Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
In "Glauber Rocha" erzählt Erwin Uhrmann feinnervig und mit Witz von einer Reise nach Lissabon, die eine Kunsteinkäuferin mit ihrem jungen Assistenten unternimmt. Dieser taucht ab in das Künstlermilieu von Portugals Hauptstadt, vor allem aber folgt er in den Ateliers und auf Partys den Spuren von Glauber Rocha. Über den brasilianischen Filmemacher und Begründer des cinema novo scheint niemand etwas zu wissen - bis es zu einem rätselhaften Erlebnis in einem verfallenden Haus in Sintra kommt, wo Rocha vor seinem Tod im Exil gelebt hat.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 76
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Erwin Uhrmann
Glauber Rocha
Erzählung
But all the pleasure that I find
Is to maintain a quiet mind.
Sir Edward Dyer,
My mind to me a kingdom is
Vor wenigen Jahren besuchte ich ein Filmfestival und sah den Film Diário de Sintra. Kurz davor hatte ich Portugal mit Freunden bereist. Wir unternahmen von einer kleinen Stadt an der Westküste aus einen Ausflug nach Sintra, fuhren aber so spät am Nachmittag los, dass wir erst in der Dämmerung ankamen. Und erst nach einem Abendessen in einem schäbigen Restaurant wurden wir in eine finstere Stadt gespuckt, wo es für uns nur mehr verfallene Häuser und geschlossene Supermärkte zu sehen gab. Nächtens kehrten wir zurück ans Meer und hatten letztlich nichts von Sintra gesehen. Diário de Sintra sollte nachträglich meine Neugier befriedigen. Im Kinofoyer herrschte dichtes Gedränge. Flaue Atemschwaden von anderen Besuchern machten die Runde. Als die Tür zum Saal aufging und ein Ruck nach vorne den Einlass ankündigte, erschien nur eine zerzauste Saalhelferin und entschuldigte sich für eine entstehende Verspätung, weil der Film gerissen sei. Ich holte eine Cola und gebrannte Mandeln und wartete eine Stunde lang. Weil ich allein war, kritzelte ich in meinem Notizbuch herum. Ich notierte die Frage: Warum entkommt ein Lachs der Schwerkraft? Ich stopfte Mandel um Mandel in mich hinein und überlegte: Es ist nicht möglich, in einem fallenden Aufzug zu springen. Aber wie kann ein Lachs einen Wasserfall hochspringen? Ich bin kein guter Zeichner, also war es mir peinlich, als ein neben mir Stehender meine Skizzen zum Thema Lachs beobachtete. Ich schlug das Buch zu und langweilte mich, bis endlich die Tür zum Saal geöffnet wurde.
Nach der Vorstellung – ich hatte von Sintra selbst wieder nichts gesehen – stieg der Ärger in mir hoch, zunächst über zwei weitere Filmrisse während der Vorstellung und die Wartezeiten, und weil mir der Film zu rührselig und poetisch vorkam. Es ging um die vergessenen Spuren des brasilianischen Regisseurs Glauber Rocha, der im portugiesischen Exil in Sintra gelebt hatte und dort früh verstorben war. Es war kalt. Als ich allein auf der Straße war, sprach ich den Namen ein paar Mal leise aus: Glauber, Glauber Rocha, Glauber. Wobei die Betonung auf dem „e“.
Wenige Monate später musste ich überraschend nach Lissabon reisen. Es war eine Arbeitsreise für die Kunstsammlung eines Industriellen, für die ich die Pressearbeit machte. Die Kuratorin der Kunstsammlung – sie hieß Olivia – litt an einer Lungenkrankheit und bekam deshalb einen Reisepartner genehmigt. Dass die Wahl auf mich gefallen war, überraschte meine Kollegen und auch mich. Olivia betraute mich im Vorfeld der Reise mit der Aufgabe, eine Reihe von Künstlern in Portugal zu kontaktieren. Wir würden einige in ihren Ateliers und Galerien besuchen und Arbeiten für die Sammlung ankaufen. Vielleicht, hieß es, fahren wir auch nach Sintra, denn dort müsse man zumindest zwei Künstler begutachten. Inständig hoffte ich auf diese Gelegenheit. Olivia aber eröffnete mir schon vorab, dass die Wahl nur deshalb auf mich gefallen war, weil ich das Land schon kannte und keine zu großen Hoffnungen auf touristische Abenteuer hegen würde.
Olivia hustete im Flugzeug stark und ihre Lungenkrankheit lag wie eine schwere, staubige Decke auf uns. Sie zog ein Taschentuch aus ihrer Handtasche, kam aber nicht mehr dazu, es zu entfalten, riss ihr Halstuch vors Gesicht und keuchte erschöpft hinein. Mir kam vor, ich würde ein rotes Schillern sehen, von einem blutigen Auswurf. Rasch wurde das Tuch zusammengeknüllt und verschwand in der Handtasche. Sie blickte zum Fenster hinaus, meinte: Hier oben ist die Luft so dünn, und die Klimaanlage noch dazu. Die Luft in Lissabon wird mir sicher angenehmer sein.
Und nach unserer Ankunft schien es tatsächlich, als behalte sie recht. Wir atmeten beide tief durch. Auch wenn man viel reist, meinte sie, die Luft riecht in jedem Land anders. Davon war auch ich überzeugt. Es war ein bisschen feucht, und es roch nach nassem Hund.
Der Raum in meiner Unterkunft sah aus wie ein Bahnwärterzimmer. Statt Vorhängen gab es Fensterläden, der Boden knarrte und das dunkel gebeizte hohe Bett mit der gestickten Überdecke stand wie ein Thron in der Mitte. Ich hörte Lärm von draußen, verursacht von einem Baugerät, und sah palmenartige Bäume vor dem hohen Fenster. Wenn Portugal ein exotisches Land ist, dachte ich beim Auspacken, dann muss in Portugal zu sein etwas mit Freiheit zu tun haben. Ein antiquierter Begriff von Freiheit, der das Exotische meint. Westlich gesehen ist es aber zeitgemäßer, die Freiheit als Summe aller Möglichkeiten zu betrachten. Der Wind jedoch war, das konnte ich schon am ersten Tag der Reise sagen, anders als in Binneneuropa. Er kam vom Atlantik her, rau, herb, ohrenfüllend, manchmal brennend, zu jeder Jahreszeit hart. Mir kam es vor wie die Bora in Triest. Obwohl die vom Menschen zu stark frequentierte Adria wie ein getätschelter Hund darniederliegt, die Bora ist ein glasigbissiger Wind. Die dunklen, schweren Möbel sind alle alt in Triest und in Lissabon und auch die Fassaden ähnlich verhärmt.
Im Park draußen verstummte das Baugerät. Ich öffnete das Fenster und nahm mir eine Flasche Bier. Danach meldete sich Olivia. Wir trafen uns in ihrem Hotel und sahen Künstlerportfolios durch, viele, nach der Reihe. Im Foyer stand ein lichtkettenbekränzter blinkender Weihnachtsbaum, der mir immer ins Auge stach, wenn ich von einem Portfolio aufblickte. Manche der Künstler bemalten Buchseiten, entweder leere oder auch mit Text, mit indischer oder chinesischer Tinte, was ich noch nie zuvor gesehen hatte.
Nach einer ersten Auswahl gingen wir in die Stadt, entlang der Avenida di Liberdade und in die hügelig ansteigende Einkaufsstraße bis zum Café Brasileira. Die zahllosen Lichterketten besternten den nächtlichen Nebel. Ein Kessel war Lissabon. Der Abend war rötlichgetunkt, es rauchte von den Fassaden.
Am zweiten Abend stand ich auf einer Anhöhe in der Stadt und schaute in den unter mir liegenden Stadtteil Rossio, wo ein Disney-Schloss als Weihnachtsschmuck aufgebaut war, flankiert von grünen Weihnachtsmännern eines Telekommunikationsanbieters. Es war kühl und wieder lag die Stadt im Dunst.
Jemand neben mir mit einer tiefen Stimme stieß ein paar Worte aus. Er war groß, bärtig und in Begleitung einer eleganten Frau, blond und grazil, altmodische Frisur. Unweigerlich sah ich die beiden in meiner Fantasie nackt, sie schienen den 70er Jahren entsprungen. Zwar verstand ich kein Wort, es musste aber Portugiesisch sein, und es war ein kompliziertes Gespräch. Er gnarrte mit der Stimme, sie pflichtete bei, nickte, dann flüsterte sie und hopste ihm an sein Ohr. Ich hatte so eine Stimme schon einmal gehört: Glauber Rocha.
Keinen einzigen seiner Filme hatte ich gesehen, wusste nicht einmal einen Filmtitel, nur, dass er in Portugal im Exil war mit seiner Familie. Er klang ähnlich wie Che Guevara. Tief, klar. Glauber Rochas Stimme war belegt und sonor, kratzend und cremig, Zigaretten und Torte. In Diário de Sintra hatte man gesehen, wie er seinen kleinen Töchtern die Tonleiter beibringt: Do-Re-Mi-Fa-So. Bei „So“ brach die Stimme ins Kratzige aus, dennoch war sie fest.
Es rauchte vom Tejo her. Vor den Supermärkten türmte sich der Abfall, weil die Müllabfuhr streikte; der Hügel mit dem Kastell dominierte die Stimmung, weil die Fensterfronten das Abendrot spiegelten, Rouge im Gesicht einer Punkikone, ein Blick in das Land Mordor. Ich bildete mir ein, der Rauch von den Fassaden sei künstlich erzeugt, um die Stimmung ins Unermessliche zu steigern, suchte auf den Dächern unter mir die Auspuffe, ehe ich wieder abgelenkt wurde. Unter mir führten Stiegen bis hinab zum Rossio. Während ich langsam hinunterging, sah ich vor den Restaurants entlang der Terrassen Leute stehen, die Zigaretten rauchten, und stellte mir vor, der über der Stadt aufsteigende Rauch sei die Summe all dieser Tabakwaren.
Ich ging zurück ins Hotel. Die Kühle im Zimmer aber vertrieb mich gleich wieder in einen schmutzigen, fettstinkenden Imbiss, dann in eine gekachelte, hell beleuchtete Pastelaria und gegen Mitternacht in einen Zeitschriftenladen. Ich blätterte die Kunstmagazine durch. Die Seiten dufteten nach Lack. Beim Hinausgehen kaufte ich einen Economist