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Tilman Peter

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Beschreibung

„Die Weisheit ist ein eigenartiges Gewächs. Man bereitet ihrem Samen einen fruchtbaren Boden aus Wissen. Man bewässert ihn reichlich mit Güte. Man hegt ihn mit Geduld und Achtsamkeit. Doch kein zartes Grün will sich dem Licht der Sonne zeigen. Dann aber findet man diese seltsame Pflanze, prächtig und in voller Blüte, an einem ganz wüsten Ort. Dort keimte sie, wuchs und gedieh, auf trockenem, steinigem Boden, ganz von selbst und üppig wie Unkraut.“ Die Schüler des ehrwürdigen Meisters Ryota erhalten eine Lektion in Übermut.

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Tilman Peter

Gezinktes Zen

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Gezinktes Zen

„Klick“ … „Klick-klick“ … Der ehrwürdige Meister Ryota wurde sich gewahr, dass er sich gerade etwas gewahr geworden war. Ruhig und friedvoll ließ er die Eindrücke und Regungen, die an diese Tatsache geknüpft waren, vorüberziehen. Der Vorgang glich in etwa dem Einholen einer Ankerkette. Wie Kettenglieder aus dem Wasser, tauchten hintereinander die Gedanken auf und gingen durch seinen Geist hindurch wie durch sicher und kräftig zupackende Hände.

Der Reiz, den seine Ohren empfangen hatten, prickelte und zischte noch immer wie eine brennende Lunte. Doch gab es nirgends etwas zu versengen oder gar in die Luft zu sprengen. Dem Geräusch unmittelbar folgend, hatte der Meister den aufsteigenden Impuls bemerkt, sich dessen vermeintlichem Ursprungsort, der hinter seinem Rücken liegen musste, zuzuwenden. Schneller als ein Gedanke war jedoch dem ersten ein zweiter Impuls gefolgt. Dieser beruhigte seinen geschäftigen Vorgänger, indem er, vereinfacht gesagt, dessen Schwung sozusagen in sich selbst zurücklaufen lies. Jener zweite Impuls war das Produkt jahrelanger Übung und Beobachtung. Sein vollkommen natürliches, reflexartiges Erscheinen war der sichere Beweis für den hohen Grad der Verwirklichung, den der ehrwürdige Meister Ryota erlangt hatte. Die Übung, das Fließen von einer Wahrnehmung zur Nächsten, wurde nicht unterbrochen. Ungetrübt blieb der Geist, ungestört das Auf und Ab des Atems; gleichgültig wie das Steigen und Fallen der Gezeiten eines weiten Ozeans …

„Klick“ … „Klick“. Um den Bruchteil der Zeit, die ein Wimpernzucken benötigt, kam Meister Ryota einer ganzen Sturmflut heran brandender Gedanken und gewohnheitsmäßiger Anhaftungen zuvor. Er tat dies ganz unwillkürlich, noch immer aus dem tiefen Bewusstsein seiner Übung heraus. Das Sitzen war nun beendet.

Auf Beobachter musste dies äußerst erstaunlich, wenn nicht gar erschreckend gewirkt haben. Ein kleiner alter Mann, der gleich einem zum Schuss freigegebenen Bogen aus dem Lotossitz in den Stand empor schnellte. Des Meisters ineinander verknotete Beine entflochten sich wie ein geschmeidig auseinander stiebendes Knäuel Schlangen, während der Rest seines Körpers, einem im Zeitraffer keimenden Schössling gleich, dem Boden selbst zu entwachsen schien. Alle Muskeln, Sehnen und Knochen wirkten in perfekter Harmonie auf das eine Ziel hin, den Leib zu erheben. Dieser spektakulären Entfaltung von Kraft und Konzentration ließ Meister Ryota – fast wie zur Entschuldigung – eine tiefe und ehrfurchtsvolle Verbeugung in Richtung der hölzernen Kultstatue folgen, die vor ihm in einer Vertiefung der Felswand aufgestellt war. Dann fuhr er, einem Rad auf seiner gefetteten Nabe gleich, auf den bloßen Fersen herum.

Es folgte eine weitere, ebenso tiefe Verbeugung. Sie war hinaus ins Freie gerichtet. Dort hin, von wo die kleinen Kiesel gekommen sein mussten, welche durch ihren Aufprall auf den steinigen Boden des hallenartigen Höhlenschlundes klickende Geräusche erzeugt hatten. Meister Ryota verharrte einen stillen Augenblick in der Haltung der Ehrerbietung. Dann verkündete er mit kräftiger und eindrucksvoller Stimme: „Das Sitzen ist beendet!“