Antwort gibt.
Wenn ich beim Überblicken meiner bisherigen dichterischen Ernte, wie sie in der Scheuer dieser Ausgabe geborgen ward, mich gleichwohl veranlaßt fühle, hier in aller Kürze die Kurve meines Lebens nochmals zu zeichnen, so geschieht das vor allem im Hinblick auf einige, wie ich glaube, besonders bedeutsame Momente, die sich in der Laufbahn eines deutschen Dichters meiner Art und in der Geschichte seines Werkes als charakteristisch für unsere Zeit und für mich selbst offenbaren.
Als die Preußen die Düppeler Schanzen stürmten, kam ich in der Residenzstadt des damaligen Königreichs Hannover zur Welt. Mein Vater stammte aus Bodenfelde bei Karlshafen an der Weser, wo der Solling seine knorrigen, uralten Eichen zum Himmel reckt. Er war Kaufmann und hatte besonders mit Getreide gehandelt, daneben auch in seinem Heimatort das Ehrenamt des Bürgermeisters verwaltet. In Hannover lebte er mehrere Jahrzehnte hindurch als Hausbesitzer und Rentner. Hochbetagt starb er Ende der neunziger Jahre zu Lenzburg in der Schweiz. Ich habe vier Geschwister, zwei Brüder und zwei Schwestern, die ebenfalls in der Schweiz leben, mit Ausnahme des ältesten Bruders, der in jungen Jahren nach Amerika auswanderte. Meine Mutter war hessischer Geburt – ihr Stammbaum führt ins Lippe-Detmoldische – und eine Tochter des kurfürstlichen Hof- und Garnisonspredigers Dr. Piderit in Kassel, der wegen »Renitenz« in allerhöchste Ungnade fiel, später Archivrat wurde und eine Geschichte Hessen-Kassels geschrieben hat.
Mit zwei Jahren, als bei Bismarck verschiedene Fürsten ihrerseits »in Ungnade fielen«, die er auch Knall und Fall davonjagte, wurde ich als preußischer Untertan dem expansiven Nachbarstaate einverleibt. Ich bin also eigentlich »Mußpreuße«. In meiner Kindheit war ich nicht selten Zeuge von Scharmützeln zwischen Schulbuben aus Familien von angestammter Welfentreue und solchen aus neuzugezogenen preußischen Militär- und Beamtenkreisen. Mein Vater huldigte, mit starker Reserve gegen jedes allzu schneidige »Stockpreußentum«, einem gemäßigten Fortschritt und zählte sich zu den Nationalliberalen Bennigsenscher Richtung. Ich war für deutsche Einheit und Einigkeit, die ich mir jedenfalls viel einfacher dachte, als sie war und ist. Mit sieben Jahren gab es Siegesjubel mit Sedanfeier, Monstre-Konzert und großer Illumination. An Kerzen wurde auch bei uns nicht gespart. So wuchs ich in kindlicher Hurrastimmung und Reichsbegeisterung heran. Mein Gott, wie gern holte man dazu frisches, grünes Eichenlaub aus der nahen »Eilenriede« und wand die ersten patriotischen Reime um das Bild des greisen Helden-Kaisers! Als Quartaner vertauschte ich sogar schon das alte städtische Lyzeum mit dem neugegründeten Kaiser-Wilhelms-Gymnasium. Von da an sah ich nun erst recht bis auf weiteres die Weltgeschichte mit Hohenzollernaugen an. Geibels »Heroldsrufe« waren damals auch mein geliebtes Evangelium ... In Unterprima stellten sich, hauptsächlich wegen Mathematik, Unstimmigkeiten ein, und ich ging ab. In Kassel wurde ich glücklich reif für Leben und Universität. Bei der öffentlichen Schlußfeier hielt ich die deutsche Rede »Über das Volkslied«.
Als Studiosus der Philologie ging ich zunächst nach Berlin, wohin mich frühangesponnene literarische Fäden und Fehden zu den »kritischen Waffengängern« Heinrich und Julius Hart zogen. Ich wurde regelmäßiger Mitarbeiter ihrer Monatsschrift. Bald erschien, bei Bruns in Minden, mein lyrisches Konfirmationsbrevier, das »Poetische Skizzenbuch«, mit melancholischen Niederschlägen vom Spreeufer. In ihm stand auch schon das »Lied des Steinklopfers« und ein paar andere soziale Verse, die ich vom Straßenbild der Reichshauptstadt ablas. Das Elend und die Kontraste der Welt griffen mir ans Herz und drängten nach Ausdruck. Ohne Zweifel – keine Richtung oder Schule hat mich zum Dichter gemacht, sondern die Natur und das Leben.
Im Gefühl keimten die Samenkörner auf, die der Wind der modernen Welt geheimnisvoll daherwehte. Den jungen Dichtern wandelten sie Weise und Wort. So auch mir.
Meine Nerven waren überreizt. Ein Heidelberger Sommer mit Odenwaldlüften brachte Genesung. In Hannover diente ich als Infanterist mein Jahr ab. In Uniform schrieb ich, eben zwanzigjährig, das eine Vorwort zu den »Modernen Dichtercharakteren«, die Dokumente einer neuen Geistesströmung waren und bekennerisch wirken sollten. Das andere Vorwort schrieb Hermann Conradi aus Magdeburg. Beim Militär mußte ich vieles mit ansehen, was empörte und sich tief eingrub.
Nach kurz abgebrochenem Wintersemester in München, wo Michael Georg Conrad mit Bomben und Granaten Bresche in die Festung des schöngeistigen Epigonentums legte, und wo ich auch mit Wolfgang Kirchbach, Martin Greif und Heinrich v. Reder in persönlichen Verkehr trat, kam ich zur Entspannung ins hannoversche Elternhaus zurück und reiste sodann im nächsten Frühjahr frischen Mutes und Entschlusses in die republikanische Schweiz.
Von Zürich als literarischem Hauptquartier, wo ich auch meine Universitätsstudien fortsetzte, gab ich Ende der achtziger Jahre einen Gedichtband nach dem anderen heraus. Ihre Hauptelemente waren leichter Liebesfrühling und schwere soziale Gewitterstimmung. Ersteres wurde, als harmlos, beifällig, letzteres hochnotpeinlich aufgenommen. Die Rezensenten hielten sich das Taschentuch vor die zarte Nase, und der preußischen Regierung ging ich auf die, allerdings weniger zarten, Nerven. Nur wegen meiner Verse – anders war ich politisch überhaupt nie aktiv – wurde ich auf Grund des Sozialistengesetzes kurzerhand als »gemeingefährlich« verboten. Damit war mein Bücherschicksal in Deutschland, auch nach dem Fall des Ausnahmegesetzes, auf Jahrzehnte besiegelt. Traditioneller Boykott, erheblich verstärkt durch notgedrungenes Selbstverlegertum, suchte mich auch buchhändlerisch auf lange Zeit hinaus unmöglich zu machen. Jahre des oft verzweifelten Kampfes um menschliche und dichterische Selbstbehauptung folgten. Die Wilhelminische Epoche ließ es mir verflucht schwer werden. Aber sie hat mich keinen Augenblick untergekriegt. Auch als Deutschen nicht.
In Zürich lernte ich Gottfried Keller, Arnold Böcklin und Conrad Ferdinand Meyer kennen, in Bern Joseph Viktor Widmann. Ihre Würdigung und Sympathie taten mir wohl, ihre Persönlichkeit und Atmosphäre förderten mich innerlich. Ich trieb weiter Sprachstudien, übersetzte, hielt Vorträge über Literatur und brach so zuerst für Liliencron und die deutschen »Neutöner« beim schweizerischen Publikum eine Gasse.
Eines Tages besuchte mich ein Hofrat aus Koburg und machte mir auf dem Sonnenberg bei Zürich den liebenswürdigen Vorschlag, gleich mit ihm zu reisen, er wolle mich seinem Herzog vorstellen. Ich lehnte verbindlichst dankend ab. Nicht aus plumpem Fürstenhaß natürlich, der mir völlig ferne lag und liegt, sondern aus purer Antipathie gegen »Karriere«. Theodor Storms Verse »Für meine Söhne« waren mir zu lieb:
»Was du immer kannst zu werden,
Arbeit scheue nicht und Wachen;
Aber hüte deine Seele
Vor dem Karriere-Machen!«
Ich hatte es nie zu bereuen. 1890 wurde ich – mein Herz schlug längst republikanisch – Schweizer Bürger im Kanton Zürich.
»Amselrufe« und »Trutznachtigall« warben mir wertvolle Freunde, auch jenseits des Ozeans. Zeitweilig hielt ich mich in Wien, Mailand und Brüssel auf. So erweiterte ich meinen Horizont und befreite mich aus quälenden Herzensketten. Von Brüssel aus datierte ich das Vorwort zu meinem »Buch der Freiheit«, einer umfangreichen Sammlung sozialer Freiheitsdichtungen von Goethe bis zur Gegenwart, von Byron und Shelley bis auf Dehmel und Mackay. Fast das ganze Werk schrieb ich eigenhändig aus den Quellen ab, wodurch ich mir seinen Gehalt noch stärker zum wirklichen Besitz machte.
Über solcher literarischen Pionierarbeit der Zukunft vergaß ich nicht, dem ewigen Liede Pans zu lauschen. Natur und Liebe lockten mich in ihr stilles, träumerisch versonnenes Reich. Die Kunst übte ihre erlösende, kampfverklärende Gewalt. Aus Liebesgrund wuchs Lebensbund, aus Lava blühte der Wein des »Neuen Lebens«.
Vom Züricher See ließ ich Flugblätter der Lyrik in die Lande flattern, »Sonnenblumen«, die den Samen der Dichtung in manches empfängliche Herz senkten. Mit den Künstlern des rhythmisch gegliederten Wortes aus Vergangenheit und Gegenwart verkehrte ich wie mit Freunden, deren geheimstes Wesen ich in horchender Zwiesprache zu ertasten suchte.
1902 vertauschte ich das idyllische Heim am Schweizer See mit dem geräuschvolleren Charlottenburg. Es war ein neuer Sprung von einer für mich unberechenbaren Tragweite. Von eigenen Werken gab ich noch das Buch »Gipfel und Gründe« in Druck, warf rote Gedichthefte mit Fidusbildern zu Kolportagepreisen ins Volk und löste dann nach und nach meinen Verlag auf, bei dem ich zwar materiell keine Seide gesponnen, aber ideell mein Ziel entscheidend gefördert hatte und schließlich mit einem blauen Auge davonkam.
Nachdem ich mir in solcher Weise und als öffentlicher Sprecher eigener Gedichte auf volkstümlichen Kunstabenden verschiedener Städte, die meinem Schaffen gewidmet waren, ein Wirkungsfeld nach außen bereitet hatte, tauchte aus der treibenden Flut der Berliner Tage in rhythmischen »Schwingungen« das Eiland der Seele silberschimmernd neu empor.
Auf einmal winkte von Süden München. Zwischendrein erfrischte das Herz ein Frühling und Sommer in Mecklenburg, an der Waterkant, in Hamburg, wo ich Detlev von Liliencron und Gustav Falke besuchte, in Hannoverland an der Weser auf Väterspuren. Seit Herbst 1908 bin ich an der Isar in München-Bogenhausen, gegenüber dem Englischen Garten, ansässig. Die herbfrische Luft, die von der hier mövenreichen und nicht selten wildüberschäumenden Tochter der Berge mit zu Tal gebracht wird, feite mich wohl auch gegen vorzeitiges Stockigwerden. »Im Weitergehen« faßte ich allmählich festeren Fuß auf dem Boden einer Welt, die Schmach und rohe Gewalt der Zeit nicht so leicht mehr ins Schwanken bringen.
Freilich – die schwerste Probe war noch zu bestehen. Sie kam mit dem Weltkrieg auch für mich. Das Chaos riß Geist und Seele in seine aufreibenden Wirbel. Alles, was ich mir lebenslang mitfühlend, mitdenkend, mitschaffend an der Veredlung der menschlichen Kulturgemeinschaft, wie in Fleisch und Blut verwandelt, errungen hatte, schien mit grauenhafter Unheimlichkeit jählings in Frage gestellt. Nur die unbedingte Mitverbundenheit am Schicksal des deutschen Volkes war für mich jenseits aller Fragestellung. Im festen Rhythmus der »Weltmusik« suchte ich mich selbst zu behaupten und lähmendes Verstummen zu bannen.
Aber merkwürdig: Gang, Ausgang und Folge des Krieges, alles, was mit welterschütternder Wucht durch ihn selbst offenbar ward, diente nun erst recht dazu, meine innerste Anschauung von der notwendigen Umgestaltung und Erneuerung der Volksgemeinschaften zu bestätigen und zu verstärken. Die wesentlichen Elemente einer in Gefühl und Erkenntnis wurzelnden Sinnesart, wie sie längst vor Ausbruch des Krieges mir eigen war, hielten schließlich doch dem wahnsinnigen Wirrwarr des allgemeinen Zusammenbruches stand und sammelten sich allmählich mit verdoppelter Kraft der Selbstbejahung. Das Ideal der Freiheit, wie es so manchen meiner Kampfgesänge leidenschaftlich durchdringt, hat nicht Schiffbruch gelitten, das Gestade von Neuland taucht wieder im Nebel auf. Wir wollen wie das Heimchen sein, das an Bord des Columbus auch der irre gewordenen Bemannung in tiefster Verzagtheit die Nähe der gesuchten Erde verkündet ...
Doch selbst, wenn alles das nur Traum und Utopia wäre, unser Lied ist und wir sind. Dessen Zeuge sei dies gesammelte Werk, das nicht mehr sein will als ein in Verse verwandeltes Menschenleben aus unserer Zeit der Götterdämmerung. Ein Leben und Buch voll Wahrheit, Irrtum und Widerspruch, voll Sehnsucht, Glauben, Verzweiflung, Erfüllung, Verzicht und Erlösung, voll Hohnlachen, Groll und Empörung, voll Sonne, Gewitter, Freude und Elend, Klage, Jammer und Jubelschall, voll Quellenrauschen und Gipfelhauch, voll Stille und Sturm, Ruhe und Reigentanz der unergründlichen Seele.
München, Silvester 1920/21
Du, brausend aus ewig schwangerer Nacht
Und ewig zeugendem Lichte,
Aus feuchtem Brodem und Glut entfacht,
Verwegenstes der Gedichte:
Geträumt von Gott, dem ursprünglichen Geist,
Dem Grund des Abgrunds entquollen,
Du, das da schäumt und zittert und kreist –
Wie rollen
Geheimnisvoll die Rhythmen des Alls
Durch deine dämonischen Fluten,
Im Wirbel der Wollust, im Schrei des Metalls,
In gewitterflammenden Ruten!
Im adlerschwebenden Gletschersang
Der unbesieglichen Seelen,
Im schattendämmernden Untergang –
In Höhlen
Der schwelenden Wut und des heimlichen Leids,
Im Feuer der stolzen Empörung,
In blühender Rosen berückendem Reiz,
In seliger Sehnsucht Erhörung.
In lachender Laune weltheiterem Laut,
In Genien, der Urkraft ergeben,
Was da atmet und schwingt, was da leuchtet und taut:
Du Leben!
An den Wassern bin ich hingegangen,
Feuchter Windhauch letzte meine Wangen.
Meine Seele, die das Licht verlor,
Meine Seele schrie zu Gott empor.
Der im Wolkenkleid am Himmel schreitet,
Der im Sturmhut durch die Lüfte reitet,
Der aus grünen Wipfeln raunend winkt,
Der aus Silberwellen zitternd blinkt,
Der im Grashalm sprießt, als Regen feuchtet,
Der im Blitze schießt, als Sonne leuchtet:
Weltengeist, von dem auch ich ein Teil,
Schütte nieder deiner Gnade Heil!
Ach, ich habe meinen Wert vergessen,
Bin in der Verräter Rat gesessen,
Habe frech dem lichten Gott geflucht
Und betört der Lüge Nacht gesucht!
Blöd und elend wank' ich wirre Pfade,
Wüstenirrend dürst' ich müd nach Gnade,
Meine Seele, die das Licht verlor,
Meine Seele schreit zu Gott empor.
Ohne dich, wie dürr sind meine Glieder!
Weltengeist, ach ströme, ströme nieder!
Durch die Maiennacht
Fuhr der Wintersturm,
Und die Frühlingspracht
Riß er nieder.
Durch die junge Brust
Fuhr der Todeshauch,
Traf mit grauser Lust
Meine Glieder.
Muß es denn geschehn,
Kann's nicht anders sein,
Will ich freudig gehn
Und entsagen.
Fahre wohl, du Welt,
Liebe, Kampf und Ruhm!
Nur ein schlechter Held
Mag es klagen.
Sinkt die Knospe hin,
Eine neue sprießt,
Und die Folgerin
Sei gegrüßt!
Es wetterleuchtet durch die Nacht,
Die Donner, sie rollen von ferne,
Die Wolken stürmen zur wilden Schlacht,
Und ängstlich verlöschen die Sterne.
Es jagt und wettert und kracht und braust,
Wie wenn in Lüften der Böse haust –
Was schmiegst du dich an mich mit Zittern?
He, holla! Mich freut das Gewittern.
Kennst du das Leben, mein liebes Kind?
Ach nein, du tändelst in Träumen.
Oft stürmt durch das Leben der Wirbelwind
Und reißt an den knorrigsten Bäumen.
Unter Donner und Blitzen, in stürmischer Nacht
Schlägt der Mensch mit dem Schicksal die lustige Schlacht.
Was schmiegst du dich an mich mit Zittern?
He, holla! Mich freut das Gewittern.
Wie brannte die Sonne so heiß und so dumpf!
Die Bäume, sie rangen nach Odem;
Nun flutet es feucht, und der dürrste Stumpf
Saugt ein den köstlichen Brodem.
Wenn träge die Sonne das Leben verbrennt,
Willkommen dann, schlagendes Element!
Laß ab von Zagen und Zittern,
He, holla! Mich freut das Gewittern.
Der du mich tiefgeahnt umkreist,
Hör mein Gebet, urewiger Geist!
Der du von Anfang bis zu Ende,
Zu dir aufheb' ich meine Hände.
In Schauern sink' ich vor dir hin,
Weil ich dir ganz ergeben bin.
Du bist die Leuchte meines Lebens,
Du bist das Urbild meines Strebens.
Du bist's allein, der in mir schafft,
Du bist der Trieb, du bist die Kraft.
Du bist die Tiefe, bist die Höhe,
Das Meer, darin ich untergehe,
In dir nur bin ich stät und stark,
Du bist die Wurzel, bist das Mark.
Du bist der Baum, daran ich ranke,
Du richtest mich, daß ich nicht wanke,
Du bist der Strom, der mich durchquillt
Und meiner Seele Gluten stillt.
Du bist der Anker mir im Wetter,
Bist mein Erlöser, mein Erretter,
Du bist das Wort, der Klang, der Sinn,
In dem ich lebe, web' und bin.
Du bist der Inhalt im Gefäße,
Nichts ist, nach dem ich dich bemäße.
Du bist die Wahrheit, bist das Licht,
Das flammend aus der Seele bricht,
Du bist das Schöne, bist das Gute,
Für das ich bin, für das ich blute –
Trotz Not und Tod für alle Zeit,
Urewiger Geist, sei benedeit!
Im Fieber flammt die Stirn, und stechend fährt
Durch die empörte Seele Gottes Schwert –
O, nimmer, nimmer findet jener Rast,
Der aus dem Staube nach den Sternen faßt.
An seinem Herzen frißt des Geiers Gier,
Er will zu Gott und bleibt geknechtet hier
In schreckensnächtiger, namenloser Pein,
Verstanden nie, verhöhnt und ganz allein.
Wenn ich in Qualen lag,
Undurchdringlichen,
Wenn meine Seele rang
Flehend zu dir:
Hilf mir, du ewiger
Vater des Lebens,
Hilf mir, allmächtiger,
Liebender Gott!
Angeschmiedet
Ächzen die Sinne,
Hingeknechtet
In Staub und Kot –
Wenn ich gebäumt mich,
Ketten geschüttelt,
Äther zu atmen
Herrlich und frei –
Ach, nur ein Nageldruck
Deiner Allmächtigkeit
War noch vonnöten,
Daß es vollbracht –
Ließest mich liegen
Ohne Barmherzigkeit,
Mich, der ich dich nur
Brünstig begehrt;
Ließest mich schmachten
Ohne Allgütigkeit,
Mich, der dem Kinde gleich
Betete treu.
Wenn ich in Qualen lag ...
Und sinken wir alle in Todes Schoß,
Ich will nicht klagen der Menschheit Los.
Ihr seht die Spanne flüchtigen Lebens,
Ich sehe den Wandel ewigen Webens.
Ihr seht den Rauch im Winde verwehn,
Ich sehe im Regen ihn niedergehn.
Ihr seht das Blatt nur welken vom Baume,
Ich ahne die junge Knospe im Traume.
Ihr seht nur das Fleisch und verzweifelt im Rat,
Ich sehe das Feuer der ewigen Tat.
Ihr seht nur die Geister, ich sehe den Geist,
Der unvergänglich zum Lichte weist.
Er waltet von Anbeginne zu Ende,
Daß sich die große Erlösung vollende.
Drum, sinken die Menschen in Todes Schoß,
Ich will nicht klagen der Menschheit Los.
O sonnenseliger Pfingstentag!
Nun lacht und kost es in Flur und Hag.
Verlassen ist Stube und Bürgerhaus,
Nun ziehen sie alle hinaus, hinaus.
Wer sonst des Lebens nie sich freut,
Er pflückt die Rose der Freude heut.
Nur ich allein, nur ich allein
Darf nicht im fröhlichen Bunde sein,
Und der das schnöde Gebot gegeben,
Stiehlt mir einen schönen Tag im Leben,
Und das verzeih' ihm Gott!
Will euch doch ein Schnippchen schlagen!
Mich soll Langeweile plagen?
Wozu wär' ich denn Poet?
Und da dicht' ich meine Lieder,
Schlägt die Drossel, blüht der Flieder,
Und der Hauch des Frühlings weht,
Wenn auch gähnend Spind am Spinde,
Schemel hier an Schemel steht.
Laß die Glocke läuten vom Dome,
Keiner hört es im Menschenstrome.
Christmarkt, Waldteufel, Trompeten, juchhei!
Wenig Wolle und viel Geschrei.
Alles besehen, wenig erstehen,
Nur zum Pläsier mal darüber gehen,
Eine Baßgeige sich kaufen wollen,
Mit einer Knarre nach Hause sich trollen, –
Für einen Sechser Schmalzkuchen schmecken,
Mumpitz machen an allen Ecken –
Mag auch der Regen vom Himmel fließen,
Das muß der wahre Berliner genießen,
Schuster und Schneider, Jüngling und Mann,
Jeder, der es sich leisten kann.
Sieh dort die Zwei! Er spielt die Flöte,
Und wollene Strümpfe strickt sein Weib,
Im Korbe ruhn zwei Dreierbröte
Zur Nahrung für den siechen Leib.
Flütüh, flütüh! – »Wer gibt 'nen Groschen?«
Die Flöte lockt so flehend süß:
»Ihr steckt ja in den Glücksgaloschen,
Euch ist die Welt ein Paradies.«
Flütüh, flütüh – schon humpelt weiter
Das eheliche Bettlerpaar,
Ein einziger ist ihr Begleiter,
Treu bis zum Tode, Jahr für Jahr.
Sein Blick ist hohl, sein Gang gebrochen,
Von Schwären sein Gesicht entstellt,
Er nagt an einem kahlen Knochen
Und heißt – das Elend dieser Welt.
In rauchiger Kneipe – hollaho! –
Kauern vier Vagabunden.
Ihr Maul ist frech, ihr Witz ist roh,
Sie versaufen die dämmernden Stunden.
Die Lampe schmaucht und brennt so trüb,
Als glömme sie über Leichen.
Den Kerlen ist das Zwielicht lieb,
Der Wirt muß Branntwein reichen.
Sie leeren die Gläser, der Schnaps heizt gut,
Das brennt wie flüssige Flammen –
Hei, wie siedet im Leibe das Blut!
Sie rücken dichter zusammen.
»Was nützt der Ollen das viele Geld,
Gehamstert im rostigen Kasten?
Man lebt nur einmal auf der Welt,
Zu sauer schmeckt dies Fasten.
Nicht länger lungern wir so umher,
Geknufft wie räudige Hunde,
Den Magen leer, die Taschen leer,
Elende Vagabunden.
Wir wollen Braten, Weiber und Wein ...
Was soll der lausige Bettel?
Wir schlagen dir schön den Schädel ein,
Du giftige, geizige Vettel!«
Der eine flucht, der andere grinst,
Zwei nicken schwer mit der Stirne,
Blutlache vor ihren Blicken glinst
Mit ausgespritztem Gehirne.
Hu, wie sie schwanken und torkeln hinein
Und schlürfen Blut ohn' Ende!
Der Schnaps wird Blut, das Blut wird Wein –
Sie schütteln die zitternden Hände.
»Auf morgen nacht! Verrat heißt Tod!
Wirt, auf! Wen's trifft, steht Schmiere.«
Den Himmel rändert das Morgenrot,
Lichtscheu hintaumeln die Viere.
Mutter, aus der Ferne eilst du,
Deinen Sohn zu sehen,
Ach, die kranke Seele heilst du,
Linderst ihre Wehen.
Bin zermartert, bin zerschlagen
Wie im Sturm die Eiche,
Doch bei dir vergeht mein Klagen,
Gute, Milde, Weiche.
Wer der Zeit Meduse schaute
Schon mit jungen Jahren,
Wem's in Höllenschlünden graute,
Früh hinabgefahren:
Laßt ihn in die treuen Augen
Seiner Mutter blicken,
Reine Wonne wird er saugen
Und sich tief erquicken.
Im Nebel schlummern Tal und Flur;
Durch Sturmgebraus und Regen
Die tiefaufdonnernde Eisenspur
Saus' ich dem Morgen entgegen.
Es graut, und fahler Schein erwacht
Dort über jenen Höhen,
Ins Föhrendickicht verkriecht die Nacht –
Nur weiter in Lust und in Wehen!
Stoß aus, du eherner Koloß,
Die weiße Dampfessäule,
Trag mich vorüber an Dorf und Schloß,
Vorüber in rasender Eile!
Doch wie du stampfst und wie du jagst,
Vorschleudernd deine Pranken,
Stürmischer, als du stürmen magst,
Stürmen meine Gedanken.
O Heimat, Heimat, weicher Klang,
Tönst tief mir in den Ohren!
Ein Kind bin ich in meinem Drang
Und gleiche wohl armen Toren.
Doch berg' ich auch in frommer Scheu
Mein Haupt im Mutterschoße,
Menschheit, dir bin ich zum Tode treu,
Heilige, Ewige, Große.
Auf einem Stein bei der Sonne Scheiden
Übersann ich mein Kämpfen und Leiden.
Klar erzitterte auf einmal
Glockengeläute von Tal zu Tal.
Mächtig wollten die Abendglocken
Von dem Grunde der Erde mich locken.
Selig winkte weltweite Höh,
Sacht zu Boden flockte mein Weh.
Lächelnd, leuchtend im Liliengewande,
Leidlos schwebt' ich zum Lebenslande.
Höhnisch Heulen
Von herben Winden!
Rauhe Schauer
Rieseln durch Mark und Bein.
Wirbelnde Blätter
Von den Linden
Schleifen in öden,
Schlüpfrigen Schlamm hinein.
Wolken weinen da droben;
Pessimistische Zähren
Spritzt mir der Sturm ins Gesicht –
Leben voll Jammer und Schwären!
Trotzig dich wehren!
Kämpfend verklären!
Lockenschüttelnd das Haupt erhoben,
Seele voll Licht!
Freude gebären!
Modre, vermodre
Du nur, du nur im Sumpfe nicht!
Die Winterwasser rauschen,
Dem Bache muß ich lauschen,
Der unterm Brückstein quillt:
So rauscht das junge Leben
Und will das Schicksal heben
Und gurgelt so und schwillt;
Die Quadern bleiben liegen,
Das Wasser muß sich schmiegen,
Und schäumt's auch noch so wild.
Brause nur, Winterwind, brause,
Über die Berge, das Tal!
Nirgend bin ich zu Hause,
Wandre nur, wandre voll Qual.
Rosen, Syringen und Flieder,
Ach, wie so lange verblüht!
Frosthauch schüttelt die Glieder –
Bin zum Sterben so müd.
Matt gießt der Mond vom Wolkensaum
Die Wehmut in den Weltenraum;
Der Wind geht klagend vorüber,
Der Himmel wird trüb und trüber.
Der Himmel ist hoch und die Welt ist weit,
Ich bin verlassen in meinem Leid,
Ich eile die dunkeln Wege,
Daß ich zur Ruh mich lege ...
Ich sattle mir den Schimmel,
Einst Pegasus genannt,
Und reite durch Erde und Himmel,
Die Zügel in sichrer Hand.
Dem alten Dichterpferde
Ist meines nicht mehr gleich,
Sein Huf berührt die Erde,
Seine Nüster des Äthers Reich.
Der Schenkel stampft die Scholle,
Vom Hals trieft Wolkenschaum,
O traurig wundervolle
Jagd durch den Weltenraum!
Planeten seh' ich kreisen,
Gestirne blendend lohn –
Ich höre jeden leisen
Menschlichen Klageton.
In unmeßbare Weiten
Mein suchend Auge irrt –
Jede Träne fühl' ich gleiten,
Die hier geweinet wird.
Erschauernd faßt die Seele
Des großen Einklangs Bild –
Im Schmerz erstickt die Kehle:
O wundes Menschenwild!
Fand nun die fremde Stätte
Ja doch an keinem Ort,
Die mir verkündet hätte
Das letzte Lebenswort.
Die Jagdlust ist vergangen,
Todmüde wacht mein Sinn –
Ich lasse die Zügel hangen
Und trabe langsam hin.
Schon will der liebe Morgenschein,
indes die Vöglein singen,
Mir in die Kemenat' herein
mit süßem Lächeln springen.
Der du in diesem stillen Tal
mich oft geweckt am Morgen,
Sei mir gegrüßt, mein holder Strahl,
du lichter Tod der Sorgen!
Aufdringlich plagt die Finsternuß
verworrner Seelenkämpfe,
Und wie der Qualm Johannen Huß
umbraun mich Nebeldämpfe:
Die große Eitelkeit der Welt,
die Roheit, Dummheit, Lüge,
Und die mich stets am Grips noch hält,
der eignen Schwachheit Rüge;
Der Zweifel an berufner Kraft,
Mißtraun in stolze Sendung,
Die ungestillte Leidenschaft,
die Sehnsucht nach Vollendung.
Ein ganzes Bündel von Ideen,
ein wunderbarer Krempel,
Ach, könnt' ich aus mir selber gehn,
ich schmiss' ihn aus dem Tempel.
Doch da ich mal Karl Henckell bin
und leider nicht Hans Meier,
So führ' ich meinen Extrasinn
und meine Extraleier.
So leb' ich in den Tag hinein
und liebe gute Leute
Und setze über Stock und Stein,
bellt hinterdrein die Meute.
Herrn Drill und Söhne lieb' ich nicht,
der Kaiser ist mir schnuppe,
Des tollsten Rackers Angesicht
ist schöner als 'ne Puppe.
Ja, lieber ist mir noch der Lump,
verreckend hinterm Zaune,
Der Kunde lebt auf Schicksals Pump
und tanzt nach seiner Laune,
Und wenn du recht natürlich hopst,
bist du mir zehnmal lieber,
Als wenn du dich in Fischbein stoppst,
das Zwangskorsett darüber ...
Das Leben wird vom Tod erstickt,
drein wir uns selber schnüren,
Moral, sie heuchelt ihr Verdikt –
nur ja nicht daran rühren!
Nach Glück und Glanz und Gloria
Mit Peitschenhieb und Hussassa
Durch die Täler, über die Hügel! –
Mit schläfrigem Zügel,
Den Buckel voll Prügel,
Im Hundetrab
Durch öde Niedrung ins Bettelgrab.
Wenn du der Locken wilde Fluten
Ums Haupt dir schleuderst,
Heiliger Sturmwind;
Wenn deine Riesenrechte, Vater,
Baracken umstößt,
Morsche Eichenkönige totschlägt:
Blitz dein Auge,
Nacht dein Mantel,
Deine Rede grollend Donnergeroll –
Törichte Spiele
Spiel' ich die Tage,
Zielverlorne, kraftverratne,
Liebliche Träume
Spielt der vertändelnde Sinn –
Schamerrötend
Schlag' ich den kindlichen Blick
Sühnezitternd zu Boden,
Ihn zu Boden vor dir,
Heiliger Sturmwind!
Züricher Bilder
Das ist ein lustiger Springbrunn
Im Mittagssonnenglanz,
Glitzernde Tropfen tanzen
Den silbernen Sonnentanz.
Viel feuchte, leuchtende Funken –
Das schimmert und rieselt und glüht –
Der speienden Löwenhäupter
Gerunzelte Stirne sprüht.
Die Lindenblätter sich neigen
Und fangen den spritzenden Tau.
Am Becken kühlt und erquickt sich
Die müde Taglöhnersfrau.
In dieses grünen Parks Revieren
Fließt milder Hauch von Baum zu Baum,
Die jungen Mädchen gehn spazieren,
Das Leben ist ein Liebestraum.
An Tante Marlitt just ergötzt sich
Die breite Bonne neben mir,
Ein Greis in braunem Schurzfell setzt sich:
EvvivaWurst und Lagerbier!
Mit sorgenhaft vergrilltem Blicke
Spazierstockt ein Rentier daher:
»Auf nichts Verlaß! Die Welt voll Tücke!
Die Kurse sinken immer mehr.«
Ein Dutzend Kinder schlingt den Reigen,
Der Springbrunn silberne Funken speit,
Die Strahlen sprudeln, springen, steigen –
O wunderschöne Jugendzeit.
Am Brückenpfeiler dort zerschellen
Die Fluten, gurgelnd rauscht es hohl,
Ein Weib starrt trostlos in die Wellen
Und seufzt: »Wie wär' mir drunten wohl!«
Sie flieht den Strom mit leisem Stöhnen,
Frech gafft ein Geck ihr ins Gesicht,
Die Eisenhämmer drüben dröhnen,
Der Qualm verschlingt das Sonnenlicht.
Altes Züricher Volksfest zur Feier des Frühlingsanfangs
Heut haben sie den Winter verbrannt;
In höllischen Flammen stand
Der Tannzweighügel. Funken flogen
Rosasprühend. Rauchwolken zogen,
Schmutzgrau aufwirbelnd. Hoch auf der Stangen
Die Puppen wollten nicht Feuer fangen.
Aber jetzt ein Knall. Leuchtkugeln stiegen,
Die Puppen huben an, sich zu wiegen,
Von Glut gekrümmt und gefoltert,
Nickten sie stumm sich zu –
Lichterloh sind sie heruntergepoltert
Und verkohlt im Nu.
Um das Freudenfeuer im Kreise
Zogen die »Zünfte« nach Ahnenweise,
Zwar heut alles nur Spiel und Schein,
Muß doch jährlich gezunftet sein.
Meistens »bessere« Züricher Herrn,
Die da mit Zange und Knieriem marschierten,
Unter dem blauen Vergnügungsstern
Sich gewerkschaftlich amüsierten.
Käseblaß Schneiderlein neben mir,
Eben mit Frau und Kind noch gekommen,
Lächelte trüb ob der sauberen Zier
Dieser fröhlichen Innungsfrommen.
Und die »Schneider« schwangen die Scheren,
Tanzten wie Ziegenböcke vorbei,
Und den Amboß, den zentnerschweren,
Schleppten der stattlichen »Schmiede« drei.
»Bäcker« in mehlweißen Schürzen,
Schulternd mit Brezeln und Brot,
»Kaufherrn« mit Safran und Würzen
Schlugen den Winter feierlich tot.
»Wenn ich an meinem Amboß steh
Und hämmre lustig drein« –
Rot wehte der Flammberg in die Höh,
Becken und Pauken schmetterten ein.
Und das neugierige Publikum
Bummelt' in hellen Haufen herum.
Mädchenaugen noch einmal so keck,
Verliebten Mäusen der wahre Speck.
Schau! am Bäumchen zu meiner Seiten
Lehnten zwei Schwestern – Halleluja!
Da soll einen der Teufel nicht reiten –
Nektar und Ambrosia!
Äste prasselten laut zusammen,
Grünlich ringelten sich die Flammen.
Zu der fröhlichen Frühlingsmette
Schimmerte hell die Alpenkette ...
Lenzfrohes Lachen ... Teterete!
Bekränzte Nachen tanzten im See ...
Und die Züricher kreuzfidel
Spritzten ins Feuer der Freuden Öl.
Während der Mond aus blauen Fernen
Silberglanz auf die Türme goß,
Zogen die Zünfte mit Buntlaternen
Einzeln herum zu Fuß und zu Roß.
Immer von einem Zunfthaus zum andern
Mit Musik marschierend im Schritte,
Kommen und Holen, Reden und Wandern,
Grüßen, Zutrinken nach alter Sitte.
Freudenhäuser von vorn bis zuletzt
Krabbeldicht alle Türen besetzt.
Vier Polizisten leibwachten einen
Epileptischen Trunkenbold,
Kläglich fing der Mensch an zu weinen,
Daß er mit auf die Wache sollt'.
Aus allen Schenken Klaviergeklimper:
»Ach, ich hab' sie ja nur auf die ...« Lärm und Geschrei.
Harmonikaquieken, Gitarrengestümper ...
So ging der Winterkehraus vorbei.
Juchzer knatterten wie Raketen
Durch die ganze geschlagene Nacht,
Und von Trommeln und Trompeten
Bin ich am Morgen noch aufgewacht.
Die Lampions gaukeln auf dem See,
Laut zischen nach unten die sprühenden Garben,
Das Glühlicht scheint wie Mondesschnee,
Hellt weit die Flut vom hohen Quai,
Bengalisch leuchten die Farben,
Bis matt sie im Dunkel erstarben.
Die Königin der Gondeln naht
Langsam auf stolzem Spiegelpfad.
Der Buntlaternen zauberisch Tor
Spitzt diademisch sich empor.
Darunter spielt die Stadtmusik
Ein südlich Barkarolenstück.
Leuchtkugeln steigen und neigen
Ihr schön verscheidendes Haupt,
Brandfrösche knattern im Reigen,
Das Feuerrad schwirrt und schnaubt.
Vom Ütliberg aufschimmert's hell,
Mit Blenden grüßt das Kulmhotel.
Mattblinkend winken Mond und Sterne
Aus meeresdunkelblauer Ferne.
Das ganze Ufer schwarzgedrängt
Staunt in das rot-blau-grüne Spiel,
Die Fahne des Vergnügens schwenkt
Frau Neugier hoch am Vorderkiel.
Verliebte Leute, Bräute, Greise
Genießen laue Luft und Licht,
Der eine jauchzt, der summt was leise,
Der Dichter schaukelt sein Gedicht.
Er ist so farbenlustberauscht,
Er schaut in Wundertraum und lauscht,
Wie all die kleinen Lichter hüpfen,
Leuchtschlangen durcheinander schlüpfen,
Wie nach dem Takt der Melodien
Sie tanzen, kreisen, suchen, fliehn.
Die schwarzen Zuschauer, die flimmernden Nachen,
Er sieht sie mit Trauer, er sieht sie mit Lachen –
Das springt empor bei japanischem Licht,
Geistessprühfeuer bezaubert sie nicht.
Aber wir alle freun uns am Schein ...
Da schleift hochaufgedonnert pikfein
Starrblickende Dirne vorüber,
Sie lockt nicht der wellengespiegelte Schein,
Zwanzig Fränkli wären ihr lieber.
Ihre Hechtaugen spähen nach Beute,
Ein günstiger Fangabend heute.
Und hinter ihr an der Tochter Arm
Tastet ein blinder Mann durch den Schwarm.
Die Raketen platzen in seinem Ohr,
Er träumt mit dem Auge, das er verlor.
Sein Töchterlein muß ihm berichten
Von den schönen, bunten Geschichten.
Heut ist Jahrmarkt. Von den Buden
Wehn knallrote Taschentücher,
Abgefeimte Schacherjuden
Recken ihre krummen Riecher
Geiermäßig mit Geschrei
In den lindengrünen Mai.
Emmenthaler Käseriesen,
Frischer Stiefel Lederduft ...
Staub beweißt die jungen Wiesen,
Krämerdunst verdickt die Luft.
Wachstuch in den grellsten Farben:
»Einen Franken für den Rest!«
Blumenhüte, Rüschen, Barben –
Bärbel, denk aufs Pfingstenfest!
Rudolf, Baroneß Vetsera,
Farbenblutdruckkatastrophen ...
Firuli und Firulera
Spielt die Orgel. Spitze Zofen
Mit den Kleinen fürnehm eilen,
Schrupperfeen gierig weilen.
Ein Student zieht durchs Getriebe
Mit der schwesterlichen Liebe.
Die hat immer was nach hinten,
Maiprinz Amor lädt die Flinten.
Aus des Busens Knopfsaum wedelt
Rotverführerisch ein Zipfel,
Da wird auch was eingefädelt,
Angebändelt, liebgemädelt ...
Wollust weht der Lindenwipfel.
Schweigend in dem Schwarm der Schreier,
Schneebleich in der »Blauen Fahne«
Mit dem schwarzen Trauerschleier
Sitzt die schöne Kurtisane.
Leicht den Schleier von den Lippen
Schiebt die feierliche Schöne,
Vielgeliebte Lippen nippen
Bockbier beim Musikgedröhne.
Zu des Walzers wilden Takten
Zucken zarte, kleine Füße,
Auf die feinen, florbeflaggten
Wangen perlt des Lächelns Süße.
Aber schnell in ihre Grübchen
Scheucht sie die Verräter wieder,
Ernsthaft, ernsthaft senkt Vielliebchen
Jüngferlich die Augenlider ...
Mit der seidenschwarzen Flügelhaube,
Mit dem offenherzigen Purpurmieder,
Eine adlerhafte Turteltaube,
Singt sie zündende Revanchelieder.
Schluchzend Klagen dringen,
Wie sie wühlend klingen!
Jauchzend wogt's zum Schluß,
Und sie wächst beim Singen,
Wächst zum Rachegenius.
Voll begleitende Akkorde
Wogen noch eine Weile hin ...
Gorgo dräut unversöhnt,
»Bis, bis!« und »Bravo« dröhnt
Der hochstämmigen Elsässerin. –
Keck auf das Podium hüpft, die noch eben
Still memoriert,
Kaum aus dem Kind geschlüpft, aber das Leben
Längst schon probiert;
Die vollendet blühenden Beine
Gibt das flatternde Röckchen frei,
Rezitativisch quiekst die Kleine
Ihre geriebene Pariserei. –
Jetzt die Graziöse wiegt den Kopf
Und lächelt links und rechts
Mit wundervollem, blondem Zopf
Dickmaschigen Geflechts.
Sie trägt ein russisch Rosakleid
Mit schweren Perlenketten,
Ihr Atlasfüßchen weckt den Neid
Der bunten Amoretten.
Der Schalk springt aus den Augen ihr
Und tanzt von Tisch zu Tisch.
Wahrhaftig! Jetzo zwinkt sie mir
Verflucht verführerisch. –
Plump watschelt die fette Ente
Krumm vor das Auditor,
Vermummt die eminente
Zinnobernase vor.
Sie mimt den Vetter Trunkenbold,
Den alten Korporal,
Sein Auge schwimmt, sein Sauflied rollt
Und poltert durch den Saal.
Plötzlich faßt' er die Fahne,
Die rote, mit fester Hand,
Stramm Monsieur Antoine,
Der Impresario, stand.
Schnell rechts die Elegante,
Die Pipipepi links,
Glut auf die Tasten brannte
Die rächerische Sphinx.
Revanche, Revanche bis in die Kniee,
Alarm, Alarm vom Kopfe bis zur Zeh:
»Allons, enfants de la patrie,
Le jour de gloire est arrivé!«
Täglich seh' ich jenen jungen
Russen mir vorüberwehen,
Dessen Augen schmerzbezwungen
Düster vor sich niedergehen.
Bücher schleppt er unterm Arme,
Müd ist seines Ganges Weise,
Schleppt die Last von ewigem Harme –
Seine Lippen zucken leise.
Und der schwarze, kurzgeschorne
Bart umflort des Mundes Weh,
Traurig grüßt der Leiderkorne
Seines Volks Gethsemane.
Polizeikosakenknuten
Hör' ich auf ihn niedersausen,
Dumpfer Klagen finstre Fluten
Des Verbannten Ohr umbrausen.
Sklaventrägheit fühl' ich lasten
Bergesschwer auf seiner Seele,
Heißen Zornquell spür' ich hasten
Wildaufschäumend nach der Kehle.
Eisige Steppenkatakombe
Überfriert mich nordlichtklar,
Und zerschmetternd platzt die Bombe
Auf der Freiheit Blutaltar.
Wahrhaftig, schon zwitschern die Spatzen
Von den fließenden Dächern der Stadt,
Es zirpen und piepen die Matzen,
Sich puddelnd im sonnigen Bad.
Das ist ein fröhliches Schmelzen
Des schmutzig verwitterten Schnees;
Die Damen stolzieren in Pelzen
Zur Sommerkonfektionens'.
Pensionsgäns kokettieren,
Die Madame sieht es ja nicht –
Im Rollstuhl fährt spazieren
Die pensionierte Gicht.
Im See die winzigen Schollen
Rieseln und lösen sich los,
Blitzende Wellen rollen
Dem seligen Lenz in den Schoß.
Mich aber will es gemuten
So frisch und märzenjung,
Meine Schmerzen schmelzen und fluten
Ins Meer der Erinnerung.
Bunte Blumen, grüne Büsche,
Burschen, Mädchen Arm in Arm,
In der kühlen Morgenfrische
Locker schlendernder Frühlingsschwarm.
Übernächtige Gesichter,
Lange, lange noch nicht matt,
Lebenslustiges Gelichter,
Lange, lange noch nicht satt.
»Heut lieb' ich die Susanne
Und morgen die Marianne,
Halli, Hallo!
Wir leben so –
Vom lustigen Berge in die lustige Stadt.«
Der da mit ihren zerlockerten Haaren
Ist wohl die Unschuld gen Himmel gefahren
Heut in dieser selbigen Nacht;
Maiennächte sind Liebesschulen,
Lieblich ist es im Grünen buhlen,
Und kein Wächter der Sitte wacht.
In den schwärzlichen Augenringen
Kauert schläfrig gebüßte Lust,
Tüchtig hat das Feuer gerußt.
Aber mit silberreinem Singen
Sittige Dirnen vorüberspringen,
Maienglöckchen an keuscher Brust.
Aus dem offenen Bierhaus dringen,
Klingen Schalmei und Harmonika,
Klingen Harmonika und Schalmei;
Italiener mit lautem Geschrei
Feigenkränze zu Häupten schwingen,
Brezelweiber schleifen vorbei.
Schüchterne Sonnenstrahlen blinken,
Schimmerwellen am Waldesrand,
Ach, wie herrlich die Wipfel winken,
Lichte Buchen im Brautgewand!
Und noch ehe mit breitem Strahl
Siegreich mich die Sonne bestreicht,
Seh' ich in der Tiefe das Tal,
Habe des Berges Kulm erreicht.
Wolkenspiegelnd und funkenwiegelnd,
Perlgrau zittert der See.
Dicker Sonnenduft
Hüllt die ferne Luft,
Tief im Flor versinkt der Firnenschnee.
Um fünf Uhr früh schritt ich dem Berg entgegen,
Die Gaslaternen brannten Sonnenlicht,
Der Osten streute seinen blanken Segen
Den Mädchen an den Brunnen ins Gesicht.
Im Trabe kamen nach der Stadt gefahren
Milchleute, die schon nachts zu Wege waren.
Da draußen, wo sich's ländlich bald verlor,
Stand Bursch und Bäurin schon am Gartentor.
Nicht lange bin ich einsam fortgewandelt,
Wiewohl der Pfad gleich oben waldwärts bog.
's war Feiertag. Just Arm in Arm gebandelt
Ein Mädchenpaar an mir vorüberzog.
Sie trugen Riesensträuße in den Händen,
Gepflückt an Wiesenbach und Talschluchtwänden,
Und sangen Lieder in die helle Flur
Von Lieb' und Lust, von Heimat und Natur.
»Grüß Gott!« Sie schieden links, ich rechts zum Kamme,
Doch ihrem Duo lauscht' ich noch von fern.
Das ist ein lieber Zug am Schweizerstamme,
Die Lust zum Lied. Sie haben's »grüsli« gern.
Jetzt war's verweht. Nun sang es aus den Büschen,
Crescendoplätscherte der Quell dazwischen;
Er rann noch links vom Wege ziemlich flach,
Geräuschvoll schoß er rechts, ein heftiger Bach.
Die Kerzentannen spielten mit den Strahlen
Der weißen Sonne, die im Tau zersprang
Und Farben, wie sie keine Künstler malen,
In Perlenketten um die Erlen schlang.
Mutwillige Flügler schwirrten walddurchschweifend,
Bald mir den Kopf, bald tief die Gräser streifend,
Auf einmal aus dem Fichtendunkel schrie
Der Kuckuck seine Traummonotonie.
Am letzten Abend hatt' es fest geregnet,
Auf Dickichtwegen wurd' ich tüchtig naß.
Doch hab' ich die Beträuflung gern gesegnet,
Dies Frischgefühl – o welche Wonne das!
So in dem fetten Humus einzusinken,
Ob ihr mit vollen Backen
Trompetet Lug und Neid,
In tückischen Attacken
Garstige Granaten speit,
Ihr Helden von der Feder,
Vom kritischen Katheder,
Mir sitzt der Schalk im Nacken
In Lust und Leid.
Ihr seid die alte Meute,
Die schwarze Meute ja,
Ich aber läute, läute
Mein hell Halleluja.
Von meinem Fensterbrette
Pfeif' ich die Frühlingsmette,
Geburtstag feir' ich heute,
Was wollt ihr da?
Mir wirft die Post der Gaben
So viele auf den Tisch:
Die »Herzli« sind erhaben,
Die Kuchen süß und frisch!
Die Freundschaft streut mir Grüße
Und Blumen vor die Füße,
Die Liebe will mich laben
Verschwenderisch.
Die Sonne steigt im Osten,
Die Amsel ladet hell:
»Vom Lichtquell laß uns kosten,
Frischauf, frischauf, Gesell!
Nach all den toten Tagen
Wir mögen's wohl vertragen,
Die weichen Veilchen sproßten
Am jungen Quell.
Und laß dich's nicht verdrießen
Und laß dich's nicht gereun,
Den Guten auszugießen
Gesänge, die dich freun!
Die Merker und die Mucker,
Das sind die ärmsten Schlucker,
Die lieben in Verließen
Das Licht zu scheun.«
Die ihr mit plumpen Rüsseln
Mich schnuppernd untersucht,
Mit gelben Himmelsschlüsseln
Jag' ich euch in die Flucht.
Ihr seid die schwarze Meute,
Ich aber läute, läute
Und samml' auf Silberschüsseln
Goldsaftige Frucht.
Solang meine Seele noch leuchtet und blüht,
Das wonnige Leben, nicht werd' ich es müd!
Ich lausche den Rhythmen der rauschenden Welt,
Die klangvoll am ewigen Strande zerschellt.
Ich weide das Aug' am Geschmeide der Zeit,
Das funkelt in dunkler Unendlichkeit,
Ich atme der Freiheit Sturmwind,
Der die Knechtschaft schüttert zugrund,
Ich küsse der Wonne Wangen
Mit zitternden Lippen wund.
Solange der Geist mir noch fruchtet und trägt,
Der Baum meiner Freude, nicht sei er zersägt!
Ich sammle der Denker schwergoldene Saat
Und mahle den Weizen mit plätscherndem Rad.
Ich küre die schönsten Gedanken zum Tanz
Und winde der Wahrheit den schwellenden Kranz.
Ich grüße das werdende Gute
Mit hocherhobener Stirn,
Ich feire der reinen Erkenntnis
Hellglühende Rosenfirn.
Solang meine Seele noch leuchtet und blüht,
Solange der Geist mir noch fruchtet und trägt,
Das wonnige Leben, nicht werd' ich es müd,
Der Baum meiner Freude, nicht sei er zersägt!
Wie eine plumpe, graue Hand
Liegt heut der Himmel ausgespannt;
Die Riesin preßt mich nieder.
Der Atem stockt im Busen schier,
Erstickt der Mut, ein röchelnd Tier,
Erdrosselt Lust und Lieder.
Kein Laut, kein Licht, kein Hauch. – Mir graust.
O du verfluchte Riesenfaust,
Wie lähmst du mir den Nacken!
Unheimlich öde, dumpf und starr.
Ist das der Tod? Bin ich ein Narr?
Wird mich der Wahnsinn packen?
Zünd an! Ich muß was lodern sehn!
Aus dürren Gräsern grüßt mich Immergrün.
Rasch her damit und an die Brust gesteckt!
Noch einmal sei's gewagt und hoffnungskühn
Sei das Gespenst in seine Gruft geschreckt!
Nein, werter Freund, der du die Schlinge wirfst
Nach meiner Seele sinkendem Genick,
Vampir, der meines Geistes Blut du schlürfst,
Noch einmal in den Strauß um mein Geschick!
Zu Boden riß mich Unnatur der Zeit,
Mutter Natur, reck deinen Sohn empor!
Verfault, ihr Gräser der Vergangenheit,
Und du, neu Leben, quill, o quill hervor!
Der Tag ist tief im Niedergang,
Zwieleuchtet die Tapete ...
Wie fremd mir wird, wie erdenbang!
Ängstlich klagt des Windes Klang,
Wie wenn er Rettung flehte.
Die Frau vom grauen Ölbild schaut,
Als müßte sie mich verdammen.
Ihr sonnensterbend Auge taut
Tränen, daß mir glüht und graut ...
Schreckhaft zuck' ich zusammen.
Tief blutrot sinkt das Weinlaub hin,
Lichtnelken nicken scheidend,
Der Sommer zittert durch den Sinn,
Die Seele fühlt sich leidend.
Wenn sich die Seele leidend fühlt,
So mag sie leise klagen.
Der Sturm, der in die Wurzeln wühlt,
Soll er die Krone schlagen?
Durch Kron' und Wipfel schleicht es matt,
Wie tief zu Tod entmutet.
So müde bin ich wie das Blatt,
Das dort zu Boden blutet.
Grau liegt die Luft, der Wind fliegt bang,
Der Regen rinnt, den Wald entlang
Zieht Seufzerzug, singt Grabgesang ...
Nun streut die Schwermut ihre Keime
In angstgefurchte Herzen ein,
In dunkel abgetönte Reime
Verhüllt der Dichter seine Pein.
Ach, wer sein Weh zu Rhythmen flicht,
Der ist noch lang der Ärmste nicht;
Doch wer um Glück und Lust betrogen
Die Stirn an Fensterscheiben preßt,
Wer grauenschwer hinabgezogen
Sich tief und tiefer treiben läßt;
Wem Kraft und Wille treu selband
In Unkraft und Verzweiflung schwand;
Wer schon zu müd, den Feind zu fassen,
Der ihn erwürgt, zum Tod gelassen,
Verkohlend sich in Asche schiebt
Und nicht mehr leuchtet, nicht mehr liebt –
Kein Klang reißt die zerstampfte Seele
Aus ihrer dumpfen Kerkerhöhle ...
Die Luft liegt grau, der Wind fliegt bang,
Der Regen spinnt, den Wald entlang
Zieht Seufzerzug, singt Grabgesang ...
Es ist ein großer Mörser,
Drin stoß' ich klein mein Leid,
In alle Winde schütt' ich es,
Die wirbeln's weltenweit.
Wie trommelt dumpf mein Mörser,
Wenn meine Seele schreit!
Mein Wehe wird zerrieben
Im Mörser Ewigkeit.
Das ist der bleiche Winter:
Eiszapfen in der Hand,
Am Wolkenwebstuhl spinnt er
Elend und Liebestand.
Sein Atem überschauert
Mit Schneekristall das Land,
In Frost und Nöten kauert
Armut am Herdesrand.
Auf spiegelblankem Eise
Sportlust ist heiß entbrannt,
Venus im Pelz zieht Kreise
Um ihren Leutenant.
Das ist der bleiche Winter:
Eiszapfen in der Hand,
Am Wolkenwebstuhl spinnt er
Elend und Liebestand.
Soll ich es einmal sagen,
Wie tief ich trostlos bin?
Ich hab so viel verkündet
Vom Glück, das mir verbündet,
Ich darf es fast nicht wagen –
Soll ich es einmal sagen,
Wie tief ich trostlos bin?
Arm, der die Welt umschlossen,
Sinkst mir so schläfrig hin.
Die Früchte lass' ich fallen,
Der Mund zu träg zum Lallen,
Die Seele gähnt verdrossen –
Arm, der die Welt umschlossen,
Sinkst mir so schläfrig hin.
Nun treiben alle Tage
Gleichgültig ab und zu;
Wie trinkt mein Aug' noch Leben?
Wo fühl' ich's brausend beben?
Kaum dämmert dumpfe Sage –
Nun treiben alle Tage
Gleichgültig ab und zu.
Dicker Nebeldunst drückt den See, die Stadt,
Wie der blasse Mond lugt die Sonne matt.
Nur am Ufer dampft sich die Welle frei,
Und der Schwaden rollt trüb und schwer vorbei.
Kahle Äste schaun schwarz und hilflos her,
Und sie feiern doch grüne Wiederkehr.
Wenn der Winter weicht, rieselt's lustig los,
Wenn der Frühling kommt, ist die Wonne groß.
Meines Lebens Saft nur ist ganz verzehrt,
Und kein Lenz ist mehr meiner Kraft beschert.
Wie des Dampfers Rauch in den Nebel kriecht,
Meiner Seele Hauch in das Nichts versiecht.
Heut ging ich müßig
Den ganzen Tag,
Nun bitter büß' ich
Den Mißertrag.
Umhergetrieben
In Markt und Stadt,
Und nichts geblieben,
Was Tiefe hat.
Ein flaches Tändeln
Mit der und der,
Ein schwaches Pendeln
Die Kreuz und Quer.
Bei Büchsenschießen
Und Budenschrein
Ein halb Verdrießen
Und Nichtsgedeihn.
Der Schwarm der Grillen
Schwirrt stechend um,
Mich einzuhüllen
Mit Summ und Brumm:
»Was gingst du müßig
Den langen Tag?«
Und bitter büß' ich
Den Mißertrag.