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Das vorliegende Buch ist eine Zusammenstellung von literarischen Arbeiten der Autorin aus den Jahren 2004 bis 2017, gewidmet vor allem den Menschen, die der Autorin nahe stehen. Die Zusammenstellung ist nicht zufällig gewählt. Die Autorin möchte damit den unterschiedlichen Neigungen ihrer Leser gerecht werden. Dem einen wird dieses, dem anderen jenes besser gefallen. Und doch sollte für jeden, der sich entschlossen hat, dieses Buch zur Hand zu nehmen, etwas Besonderes dabei sein. Etwas, das zum Nachdenken anregt, die Erinnerung weckt oder ganz einfach Vergnügen bereitet.
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Seitenzahl: 112
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Für meine Weggefährten
Tiefen der Weisheit
Des Herzens Wellenschlag
Am anderen Ufer
Berg- und Talfahrt
Wellenbad der Gefühle
In eigener Sache
Im Schaumbett der Gezeitenwelle,
wenn der Mond die Erde küsst,
schlägt das Leben Purzelbäume.
Rolle rückwärts bis zur Quelle.
Die Entdeckung – welch Gelüst!
Ist´s Gewissheit, sind es Schäume?
Ach, wenn ich die Antwort wüsst...
Ich schwebe
auf Deiner Welle.
Empor getragen
von schwungvoller Hand,
den Abgrund vor Augen.
Sehend gleite ich
sanft in das Tal.
Das Blut
kreist in den Adern.
Wie der glutrote Ball
einer Sonne
lässt es mich spüren,
was Feuer ist…
Ich steige, ich falle –
wieder und wieder.
Bis irgendwann
Deine Welle
am Überschwang
meiner Gefühle
(zer)bricht.
geschrieben 2008
Mehr als acht Jahrzehnte ist es her, da wurde ein Knabe geboren. Das Wissen um die Geschicke der Welt hatte ihm niemand in die Wiege gelegt. Seine Mutter, die tiefer blicken konnte als andere Menschen, hinterließ ihm ihren Traum von einem glücklichen Leben. An der Seite eines ruhelosen Mannes war es ihr nicht vergönnt gewesen, das Tor zum Glück zu finden.
Als der Knabe heranwuchs, wurde auch er wie sein Vater ein Suchender. Er nahm sich eine Frau und hoffte, dass alle seine Wünsche in Erfüllung gingen. Doch ihr Traum vom Glück war nicht der seine. So zog es ihn wieder und wieder fort. Er lernte die Welt kennen und beobachtete die Menschen. Was er sah, schrieb er auf, und für alle, die es mit wachen Augen lesen konnten, war er ein Lehrer. Nur die eigenen Sehnsüchte blieben tief in seiner Seele verborgen. Er wusste nicht, wie und wem er sich hätte offenbaren können, ohne befürchten zu müssen, einen Teil seiner Stärke preiszugeben. Die Frau fand den Weg nicht zu seinem Herzen. Und er nicht den zu ihrem. Als seine eigenen Söhne heranwuchsen, taten sie es dem Vater gleich. Woher sollten sie wissen, dass die wahre Stärke eines Menschen darin besteht, im Einklang mit sich selbst und der Welt zu leben? Vertrauen zu geben, um Vertrauen zu finden? Geist und Seele zu offenbaren?
Woher sollten die Söhne die Sprache der Seele des Vaters kennen, wenn sie in vielen Jahren durch die des Geistes verdeckt geblieben war? Hatte doch der Vater selbst erst gegen Ende seines Lebens die Wahrheit der Stärke eines Menschen und das offene Tor zum Glück gefunden. Er ist nicht nur alt, sondern auch weise geworden. Deshalb wird er seine Söhne nicht der ewigen Verdammnis preisgeben, weil sie den Vater nicht verstehen können. Er wird ihnen Zeit geben, obwohl er glaubt, selbst keine mehr zu haben. Er wird nachdenken, in sich ruhen und diese Zeit finden. Er wird weiter so schreiben, wie er es gerade begonnen hat. Den Weg seines Lebens von Kind an – vielleicht auch nur ein Stück - aufzeichnen und dabei seine wirklichen Gefühle offenbaren. Er wird die Söhne und die Enkel ganz behutsam in diesen Prozess des Reifens einbeziehen. Und er wird ihnen so das offene Tor zum Glück zeigen. Auch wenn es noch einige Zeit dauern wird, bis sie ihm auf diesem Weg folgen werden. Er wird warten. Er kann warten. Denn er ist wahrhaftig ein weiser Mann…
Du hast
die Welt beschrieben
im Wandel der Zeiten.
Menschen
in ihrem Tun und Sein.
Kleine Freuden
und große Übel.
Du hast
die Welt bereist
auf endlosen Wegen.
Von gigantischen Werken
der Menschheit gepackt.
Dein Herz hat geblutet
bei Elend und Not.
Ein Weltenkenner –
geachtet
geehrt
nicht unterzukriegen.
Doch dann
irgendwann
hörte die Welt auf
sich zu drehen,
und Du verstandest,
was andere
vor Dir wussten:
Keine Beschreibung
ist so qualvoll
wie der Schmerz
der Seele,
keine Reise
so beschwerlich
wie die
zu Dir selbst.
geschrieben 2016
Es gibt Schätze, die für immer im Verborgenen bleiben. Andere kommen irgendwann einmal ans Licht, obwohl keiner nach ihnen gesucht hat. Ein solches Erlebnis ähnelt dann einem kleinen Wunder, und wir können gar nicht fassen, dass wir zufällig darauf gestoßen sind.
In der Geschichte, die ich erzählen will, geht es um einen kleinen Schatz aus dem Nachlass meiner Eltern. Er lag viele Jahre unbeachtet im Keller meiner Schwester unter diversen Schriftstücken, Fotos und alten Büchern, die so nach und nach ans Tageslicht kommen. Insbesondere deshalb, weil wir uns immer tiefer mit der Ahnenforschung beschäftigten und nach Puzzleteilchen suchen, die sich als Zeitzeugen gelebten Lebens zusammenfügen lassen.
Vor wenigen Tagen brachte mir meine Schwester ein kleines Büchlein. Ein Gedichtbändchen, kaum 14 x 10 cm groß, von gelblich-brauner Farbe, 85 Seiten umfassend. Mit dem Namen dieses Dichters konnte sie absolut nichts anfangen. Für mich allerdings war die Überraschung perfekt. Denn der Dichter, dessen Verse im Jahr 1924 unter dem bedeutungsvollen Titel „Ueberfluss des Herzens“ im Arbeiterjugend-Verlag Berlin veröffentlicht wurden, ist kein geringerer als Max Barthel, der Vater unseres Poetenfreundes Karl Wolfgang Barthel. Mit seinen frühen Gedichten ist er gerade jetzt zu seinem 125. Geburtstag erneut zu verdienten Ehren gekommen.
Das Buch „Im Sturm der frühen Jahre“, das Irina Magritz herausgegeben hat, enthält eine Auswahl von Gedichten, die von Inhalt und Sprache her unter die Haut gehen. Wer die Gedichte von Max Barthel aus den Jahren vor der Herausgabe des vor mir liegenden alten Bändchens kennt, der weiß, dass es sich vor allem um politische Dichtung mit revolutionärem Hintergrund handelt. Geprägt von der Sicht eines Arbeiters und den Erlebnissen des ersten Weltkrieges.
Beinahe zufällig wird aus dem alten Büchlein von Max Barthel eine Weihnachtsgeschichte. Die Widmung, die es enthält, weist uns den Weg. Ganz sicher galt sie der jungen Frau, die später unsere Mutter wurde. Warum sonst sollte sie den Versband aufgehoben haben? Wir lesen: „Von Deinem Freunde Herbert Hochrein“ und fragen uns, wer das wohl gewesen sein mag. Unser Vater, den sie fast zehn Jahre später heiratete, war es jedenfalls nicht. Unter der Widmung steht fein säuberlich mit Tinte geschrieben: „Weihnacht 1928“. Damals war unsere Mutter 19 Jahre alt.
Ich bin eine Liebhaberin antiquarischer Bücher. Sie haben einen unmittelbaren Zeitbezug und etwas Authentisches, das uns nicht zwingt, mit dem Spiegelbild der späteren Jahre zurück zu schauen. Wenn ich alte Bücher in die Hand nehme, ist es so, als würde ich in vergangene Zeiten zurückversetzt. So vertiefe ich mich in das Gedichtbändchen und finde Parallelen zu den Erlebnissen meines Großvaters im Ersten Weltkrieg. Dann sehe ich eine junge Frau vor mir, der ein Freund zum Weihnachtsfest kein Büchlein mit christlichen Weihnachtsliedern oder tiefsinnigen Liebensgedichten schenkt, sondern die politischen Gedichte eines Verfassers, „der durch seine Herkunft und Gesinnung eng mit der proletarischen Jugend verknüpft ist“ , wie es im Vorwort heißt.
Kann man das verstehen? Man kann. Unsere Mutter kam aus einem atheistischen Elternhaus, nahm an der Jugendweihe teil und gehörte der Gemeinschaft proletarischer Freidenker an, wo die Jugend aus weltlicher Sicht mit der proletarischen Kultur vertraut gemacht werden sollte. Dass Max Barthels Gedichte hier eine interessierte Leserschar fanden, lässt sich denken, und einen kleinen Beweis dafür halte ich in der Hand. Doch das Buch mit dem Titel „Ueberfluss des Herzens“ könnte ebenso ein Band mit Liebesgedichten sein, von denen einige wenige tatsächlich darin zu finden sind. Und ich wünsche mir zutiefst, dass der junge Mann namens Herbert Hochrein mit diesem Geschenk an meine Mutter einen kleinen Liebesbeweis verbunden haben möge. Die Verse mit der Überschrift „Werbung“ scheinen mir dafür besonders geeignet. Sie beginnen mit den Zeilen:
Ich komme nicht wie ein Sieger zu dir,
Wie du im Traum ihn sahst,
Funkelnd, mit edlen Gebärden:
Lärm und Ruß ist in mir
Vom langen Arbeitstag.
Du, ich habe kein Schloß
Und keine goldenen Spangen,
Leer ist mein Haus und einsam,
Du musst es schön machen,
Wenn du mich lieb hast.…
Das Liebeswerben eines jungen Arbeiters. Wie die tatsächlichen Gegebenheiten waren, wissen wir nicht. Aber wir wissen, dass ein Freund jener jungen Frau zu Weihnachten vor nunmehr 88 Jahren die Verse eines bekannten Arbeiterdichters als Geschenk überreichte. Max Barthels Gedankengut muss auch das ihre gewesen sein. Ein wichtiges Puzzleteilchen, wie wir finden. Denn durch die Beschäftigung mit jenem Dichter ist unsere Mutter meiner Schwester und mir plötzlich ein weiteres Stück näher gekommen. So hat es etwas Berührendes, wenn ich darüber nachdenke, dass dieser kleine Gedichtband zur passenden Zeit in meine Hände gelangte.
Anmerkung: Die junge Frau, die später meine Mutter wurde, wäre im Jahr 2017, wo sich am 24. Februar der 30. Todestag jährte, 108 Jahre alt.
Wenn Du die Farben der Blumen
tief in Dir fühlst,
und das Wachsen der Bäume
am Duft erkennst;
wenn Du der Windbraut
wehenden Schleier berührst,
und der Kuckucksruf hundert
Jahre verspricht;
wenn das `Mama´ des Kindes
zum Liebeslied wird,
und der Vögel Gesang
wie Himbeeren schmeckt;
wenn Du im Garten der Sinne
ein Wolkenbad nimmst,
und Gedanken sich leicht
zu Fäden spinnen –
dann ist die Fantasie
zum Leben erwacht,
und die Wunder des Daseins
gehören Dir.
Flüchtige Momente –
vergangen, vorbei.
Doch die Zeit hat sie Dir weise
an den Wegrand gelegt…
geschrieben 2017
Dem alten Weiblein geht die Puste aus. Einen solchen Hüpfer hat es lange nicht mehr getan. Unversehens gerät die Alte ins Stolpern und fällt der Länge nach auf die Nase. Was für ein Missgeschick! Noch einmal sollte ihr so etwas nicht passieren. Wenn sie an früher denkt, könnte sie sich die Haare einzeln ausreißen, so sehr ärgert sie sich nun über ihren nachlassenden Schwung. Der Spaß ist ihr schon längst vergangen und wenn es so weiter geht, wird sie regelrecht traurig. Irgendetwas muss anders werden. Und zwar ganz schnell. Bloß was?
Eh und je hatte das Weib es genossen, seinen Wünschen freien Lauf zu lassen, und nie daran gedacht, dass sich einmal etwas ändern könnte. Bis – ja bis sie jenen Hüpfer tat, mit dem unsere Geschichte ihren Anfang nahm.
Nun bleibt der Alten nichts anderes übrig, als darüber nachzudenken, wie sie ihre Kräfte besser einteilen kann. Sie sinnt und sinnt. „Guter Rat ist teuer. Wer weiß das nicht?“, denkt sie schon ganz mutlos. Und so wird sie vom Schlaf überrascht, der hilfreich den alten Weisen schickt, um jenen Rat zu erteilen, der dem Weiblein auf Biegen und Brechen nicht einfallen will.
„Überlege gut“, spricht er nun mit einer warmen tiefen Stimme, „was Du fortan tun kannst und was Du wirklich tun musst. Das Maß aller Dinge steckt in Dir selbst.“ Dann verschwindet der Weise wie im Nebel. In melodischem Klang vernimmt die Träumende noch seine Worte: „Und denke daran: Wer schaffen will, muss fröhlich sein!“
Plötzlich ist die Alte hellwach. Der letzte Satz klingt in ihren Ohren und sie erinnert sich daran, dass jemand ihr vor vielen Jahren diesen Spruch mit auf den Weg gegeben hatte. Damals war es eine andere alte Frau – ihre Großmutter, die der Enkelin jene Botschaft in das Poesiealbum eintrug. Wie konnte sie das bloß vergessen?
Rasch will unsere Alte aus dem Bett springen. Gerade setzt sie wieder zu einem unkontrollierten Hüpfer an, als ihr die andere Botschaft des alten Weisen in den Sinn kommt: „Das Maß aller Dinge steckt in Dir selbst.“ Umgehend kriecht sie wieder unter die Decke und holt erst einmal tief Luft. Und plötzlich schaut sie mit Schalk in den Augen kichernd darunter hervor, setzt gelassen erst das linke Bein, dann das rechte Bein auf den Boden und beginnt nach der Melodie von Helene Fischers Song „Atemlos“ mit trippelnden Schritten im Kreis zu gehen…
Wenn Ihr nun, die Ihr so wie ich auch schon etliche Jahre hinter Euch gebracht habt, neugierig fragt, wer die Alte wohl sein mag, so werde ich es Euch verraten: Das Weiblein ist niemand anderes als die Zeit, die uns im Leben bleibt. Vieles gab es zu lernen in all den vergangenen Jahren, doch nun klingen die Worte des Weisen der Alten im Ohr. Tatsächlich wird sie das richtige Maß finden müssen, mit dem sie ihrem Dasein den nötigen Schwung verleiht. Nicht zu viel, und nicht zu wenig…
Die Alte merkt, dass ihr vom vielen Nachdenken recht schwindlig wird. „Gemach, gemach“, geht es ihr durch den Kopf, „für heute war die Anstrengung groß genug.“ Sie lehnt sich in ihrem bequemen Ohrensessel gemütlich zurück und sagt mit einem Gleichmut, der sie selbst in Erstaunen versetzt, ganze vier Worte, die zutreffender nicht sein können: „Kommt Zeit, kommt Rat!“
Ruhe ist Stille.
Kein lauter Ton dringt an mein Ohr.
Kein Hämmern
Kein Pfeifen
Kein Schreien.
Nur tief in meinem Innern
spielt leise Musik.
Ruhe ist Frieden.
Kein böses Wort kommt aus dem Mund.
Kein Schelten
Kein Zanken
Kein Streiten.
Nur tief in meinem Herzen
ein Stück Harmonie.
Ruhe ist Gleichmut.
Kein ferner Ruf zwingt mich zum Lauf.
Kein Eilen
Kein Müssen
Kein Drängen.
Nur tief in meinen Adern
fließt wohlig das Blut.
Ruhe ist Muße.
Kein nötig Tun hält mich in Bann.
Kein Dienen
Kein Schaffen
Kein Mühen.
Nur tief in meinem Denken
ein Hauch Poesie.
Ruhe ist Einkehr.
Kein fremder Geist treibt mich zum Wahn.
Kein Dürsten
Kein Suchen
Kein Irren.
Nur tief in meiner Seele
vollkommen ICH SELBST.
geschrieben 2016
Ein Häusermeer.
Ein Autopark.
Straßen von grauem Asphalt.
Seit langen Zeiten steht er hier an diesem Platz. Die Jahre haben ihre Spuren hinterlassen, doch auch jetzt noch ist seine Gestalt von stattlicher Schönheit. Stolz wie einen Orden trägt er für alle sichtbar ein Herz der Liebe. Für immer und ewig wurde es ihm geschenkt.