4,99 €
Ambers Leben ist leider eins von vielen. Eins, das es viel zu oft gibt und doch irgendwie anders. Ihre Eltern verachten sie, seit sie geboren wurde, sie durchleidet die Hölle. Als sie erwachsen ist, fasst sie einen Entschluss: Sie will sterben. Raus aus dieser Welt, weg von all dem Schmerz und den Menschen. In dieser schweren Zeit trifft sie jedoch auf einen Menschen, der alles verändern kann.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2013
Ambers Leben ist leider eins von vielen. Eins das es viel oft gibt und doch irgendwie anders. Ihre Eltern verachten sie, seit sie geboren wurde, sie durchleidet die Hölle. Als sie erwachsen ist, fasst sie einen Entschluss: Sie will sterben. Raus aus dieser Welt, weg von all dem Schmerz und den Menschen.
Ein ganz normaler Sonntagmorgen im kühlen November... Dunkle, graue Wolken zierten den Himmel, die restlichen Blätter fielen von den Bäumen und die Menschen trugen erste Mützen und Schals. Ausgerechnet an einem Sonntag im Totenmonat November musste ich geboren werden... Es heißt, Sonntagskinder haben mehr Glück im Leben. Wenn die Menschen doch nur wüssten, wie Unrecht sie haben! Ich war von kleinauf weder mit Glück gesegnet, noch hätte ich je gewusst, wie man es schreibt, wenn es mir meine Lehrerin nicht in der Grundschule beigebracht hätte. Glück war ja etwas normales, was jedem widerfahren soll: irgendwann zwar, mal mehr mal weniger, aber es soll einem widerfahren. Das ist es, was uns allen erzählt wird. Was sie uns weismachen wollen.
Meine Eltern hatten neben mir keine weiteren Kinder. Vielleicht schreckte sie mein Dasein schon so sehr ab, dass sie auf Nummer sicher gingen und lieber kein zweites Wesen in diese Welt setzten. War auch ganz gut so, ich war sowieso lieber für mich alleine. Wenn ich mir vorstellen musste, dass es noch mehr von mir geben sollte: Mir käme das Kotzen! Nicht nur, weil ich wirklich gerne alleine war, zumindest redete ich mir das ein, nein - es war auch besser, wenn es niemandem auf dieser Welt so ginge wie mir.
Dabei glaubte ich bis, dass die ersten Jahre meines Lebens vielleicht gar nicht so übel waren. Das Gute an dieser Zeit war, dass ich sie vergessen habe. Ich redete mir also ein, dass es damals schön war. Dann kam der Tag, an dem ich meine Häschentasse bekam. Ich erinnerte mich genau, wie sehr mich die geknickten Ohren des Hasenjungen faszinierten, so dass ich mir meine Ohren griff und drehte. Mit den Händen an den Ohren lief ich zum großen Flurspiegel und betrachtete mich. Wie traurig ich war, als meine Ohren nicht geknickt blieben, so sehr ich sie auch drehte, weiß ich noch heute. Dieser Moment war der erste meines Lebens, an dem ich traurig war und an den ich mich heute noch erinnerte.
Meine Häschentasse wurde zu meinem ständigen Begleiter. Zum Frühstück, zu Mittag, zum Abendessen und selbst zu Oma musste sie mit. Ich war fest davon überzeugt, wenn ich nur lange genug an meinen Ohren drehte, würde sie genauso aussehen, wie die des kleines Hasen. Als ich etwa 5 Jahre alt war, geschah ein einschneidendes Erlebnis: Sie fiel herunter! Ich alberte am Mittagstisch herum und achtete in meiner kindlichen Naivität nicht auf Gegenstände, die vielleicht im Weg standen. Als mein Ellenbogen den Henkel der Tasse streifte, sah ich mich um und hörte auch schon ein Klirren. Sie war kaputt... Mein liebstes Stück, was ich besaß, war dahin. Ich schrie und heulte, mir kullerten die Tränen wie Bäche die kleinen Wangen herunter. Sie war einfach kaputt... Meine Mutter kam und schimpfte etwas von "kannst du nicht aufpassen" und "dummes Gör". Ich konnte doch nichts für dieses Missgeschick, ich war doch noch so klein. Bevor ich mich beruhigen konnte, spürte ich einen brennenden Schmerz an meiner Wange. Meine Mutter stand vor mir und funkelte mich mit boshaften Augen an. Ich verstummte augenblicklich, bis ich realisierte, was passiert war und schrie noch mehr als vorher. Hatte sie mich geschlagen? Ja, sie hatte mich geschlagen. Weil ich weinte und verzweifelt war? Oder weil ich nicht zu beruhigen war? Wenn ich damals schon gewusst hätte, wie oft ich noch so fühlen sollte in meinem, naja, Leben, hätte ich wohl nicht weiter geweint. Vielleicht hätte ich mein Leben so ändern können. Ich hätte mich nur zusammenreißen und beruhigen müssen, dann hätte sie nicht zugeschlagen. Hätte ich nur aufgepasst, wäre meine Tasse nicht kaputt gegangen und ich hätte keinen Grund gehabt zu weinen. Wenn ich doch nur.. Ach, was soll das. Es kam, wie es kam.
Sie riss an meinem Ärmel und schleifte mich ins Kinderzimmer. Dort schmiss sie mich auf mein Bett und befahl mir, mich auszuziehen. Zitternd und mit völlig verheultem Gesicht und laufender Nase tat ich, was sie sagte. Sie nimmt mich bestimmt gleich in den Arm und dann ist alles gut. Sie klebt meine Tasse und ich hab sie wieder. Ja, sie macht alles wieder gut, ganz bestimmt. Doch ich wurde enttäuscht. Ich saß nackt auf meinem Bett und zitterte. Nun riss die das Fenster auf, durch welches die kalte Winterluft hineinströmte. Warum tat sie das? Sah sie nicht, dass ich fror? Dass ich Angst hatte und nackt war? Dass ich wollte, dass sie mich in den Arm nahm und lieb hatte? Ihre Augen hatten sich schon längst verfinstert, als ich hörte wie die Haustür ins Schloss fiel. Mein Vater rief: " Bin Zuhause, was gibts zu essen?" Sichtlich genervt machte meine Mutter auf dem Absatz kehrt und lief in die Küche. Das war meine Chance! Schnell zog ich mir meine Sachen über und hüpfte zum Fenster. Ich sprang hoch und wollte es schließen, doch musste ich mich der Höhe geschlagen geben. Ich kam einfach nicht ran. Gut, wenigstens hatte ich wieder Kleidung an, so dass ich nicht mehr allzu doll fror. Dennoch konnte ich nicht verstehen, was hier grade passiert war. Da sie mich bis jetzt nicht in den Arm genommen und gedrückt hatte, kommt sie sicher gleich rein und tut es. Ich hörte, wie sie in der Küche mit meinem Vater sprach, der immer wieder "wirklich?" und "haste Worte" fragte.
Der Fußboden knarrte und ich merkte, dass sie zurück kam. Mit Angst und Freude gleichzeitig, weil ich ja hoffte, sie hatte mich gleich wieder lieb, wartete ich und trat von einem Fuß auf den anderen. Keine 5 Sekunden später stand sie wieder vor mir und schaute mich mit offenem Mund an. "Hab ich dir nicht gesagt, du sollst dich ausziehen, du Schwein? Los, die Klamotten weg und ab ins Bett!" Wieder zog ich mich aus. Doch das war ihr wohl nicht schnell genug, so dass sie mir "half". Der Kragen meines Pullovers verhakte sich unter meinem Ohrläppchen und ich rief "aua". Scheinbar hörte mich Mama nicht, denn sie riss einfach den Pullover über meinen Kopf und schmiss ihn in die Ecke. Dann schubste sie mich mit dem Rücken aufs Bett und zog an meiner Hose. Der Reißverschluss kratzte an meinem Bein, wo sofort ein kleiner roter Striemen entstand. Nur in Slip und Socken lag ich nun im Bett und schaute mit rotgeheulten Augen auf meine Hände. Meine Mutter verließ murmelnd das Zimmer, knipste das Licht aus und verschloss die Tür. Nein, Mama würde heute sicherlich nicht mehr zu mir kommen, sich entschuldigen und mich in den Arm nehmen, das musste ich bitterlich erkennen.
Mit verwirrenden Gedanken zog ich meine Decke über meinen vor Kälte zitternden Körper und schlief irgendwann ein.
Als ich am nächsten Morgen wach wurde, dämmerte es draußen noch und ich traute mich nicht aufzustehen. Ich blieb einfach liegen und wartete auf bekannte Geräusche aus dem Wohnzimmer oder der Küche. Lange musste ich nicht warten, denn schon hörte ich Schritte, die in meine Richtung schallten. Mein Vater lugte durch die Tür und schaltete das Licht ein. "Oh, du bist ja schon wach." Er kam näher und streichte mir die Haare aus dem Gesicht. "Amberlein, du warst gestern böse, habe ich gehört. Was war denn mit dir los?" Ich setzte mich auf und antwortete mit sichtbar schlechtem Gewissen, dass es wohl doch an mir lag, dass Mama so böse war:" Ich...ich hab nicht aufgepasst und dann...dann hab ich meine Hasitasse von Tisch runtergeworfen. Jetzt...ist...sie...kaputt. Mama hat geschimpft, sie war ganz...ganz dolle böse auf mich." Mein Vater trug einen Blick in seinen Augen, den man wohl am ehesten mit Genervtsein beschreiben könnte. Er sah zum Fenster und schloss es. Ohne sich zu mir herumzudrehen, meinte er :"Nun, wenn du dich benimmst, ist sie nicht mehr so böse zu dir, Amberlein. Also sei ein braves kleines Mädchen, ja?" Ich nickte. Er strich mir über den Kopf und fasste dann an mein Kinn, um es anzuheben, damit ich ihm in die Augen sah und sagte: "Nur brave kleine Mädchen sind gute kleine Mädchen, Amberlein." Mein Vater fuhr mit seiner Hand meinen Arm entlang und verließ das Zimmer. Wenn ich mich jetzt bei Mama entschuldige, hat sie mich dann wieder lieb? Ich war vielleicht wirklich böse und musste jetzt nur zu ihr gehen und dann hat sie mich wieder lieb.
Als ich mir meiner Sache sicher war, verließ ich mein Zimmer und suchte nach meiner Mutter. Ich fand sie schließlich im Bad, wo sie sich duschte. Wenn ich ihr jetzt einfach zurufe, dass ich sie lieb hab, kommt sie dann gleich zu mir und nimmt mich in den Arm? Sagt sie mir dann auch, dass sie mich lieb hat? Ich beschloss, es auszuprobieren. "MAMA, ICH HAB DICH LIIIEEEB!". Der Wasserstrahl der Dusche stoppte augenblicklich und der Vorhang wurde zur Seite geschoben. Ungläubig sah sie mich an und warf sich ein Handtuch um den Körper. Da ich nicht wusste, was sie vorhatte, ging ich einen Schritt zurück. Als sie sich aber bückte und meine kleine Hand in ihre nahm, wusste ich, sie hatte mir verziehen. Sie hatte mich wieder lieb! "Mäuschen, sei einfach lieb und alles ist gut, ja? Sowas wie gestern ist nicht schön." Okay, das hatte ich verstanden. Wenn ich nicht schrie und weinte, hatte mich meine Mutter lieb und ich müsste nicht mehr fast nackt in einem kalten Zimmer schlafen. Dass ein kaltes Zimmer mein kleinstes Problem bleiben würde, ahnte ich ja nicht. Ich war ja noch klein.
Der weitere Tag verlief eher ruhig. Ich weigerte mich, Aufsehen zu erregen und achtete peinlich genau auf das, was ich sagte und tat. Mein Blick fiel auf das Kehrblech in der Küchenecke unter dem Fenster. Viele kleine Mosaikstücke meiner einstigen Tasse lagen kreuz und quer darauf verteilt. Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen und sich ein großer Kloß in meinem Hals bildete, versuchte aber stark zu sein und nicht zu weinen. Ich wollte nicht riskieren, dass ich böse wurde und Mama mich wieder hasste. Also versuchte ich mich abzulenken und fragte meine Mutter, die das Mittagessen zubereitete: "Du, Mami, darf ich bitte eine neue Häschentasse haben?" Als wäre dies der Startschuss zu einem Krieg, drehte sich meine Mutter zu mir um und zog mir ihren nassen Lappen durchs Gesicht, den sie immer in ihrer rechten Kittelschürze mit sich rumtrug. Ich war wieder böse gewesen und dies war meine Strafe. Ich schluchzte und rieb mir die Augen. "Hab dir nicht erst gestern gesagt, dass du gefälligst lieb sein sollst? Erst machst du dummes Gör deine Tasse selber kaputt und nun soll ich dir auch noch eine neue kaufen? Ich zeig dir mal, was Sache ist, Fräulein. Hier!" Sie erreichte mit nur einem Schritt das Kehrblech und schleuderte es samt den Splittern der Tasse zu Boden. "So, nun räumst du das alles schön wieder weg!" war alles, was sie noch sagte, bevor sie ging. Wenigstens ging sie ohne mich weiter zu schlagen, aber auch ihre Worte brannten in meiner Seele. Was stimmte nur nicht mit mir? Warum musste alles, was ich sagte und tat, böse sein? Warum musste ich meine Mama immer so böse machen?
Einige Monate später war es endlich so warm, dass ich draußen spielen konnte. Ich hörte schon Cherry, die kleine Hündin von Mrs. Whrightson nebenan. Scheinbar lief sie schon im Garten umher und wälzte sich in der Wiese. Mein Vater ließ mich raus, aber nicht ohne mir zu sagen, dass ich bitte ein braves kleines Mädchen sein sollte. Ja, ich versuchte so brav wie nur möglich zu sein. Schließlich wollte ich, dass mich Mama und Papa lieb hatten und Schläge wollte ich auch keine bekommen. Leider gelang mir das nicht immer, denn scheinbar war vieles, was ich sagte und tat, böse. Mittlerweile aber wusste ich wie ich meine blauen Flecken verstecken konnte. Manchmal malte ich meine Arme mit Stiften an, und wenn jemand fragte, was mit meinem Arm los sei, sagte ich einfach, ich hätte mich bemalt. Die Sache war damit immer vom Tisch. Man glaubt gar nicht, wie erfinderisch man sein kann, wenn man will, dass Mama und Papa einen lieb haben. Und wenn ich jemanden gesagt hätte, dass das keine Stifte waren, die meinen Arm blau aussehen ließen, hätten sie mich alles andere als lieb gehabt.
Cherry kam an den Zaun gesprungen, sobald sie mich entdeckt hatte. Sie winselte mir ihrem kleinen Schwanz freudig in der Luft herum und bellte aufgeregt. Mrs. Whrightson öffnete ihr kleines Gartentürchen und ließ sie hindurch. Sogleich sprang Cherry an mir hoch und forderte mich somit zum spielen auf. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und ließ meinen Blick über das Gras wandern, irgendwo musste doch ihr Ball sein? Ich entdeckte ihn unter einem kleinen Holunderstrauch auf unserer Seite des Gartens und lief hin. Cherry folgte mir sichtlich glücklich und sobald ich den Ball in meiner Hand hielt, bellte sie noch freudiger als ohnehin schon. Ein Klopfen holte mich aus der Situation und ich bemerkte, dass mein Vater am Küchenfenster stand und mit erhobenem Zeigefinger in meine Richtung blickte. Sofort stand ich still und nickte. Ich sollte brav sein, hatte er vorhin noch gesagt. Darum überlegte ich, was ich falsches gemacht haben könnte, kam aber zu keinem Ergebnis. Nun sah ich wieder zum Fenster und bemerkte das leichte Nicken meines Vaters, welches signalisierte, dass es okay war. Ich spielte also weiter mit Cherry und vergaß schnell, dass mich mein Vater ein weiteres Mal ermahnt hatte, bloß brav zu sein.
Mrs. Whrightson beobachtete die Situation und ging in ihr Häuschen zurück. Wenig später kam sie mit Eistee und Keksen zurück, welche sie mit den Worten "Komm, lass uns etwas trinken. Es ist so warm heute" auf ihren wunderschönen gusseisernen Gartentisch abstellte. Dankend nahm ich ihr Angebot an und ließ den kühlen Tee meine Kehle hinunterfließen. Mrs. Whrightson fragte: "Du, Amber, was wollte dein Vater da vorhin?". Ich war geschockt. In solch einer Situation war ich noch nie, ich wusste was ich zu sagen hatte, wenn jemand nach meinen Verletzungen und blauen Flecken fragte, aber was ich ihr nun antworten sollte, wusste ich nicht. Ich stammelte etwas von "weiß nicht" und "er passt nur auf", womit sich die ältere Dame aber nicht zufrieden gab. Sie lugte zu unserem Küchenfenster und schob letztlich meinen Ärmel hoch, um sich meinen Arm anzusehen. "Mir fällt schon länger auf, dass bei euch was nicht stimmt. Willst du mir nicht erzählen, was los ist?". Um das Gespräch schnell zu einem Ende zu bringen, sagte ich ihr, dass mir angemalt habe, aber der Stift so gut ist, dass ich ihn kaum abwaschen konnte. Noch immer war Mrs. Whrightson nicht zufrieden und fragte nun:" Amber, es ist warm, wir sitzen im Garten und trinken Eistee. Aber du hast einen langärmligen Pullover an. Und du hast eindeutig blaue Flecken!". Sie zeigte auf den größten der Flecke und sah mich eindringlich an. "Ach so das, da bin ich gegen mein Bett gelaufen.", log ich schnell. Ich war mir sicher, dass sie nun glücklich und erleichtert sein musste, weil es bislang immer so war, wenn mich jemand das fragte, was Mrs. Whrightson mich grade fragte, aber leider war sie von der hartnäckigen Sorte. Sie schüttelte nur den Kopf und meinte, wenn ich was zu sagen habe, könne ich mit ihr reden. Ich bräuchte keine Angst zu haben. Nickend nahm ich noch einen Keks und lief schnell nach Hause. Cherry bellte mir hinterher, doch wollte ich nur noch weg.
Mist, ich muss mir andere Ausreden einfallen lassen. Ich kann ja nicht immer dasselbe erzählen. In Gedanken versunken saß ich nun in meinem Zimmer. Mein Vater kam wenig später herein und fragte, warum ich schon wieder da sei. Ich antwortete ihm:" Keine Lust mehr gehabt.". Er verzog einen Mundwinkel und schüttelte den Kopf. "Amberlein, mein braves kleines Mädchen. So naiv und seltsam. Mein Amberlein.". Er nannte mich immer Amberlein, so lange ich denken konnte. Aber nun kam seit längerem hinzu, dass ich sein braves kleines Mädchen war. Was mich natürlich freute. Denn wenn ich brav war, hatten sie mich lieb.
"Denk bitte daran, dass deine Mutter heute mit Tante Lynn ins Theater geht. Irgendso ein Mittelalter-Mist. Mach dich also brav bettfertig, wenn sie dir das sagt, ich will nämlich meine Ruhe haben, wenn sie weg ist, okay?" Ich nickte. Er verließ mein Zimmer und ich hörte, wie er sich ein Bier aus dem Kühlschrank nahm. Wenig später kam meine Mutter aus dem Bad und vollführte eine Rundumschau ihres frisch angezogenen Outfits. Mein Vater beäugte sie kritisch und fing dann an zu lachen. "SO willst du vor die Tür? Nicht, dass die ganzen Asphalt-Schlampen neidisch werden!". Er konnte sich kaum beherrschen und lachte immer lauter. Meine Mutter wurde sauer und schrie ihn an: "Du blöder Mistkerl, ich hab mir so eine Mühe gegeben. Blödes Arschloch!". Sie wollte gerade den Raum verlassen, als sie sagte, sie gehe vor dem Theater noch in eine Bar. "Anschaffen oder wie?" bekam sie zur Antwort. Nun sagte sie gar nichts mehr, sondern holperte auf hohen Hacken in meine Richtung. "Hey, du Göre, ab ins Bett, klar? Und nerv deinen Alten nicht!" Ich tat, wie mir befohlen und machte mir bettfertig.
Mein Vater holte sich den ganzen Nachmittag und Abend über immer wieder Bier aus dem Kühlschrank. Als ich auf die Toilette musste und mich am Wohnzimmer vorbei schlich, bemerkte er mich dennoch und lallte "Komm her, mein Amberlein!". Ich sah ihn an und entdeckte kleine Rinnsale an seinen Mundwinkeln. Er zog mich am Arm auf den Platz neben ihm und legte mir einen Arm um die Schulter. "Weischt du, Amberlein, dasch isch alles nicht richtisch. Alles nischt. Du musscht wirklich braver werden, Mäuschen." Ich verzog keine Mine und ließ diesen Anblick über mich ergehen. So kannte ich meinen Vater nicht, aber so sollte ich ihn noch oft erleben. Er legte nun seine Hand auf meinen Oberschenkel und fuhr hoch und runter. Wieder lallte er: "Amberlein, Amberlein, du hascht so weische Haut. Nischt wie deine Mutter, alte Hexe. Du hascht viel weichere Haut, dasch spür isch sofort." Mir kam das alles nicht geheuer vor, also beschloss ich zu gähnen, um ihm zu zeigen, wie müde ich war. Vielleicht bekam ich dann die Erlaubins, wieder ins Bett zu gehen. Und tatsächlich: Er sagte mir, ich sollte ins Bett verschwinden. Doch dann fügte er hinzu: "Isch komme auch gleisch, Amberlein!"
Im Bett angekommen, hatte ich Angst, doch freute mich zugleich. Ein komisches Gefühl. Wollte mir mein Vater nach langem mal wieder Gute Nacht sagen und mich zudekcne, dass ich nicht fror? Was könnte er sonst wollen? Warum hat er gesagt, meine Haut wäre weicher als Mamas und streichelte dann mein Bein? Ich hörte, wie er das Bier auf den Marmortisch abstellte und seine Schritte sich meinem Zimmer näherten. Die Tür ging weiter auf und er trat herein. Seine Augen waren kleiner geworden und seine Haltung unsicher. Er stand leicht schwankend im Türrahmen und betrachtete mich. Plötzlich lächelte er. Dann trat er an mein Bett und ließ sich nieder.
"Amberlein, nun rutscht doch mal ein Stückschen, isch hab ja kaum Platz hier!" , lallte er. Meine Freude war gänzlich verflogen, denn scheinbar wollte er mir nicht Gute Nacht sagen. Mein Vater setzte sich nie auf mein Bett, sondern vielmehr deckte er mich einfach zu und sagte mehr beiläufig "Gute Nacht". Das letzte Mal ist sehr lange her, so richtig kann ich mich gar nicht daran erinnern. Aber ich fühlte mich gut dabei. Es war immer zumindest ein Anflug von Geborgenheit.
Ich zog mir die Decke bis ans Kinn und sah meinen Vater an, wie er da saß und nichts tat. Ich zitterte mittlerweile am ganzen Körper und flehte innerlich irgendjemanden an, der bitte dafür sorgen soll, dass ich nicht geschlagen werde. Immer wieder bettelte ich in meinen Gedanken. Ich zog meine Beine an meinen Körper und machte mich so klein es ging. Vielleicht würde ich jetzt einfach verschwinden, wenn ich mich nur ganz klein machte. Dann würde er mich vielleicht gar nicht sehen.
Doch er sah mich. Mein Papa blickte mir direkt in die Augen und riss mit roher Gewalt die Decke von meinem kleinen Körper... Er lachte kurz auf und sagte: "Oh, Amberlein, mein Mäuschen, gut siehscht du aus. Komm mal her und stell dich vors Bett!". Zitternd stand ich auf und mir schien, als wäre ich kleiner geworden. Meine Schultern hingen und ich versuchte mich immer noch ganz klein zu machen. Tränen stiegen wieder einmal in mir auf, doch ich wollte nicht weinen. Wenn ich weinte, bekam ich Schläge und musste nackt schlafen. Also kämpfte ich mit mir einen innerlichen Kampf und flehte mich selbst an, jetzt bloß nicht böse zu sein und zu weinen.
Mein Vater nahm meine Hände in seine und führte sie an seine Wangen. Immer wieder strich er mit ihnen rauf uns runter, dann über seinen Kopf, welchen er scheinbar in irgendeinem Takt drehte. Er machte komische Geräusche, die sich wie stöhnen anhörten und warf im nächsten Augenblick meine Arme von sich weg. Scheinbar war er plötzlich ganz klar, denn er nuschelte nicht mehr, als er zu mir sprach. "Amberlein, zieh mal dein Oberteil aus. Ich will mal was nach gucken!"
Langsam und zitternd begann ich mein Pyjama-Oberteil auszuziehen. All das unter einem ständigen "ja" und "oh" meines Papas. Als ich obenrum nackt vor ihm stand, war ich mir sicher, dass ich nun Schläge bekäme. Seit ich mehr Schläge als Essen bekam, wurde mir oft die Hose oder das Oberteil ausgezogen, damit Papas Gürtel oder Mamas Lappen lauter knallte und ich den Schmerz besser fühlte. Doch mein Vater sah nicht so, wie er immer aussieht, wenn er kurz davor war, mir Schmerzen zuzufügen, weil ich wieder böse war. Er sah sogar recht entspannt aus, so dass ich hoffte, alles würde gleich wieder gut und er geht.
Er rutschte ein Stück an die Bettkante, um mir noch näher zu sein und zog mit einem Mal meine Hose herunter. Mit seiner linken Hand wischte er sich durchs Gesicht und sprach wohl eher zu sich selber: "Sehr schön, Amberlein, sehr schön. Braves, kleines Mädchen.". Wenn ich also nackt vor ihm stand, war ich brav. Das merkte ich mir. Ich bekam dann keine Schläge und ich musste auch nicht nackt schlafen. So sollte es ab diesem Abend immer wieder ablaufen.
Seine Hand fasste an meinen Oberschenkel. Seine andere Hand umfasste meinen Po. Mein Vater grunzte und stöhnte. Ich aber zitterte und zitterte. Mit einem Mal konnte ich meine Tränen doch nicht zurückhalten und sie kullerten in Bächen meine Wangen hinunter. Ich schluchzte und weinte. Meinen Papa interessierte das natürlich nicht und so spürte ich seine Hand an meiner Vagina. Er rieb immer wieder an ihr und stöhnte so laut, dass ich Angst hatte, es hört jemand. "Amberlein, los, komm und leg dich hierher. Na, mach schon!" . Scheinbar bewegte ich mich nicht schnell genug, denn er stieß mich nun in mein Bett und behandelte mich wie ein Tier. Seine Hände waren überall an meinem Körper, der noch immer und viel schlimmer als vorhin zitterte. Ich weinte lauter, doch noch immer störte ihn das nicht. Es hätte mich wirklich gewundert, wenn ihn das gestört hatte, daher wusste ich zugleich, dass mir meine Tränen nicht ermöglichen würden, dass er von mir abließ. Im Gegenteil: Wenn ich weinte, bekam ich Schläge. Wenn ich Schläge bekam, weinte ich automatisch weiter und bekam noch mehr Schläge.
Ich spürte, wie er seinen Körper an meinem rieb und dabei furchterregende Laute von sich gab. Papas Hand noch immer an meiner verbotenen Stelle, rief ich ihm endlich zu "Papa, lass das bitte. Ich hab Angst!". Kaum hatte ich den Satz ausgesprochen, brannte mein Kopf fürchterlich und mir wurde schwindelig. Er schlug einfach zu, ohne zu achten, was er traf. Damit nicht genug: Er riss meine Beine auseinander und legte sich dazwischen. Ich war mittlerweile nur noch mit meinem Körper da. Meine Seele und mein Geist hatten sich verabschiedet. Ich fühlte mich so, wie man sich fühlt, wenn man kurz vor dem einschlafen ist und langsam wegdöste. Tranceähnlich ließ ich mit mir machen, was er wollte. Ich war noch so klein und hätte nie eine Chance gegen ihn gehabt. Also versuchte ich gar nicht erst, gegen ihn anzukämpfen.
Kurz ließ er nun von mir ab, doch ich konnte mich nicht bewegen. Ich stand völlig unter Schock und bekam nur nebenbei mit, dass er seine Hose auszog und wieder zu mir kam. Er riss erneut meine Beine auseinander und stöhnte wie ein Schwein.
Ein füchterlicher,brennender und unglaublich intensiver Schmerz durchfuhr meinenUnterleib und mein Körper wurde wach. Ich schlug um mich undweinte, ich versuchte, ihn von mir runter zu bekommen, doch meinPapa war viel stärker als ich. Er hielt meine Hände nunfest und zwang mich, still zu sein. Ich aber weinte immer noch undschrie, bis mir die Lunge wehtat. Mit seiner anderen Hand hielt ermir nun den Mund zu, so dass ich kaum noch Luft bekam. Ich gab auf...
Nach gefühlten Stunden ließ er endlich von mir ab, zog sich an und ging aus dem Zimmer. Als er sich noch einmal zu mir umdrehte, verzog er keine Mine und sagte in meine Richtung: "Braves, kleines Amberlein."
Die ganze Nacht schlief ich nicht. Ich zog mich auch nicht wieder an, denn ich war überhaupt nicht in der Lage mich wirklich zu bewegen. Zwischen meinen Beinen war es nass und es roch irgendwie unangenehm. Langsam tastet ich mich nun doch dorthin und erschrak, als ich Blut an den Fingern entdeckte.
Papa kam nun mindestens einmal die Woche zu mir ins Bett. Mittlerweile war ich 11 und machte all das schon viel zu lange mit. Ich war innerlich gebrochen und hatte das Ritzen angefangen. Mehrere Male war das Jugendamt bei uns zu Besuch, verschwand jedoch wieder, ohne mir zu helfen. Ich redete mir ein, dass mein Leben normal war. Vielleicht ging es ja allen Kindern so wie mir? ich hatte ja keine Vergleichsmöglichkeiten, keine Freunde, die ich hätte fragen können. In der Schule kam ich nicht mit, weil ich viel zu viele andere Dinge im Kopf hatte, als Mal-Aufgaben zu lösen und Diktate zu schreiben. Das Resultat war natürlich, dass ich sitzen blieb und zum Außenseiter verkam. Mir war das egal, ich war ohnehin immer alleine und es somit gewohnt, niemanden zum reden zu haben.
Als ich wieder mal von der Schule nach Hause kam, lag meine Mutter immer noch im Bett. Sie nahm seit längerem Tabletten, warm wusste ich aber nicht. Sie war seither sehr müde und ließ mich weitestgehend in Ruhe. Statt Schläge zu bekommen, wurde ich jetzt ignoriert. Zumindest von meiner Mutter. Mein Vater schlug weiterhin auf mich ein und kroch weiterhin zu mir ins Bett. Mittlerweile wusste ich, wann er mich richtig wollte oder wann er nur gestreichelt werden wollte. Er hatte dann einen anderen Blick in seinen Augen, was aber nicht hieß, dass sein Blick weniger gierig und abwertend war, wenn er nur gestreichelt werden wollte.
Als ich meine erste Periode bekam, geriet er jedoch in Panik. Meine Mutter ging nur mit den Worten "toll, jetzt schwängert der Alte die vielleicht noch" aus dem Bad, nachdem sie gesehen hatte, wie ich mir das Blut aus dem Slip zu wischen versuchte. Ich wusste nicht, was es bedeutet. Zwar hatte ich mal davon gehört, dass Frauen ab und zu bluten, aber da ich seit meinem 6. Lebensjahr diesen Anblick gewohnt war, maß ich dieser Tatsache heute keine große Bedeutung bei. Ich faltete etwas Toilettenpapier zusammen und legte es in meinen Slip. So sehr mich mein Vater auch nackt schon kannte, so weigerte ich mich, mir jetzt den Slip auszuziehen, ihn in die Badewanne zu der anderen Wäsche zu schmeißen und untenrum nackt in mein Zimmer zu laufen, um mir einen neuen Slip zu holen. Also zog ich meinen Slip nun samt Papier wieder hoch und zog mich erst später wieder um.
Meinem Vater blieb diese Neuerung in meinem Leben natürlich nicht verborgen. Er war verdammt wütend, als meine Mutter ihm erzählte, dass ich meine Periode bekommen hatte. Wild fluchend schlug er immer wieder auf den Tisch und selbst meine Mutter fing sich einen ein. "Wenn das Gör meint, dass sie mir jetzt davon kommt, dann hat sie sich geschnitten! Ich mache mit der, was ich will. So eine verdammte Scheiße!" rief er immer wieder.
Ich verstand nicht, was ihn daran aufregte, dass ich blutete. Bislang hatte ich geglaubt, dass es genau das war, was ihm gefiel, nach er mich mal wieder brutal ran genommen hat. Dass er nun aber so wütend wurde, weil ich ohne sein Zutun blutete, verstand ich nicht.
Er kam nun auch immer seltener zu mir ins Bett. Wenn es meiner Mutter mal zu lange dauerte, schrie sie neuerdings immer nach ihm, was meinen Papa wahnsinnig machte. "Halt dein Maul, du Schlampe. Du kommst auch noch dran!" rief er ihr zu und führte sein Werk in aller Ruhe zu Ende, bevor er es meiner Mutter besorgte.
An einem kühleren Sommermorgen machte ich mich wieder einmal fertig für die Schule und hörte röchelnde Geräusche aus dem Schlafzimmer. Papa war die ganze Nacht weg gewesen und hatte uns allein gelassen. Mir passte das ganz gut, meiner Mutter jedoch überhaupt nicht. Sie fluchte den ganzen Tag über ihn und verdammte ihn in die Hölle. Nun aber fluchte sie nicht, sondern lag nach Luft ringend in ihrem Bett und fuchtelte wild mit den Armen umher. Ich stand im Türrahmen und beobachtete schockiert, was sich hier abspielte. Als sie mich entdeckte, winkte sie mich zu ihr und zeigte auf ihren Rücken. Ich schlug dagegen, während meine Mutter immer heftiger mit dem Kopf nickte. So fest ich konnte, schlug, ja hämmerte ich auf ihren Rücken ein. Mir kam es vor, als würde eine Last von meinen Schultern genommen, ich merkte, wie sehr ich mich in Rage schlug und wollte gar nicht aufhören. Es war ein so befreiendes Gefühl, auf sie einzuschlagen, bis sie plötzlich nach mir griff und mich auf ihr Bett zog. Ihre Hände schlugen auf meinen Kopf ein, als wäre sie von Sinnen. Sie schmiss mich auf den Boden, während ich versuchte, meinen Kopf vor ihr zu schützen. Nun trat sie auf mich ein, immer schneller und immer heftiger. Ich krümmte mich vor Schmerzen und schrie um mein Leben. Ich hatte ja schon oft Schläge bekommen, aber nie hat sie mich getreten. Sie hörte garnicht mehr auf und fand scheinbar Gefallen an dieser Form der Erniedrigung.
Endlich ließ sie von mir ab und verschwand aus dem Zimmer. "Bastard", war alles, was ich hörte, bevor ich mich zur Seite legte und meine Beine anzog. Unerträgliche Schmerzen strömten durch jeden Zentimeter meines kleinen, geschundenen Körpers und ich dachte, dass ich sterben würde. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich dort auf dem Boden lag, aber es war mein Vater, der mich hoch zog und in mein Zimmer schleifte. Er warf mich aufs Bett und deckte mich zu. Ich konnte nichts sagen, aber mein Vater durchbrach die Stille. "Amberlein war wieder böse, was?". Ja, das war ich. Ich hatte versucht, meine Mutter vor dem ersticken zu bewahren und dabei war ich zu hart vorgegangen. Ich fühlte mich in diesem Moment wie ein Tier, aber es fühlte sich gut an, auf sie einzudreschen. So musste sich meine Mutter wohl immer fühlen, wenn sie auf mich einschlug. Ich verstand, dass es ihr gefallen musste, denn ich hatte grade hautnah erlebt, welche Gefühle in mir aufkeimten, als ich ihren Rücken maltretierte.
Als mein Vater so da stand, sah ich nicht an. Er fühlte sich scheinbar herausgefordert und schlug mir auf die Wange. "Sprich, Amberlein. Sprich mit mir!" Doch ich konnte nicht antworten. Ich fühlte mich leer. Schon hatte ich einen weiteren Schlag abbekommen und kroch tiefer in meine Decke hinein. "Miststück. Du bist ein Miststück, Amberlein!" Endlich verschwand er und ließ mich in Ruhe. Meine Schmerzen schienen von Sekunde zu Sekunde schlimmer zu werden und ich betete um Erlösung. Kann mich nicht irgendjemand hier raus holen? Kann ich jetzt nicht einfach umfallen und nicht mehr aufwachen? Warum hatte meine Mutter nicht länger auf mich eingeschlagen? Dann wäre ich mit Glück jetzt tot und es hätte alles ein Ende.
Zitternd schlief ich nach Stunden völlig erschöpft ein und träumte von Bären, die mich jagten. An Schule war die nächsten Tage natürlich nicht zu denken, denn ich verbrachte die ersten zwei Tage im Bett und stand nur auf, um mir was zum essen oder trinken zu holen. Mein Vater ließ mich gänzlich in Ruhe und meine Mutter kümmerte sich ohnehin nicht um mich. Das war das einzige Gute an der letzten Schlag-Orgie: Ich wurde alleine gelassen und niemand scherte sich um mich. Keine weiteren Schläge, keine Besuche des Vaters. Einfach nur ich und mein Zimmer. Während andere Kinder sich wohl über Puppen und Plastik-Autos freuten, so reichte mir die Elternlose Zeit in meinem kargen Kinderzimmer.
Ich traute mich nicht, mein Zimmer zu verlassen. Ich hatte auch gar keinen Grund. Wenn ich aufstünde, würde ich früher oder später wieder verdroschen und landete ja doch wieder hier. Also verschanzte ich mich unter meiner Decke und rieb immer wieder an meinem Körper. Sämtliche Stellen schmerzten noch immer und mein Kopf war weiterhin wie leer gefegt. Der einzige Gedanke, den ich hatte und den ich ertragen konnte, war das Sterben.
Immerzu kreisten meine Gedanken um dieses eine Thema. Mrs. Whrightson sagte mir mal, dass man sich etwas nur stark genug wünschten musste, damit es in Erfüllung ging. Und so betete ich jeden Tag und jede Nacht darum, einfach einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen. Doch jedes Mal, wenn ich die Augen aufschlug, war ich wieder in meinem Zimmer.
An einem Samstag ging es meiner Mutter sehr schlecht. Ich hörte meinen Vater, wie er in der Wohnung auf und ab ging und telefonierte. Wortfetzen, wie "ich bringe sie" oder "ihr geht es schlecht" waren zu hören. Was wohl da los war? Ich wagte einen Schritt aus meinem Zimmer und lauschte. Doch mein Vater hatte bereits aufgelegt und erwischte mich prompt. "Hau ab, geh mir aus den Augen. Deiner Mutter geht es schlecht, ich bringe sie jetzt ins Krankenhaus und du verhältst dich hier ruhig, verstanden?". Nickend drehte ich mich um, holte mir schnell ein Wasser aus der Küche und schaute lange Zeit aus meinem Fenster.
Papa hievte meine Mutter ins Auto und brauste davon. Mir war ja aufgefallen, dass es ihr schon länger schlecht ging, aber dass sie sogar jetzt ins Krankenhaus musste? So komisch es sich auch für mich anfühlte, aber ich hatte Angst. Angst, dass sie stirbt, auch wenn es mir hätte egal sein können. Wäre sie weg, bekäme ich weniger Schläge. Jedoch würde ich lieber auf Papas Handgreiflichkeiten verzichten als auf die meiner Mutter. Ich fände es besser, wenn es ihm schlecht ging. Schläge zu bekommen war die eine Sache, aber das was er mit mir machte, zerfraß mich deutlich mehr.
Mit den Gedanken bei meiner Mutter kam ich auf eine Idee: Ich nahm einen Zettel und malte einen großen Kreis mit schwarzer Farbe auf das Papier. Dieses unterteilte ich in immer mehr kleine Flächen. Ich gab jeder Fläche eine Bedeutung und schrieb sie hinein. Letztlich hatte ich etwa 50 kleine Kästchen in den Kreis gemalt und überlegte, mit was ich die restlichen Flächen beschriften konnte. Jede sollte eine Verletzung oder Demütigung darstellen. Ich beschloss, dass das, was mein Vater mit mir machte, mindestens schon mal 20 Flächen wert war und schrieb somit in jedes Kästchen "Papa". In 5 weitere schrieb ich "Mama" und in ein weiteres "Schule". 26 Kästchen waren belegt. Der Kreis war meine Seele und die Kästchen die Dinge, die sie kaputt machten.
Warum ich ausgerechnet 50 Kästchen malte? Ich denke, weil hoffte, dass sie alle noch viele Dinge benötigten, bevor man mich brechen konnte. Ich wollte auf der einen Seite sterben und auf der anderen nicht kampflos das Feld räumen. Ich war ständig im Zwiespalt mit mir selber. In den Momenten der Schläge und Übergriffe wollte ich sterben, einfach nicht mehr da sein. Wenn ich diese gerade nicht erfuhr, wollte ich kämpfen. Um mich, um mein Leben und um meine Seele.
Ich faltete das Papier und versteckte es ganz hinten unter meinem Bett. Niemand sollte es je finden, geschweige denn lesen. Es war mein Papier, meine aufgemalte Seele, meine Verletzungen. Es war irgendwie heilig für mich und ich wollte nicht, dass jemand davon erfuhr. Ich stellte eine alte Pappschachtel davor, damit niemand sofort den Zettel sah, falls er doch unter mein Bett guckte.
Wieder schaute ich aus dem Fenster und bemerkte einen Transporter. Er war mit goldener Schrift verziert, hatte tolle runde Scheinwerfer an der Motorhaube und eine Antenne, an der ein kleiner Puppenkopf steckte. Eine Frau und ein Mann stiegen aus und öffneten die Seitentür. Ich sah, wie sie sich unterhielten und öffnete ein Stück weit mein Fenster, um vielleicht hören zu können, was sie sagten. "Liebling, würdest du schon mal die Kinder reinbringen? Dann stell ich schon mal die Kisten auf den Gehweg." hörte ich den Mann sagen. Die Frau antwortete: "Sicher, aber pass bitte mit der ganz großen Kiste auf, du weißt ja, dass da mein Heiligtum drin ist.". Ich sah, wie sie die Tür einen Spalt weiter öffnete und 2 Kinder ausstiegen, die ganz hibbelig am Auto standen und immer wieder vor Freude hüpften. Es waren 2 Jungs, mit braunen kurzen Haaren und orangefarbenen Shirts an. Sie hätten Zwillinge sein können, jedoch waren sie unterschiedlich groß.
Die Frau brachte sie an das Haus von Familie Scott und schloss schließlich die Tür auf, um herein zu gehen. Bereits vor Wochen war mir aufgefallen, dass das Haus leer stand. Die Gardinen an den Fenstern waren stets zugezogen und der Briefkästen war überfüllt mit Post und Zeitungen. Der Mann hievte eine Kiste nach der anderen aus dem Transporter, bis er schließlich eine sehr große von der Ladefläche schob und auf den Gehweg stellen wollte. Die Kiste rutschte ihm zur Seite weg, doch er konnte sie noch rechtzeitig in Balance bringen, sodass sie nicht zu Boden fiel. Er sah aufgeregt nach links und rechts und stellte die Kiste dann zu den anderen auf den Gehweg. Nach erneuten Umsehen, dass die frau wohl ja nichts von seinem Missgeschick mitbekommen hatte, fuhr er mit seinem Handrücken über seine Stirn. Ich schmunzelte. Wenn ich mir vorstelle, was meine Eltern mit mir machen würden, wenn mir das passiert wäre... Das Lachen verging mir bei diesem Gedanken sofort.
Die Frau trat aus dem Haus und gab dem Mann einen Kuss. Aha, sie waren also ein Paar und die beiden Jungen waren dann wohl ihre Kinder. Sie stellten sich gemeinsam auf den Gehweg und begutachteten ausgiebig und Hand in Hand jedes Detail des kleines Häuschens. Sie wirkten so glücklich und zufrieden, dass ich neidisch wurde. Der Mann regte sich als erstes wieder und ging zurück zu den Kisten. Sein Blick fiel dabei direkt an mein Fenster. Ich fühlte mich ertappt und versteckte mich schnell hinter der Gardine. Ganz heimlich riskierte ich nach einiger Zeit wieder ein Blick und war traurig, als niemand mehr zu sehen war. Stattdessen waren nun die Vorhänge des Hauses beiseite geschoben und die Fenster geöffnet.
In diesem Moment kam mein Vater angefahren. Meine Mutter fehlte, sodass ein schlecht gelaunter Mann aus unserem Auto stieg und kritisch den Transporter beäugte, der gegenüber stand. Er ging um ihn herum und seine Augen weiteten sich. Langsam fuhr er über den Lack und begutachtete ganz genau die Scheinwerfer. Der Mann aus dem Scott-Haus kam gerade aus der Tür und schüttelte en Kopf. "Ja, das passiert ständig. Jeder will mal gucken, jeder will mal fühlen, ", lachte er. Mein Vater fuhr erschrocken zusammen und war peinlich berührt, auf frischer Tat ertappt worden zu sein. Doch der Mann nahm im den Schrecken und sagte:" Schon okay, ich kenn das ja schon. Jedem gefällt dieser alte Jakory Five. Keine Scheu, Sie dürfen sich auch mal reinsetzen.". Mein Vater war noch immer leicht neben der Spur und stammelte:"Ähm, ja, Danke. Wirklich ein..ein toller Wagen!". Der Mann hielt ihm die Wagentür auf und deutete ihm mit dem Kopf, dass er sich reinsetzen soll. "Lange her, dass ich so einen mal gesehen habe. Von denen gibt es höchstens noch eine Hand voll. Oh, Entschuldigen Sie, mein Name ist Timothy Brown,", brachte mein Vater nun hervor. Wie nett er sein konnte... Er hielt dem fremden Mann seine Hand entgegen, welcher sie mit den Worten "Anthony Scott, freut mich. Ja, nur noch 4 sind offiziell angemeldet."
"Darf ich mich wirklich reinsetzen?" "Klar, nur zu!". Vorsichtig, als würde etwas zu Bruch gehen, wenn er zu schnell machte, setzte sich mein Vater auf den Fahrersitz und umklammerte das Lenkrad. "Wirklich nobel, so gut in Schuss und eine wahre Augenweide." Anthony lachte und fühlte sich scheinbar geehrt, denn man konnte sehen, wie er plötzlich einen halben Kopf größer wurde. "Er wurde immer gut behandelt, er ist wie ein drittes Kind für mich. Meine Frau belächelt mich zwar immer, aber lässt mich machen. Ich mecker ja schließlich auch nicht über ihre Schuhsammlung", lacht er.
Mein Vater nickte, als ob er wüsste, was Anthony meinte. Er stieg wieder aus und fragte:"Wohnen Sie jetzt hier? Schlimme Sache, die da mit den alten Scotts passiert ist, was?". Anthony blickte zu Boden und sprach leiser als vorher:"Ja, das ist das Haus meiner Eltern. Sie haben es uns vererbt, aber eigentlich dachten wir, wir hätten noch Zeit mit dem Umzug. Tja, nun sind wir hier und machen das Beste daraus!". "Mein Beileid noch zu Ihrem Verlust, Mr. Scott. Ich muss leider los, meine Tochter wartet sicher schon", antwortete mein Vater. "Ach, Sie haben eine Tochter? Wie schön, wir haben 2 Jungs, wahre Lausbuben, aber unser ganzer Stolz. Vielleicht lernen sie sich ja mal kennen.". Nun wuuste mein Vater nicht wirklich, was er sagen sollte und klopfte Anthony einfach auf die Schulter. "Muss los, bis demnächst!". Anthony hob seine Hand und packte die letzten 2 Kisten ins Haus.
Schnell verschwand ich vom Fenster und verkroch mich wieder im Bett. Mein Vater betrat die Wohnung und schmiss seine Sachen durch die Wohnung. "Mist, verdammter. Alles ihre Schuld. Und was für ein verkommener Schuft da unten.". Meinte er Anthony? So nett wie er grade noch mit ihm sprach, so sehr beschimpfte er ihn nun. "Was glaubt der, wer er ist? Nur weil der nen Jakory fährt...pft... AMBERLEIN!" Er rief mich zu sich und verlangte ein Bier. Ich brachte es ihm und wollte wieder zurück ins Zimmer, als er mich am Arm fest hielt und beschimpfte. "DU...DU allein bist schuld, dass deine Mutter jetzt weg ist. Du bist vom Teufel persönlich besessen. Miststück, du! Wärst du ein braves, kleines Mädchen gewesen, wäre sie noch hier!". Diese Wort trafen mich... Ich habe Mama nichts getan. Ja, ich war böse, aber ich habe sie nicht krank gemacht. "Ihr seid Dreckspack, ihr alle. Du und auch dieser Scott da unten. Dreckspack!". Mit gefalteten Händen stand ich vor ihm und wollte nur noch weg. Zurück in mein Zimmer und allein sein. Als hätte er meine Gedanken gelesen, schickte er mich mit einem Handzeichen weg.
Ich war schuld, dass Mama krank ist. Ich war zu böse zu ihr und jetzt ist sie krank. Ich hab sie zu doll geärgert. Vielleicht hätte ich ihr nicht so doll auf den Rücken schlagen sollen. Aber ich hatte doch Angst, dass sie erstickt. Zumindest am Anfang. Mir fiel ein, wie ich mich fühlte, als ich nicht aufhören konnte, zuzuschlagen. In meinem Kopf spielte sich die Szene immer wieder ab. Ich hab sie krank gemacht, weil ich nicht aufgehört habe, zu schlagen. Ich bin böse, vom Teufel besessen.
Ich kramte meinen Zettel unter dem Bett hervor und füllte eine weitere Fläche aus: "Ich".
Lange dachte ich noch über die Worte meines Vaters nach. Ich war schuld an Mamas Zustand, dass sie im Krankenhaus lag und manchmal den ganzen Tag nicht aufstand. Wäre ich nur artiger gewesen, wäre ihr aus dem Weg gegangen und hätte mich in meinem Zimmer verschanzt, statt aufzustehen, mir Trinken zu holen oder mich zur Schule fertig zu machen.
Hätte ich doch nur so getan, als wäre ich unsichtbar und hätte all das gemacht, wenn sie gerade nicht da war. Sie hätte mich dann nicht wahr genommen und ihr ginge es besser. Stattdessen aber liefen wir uns immer über den Weg, wenn ich nicht gerade in meinem Zimmer hockte. Irgendwas regte sie immer auf, irgendeinen Grund fand sie immer, um sich aufzuregen und mir die Leviten zu lesen.
So sehr meine Mutter nach meinen Boshaftigkeiten suchte, so wenig suchte mein Vater danach. Er kam, wann er wollte, egal ob wir uns den ganzen Tag nicht gesehen hatten oder ich böse war. Meine Mutter hatte also zumindest einen Grund für ihr Verhalten, während mein Vater keinen brauchte. Er nahm sich, was er wollte, wann er wollte und wie er wollte.
Draußen wurde es dunkel und ich bemerkte, wie sich die Straßenlaternen einschalteten. Schnell lief ich zum Fenster, um sie zu zählen. Laterne 1 - Licht an. Laterne 2 - Licht an. 3, 4, 5... Letztlich brannten sie alle und legten die Straßen in ein wunderschönes Licht. Die Bäume warfen lange Schatten an die Hauswände und in den Häusern wurden die Lampen angeschaltet. Auch beim Scott-Haus waren die Fenster hell erleuchtet. Ab und zu sah man jemanden daran vorbei huschen und ich glaubte, Lachen zu hören. Ich beugte mich weiter aus dem Fenster, um sie besser zu hören und tatsächlich: Herzhaftes Lachen strömte aus dem Haus. Scheinbar hatten sie ordentlich Spaß und ich wünschte, ich könnte ihnen zuschauen. Ich begnügte mich aber vorerst mit ihren Geräuschen und geriet ins Träumen.
Ich lief durch unseren Garten und tollte mit Cherry, genau wie damals, bevor Mrs. Whrightson die Treppe hinunter gestürzt war und starb. Cherry bellte lauthals vor Freude und forderte mich immer wieder auf, ihren Ball wegzuwerfen, den sie schwanzwedelnd zu mir zurück brachte. Schmetterlinge flogen umher, Bienen summten von Blume zu Blume und der Himmel erstrahlte in seinem schönsten Blau. Ich lachte immerzu und blieb nicht eine Sekunde stehen, viel zu schön war dieser Tag. Ich lief und lachte, ich lachte und lief. Cherry immer an meiner Seite.
Eine zugeschmissene Tür brachte mich in die Realität zurück. Papa... Ich schloss das Fenster und begab mich ins Bett. "Amberlein, Kleines. Ich war gerade zu gemein zu dir. Komm, ich zeig dir, dass es mir leid tut!".
Als er ging, mummelte ich mich wieder einmal in meine Decke und starrte die Wand an. Lachende Kinder, die Spaß hatten und umherliefen... Lachende Kinder... Es gab sie. So bewusst war ich mir dessen nicht. Weder in der Schule noch sonstwo achtete ich darauf, wer lachte und ob es überhaupt jemand tat. Ich war mit meinen Gedanken ohnehin immer in meiner eigenen Welt und bekam nichts mit. Doch wenn ich länger darüber nachdachte, fiel mir auf, dass ich nie lächelte und erst recht nicht lachte. Ich konnte mich nicht an das letzte Mal erinnern.
Nochmal stand ich auf und schaute zum Fenster hinaus. Bei dem Scotts waren bis auf ein Licht alle anderen erloschen und wirkten nun so düster, dass es mich schauderte. Nun erlosch auch das letzte Licht und ich spürte, wie ich traurig wurde. Also blieb mir nun nichts anderes übrig, als wieder ins Bett zu gehen.
Die nächsten Tage verbrachte ich ab sofort damit, zu den Scotts rüber zu sehen. Einer der Jungs, der ältere, hatte mir sogar mal gewunken, als er mich am Fenster entdeckte, doch fühlte ich mich ertappt und versteckte mich hinter der Gardine. Als die Luft rein war, schwor ich mir, ab jetzt vorsichtiger zu sein. Ich wollte nicht böse sein und als Spannerin abgetan werden.
Mein Vater rief duch die Räume "ich fahre jetzt, sei bloß brav!" und fuhr in schnellem Tempo mit dem Auto davon. Ich war nun ganz alleine Zuhause, was mich immer durchatmen ließ. Alleine sein war schön, niemand war da, der was von mir wollen könnte. Aus der Küche holte ich mir die Kekse aus der Blechdose und versteckte mich ein Stück weit hinter der Gardine, um unbeobachtet nach draußen zu sehen. Die Jungs spielten im Garten Ball und hatten sichtlich Spaß.
Ich hörte plötzlich ein "Hallo" und erschrak, als die zwei zu mir hoch schauten. Mist, ich hatte mich wohl nicht gut genug versteckt. Ich ging einen Schritt zurück und dachte nach. Was sollte ich jetzt tun? Die Gardine zuziehen oder so tun, als hätte ich sie gar nicht gehört? Wieder ertönte ein "Hallo" und ich beschloss, mich zu erkennen zu geben. Es hatte ja doch keinen Sinn, sich zu verstecken, sie hatten mich entdeckt. Vorsichtig lugte ich hinaus und sah, wie sie mir winkten. "Hallo, komm runter und spiel mir uns!", rief der kleinere Junge. Ich schüttelte den Kopf und wollte mich gerade zurückziehen, als nun der ältere rief:" Na komm, spiel mit!". Mitspielen? Ich? Solche Situationen waren mir bis dahin ganz fremd und ich fühlte mich unwohl. Ich konnte doch nicht einfach da runter gehen und... Warum eigentlich nicht? Papa war weg, Mama auch und ich war allein. Also zog ich mir nachdenklich meine Schuhe an und ging in den Garten. An der Terrassentür jedoch blieb ich stehen und schaute mir nochmal die Jungs an. Der ältere müsste etwa so alt sein wie ich, schätzte ich. Langsam ging ich weiter hinaus und kam letzlich beim Zaun an, der unsere Grundstücke voneinander trennte. Ich lauschte, ob ich nicht ein Auto hören würde und Papa somit schon wieder kam, aber als ich nichts hörte und mich die Jungs auch schon entdeckten, kamen sie lachend auf mich zu. Für kurze Zeit wollte ich weglaufen, ganz weit weg, doch etwas zwang mich, stehen zu bleiben.
Der größere Junge sprach zuerst zu mir und reichte mir seine Hand. "Hallo, ich bin Phil und das ist mein kleiner Bruder Daniel. Willst du doch mitspielen?". Ich nickte und antwortete "Ja. Ich...bin Amber". Seine Hand in meiner zu fühlen, war mir unangenehm, so dass ich meine schnell wieder zurück zog und auf den Boden sah. "Dann los, komm rüber", sagte Phil und zeigte auf das Gartentürchen. Ich sah ihn fragend an, doch als er sagte, ich solle hinmachen, tat ich wie er sagte und betrat nach langer Zeit wieder ein anderes Grundstück als unseres. All die Zeit befand ich mich bevorzugt in meinem Zimmer oder leider auch in der Schule, doch nun fühlte ich, wie ich verkrampfte und sich etwas in mir zusammenzog.
Lange Zeit, dieses Gefühl zu spüren, hatte ich nicht, denn sobald ich richtig im Garten der Scotts stand, kam auch schon der Ball in meine Richtung geflogen, den ich gerade noch so fangen konnte. Daniel lachte auf. "Gut reagiert, Amber. Nun wirf ihn zu mir zurück, aber pass auf, dass Phil ihn nicht bekommt." Ich warf den Ball zurück und es vergingen nur wenige Sekunden, bis er wieder bei mir war. Phil bemühte sich, uns den Ball abzunehmen, was ihm aber nicht sonderlich gut gelang. Er versagte kläglich. Daniel hatte so sehr Spaß, dass er schon grunzte vor Lachen. Mir gefiel dieses Spiel und ich hätte noch lange so weiter machen können, jedoch fuhr in diesem Moment unser Auto in die Straße, so dass ich den Ball einfach fallen ließ und so schnell wie ich konnte zurück nach Hause lief.
Hoffentlich hatte er mich nicht gesehen. Wie kam ich auch auf die dumme Idee, zu den Jungs zu gehen und mit ihnen zu spielen? Wenn er das rausfände, setzte es was. Die Haustür wurde aufgeschlossen und mein Vater trug eine Tragetasche ins Wohnzimmer. Dann verschwand er wieder und kam kurze Zeit später mit Mama zurück. Ich rief "Mama, Mama!". Wie froh ich doch war, dass sie nicht wegen mir gestorben war, stand mir wohl ins Gesicht geschrieben. Ich wollte mich ihr in den Arm werfen, doch kam mein Vater mir zuvor und schubste mich weg. "Gehst du wohl weg? Deine Mutter braucht jetzt Ruhe. Verschwinde!".
Meine Mutter zeigte keinerlei Reaktion, ihre Augen waren starr auf den Fußboden gerichtet und sie ging mit schleifenden Schritten bei meinem Vater eingehakt ins Schlafzimmer. Ich lauschte an meiner Zimmertür, ob ich etwas von ihrem Gespräch mitbekäme, doch verstand ich nicht, was die Worte bedeuteten. Reine Wortfetzen waren alles, was ich mitbekam, denn scheinbar flüsterten sie.
Mein Vater verließ das Schlafzimmer und ich machte mich schnell weg von der Tür. Ich tat, als würde ich im Kleiderschrank etwas suchen, doch als ich bemerkte, dass mein Vater die Wohnung verließ, atmete ich die Anspannung endlich aus. Ob ich jetzt mal zu Mama gehen soll? Nein, sie brauchte Ruhe und ich wollte nicht schuld sein, wenn es ihr wieder schlechter ging. Ich blieb einfach in meinem Zimmer und malte sinnlose Linien und Kreise auf Papier. Als etwa eine Stunde vergangen war, hörte ich meine Mutter nach mir rufen. Ich lief zu ihr und blieb im Türrahmen stehen. "Würdest du mir ein Glas Wasser holen?", fragte sie mich. Eingeschüchtert nickte ich und holte ihr Wasser. Langsam goß ich ihr etwas ins Glas, als sie mich am Arm berührte. "Danke!", nuschelte sie und hielt dann die Hand auf, damit ich ihr das Wasser reichen konnte. Sie trank es in einem Zug leer und stöhnte genüsslich auf. "Ja, Danke", sagte sie wieder und schickte mich aus dem Zimmer.
Sie hatte Danke gesagt. Nein, sie hatte nicht nur Danke gesagt, sie hatte Danke ZU MIR gesagt! Danke für ein einfaches Glas Wasser. Ich spürte, wie mein Herz höher schlug. Hätte mir mal jemand gesagt, dass dies passieren sollte, hätte ich ihn für verrückt gehalten. Aber ich war in dieser Situation dabei, es ging um mich und ich habe eindeutig ihr "Danke" gehört.
Papa kam wieder und stellte den frisch gekauften Sixpack Bier und eine Flasche Korn auf den Wohnzimmertisch. Nun begab er sich ins Schlafzimmer, wo nach wenigen Sekunden nur noch "Nein" und "Geh endlich" zu hören war. Mein Vater protestierte laut und schrie meine Mutter an: "Du gehörst mir, hast du verstanden? Nur mir! Elendes Stück Dreck. Machst hier auf krank und scherst dich nicht um mich. Pah, so nicht. Wirst schon sehen!".
Die Schlafzimmertür schnappte laut ins Schloss und mein vor Wur rasender Vater riss den Sixpack auf und goß sich ein Bier nach dem anderen in den Magen. Als nichts mehr da war, nahm er sich den Korn vor. Im Fernsehen lief ein Fußballspiel, zu dem mein Vater in regelmäßigen Abständen seine Kommentare abgab. "Vollidiot, du kannst doch nicht aus dieser Situation einen direkten Freistoß schießen!". Er regte sich richtig auf und fluchte über jeden einzelnen Spieler. Letztlich schaltete er motzend den Fernseher aus und verschwand im Schlafzimmer. Das letzte was ich hörte, waren Schreie meiner Mutter, die aber recht bald verstummten.
Als ich am nächsten Tag immer noch nichts von Mama hörte, sah ich nach und fand meinen Vater schlafend vor. Meine Mutter war blau im Gesicht. Ich fasste sie an. Sie war kalt.
Ich erstarrte. Ich konnte mich nicht bewegen. Meine Augen musterten ihr Gesicht und verharrten schließlich auf ihren geschlossenen Augen. 'Mach sie auf. Mach sie jetzt auf', dachte ich immer und immer wieder. In Gedanken schrie ich die Worte förmlich und betete gleichzeitig.
Sie musste sich doch regen, sie musste etwas sagen. Sie musste einfach die Augen aufmachen und mich anschreien, dass ich einfach so ins Schlafzimmer geplatzt war. Sie musste mich auf den Boden werfen und schalgen. Aber sie tat nichts. Sie lag nur da und tat nichts.
Endlich löste sich meine Anspannung und ich fing an zu schreien. Mein Vater wälzte sich fluchend auf die Seite und schaute mir schließlich direkt in die Augen. Ich zeigte auf meine Mama und sah, wie sich sein Gesicht verzog. Panisch riss er die Augen auf und konnte seinen Mund nicht mehr schließen. Mit einem Satz war er aus dem Bett aufgestanden und kam in meine Richtung. Sein Blick war kalt wie Eis.
Heute weiß ich, dass es mein Überlebensinstinkt war, der mich in diesem Moment dazu brachte, um mein Leben zu laufen. Im Pyjama stand ich auf der Straße und wusste nicht, wohin ich laufen sollte. Ich rannte einfach die Straße hinunter und wollte nie wieder zurück kehren.
Mama...Was ist nur passiert? War ich schuld, weil ich sie nicht in Ruhe gelassen hatte? Aber sie wollte doch, dass ich ihr Wasser bringe. Das war das letzte Mal, dass ich sie sah. Ich war doch nicht böse, aber warum war sie dann tot? Hatte Papa ihr das angetan? Ich bekam seinen eiskalten Blick nicht aus dem Kopf und schüttelte ihn immer wieder, um ihn los zu werden. Tränen rannten über mein ganzes Gesicht. Ich konnte kaum noch die Straße erkennen und so geschah es, dass ich in jemanden rein lief. "Hoppla, junge Dame. Nicht so stürmisch!", sprach mich eine freundliche Frauenstimme an. Ich wollte mich losreißen, doch hielt mich die Frau auf und fragte:"Warum läufst du denn im Schlafanzug durch die Gegend?"
Meine Beine sackten weg, ich konnte nicht mehr richtig atmen. Nun lag ich auf dem kalten Asphalt und keuchte. Die Frau beugte sich über mich und wischte mit einem Taschentuch meine Tränen weg. Sie griff zum Handy und rief einen Krankenwagen. Mein Fluchtreflex war wieder da und ich stand auf so schnell es ging, doch meine Beine gaben erneut nach. Vorsichtig nahm mich die Frau in die Arme und strich mir die Haare aus der Stirn. Oh, mein Gott, fass mich nicht an, dachte ich. All die Gefühle kamen in mir hoch und ich hatte das Gefühl, mich gleich zu übergeben. Ich hörte, wie die Frau sagte, ich solle ganz ruhig atmen und mich entspannen. Wenn sie nur wüsste...
Der Krankenwagen fuhr heran und zwei Sanitäter mit silbernen Koffern sprangen heraus. Ich hörte, wie die Dame erzählte, was passiert war und wie sie ihre Daten angab. "...dann brach sie plötzlich zusammen. Ich wohne gleich um die Ecke, wollte nur was besorgen. Mein Name ist Lucy Scott. Kann ich was für die Kleine tun?".
Wieder drehte sich alles in meinem Kopf, doch einer der Sanitäter leuchtete mit seiner Taschenlampe in meine Augen und fragte mich, wie ich heiße. "Ich...Amber...Ich heiße...Amber B-B-Brown", stotterte ich völlig entkräftet. "Okay, Amber, wie werden dich ins Krankenhaus bringen. Sagst du uns die Telefonnummer deiner Eltern? Sie machen sich sicherlich schon Sorgen!".
Ich heulte. Die Tränen fließen in Bächen über mein Gesicht und ich schrie, was meine Lungen hergaben. Mit der Situation sichtloch überfordert, verfrachteten mich die Sanitäter mit vereinten Kräften auf die Liege, um mich in den Krankenwagen zu schieben. Mrs. Scott stand mit der Hand vor dem Mund auf dem Gehweg und hatte ebenfalls Tränen in den Augen. Warum weinte SIE denn fast? Ich verstand diese Sache nicht.