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Dieses eBook: Gesammelte Werke von Apuleius: Metamorphosen - Der goldene Esel + Amor und Psyche + Die Geschichte von dem Mann im Faß ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Apuleius (123/170) war ein antiker Schriftsteller, Redner und Philosoph (Mittelplatoniker). Seinen andauernden Ruhm verdankt er seinem Hauptwerk, dem lateinischen Roman Metamorphosen, auch bekannt als Der goldene Esel, der zur Weltliteratur gezählt wird. Die Interpretation des Romans, der wegen seiner Vielschichtigkeit zahlreiche Rätsel aufgibt, gehört zu den schwierigsten Aufgaben der Klassischen Philologie. Alle erhaltenen Werke des Apuleius sind in lateinischer Sprache verfasst. Sie zerfallen in die beiden Gruppen der philosophischen und der rhetorischen Schriften. Inhalt: Metamorphosen - Der goldene Esel Amor und Psyche Die Geschichte von dem Mann im Faß
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Seitenzahl: 478
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Der goldene Esel des Apuleius, dieser wenigstens dem Namen nach allgemein bekannte satirisch-mystische Roman, ist mit so viel Menschenkenntnis, Witz, Munterkeit und Laune geschrieben, mit so angenehmen, wohlerfundenen, komischen, tragischen und poetischen Episoden durchwebt, daß nicht allein Boccaz und Raphael, La Fontaine und Le Sage denselben stückweise, jeder in seinem Fache, benutzt, sondern daß auch alle um uns liegenden kultivierten Nationen sich denselben durch wiederholte Übersetzungen völlig eigen zu machen gesucht haben. Ich habe mich seit einigen Jahren beschäftigt, ihn ins Deutsche zu übertragen. Die Episode der Psyche, die ich daraus im Jahre 1780 bekannt gemacht habe – (welche aber auch jetzt an ihrer Stelle wieder erscheinen wird, nur mit weniger Anmerkungen und mit den Einschaltungen, die im Originale befindlich, aber von mir ausgelassen waren, weil sie sich auf etwas Vorhergegangenes bezogen) –, mag als eine Probe meiner Übersetzung angesehen werden. War es Mangel an Geschmack seines Zeitalters, war es zu weite Entfernung von der Hauptstadt, oder war es afrikanisches Genie oder alles dreies zusammengenommen: genug, des Apuleius Schreibart ist bei weitem nicht die beste. Er kettet ewig lange Perioden zusammen, ist sehr kostbar und schwülstig in seinem Ausdrucke, gebraucht unerhörte Wortfügungen und veraltete, ja wohl gar selbsterfundene Wörter und Redensarten. Ich habe mich dagegen bemüht, ihn im Deutschen sich so ausdrücken zu lassen, wie ein so feiner Mann, ein Mann von so lebhaftem bebaueten Geiste als er war – sich heutzutage in unserer Sprache über dieselben Gedanken und Gegenstände ausdrücken würde. Sollt ich auch in der Schule darum verdammt werden (ohnerachtet ich den Cicero auf meiner Seite habe, de opt. gen. or. c. 5), so wird man mir doch in der Welt dafür Dank wissen, und für den Weltmann ist meine Übersetzung auch nur bestimmt; mag für mich immerfort der Pedant sich an dem köstlichen Latein ergötzen! Übrigens bin ich meinem Originale ganz getreu geblieben, auch selbst in den üppigen Szenen, denn ich habe nicht geglaubt, in unsern Tagen verschämter tun zu dürfen als ein vornehmer Priester und platonischer Philosoph zu den Zeiten des frommen Antonins.
Der Übersetzer.
Ich will Dir, lieber Leser, in diesem milesischen Märchen allerhand lustige Schwänke erzählen, welche Deine Ohren auf das Angenehmste kitzeln sollen, wo Du anders ein Buch, das in dem kurzweiligen ägyptischen Tone geschrieben ist, Deiner Aufmerksamkeit nicht für unwürdig achtest. Auch sollst Du darin all Dein Wunder sehen, wie Leute in andere Gestalten verwandelt werden und abwechselnd wieder in ihre eigentümliche zurückkehren. Ich hebe gleich an. Zuvörderst nur ein Wort, wer ich bin.
Mein Geschlecht ist uralt und auf dem attischen Hymettos, dem ephyräischen Isthmos und dem spartischen Tänar, diesen seligen, in den Schriften der glänzendsten Genien ewig blühenden Gefilden, zu Hause. Daselbst, besonders aber in Attika, bin ich auferzogen worden. Nachher begab ich mich nach Latiens Hauptstadt. Aus Verlangen, mit der römischen Literatur bekannt zu werden, machte ich mich an die Sprache des Landes und studierte sie mit unsäglicher Mühe und Fleiß, jedoch ohne die geringste Anweisung.
Um deswillen, mein Leser, bitte ich Dich hier im voraus um Verzeihung, wenn ich etwa, als Ausländer, hin und wieder in dieser fremden Sprache Fehler begehe. Ich bediene mich derselben nur, weil etwas Kauderwelsch dem Komischen des Stoffes um so mehr aufhilft und Deine Belustigung allein mein Zweck ist. Das Märchen stammt übrigens aus Griechenland. Jetzt beginnt es. Merke auf, es wird zu lachen geben.
Ich tat vor einiger Zeit in Angelegenheiten eine Reise nach Thessalien, wo ich gleichfalls angesehen bin wegen meiner mütterlichen Abkunft vom berühmten Plutarch und von dessen Neffen, dem Philosophen Sextus. Nachdem ich auf meinem treuen einheimischen Schimmel manch steiles Gebirge, manch schlüpfriges Tal, manche betaute Wiese und holperige Ebene zurückgelegt hatte und er nun ganz abgemattet war, ich mir aber die Müdigkeit vom Sitzen etwas vergehen mochte, so stieg ich ab, wischte mit Laub den Schweiß vom Pferde, rieb ihm die Ohren, zäumte es ab, ließ es sich ein wenig verschnaufen und schlenderte ganz Schritt vor Schritt vorauf, bis es sich durch die natürlichen Wege leichter gemacht hatte. Während daß es beim Nachfolgen im Vorbeigehen an den Wiesen sich's wohlschmecken ließ, holte ich zwei Leute ein, die kurz vor mir hergingen. Ich horchte eben, was sie miteinander schwatzten, als einer von ihnen überlaut auflacht und sagt:
»O, ich bitte Dich, halt doch Dein Maul und verschone mich mit so erzabgeschmackten ungeheuren Lügen!«
Das reizte meine ohnehin immer rege Neugier. Ich nehme also gleich das Wort: »Mit Gunst, Landsmann,« sprech ich, »so gebt mir Eure Erzählung zum Besten! Ich mag gern alles mitanhören; nicht eben weil ich so neugierig wär, sondern bloß mich zu unterrichten. Zugleich wird uns ja auch beim Schwatzen der Hügel hier nicht so sauer zu ersteigen!«
»Nu, Herr,« antwortet der Vorige, »da kann Er sich wirklich in der Welt an niemand besser als an den wenden, wenn Ihm mit einer recht eingemachten Lüge gedient ist; denn was der mir da vorschwatzt, ist just so wahr, als was sie immer sagen, daß man durch gewisse Hokuspokus die Ströme könne nach ihren Quellen zurücktreiben, das Meer fesseln, den Winden ihren Odem benehmen, die Sonne innehalten, den Mond schäumen, die Gestirne herabreißen, den Tag aufheben, die Nacht anhalten und was dergleichen Alfanzerei mehr ist!«
»Laßt Euch dessenungeachtet die Mühe nicht verdrießen, weiter fortzuerzählen,« redete ich nochmals und schon mit mehr Zuversicht den andern an. »So wenig es auch Euch da,« wandte ich mich an diesen, »zu Kopfe will, so kann es, beim Herkules! darum doch alles sehr wahr sein. Ach, guter Freund, nur allzu oft verwirft unser verkehrter Sinn dasjenige als eine Lüge, was ihm doch nur unerhört, unersehen ist oder was über das Ziel seiner Gedanken hinausreicht und er nicht fassen kann! Prüfte er es nur genauer, wie manchmal würde er nicht finden, daß es nicht allein ganz begreiflich, sondern auch gar wohl tunlich ist! Ich wäre zum Beispiel noch gestern abend schier an einem Stück Käsekuchen erstickt, weil ich zu gierig aß und zu große Bissen davon nahm; da mir denn die klebrige Masse dergestalt die Kehle verstopfte, daß ich genug zu würgen hatte, ehe ich wieder Luft bekommen konnte. Und gleichwohl habe ich neulich in Athen vorm Pökile mit diesen meinen leiblichen Augen einen herumziehenden Marktschreier einen scharfen Degen, die Spitze zuerst, hinunterschlucken sehen! Ja, kurz darauf nahm er sogar einen langen Jagdspieß, stach sich damit für ein Spottgeld, das man ihm gab, tief in den Leib hinein, und das Eisen, das er hier in den Unterleib stieß, kam samt dem Schafte aus dem Genicke hinten hoch empor, und oben auf der Spitze ließ sich ein bildschöner Junge sehen, der da mit solch einem Anstande, mit solch einer Gelenkigkeit tanzte und gaukelte, daß wir Zuschauer vor Verwunderung alle Maul und Nase aufsperrten. Wahrhaftig, geschickter hätte sich nicht der edle Drache des Gottes der Ärzte um den knotigen Stock desselben herumschlingen können! Wohlan also, Landsmann,« sprach ich zu jenem wieder, »laßt mich nicht vergebens bitten! Will Euch Euer Kamerad nicht glauben, so tue ich's für ihn mit, und in dem ersten Wirtshause, worin wir einkehren, bezahle ich aus Erkenntlichkeit Eure Zeche.« – »Nicht doch, lieber Herr,« versetzte er, »das verlange ich nicht! Ich kann Ihm ja wohl ohnedies mein Histörchen erzählen: Ich will's Ihm ganz von vorne wieder anfangen, weil Er's gerne hören mag. Zuvörderst kann ich's Ihm aber bei der Sonne, die uns bescheint, bei diesem allschauenden Gott zuschwören, daß alles, was ich Ihm da erzählen werde, die helle, klare Wahrheit und mir selbst begegnet ist! Er wird auch selber nicht daran zweifeln, wenn Er erst in die nächste thessalische Stadt hier kommt, wo es sich öffentlich zugetragen hat und noch in aller Leute Mäulern ist. Laß Er sich auch vorhero noch sagen, wer und woher ich bin und was mein Gewerb ist: Ich heiße Aristomenes, bin aus Ägina und treibe in Thessalien, Ätolien, Böotien Verkehr mit Honig vom Berge Ätna, mit Käse und so dergleichen Waren mehr, die in den Gasthäusern gebraucht werden.
Einstmals nun zieh ich Kundschaft ein, daß zu Hypata, der angesehensten Stadt in ganz Thessalien, frischer wohlschmeckender Käse um sehr billigen Preis zu haben sei. Ich mache mich eiligst dahin auf, gleich den ganzen Vorrat wegzuschnappen. Allein ich armer Schelm mußte zur bösen Stunde ausgegangen sein, meine Hoffnung, einen trefflichen Schnitt zu machen, schlug mir fehl; wie ich hinkam, hatte schon tags zuvor Kaufmann Wolf allen Käse bei der Erde weggekauft. Von der unnützen Eile ermüdet, begebe ich mich gegen Abend ins Bad: Siehe! da werde ich unterwegs meines alten Kameraden Sokrates ansichtig. Er saß auf der Erde, mit einem groben, lumpigen Mantel halb behangen, sich selbst fast nicht mehr ähnlich, totenblaß und ganz entstellt vor Magerkeit: kurz, vollkommen so wie die Stiefkinder des Glücks an den Ecken um Almosen zu bitten pflegen. In diesem erbärmlichen Zustande schämte ich mich meines Freundes und hätte fast getan, als kennte ich ihn nicht; doch ging ich endlich zu ihm hin: ›Um's Himmels willen, lieber Sokrates, was ist das?‹ rief ich, ›wie siehst Du aus? Sag mir, was hast Du angefangen? Du bist zu Hause als tot ausgeschrien, beweint; die Gerichte haben Deinen Kindern Vormünder bestellt, Deine Frau hat die Trauer um Dich schon wieder abgelegt und um Deinetwillen sich so abgehärmt und abgeweint, daß sie beinahe unkennbar und blind geworden ist; eben dringen alle Verwandten in sie, ihren betrübten Witwenstand lieber gegen die Freuden einer zweiten Ehe zu vertauschen – und mittlerweile seh ich Dich hier, zu unser aller größter Schande, wie ein leibhaftes Gespenst einherziehen?‹ – ›Ach, Aristomenes,‹ seufzte er, ›wie wenig mußt Du noch des Glückes Launen, Unbestand und Wechsel kennen!‹ – Und mit den Worten verbarg er sein Gesicht, das blutrot vor Scham geworden war, dergestalt in seine Lumpen, daß kaum noch seine Blöße bedeckt war. Ich konnte den jämmerlichen Anblick nicht ertragen. Ich packe ihn an und will ihn aufrichten; aber mit verhülltem Kopfe, wie er war, rief er: ›O laß mich; laß das Glück noch länger des Siegeszeichens genießen, das es sich selber aufgestellt hat!‹ – Ich bringe ihn demungeachtet noch dahin, daß er mir nachgibt, ziehe auch meinen Oberrock ab und bekleide – oder, um recht zu sprechen, bedecke – ihn geschwind damit und eile mit ihm ins Bad. Da stecke ich ihn in die Wanne und wässere ihn erst, schaffe indes Salbe und Reibtücher herbei und scheure ihm dann den alten Schmutz tapfer ab, und nachdem ich seiner also auf das Beste gepflegt, leite ich ihn, da er ganz entkräftet, so müde ich auch selbst war und so sauer mir's auch ward, nach einer Herberge, lege ihn zu Bett und gebe ihm zu essen und zu trinken und suche ihn durch allerhand Gespräche aufzumuntern. Schon waren wir auch wirklich guter Dinge, lachten, scherzten, stachen einander an, waren laut, als auf einmal mein Gast schmerzlich aus innigster Brust heraufseufzt, sich mit geballter Faust vor die Stirn schlägt und also anhebt:
›Ich Unglücklicher bin bloß durch die vermaledeite Lust, ein Fechterspiel zu sehen, wovon sehr viel Geredens gemacht wurde, in dies schmähliche Elend geraten! Denn, wie Du weißt, reist' ich, um mir ein bißchen Geld zu machen, nach Mazedonien, Kaum habe ich allda zehn Monate mein Wesen getrieben, so ist mein Beutel auch schon so wohl gespickt, daß ich mich wieder auf den Heimweg begebe. Allein wie ich dicht vor Larissa komme, wo ich durchwollte, um dort eben die verwünschten Fechterkämpfe mit anzusehen, fällt mich eine Straßenräuberbande in einem abgelegenen, winkligen Tale an, und ich muß alles, bis aufs Leben, im Stiche lassen. In dieser Not gelange ich zu einer alten braven Gastwirtin mit Namen Meroe. Ich erzähle ihr die Ursache meiner Wanderschaft, und wie ich nun beim Nachhausegehen alles meines sauer erworbenen Gutes beraubt worden. Sie hört meine ganze Geschichte voller Mitleiden an und nimmt mich höchst liebreich bei sich auf, setzt mir auch, und zwar unentgeltlich, eine wohlzugerichtete Mahlzeit vor; am Ende aber, von Brunst hingerissen, nimmt sie mich mit sich zu Bette, und damit war mein Unglück fertig! Denn in der einen Nacht hat mir's das Weib so angetan, daß ich ihr Saft und Kraft verschwendete, ihr auch selbst die Kleider, die mir die Räuber aus Erbarmen noch gelassen hatten, nebst allem dem hingab, was ich, da ich noch fortkonnte, durch Trödeln gewann; bis ich mich zuletzt, – Dank sei meinem bösen Geschick und diesem gutherzigen Weibe! – in dem Zustande befand, worin Du mich jetzt antriffst.‹ –
›Beim Pollux!‹ sprach ich, ›Du verdientest, daß es Dir noch schlimmer erginge, womöglich, als es bereits Dir geht, da Du so um schnöde Lust und um einer verhurten Vettel willen Weib und Kind vergessen hast!‹ – Ganz verdutzt fuhr er darüber voll Schreckens mit dem Zeigefinger sich hastig auf den Mund. ›St! st!‹ rief er mir zu, sah sich höchst schüchtern überall um und sprach endlich: ›O Bruder, ich bitte Dich, nimm Dich in acht, daß Du Dir an dem Weibe die Zunge nicht verbrennst!‹ – ›So?‹ antwortete ich spöttisch. ›Was ist denn mehr mit Deiner Frau Wirtin? Ist sie so mächtig? Sie ist doch wohl nicht etwa eine Königin?‹ – ›Eine Zauberin‹, versetzte er, ›ist sie, eine Fee! Sie kann Dir den Himmel herniederlassen, die Erde emporhangen, die Quellen versteinern, die Felsen zerflößen, die Manen hinauf, die Götter hinabbannen, die Gestirne verdunkeln, den Tartarus selbst erleuchten...‹ – ›Halt, halt!‹ unterbrach ich ihn, ›daß Du nicht noch fällst über die tragischen Stelzen! Packe lieber den theatralischen Plunder ein und sprich mit mir wie andere Leute.‹ – ›Nu, nu,‹ sprach er, ›soll ich Dir eins und das andere von ihren Sächelchen erzählen? Daß sie die Einheimischen nicht allein, sondern die Indier auch, ja die beiden Äthiopier und selbst die Gegenfüßler sterblich in sich verliebt macht, das ist nur erst Kleinigkeit, lauter Spaß! Aber höre nur an, was sie alles vor vieler Leute Augen getan hat. Einer ihrer Buhlen hatte einmal ein Mädchen genotzüchtigt. Mit einem Wort hat sie ihn da in einen wilden Biber verwandelt, um ihn an dem zu strafen, womit er gesündigt; denn dies Tier entmannt sich, um sich nicht fangen zu lassen. Danach tat ihr wieder ein benachbarter Gastwirt zu viel Abbruch in der Nahrung; den hat sie zu einem Frosch gemacht, der bis jetzt noch immer in seinem Weinfasse herumschwimmt und daraus mit heiserer Kehle die alten Kunden zu sich einladet. Ein andermal hat sie einen Advokaten, der einen Prozeß gegen sie geführt hatte, zu einem Schöps umgestaltet. Du kannst den Schöps noch heutigen Tages vor Gericht advozieren sehen. Endlich hatte einmal das Weib ihres Liebhabers ihrer gar zu bitter gespottet. Was hat sie zu tun? Sie verschließt demselben in dem Augenblick, als es entbunden werden sollte, den Leib, treibt ihr die Geburt zurück und verdammt die arme Unglückliche zu einer ewigen Schwangerschaft. Es sind nun schon, wie ihr jeder nachrechnen kann, über acht Jahre, daß sie sich so mit dickem Bauche herumschleppt, gleichsam als sollte sie einen Elefanten zur Welt bringen. Kurz, durch diese und andere dergleichen Streiche kamen gar sehr viele Leute zu Schaden, und der Unwille der ganzen Stadt ward zuletzt darüber rege und nahm so überhand, daß man beschloß, die Unholde andern Tags zu Tode zu steinigen. Allein es hat sich wohl, daß die es hätte dazu kommen lassen! Gleichwie Medea in einer vom Kreon ihr zugestandenen Tagesfrist Palast samt Tochter und Vater vermittelst eines Kranzes zu Asche verbrannte, ebenso hat auch diese in einer einzigen Nacht (wie sie in einem Rausche es mir neulich selbst erzählt) vermittelst fürchterlicher, in Gräbern angestellter Beschwörungen, alle Einwohner der Stadt samt und sonders so fest in ihre Häuser hineingebannt, daß sie ganze zwei Tage weder Schlösser erbrechen noch Tür und Fenster ausheben noch auch durch Mauern und Wände sich Öffnungen machen konnten; bis sie sich endlich insgesamt bequemten und einhellig schrieben und auf das Heiligste sich vermaßen, nicht allein selbst nicht Hand an sie zu legen, sondern sie auch gegen jedermann, der etwas wider sie unternehmen würde, zu verteidigen und zu schützen. Damit zufrieden, hat sie stracks die ganze Stadt wieder entzaubert. Allein den Urheber des wider sie gefaßten Anschlags hat sie bei stockfinstrer Nacht samt dem ganzen Hause (das heißt Gemäuer, Grund und Boden), so verschlossen wie es war, hundert Meilen weit weg in eine Stadt hingetragen, die auf der Spitze eines so hohen Berges gelegen, daß beinahe gar kein Wasser da ist. Weil aber da die Gebäude der Einwohner so dicht aneinander standen, daß für den neuen Ankömmling kein Platz mehr übrig war, so hat sie das Haus nur vor das Stadttor hingeworfen und dann sich wieder heimbegeben.‹ –
›Nein, lieber Sokrates,‹ schrie ich, ›das ist arg, das ist wundersam! Nun bin ich gleichfalls angst und bange und bebt mir das Herz vor Furcht im Leibe, daß Deine Alte diese unsere Gespräche nicht auch durch Hilfe eines Geistes wieder erfahre. Laß uns also nur früh Schicht machen, damit wir bald ausschlafen und uns morgen mit dem Allerfrühesten aus dem Staube machen können!‹ – Ich hatte dies noch nicht ausgeredet, so war der gute Sokrates, weil er des Weins ungewohnt und vom Tage her müde war, schon eingeschlummert und schnarchte überlaut. Ich klemme also flugs die Tür zu, schiebe die Riegel recht fest vor, stelle auch noch zur größeren Sicherheit mein Bett ganz dicht wider die Angeln und werfe mich hinauf. Die Furcht hielt mich erst eine lange Weile wach; endlich, um Mitternacht, fallen mir die Augen allgemach zu. Kaum war ich recht eingeschlafen, so wird auch mit einmal mit größerm Ungestüm, denn sich von Dieben erwarten läßt, die Tür eröffnet oder vielmehr gesprengt, und hulter pulter übern Haufen gerannt, daß die Angeln in Stücken zu Boden fallen. Mein Bett, ohnedies klein, dreibeinig und morsch, fliegt um und um und bleibt, da ich herausgepurzelt, umgestürzt über mir stehen. Da erfuhr ich, daß manche Affekte sich von Natur auf widersprechende Art äußern. Denn wie man oftmals vor Freude Tränen vergießt, so konnte ich mich auch jetzt bei meinem großen Schrecken des Lachens nicht erwehren, da ich so aus Aristomenes zu einer Schildkröte geworden. Wie ich aber auf der Erde unter meinem Bette hervorvigiliere, was es denn gibt, so seh ich zwei ziemlich betagte Mütterchen. Eine trägt eine helle Leuchte; einen Schwamm und einen bloßen Dolch die andere. In dem Aufzuge stehen beide am Bette des Sokrates, der in tiefem Schlafe lag. Die mit dem Dolche fängt an: ›Hier, Schwester Panthia, hier siehst Du meinen teuren Endymion, meinen Ganymed, der so Tag als Nacht meine Schwäche gemißbraucht hat, und der nun meine Liebe mit Füßen tritt, meinen guten Namen schändet und mich auf ewig fliehen will. Aber daß ich mich doch von diesem arglistigen Ulysses hintergehen ließe und wie eine zweite Kalypso um ihn in ewiger Sehnsucht und Einsamkeit weinte! Mag indessen,‹ fuhr sie fort, mit ausgestreckter Rechten der Panthia mich zeigend, ›sein feiner Ratgeber da, Aristomenes, der ihm die Flucht in den Kopf gesetzt hat, jetzt aber, dem Tode nahe, nach aller Länge unter dem Bett ausgestreckt liegt und hier nach uns herschielt, mag er doch immerhin wähnen, allenthalben meine Schmach auszuposaunen; er soll mir schon über lang oder kurz, vielleicht nur allzubald, ja wohl gar noch jetzt, den Augenblick, all seine angebrachten Spöttereien so wie seine gegenwärtige Keckheit schmerzlich genug bereuen!‹ –
Als ich das hörte, brach mir der kalte Angstschweiß aus, und ich zitterte und bebte dergestalt unter meinem Bette, daß es auch nicht eine Minute ruhig stehen blieb, sondern unaufhörlich wie eine Stampfmühle schütterte und pochte.
›Ei,‹ sprach Panthia, ›warum kühlen wir denn nicht also unsern Mut an dem zuerst? Laß uns ihn, Schwester, wie Bacchantinnen in Stücke zerreißen oder binden und zum Verschnittenen machen!‹ – ›Keines von beiden!‹ versetzte Meroe (denn ich merkte an allem, daß es die war, von der Sokrates mir erzählte), ›er muß am Leben bleiben, um den Leib dieses Armseligen in ein wenig Sand zu verscharren.‹ – Hiermit kehrt sie den Kopf des Sokrates auf die Seite, senkt ihm den Dolch bis an das Heft in die Gurgel und fängt das hervorspritzende Blut so geschickt und sorgfältig in einem Schlauche auf, daß auch kein Tröpfchen danebenkommt. Das haben diese meine Augen gesehen. Nun fährt sie – um keinen von den Opfergebräuchen aus der Acht zu lassen, wie mir dünkt – mit der rechten Hand durch die Wunde bis zu den Eingeweiden hinunter, sucht darin herum und bringt dann das Herz meines armen Kameraden zum Vorschein, während der Zeit er aus abgeschnittener Kehle laut röchelt und seinen Geist mit dem strudelnden Blute aufgibt. Panthia aber stopft die Wunde, wo sie am weitesten voneinander steht, mit einem Schwamme zu und murmelt dabei: ›Schwamm, Schwamm, in dem Meere geboren, geh in dem Flusse verloren!‹ Dies getan, so schieben sie das Bett von mir hinweg, treten mit auseinandergesperrten Beinen über mich hin, und jetzt regnen sie so lange auf mich herab, bis sie mich durchaus in den garstigsten Bökel eingeweicht haben. Kaum verließen sie die Schwelle, so erhebt sich die Tür wieder und kehrt an ihren Ort zurück, die Angeln springen wieder in ihre Pfannen ein, die Haspen eilen den Pfosten zu und die Riegel schieben sich von selbst wieder vor. Ich aber bleibe, wie ich war, am Boden hingestreckt liegen, atemlos, splitternackt, eiskalt und nicht minder benetzt, als ob ich eben erst aus Mutterleibe gekrochen; da ich doch schier halb ausgelebt, ja mich selber schon ganz überlebt hatte und mit allem Fuge als ein After-Ich, wenigstens als ein wohlbestallter Galgenkandidat anzusehen war. ›Was wird aus Dir werden,‹ sprach ich bei mir selbst, ›wenn man am Morgen den erwürgt im Bett finden wird? Wem wirst Du nicht der Wahrheit zum Trotze ein Lügner scheinen? Du hättest ja nur um Hilfe rufen dürfen, wird man sagen, wenn Du feige Memme Dich vor einem alten Weibe fürchtest! Vor Deinen Augen einen Menschen ermorden sehen und schweigen? Warum hat man Dich nicht auch auf den Kopf geschlagen? Warum hätte denn die Mordlust der Hexe den Augenzeugen ihres Frevels verschont, von dem sie ja fürchten mußte, daß er sie verraten würde? Immer hin mit Dir zum Tode, dem Du also entronnen bist!‹
Ich überlegte das hin und her, unterdessen ging die Nacht zum Tage über. Am klügsten dünkte mir's da, mich noch in der Dämmerung fortzumachen und so geschwind und so weit zu rennen, als die Füße nur laufen wollten. Ich nehme also mein Bündel auf den Buckel, schließe die Stubentür auf, wiewohl erst nach vieler Mühe und Not, denn das vertrakte Schloß, das nachts von freien Stücken aufgesprungen, ließ jetzt sich lange störlen und rütteln, ehe es aufwollte, und gehe und rufe den Hausknecht. – ›He,‹ schreie ich, ›wo bist Du? mach das Tor auf, ich will fort!‹ – Er lag gleich hinter der Haustür auf einer Streu; noch halb im Schlafe, gab er mir zur Antwort: ›I, wißt Ihr denn nicht, die Straßen sind jetzt der Spitzbuben wegen so unsicher! Wo wollt Ihr denn noch bei Nacht hin? Rennt doch dem Tod nicht in den Rachen! Oder treibt Euch etwa ein böses Gewissen dazu? Nu, so dumm sind wir doch nicht, daß wir uns um Euretwillen sollten totschlagen lassen!‹ – ›Es ist ja nicht mehr weit vom Tage,‹ versetzte ich, ›und was können mir blutarmem Manne auch die Räuber stehlen? Weißt Du nicht, Narr, daß selbst zehn Banditen einen Nackenden nicht ausplündern können?‹ – Ohne sich zu ermuntern, warf er sich auf die andere Seite herum und sagte: ›Ach, wo weiß ich auch, ob Ihr nicht gar Euren Reisegefährten, mit dem Ihr gestern so spät hierherkamet, umgebracht habt und Euch nun durch die Flucht retten wollt!‹ –
Ich denke nicht anders, als es tut sich in dem Augenblick die Erde unter mir auf, und ich sehe aus dem innersten Tartarus hervor den Cerberus heißhungrig auf mich zufahren.
Jetzt kam es mir erst zu Sinne, daß die ehrliche Meroe mitnichten aus Barmherzigkeit meiner Kehle geschont, sondern vielmehr aus Grausamkeit mich für den Galgen aufgespart habe.
Sobald ich also in die Stube zurückgekehrt, überlege ich in der Geschwindigkeit, wie ich mir das Leben nehmen will. Inzwischen, da kein ander tödliches Werkzeug anzutreffen war, als was mein Bett mir darbot, so wende ich mich zu demselben mit diesen Worten:
›Herzliebes Bett, das so viel Ungemach mit mir erlitten; Du, das alles mit angesehen, was diese Nacht hier vorgegangen ist; Du, der einzige Zeuge, den ich für meine Unschuld anrufen kann: o leihe mir zu meiner Reise in die Unterwelt gefälligen Beistand!‹ –
Während der Anrede knüpf ich den Strick los, womit es zusammengeschnürt war, werfe das eine Ende davon um einen Balken, der oben über das Fenster hervorragte, und befestige es daran, und an dem andern mache ich eine Schleife. Nun steige ich auf mein Bett in die Höhe, um mich zu erhenken, und streife mir die Schlinge über den Kopf.
Wie ich jetzt aber mit dem Fuße meine Stütze unter mir wegstoße, um durch meine Wucht im Herabfallen mir den Knoten um die Kehle desto fester zuzuziehen, so zerreißt mit einmal der alte verstockte Strick, und ich stürze auf den Sokrates, der dicht neben mir lag, so mächtig hin, daß wir uns beide überkollern und zusammen auf die Erde hinabrollen.
Und siehe, in demselbigen Augenblick reißt auch der Hausknecht die Tür auf und schnauzt herein: ›Wo seid Ihr denn nun, der bei stockfinsterer Nacht so über die Maßen forteilet? Ihr seid ja wohl gar wieder in das Bett gekrochen?‹ –
Nun weiß ich nicht, war's über unsern Fall oder übers überlaute Geschrei dieses Kerls, genug damit, so erwacht mein Sokrates und rafft sich zuerst auf. –
›Wahrlich!‹ sprach er, ›die Reisenden haben auch recht, daß sie so über das ungeschliffene Hausknechtsgesindel schimpfen. Was muß nun der Grobian da um jetzige Zeit seinen Rüssel zur Tür hereinstecken und so zahnbrecherisch schreien, daß er mich armen Ausgemergelten aus meinem allertiefsten Schlafe aufweckt? Er hat gewiß Lust, uns was zu mausen.« –
Gleich spring ich munter und lustig auf, kein kleiner Stein fiel mir vom Herzen. Begeistert von höchst unerwarteter Freude, ruf ich: ›Nu, da sieh einmal, Du superkluger Hausknecht, ist er wohl ermordet, mein trauter Reisegefährte, mein Bruder, mein Vater? Schau, ist er ermordet, wie Du's mir vorher in Deiner Dösigkeit schuld gabst?‹
Und mit den Worten falle ich dem Sokrates um den Hals und herze und küsse ihn. Aber der Wohlgeruch, den die alten Hexen über mich gegossen hatten, stieg ihm nicht so bald in die Nase, als er mich zurückstieß: ›O bleib mir vom Leibe,‹ sprach er, ›riechst Du doch wie ein alter Nachttopf!‹ Und lachend wollte er nun die Ursache dieses angenehmen Duftes erforschen. Allein ich wich ihm durch ein aus dem Stegreif erdichtetes Späßchen aus, nehme ihn beim Arm und sage: ›Warum gehen wir denn nun nicht und machen uns den Morgen zunutze?‹ – Ich hocke sofort mein Felleisen auf, bezahle dem Hausknecht das Nachtlager, und wir machen uns auf den Weg.
Wir waren schon ziemlich weit vorwärts, als erst die Sonne aufging und es hell ward. Nun betrachtete ich mir mit unruhiger Neugier die Kehle meines Reisegefährten, zumal auf der Seite, wo ich den Dolch hatte hineinsenken sehen. ›Alberner Mensch,‹ sprach ich endlich bei mir selbst, ›was Du auch auf Deinen Rausch nicht all für tolles Zeug geträumt hast! Sieh nur, Sokrates ist ja frisch und gesund. Wo hat er wohl eine Wunde? wo den Schwamm? wo endlich die große frische Narbe?‹ Darauf wandt ich mich zu meinem Begleiter: ›Die Ärzte haben doch wirklich nicht unrecht,‹ sprach ich, ›wenn sie der Meinung sind, daß das übermäßige Fressen und Saufen schwere Träume macht; denn ich habe diese ganze Nacht, weil ich gestern abend ein bißchen zu tief ins Glas geguckt, so entsetzliche Gesichte und Erscheinungen gehabt, daß ich mir noch immer von Menschenblut zu triefen scheine.‹ – ›Von Menschenblut?‹ versetzte er lächelnd, ›ich hätte eher auf etwas anderes geraten! Indessen habe auch ich geträumt, ich würde erwürgt. Ich fühlte an der Kehle große Schmerzen, und es war mir auch, als würde mir das Herz aus dem Leibe gerissen. Selbst jetzt kann ich noch keinen Atem kriegen, und die Knie werden unter mir so schwach, daß ich hin und her wanke. Ich möchte wohl etwas zu essen haben, um mich wieder zu erquicken.‹ – ›Geduld,‹ sprach ich, ›es soll den Augenblick ein Frühstück für dich fertig sein!‹ – Mit dem werfe ich meinen Ranzen von der Schulter und reiche ihm ein Stück Brot und Käse hin: ›Komm,‹ sage ich, ›laß uns dazu unter der Platane dort hinsetzen.‹ – Das geschieht, und ich nehme mir mein Teil auch. Indem wir nun so sitzen und es uns wohlschmecken lassen, werde ich auf einmal gewahr, daß dem Sokrates, bei der größten Geschäftigkeit seiner Kinnbacken, die Augen brechen, und daß er bleich und blaß wie ein Tuch wird. Bald, so hatte er so sehr das Ansehen einer Leiche, daß alle meine nächtlichen Schreckbilder sich von neuem meiner Vorstellung bemächtigten und vor Entsetzen mir der Bissen im Munde erstarb. Was meine Furcht noch vermehrte, waren die vielen Leute, die vorübergingen. Was hätten sie anders denken können, als daß ich meinen Reisegefährten ermordet.
Doch als Sokrates seinen Appetit gestillt, so bekam er einen gewaltigen Durst; denn von dem besten Käse hatte er ein gutes Stück zu sich genommen. An der Platane, worunter wir saßen, floß ganz nahe ein kleines kristallenes Flüßchen so langsam und ruhig vorbei, daß es fast für ein stehendes Gewässer anzusehen war. – ›Sieh,‹ sage ich also zu ihm, ›da kannst Du ja aus der schönen reinen Quelle Deinen Durst löschen!‹ – Er steht auf, schlägt seinen Mantel zurück, und wo das Ufer am flachsten ist, kniet er nieder, hält sich fest mit den Händen an, und mit langem, vorwärts hinabgebeugtem Halse sucht er einen frischen Trunk zu schöpfen. Allein er hat seine Lippen noch nicht recht naß gemacht; so bricht die Wunde in der Kehle, so groß und tief sie war gemacht worden, auf, und der Schwamm fällt in den Fluß, von wenigen Blutstropfen begleitet. Schier wäre der ganze Körper in das Wasser gesunken, hätte ich ihn nicht bei einem Beine gefaßt und mit genauer Not aufs Ufer gezogen. Nachdem ich meinen armen Reisegefährten nach Beschaffenheit der Zeit bitterlich beweint und auf ewig in der Nachbarschaft des Flusses in den Sand verscharrt, floh ich schüchtern und bebend durch abgelegene, unwegsame Einöden davon, und nicht anders, als wäre ich eines Menschenmordes schuldig, verließ ich Vaterland und Haus und Hof und begab mich freiwillig ins Elend. Jetzt bin ich nun wieder verheiratet und in Ätolien ansässig.« – Also Aristomenes.
Sein Begleiter, der sich gleich von Anfang ungläubig gegen diese Geschichte bewiesen hatte, sprach: »Ich bleibe dabei, das ist die abenteuerlichste aller Fabeln, die albernste Lüge, die es nur gibt! Und sag Er mir nur, Herr,« wandte er sich zu mir, »Er ist doch nun der Kleidung und dem Ansehen nach ein stattlicher Mann, mag Er denn in aller Welt ein solches Märchen glauben?« – »Ich meines Teils,« geb ich ihm zur Antwort, »ich halte nichts für unmöglich, sondern bin der Meinung, daß, was das Schicksal nur fügt, alles den Sterblichen auch begegne. Es widerfahren uns ja, mir sowohl als Euch und allen übrigen Menschen, so manche wundersame und fast unerhörte Dinge, die, wenn wir sie einem Fremden wiedererzählten, gewiß nicht den mindesten Glauben finden würden! Daher glaube ich, beim Herkules! die herrliche Erzählung, womit uns Aristomenes so angenehm unterhalten hat, nicht allein vom Anfang bis zum Ende vollkommen, sondern ich weiß ihm auch den herzlichsten Dank dafür! Bin ich doch darüber weder der Länge noch der Rauhigkeit des Weges gewahr geworden. Auch mein Gaul hat sich wohl dabei gestanden; da ich so sonder Beschwerde seines Rückens auf dem Vergnügen meiner Ohren bis vor das Tor dieser Stadt hergeritten bin.« –
Hier hatte mit unserm Gespräche auch der gemeinschaftliche Weg ein Ende, denn meine beiden Reisegefährten gingen links ab nach benachbarten Dörfern, und ich in die Stadt hinein. Vor dem ersten Wirtshause, das ich antraf, halt ich still und frage die Gastwirtin, die schon bei Jahren war: »Bin ich hier recht? heißt die Stadt Hypata?« – Sie nickte. – »Kennt Ihr nicht einen gewissen Milo, einen von den Ersten in der Stadt?« – Sie lachte. »O,« sprach sie, »Milo kann mit gutem Fuge der Allererste hier heißen; da er am Zwinger gleich zu Anfang der Stadt wohnt.« – »Scherz beiseite,« versetzte ich, »sagt mir doch, ich bitte Euch, gute Mutter, wer er ist und in welchem Hause er wohnt.« – »Sehen Sie da ganz unten nicht die Fenster,« sprach sie, »die zur Stadt hinausgehen? und auf der andern Seite die Tür dem kleinen nahen Gäßchen gegenüber? Allda wohnt der Milo, ein steinreicher, überaus wohlhabender Mann, der aber bei aller Welt als der abscheulichste, schmutzigste Geizhals verschrien ist. Kurz, er leihet immer auf Gold- und Silber-Pfänder gegen reichliche Zinsen, steckt wie eingeschlossen in seiner Hütte und brütet da überm Geldkasten, und ungeachtet er eine Frau zur Mitgenossin seines kümmerlichen Lebens hat, so hält er doch nur eine einzige Magd und zieht nicht ein Haar anders einher als ein Bettler.« – Ich lache darauf in meinem Herzen und denke im Weiterreiten: »Da hat ja Freund Demeas ausnehmend wohl und gütig für Dich gesorgt, daß er Dich auf Deiner Reise einem solchen Manne empfohlen hat, in dessen Hause Du weder von Rauch noch von Küchendampf wirst behelligt werden!«
Hiermit gelange ich nach einem kurzen Wege vor der Tür an, die ich scharf verriegelt fand. Ich mußte lange anklopfen und »Holla« rufen. Endlich und endlich kommt die Magd heraus. – »He,« sprach sie, »wer pocht denn? Worauf gedenken Sie zu borgen, mein Herr? es wird Ihnen nicht unbekannt sein, daß hier keine anderen Pfänder denn Gold und Silber angenommen werden.« – »Ich komme in ganz anderer Absicht, mein Kind!« versetzte ich, »sage Sie mir nur, finde ich Ihren Herrn zu Hause?« – »O ja,« sprach sie; »warum?« – »Ich habe Briefe vom Demeas aus Korinth an ihn abzugeben.« – »So warten Sie nur ein wenig, ich will Sie melden.« – Mit den Worten geht sie wieder hinein und riegelt hinter sich zu. Bald, so erscheint sie wieder, macht mir die Tür auf und sagt: »Sie möchten doch so gut sein und hereinkommen!« – Ich tu's und finde den Milo eben bei Tische. Er lag auf einem kleinen Bettchen und seine Frau saß ihm zu Füßen. Er zeigte auf die vor ihm stehende leere Schüssel und sprach: »Sie sind mir hierauf freundlich willkommen!« Ich dankte und überreichte ihm sofort den Brief des Demeas. Als er ihn geschwind durchgelesen, sagte er: »Ich bin meinem Freunde außerordentlich viel Dank schuldig, daß er die Gütigkeit hat, mir einen so vornehmen Gast zuzuweisen.« Darauf läßt er seine Frau aufstehen und nötigt mich, ihren Platz einzunehmen. Da ich aber aus Höflichkeit mich weigerte, es zu tun, so zog er mich beim Kleide zu sich und fügte hinzu: »Machen Sie doch keine Umstände und lassen Sie sich nieder; denn wir haben hier weiter keine Stühle noch anderes Gerät, weil wir uns vor den Dieben nichts anschaffen dürfen.« – Ich setzte mich also. – »Ich würde Sie,« nahm er das Wort wieder, »schon an Ihrem feinen Wesen und an Ihrer einnehmenden Bescheidenheit für einen Mann von Stande erkennen, wenn auch mein Freund Demeas nichts davon in seinem Briefe erwähnt hätte. Um so mehr muß ich Sie aber ersuchen, unser kleines enges Häuschen nicht zu verschmähen. Es soll Ihnen hier in dem Nebenzimmerchen an keiner anständigen Bequemlichkeit fehlen. Nehmen Sie nur gütigst bei uns vorlieb. Sie werden dadurch nicht allein uns eine große Ehre erzeigen, sondern zugleich dem ruhmvollen Beispiele des Namensverwandten Ihres Vaters, des Theseus, folgen, der es vormals auch für keine Schande gehalten, unter dem niedern Dache der alten Hekale zu herbergen.« – Und nachdem er das Mädchen gerufen, sagt er zu ihr: »Fotis, packt den Mantelsack des Herrn ab und tragt ihn hier in das Zimmer daneben. Holt auch geschwind aus der Vorratskammer Öl und Badezeug und bringt dann meinen Gast in das nächste Bad; er wird von seiner weiten, beschwerlichen Reise müde sein.« – Als ich das hörte, besann ich mich in der Geschwindigkeit des Charakters und der Kargheit des Milo und suchte mich bei ihm in Gunst zu setzen, indem ich sagte: »O, dessen bedarf ich all nicht; ich pflege es auf Reisen beständig selbst mit mir zu führen, und nach dem Bade will ich mich auch schon allein hinfinden. Will Sie mir aber einen Gefallen tun, Fotis, so sei Sie so gut und nehme hier dies Geld und kaufe mir dafür Heu und Gerste für mein Pferd, mit dem ich heute einen tüchtigen Ritt getan habe.« – Sobald nachher der Mantelsack auf meinem Zimmer war, geh ich zum Bade fort, nehme aber meinen Weg übern Markt, um mich erst mit etwas Mundvorrat zu versehen. Ich finde da herrliche Fische feil, nur forderte man 100 Nummen dafür; ich handelte und bekomme sie noch für 20 Denar. Eben war ich vom Markte wieder herunter, so sah ich einen alten Schulkameraden von mir aus Athen, den Pytheas, hinter mir herkommen. Er erkannte mich auch gar bald wieder, kam liebreich auf mich zu und umhalste und küßte mich sehr freundschaftlich: »I, lieber Lucius,« rief er, »haben wir uns doch so lange nicht gesehen! beim Herkules! seitdem wir aus der Schule sind, nicht wieder! Nun, wie kommst Du einmal hierher?« – »Das sollst Du morgen erfahren,« versetzte ich. »Aber was seh ich? O, viel Glück zu den Lictoren, den Fasces und dem ganzen magistratlichen Ornate!« – »Ich bin hier Proviantverwalter,« antwortete er, »und Ädil, und wenn Du was einzukaufen hast, so kann ich Dir nützlich sein.« – Ich bedankte mich, weil ich an meinen Fischen schon zur Genüge hatte. Inzwischen fiel ihm mein Einkauf in die Augen. Er bückt sich danach herunter, schüttelt ihn herum, ihn desto besser zu besichtigen, und fragt mich: »Wieviel hast Du für den Schund gegeben?« – »Mit genauer Not,« gebe ich zur Antwort, »hat mir ihn der Fischer noch für 20 Denar gelassen.« – Als er das hörte, nahm er mich bei der Hand und führte mich schnurstracks wieder auf den Markt zurück. »Von wem,« sprach er da, »hast Du den Bettel gekauft?« – Ich zeige ihm meinen Mann, der auf einer Ecke feil hatte. Den Augenblick fährt er demselben mit greller Stimme in völligem Amtseifer auf den Hals. – »Nun,« sprach er, »nun schont Ihr auch keinen Freund mehr, geschweige einen Fremden! Ist das wohl erlaubt, die Leute so unverschämt zu schnellen und für solch elendes Zeug von Fischen so viel zu fordern? Wollt Ihr denn mit Eurer gottlosen Überteuerung der Lebensmittel Thessaliens blühendste Stadt durchaus so öde wie einen Fels oder eine Sandwüste machen? Aber das soll Euch nicht ungestraft hingehen! Ich will Euch zeigen, wie man Schurken, wie Ihr seid, in meinem Amte züchtigen kann.« Damit schüttet er alle meine Fische mitten auf die Gasse hin, und ein Scherge muß sich hinstellen und sie mit Füßen treten. Nach dieser verübten exemplarischen Strenge wendet sich Freund Pytheas, höchst mit sich selbst zufrieden, wieder zu mir. – »Jetzt,« sprach er, »verweile ich Dich nicht länger, lieber Lucius, laß Dich von nichts abhalten, die öffentliche Beschimpfung dieses Betrügers ist mir nun schon hinlänglich.«
Ganz bestürzt und erstaunt über dies hochweise Verfahren meines wohlehrsamen Herrn Mitschülers, welches mich so um mein Geld und meine Mahlzeit brachte, verfügte ich mich hierauf in das Bad und von da wieder nach der Wohnung des Milo, in mein Zimmer. Alsbald kam Fotis, mich zum Essen zu rufen. Weil ich aber die Gerätlichkeit ihrer Herrschaft schon kannte, so laß ich mich sehr höflich entschuldigen: ich wäre von meiner Reise mehr müde denn hungrig. Auf dies Kompliment kommt Milo selber, mich zu holen. Er nötigt mich auf das dringendste und reißt mir ganz, wie man zu sagen pflegt, den Ärmel aus, mitzukommen; da ich mich aber immer mit großer Bescheidenheit weigere und es durchaus nicht tun will, so sagt er endlich: »Ich weiche und wanke nicht eher von Ihnen, bis Sie mich begleiten!« und bekräftigt dies noch mit einem großen Schwur. So ungern ich's auch tat, mußte ich nun doch schon nachgeben. Ich gehe also mit zu ihm hinüber.
Wir setzen uns aufs Bett, und sogleich fängt er an: »Nun, wie befindet sich denn unser Demeas? Wie geht's seiner Frau? Was machen seine Kinder? Wie steht's um sein Gesinde?« – Ich geb ihm von allem und jeglichem umständlichen Bericht. Hierauf geht's an ein Fragen: warum, in welcher Absicht, auf wie lange und wohin ich denn eigentlich diese Reise unternommen hätte? Als ich ihm auch dies alles getreulich beantwortet, so nimmt er mich über mein Vaterland in Verhör; erkundigt sich nach allen darin angesehenen Familien auf das Genaueste, und wie wir damit fertig sind, muß endlich auch sogar der Statthalter kein schlechtes bißchen herhalten. Kurz, er trieb das Ding so lange, bis er sah, daß mich die Müdigkeit von meiner Reise und seinem ewigen Gespräche ganz unter hatte, daß ich mitten in der Rede vor Schlaf stockte und stotterte und stammelte und gar nicht mehr wußte, was ich sprach, dann hob er an: »Ei wirklich, sind Sie doch auch so müde von Ihrer Reise, daß Sie nicht einmal mehr das Essen abwarten können! Das tut mir ja leid, aber zwingen Sie sich meinetwegen nicht. Machen Sie keine Umstände, gehen Sie, gehen Sie immer und legen Sie sich aufs Ohr.« – Damit entließ er mich, und froh, daß ich nur des filzigen Alten Plauder- und Hungermahl entkam, taumelte ich voll Schlafs, aber mit leerem Magen (denn kahle Gespräche machen nicht satt) auf mein Zimmer zurück und ergab mich der sehnlich erwünschten Ruhe.
* * *
Sobald nach vertriebener Nacht die aufgehende Sonne den Tag erneuet, erwachte ich und verließ mein Bett voll ängstlicher Begierde, die Seltenheiten und Wunder der Stadt zu sehen. Der Gedanke, daß ich mitten in Thessalien, der Magie weltbekannter Heimat, mich befände, und die Erzählung, wozu diese Stadt den ehrlichen Aristomenes veranlaßt, befeuerten meine ohnehin heiße Phantasie noch mehr, und mit höchst gespannter Neugier staunte ich links und rechts alles mit großen Augen an.
Es war in ganz Hypata nichts, das ich für das, was es war, angesehen hätte. Alles und jedes mußte durch Hexerei in eine andere Gestalt verwandelt worden sein. Die Steine sogar, die ich antraf, hielt ich für vormalige Menschen. Die Vögel, die ich singen hörte, die Bäume, die im Zwinger standen, die Brunnen in den Gassen schienen mir alle ebensoviel befiederte, belaubte, zu Wasser zerflossene Menschen. Ja, ich erwartete, daß Bilder und Statuen einherspazieren, Wände reden, Ochsen und Vieh weissagen und vom Himmel herab mit einemmal aus der Sonnenscheibe Göttersprüche erschallen sollten.
So in schwärmerischen Vorstellungen entzückt, oder vielmehr von übernatürlichen Wünschen verrückt, schwindelte ich umher, ohne auch nur eine Anzeige oder überhaupt eine Spur von alledem anzutreffen, was ich mir einbildete.
Ich taumelte wie ein Betrunkener Straße auf, Straße ab, bis ich endlich ganz unvermutet auf den Marktplatz komme.
Ein Frauenzimmer, von sehr vielen Bedienten umgeben, zog da meine Augen auf sich, und ich beschleunigte meine Schritte, sie einzuholen. Kostbarer Schmuck und goldgestickte Kleider verrieten in ihr eine sehr vornehme Frau. Zu ihrer Seite befand sich ein Herr, schon ziemlich bei Jahren.
Dieser ward mich nicht sobald gewahr, als er rief: »Beim Herkules, das ist ja Lucius!«
Er umarmte mich sogleich und raunte dann der Dame, ich weiß nicht was, ins Ohr.
»Wollen Sie nicht,« sprach er jetzt, »näher herzutreten und hier eine Anverwandte begrüßen?«
»Ich weiß nicht, ob ich es mich unterstehen darf, da ich nicht die Ehre habe, sie zu kennen,« antwortete ich und blieb stehen, indem ich errötend die Augen niederschlug.
Die Dame lenkte ihre Blicke auf mich und sagte: »In der Tat, das ist der Sohn der vortrefflichen Salvia! Sie leibt und lebt in ihm. Ist doch sein ganzer Körper in unaussprechlichem Ebenmaß gebildet! Just die rechte Größe, die rechte Stärke! Welch eine sanftgemischte Gesichtsfarbe! Welch natürlich gelocktes blondes Haar! Die blauen Augen, wie voller Leben, voller Feuer, gleich den Augen des Adlers! Wie schön in allem Betrachte! Wie edel, wie ungezwungen sein ganzes Wesen! Ich freue mich, Sie wiederzusehen, mein lieber Lucius,« redete sie mich endlich an, indem sie auf mich zukam. »Oft genug habe ich Sie sonst auf meinen Armen getragen; denn Sie sehen in mir eine Blutsverwandte Ihrer Mutter, die mit mir zusammen auferzogen worden ist. Wir stammen beide von Plutarchs Geschlecht ab und sind dazu Milchschwestern. In geschwisterlicher Eintracht und Gleichheit sind wir miteinander aufgewachsen, und nur unsere Verehelichung hat einen Unterschied zwischen uns gemacht; indem sie einen sehr vornehmen, ich aber einen Privatmann geheiratet. Ich bin die Byrrhenna, deren Namen Sie vielleicht oft von Ihren Erziehern gehört haben. Sie sind mir höchst willkommen, lieber Lucius, und Sie dürfen das Gastrecht nirgends anders als bei mir nehmen!«
Da sich während ihrer Rede meine Röte und Verlegenheit wieder verloren hatten, so antwortete ich:
»Für diesmal muß ich es sehr verbitten, liebe Tante! Ich würde sonst meinen Wirt Milo beleidigen, der mich sehr höflich bei sich aufgenommen hat. Indessen, so oft ich künftig wieder hierher reise, soll mir gewiß nichts angelegener sein, als dieser Gastfreundschaft unbeschadet Ihren Befehlen zu gehorchen und bei Ihnen abzutreten.«
Unter diesen und anderen gegenseitigen Komplimenten gelangten wir zu Byrrhennens Wohnung, die nur wenige Schritte entfernt war. Ich wurde in einen überaus schönen Saal geführt.
In jeder der vier Ecken desselben stand eine Säule mit einer Victorie. Die Flügel ausgebreitet, den einen ihrer rosigen Füße zum eilenden Schritt vorgeworfen und mit der Spitze des andern eine rollende Kugel kaum noch berührend, schien die Göttin jetzt emporzufliegen.
Mitten im Saale prangte eine Diana aus parischem Marmor. Man kann nichts Herrlicheres sehen! In vollem Laufe, das Gewand flatternd im Winde, fällt sie gleich beim Hereintreten ins Auge und jagt durch überirdische Majestät Ehrfurcht und Schrecken ein. Hunde, aus demselbigen Steine gebildet, sitzen zu ihren Seiten. Drohend blicken sie um sich, recken die Ohren, halten die erweiterten Nasenlöcher in die Höhe, schnuffeln und schnaufen, und erschallt irgend aus der Nachbarschaft ein Gebell, so glaubt man getäuscht, es aus ihren Marmorrachen zu hören. Worin sich aber der vortreffliche Bildner am meisten hervorgetan, ist in der Stellung dieser Tiere. Gleichsam in völligem Sprunge schweben Brust und Vorderläufe in der Luft, die Hinterfüße stehen auf.
Hinter dem Rücken der Göttin steigt ein Fels empor und wölbt sich eine Grotte, allenthalben mit Moos, Kräutern und Blättern, Stauden, Reben und blühenden Gesträuchen, wiewohl auch nur von Stein, verwachsen und bis in das Innerste von dem Abglanze der marmornen Bildsäule erleuchtet. Um den Eingang der Grotte ziehen sich verwebte Ranken mit Früchten und meisterlichst gearbeiteten Weintrauben, in denen die Kunst so mit der Natur gewetteifert, daß sie der Wahrheit gleich sind. Hauchte der mostreiche Herbst die Farbe der Reife über sie, man würde lüstern die Hände nach ihren Beeren ausstrecken. Und neigt man über die Quelle sich hin, welche unter dem Fußtritte der Göttin entspringt und rieselnd sich weiterergießt, so glaubt man, es gebreche derselben so wenig als den herniederhangenden Reben mit ihren Trauben, bei den übrigen Merkmalen der Wahrheit, auch nicht einmal die Bewegung.
Unter dem verschränkten Laube hervor erblickt man den Aktäon. Schüchtern, als wäre er schon Hirsch, richtet er seinen vorwitzigen Blick auf die Göttin und hofft, sie jetzt im Marmorquell baden zu sehen.
Indem ich dies alles mit Verwunderung und ausnehmendem Vergnügen nicht oft genug betrachten konnte, sagte Byrrhenna zu mir: »Sehen Sie dies alles als Ihr Eigen an!« – und mit den Worten läßt sie alle übrigen hinausgehen.
Als wir nun ganz allein waren, sprach sie:
»Bei Dianen! liebster Lucius, ich bin um Ihretwegen in tausend Ängsten und wie um meinen eigenen Sohn bekümmert! O, hüten Sie sich vor Pamphilen, vor Ihres Wirtes Frau! Nehmen Sie sich äußerst vor ihren bösen Künsten und schändlichen Verführungen in acht! Sie gilt in der ganzen Stadt für eine Erzzauberin, eine recht ausgelernte Meisterin der Schwarzkünstelei, die durch das bloße Anhauchen gewisser Kräuter und Steinchen und solcherlei Kleinigkeiten imstande ist, das Licht des Sternenhimmels in die Tiefen des Tartarus zu versenken und hinwiederum das alte Chaos hervorzurufen. Sieht das Weib irgendeinen schönen jungen Menschen, gleich steht sie in voller Glut, hängt mit Blick und Seele an ihm und lockt ihn so lange durch alle ersinnliche Schmeichelei an sich, bis sie ihn endlich fängt; dann legt sie ihn in unzerreißliche Liebesbande. Ist ihr Bestreben aber umsonst, und bleibt der Gegenstand ihrer Zuneigung unbeweglich, oder entspricht er in seiner Leidenschaft nicht der von ihr gefaßten Erwartung, so verwandelt sie ihn voller Unwillen in einen Stein, ein Tier oder was ihr sonst einfällt. Ach, und wie manchen hat sie nicht gar aus dem Wege geräumt! Lassen Sie sich das von mir, lieber Lucius, zur Warnung gesagt sein; denn verliebt wie Ihre Wirtin ist, ist Ihre Jugend und Schönheit gerade ihre Sache.«
Also Byrrhenna zu mir in aufrichtiger Besorgnis.
Inzwischen wollte die Standrede bei mir nicht verfangen. Vielmehr ging mir das Herz auf, sobald ich nur ein Wort von Magie hörte, und weit gefehlt, Pamphilen darum zu meiden, stach mich erst der Kitzel recht, zu ihr, es koste was es wolle, in die Lehre zu gehen und also geraden Weges in den Abgrund des Verderbens hineinzurennen.
Kurz, ich mache mich in dem Schwindel eiligst von der Hand Byrrhennens wie von einer Kette, die mich zurückhielt, los, nehme plötzlich Abschied und fliege in aller Geschwindigkeit heim in mein Quartier. Unterwegs sprach ich bei mir selbst, während ich wie ein Unsinniger lief:
»Jetzt, Lucius, aufgeweckt und fein bei Dir! So eine erwünschte Gelegenheit, Deinen alten Durst nach Wundern zu löschen, bekommst Du nicht wieder. Nur alle kindische Furcht beiseite! Tritt, so nahe Du kannst, hinzu und beschaue Dir alles recht beim Lichte. Zwar mit Deiner Wirtin mußt Du Dir nichts zu schaffen machen. Ehre als ein rechtschaffener Kerl des redlichen Milos Ehebette. Inzwischen auf Fotis keck den Angriff gewagt! Das Mädchen ist hübsch und wohl ebensowenig dumm als hartherzig. Gestern abend wenigstens, als Du schlafen gingst und sie Dich zu Bett brachte, war sie ziemlich scherzhaft und zutunlich; schien ganz zärtlich, als sie Dich zudeckte und zur guten Nacht auf den Kopf küßte, und mich dünkt, ihre Mienen, ihr öfteres Umsehen beim Hinausgehen und ihr Stehenbleiben in der Tür sagten auch deutlich genug, daß sie weit lieber bei Dir geblieben als weggegangen wäre. Frisch also, Glück und Stern an Fotis versucht!«
Unter dem Selbstgespräch und mit dem Entschluß komme ich zu Milos Wohnung. Weder er noch seine Frau war zu Hause.
Ich finde meine teure Fotis ganz allein in der Küche vor der Anrichte, wo sie ihrer Herrschaft ein Ragout zubereitete, dessen lieblicher Geruch mir schon von weitem den Mund wässerig machte.
Sie hatte ein nettes Leinenkleid an und war dicht unterm Busen mit einer schönen, fleischfarbenen Binde hoch und zierlich gegürtet.
Soeben schwenkte sie mit niedlichen Händen die Kasserole um, worin sie das Essen zurechtmachte. Durch ihre rasche Bewegung gerieten alle ihre zarten Glieder, gleich Gallert, in das sanfteste Beben. Hin und her wallten die wohlgepflegten Lenden, und wollüstig zitterten unter ihnen die runden Hüften.
Ich stutzte bei dem Anblick und erstarrte fast vor Erstaunen und Bewunderung. Jeder schlummernde Sinn erwachte und empörte sich. Endlich rief ich:
»Ei, allerliebst, Fotis! Ja, mit solchem regen Kreuz läßt sich schon das Kasserölchen schwenken und was Gutes zubereiten! O, wahrhaftig, mehr als glücklich, wer da nur mit dem Finger hineintunken darf!«
Das Mädchen, dem es gar nicht an Maulwerk fehlte, sah sich sogleich mit schelmischer Miene nach mir um und versetzte schalkhaft:
»Lassen Sie mich ungeneckt, mein schöner Herr, und verbrennen Sie sich nicht an meinem Herde, oder es wird Ihnen schlecht ergehen. Niemand als ich kann Ihnen dann helfen, und ungeachtet ich gleich geschickt im Bett als in der Küche bin, so dürft ich Sie doch wohl ein wenig zappeln lassen.«
Ich ließ mich hierdurch nicht abschrecken, sondern blieb stehen und betrachtete mir ganz aufmerksam alle Reize dieses drolligen Mädchens. Ich schweige der übrigen, da ich für Kopf und Haar von jeher vorzüglich eingenommen gewesen. Bin ich in Gesellschaft, so sehe ich mich beständig danach um, und in der Einsamkeit habe ich im Stillen meine Lust und Freude daran.
Der Grund, den ich mir von diesem Vorzuge anzugeben weiß, ist dieser:
Wäre der Kopf nicht der vornehmste Teil des Körpers, wie würde die Natur denselben so frei in die Augen fallend und, wie auf ein Fußgestell, auf die Schultern erhoben haben? Das Haar aber ist durch seine eigentümliche Schönheit dem Haupte, was den übrigen Gliedern kaum nur der gesuchte Schmuck lachender Farben und prachtreicher Kleider ist. Ja, will eine Schöne recht sich sehen lassen und in all ihrem Reize erscheinen, so wirft sie die Bekleidung ab, jeglicher Schleier fällt: sie tritt allein in ihrer nackten Schönheit auf und vertraut mehr auf die Rosen ihrer Haut als auf das Gold ihres Gewandes. Allein (Frevel ist's, es nur zu sagen, und niemals müsse sich ein Beispiel einer so abscheulichen Untat ereignen) entblößet das Haupt des schönsten Mädchens seines Haares, Ihr raubt zugleich auch dem Gesicht all seine Liebenswürdigkeit! Und käme sie von dem Himmel hernieder, wäre sie aus dem Meere geboren und von den Wellen erzogen, ja wäre sie Venus selbst, umtanzt von den drei Huldgöttinnen, gefolgt von dem ganzen Volke der Amoretten, mit ihrem Gürtel geschmückt, duftete sie Zimmet und tröffe von Balsam, ginge aber kahlköpfig einher, – gefallen könnte sie ihrem Vulkane selbst nicht. Im Gegenteil, was kann bezaubernder sein, als ein Haar von schöner Farbe und blendendem Glanze, das hell in der Sonne blitzt oder nur einen sanften Wiederschein von sich gibt und durch wechselnde Anmut seinen Anblick vervielfältigt; das jetzt wie Gold schimmernd, sanft zur Farbe des Honigs sich verdüstert, jetzt bei Rabenschwärze mit der Täubchen blauspielenden Hälsen wetteifert oder, gesalbt mit arabischem Wohlgeruch, von künstlicher Hand geteilt und glatt zurückgebunden, wie ein Spiegel des gegenüberstehenden Liebhabers Bild verschönert zurückwirft? Was kann man Edleres sehen, als wenn die Fülle desselben, in einem Schopf gewunden, den Scheitel krönt oder ringelnd über den Rücken hinabfließt? Kurz, die Würde des Haares ist so groß, daß, geht eine Schöne auch noch so geschmückt mit Gold, Stoff, Edelgesteinen und allem übrigen Staate und hat nur nicht für die Zierlichkeit ihrer Haare gesorgt, sie deswegen allein von niemand für angeputzt gehalten wird.
Meine Fotis trug die ihrigen mit einer glücklichen Nachlässigkeit geziert und war darum nur desto reizender. Aufgerollt am Ende und verloren auf dem Wirbel durch eine Schleife befestigt, fielen sie in ihrem ganzen Reichtum auf den Nacken herab, verteilten sich um den Hals herum und ruhten an desselben gekräuseltem Streif.
Ich konnte mich vor Übermaß der Wollust nicht mehr halten. Ich umfing Fotis und drückte den Spitzen ihrer Haare, wo sie sich über der Stirn in einen Knoten verschlangen, den honigsten Kuß auf.
Sie bog den Hals zurück, sah mich seitwärts mit durchtriebenen Augen an und sprach:
»He, kleiner Lecker, das ist bittersüße Ware! Lassen Sie die Näscherei, oder Sie werden sich mit dem zuvielen Honig endlich den Magen vergällen!«
»Wenn's weiter nichts ist, immerhin!« versetzte ich. »Für einen einzigen Kuß von Dir, Du allerliebstes Mädchen, laß ich mich wohl lebendig auf diesen glühenden Kohlen braten.«
Mit diesen Worten drückte ich sie fester an mich und küßte sie. Und schon umschlang sie mich, von gleichen Trieben hingerissen und wie ich schmachtend von lechzendem Verlangen; schon sog ich ihren Zimmetatem aus halbgeöffnetem Munde ein, saugte Nektar von ihrer der meinigen begegnenden Zunge und fühlte mich unwiderstehlich zum völligen Genusse der Wollust hingerissen, als ich ausrief:
»Ich sterbe, Fotis; erbarme Dich, ich sterbe!«
Unter wiederholten feuervollen Küssen antwortete sie:
»Sei gutes Muts! Dein Wunsch ist auch der meine, und später denn diesen Abend soll unser Vergnügen nicht verschoben sein. Sobald Licht angesteckt, bin ich auf Deinem Zimmer. Jetzt geh und rüste Dich zum Kampfe. Ich kündige Dir Fehde auf die ganze Nacht an.«
Nach diesem und ähnlichem Gekose schieden wir voneinander.
Kaum war es Mittag, so schickte mir Byrrhenna zum Gastgeschenk einen fetten Schweinsbraten, fünf junge Hühner und einen guten Vorrat köstlichen alten Weins.
Ich rief gleich Fotis.
»Sieh hier,« sagte ich, »der Venus Ermunterer und Waffenträger, Bacchus, ist auch schon da. Schonen wir seiner heute nicht, auf daß er in uns alle träge Scham ertränke und rüstige Wollust dafür herbeischaffe! Denn frisch segelt das Schiffchen der Venus die Nacht hindurch, wenn nicht in der Lampe das Öl noch im Becher der Wein versiegt.«
Der Rest des Tages ging über dem Bade hin und dem schmalen Abendessen beim Milo, wozu ich eingeladen war.
Byrrhennens Warnung eingedenk, vermied ich bei Tische, soviel ich konnte, die Augen meiner Wirtin, und sah ich sie ja einmal an, so war es so schüchtern, als ob ich in die Hölle blickte. Ich hielt mich dafür an Fotis schadlos; denn mit innigem Vergnügen schielt ich immer nach ihr hin, als sie hinter uns aufwartete.
Wie es etwas später hinkam, sah Pamphile die Lampe an und rief: »Ei, was werden wir morgen für Regen kriegen!« – »Woher weißt Du denn das?« fragte der Mann. – »Das sagt mir die Lampe,« antwortete sie.