Gesammelte Lyrik - Karl Henckell - E-Book

Gesammelte Lyrik E-Book

Karl Henckell

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Beschreibung

Karl Friedrich Henckell war ein deutscher Lyriker und Schriftsteller. Dieser Band beinhaltet seine schönsten Gedichte in den Sammlungen: Buch des Lebens Buch des Kampfes Im Weitergehn Weltmusik

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GesammelteLyrik

Karl Henckell

Inhalt:

Karl Friedrich Henckell – Biografie und Bibliografie

Buch des Lebens

Hymnus an das Leben

Aufschrei

Durch die Maiennacht

Gewitter

Gebet

Dämon

In Qualen

Psalm der Freude

Im Kasernenarrest

Alter Berliner Weihnachtsmarkt

Die Zwei

Vagabunden

Meiner Mutter

Heimfahrt

Auf einem Stein

Trotziges Leben

Ergebung

Wandrer

Weltenritt

Wie wir's lieben ...

Ein Leben

Tatenlos

Züricher Bilder

Springbrunn

Promenade

»Sechsläuten«

Venezianische Nacht auf dem Zürichsee

Maimarkt

Vielliebchen

»Troupe internationale«

Im Exil

Es taut

Himmelfahrt

Morgenwanderung

Trutzlied

Hymnus

Angst

Immergrün

Im Zwielicht

Leise Klage

Schwermut

Der Mörser

Winter

Müde

Melancholie

Müßiggang

Bettler

Windmühle

Frau Welt

Zwischensommer

Frühlingsspiel

Mein Ça ira

Lebensplan

An Tomarkin

Kling! ...

Durchs Frühlicht

Wandlung

Anders

Meine Welten

Besinnung?

Frage

Schattenfroh

Friedensgruß

Im Morgenschiff

Dank dir, Erde!

Neues Leben

Symphonie in Stanzen

Ausgleich

Zeichen der Seele

Verlust und Trost

Das Wundervöglein

Beschwörung

Dauersinn

Grundton

Mein Pakt

Erkenntnis

Lockung

Rosenstimmen

Winzer Tod

Unbekümmert

Die Tanne

Runen

Mein Herz

Nicht genug!

Gesang des Pilgers

Ach ja!

Nachdank

Wanderziel

Diesseits

Inschriften

Höher!

Erscheinung

Am Rhein ob Ragaz

Kleine Symphonie

Rückkehr zur Weltstadt

Totenfrühling

Schmerz und Verklärung

Letzter Verzicht

Stiller Gruß

Aus der Tiefe

Hüttenlicht

Schnitterlied

Tischlied im Freien

Das Mütterchen

Die gelbe Rose

Dreiklang der Seele

Sei stark!

Geh in die Sonne!

Gefahr

Gaudeamus igitur!

Mein Weinlied

Beim Tiroler

Am Glücksrad

Lied des Todes

Höhenblick

Vision

Verzicht und Erhebung

Weiter!

Die schöne Welt

Einem fernen Freunde

Unser Hufeisen

Glück

Lebensbrot

Zuflucht der Seele

Brandopfer

Schicksalswahl

Kronenträger

Der Kreuzfahrer

Kruzifixus

Proteus Seele

Unterirdischer Weg

Lebensschale

Die kommenden Tage

Alte Heimat

Aufwärts

Leben

Die Berufung

Das Diadem

Weihnacht

Ein Oster-Requiem

Die alte Linde

Rote Rosen

Lebensbrandung

Lethe

Welt

Klage der Jünglinge

Auferstehung

Buch des Kampfes

Das Lied des Steinklopfers

Am Brückenrande

Morgengruß

Das Lied vom Eisenarbeiter

Psalm

Ruhe, meine Seele

Reif ist die Frucht

Lied auf der Heide

An die Jugend

Wandelbilder

Sedanfeier

Kommen wird der Tag ...

Durch!

Eisgang

Sturmsegen

Im Schachte der Zeit

Näherin im Erker

Die Engelmacherin

Lebenslauf

Der Korpsbursch

Frau Finkenstein an ihre Tochter Eva

Pump von Pumpsack

Die Dirne

Klingelbeutel

Die Dampfwalze

Schwül

Kurze Elegie

Im Café

Schwirrende Schwalben

Friedhof

Christnacht

Lockspitzellied

Bürgersöhnchen

Ein weißes Blatt

Des Schülers Klage

Prometheus

Ulrich von Hutten

Giordano Bruno

Daniel Defoe1

Fußnoten

Bekenntnis

Fichte

Deutsches Lied

Die kranke Proletarierin

Neuland

Gerechtigkeit

Sicherheit

Memento der Freiheit!

Sozialreform

Russisches Armband

Streik

Te Deum

Dampfernte

Ausgebaggert

Schornstein und Blitzableiter

Nachwuchs

Arbeiterlied

Das Ausnahmegesetz

An die deutsche Nation

Der Polizeikommissar

An das ideale Proletariat

Zwiegespräch

Herzschlag

O Mutter!

Vom Rigi

Trutznachtigall

Von Volkes Gnaden

Mein Ziel

Blut und Bomben?

Majestätsbeleidigung

Gründeutschland

Den Feinden

Verdämmernde Zeiten

Statistik

Viadukt

Zwei Welten

Zukunftsblüte

Gesang der »modernen Barbaren«

Lied der Armen

Moderne Musen

Schach dem Schicksal!

Auf!

Nein

Weltmai

Zu zwei Rokoko-Assietten

Börsencafé

An den Zaren

Ist's genug?

Vom 18. März 1871

Französische Erwartung

Krieg dem Kriege

Unser Kamerad

Im Kerker1

Fußnoten

Die Freiheit1

Fußnoten

Flirt

Tadellos

Spiel-Adel

Trauung

»Vornehm«

Protektion

Die Not

Schwertblüte

Der Geisteskämpfer

Der Zukunftsdichter

Kaiser und Arbeiter

Arbeit und Bildung

Sang der Thüringer Tannen

Das große Ungeheuer

Von der Friedrichstraße

Des Großstadtjungen Traum

Weihe

Erkenntnis

Utopia

Doppelte Sehnsucht

Türmerlied

Okishima

Die Hyäne

Apokalypse

Der Riese

Ihr Weltmai

Feuerbrand

Aufschwung

Sturm

Seinestimmung in Paris

Carmagnole

Der Heilige Nimbus

Simson und Delila

Suum cuique!

Sieger

Bismarck

1. Dem Einiger

2. Dem allmächtigen Gegner

3. Dem Toten

Ferdinand Lassalle

Walstatt

Wohlauf!

Die Welle

Junge Gäste

Heimkehr vom Werk

Hymne an Zeppelin

Geistesruf

An die neue Jugend

1. Geleit

2. Parole

Die Kanone

Basel

Zur neuen Welt1

Fußnoten

Wilder Jäger

Deutsche Wandlung

Selbsttreue

An Deutschland

Auf Wacht

Weihnachtsaat

Der große Pflüger

Komm, o Pfingsten!

Schicksalssterne

Ostern 1917

Pfingsttrost 1917

Es werde gar!

Hexengeflüster

Kurze Ode

Stimme des Berges

Soldatentraum

An den Kaiser!

Der rote Vogel

Freiheits-Gesang

Sehnsucht

Deutsche Pfingsten 1919

Neuer Bund

Deutsche Not

Nach uns die Sündflut!

Buch der Sprüche

Leben / Gesellschaft / Kunst

Natur

Einkehr

Richtung

Was not tut

Gott

An die »Wohlanständigen«

Neueste Mode

Zukunftsbrot

Das Urteil von Chicago

Umkehrung

»Tendenz«

Irrtum

Byzanz

Keil

Zollerigula und das Tatarenroß

Schuldfragen

Praktisch

Widmung

Fee Gloria

Frühlingskorn

Dichtung und Arbeit

Elektrizität

Eigener Weg

Wahlspruch

Meister

Dichterorden

Wichtigtuer

Einem Zaghaften

Orchis poetica

Pegasus-Publikum

Zensur

Wirken – Verzichten

Deutscher Frühling

Der bessere Patriot

Wahrheit nach unten und oben

Falsche Phrase

Heuchler

Individuell

Lebe!

Dankbarkeit

Einem Aszeten

Einheit

Schlagworte

Den »Traditionellen«

Das Leben ein Brief

Mängel der Kritik

Die Kritikaster

Künstlersonne

Ziel der Frauen

Schillerzitat

Blutige Wahrheit

Dollar Imperator

Meine Freiheit

Mein Neujahrswunsch

In ein Studentenjahrbuch

»Man«

Ausgelacht

Zwischenraum

Mensch und Partei

Stille halten

Überlegen

Der Snob

Den Totengräbern

Weg zur Kunst

Zu einer Kriegsradierung

Kämpferin Kunst

Der frische Wind

Zukunftsdank

Gemeinwirtschaft

»Freiheit«

Gewaltstaat

Diktatur

Fanatiker

U.A.w.g.

Fußnoten

Auf eine Kranzschleife

Unbekümmert

Dauerrecht

Enttäuschung

Unverzeihlich

Literarische Falschmeldung

Humor

Jahresringe

Kleiner Hort

Heimspruch

Wegebahner

Mein Motto

Größte Sünden

Unverloren

Läuterung

Das letzte Wort

Im Weitergehn

Im Weitergehn

Das Gedicht

Frühlingsabend

Maienmorgen

Nachtigallen am See

Maifahrt

Flöte im Walde

Vor Sonnenuntergang

Hochsommer

Herbstmorgen

Weiße Nacht

Entführung

Lied des Todes

Parkpromenade

Bei München

Wotanseiche

Unser Hufeisen

Amsel vorm Fenster

Harter Traum

Heimliches Licht

Heimweg am Fluß

Sternenbitte

Vision im Reif

Weiter!

Die schöne Welt

Verzicht und Erhebung

Schicksalswahl

Leben

Mein Sanssouci

Geh in die Sonne

Zuflucht der Seele

Glück

Lebensbrot

Mutbringer

Der Kreuzfahrer

Kruzifixus

Neues Leben

Der Kronenträger

Aufschwung

Sturm

Seinestimmung in Paris

Carmagnole

Weihnacht

Hymnus an das Leben

Form und Leben

Der Heilige Nimbus

Modernes Ketzergericht

Am Glücksrad

Sprüchlein

Stille halten

Weg zur Kunst

Mein Neujahrswunsch

Einem fernen Freund

Sonnentod

Das Kellerglas

Letzter Abschied

Der tote Recke

Johannes Brahms

Liliencron

Verlorene Poeten

Sieger

Wächterin

Unterirdischer Weg

Proteus Seele

Wildbach

Höhenblick

Lebensschale

Die kommenden Tage

Weltmusik

Die Berufung

Leben

Das Diadem

Aufwärts

Weltmusik

Lebensbrandung

Geistesruf

Ein Oster-Requiem

Totenfrühling

Weihnacht

Heimkehr vom Werk

An die neue Jugend

Junge Gäste

Alte Heimat

Heimat des Herzens

Erster Ertrag

Mein Dank

Mein Weinlied

Beim Tiroler

Beim Rheinwein

Der Augenblick

Der schönste Kranz

Der Tröster

Humor

Jahresringe

Kleiner Hort

Zu einer Kriegsradierung

Kriegsdutzendlyrik

Kämpferin Kunst

Wegebahner

Heimspruch

Mein Motto

Festrede zum 100sten

Im Gefängnis

Das alte Tor

Der Fliederstock

Eduard Mörike

Ludwig Uhland

Die Wächterin

Hymne an Zeppelin

Die Welle

Wohlauf

Basel

Wilder Jäger

Bismarck

Deutsche Wandlung

Sir Roger Casement

Kosakendank

Krieg

An Italien

Die Kanone

Selbsttreue

An Deutschland

Auf Wacht

Mensch und Partei

Zukunftsdank

Der frische Wind

Weihnachtssaat

Komm, o Pfingsten!

Der große Pflüger

Schicksalssterne

Ostern

Pfingsttrost

Es werde gar

Die alte Linde

Hexengeflüster

Kurze Ode

Stimme des Berges

Soldatentraum

Gesammelte Lyrik, K. Henckell

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849627560

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Dieses Werk bzw. Inhalt und Zusammenstellung steht unter einer Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz. Die Details der Lizenz und zu der Weiterverwertung dieses Werks finden Sie unter http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/. Der Inhalt und die Zusammenstellung oder Teile davon wurden der TextGrid-Datenbank entnommen, wo der Inhalt und die Zusammenstellung oder Teile davon ebenfalls unter voriger Lizenz verfügbar sind. Eine bereits bestehende Allgemeinfreiheit der Texte bleibt von der Lizensierung unberührt.

Karl Friedrich Henckell – Biografie und Bibliografie

Lyrischer Dichter, geb. 17. April 1864 in Hannover, verstorben am 30. Juli 1929 in Lindau. Studierte Philosophie in Berlin, dann in München, ließ sich 1886 in Lenzburg in der Schweiz nieder und lebt jetzt als Verlagsbuchhändler in Berlin. In seinen Dichtungen zeigt H. neben seiner sozialistischen Gesinnung viel sprachliche Begabung, echt lyrische Phantasie, aber es fehlt ihm Selbstkritik und die Fähigkeit, ein größeres künstlerisches Werk aufzubauen. Von ihm erschienen: »Umsonst. Ein soziales Nachtstück« (Berl. 1884); »Poetisches Skizzenbuch« (Minden 1885); »Strophen« (Zürich 1887); »Amselrufe« (das. 1888, 2. Aufl. 1890); »Diorama« (das. 1890); »Gründeutschland« (1890); »Trutznachtigall« (Stuttg. 1891); »Aus meinem Liederbuch« (Münch. 1892); »Buch der Freiheit« (Anthologie, Berl. 1894); »Zwischenspiel« (Lieder vom heimlichen Kaiser, Zürich 1894); »Gedichte« (das. 1898); »Gedichte für das Volk. Eine Auswahl« (das. 1901), »Aus meinen Gedichten« (das. 1902); »Gipfel und Gründe«, neue Gedichte (das. 1904), ausgewählte Gedichte u. d. T. »Mein Liederbuch« u. »Neuland« (Leipz. 1903) und die kritische Studie »Moderne Dichterabende« (Zürich 1895). 1895–99 gab er die »Sonnenblumen. Flugblätter der Lyrik« (Zürich) heraus.

Buch des Lebens

Ruft das dichterische Werk des Lebenden nach einleitendem Wort und selbstbiographischen Daten? Hat nicht seine eigentliche Existenz ihren annähernd wesensgemäßen Ausdruck gerade in den mannigfaltigen Versschöpfungen vieler Jahre gefunden, aus deren geschlossener Gliederung die folgenden Bände sich wie von selbst zu einem rhythmischen Bilde seiner Natur und seines Werdeganges gestalteten? Ganz gewiß, für Aufnahme und Wirkung dieser meiner, im engeren und weiteren Sinne, lyrischen Lebensbekenntnisse wäre kaum erforderlich, eine Skizze der äußeren Vorgänge und Umstände voranzuschicken, in denen sich von der Geburt bis zum gegenwärtigen Tage mein Dasein auch sonst bezeugt und abgespielt hat. Was einmal irgendwie Kunst ward, trägt ja immer den Führer in sich, der auf jede Frage die feinste und gültigste Antwort gibt.

Wenn ich beim Überblicken meiner bisherigen dichterischen Ernte, wie sie in der Scheuer dieser Ausgabe geborgen ward, mich gleichwohl veranlaßt fühle, hier in aller Kürze die Kurve meines Lebens nochmals zu zeichnen, so geschieht das vor allem im Hinblick auf einige, wie ich glaube, besonders bedeutsame Momente, die sich in der Laufbahn eines deutschen Dichters meiner Art und in der Geschichte seines Werkes als charakteristisch für unsere Zeit und für mich selbst offenbaren.

Als die Preußen die Düppeler Schanzen stürmten, kam ich in der Residenzstadt des damaligen Königreichs Hannover zur Welt. Mein Vater stammte aus Bodenfelde bei Karlshafen an der Weser, wo der Solling seine knorrigen, uralten Eichen zum Himmel reckt. Er war Kaufmann und hatte besonders mit Getreide gehandelt, daneben auch in seinem Heimatort das Ehrenamt des Bürgermeisters verwaltet. In Hannover lebte er mehrere Jahrzehnte hindurch als Hausbesitzer und Rentner. Hochbetagt starb er Ende der neunziger Jahre zu Lenzburg in der Schweiz. Ich habe vier Geschwister, zwei Brüder und zwei Schwestern, die ebenfalls in der Schweiz leben, mit Ausnahme des ältesten Bruders, der in jungen Jahren nach Amerika auswanderte. Meine Mutter war hessischer Geburt – ihr Stammbaum führt ins Lippe-Detmoldische – und eine Tochter des kurfürstlichen Hof- und Garnisonspredigers Dr. Piderit in Kassel, der wegen »Renitenz« in allerhöchste Ungnade fiel, später Archivrat wurde und eine Geschichte Hessen-Kassels geschrieben hat.

Mit zwei Jahren, als bei Bismarck verschiedene Fürsten ihrerseits »in Ungnade fielen«, die er auch Knall und Fall davonjagte, wurde ich als preußischer Untertan dem expansiven Nachbarstaate einverleibt. Ich bin also eigentlich »Mußpreuße«. In meiner Kindheit war ich nicht selten Zeuge von Scharmützeln zwischen Schulbuben aus Familien von angestammter Welfentreue und solchen aus neuzugezogenen preußischen Militär- und Beamtenkreisen. Mein Vater huldigte, mit starker Reserve gegen jedes allzu schneidige »Stockpreußentum«, einem gemäßigten Fortschritt und zählte sich zu den Nationalliberalen Bennigsenscher Richtung. Ich war für deutsche Einheit und Einigkeit, die ich mir jedenfalls viel einfacher dachte, als sie war und ist. Mit sieben Jahren gab es Siegesjubel mit Sedanfeier, Monstre-Konzert und großer Illumination. An Kerzen wurde auch bei uns nicht gespart. So wuchs ich in kindlicher Hurrastimmung und Reichsbegeisterung heran. Mein Gott, wie gern holte man dazu frisches, grünes Eichenlaub aus der nahen »Eilenriede« und wand die ersten patriotischen Reime um das Bild des greisen Helden-Kaisers! Als Quartaner vertauschte ich sogar schon das alte städtische Lyzeum mit dem neugegründeten Kaiser-Wilhelms-Gymnasium. Von da an sah ich nun erst recht bis auf weiteres die Weltgeschichte mit Hohenzollernaugen an. Geibels »Heroldsrufe« waren damals auch mein geliebtes Evangelium ... In Unterprima stellten sich, hauptsächlich wegen Mathematik, Unstimmigkeiten ein, und ich ging ab. In Kassel wurde ich glücklich reif für Leben und Universität. Bei der öffentlichen Schlußfeier hielt ich die deutsche Rede »Über das Volkslied«.

Als Studiosus der Philologie ging ich zunächst nach Berlin, wohin mich frühangesponnene literarische Fäden und Fehden zu den »kritischen Waffengängern« Heinrich und Julius Hart zogen. Ich wurde regelmäßiger Mitarbeiter ihrer Monatsschrift. Bald erschien, bei Bruns in Minden, mein lyrisches Konfirmationsbrevier, das »Poetische Skizzenbuch«, mit melancholischen Niederschlägen vom Spreeufer. In ihm stand auch schon das »Lied des Steinklopfers« und ein paar andere soziale Verse, die ich vom Straßenbild der Reichshauptstadt ablas. Das Elend und die Kontraste der Welt griffen mir ans Herz und drängten nach Ausdruck. Ohne Zweifel – keine Richtung oder Schule hat mich zum Dichter gemacht, sondern die Natur und das Leben.

Im Gefühl keimten die Samenkörner auf, die der Wind der modernen Welt geheimnisvoll daherwehte. Den jungen Dichtern wandelten sie Weise und Wort. So auch mir.

Meine Nerven waren überreizt. Ein Heidelberger Sommer mit Odenwaldlüften brachte Genesung. In Hannover diente ich als Infanterist mein Jahr ab. In Uniform schrieb ich, eben zwanzigjährig, das eine Vorwort zu den »Modernen Dichtercharakteren«, die Dokumente einer neuen Geistesströmung waren und bekennerisch wirken sollten. Das andere Vorwort schrieb Hermann Conradi aus Magdeburg. Beim Militär mußte ich vieles mit ansehen, was empörte und sich tief eingrub.

Nach kurz abgebrochenem Wintersemester in München, wo Michael Georg Conrad mit Bomben und Granaten Bresche in die Festung des schöngeistigen Epigonentums legte, und wo ich auch mit Wolfgang Kirchbach, Martin Greif und Heinrich v. Reder in persönlichen Verkehr trat, kam ich zur Entspannung ins hannoversche Elternhaus zurück und reiste sodann im nächsten Frühjahr frischen Mutes und Entschlusses in die republikanische Schweiz.

Von Zürich als literarischem Hauptquartier, wo ich auch meine Universitätsstudien fortsetzte, gab ich Ende der achtziger Jahre einen Gedichtband nach dem anderen heraus. Ihre Hauptelemente waren leichter Liebesfrühling und schwere soziale Gewitterstimmung. Ersteres wurde, als harmlos, beifällig, letzteres hochnotpeinlich aufgenommen. Die Rezensenten hielten sich das Taschentuch vor die zarte Nase, und der preußischen Regierung ging ich auf die, allerdings weniger zarten, Nerven. Nur wegen meiner Verse – anders war ich politisch überhaupt nie aktiv – wurde ich auf Grund des Sozialistengesetzes kurzerhand als »gemeingefährlich« verboten. Damit war mein Bücherschicksal in Deutschland, auch nach dem Fall des Ausnahmegesetzes, auf Jahrzehnte besiegelt. Traditioneller Boykott, erheblich verstärkt durch notgedrungenes Selbstverlegertum, suchte mich auch buchhändlerisch auf lange Zeit hinaus unmöglich zu machen. Jahre des oft verzweifelten Kampfes um menschliche und dichterische Selbstbehauptung folgten. Die Wilhelminische Epoche ließ es mir verflucht schwer werden. Aber sie hat mich keinen Augenblick untergekriegt. Auch als Deutschen nicht.

In Zürich lernte ich Gottfried Keller, Arnold Böcklin und Conrad Ferdinand Meyer kennen, in Bern Joseph Viktor Widmann. Ihre Würdigung und Sympathie taten mir wohl, ihre Persönlichkeit und Atmosphäre förderten mich innerlich. Ich trieb weiter Sprachstudien, übersetzte, hielt Vorträge über Literatur und brach so zuerst für Liliencron und die deutschen »Neutöner« beim schweizerischen Publikum eine Gasse.

Eines Tages besuchte mich ein Hofrat aus Koburg und machte mir auf dem Sonnenberg bei Zürich den liebenswürdigen Vorschlag, gleich mit ihm zu reisen, er wolle mich seinem Herzog vorstellen. Ich lehnte verbindlichst dankend ab. Nicht aus plumpem Fürstenhaß natürlich, der mir völlig ferne lag und liegt, sondern aus purer Antipathie gegen »Karriere«. Theodor Storms Verse »Für meine Söhne« waren mir zu lieb:

»Was du immer kannst zu werden,

Arbeit scheue nicht und Wachen;

Aber hüte deine Seele

Vor dem Karriere-Machen!«

Ich hatte es nie zu bereuen. 1890 wurde ich – mein Herz schlug längst republikanisch – Schweizer Bürger im Kanton Zürich.

»Amselrufe« und »Trutznachtigall« warben mir wertvolle Freunde, auch jenseits des Ozeans. Zeitweilig hielt ich mich in Wien, Mailand und Brüssel auf. So erweiterte ich meinen Horizont und befreite mich aus quälenden Herzensketten. Von Brüssel aus datierte ich das Vorwort zu meinem »Buch der Freiheit«, einer umfangreichen Sammlung sozialer Freiheitsdichtungen von Goethe bis zur Gegenwart, von Byron und Shelley bis auf Dehmel und Mackay. Fast das ganze Werk schrieb ich eigenhändig aus den Quellen ab, wodurch ich mir seinen Gehalt noch stärker zum wirklichen Besitz machte.

Über solcher literarischen Pionierarbeit der Zukunft vergaß ich nicht, dem ewigen Liede Pans zu lauschen. Natur und Liebe lockten mich in ihr stilles, träumerisch versonnenes Reich. Die Kunst übte ihre erlösende, kampfverklärende Gewalt. Aus Liebesgrund wuchs Lebensbund, aus Lava blühte der Wein des »Neuen Lebens«.

Vom Züricher See ließ ich Flugblätter der Lyrik in die Lande flattern, »Sonnenblumen«, die den Samen der Dichtung in manches empfängliche Herz senkten. Mit den Künstlern des rhythmisch gegliederten Wortes aus Vergangenheit und Gegenwart verkehrte ich wie mit Freunden, deren geheimstes Wesen ich in horchender Zwiesprache zu ertasten suchte.

1902 vertauschte ich das idyllische Heim am Schweizer See mit dem geräuschvolleren Charlottenburg. Es war ein neuer Sprung von einer für mich unberechenbaren Tragweite. Von eigenen Werken gab ich noch das Buch »Gipfel und Gründe« in Druck, warf rote Gedichthefte mit Fidusbildern zu Kolportagepreisen ins Volk und löste dann nach und nach meinen Verlag auf, bei dem ich zwar materiell keine Seide gesponnen, aber ideell mein Ziel entscheidend gefördert hatte und schließlich mit einem blauen Auge davonkam.

Nachdem ich mir in solcher Weise und als öffentlicher Sprecher eigener Gedichte auf volkstümlichen Kunstabenden verschiedener Städte, die meinem Schaffen gewidmet waren, ein Wirkungsfeld nach außen bereitet hatte, tauchte aus der treibenden Flut der Berliner Tage in rhythmischen »Schwingungen« das Eiland der Seele silberschimmernd neu empor.

Auf einmal winkte von Süden München. Zwischendrein erfrischte das Herz ein Frühling und Sommer in Mecklenburg, an der Waterkant, in Hamburg, wo ich Detlev von Liliencron und Gustav Falke besuchte, in Hannoverland an der Weser auf Väterspuren. Seit Herbst 1908 bin ich an der Isar in München-Bogenhausen, gegenüber dem Englischen Garten, ansässig. Die herbfrische Luft, die von der hier mövenreichen und nicht selten wildüberschäumenden Tochter der Berge mit zu Tal gebracht wird, feite mich wohl auch gegen vorzeitiges Stockigwerden. »Im Weitergehen« faßte ich allmählich festeren Fuß auf dem Boden einer Welt, die Schmach und rohe Gewalt der Zeit nicht so leicht mehr ins Schwanken bringen.

Freilich – die schwerste Probe war noch zu bestehen. Sie kam mit dem Weltkrieg auch für mich. Das Chaos riß Geist und Seele in seine aufreibenden Wirbel. Alles, was ich mir lebenslang mitfühlend, mitdenkend, mitschaffend an der Veredlung der menschlichen Kulturgemeinschaft, wie in Fleisch und Blut verwandelt, errungen hatte, schien mit grauenhafter Unheimlichkeit jählings in Frage gestellt. Nur die unbedingte Mitverbundenheit am Schicksal des deutschen Volkes war für mich jenseits aller Fragestellung. Im festen Rhythmus der »Weltmusik« suchte ich mich selbst zu behaupten und lähmendes Verstummen zu bannen.

Aber merkwürdig: Gang, Ausgang und Folge des Krieges, alles, was mit welterschütternder Wucht durch ihn selbst offenbar ward, diente nun erst recht dazu, meine innerste Anschauung von der notwendigen Umgestaltung und Erneuerung der Volksgemeinschaften zu bestätigen und zu verstärken. Die wesentlichen Elemente einer in Gefühl und Erkenntnis wurzelnden Sinnesart, wie sie längst vor Ausbruch des Krieges mir eigen war, hielten schließlich doch dem wahnsinnigen Wirrwarr des allgemeinen Zusammenbruches stand und sammelten sich allmählich mit verdoppelter Kraft der Selbstbejahung. Das Ideal der Freiheit, wie es so manchen meiner Kampfgesänge leidenschaftlich durchdringt, hat nicht Schiffbruch gelitten, das Gestade von Neuland taucht wieder im Nebel auf. Wir wollen wie das Heimchen sein, das an Bord des Columbus auch der irre gewordenen Bemannung in tiefster Verzagtheit die Nähe der gesuchten Erde verkündet ...

Doch selbst, wenn alles das nur Traum und Utopia wäre, unser Lied ist und wir sind. Dessen Zeuge sei dies gesammelte Werk, das nicht mehr sein will als ein in Verse verwandeltes Menschenleben aus unserer Zeit der Götterdämmerung. Ein Leben und Buch voll Wahrheit, Irrtum und Widerspruch, voll Sehnsucht, Glauben, Verzweiflung, Erfüllung, Verzicht und Erlösung, voll Hohnlachen, Groll und Empörung, voll Sonne, Gewitter, Freude und Elend, Klage, Jammer und Jubelschall, voll Quellenrauschen und Gipfelhauch, voll Stille und Sturm, Ruhe und Reigentanz der unergründlichen Seele.

München, Silvester 1920/21

Hymnus an das Leben

Du, brausend aus ewig schwangerer Nacht

Und ewig zeugendem Lichte,

Aus feuchtem Brodem und Glut entfacht,

Verwegenstes der Gedichte:

Geträumt von Gott, dem ursprünglichen Geist,

Dem Grund des Abgrunds entquollen,

Du, das da schäumt und zittert und kreist –

Wie rollen

Geheimnisvoll die Rhythmen des Alls

Durch deine dämonischen Fluten,

Im Wirbel der Wollust, im Schrei des Metalls,

In gewitterflammenden Ruten!

Im adlerschwebenden Gletschersang

Der unbesieglichen Seelen,

Im schattendämmernden Untergang –

In Höhlen

Der schwelenden Wut und des heimlichen Leids,

Im Feuer der stolzen Empörung,

In blühender Rosen berückendem Reiz,

In seliger Sehnsucht Erhörung.

In lachender Laune weltheiterem Laut,

In Genien, der Urkraft ergeben,

Was da atmet und schwingt, was da leuchtet und taut:

Du Leben!

Aufschrei

An den Wassern bin ich hingegangen,

Feuchter Windhauch letzte meine Wangen.

Meine Seele, die das Licht verlor,

Meine Seele schrie zu Gott empor.

Der im Wolkenkleid am Himmel schreitet,

Der im Sturmhut durch die Lüfte reitet,

Der aus grünen Wipfeln raunend winkt,

Der aus Silberwellen zitternd blinkt,

Der im Grashalm sprießt, als Regen feuchtet,

Der im Blitze schießt, als Sonne leuchtet:

Weltengeist, von dem auch ich ein Teil,

Schütte nieder deiner Gnade Heil!

Ach, ich habe meinen Wert vergessen,

Bin in der Verräter Rat gesessen,

Habe frech dem lichten Gott geflucht

Und betört der Lüge Nacht gesucht!

Blöd und elend wank' ich wirre Pfade,

Wüstenirrend dürst' ich müd nach Gnade,

Meine Seele, die das Licht verlor,

Meine Seele schreit zu Gott empor.

Ohne dich, wie dürr sind meine Glieder!

Weltengeist, ach ströme, ströme nieder!

Durch die Maiennacht

Durch die Maiennacht

Fuhr der Wintersturm,

Und die Frühlingspracht

Riß er nieder.

Durch die junge Brust

Fuhr der Todeshauch,

Traf mit grauser Lust

Meine Glieder.

Muß es denn geschehn,

Kann's nicht anders sein,

Will ich freudig gehn

Und entsagen.

Fahre wohl, du Welt,

Liebe, Kampf und Ruhm!

Nur ein schlechter Held

Mag es klagen.

Sinkt die Knospe hin,

Eine neue sprießt,

Und die Folgerin

Sei gegrüßt!

Gewitter

Es wetterleuchtet durch die Nacht,

Die Donner, sie rollen von ferne,

Die Wolken stürmen zur wilden Schlacht,

Und ängstlich verlöschen die Sterne.

Es jagt und wettert und kracht und braust,

Wie wenn in Lüften der Böse haust –

Was schmiegst du dich an mich mit Zittern?

He, holla! Mich freut das Gewittern.

Kennst du das Leben, mein liebes Kind?

Ach nein, du tändelst in Träumen.

Oft stürmt durch das Leben der Wirbelwind

Und reißt an den knorrigsten Bäumen.

Unter Donner und Blitzen, in stürmischer Nacht

Schlägt der Mensch mit dem Schicksal die lustige Schlacht.

Was schmiegst du dich an mich mit Zittern?

He, holla! Mich freut das Gewittern.

Wie brannte die Sonne so heiß und so dumpf!

Die Bäume, sie rangen nach Odem;

Nun flutet es feucht, und der dürrste Stumpf

Saugt ein den köstlichen Brodem.

Wenn träge die Sonne das Leben verbrennt,

Willkommen dann, schlagendes Element!

Laß ab von Zagen und Zittern,

He, holla! Mich freut das Gewittern.

Gebet

Der du mich tiefgeahnt umkreist,

Hör mein Gebet, urewiger Geist!

Der du von Anfang bis zu Ende,

Zu dir aufheb' ich meine Hände.

In Schauern sink' ich vor dir hin,

Weil ich dir ganz ergeben bin.

Du bist die Leuchte meines Lebens,

Du bist das Urbild meines Strebens.

Du bist's allein, der in mir schafft,

Du bist der Trieb, du bist die Kraft.

Du bist die Tiefe, bist die Höhe,

Das Meer, darin ich untergehe,

In dir nur bin ich stät und stark,

Du bist die Wurzel, bist das Mark.

Du bist der Baum, daran ich ranke,

Du richtest mich, daß ich nicht wanke,

Du bist der Strom, der mich durchquillt

Und meiner Seele Gluten stillt.

Du bist der Anker mir im Wetter,

Bist mein Erlöser, mein Erretter,

Du bist das Wort, der Klang, der Sinn,

In dem ich lebe, web' und bin.

Du bist der Inhalt im Gefäße,

Nichts ist, nach dem ich dich bemäße.

Du bist die Wahrheit, bist das Licht,

Das flammend aus der Seele bricht,

Du bist das Schöne, bist das Gute,

Für das ich bin, für das ich blute –

Trotz Not und Tod für alle Zeit,

Urewiger Geist, sei benedeit!

Dämon

Im Fieber flammt die Stirn, und stechend fährt

Durch die empörte Seele Gottes Schwert –

O, nimmer, nimmer findet jener Rast,

Der aus dem Staube nach den Sternen faßt.

An seinem Herzen frißt des Geiers Gier,

Er will zu Gott und bleibt geknechtet hier

In schreckensnächtiger, namenloser Pein,

Verstanden nie, verhöhnt und ganz allein.

In Qualen

Wenn ich in Qualen lag,

Undurchdringlichen,

Wenn meine Seele rang

Flehend zu dir:

Hilf mir, du ewiger

Vater des Lebens,

Hilf mir, allmächtiger,

Liebender Gott!

Angeschmiedet

Ächzen die Sinne,

Hingeknechtet

In Staub und Kot –

Wenn ich gebäumt mich,

Ketten geschüttelt,

Äther zu atmen

Herrlich und frei –

Ach, nur ein Nageldruck

Deiner Allmächtigkeit

War noch vonnöten,

Daß es vollbracht –

Ließest mich liegen

Ohne Barmherzigkeit,

Mich, der ich dich nur

Brünstig begehrt;

Ließest mich schmachten

Ohne Allgütigkeit,

Mich, der dem Kinde gleich

Betete treu.

Wenn ich in Qualen lag ...

Psalm der Freude

Und sinken wir alle in Todes Schoß,

Ich will nicht klagen der Menschheit Los.

Ihr seht die Spanne flüchtigen Lebens,

Ich sehe den Wandel ewigen Webens.

Ihr seht den Rauch im Winde verwehn,

Ich sehe im Regen ihn niedergehn.

Ihr seht das Blatt nur welken vom Baume,

Ich ahne die junge Knospe im Traume.

Ihr seht nur das Fleisch und verzweifelt im Rat,

Ich sehe das Feuer der ewigen Tat.

Ihr seht nur die Geister, ich sehe den Geist,

Der unvergänglich zum Lichte weist.

Er waltet von Anbeginne zu Ende,

Daß sich die große Erlösung vollende.

Drum, sinken die Menschen in Todes Schoß,

Ich will nicht klagen der Menschheit Los.

Im Kasernenarrest

1.

O sonnenseliger Pfingstentag!

Nun lacht und kost es in Flur und Hag.

Verlassen ist Stube und Bürgerhaus,

Nun ziehen sie alle hinaus, hinaus.

Wer sonst des Lebens nie sich freut,

Er pflückt die Rose der Freude heut.

Nur ich allein, nur ich allein

Darf nicht im fröhlichen Bunde sein,

Und der das schnöde Gebot gegeben,

Stiehlt mir einen schönen Tag im Leben,

Und das verzeih' ihm Gott!

2.

Will euch doch ein Schnippchen schlagen!

Mich soll Langeweile plagen?

Wozu wär' ich denn Poet?

Und da dicht' ich meine Lieder,

Schlägt die Drossel, blüht der Flieder,

Und der Hauch des Frühlings weht,

Wenn auch gähnend Spind am Spinde,

Schemel hier an Schemel steht.

Alter Berliner Weihnachtsmarkt

Laß die Glocke läuten vom Dome,

Keiner hört es im Menschenstrome.

Christmarkt, Waldteufel, Trompeten, juchhei!

Wenig Wolle und viel Geschrei.

Alles besehen, wenig erstehen,

Nur zum Pläsier mal darüber gehen,

Eine Baßgeige sich kaufen wollen,

Mit einer Knarre nach Hause sich trollen, –

Für einen Sechser Schmalzkuchen schmecken,

Mumpitz machen an allen Ecken –

Mag auch der Regen vom Himmel fließen,

Das muß der wahre Berliner genießen,

Schuster und Schneider, Jüngling und Mann,

Jeder, der es sich leisten kann.

Die Zwei

Sieh dort die Zwei! Er spielt die Flöte,

Und wollene Strümpfe strickt sein Weib,

Im Korbe ruhn zwei Dreierbröte

Zur Nahrung für den siechen Leib.

Flütüh, flütüh! – »Wer gibt 'nen Groschen?«

Die Flöte lockt so flehend süß:

»Ihr steckt ja in den Glücksgaloschen,

Euch ist die Welt ein Paradies.«

Flütüh, flütüh – schon humpelt weiter

Das eheliche Bettlerpaar,

Ein einziger ist ihr Begleiter,

Treu bis zum Tode, Jahr für Jahr.

Sein Blick ist hohl, sein Gang gebrochen,

Von Schwären sein Gesicht entstellt,

Er nagt an einem kahlen Knochen

Und heißt – das Elend dieser Welt.

Vagabunden

In rauchiger Kneipe – hollaho! –

Kauern vier Vagabunden.

Ihr Maul ist frech, ihr Witz ist roh,

Sie versaufen die dämmernden Stunden.

Die Lampe schmaucht und brennt so trüb,

Als glömme sie über Leichen.

Den Kerlen ist das Zwielicht lieb,

Der Wirt muß Branntwein reichen.

Sie leeren die Gläser, der Schnaps heizt gut,

Das brennt wie flüssige Flammen –

Hei, wie siedet im Leibe das Blut!

Sie rücken dichter zusammen.

»Was nützt der Ollen das viele Geld,

Gehamstert im rostigen Kasten?

Man lebt nur einmal auf der Welt,

Zu sauer schmeckt dies Fasten.

Nicht länger lungern wir so umher,

Geknufft wie räudige Hunde,

Den Magen leer, die Taschen leer,

Elende Vagabunden.

Wir wollen Braten, Weiber und Wein ...

Was soll der lausige Bettel?

Wir schlagen dir schön den Schädel ein,

Du giftige, geizige Vettel!«

Der eine flucht, der andere grinst,

Zwei nicken schwer mit der Stirne,

Blutlache vor ihren Blicken glinst

Mit ausgespritztem Gehirne.

Hu, wie sie schwanken und torkeln hinein

Und schlürfen Blut ohn' Ende!

Der Schnaps wird Blut, das Blut wird Wein –

Sie schütteln die zitternden Hände.

»Auf morgen nacht! Verrat heißt Tod!

Wirt, auf! Wen's trifft, steht Schmiere.«

Den Himmel rändert das Morgenrot,

Lichtscheu hintaumeln die Viere.

Meiner Mutter

Mutter, aus der Ferne eilst du,

Deinen Sohn zu sehen,

Ach, die kranke Seele heilst du,

Linderst ihre Wehen.

Bin zermartert, bin zerschlagen

Wie im Sturm die Eiche,

Doch bei dir vergeht mein Klagen,

Gute, Milde, Weiche.

Wer der Zeit Meduse schaute

Schon mit jungen Jahren,

Wem's in Höllenschlünden graute,

Früh hinabgefahren:

Laßt ihn in die treuen Augen

Seiner Mutter blicken,

Reine Wonne wird er saugen

Und sich tief erquicken.

Heimfahrt

Im Nebel schlummern Tal und Flur;

Durch Sturmgebraus und Regen

Die tiefaufdonnernde Eisenspur

Saus' ich dem Morgen entgegen.

Es graut, und fahler Schein erwacht

Dort über jenen Höhen,

Ins Föhrendickicht verkriecht die Nacht –

Nur weiter in Lust und in Wehen!

Stoß aus, du eherner Koloß,

Die weiße Dampfessäule,

Trag mich vorüber an Dorf und Schloß,

Vorüber in rasender Eile!

Doch wie du stampfst und wie du jagst,

Vorschleudernd deine Pranken,

Stürmischer, als du stürmen magst,

Stürmen meine Gedanken.

O Heimat, Heimat, weicher Klang,

Tönst tief mir in den Ohren!

Ein Kind bin ich in meinem Drang

Und gleiche wohl armen Toren.

Doch berg' ich auch in frommer Scheu

Mein Haupt im Mutterschoße,

Menschheit, dir bin ich zum Tode treu,

Heilige, Ewige, Große.

Auf einem Stein

Auf einem Stein bei der Sonne Scheiden

Übersann ich mein Kämpfen und Leiden.

Klar erzitterte auf einmal

Glockengeläute von Tal zu Tal.

Mächtig wollten die Abendglocken

Von dem Grunde der Erde mich locken.

Selig winkte weltweite Höh,

Sacht zu Boden flockte mein Weh.

Lächelnd, leuchtend im Liliengewande,

Leidlos schwebt' ich zum Lebenslande.

Trotziges Leben

Höhnisch Heulen

Von herben Winden!

Rauhe Schauer

Rieseln durch Mark und Bein.

Wirbelnde Blätter

Von den Linden

Schleifen in öden,

Schlüpfrigen Schlamm hinein.

Wolken weinen da droben;

Pessimistische Zähren

Spritzt mir der Sturm ins Gesicht –

Leben voll Jammer und Schwären!

Trotzig dich wehren!

Kämpfend verklären!

Lockenschüttelnd das Haupt erhoben,

Seele voll Licht!

Freude gebären!

Modre, vermodre

Du nur, du nur im Sumpfe nicht!

Ergebung

Die Winterwasser rauschen,

Dem Bache muß ich lauschen,

Der unterm Brückstein quillt:

So rauscht das junge Leben

Und will das Schicksal heben

Und gurgelt so und schwillt;

Die Quadern bleiben liegen,

Das Wasser muß sich schmiegen,

Und schäumt's auch noch so wild.

Wandrer

1.

Brause nur, Winterwind, brause,

Über die Berge, das Tal!

Nirgend bin ich zu Hause,

Wandre nur, wandre voll Qual.

Rosen, Syringen und Flieder,

Ach, wie so lange verblüht!

Frosthauch schüttelt die Glieder –

Bin zum Sterben so müd.

2.

Matt gießt der Mond vom Wolkensaum

Die Wehmut in den Weltenraum;

Der Wind geht klagend vorüber,

Der Himmel wird trüb und trüber.

Der Himmel ist hoch und die Welt ist weit,

Ich bin verlassen in meinem Leid,

Ich eile die dunkeln Wege,

Daß ich zur Ruh mich lege ...

Weltenritt

Ich sattle mir den Schimmel,

Einst Pegasus genannt,

Und reite durch Erde und Himmel,

Die Zügel in sichrer Hand.

Dem alten Dichterpferde

Ist meines nicht mehr gleich,

Sein Huf berührt die Erde,

Seine Nüster des Äthers Reich.

Der Schenkel stampft die Scholle,

Vom Hals trieft Wolkenschaum,

O traurig wundervolle

Jagd durch den Weltenraum!

Planeten seh' ich kreisen,

Gestirne blendend lohn –

Ich höre jeden leisen

Menschlichen Klageton.

In unmeßbare Weiten

Mein suchend Auge irrt –

Jede Träne fühl' ich gleiten,

Die hier geweinet wird.

Erschauernd faßt die Seele

Des großen Einklangs Bild –

Im Schmerz erstickt die Kehle:

O wundes Menschenwild!

Fand nun die fremde Stätte

Ja doch an keinem Ort,

Die mir verkündet hätte

Das letzte Lebenswort.

Die Jagdlust ist vergangen,

Todmüde wacht mein Sinn –

Ich lasse die Zügel hangen

Und trabe langsam hin.

Wie wir's lieben ...

Schon will der liebe Morgenschein, 

indes die Vöglein singen,

Mir in die Kemenat' herein 

mit süßem Lächeln springen.

Der du in diesem stillen Tal 

mich oft geweckt am Morgen,

Sei mir gegrüßt, mein holder Strahl, 

du lichter Tod der Sorgen!

Aufdringlich plagt die Finsternuß 

verworrner Seelenkämpfe,

Und wie der Qualm Johannen Huß 

umbraun mich Nebeldämpfe:

Die große Eitelkeit der Welt, 

die Roheit, Dummheit, Lüge,

Und die mich stets am Grips noch hält, 

der eignen Schwachheit Rüge;

Der Zweifel an berufner Kraft, 

Mißtraun in stolze Sendung,

Die ungestillte Leidenschaft, 

die Sehnsucht nach Vollendung.

Ein ganzes Bündel von Ideen, 

ein wunderbarer Krempel,

Ach, könnt' ich aus mir selber gehn, 

ich schmiss' ihn aus dem Tempel.

Doch da ich mal Karl Henckell bin 

und leider nicht Hans Meier,

So führ' ich meinen Extrasinn 

und meine Extraleier.

So leb' ich in den Tag hinein 

und liebe gute Leute

Und setze über Stock und Stein, 

bellt hinterdrein die Meute.

Herrn Drill und Söhne lieb' ich nicht, 

der Kaiser ist mir schnuppe,

Des tollsten Rackers Angesicht 

ist schöner als 'ne Puppe.

Ja, lieber ist mir noch der Lump, 

verreckend hinterm Zaune,

Der Kunde lebt auf Schicksals Pump 

und tanzt nach seiner Laune,

Und wenn du recht natürlich hopst, 

bist du mir zehnmal lieber,

Als wenn du dich in Fischbein stoppst, 

das Zwangskorsett darüber ...

Das Leben wird vom Tod erstickt, 

drein wir uns selber schnüren,

Moral, sie heuchelt ihr Verdikt – 

nur ja nicht daran rühren!

Ein Leben

Nach Glück und Glanz und Gloria

Mit Peitschenhieb und Hussassa

Durch die Täler, über die Hügel! –

Mit schläfrigem Zügel,

Den Buckel voll Prügel,

Im Hundetrab

Durch öde Niedrung ins Bettelgrab.

Tatenlos

Wenn du der Locken wilde Fluten

Ums Haupt dir schleuderst,

Heiliger Sturmwind;

Wenn deine Riesenrechte, Vater,

Baracken umstößt,

Morsche Eichenkönige totschlägt:

Blitz dein Auge,

Nacht dein Mantel,

Deine Rede grollend Donnergeroll –

Törichte Spiele

Spiel' ich die Tage,

Zielverlorne, kraftverratne,

Liebliche Träume

Spielt der vertändelnde Sinn –

Schamerrötend

Schlag' ich den kindlichen Blick

Sühnezitternd zu Boden,

Ihn zu Boden vor dir,

Heiliger Sturmwind!

Züricher Bilder

Springbrunn

Das ist ein lustiger Springbrunn

Im Mittagssonnenglanz,

Glitzernde Tropfen tanzen

Den silbernen Sonnentanz.

Viel feuchte, leuchtende Funken –

Das schimmert und rieselt und glüht –

Der speienden Löwenhäupter

Gerunzelte Stirne sprüht.

Die Lindenblätter sich neigen

Und fangen den spritzenden Tau.

Am Becken kühlt und erquickt sich

Die müde Taglöhnersfrau.

Promenade

In dieses grünen Parks Revieren

Fließt milder Hauch von Baum zu Baum,

Die jungen Mädchen gehn spazieren,

Das Leben ist ein Liebestraum.

An Tante Marlitt just ergötzt sich

Die breite Bonne neben mir,

Ein Greis in braunem Schurzfell setzt sich:

EvvivaWurst und Lagerbier!

Mit sorgenhaft vergrilltem Blicke

Spazierstockt ein Rentier daher:

»Auf nichts Verlaß! Die Welt voll Tücke!

Die Kurse sinken immer mehr.«

Ein Dutzend Kinder schlingt den Reigen,

Der Springbrunn silberne Funken speit,

Die Strahlen sprudeln, springen, steigen –

O wunderschöne Jugendzeit.

Am Brückenpfeiler dort zerschellen

Die Fluten, gurgelnd rauscht es hohl,

Ein Weib starrt trostlos in die Wellen

Und seufzt: »Wie wär' mir drunten wohl!«

Sie flieht den Strom mit leisem Stöhnen,

Frech gafft ein Geck ihr ins Gesicht,

Die Eisenhämmer drüben dröhnen,

Der Qualm verschlingt das Sonnenlicht.

»Sechsläuten«

Altes Züricher Volksfest zur Feier des Frühlingsanfangs

Heut haben sie den Winter verbrannt;

In höllischen Flammen stand

Der Tannzweighügel. Funken flogen

Rosasprühend. Rauchwolken zogen,

Schmutzgrau aufwirbelnd. Hoch auf der Stangen

Die Puppen wollten nicht Feuer fangen.

Aber jetzt ein Knall. Leuchtkugeln stiegen,

Die Puppen huben an, sich zu wiegen,

Von Glut gekrümmt und gefoltert,

Nickten sie stumm sich zu –

Lichterloh sind sie heruntergepoltert

Und verkohlt im Nu.

Um das Freudenfeuer im Kreise

Zogen die »Zünfte« nach Ahnenweise,

Zwar heut alles nur Spiel und Schein,

Muß doch jährlich gezunftet sein.

Meistens »bessere« Züricher Herrn,

Die da mit Zange und Knieriem marschierten,

Unter dem blauen Vergnügungsstern

Sich gewerkschaftlich amüsierten.

Käseblaß Schneiderlein neben mir,

Eben mit Frau und Kind noch gekommen,

Lächelte trüb ob der sauberen Zier

Dieser fröhlichen Innungsfrommen.

Und die »Schneider« schwangen die Scheren,

Tanzten wie Ziegenböcke vorbei,

Und den Amboß, den zentnerschweren,

Schleppten der stattlichen »Schmiede« drei.

»Bäcker« in mehlweißen Schürzen,

Schulternd mit Brezeln und Brot,

»Kaufherrn« mit Safran und Würzen

Schlugen den Winter feierlich tot.

»Wenn ich an meinem Amboß steh

Und hämmre lustig drein« –

Rot wehte der Flammberg in die Höh,

Becken und Pauken schmetterten ein.

Und das neugierige Publikum

Bummelt' in hellen Haufen herum.

Mädchenaugen noch einmal so keck,

Verliebten Mäusen der wahre Speck.

Schau! am Bäumchen zu meiner Seiten

Lehnten zwei Schwestern – Halleluja!

Da soll einen der Teufel nicht reiten –

Nektar und Ambrosia!

Äste prasselten laut zusammen,

Grünlich ringelten sich die Flammen.

Zu der fröhlichen Frühlingsmette

Schimmerte hell die Alpenkette ...

Lenzfrohes Lachen ... Teterete!

Bekränzte Nachen tanzten im See ...

Und die Züricher kreuzfidel

Spritzten ins Feuer der Freuden Öl.

Während der Mond aus blauen Fernen

Silberglanz auf die Türme goß,

Zogen die Zünfte mit Buntlaternen

Einzeln herum zu Fuß und zu Roß.

Immer von einem Zunfthaus zum andern

Mit Musik marschierend im Schritte,

Kommen und Holen, Reden und Wandern,

Grüßen, Zutrinken nach alter Sitte.

Freudenhäuser von vorn bis zuletzt

Krabbeldicht alle Türen besetzt.

Vier Polizisten leibwachten einen

Epileptischen Trunkenbold,

Kläglich fing der Mensch an zu weinen,

Daß er mit auf die Wache sollt'.

Aus allen Schenken Klaviergeklimper:

»Ach, ich hab' sie ja nur auf die ...« Lärm und Geschrei.

Harmonikaquieken, Gitarrengestümper ...

So ging der Winterkehraus vorbei.

Juchzer knatterten wie Raketen

Durch die ganze geschlagene Nacht,

Und von Trommeln und Trompeten

Bin ich am Morgen noch aufgewacht.

Venezianische Nacht auf dem Zürichsee

Die Lampions gaukeln auf dem See,

Laut zischen nach unten die sprühenden Garben,

Das Glühlicht scheint wie Mondesschnee,

Hellt weit die Flut vom hohen Quai,

Bengalisch leuchten die Farben,

Bis matt sie im Dunkel erstarben.

Die Königin der Gondeln naht

Langsam auf stolzem Spiegelpfad.

Der Buntlaternen zauberisch Tor

Spitzt diademisch sich empor.

Darunter spielt die Stadtmusik

Ein südlich Barkarolenstück.

Leuchtkugeln steigen und neigen

Ihr schön verscheidendes Haupt,

Brandfrösche knattern im Reigen,

Das Feuerrad schwirrt und schnaubt.

Vom Ütliberg aufschimmert's hell,

Mit Blenden grüßt das Kulmhotel.

Mattblinkend winken Mond und Sterne

Aus meeresdunkelblauer Ferne.

Das ganze Ufer schwarzgedrängt

Staunt in das rot-blau-grüne Spiel,

Die Fahne des Vergnügens schwenkt

Frau Neugier hoch am Vorderkiel.

Verliebte Leute, Bräute, Greise

Genießen laue Luft und Licht,

Der eine jauchzt, der summt was leise,

Der Dichter schaukelt sein Gedicht.

Er ist so farbenlustberauscht,

Er schaut in Wundertraum und lauscht,

Wie all die kleinen Lichter hüpfen,

Leuchtschlangen durcheinander schlüpfen,

Wie nach dem Takt der Melodien

Sie tanzen, kreisen, suchen, fliehn.

Die schwarzen Zuschauer, die flimmernden Nachen,

Er sieht sie mit Trauer, er sieht sie mit Lachen –

Das springt empor bei japanischem Licht,

Geistessprühfeuer bezaubert sie nicht.

Aber wir alle freun uns am Schein ...

Da schleift hochaufgedonnert pikfein

Starrblickende Dirne vorüber,

Sie lockt nicht der wellengespiegelte Schein,

Zwanzig Fränkli wären ihr lieber.

Ihre Hechtaugen spähen nach Beute,

Ein günstiger Fangabend heute.

Und hinter ihr an der Tochter Arm

Tastet ein blinder Mann durch den Schwarm.

Die Raketen platzen in seinem Ohr,

Er träumt mit dem Auge, das er verlor.

Sein Töchterlein muß ihm berichten

Von den schönen, bunten Geschichten.

Maimarkt

Heut ist Jahrmarkt. Von den Buden

Wehn knallrote Taschentücher,

Abgefeimte Schacherjuden

Recken ihre krummen Riecher

Geiermäßig mit Geschrei

In den lindengrünen Mai.

Emmenthaler Käseriesen,

Frischer Stiefel Lederduft ...

Staub beweißt die jungen Wiesen,

Krämerdunst verdickt die Luft.

Wachstuch in den grellsten Farben:

»Einen Franken für den Rest!«

Blumenhüte, Rüschen, Barben –

Bärbel, denk aufs Pfingstenfest!

Rudolf, Baroneß Vetsera,

Farbenblutdruckkatastrophen ...

Firuli und Firulera

Spielt die Orgel. Spitze Zofen

Mit den Kleinen fürnehm eilen,

Schrupperfeen gierig weilen.

Ein Student zieht durchs Getriebe

Mit der schwesterlichen Liebe.

Die hat immer was nach hinten,

Maiprinz Amor lädt die Flinten.

Aus des Busens Knopfsaum wedelt

Rotverführerisch ein Zipfel,

Da wird auch was eingefädelt,

Angebändelt, liebgemädelt ...

Wollust weht der Lindenwipfel.

Vielliebchen

Schweigend in dem Schwarm der Schreier,

Schneebleich in der »Blauen Fahne«

Mit dem schwarzen Trauerschleier

Sitzt die schöne Kurtisane.

Leicht den Schleier von den Lippen

Schiebt die feierliche Schöne,

Vielgeliebte Lippen nippen

Bockbier beim Musikgedröhne.

Zu des Walzers wilden Takten

Zucken zarte, kleine Füße,

Auf die feinen, florbeflaggten

Wangen perlt des Lächelns Süße.

Aber schnell in ihre Grübchen

Scheucht sie die Verräter wieder,

Ernsthaft, ernsthaft senkt Vielliebchen

Jüngferlich die Augenlider ...

»Troupe internationale«

Mit der seidenschwarzen Flügelhaube,

Mit dem offenherzigen Purpurmieder,

Eine adlerhafte Turteltaube,

Singt sie zündende Revanchelieder.

Schluchzend Klagen dringen,

Wie sie wühlend klingen!

Jauchzend wogt's zum Schluß,

Und sie wächst beim Singen,

Wächst zum Rachegenius.

Voll begleitende Akkorde

Wogen noch eine Weile hin ...

Gorgo dräut unversöhnt,

»Bis, bis!« und »Bravo« dröhnt

Der hochstämmigen Elsässerin. –

Keck auf das Podium hüpft, die noch eben

Still memoriert,

Kaum aus dem Kind geschlüpft, aber das Leben

Längst schon probiert;

Die vollendet blühenden Beine

Gibt das flatternde Röckchen frei,

Rezitativisch quiekst die Kleine

Ihre geriebene Pariserei. –

Jetzt die Graziöse wiegt den Kopf

Und lächelt links und rechts

Mit wundervollem, blondem Zopf

Dickmaschigen Geflechts.

Sie trägt ein russisch Rosakleid

Mit schweren Perlenketten,

Ihr Atlasfüßchen weckt den Neid

Der bunten Amoretten.

Der Schalk springt aus den Augen ihr

Und tanzt von Tisch zu Tisch.

Wahrhaftig! Jetzo zwinkt sie mir

Verflucht verführerisch. –

Plump watschelt die fette Ente

Krumm vor das Auditor,

Vermummt die eminente

Zinnobernase vor.

Sie mimt den Vetter Trunkenbold,

Den alten Korporal,

Sein Auge schwimmt, sein Sauflied rollt

Und poltert durch den Saal.

Plötzlich faßt' er die Fahne,

Die rote, mit fester Hand,

Stramm Monsieur Antoine,

Der Impresario, stand.

Schnell rechts die Elegante,

Die Pipipepi links,

Glut auf die Tasten brannte

Die rächerische Sphinx.

Revanche, Revanche bis in die Kniee,

Alarm, Alarm vom Kopfe bis zur Zeh:

»Allons, enfants de la patrie,

Le jour de gloire est arrivé!«

Im Exil

Täglich seh' ich jenen jungen

Russen mir vorüberwehen,

Dessen Augen schmerzbezwungen

Düster vor sich niedergehen.

Bücher schleppt er unterm Arme,

Müd ist seines Ganges Weise,

Schleppt die Last von ewigem Harme –

Seine Lippen zucken leise.

Und der schwarze, kurzgeschorne

Bart umflort des Mundes Weh,

Traurig grüßt der Leiderkorne

Seines Volks Gethsemane.

Polizeikosakenknuten

Hör' ich auf ihn niedersausen,

Dumpfer Klagen finstre Fluten

Des Verbannten Ohr umbrausen.

Sklaventrägheit fühl' ich lasten

Bergesschwer auf seiner Seele,

Heißen Zornquell spür' ich hasten

Wildaufschäumend nach der Kehle.

Eisige Steppenkatakombe

Überfriert mich nordlichtklar,

Und zerschmetternd platzt die Bombe

Auf der Freiheit Blutaltar.

Es taut

Wahrhaftig, schon zwitschern die Spatzen

Von den fließenden Dächern der Stadt,

Es zirpen und piepen die Matzen,

Sich puddelnd im sonnigen Bad.

Das ist ein fröhliches Schmelzen

Des schmutzig verwitterten Schnees;

Die Damen stolzieren in Pelzen

Zur Sommerkonfektionens'.

Pensionsgäns kokettieren,

Die Madame sieht es ja nicht –

Im Rollstuhl fährt spazieren

Die pensionierte Gicht.

Im See die winzigen Schollen

Rieseln und lösen sich los,

Blitzende Wellen rollen

Dem seligen Lenz in den Schoß.

Mich aber will es gemuten

So frisch und märzenjung,

Meine Schmerzen schmelzen und fluten

Ins Meer der Erinnerung.

Himmelfahrt

Bunte Blumen, grüne Büsche,

Burschen, Mädchen Arm in Arm,

In der kühlen Morgenfrische

Locker schlendernder Frühlingsschwarm.

Übernächtige Gesichter,

Lange, lange noch nicht matt,

Lebenslustiges Gelichter,

Lange, lange noch nicht satt.

»Heut lieb' ich die Susanne

Und morgen die Marianne,

Halli, Hallo!

Wir leben so –

Vom lustigen Berge in die lustige Stadt.«

Der da mit ihren zerlockerten Haaren

Ist wohl die Unschuld gen Himmel gefahren

Heut in dieser selbigen Nacht;

Maiennächte sind Liebesschulen,

Lieblich ist es im Grünen buhlen,

Und kein Wächter der Sitte wacht.

In den schwärzlichen Augenringen

Kauert schläfrig gebüßte Lust,

Tüchtig hat das Feuer gerußt.

Aber mit silberreinem Singen

Sittige Dirnen vorüberspringen,

Maienglöckchen an keuscher Brust.

Aus dem offenen Bierhaus dringen,

Klingen Schalmei und Harmonika,

Klingen Harmonika und Schalmei;

Italiener mit lautem Geschrei

Feigenkränze zu Häupten schwingen,

Brezelweiber schleifen vorbei.

Schüchterne Sonnenstrahlen blinken,

Schimmerwellen am Waldesrand,

Ach, wie herrlich die Wipfel winken,

Lichte Buchen im Brautgewand!

Und noch ehe mit breitem Strahl

Siegreich mich die Sonne bestreicht,

Seh' ich in der Tiefe das Tal,

Habe des Berges Kulm erreicht.

Wolkenspiegelnd und funkenwiegelnd,

Perlgrau zittert der See.

Dicker Sonnenduft

Hüllt die ferne Luft,

Tief im Flor versinkt der Firnenschnee.

Morgenwanderung

Um fünf Uhr früh schritt ich dem Berg entgegen,

Die Gaslaternen brannten Sonnenlicht,

Der Osten streute seinen blanken Segen

Den Mädchen an den Brunnen ins Gesicht.

Im Trabe kamen nach der Stadt gefahren

Milchleute, die schon nachts zu Wege waren.

Da draußen, wo sich's ländlich bald verlor,

Stand Bursch und Bäurin schon am Gartentor.

Nicht lange bin ich einsam fortgewandelt,

Wiewohl der Pfad gleich oben waldwärts bog.

's war Feiertag. Just Arm in Arm gebandelt

Ein Mädchenpaar an mir vorüberzog.

Sie trugen Riesensträuße in den Händen,

Gepflückt an Wiesenbach und Talschluchtwänden,

Und sangen Lieder in die helle Flur

Von Lieb' und Lust, von Heimat und Natur.

»Grüß Gott!« Sie schieden links, ich rechts zum Kamme,

Doch ihrem Duo lauscht' ich noch von fern.

Das ist ein lieber Zug am Schweizerstamme,

Die Lust zum Lied. Sie haben's »grüsli« gern.

Jetzt war's verweht. Nun sang es aus den Büschen,

Crescendoplätscherte der Quell dazwischen;

Er rann noch links vom Wege ziemlich flach,

Geräuschvoll schoß er rechts, ein heftiger Bach.

Die Kerzentannen spielten mit den Strahlen

Der weißen Sonne, die im Tau zersprang

Und Farben, wie sie keine Künstler malen,

In Perlenketten um die Erlen schlang.

Mutwillige Flügler schwirrten walddurchschweifend,

Bald mir den Kopf, bald tief die Gräser streifend,

Auf einmal aus dem Fichtendunkel schrie

Der Kuckuck seine Traummonotonie.

Am letzten Abend hatt' es fest geregnet,

Auf Dickichtwegen wurd' ich tüchtig naß.

Doch hab' ich die Beträuflung gern gesegnet,

Dies Frischgefühl – o welche Wonne das!

So in dem fetten Humus einzusinken,

Trutzlied

Ob ihr mit vollen Backen

Trompetet Lug und Neid,

In tückischen Attacken

Garstige Granaten speit,

Ihr Helden von der Feder,

Vom kritischen Katheder,

Mir sitzt der Schalk im Nacken

In Lust und Leid.

Ihr seid die alte Meute,

Die schwarze Meute ja,

Ich aber läute, läute

Mein hell Halleluja.

Von meinem Fensterbrette

Pfeif' ich die Frühlingsmette,

Geburtstag feir' ich heute,

Was wollt ihr da?

Mir wirft die Post der Gaben

So viele auf den Tisch:

Die »Herzli« sind erhaben,

Die Kuchen süß und frisch!

Die Freundschaft streut mir Grüße

Und Blumen vor die Füße,

Die Liebe will mich laben

Verschwenderisch.

Die Sonne steigt im Osten,

Die Amsel ladet hell:

»Vom Lichtquell laß uns kosten,

Frischauf, frischauf, Gesell!

Nach all den toten Tagen

Wir mögen's wohl vertragen,

Die weichen Veilchen sproßten

Am jungen Quell.

Und laß dich's nicht verdrießen

Und laß dich's nicht gereun,

Den Guten auszugießen

Gesänge, die dich freun!

Die Merker und die Mucker,

Das sind die ärmsten Schlucker,

Die lieben in Verließen

Das Licht zu scheun.«

Die ihr mit plumpen Rüsseln

Mich schnuppernd untersucht,

Mit gelben Himmelsschlüsseln

Jag' ich euch in die Flucht.

Ihr seid die schwarze Meute,

Ich aber läute, läute

Und samml' auf Silberschüsseln

Goldsaftige Frucht.

Hymnus

Solang meine Seele noch leuchtet und blüht,

Das wonnige Leben, nicht werd' ich es müd!

Ich lausche den Rhythmen der rauschenden Welt,

Die klangvoll am ewigen Strande zerschellt.

Ich weide das Aug' am Geschmeide der Zeit,

Das funkelt in dunkler Unendlichkeit,

Ich atme der Freiheit Sturmwind,

Der die Knechtschaft schüttert zugrund,

Ich küsse der Wonne Wangen

Mit zitternden Lippen wund.

Solange der Geist mir noch fruchtet und trägt,

Der Baum meiner Freude, nicht sei er zersägt!

Ich sammle der Denker schwergoldene Saat

Und mahle den Weizen mit plätscherndem Rad.

Ich küre die schönsten Gedanken zum Tanz

Und winde der Wahrheit den schwellenden Kranz.

Ich grüße das werdende Gute

Mit hocherhobener Stirn,

Ich feire der reinen Erkenntnis

Hellglühende Rosenfirn.

Solang meine Seele noch leuchtet und blüht,

Solange der Geist mir noch fruchtet und trägt,

Das wonnige Leben, nicht werd' ich es müd,

Der Baum meiner Freude, nicht sei er zersägt!

Angst

Wie eine plumpe, graue Hand

Liegt heut der Himmel ausgespannt;

Die Riesin preßt mich nieder.

Der Atem stockt im Busen schier,

Erstickt der Mut, ein röchelnd Tier,

Erdrosselt Lust und Lieder.

Kein Laut, kein Licht, kein Hauch. – Mir graust.

O du verfluchte Riesenfaust,

Wie lähmst du mir den Nacken!

Unheimlich öde, dumpf und starr.

Ist das der Tod? Bin ich ein Narr?

Wird mich der Wahnsinn packen?

Zünd an! Ich muß was lodern sehn!

Immergrün

Aus dürren Gräsern grüßt mich Immergrün.

Rasch her damit und an die Brust gesteckt!

Noch einmal sei's gewagt und hoffnungskühn

Sei das Gespenst in seine Gruft geschreckt!

Nein, werter Freund, der du die Schlinge wirfst

Nach meiner Seele sinkendem Genick,

Vampir, der meines Geistes Blut du schlürfst,

Noch einmal in den Strauß um mein Geschick!

Zu Boden riß mich Unnatur der Zeit,

Mutter Natur, reck deinen Sohn empor!

Verfault, ihr Gräser der Vergangenheit,

Und du, neu Leben, quill, o quill hervor!

Im Zwielicht

Der Tag ist tief im Niedergang,

Zwieleuchtet die Tapete ...

Wie fremd mir wird, wie erdenbang!

Ängstlich klagt des Windes Klang,

Wie wenn er Rettung flehte.

Die Frau vom grauen Ölbild schaut,

Als müßte sie mich verdammen.

Ihr sonnensterbend Auge taut

Tränen, daß mir glüht und graut ...

Schreckhaft zuck' ich zusammen.

Leise Klage

Tief blutrot sinkt das Weinlaub hin,

Lichtnelken nicken scheidend,

Der Sommer zittert durch den Sinn,

Die Seele fühlt sich leidend.

Wenn sich die Seele leidend fühlt,

So mag sie leise klagen.

Der Sturm, der in die Wurzeln wühlt,

Soll er die Krone schlagen?

Durch Kron' und Wipfel schleicht es matt,

Wie tief zu Tod entmutet.

So müde bin ich wie das Blatt,

Das dort zu Boden blutet.

Schwermut

Grau liegt die Luft, der Wind fliegt bang,

Der Regen rinnt, den Wald entlang

Zieht Seufzerzug, singt Grabgesang ...

Nun streut die Schwermut ihre Keime

In angstgefurchte Herzen ein,

In dunkel abgetönte Reime

Verhüllt der Dichter seine Pein.

Ach, wer sein Weh zu Rhythmen flicht,

Der ist noch lang der Ärmste nicht;

Doch wer um Glück und Lust betrogen

Die Stirn an Fensterscheiben preßt,

Wer grauenschwer hinabgezogen

Sich tief und tiefer treiben läßt;

Wem Kraft und Wille treu selband

In Unkraft und Verzweiflung schwand;

Wer schon zu müd, den Feind zu fassen,

Der ihn erwürgt, zum Tod gelassen,

Verkohlend sich in Asche schiebt

Und nicht mehr leuchtet, nicht mehr liebt –

Kein Klang reißt die zerstampfte Seele

Aus ihrer dumpfen Kerkerhöhle ...

Die Luft liegt grau, der Wind fliegt bang,

Der Regen spinnt, den Wald entlang

Zieht Seufzerzug, singt Grabgesang ...

Der Mörser

Es ist ein großer Mörser,

Drin stoß' ich klein mein Leid,

In alle Winde schütt' ich es,

Die wirbeln's weltenweit.

Wie trommelt dumpf mein Mörser,

Wenn meine Seele schreit!

Mein Wehe wird zerrieben

Im Mörser Ewigkeit.

Winter

Das ist der bleiche Winter:

Eiszapfen in der Hand,

Am Wolkenwebstuhl spinnt er

Elend und Liebestand.

Sein Atem überschauert

Mit Schneekristall das Land,

In Frost und Nöten kauert

Armut am Herdesrand.

Auf spiegelblankem Eise

Sportlust ist heiß entbrannt,

Venus im Pelz zieht Kreise

Um ihren Leutenant.

Das ist der bleiche Winter:

Eiszapfen in der Hand,

Am Wolkenwebstuhl spinnt er

Elend und Liebestand.

Müde

Soll ich es einmal sagen,

Wie tief ich trostlos bin?

Ich hab so viel verkündet

Vom Glück, das mir verbündet,

Ich darf es fast nicht wagen –

Soll ich es einmal sagen,

Wie tief ich trostlos bin?

Arm, der die Welt umschlossen,

Sinkst mir so schläfrig hin.

Die Früchte lass' ich fallen,

Der Mund zu träg zum Lallen,

Die Seele gähnt verdrossen –

Arm, der die Welt umschlossen,

Sinkst mir so schläfrig hin.

Nun treiben alle Tage

Gleichgültig ab und zu;

Wie trinkt mein Aug' noch Leben?

Wo fühl' ich's brausend beben?

Kaum dämmert dumpfe Sage –

Nun treiben alle Tage

Gleichgültig ab und zu.

Melancholie

Dicker Nebeldunst drückt den See, die Stadt,

Wie der blasse Mond lugt die Sonne matt.

Nur am Ufer dampft sich die Welle frei,

Und der Schwaden rollt trüb und schwer vorbei.

Kahle Äste schaun schwarz und hilflos her,

Und sie feiern doch grüne Wiederkehr.

Wenn der Winter weicht, rieselt's lustig los,

Wenn der Frühling kommt, ist die Wonne groß.

Meines Lebens Saft nur ist ganz verzehrt,

Und kein Lenz ist mehr meiner Kraft beschert.

Wie des Dampfers Rauch in den Nebel kriecht,

Meiner Seele Hauch in das Nichts versiecht.

Müßiggang

Heut ging ich müßig

Den ganzen Tag,

Nun bitter büß' ich

Den Mißertrag.

Umhergetrieben

In Markt und Stadt,

Und nichts geblieben,

Was Tiefe hat.

Ein flaches Tändeln

Mit der und der,

Ein schwaches Pendeln

Die Kreuz und Quer.

Bei Büchsenschießen

Und Budenschrein

Ein halb Verdrießen

Und Nichtsgedeihn.

Der Schwarm der Grillen

Schwirrt stechend um,

Mich einzuhüllen

Mit Summ und Brumm:

»Was gingst du müßig

Den langen Tag?«

Und bitter büß' ich

Den Mißertrag.

Bettler