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Das tödliche Ende einer toxischen Beziehung: Atemlose Spannung mit psychologischem Tiefgang für Jugendliche und junge Erwachsene.
Die 16-jährige Celine wechselt von der Realschule aufs Gymnasium. Blöd nur, dass ihre beste Freundin Tanni eine Ausbildung macht. So ist Celine auf sich allein gestellt. Mit vollem Eifer stürzt sie sich in den neuen Stoff und ins Lernen, will ihre Mutter und die Großeltern auf keinen Fall enttäuschen. Doch es ist nicht so einfach, mit all dem Druck umzugehen. Da zeigt ihr ihr Mitschüler Fiete einen Ausweg: illegale Raves, auf denen man all den Stress und die Probleme für eine Nacht vergessen kann – mithilfe von Partydrogen. Auch das Lernen funktioniert mit Aufputschmitteln viel besser. Celine verliebt sich in Fiete und merkt gar nicht, wie dieser Narzisst sie manipuliert. Und er geht immer weiter. Bis Celine bereit ist, für ihn zu töten ...
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Die 16-jährige Celine wechselt von der Realschule aufs Gymnasium. Da ihre beste Freundin Tanni eine Ausbildung macht, ist Celine auf sich allein gestellt. Mit vollem Eifer stürzt sie sich ins Lernen, will ihre Mutter und die Großeltern auf keinen Fall enttäuschen. Doch es ist gar nicht so einfach, mit all dem Druck umzugehen. Da zeigt ihr ihr Mitschüler Fiete einen Ausweg: illegale Raves und Partydrogen. Celine verliebt sich in Fiete und merkt gar nicht, wie er sie manipuliert. Und er geht immer weiter. Bis Celine bereit ist, für ihn zu töten ...
© Thomas Stelzmann
Nicolette Bohn, geb. in Düsseldorf, studierte Germanistik und promovierte zum Dr. phil im Bereich »Kinder- und Jugendliteratur«. Mit 17 Jahren schrieb sie ihren ersten Jugendroman mit dem Titel »Plötzlich war es kein Spiel mehr«, der 1998 mit dem »Jugendfriedenspreis für Nachwuchsautoren« ausgezeichnet wurde. Sie ist freiberuflich als Dozentin für kreatives Schreiben und Autorin tätig. In ihren Büchern, von denen eins für ZDFinfo verfilmt wurde, beschäftigt sie sich u.a. mit True-Crime-Fällen. Nicolette Bohn liebt lange Wanderungen in der Natur und setzt sich für deren Erhalt und den Schutz der Tiere ein.
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Viel Spaß beim Lesen!
Nicolette Bohn
Thienemann
Unter Drogen findet man nicht sich selbst,sondern nur seinen Schatten.
(Konstantin Wecker)
Mehr kann in meinem Leben nicht mehr schiefgehen, dachte Celine. Warum hat nirgendwo ein Schild mit der Aufschrift STOPP gestanden? Wie hatte sie sich in Fiete und Sas nur so täuschen können? Vor allem in Fiete. Es war seine Schuld, dass sie seit einer Woche in dieser winzigen Zelle, in der Untersuchungshaft, saß. Er hatte Celine und Sas in die ganze Sache hineingezogen.
Wenigstens durfte sie ihre eigene Kleidung behalten. Jeans, Pulli und Turnschuhe. Früher hatte sie geglaubt, dass Gefangene ein Hemd mit blauen Streifen tragen, mit einer Nummer darauf. Wie die Panzerknacker in den Micky-Maus-Heften, nach denen sie als Achtjährige total verrückt war. Damals roch ihre Welt nach Himbeerlimonade, Vanilleeis und Pizza und sie konnte noch nicht ahnen, dass sie irgendwann selbst einmal im Gefängnis landen würde. In der Zelle roch es muffig, nach Schimmel. Aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. Seit sie hier saß, hatte sie ständig das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
Ob sie ihren 17. Geburtstag im Mai in dieser Enge feiern musste? Sie spürte einen Kloß im Hals. In dieser trostlosen Umgebung konnte sie sich eine Geburtstagsfeier mit Kaffee, Kuchen und Geschenken beim besten Willen nicht vorstellen. Jeder Tag war ein einziger Albtraum. Gitter vor dem Fenster. Ein Bett, ein kleiner Schreibtisch. Dusche und Klo waren vom Haftraum abgetrennt. Sie konnte nur ein paar Schritte hin- und hergehen, vom Bett zur Tür und von der Tür zum Schreibtisch, wenn die Panik sie überkam.
Wenn doch wenigstens Mister Jack hier wäre, dachte sie. Wie sie sein weiches Fell vermisste. Aber Tiere waren in der Untersuchungshaft ebenso verboten wie Internet und Smartphone. Wie es wohl Mom, Carsten und den Großeltern ging? Zum Glück durfte sie Stift und Papier haben. Schreiben war erlaubt. Wenn sie nur aufhören könnte, an den toten Mann zu denken. Aber die Bilder ließen sich nicht vertreiben. Als hätten sie sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Wie riesige Vögel bohrten sie ihre Schnäbel in ihren Kopf und kreischten: Was hast du getan?
Fiete, dieser aufgeblasene Angeber und Sas, die feige abgehauen war und sie im Stich gelassen hatte. Wie hatte Celine sich nur in so einen Typen verlieben können?
Der Mann war tot und nichts konnte ihn mehr lebendig machen. Und Celine war schuld daran. Da war es nur gerecht, dass sie in diesem Loch saß und ständig weinen musste. Die Liebe hatte sich so schön angefühlt. Aber mittlerweile konnte sie Fiete nur noch hassen. Jede Nacht kam es ihr so vor, als stünde ein blutiger Mond, der alle Sterne verschluckt hatte, am Himmel. Wahrscheinlich würde sie hier ihr Leben lang nicht mehr herauskommen.
Die Schlüssel klapperten, als ihre Zellentür geöffnet wurde. »Besuch für dich.« Im Gefängnis wurden den ganzen Tag Türen geöffnet und wieder geschlossen. Längst hatte Celine sich an das kalte, klirrende Geräusch gewöhnt. Wer kann das sein, überlegte sie. In einiger Entfernung spielten zwei Untersuchungshäftlinge Tischtennis. Das klickernde Geräusch, das entstand, wenn der Schläger den Tischtennisball traf, hallte durch die Gänge. Sie gingen an Zellentüren vorbei, von denen einige offen standen, ins Erdgeschoss.
Im Besucherraum saß auf einem Stuhl vor dem abgenutzten Holztisch ein Mann, der sie an ihren Mathelehrer, Herrn Frings, erinnerte. Kurzes graues Haar, silberne Brille, Anzug und Krawatte. Als sie eintrat, stand er auf und reichte ihr über den Tisch, auf dem eine schwarze Akte lag, hinweg, die Hand. Sie setzte sich auf den wackeligen Stuhl ihm gegenüber. Der Stuhl ist genauso wackelig und alt wie der Tisch, dachte sie.
»Deine Großeltern haben mich mit deiner Verteidigung beauftragt. Mein Name ist Frank Brückner. Ich bin Strafverteidiger und helfe Jugendlichen und Erwachsenen, die mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind. Ich darf doch Du sagen?«
Celine nickte. Vor Aufregung brachte sie kein Wort he-raus. Bei dem Gedanken an die Großeltern und was sie ihretwegen durchmachen mussten, spürte sie einen heftigen Stich in der Magengegend.
Herr Brückner öffnete die Akte. »Ich habe deine Anklageschrift von der Staatsanwaltschaft bekommen. Dir wird vorgeworfen, einen Mann getötet zu haben. In der Zeitung wirst du ›Das Mädchen mit dem Messer‹ genannt.«
Lähmende Angst stieg in Celine hoch. Langsam wurde ihr Mund immer trockener. Der Mann, das Messer …Schreie …
»Ich möchte dich bitten, mit niemandem über die Tat zu sprechen. Mir kannst du alles darüber erzählen. Als dein Strafverteidiger darf ich dich regelmäßig anrufen und besuchen. Mir darfst du auch alles über die Tat schreiben. Wenn du ›Verteidigerpost‹ auf deine Briefe schreibst, dürfen sie nur von mir gelesen werden. Ansonsten dürfen auch der Richter und der Staatsanwalt die Briefe lesen. Und noch eins – ich stehe unter Schweigepflicht. Du brauchst mich nicht anzulügen. Mir kannst du die Wahrheit sagen.«
Ihr Mund fühlte sich mittlerweile so trocken an, als habe sie Löschpapier verschluckt. Es ist nur ein böser Traum, aus dem ich jeden Moment aufwache, dachte sie.
Aber es war kein Traum, sondern die bittere Wirklichkeit.
1. Wenn Celine zurückdachte, fiel ihr als Erstes die Abschlussfeier in der großen Aula der Realschule ein. Sie hatte die Qualifikation fürs Gymnasium erreicht. Die Quali ließ die Gesichter ihrer Mom und ihrer Großeltern strahlen. Deren Wunsch war es schon immer gewesen, dass Celine Abitur macht.
»… einfach fantastisch«, rief Mom begeistert. »Ach, ich bin so stolz auf meine Tochter. Ich hatte in meiner Jugend diese Möglichkeit nicht!«
Celine bemühte sich angestrengt, ein fröhliches Gesicht zu machen. Nein, sie wollte auf keinen Fall die Spielverderberin sein. Nicht an so einem Tag. An dem alle vor Freude fast übersprudelten wie der Sekt, der in regelmäßigen Abständen in die Gläser der Feiernden gegossen wurde. Aber die Gedanken in ihrem Kopf hörten nicht auf, sich zu drehen. was wenn ich das nicht schaffe es ist irre schwer das abitur zu machen den ganzen tag lernen lernen lernen ich will mom nicht enttäuschen sie wünscht es sich so sehr ob dad es auch gewollt hätte ohne tanni macht es sowieso keinen spaß
Wenn Mom und die Großeltern gewusst hätten, wie es in ihr aussah … Am liebsten wäre sie laut schluchzend hinausgelaufen. Weg von all den glücklichen Gesichtern. Denn es gab nach den Sommerferien kein Wiedersehen mit ihrer besten Freundin mehr. Tanni. Celines Besti machte dann eine Lehre als Multimedia-Designerin. In einer Stadt, die zwei Autostunden entfernt lag.
»Hi, Celi.« Tannis Mutter legte ihr den rechten Arm um die Schulter. In der linken Hand hielt sie ein halbvolles Glas Sekt. »So ein Lebensabschnitt muss gefeiert werden. Mensch, ich bin so stolz auf Tanni. Multimedia-Designerin … meine Tochter … wow!«
»Das ist so eine großartige Chance mit der Lehrstelle«, hörte Celine Mom sagen. »Toll, dass Tanni ihren Weg gehen kann.«
»Ja, es ist nicht so einfach, in diesem Bereich eine Lehrstelle zu finden. Anja, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie Michael und ich uns gefreut haben, als die Zusage kam.«
»Ich finde es auch klasse, dass Celine das Abitur machen will. Jetzt, wo sie die Quali in der Tasche hat. Theodor-Heuss-Gymnasium. Meine Schwiegereltern haben es ausgesucht. Es hat einen guten Ruf und liegt nicht weit von ihrem Haus entfernt. Celine kann unter der Woche bei Opa und Oma wohnen.«
»Wie schön«, rief Tannis Mutter Celine übermütig zu. »Da wünsche ich dir alles Glück der Welt, Celi.«
Abitur … Theodor-Heuss-Gymnasium … Bei Opa und Oma wohnen …
Die Gewissheit, dass sich die Dinge von jetzt an schlagartig ändern würden, legte sich schwer wie Blei auf Celines Herz. Sie hatte mit einem Mal das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
Oh nein, bitte nicht. Nicht schon wieder. So schnell sie konnte, lief sie aus der Aula und stellte sich im Flur in eine ruhige Ecke. Sie wollte nicht, dass Mom und die Groß-eltern etwas davon mitbekamen und sich Sorgen um sie machten.
Zum ersten Mal hatte sie diese Panikattacken bekommen, als die Ärzte Dad nicht mehr helfen konnten. Magenkrebs im Endstadium. Mom hatte ständig rot geweinte Augen und mehrmals am Tag kamen Pflegerinnen und Pfleger in die Wohnung, um Dad zu versorgen, der im Wohnzimmer auf der Couch lag. Er sollte zu Hause und nicht in der Klinik sterben. Celine und Mom erlebten hilflos mit, wie er jeden Tag ein bisschen weniger wurde und schließlich ganz verschwand.
Als Celine wegen der Panikattacken nicht mehr zur Schule gehen konnte, ging Mom mit ihr zu einer Kinder- und Jugendpsychologin. Frau Dr. Voss zeigte Celine Übungen, die gegen die Luftnot helfen sollten. Sie diagnostizierte ein Trauma und riet Mom, für Celine ein Haustier anzuschaffen. Daraufhin kaufte Mom ihr ein schwarz-weißes Kaninchen, das sie sich schon ewig gewünscht, aber wegen der Tierhaarallergie von Dad nicht bekommen hatte. Celine nannte es »Mister Jack« und stellte den Käfig in ihr Zimmer.
Nachdem Dad gestorben war, strichen Celine und Mom das Wohnzimmer gelb an und kauften neue Möbel und Teppiche. Sie ließen ein Foto, auf dem Dad, Mom und die kleine Celine zu sehen waren, vergrößern und hängten es übers Sofa an die Wand. Irgendwann waren die Therapiestunden bei Frau Dr. Voss zu Ende.
Celine zählte langsam rückwärts von 10 bis 1 und atmete dabei in den Bauch hinein. So, wie Frau Dr. Voss es ihr gezeigt hatte. Die Panik ließ nach und sie konnte wieder durchatmen. Schnell ging sie in die Aula zurück und stellte sich neben Mom, die Großeltern und Tannis Mutter.
»Hi! Was geht ab?« Tanni kam zu ihnen. Ihr Gesicht war vor Aufregung gerötet. Sie hielt ein Glas Sekt in der Hand.
Celine beneidete Tanni. Sie hatte allen Grund, ausgelassen zu sein. Schließlich wartete ihre Traum-Lehrstelle auf sie. Als Multimedia-Designerin erstellte sie Videos, bearbeitete Bilder, entwarf neue Header für Webseiten und … und … und … Alles Aufgaben, die unheimlich viel Spaß machten. Kein Wunder, dass sie vor Freude ganz aus dem Häuschen war. Sicher, Celine wusste seit ewigen Zeiten, dass Mom und ihre Großeltern sich ein Studium für sie wünschten. Dafür brauchte sie blöderweise das Abitur. Aber bisher hatte sie nie so genau darüber nachgedacht, was das eigentlich bedeutete.
Lernen, lernen, lernen, dachte Celine. Sonst schaffe ich das nie.
Früher hatte Celine oft bei Opa und Oma übernachtet. Die Großeltern hatten jeden Spaß mitgemacht und Celine durfte sich beim Frühstück so viel Schokoladencreme auf ihr Brot schmieren, wie sie wollte.
Sie liebte ihre Großeltern sehr. Trotzdem konnte sie sich nicht vorstellen, von nun an fünf Tage in der Woche bei ihnen zu wohnen.
*
»Wie war denn die Beziehung zwischen dir und deinem verstorbenen Vater?«, wollte Herr Brückner wissen.
»Mein Dad war einfach klasse! Mit ihm konnte ich über alles sprechen. Er war für mich wie ein Freund und gar nicht wie ein Vater. Er ist zwar zehn Jahre älter als meine Mom, aber es kam mir immer so vor, als ob er der Jüngere von beiden wäre. Mom kann sehr streng werden, deshalb habe ich ihr manche Dinge gar nicht erst erzählt. Mein Dad hat viel gelacht. Das Schlimmste war, dass Mom und ich meinem Dad nicht helfen konnten. Niemand konnte ihm helfen. Nachdem er gestorben ist, bekam ich fast jeden Tag Panikattacken. Frau Dr. Voss sagte zu Mom, dass ich durch Dads Tod ein Trauma erlitten habe.«
*
»Was ist denn los mit dir? Was hast du?«, fragte Tanni besorgt und zog Celine in eine ruhige Ecke der Aula.
Celine konnte Tanni nichts vormachen. Allen anderen hatte sie die fröhliche und gut gelaunte Schulabgängerin vorspielen können. Aber Tanni kannte sie in- und auswendig. Celine spürte, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen. Es machte sie hilflos und wütend zugleich, dass sie sich von Tanni trennen musste.
»Ist es wegen uns? Wegen unserer Freundschaft?«, fragte Tanni. »He, wir sind Bestis. BFF und das bleiben wir auch!« Sie legte den Arm um Celine. »Komm mal in meiner WG vorbei. Dann siehst du, wo ich gelandet bin, und lernst meine Mitbewohner kennen. Lauter coole Leute.«
Celine hatte sich schon oft gefragt, warum sie und Tanni eigentlich befreundet waren. Sie waren so verschieden, wie man nur sein konnte. Celine war die meiste Zeit in sich gekehrt, während Tanni vor Mitteilungsbedürfnis übersprudelte. Das war schon immer so gewesen. Sie kannten sich seit der Grundschule und waren schon beste Freundinnen gewesen, als sie gemeinsam auf die Realschule kamen. Celine wusste, dass die meisten in der Klasse sie nur deshalb akzeptiert hatten, weil die allseits beliebte Tanni ihre beste Freundin war. Sie brauchte Tanni. Aber brauchte Tanni sie auch?
Celine schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter, als sie sah, dass Mom und die Großeltern näher kamen. »Ach, hier sind unsere Hauptpersonen also! Wir haben euch schon überall gesucht.«
Die Sommerferien vergingen wie im Flug. Celine und Mom verbrachten drei Wochen in einem Ferienhaus auf Sylt. An einem Abend saßen sie mit Tante Maike und Onkel Olaf, die für ein Wochenende auf die Insel gekommen waren und in einem der Hotels wohnten, auf der Terrasse. Sie sprachen über Celines Cousin Thomas, der mittlerweile im vierten Semester Medizin studierte.
»Der Numerus clausus ist enorm wichtig geworden. Wenn das Abi schlechter ist als Sehr Gut, kann man Medizin schon mal vergessen«, sagte Onkel Olaf und Tante Maike fügte hinzu: »Bei Thomas hat es Gott sei Dank sofort geklappt.«
»Hast du gehört, Celi?« Mom sah Celine über den mit Brot, Obst, gegrilltem Fleisch und Käse gedeckten Tisch an. »Abi ist nicht gleich Abi.«
»Ich geh zum Strand runter«, sagte Celine. »Handyfoto vom Sonnenuntergang machen und Tanni eine WhatsApp schicken.«
»Ich wusste gar nicht, dass meine Nichte so eine roman-tische Ader hat«, scherzte Onkel Olaf.
»Hat sie das?« Mom lachte.
Abi ist nicht gleich Abi, dachte Celine. Wenn es schlechter ist als 1, kann aus mir nichts Richtiges werden. Sie setzte sich an den Strand, atmete die würzige Luft tief ein und ließ den von der Sonne noch warmen Sand durch die Finger rieseln. In diesem Moment wünschte sie sich, dass die Sommerferien niemals enden würden.
In den letzten Ferienwochen besuchte Celine Tanni zweimal in der WG. Das Zimmer war groß und hell, mit hohen Wänden, Stuckdecke, Bildern und Fotos an den Wänden, einer Sitzecke, vielen Pflanzen und einem Computer. Ein richtiges Tanni-Reich. Die Wohnung bestand aus vier Zimmern und einer geräumigen Wohnküche, die Tanni sich mit einem Literaturstudenten und zwei jungen Frauen teilte, die ebenfalls eine Ausbildung machten. Am liebsten wäre Celine miteingezogen. kann man das nicht rückgängig machen kein abi eine ausbildung wie tanni am besten in die wg von tanni einziehen zusammen bleiben sich nicht trennen müssen alles wie immer und nicht bei oma und opa wohnen
Mom half ihr, den Käfig, in dem Mister Jack im Heu kauerte, und ihre wichtigsten Sachen in die Einliegerwohnung zu bringen, die Opa und Oma für sie frei geräumt hatten.
Dann waren die Sommerferien zu Ende.
2. Celine war froh, dass ihre Großeltern Frühaufsteher waren. So konnte sie noch mit ihnen frühstücken, über alles Mögliche quatschen und sich wunderbar von der Aufregung vor dem ersten Schultag auf dem Gymnasium ablenken lassen. Danach ging es mit dem Rad los, Richtung Schule.
Das Theodor-Heuss-Gymnasium war ein altes, vierstöckiges Gebäude mit einer großen Eingangshalle. Ganz anders als die Realschule, die aussah wie ein riesiger Schuhkarton, in den man Fenster geschnitten und anschließend orange angestrichen hatte. Celine hatte die Entfernung überschätzt und war viel zu früh da. Sie fuhr ein paarmal um das Gebäude herum. Dann setzte sie sich auf eine Bank und beobachtete, wie die Schüler und Schülerinnen in Scharen in das Schulgebäude strömten. Schließlich stand sie auf.
*
»Haben deine Mutter und deine Großeltern gewusst, dass du lieber eine Ausbildung machen wolltest?«, fragte Herr Brückner.
Celine schüttelte den Kopf.
»Warum hast du ihnen das nicht gesagt?«
»Mom hat sich so sehr das Abi für mich gewünscht und Opa und Oma ebenfalls. Sie haben oft gesagt, dass Dad das bestimmt auch gewollt hätte.«
»Und du hast meist das gemacht, was deine Mutter und die Großeltern wollten, stimmt’s?«
Celine nickte.
*
In den Gängen fühlte sie sich wie ein Fremdkörper, dem jeder sofort ansah, dass er nicht hierhin gehörte. Im zweiten Stock, vor dem Schwarzen Brett, standen Jugendliche, die aussahen, als wären sie auch in der Oberstufe.
»Bist du neu hier?« Ein Mädchen mit kinnlangen, hell-rosa gefärbten Haaren, musterte Celine interessiert.
Celine nickte. »Ich war auf der Realschule am Ackersfeld und will hier das Abi machen.«
»Willkommen auf unserer Schule. Ich bin Saskia, aber alle nennen mich Sas.«
»Ich bin Celine.«
Celine war mit ihren 1,70 Metern einen halben Kopf größer als Sas, die ein lila T-Shirt und eine durchlöcherte Jeans trug. Erleichtert stellte Celine fest, dass die meisten Gymnasiasten sich nicht anders kleideten als die Real-schüler.
»Wir haben gleich Deutsch bei Frau Bremer«, sprudelte es aus Sas heraus. »Die Frau ist supi! Voll auf unserer Welle.« Sie warf einen hastigen Blick auf ihre Armbanduhr. »Wo Fiete bloß wieder bleibt. Ohne den ist es so was von langweilig … er war mal eine Woche krank … das war total öde …«
Celine musste an Tanni denken, die ebenso lebhaft erzählen konnte wie Sas.
Tanni. Was die jetzt wohl machte? Die WhatsApps, die Tanni Celine geschickt hatte, hörten sich nicht so an, als ob sie Celine vermissen würde. Sie waren gefüllt mit Herzchen, Smileys, Ausrufezeichen und hochgestreckten Daumen. Alle mega-nett hier, hatte Tanni geschrieben. Mein Traum-Ausbildungsplatz!
Beneidenswert. Celine war froh, in der neuen Schule nicht mehr allein zu sein. Sie hätte Sas am liebsten umarmt. Und Fiete, den Freund von Sas, würde sie auch bald kennenlernen.
Sas hatte nicht zu viel versprochen. Mit der offenen und engagierten Frau Bremer, die von den meisten Schülern Bremchen genannt wurde, hatte Celine das große Los gezogen. Schließlich wollte sie nach der Erprobungsstufe Deutsch als Leistungskurs wählen. Sie hatte schon in der Grundschule gerne Aufsätze geschrieben und liebte Bücher und Geschichten über alles. Frau Bremer hatte die AG Kreatives Schreiben gegründet und wollte von Celine wissen, ob sie auch selbst schrieb.
»Ich schreibe Gedichte und kürzere Geschichten«, antwortete Celine. Allerdings hatten bisher nur Mom und Tanni ihre Texte lesen dürfen. Das sollte sich von nun an ändern.
»Überlege dir mal, ob du bei unserer AG mitmachen möchtest. Wir geben einmal im Jahr ein Büchlein heraus, das wir selbst drucken lassen. Vielleicht sind deine Texte schon dieses Jahr dabei.«
»Super Highlight-Geschenk für die ganze Familie zu Weihnachten«, rief jemand laut in die Klasse.
Alle lachten.
Fremd sein, sich anders fühlen.
Tief in dir ist noch jemand,
der leben will.
Da öffnet sich ein Fenster.
Die Hoffnung ist ein Licht,
im Haus gegenüber.
Gedicht von Celine Bohrmann
In der großen Pause lernte Celine die Gruppe kennen, zu der Sas gehörte. Ben, Rudi, Bea, John, Atze und Mike. Sie standen unter dem alten Kastanienbaum, hörten mit Kopfhörern Musik und spielten sich gegenseitig Videos auf ihren Smartphones vor. Celine stellte sich wie selbstverständlich neben Sas.
»Fuck! Ich kann am Samstag nicht«, sagte John. »Termin mit der Family. Mein Cousin heiratet.«
»Ohne Treffen kein richtiges Wochenende«, sagte Bea. Sie blickte Celine an. »Wo hängst du denn am Wochenende immer ab?«
Celine hätte sich am liebsten vor der Antwort gedrückt. Es fiel ihr schwer, vor einer Gruppe zu sprechen. Aber hier gab es keine Tanni, hinter der sie sich verstecken konnte und die für sie das Wort ergriff. »Ich wohne bei meinen Großeltern. Am Wochenende bin ich immer bei meiner Mom«, sagte sie schließlich.
»Mega-Event«, meinte Bea daraufhin und gähnte.
»Hey Mama … hey Ma…ma … Ma…ma …« Mike hatte sich die Kopfhörer aufgesetzt und begann mit den Füßen zu wippen.
Atze baute sich vor Mike auf und zog ihm die Kopfhörer von den Ohren. »Fang an zu jobben, Digger. Damit Tomorrowland für dich kein Dreamland bleibt. Dein Taschengeld reicht nicht für den Trip.«
»Hey, Alter, was soll das?« Mike nahm ihm die Kopfhörer ab und setzte sie sich wieder auf. Er grinste breit und fuhr fort: »Hey Oma … O…ma …, hey O…pa …, hey …Ma…ma … Oooopa … Ooooma …«
Celine blickte Mike irritiert an. Sie verstand von all dem kein Wort.
Weder kannte sie die Songs, die die anderen hörten, noch wusste sie, was das für Treffen waren, auf die sie sich die ganze Woche wie verrückt freuten.
Sas legte ihr den Arm um die Schulter. »Hey Mama von David Guetta.«
Der Name sagte Celine überhaupt nichts.