4,99 €
In der Sternenlicht Vereinigung gibt es mehr als nur Raumschiffe. Längst hat die Buchreihe eine Eigenständigkeit erlangt, die sie von der Vorlage unterscheidet. Raumpatrouille Orion, Deutschlands erste Science Fiction Serie aus dem Jahr 1966 stand zu Beginn dieser Reihe Pate. Die Reihe ist inzwischen weit mehr. Neue Raumschiffe, neue Besatzungen, neue Abenteuer.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 210
Veröffentlichungsjahr: 2025
Herausgeber
Peter R. Krüger
Sternenlicht Kurzgeschichtensammlung
Geschichten von Übermorgen
Saphir im Stahl
Sternenlicht Kurzgeschichtensammlung
Herausgeber Peter R. Krüger - Geschichten von Übermorgen
e-book Nr: 288
Erste Auflage 01.06.2025
© Saphir im Stahl
Verlag Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
www.saphir-im-stahl.de
Titelbild: Thomas Budach
Lektorat: Peter Heller
Vertrieb: neobooks
Herausgeber
Peter R. Krüger
Sternenlicht Kurzgeschichtensammlung
Geschichten von Übermorgen
Saphir im Stahl
Ein Dutzend Sternenlichter
Spannende Geschichten, Abwechslung und gute Unterhaltung sind die Zutaten dieser Anthologie. Chaos, Schüsse und ein Raumschiffabsturz gehören genauso dazu, wie fremde Wesen, ein mysteriöses Schachspiel, oder der Blick auf die komplette Lebensspanne eines Menschen. Sollte ich den Inhalt aller Geschichten in diesem Buch mit einem einzigen Wort beschreiben, gäbe es nur eine Antwort: Phantastisch!
Wir hatten uns dazu entschlossen eine Ausschreibung zu starten, um dadurch eventuell Zuwachs für unser Autorenteam zu erhalten. Dabei bestand durchaus das Risiko, dass nichts daraus werden würde. Das Konzept überzeugte jedoch unseren Verleger, und wie sich schließlich zeigt, gewannen wir viele talentierte Autoren für diese Anthologie. Zwölf der besten eingereichten Beiträge sind in diesem Buch zusammengefasst und ich bin mehr als stolz darauf, Ihnen liebe Leserinnen und Leser, eine faszinierende Kurzgeschichtensammlung präsentieren zu können.
Ein spannendes Lesevergnügen wünscht Ihnen stellvertretend für das gesamte Autoren- und Verlagsteam.
Peter R. Krüger
Inhaltsverzeichnis
Eric Zerm Der letzte Flug der ALAN SHEPARD
Eberhard Leucht Geheimsache Bregha
Stefan Albertsan Mission Charybdis
Axel Kruse Davido Station
Heidi Wagemann Die Saat der Sterne
Christoph Grimm Blindflug
Antje Helfrich Das Einhorn
Michael Bernt Der Weiße König
Harald Weber Initiativbewerbung
Maximilian Wust Sternchen
Michael Büchner Die Diamant-Order
Florian Häfele Wie Götter
Biographie
Der letzte Flug der ALAN SHEPARD
Eric Zerm
Schneller, als er diesen Gedanken in Worte fassen konnte, wusste Peter Brandt, dass etwas nicht stimmte. Das Ende des Überlichtflugs hatte sich gerade angefühlt, als wäre die ALAN SHEPARD gegen eine Wand geknallt. Der Druck an Körper und Schultern zeigte ihm, dass die Sicherheitsgurte angezogen hatten, sonst wäre seine Stirn jetzt zweifellos Teil des Kommandanten-Schaltpults. Brandt spürte die stärker werdenden Vibrationen und registrierte nun auch den Lärm in der Umgebung. So sollte sich die Brücke der SHEPARD nicht anhören! Alarmsignale in allen Tonlagen und aus allen Richtungen, ein nicht zu definierendes Grollen und dazu aufgeregte Rufe von seiner sechsköpfigen Crew.
„Was ist passiert?“
„Der Einstein-Rosen-Antrieb ...!“
„Wir stürzen ab!“
„Hat uns was getroffen?“
Mit Schrecken registrierte Brandt, dass mindestens vier der Anwesenden in Panik gerieten, was in einer Notlage für einen Erkundungskreuzer tödlich war. Zum Glück erinnerte sich Brandts Verstand sofort wieder an das jüngste Kommando-Training. Anstatt nun ebenfalls wahllos Fragen ins Chaos zu brüllen, bemühte er sich um einen lauten, aber gefassten Kommando-Ton: „Ruhe! Instrumente ablesen! Wir brauchen Informationen!“ Der Ruf klang in seinen Ohren viel zu jung und naiv, aber er wirkte zum Glück trotzdem.
Das Stimmendurcheinander endete. „K.I.M., wie ist unser Status?“ wandte er sich mit fester Stimme an die Künstliche Intelligenz des Kreuzers.
„Überlichtflug zu früh beendet. Grund ist ein starkes Gravitationsfeld. Einstein-Rosen-Antrieb ausgefallen. Temperatur der Außenhülle steigt exponentiell. Verlust der strukturellen Integrität in 90 Sekunden. Multiple Schäden in ...“
„Stopp!“ fuhr Brandt der sanften weiblichen Stimme energisch ins Wort. Um diese multiplen Schäden konnten sie sich kümmern, wenn sie in zwei Minuten noch lebten. „Alarmsignale auf stumm schalten! Außenbild auf die Astroscheiben!“
Einen Augenschlag später schienen die Astroscheiben auf der Brücke in einem gleißend-weißen Licht zu explodieren. Automatisch wurde die Lichtstärke sofort gedimmt, aber was Brandt jetzt sah, ließ ihm fast das Herz stehenbleiben. Er blickte auf eine Feuerwand.
„Eine Sonne! Wir stürzen auf die äußere Korona zu!“ hörte Brandt die Stimme seines Astrogators Björn Jansen. Die Stimme des Endfünfzigers klang für die katastrophale Lage ungewöhnlich ruhig. Ein Teil von Brandts Verstand erinnerte sich daran, dass er Jansen unter den Panikstimmen vor wenigen Sekunden gar nicht gehört hatte.
„K.I.M., wir müssen unseren Sturz in die Sonne bremsen!“, rief Brandt.
„Ein Bremsmanöver wäre nicht nachhaltig! Strukturelle Integrität würde trotzdem versagen“, lautete die sanft gesprochene, aber verheerende Analyse der KI.
„Oh Gott! Hilfe!“, hörte Brandt die schwankende Stimme von Kirsten Gardner. Die junge Wissenschaftlerin schien den Tränen nahe. Brandts Hände ballten sich kurz zu Fäusten. Die Temperatur im Inneren der ALAN SHEPARD stieg bereits rasant an. Ohne seine neuartige Hüllenpanzerung und den Absorberschirm wäre der Schnelle Kreuzer mit seiner Besatzung schon zu Asche verbrannt. Das zunächst unterschwellige Grollen war schon viel intensiver geworden. Die Vibrationen waren zu einem allgegenwärtigen Zittern geworden. Der Schnelle Kreuzer raste wie ein glühender Meteor seinem Ende entgegen. Brandts Verstand arbeitet so schnell, dass sich das ganze ihn umgebende Geschehen für einen Moment zu verlangsamen schien.
„Lieutenant, darf ich einen Vorschlag machen?“ Jansens Tonfall wirkte auf Brandt geradezu nervtötend ruhig. Ich weiß, verdammt noch mal, dass die Zeit drängt! brüllte ihm Brandt in Gedanken zu.
„Warnung! Verlust der strukturellen Integrität in 50 Sekunden!“ Kann die Künstliche Intelligenz nicht einfach mal die Klappe halten!
Plötzlich wirbelte Brandt in seinem Sessel herum. „Jansen nutzen wir die Schwerkraft der Sonne aus, um uns von hier wegzuschleudern.“
„Mein Gedanke!“ lächelte Jansen. „Wir brauchen aber zusätzlichen Schub, um der Gravitation der Sonne entkommen zu können.“
„Ich gebe Ihnen alles, was wir haben!“ hörte Peter Brandt die Stimme von Debbie Reynolds. Die kleine Bordingenieurin hatte sich wieder im Griff.
„Jansen, Kurs erstellen! Reynolds, alle verfügbare Energie auf den Antrieb! K.I.M., Fluchtmanöver ausführen, sobald der Kurs steht!“ befahl Brandt. Schon während er die Worte sprach, bemerkte der junge Kommandant, dass die beiden an ihren Pulten arbeiteten. Wenn das nicht funktionierte, würden sie in weniger als 30 Sekunden verbrennen.
„Kurs liegt an“, meldete sich die KI zu Wort. „Beschleunigungsmanöver beginnt in fünf Sekunden.“
„Alles festhalten!“, rief Peter Brandt in das inzwischen fast übermächtige Getöse im Inneren des Kreuzers. Irgendwo explodierte eine Schalttafel. Die Vibrationen waren inzwischen so stark, dass er jederzeit damit rechnete, dass die SHEPARD ihre Einzelteile in allen Richtungen schüttelte.
„Beschleunigungsmanöver startet!“
Peter Brandt fühlte sich von einem unsichtbaren Riesen in den Sessel gedrückt. Für einen Moment blieb ihm der Atem weg. Auf der Astroscheibe wurde die Feuerwand für einen Augenschlag noch mächtiger. Es wirkte, als würde das Beschleunigungsmanöver die SHEPARD direkt ins Innere der Sonne feuern. Dann rasten orangerote und gelbe Strukturen an ihnen vorbei. Das tiefe Grollen dominierte jetzt die gesamte Umgebung. Weitere Instrumente in der Umgebung gaben ihren Geist auf.
„Wenn wir das hier überleben, gibst du einen aus!“ Das war Henry Kosinski. Die Stimme von Brandts Jahrgangs-Kamerad er war der Armierungsoffizier der SHEPARD, klang etwas zu hysterisch, um den Satz wirklich wirken zu lassen.
Plötzlich hatte Brandt den Eindruck, dass die orangeroten und gelben Strukturen der Sonne, die seine Astroscheibe wiedergab, undeutlicher wurden. Die Vibrationen waren zwar immer noch stark, schienen aber wieder etwas nachzulassen. Das tiefe Grollen in der Umgebung nahm ebenfalls leicht ab.
„Es klappt!“ freute sich Björn Jansen. „Wir haben den Punkt der größten Annäherung an die Sonne hinter uns.“
„Komm schon, Baby, nur noch ein bisschen!“ Das war Bordingenieurin Debbie Reynolds, die eine geradezu innige Beziehung zur Technik der SHEPARD pflegte.
„Beschleunigungsmanöver abgeschlossen!“, meldete K.I.M.. Wenn es in den Berechnungen keinen Fehler gegeben hatte, waren sie jetzt schnell genug, um nach dem Swing-by jenseits der Sonne wieder in den freien Raum geschleudert zu werden. Ein Blick auf die Astroscheibe bestätigte Brandts Hoffnung. Das Inferno der Sonne blieb langsam hinter ihnen zurück. Warum aber ließ der gefühlte Druck auf seiner Brust nicht nach? Laut KI beschleunigte der Unterlichtantrieb nicht mehr.
„Scheiße, irgendwas stimmt nicht!“, fluchte die Ingenieurin.
„Geht das genauer, Reynolds?“ fauchte Peter Brandt. Debbies laxe Ausdrucksweise ging ihm gerade gegen den Strich.
„Der Unterlichtantrieb bekommt immer noch volle Energie. Er schaltet nicht ab“, entgegnete die Ingenieurin aufgeregt. „Ich mache gerade einen Systemcheck. Ich fürchte, die Steuerelektronik hat was abbekommen.“
„Warnung! Keine Kontrolle mehr über Unterlichtantrieb“, meldete sich K.I.M. zu Wort. „Schiff entfernt sich mit hoher Unterlichtgeschwindigkeit vom Zentralgestirn und wird ohne Kurskorrektur auf den zweiten Planeten des Systems treffen.“
Brandts überhitzter Verstand brauchte einen Augenblick, um sich der Bedeutung dieser Meldung bewusst zu werden. Er drehte sich zu seinem Astrogator um. „Können Sie das bestätigen, Jansen?“
„Leider ja. Unser Swing-by-Manöver um die Sonne hat uns direkt auf einen Kollisionskurs mit dem zweiten Planeten befördert.“ Etwas schuldbewusst fügte der alte Astrogator hinzu. „Es tut mir leid. Wüsste ich mehr über das System, in dem wir aus dem Überlichtflug gerissen wurden, hätte ich einen anderen Kurs gewählt.“
„Schon gut! Berechnen Sie eine Bahn, die uns am Planeten vorbeiführt. Danach kümmern wir uns um das Problem mit dem Antrieb.“
„Schon dabei!“ entgegnete Jansen, sich bereits seinem Schaltpult zuwendend.
„Warnung! Multiple Schäden an den Steuertriebwerken! Von einer Zündung wird abgeraten!“ zerschmetterte die KI die leicht aufkeimende Hoffnung.
Jetzt reichts mir aber! wollte Brandt schon brüllen, wandte stattdessen aber nur den Kopf zu Seite. „Reynolds?“, rief er in Richtung der Ingenieurin.
„Ist leider so! Das Swing-by-Manöver an der Sonne vorbei hat den Steuertriebwerken mächtig zugesetzt. Die sehen vermutlich aus wie ...“
„Können wir Sie trotzdem einsetzen?“ fuhr Brandt der jungen Frau ins Wort und übertönte mit seiner Stimme so etwas wie „... verbrannter Toast“.
„Äh ... ja.“ Reynolds klang verunsichert. „Ja ... wir können sie zünden, aber ... ähhhh ...“
„Reynolds! Ja oder nein?“ versuchte Brandt ihren Gedankengang zu beschleunigen.
„Jetzt lassen Sie mich doch in Ruhe! Ich brauche einen Moment!“ fauchte sie zurück.
„Warnung! Absturz auf dem dem zweiten Planeten des Systems in weniger als fünf Minuten!“ verlieh eine Meldung der KI Brandts Frage Nachdruck. Er warf einen flüchtigen Blick auf die Astroscheibe auf seinem Schaltpult. Die Kugel des Planeten, der sie sich näherten, wuchs mit beängstigender Geschwindigkeit. Sie schillerte in vielen Farben, fast wie ein Kristall. Wenn die ALAN SHEPARD noch länger beschleunigte und es ihnen nicht gelang, den Kurs zu ändern, würden sie bald wie ein Komet auf der Oberfläche dieser Welt einschlagen ... sofern die Welt so etwas wie eine feste Oberfläche hatte. Wie entspannt müssen doch die Zeiten in der Raumfahrt-Antike gewesen sein, als man noch Wochen oder Monate zwischen den Planeten unterwegs gewesen war. Unwillkürlich musste Brandt an den Namensgeber der ALAN SHEPARD denken. Soweit er sich erinnerte, war das ein Amerikaner, der in einer Blechbüchse namens „Mercury-Kapsel“ kurz durch die Atmosphäre der Erde gehüpft war.
„Oh neinnn!“ Kirsten Gardner sehnte sich mit Sicherheit in ihr Labor zurück. Die Unterlichttriebwerke der SHEPARD lieferten immer noch vollen Schub. Sie schienen die Absicht zu haben, sie auf direktem Weg in den Planeten zu feuern.
„Ich hab's!“ hörte Brandt die junge Ingenieurin. Dann redete sie so schnell, dass er Mühe hatte, ihr zu folgen: „Laut der Messdaten haben die Steuertriebwerke nach wie vor Energie, aber sie werden uns um die Ohren fliegen, wenn wir sie zünden. Wenn wir ... wenn wir aber die am stärksten beschädigten stilllegen und nur die mit den geringsten Schäden benutzen ... dann ... dann ...“ Reynolds machte eine Pause, denn sie wusste wohl nicht, wie sie sich ausdrücken sollte. „... explodieren sie vielleicht nicht“.
„Vielleicht?“ Brandt klang fassungslos.
Reynolds stammelte. „Naja ... es ... es ist einfach zu viel kaputt, um das genau sagen zu können. Eigentlich weiß ich noch nicht mal, ob die Messdaten stimmen.“
„Kurs berechnet!“, meldete sich Astrogator Jansen zu Wort.
„Tun Sie's, Reynolds!“, rief Brandt der Ingenieurin zu. Was haben ich denn für eine Wahl? Entweder knallen wir ungespitzt in einen Planeten oder wir explodieren VIELLEICHT bei der Zündung der Steuertriebwerke! Da setze ich auf „vielleicht“.
Am Platz von Debbie Reynolds herrschte für einige Sekunden große Hektik. Dabei sprach die Ingenieurin mit einer Mischung aus Flüchen und Komplimenten auf die Instrumente ein.
„Bitte hol uns hier raus, Debbie!“, mischte sich das zarte Stimmchen von Kirsten Gardner in das Durcheinander.
„Warnung! Absturz auf dem dem zweiten Planeten des Systems in vier Minuten!“, meldete K.I.M. in ihrer gewohnt sanften Stimmlage.
„Fertig! Wir können!“, meldete Reynolds.
„K.I.M., Kurskorrektur ausführen!“, befahl Brandt.
„Warnung! Multiple Schäden an den Steuertriebwerken! Von einer Zündung wird abgeraten!“ rief die KI allen Anwesenden wieder ins Gedächtnis. Die schillernde Planetenkugel füllte inzwischen fast Brandts ganze Astroscheibe.
„Befehl trotzdem ausführen! Autorisation Lieutenant Peter Brandt, Kommandant des Schnellen Kreuzers ALAN SHEPARD“, schnauzte der junge Kommandant die KI an, obwohl er natürlich wusste, dass ihr sein Tonfall gleichgültig war.
„Bestätigt! Steuertriebwerke zünden in zehn Sekunden!“ lautete die sanfte Antwort.
Irgendwo an Bord der SHEPARD knallte eine mächtige Entladung, und ganz plötzlich war der Druck auf Brandts Brust weg. Noch bevor er seinen Kopf in Richtung Debbie Reynolds gedreht hatte, meldete das Bordsystem K.I.M.: „Parameter haben sich geändert. Unterlichttriebwerke ausgefallen. Bitte um erneute Bestätigung des Steuertriebwerke-Befehls.“
Die schillernde Planetenkugel füllte jetzt Brandts gesamte Astroscheibe. Zwar beschleunigten sie jetzt nicht mehr, aber das Trägheitsgesetz würde sie trotzdem mit unveränderter Geschwindigkeit auf diese Welt knallen lassen.
„Steuertriebwerke-Befehl bestätigt!“, rief Brandt.
Im selben Augenblick zerrten wieder die G-Kräfte. Im Hintergrund schrien Kirsten Gardner, Debbie Reynolds, Henry Kosinki und ihr Kommunikationsoffizier Pierre Dubois kurz auf. Astrogator Björn Jansen blieb wie immer relativ gelassen, und Bordärztin Doktor Elena Nikolowa litt, wie schon die ganze Zeit stoisch vor sich hin.
Für ein paar Sekunden veränderte sich überhaupt nichts! Dann bemerkte Brandt, wie der gewölbte Horizont der schillernden Planetenkugel am Rand seiner Astroscheibe allmählich ins Bild rückte. Wenn sie Glück hatten, kamen sie wirklich an ihr vorbei. Die Steuertriebwerke mussten nur noch einen kleinen Moment durchhalten. Und dann? meldete sich der Mahner in Brandts Verstand. Dann treibt ihr ohne Unterlichtantrieb, ohne Einstein-Rosen-Antrieb und ohne Steuertriebwerke hilflos durch ein Sonnensystem, das ihr nicht kennt ... bis euch Energie und Luft ausgehen!“ Sie würden definitiv Hilfe von außen brauchen, gestand sich Brandt ein.
„Dubois setzen Sie einen automatischen Notruf ab!“, rief er dem Kommunikationsoffizier zu.
Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis sich Dubois extrem aufgeregt zu Wort meldete. „Die Kommunikationssysteme sind tot. Wir sind stumm und taub.“
Was denn noch??? schoss es Brandt durch den Kopf. Allmählich war er mit seinem Latein am Ende.
„Dieser Planet hat eine atembare Atmosphäre!“, rief die Wissenschaftlerin Kirsten Gardner in den Raum.
Brandt fuhr zu ihr herum. Ein verrückter Gedanke nahm schon Form an. „Weiter, Gardner! Was wissen wir noch?“
Die junge Frau war geradezu geschockt, dass sie Brandt direkt ansprach, denn sie wurde fahrig. „Äm ... ich meine ... eigentlich fast nichts ... ich habe nur ...“
„Gardner, wenn wir dort notlanden können, muss ich das wissen, bevor es zu spät ist!“, fiel ihr Brandt ins Wort. Bei ihrer hohen Geschwindigkeit und ihren notdürftig zusammengeschalteten Steuertriebwerks-Resten konnte die SHEPARD schon in wenigen Minuten in keine Umlaufbahn mehr schwenken.
„Ruhig Blut, Gardner. Erzählen Sie uns einfach das Wenige, das Ihnen vorliegt.“ Das war Björn Jansen, dessen ruhiger Tonfall sogar Peter Brandts Puls etwas verlangsamte.
„Also ...“, begann die Wissenschaftlerin aufgeregt. „Die wenigen Sensoren, die noch arbeiten, melden, dass dieser Planet eine Stickstoff-Sauerstoff-Atmosphäre hat. Sie ... sie ist dünn, aber atembar. Zu Vegetationszonen und Landmassen kann ich nichts sagen ... unsere Sensoren dringen nicht bis zur Oberfläche durch ... Zu ... zu viele Partikel in der Luft ... Ich weiß nicht, ob ...“
„Danke, Gardner!“ Mehr musste Brandt im Moment nicht wissen. Er drehte sich in Richtung des Astrogators. „Jansen, bringen Sie uns in einen Orbit, durch den wir in der Atmosphäre bremsen können. Wir landen.“
„Aye, Lieutenant“, bestätigte Jansen eine Aufgabe, die extrem herausfordernd war. Brandt wusste, dass das quasi Millimeterarbeit war. Wählte Jansen eine zu steile Flugbahn, würde die Luftreibung so stark, dass die SHEPARD unweigerlich verglühte. Aber wählte er eine zu flache Flugbahn, prallte sie von der Atmosphäre ab und landeten im Nichts.
„Kurs berechnet“, meldete Jansen so, als unternähme er gerade einen gemütlichen Spazierflug.
„K.I.M., neuen Kurs steuern! Wir bremsen in der Atmosphäre und landen!“ befahl Peter Brandt der Bord-KI.
„Warnung! Schäden garantieren keinen sicheren Atmosphärenflug!“, wandte die sanfte weibliche Stimme ein.
„Befehl trotzdem ausführen!“, rief Brandt.
„Bestätigt! Steuere neuen Kurs.“
Schon nach wenigen Augenblicken spürte Peter Brandt ein Ruckeln und Zucken des Schnellen Kreuzers. Dann ging ein Ruck durch die SHEPARD, als hätte jemand stark auf die Bremse getreten. Das Schillern des Planeten nahm auf Brandts Astroscheibe einen leichten Orangeton an.
„Wir dringen in die äußere Atmosphäre des Planeten ein“, meldete K.I.M..
„Gardner, ich hoffe, da unten gibt es tatsächlich etwas, auf dem wir wirklich landen können“, mahnte Brandt, und bereute seine Äußerung sofort. Sie hatten ohnehin keine Wahl mehr. Dieser Planet hatte atembare Luft. Das war in jedem Fall besser, als das kalte Vakuum des Weltalls.
Das orangene Glühen des Bilds vor ihm nahm einen intensiveren Farbton an. Die Vibrationen der Umgebung wurden wieder zu einem starken Zittern. Bei der hohen Geschwindigkeit, die sie noch hatten, würden sie den Planeten, immer tiefer sinkend, noch mehrere Male umkreisen müssen, bis Brandt eine Landung auch nur in Erwägung ziehen konnte.
„Warnung, automatisches Steuersystem ausgefallen!“, meldete die Bord-KI. Wäre sie ein Mensch gewesen, Peter Brandt hätte sie garantiert erwürgt. Was soll denn noch alles schiefgehen?
„K.I.M., ich übernehme! Umschalten auf manuelle Steuerung!“ rief Brandt. „Kursdaten in einer optischen Darstellung als Hologramm über meine Astroscheibe!“
Sofort bauten sich vor ihm dreidimensionale Hologramme auf. Zum einen die Elemente der manuellen Steuerung mit den wichtigsten Daten und zum anderen eine Art Tunnel, den sie gerade dabei waren, zu verlassen; die Flugbahn, die Björn Jansen für sie berechnet hatte!
Peter Brandt griff in die dreidimensionale Grafik, und einen kurzen Augenblick später waren sie wieder auf Kurs innerhalb des holografischen Tunnels. Durch die nur notdürftig zusammengeschalteten Steuertriebwerks-Reste war die SHEPARD im Atmosphärenflug allerdings so schwerfällig wie ein antiker Ozeandampfer. Das Glühen auf der Astroscheibe war von einem leichten Orange über ein Rot-Gelb zu einem Blau-Weiß geworden. Der Schnelle Kreuzer glühte und zog vermutlich einen kilometerlangen Feuerschweif hinter sich her. Brandt hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Mit größter Konzentration steuerte er den Kreuzer jetzt von Hand nur über die Hologramme. Er vermutete, dass ihnen keine Notlandung, sondern eine mächtige Bruchlandung bevorstand, aber bei allem, was seit dem abrupten Ende ihres Überlichtflugs passiert war, konnte er damit leben ...
*
Die Stille der Umgebung war gespenstisch. Peter Brandt blickte in dem herrschenden Zwielicht nachdenklich auf die Canyonwände, die in einigen Kilometern Entfernung links und rechts neben ihnen aufragten. Er haderte mit seiner Wahl des Landeplatzes.
Wenn man nach ihnen suchte, waren sie in dieser langen Schlucht viel zu versteckt, als dass man sie von einer Umlaufbahn aus entdecken könnte. Hätte er es doch auf der Hochebene über ihnen versuchen sollen? Die scharfkantigen Felsen und die zerklüftete Schuttwüste hatten allerdings wenig einladend gewirkt. Selbst mit funktionierenden Magnetkissen hätte bei einer Landung, die eher ein kontrollierter Absturz war, die Gefahr bestanden, dass die SHEPARD zerfetzt worden wäre. Der Augenschein des Untergrunds in diesem Canyon hatte ihm mehr Vertrauen eingeflößt. Und da die Schlucht weite Strecken hatte, in denen sie fast gerade verlief, hatte er sich für die Bruchlandung in der Schlucht entschieden. Die Landung war brutal gewesen. Bis die Reste der SHEPARD an ihrer letzten Lagerstätte endlich zur Ruhe gekommen waren, war sie kilometerweit über den sandigen Untergrund gerutscht. Nur eine einzige größere Felsformation hätte ausgereicht, um sie während dieses Höllenritts zu zerschmettern, aber sie hatten Glück gehabt. Mit seinem langjährigen Freund Henry Kosinski hatten sie nur einen einzigen Schwerverletzten. Die übrigen Mitglieder der Crew ihn eingeschlossen hatten den Crash mit mittleren Blessuren überstanden. Doktor Elena Nikolowa hatte Kosinski notdürftig stabilisiert und ihn mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt. Damit schwebte er zumindest nicht mehr in unmittelbarer Lebensgefahr. Die Notvorräte dürften sie zumindest über die nächste Tage retten.
Brandt blickte in Richtung seines Astrogators Björn Jansen, der in rund hundert Metern Entfernung mit seiner antiken Navigations-Ausrüstung hantierte. Der alte Haudegen hatte ein Faible für Sternkarten aus Papier und Hilfsmittel aus grauer Vorzeit, die keinen Strom benötigten. Etwas weiter entfernt sammelte die junge Wissenschaftlerin Kirsten Gardner Bodenproben. Seit sie sich in ihrem Element befand, war sie ganz anders, als er sie während des unglücklichen Fluges an der Sonne vorbei und zu diesem Planeten erlebt hatte. Sie wirkte professionell und kompetent; wodurch sie auch gleich ein paar Jahre älter und erwachsener erschien. Und was sie in den Steinen und den Mineralien bisher entdeckt hatte, begeisterte sie. Sie sprach von möglichen Rohstoffvorkommen, mit denen ganze Zivilisationen versorgt werden könnten. Nur Wasser hatte sie noch keines gefunden.
„Bitte setzen Sie die Atemmaske wieder auf!“ Das klang nach Doktor Nikolowa. Brandt drehte sich um. Sie zwängte sich gerade durch einen Riss in der Außenhaut des SHEPARD-Wracks und kam dann zielstrebig auf ihn zu. Sie war das älteste Mitglied seiner kleinen Crew und legte stets ein sehr bestimmendes Wesen an den Tag. „Ich habe die Luft untersucht“, erklärte sie, während sie sich näherte. „Sie ist voller Feinstaub und Kleinstpartikel, und ich möchte in ein paar Tagen nicht feststellen müssen, dass Sie unsere Lungen perforiert.“
„Das ist sicher nur ein bisschen Staub“, entgegnete Brandt.
„Das sagte man vor mehr als 1000 Jahren auch von Asbest-Fasern“, mahnte Nikolowa, als sie vor ihm stehen blieb. „Und dann wurden die Menschen kurzatmig und starben viele Jahre später einen nicht ganz so schönen Tod. Also Maske auf, Lieutenant!“
„Ja, M'am“, entgegnete Brandt mit einem schiefen Grinsen. Die Atemmaske saugte sich über Mund und Nase fest, und der Partikelfilter sorgte dafür, dass sich seine Lungen nur noch mit sauberer Luft füllten.
„Und was ist mit Ihnen?“, fragte Brandt, auf Nikolowas unbedecktes Gesicht deutend.
„Ich lebe sicher nicht mehr lang genug, um noch in das Vergnügen einer Asbestose zu kommen“, entgegnete sie ruppig. „Aber wenn Sie's beruhigt, ich benutze die Maske auch ab und zu.“
Aus der Entfernung näherten sich im Sand die Schritte von zwei Personen. Brandt sah, dass sich ihnen Jansen und Gardner näherten.
„Wie geht es Henry?“, fragte er die Bordärztin.
Nikolowa legte ihm eine Hand auf den Arm und blickte ihn leicht herausfordernd an. „Wenn Sie uns in den nächsten Tagen hier rausbringen, kommt er durch.“ Damit wandte sie sich wieder ab und kehrte zum Wrack der SHEPARD zurück.
Brandt blickte Gardner und Jansen erwartungsvoll an.
„Ich weiß jetzt, wo wir sind“, meinte der Astrogator, als er mit Gardner vor dem jungen Kommandanten stand. „Da uns der Kurs zu dicht an der Sonne vorbeigeführt hat, sind wir rund ein Lichtjahr zu früh aus dem Überlichtflug gerissen worden. Dieses Sonnensystem hat in den alten Karten die Bezeichnung Zerberus. Es ist bisher unerforscht.“
Brandt verzog das Gesicht. „Ein System, benannt nach dem Höllenhund. Toll!“ entgegnete er sarkastisch. „Haben Sie eine Vorstellung, warum wir ausgerechnet in diesem System gelandet sind?“
„Da kann ich nur Vermutungen äußern“, zögerte Jansen.
„Heraus damit!“, fordert ihn Brandt auf.
„Nun“, holte Jansen vorsichtig aus. „Es könnte an den neuen Sternenkarten liegen, die uns die Velorianer zur Verfügung gestellt haben ... und mit denen die ALAN SHEPARD als eines der ersten Schiffe ausgestattet wurde. Unser Astrogationssystem könnte sie missgedeutet haben ... oder ... sie sind im Detail einfach falsch.“
Brandt seufzte. „Damit beschäftigen wir uns, wenn wir wieder zu Hause sind. Unsere erste Priorität ist jetzt, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen und auf unsere Notlage aufmerksam zu machen.“
„Das sollten wir tatsächlich, und zwar möglichst schnell.“ Brandt gefielt nicht, dass Jansen auf einmal so ernst wirkte.
„Was ist los?“, fragte er. Nach den Erfahrungen der vergangenen Stunden wollte er die Antwort eigentlich gar nicht wissen.
„Wir sind zum Glück auf der sonnenabgewandten Seite dieses Planeten gelandet“, begann Jansen. „Die Nacht wird nach meinen Berechnungen aber nur noch 23 Stunden dauern. Danach wird es hier so heiß werden, dass wir nicht überleben können.“
Brandt sah trotz dem Zwielichts, dass Kirsten Gardner bleich wurde. Er mahnte sich selbst zur Ruhe. „Dann sollten wir unsere Ingenieurin beim Bau des Peilsenders jetzt unterstützen, und dann müssen wir ganz schnell eine Möglichkeit finden, ihn dort oben aufzustellen.“ Er deutete auf die rechte Schluchtwand, die mehrere hunderte Meter in den dunklen Himmel aufragte.
„Oh Gott“, flüsterte Gardner.
„Das schaffen wir schon!“ Brandt versuchte, zuversichtlich zu klingen. So hatte er sich sein erstes Kommando wahrhaftig nicht vorgestellt.
Geheimsache Bregha
Eberhard Leucht
Zu dieser späten Nachmittagsstunde erwartete Frank Wesley Clark keinen Besuch. Eigentlich rechnete er überhaupt nicht mit irgendwelchem Besuch, erst recht nicht von Beamten der Regierung, als welche sich die drei Männer an der Tür auswiesen. Er war nun schon seit über zehn Jahren im Ruhestand, und das sah man ihm auch an. Von der einstigen Haarpracht war nur ein schütterer Rest übriggeblieben, unzählige Runzel um Augen und Mundwinkel zeichneten sein schmales, etwas längliches Gesicht. Er lehnte es noch immer ab, Verjüngungsmittel, die die Pharmaindustrie in großer Zahl anbot, einzunehmen. In Würde altern, lautete seine Devise, und es war ihm egal, dass er mit dieser Meinung ziemlich allein stand.
Clark geleitete die Drei in seine Wohnung. Wenn die hohen Herren sich an der halb geleerten Flasche es handelte, sich dabei um besten Kognak, wie man ihn nur noch selten bekam, störten, war das ihr Problem. „Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs?“
„Mein Name ist William Craigh“, schüttelte der erste der Eintretenden Clarks Hand, „meine beiden Begleiter sind Karol Zeman und Bruce Butler vom Geheimdienst.“
„Sie kommen von der Regierung? Ich hoffe, Ihnen ist bekannt, dass ich im Ruhestand bin?“
Craigh nickte. „Sie sind Frank Wesley Clark?“
„Sie wissen, wer ich bin.“
„Sie waren der Commander des Raumschiffes, das vor achtundzwanzig Jahren zu einer Mission auf dem Planetoiden Bregha 002X entsandt wurde?“
„Das war die TAURUS VII. Es war nicht die Mission, die ich mit besonders angenehmen Erinnerungen verbinde.“
„Das kann ich verstehen. Was können Sie uns zu der Mission auf Bregha sagen?“