Glückstage auf dem kleinen Mühlenhof - Susanne Hanika - E-Book
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Glückstage auf dem kleinen Mühlenhof E-Book

Susanne Hanika

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Beschreibung

Vier Kinder und einen Bauernhof hüten - das kann doch nicht so schwer sein. Denkt zumindest Großstädterin Charlotte, als ihre hochschwangere Schwester Bell sie um Hilfe bittet. Und so findet sie sich wenige Tage später in Lerchenbach wieder: einem idyllischen Örtchen in der Oberpfalz.

Während Bell mit strenger Bettruhe auf dem Sofa liegt, versucht Charlotte - zunächst noch voller Tatendrang - ihren neuen Aufgaben gerecht zu werden. Doch was der optimistischen Fotografin nicht bewusst war: Vier kleine Kinder, jede Menge Hühner, Pferde und sturköpfige Großtanten, die sich als Kupplerinnen versuchen, sind anstrengender als gedacht. Und Nachbar Luca, der zugegebenermaßen ziemlich gut aussieht, macht die Sache nicht besser.

Ein wunderbarer Feelgood-Roman mit viel Liebe, Leben und Herzlichkeit im idyllischen bayrischen Städtchen Lerchenbach.

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Inhalt

CoverWeitere Titel der AutorinÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Epilog

Weitere Titel der Autorin

Sophia und die Hirschgrund-Morde:

Der Tod kommt mit dem Wohnmobil

Der Tod sonnt sich im Campingstuhl

Der Tod hält keine Mittagsruhe

Der Tod macht keine Schneeballschlacht

Der Tod braucht keine Sonnencreme

Der Tod versteht auch Dialekt

Der Tod kriegt niemals kalte Füße

Der Tod braucht keinen Brötchendienst

Über dieses Buch

Vier Kinder und einen Bauernhof hüten – das kann doch nicht so schwer sein. Denkt zumindest Großstädterin Charlotte, als ihre hochschwangere Schwester Bell sie um Hilfe bittet. Und so findet sie sich wenige Tage später in Lerchenbach wieder: einem idyllischen Örtchen in der Oberpfalz.

Während Bell mit strenger Bettruhe auf dem Sofa liegt, versucht Charlotte – zunächst noch voller Tatendrang – ihren neuen Aufgaben gerecht zu werden. Doch was der optimistischen Fotografin nicht bewusst war: Vier kleine Kinder, jede Menge Hühner, Pferde und sturköpfige Großtanten, die sich als Kupplerinnen versuchen, sind anstrengender als gedacht. Und Nachbar Luca, der zugegebenermaßen ziemlich gut aussieht, macht die Sache nicht besser.

Ein wunderbarer Feelgood-Roman mit viel Liebe, Leben und Herzlichkeit im idyllischen bayrischen Städtchen Lerchenbach.

Über die Autorin

Susanne Hanika, geboren 1969 in Regensburg, lebt noch heute mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in ihrer Heimatstadt. Nach dem Studium der Biologie und Chemie promovierte sie in Verhaltensphysiologie und arbeitete als Wissenschaftlerin im Zoologischen Institut der Universität Regensburg. Die Autorin kennt das Landleben aus eigener Erfahrung, ist begeisterte Camperin und hat bereits zahlreiche Bücher veröffentlicht.

Susanne Hanika

Glückstageauf dem kleinenMühlenhof

Ein Lerchenbach-Liebesroman

beHEARTBEAT

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Dieses Werk wurde vermittelt durch die agentur literatur gudrun hebel.

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Dr. Clarissa Czöppan

Covergestaltung: Guter Punkt, München

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-8516-8

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Kapitel 1

Die Sonne schien durch das Geäst der Bäume und malte blasse Lichtflecken auf die schmale geschotterte Straße. Die Ahornbäume hatten ihre Blütenblätter abgeworfen, und es sah aus, als wäre die Straße ein goldener Pfad, der ins Nirgendwo führte. Seitdem sie von der Landstraße abgebogen war, war sie bestimmt schon zwei Kilometer gefahren, und Charlotte rätselte, ob sie den richtigen Weg eingeschlagen hatte. Gerade kam sie an einem Schild mit der Aufschrift Nur für Anwohner vorbei. Das Schild war von Schüssen durchsiebt, als hätte jemand das ganze Magazin seines Jagdgewehrs auf dieses eine Schild abgeschossen. Sehr vertrauenserweckend, dachte sich Charlotte. Nun wurde der Weg – Straße konnte man ihn nicht mehr nennen – noch schmaler, sodass man nur hoffen konnte, keinem anderen Auto zu begegnen! Trotzdem, oder gerade deswegen, erinnerte sie die Umgebung an ein Märchen; gelbe Blütenblätter, die einen goldenen Pfad malten, frisches Grün, welches am Wegesrand wuchs, und irgendwann würde ganz bestimmt der Hof einfach aus dem Nichts auftauchen.

Plötzlich tauchte links von ihr zwar kein Hof, aber ein riesiges Rapsfeld auf, so hellgelb leuchtend im Sonnenschein, dass sie die Sonnenbrille aufsetzen musste. Sie bremste und sah über das riesige, leicht abschüssige Feld hinunter ins Tal. Dort schien es einen Bach oder einen Fluss zu geben, und in der diesigen Ferne konnte man das Dorf erkennen, welches sie vor einiger Zeit bereits durchfahren hatte. Es war nicht besonders groß und strahlte mit den abgeblätterten Hausfassaden einen morbiden, etwas verlebten Charme aus.

Charlotte tuckerte an dem Rapsfeld vorbei und tauchte schließlich wieder in den märchenhaften, einsamen Wald ein. Sie musste sich verfahren haben! Sie bremste abrupt ab und blieb mitten auf dem Weg stehen, um die Wegbeschreibung ihrer Schwester auf ihrem Handy zu suchen.

Babysitter gesucht war der Betreff der ersten Mail. Flipp aus der Betreff der nächsten, und Charlotte erinnerte sich daran, dass ihre Mutter ihre Dienste als Babysitter und Haushälterin verwehrt hatte, als sie gehört hatte, dass sie nicht nur ihre vier quirligen Enkelkinder, sondern auch noch die Pferde versorgen sollte. Charly wusste auch nicht so genau, ob sie dem Job gewachsen sein würde: Während ihre schwangere große Schwester liegen musste, sollte sie einen Hof mit kleinen Kindern, vier Pferden und zwei Hunden versorgen – das hörte sich für einen Stadtmenschen wie sie schwierig an. Aber sie konnte ihre Schwester jetzt nicht hängen lassen, wenn ihr Schwager für fast zwei Wochen eine Dienstreise nach Asien antreten musste!

Noch bevor sie die Anfahrtsbeschreibung gefunden hatte, kam eine neue Mail rein, und automatisch klickte sie darauf. Ihr Kollege und Mitbegründer ihres Fotostudios Athletics hatte eine Mail mit dem Betreff Avas Fotowünsche weitergeleitet.

Himmel, dachte Charly und las, obwohl sie sich vorgenommen hatte, die nächsten vierzehn Tage nicht zu arbeiten.

Ava will fünfzehn Bilder von ihrem Shooting. Kannst du die bitte selbst bearbeiten? Du kennst sie besser!

Wohl wahr. Ava war Pole-Tänzerin und eine Diva vor dem Herrn! Charly hatte sich im letzten Jahr auf Poledance-Fotografie spezialisiert, und die Weltklasse-Tänzerin Ava hätte ihr Durchbruch werden sollen. Hätte. Denn sie hatte die Bilder nicht wie angekündigt in dem großen Bildband verwendet. Vielleicht würde sie es ja jetzt tun.

Doch eigentlich war das ihr Urlaub! Und es war Ostersonntag! Entschlossen wischte sie über das Handydisplay und schaltete die mobilen Daten aus, darum würde sie sich später kümmern.

Dann ließ sie die Fensterscheibe herunter und atmete die frische Luft ein. Es roch nach Kiefernnadeln, die von der Sonne erwärmt worden waren, und irgendwo über ihr sang ein Buchfink. Ein Sonnenstrahl hatte sich zwischen den Kiefernästen verirrt und kitzelte ihren nackten Unterarm. Wie unglaublich schnell es jetzt sehr warm geworden war, dachte sie. Die Anspannung, die sie gerade ergriffen hatte, fiel wieder von ihr ab, und sie schob seufzend den Gedanken an die Bilder, die sie bearbeiten musste, von sich weg.

Hinter ihr hupte es. Im Rückspiegel sah sie einen weißen Lieferwagen. Mist. Sie hätte gedacht, dass es in dieser Einöde überhaupt keine Fahrzeuge geben würde! Sie hob schnell die Hand und startete den Wagen. Vorsichtig rangierte sie ihn an den Wegesrand. Der Lieferwagen überholte sie und hupte, ob als Dank oder aus Ärger konnte Charly nicht einordnen. Aber sie las die rosa Aufschrift: Momos Feen-Bäckerei.

Wohl ein Zeichen, dass der Weg doch noch irgendwohin führte. Der Lieferwagen hatte nur eine staubige Wolke hinterlassen und war schon über alle Berge. Sie fuhr den sonnenbefleckten Weg weiter. Die erste Kurve kam nach ein paar Metern, am Wegesrand entdeckte Charly einen Teppich aus Huflattich. Die Gräser drum herum leuchteten durch den letzten Regen stechend grün. Dann kam die nächste Kurve, und plötzlich endete der Wald, und der Hof lag direkt vor ihr. Sie bremste und staunte. Bei dem Anblick ging ihr das Herz auf, und sie musste lächeln.

Bullerbü, das war schon immer der Traum von ihrer Schwester und ihr selbst. Ihren Kindern wollten sie den Traum erfüllen, den sie nicht gelebt hatten. In der Natur, mit Tieren aufwachsen, fernab von Hektik und Stress. Jetzt im Frühling sah es hier tatsächlich aus wie das Paradies. Umgeben von ausgedehnten Wäldern lag der Hof in einer Oase von Obstbäumen, Wiesen und Feldern: Die weißen Blüten der Obstbäume wirkten, als hätten sie die Bäume mit einem Brautschleier geschmückt, im Hintergrund leuchteten die Ahornbäume zwischen den dunklen Nadelbäumen hellgrün heraus. Überall schien das frische, zarte Grün zu sprießen: das Gras auf der Erde und die kleinen Blätter an den Bäumen. Das Anwesen befand sich auf einer kleinen Anhöhe, Weiden und Kirschbäume säumten einen Bach. Von Charlottes Standort sah man ein großes Wohnhaus, einen Pferdestall und zwei Scheunen. Sie atmete erneut tief durch, und der Stress der letzten Wochen und der Fahrt, der sich wie ein Panzer um ihren Brustkorb gelegt hatte, löste sich auf. Noch bevor man zum Hof kam, fuhr man an einem kleinen, schnuckeligen Häuschen vorbei.

Wahnsinn, dachte sie. Das war so idyllisch. Und plötzlich konnte sie nachvollziehen, wieso es Bell hierher verschlagen hatte. Sie kam sich schlecht vor, weil sie noch vor ein paar Wochen konsequent versucht hatte, ihr die Sache auszureden. »Denk doch nur daran, dass du die Kinder ständig herumkutschieren musst. Für jedes Päckchen Butter musst du ins Auto steigen. Und was, wenn du mal ins Kino willst oder zum Shoppen? Und wie kommen die Kinder in den Kindergarten und in die Schule?«

Aber Bell war trotzdem vor sechs Wochen hierhergezogen. So wie es hier aussah, machte es die Unannehmlichkeiten tausendmal wett!

Sie gab Gas und fuhr in langsamem Tempo auf den Bauernhof zu. Direkt neben dem Wohnhaus war ein Stall mit einem Paddock und angrenzend eine riesige Koppel. Die Pferde kamen angaloppiert und Charly gab wieder Gas. Die Pferde begleiteten sie, rannten mit wehenden Mähnen und geblähten Nüstern neben ihr her, bis sie in den Hof hineinfuhr. Neben der Einfahrt lag ein eingezäunter Garten, in dem die Obstbäume blühten, die Tulpen gelb und rot leuchteten und Narzissen ihre Blütenköpfe durch den Holzzaun streckten. Sie ließ das Auto das letzte Stück rollen und parkte unter einem riesigen Nussbaum, unter dem auch der Lieferwagen der Feenbäckerei stand.

Als sie ausstieg, fiel ihr eine riesige hölzerne Terrasse mit einer großen Doppelliege auf. Ein paar leere Blumentöpfe lagen umgekippt daneben. Davor war ein großer Sandkasten, das Spielzeug chaotisch darum verteilt, so als hätten die Kinder eben erst mit dem Spielen aufgehört und wären ins Haus gelaufen. Sie blieb mitten auf dem Hof stehen und saugte die friedliche Stille in sich auf. Vor ihrem inneren Auge sah sie ihre Schwester und sich auf der Holzveranda sitzen, Mittagessen oder Kaffeetrinken. Selbst gebackenen Kuchen vor sich. Die Kinder friedlich spielend zu ihren Füßen, würden die beiden Schwestern ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen: quasseln bis zum Anschlag. Sie musste bei dem Gedanken lächeln.

Dann zerriss das laute Wutgeheul eines Kindes die friedliche Stille.

*

Gähnend streckte Luca sich. Er hatte fast die ganz letzte Nacht durchgearbeitet, und die donnernden Pferdehufe hatten ihn aus seinem traumlosen Schlaf gerissen. Sein Blick fiel auf den Wecker auf dem Nachtkästchen: 12:30 Uhr, Zeit, aufzustehen. Sein Grundstück endete direkt an der Koppel seiner neuen Nachbarn. Die Pferde, die besonders nachts eine Runde nach der anderen galoppierten, schienen zu wissen, wann er schlafen wollte. Denn genau dann fingen sie mit ihren Galopprunden an und hörten erst auf, wenn er wieder vollkommen wach war.

Von den Nachbarn selbst hatte er bis jetzt noch nicht so viel gesehen, da das Wetter die letzte Zeit sehr regnerisch gewesen war. Mit dem Mann, Robert, hatte er sich einmal kurz unterhalten, aber meist waren es nur ein paar wenige Worte gewesen. Anfangs hatte Luca gedacht, dass er eine Frau – die Ehefrau? – gesehen hätte, aber die war seit Längerem nicht mehr da. Und Robert schien immer in großer Eile zu sein, meist lud er in Windeseile eine Unmenge von Kindern ins Auto oder Einkäufe aus und hob nur kurz die Hand, wenn er ihn sah. Aber eigentlich sah er die Nachbarn erst seit ein paar Tagen regelmäßig – seit das kühle Nieselregenwetter geendet hatte, das Wetter schlagartig umgeschlagen war und für den Frühling viel zu warme Temperaturen herrschten.

Er schwang seine Beine aus dem Bett und sah unwillkürlich zu seinem Computer, dessen schwarzer Bildschirm irgendwie vorwurfsvoll wirkte, und er beschloss, seinen Arbeitsplatz an einen Ort zu verlegen, den er nicht von seinem Bett aus sehen konnte. Gähnend stand er auf und trat ans Fenster, durch das er noch die letzten Reste einer Staubwolke sah, die ein Auto aufgewirbelt hatte. Von seiner Küche aus konnte man direkt zum Bauernhof hinübersehen. Dort parkte gerade der Lieferwagen von Momos Feenbäckerei unter dem Nussbaum, also war Miriam da.

Miriam kannte er noch aus seiner Kindheit – vermutlich war sie für ihn deswegen noch immer die Kleine aus Lerchenbach. Aber in Wirklichkeit war sie inzwischen eine junge Frau und weit davon entfernt, wie ein kleines Mädchen auszusehen. Sie hatte eine Weile in Berlin gewohnt, war dann aber doch wieder zurückgekommen, mit dem erklärten Ziel, die Landbevölkerung davon zu überzeugen, sich von Cupcakes und Muffins ernähren zu müssen. Neben dem Lieferwagen stand nun ein roter Fiat Punto, aus dem eine Frau mit dunklen kurzen Haaren, Jeans und einem karierten Hemd ausstieg. Das musste die Ehefrau sein, die wieder zurückgekommen war! Dafür, dass sie schon eine Unmenge von Kindern bekommen hatte, war sie ziemlich schlank. Er hatte die Kinder noch nicht durchgezählt, sie liefen normalerweise ständig durcheinander und tauchten mal hier, mal dort auf, sodass sich das mit dem Zählen äußerst schwierig gestaltete. Seiner Meinung nach waren es auf jeden Fall zu viele. Vor allen Dingen, weil sie natürlich nicht stumm umherliefen, sondern kreischten, stritten oder sich gegenseitig schlugen, was dann letztendlich fast immer in ein riesiges Geheule ausartete. Seit es wärmer geworden war, schienen sie dies ganztags draußen zu machen.

Jetzt kam der kleine, wuschelige hellbraune Hund aus dem Haus, der eine wahnsinnige Ähnlichkeit mit einem Gremlin hatte, sprang an der Frau hoch und schien sich nicht mehr beruhigen zu wollen, während der große dunkle, vermutlich ein Rottweiler-Mix, einfach wedelnd neben ihr stehen blieb. Auch die Kinder rannten nun aus dem Haus, schrien so lautstark, dass er es selbst hier hören konnte. Halb verdeckt von einem Strauch, der mit bunten Ostereiern geschmückt war, sah er nun auch Robert und Miriam aus dem Haus treten. Robert erinnerte ihn immer ein wenig an Ron Weasley aus den Harry-Potter-Verfilmungen, vielleicht lag das daran, dass er rothaarig und etwas schlaksig war.

Trotz des Lärms unterhielten sich die Erwachsenen. Allein die Vorstellung, zwischen all den Hunden und Kindern noch eine Unterhaltung führen zu müssen, erzeugte bei ihm Kopfschmerzen. Ohne seine Nachbarn weiter zu beachten, setzte er Kaffeewasser auf. Er lebte jetzt schon seit einem halben Jahr hier und hatte immer noch keine Kaffeemaschine. Er brühte ihn ganz klassisch auf, so wie es seine Großmutter getan hatte, die ihr Leben lang in diesem kleinen Haus gelebt hatte. Anfangs hatte er vorgehabt, eine Kaffeemaschine zu besorgen, aber er hatte es erst wochenlang vergessen. Inzwischen fand er es sehr meditativ, einfach mal während des Kaffeeaufbrühens aus dem Fenster zu schauen und die Natur auf sich wirken zu lassen. Nicht sofort nach dem Aufstehen seinen Computer einzuschalten.

Als er den ersten Schluck aus seiner Kaffeetasse trank, schaute er der Frau im karierten Hemd dabei zu, wie sie seinen Nachbarn umarmte und in dieser Umarmung für eine Weile verharrte. Ah, ja. Das musste seine verschollene Nachbarin sein, die er immer vergeblich gesucht hatte. Bevor er sich vom Fenster wegdrehte, sah er noch, wie die beiden gemeinsam im Wohnhaus verschwanden.

*

»Und, habt ihr schon alle Ostereier gefunden?«, fragte Charly, während sie ihre mitgebrachten kleinen Osternestchen an die Kinder verteilte.

»Gefunden wahrscheinlich nicht. Aber gesucht, ja«, sagte Bell und wuchtete ihren Körper in eine bequemere Position. »Pass bloß auf, wo du dich hinsetzt, wer weiß, wo noch überall die Schokoeier liegen …«

»Ihr habt in der Wohnung gesucht?«, fragte Charly und sah sich in »der guten Stube« um. Hier gingen Wohn- und Esszimmer in die Küche über, und Bell war auf ihrem Sofa mitten im Familienleben.

»Sie wollten mich nicht ausschließen«, seufzte Bell, während Charly ihr einen dicken Kuss auf die Stirn schmatzte. »Eigentlich glaube ich auch nicht, dass es mir geschadet hätte, eine Weile draußen herumzulaufen. Ich darf ja schon kurz mal aufstehen …«

»Riskier lieber nichts«, sagte Charly. »Wie lange musst du noch liegen?«

»Ich bin jetzt in der dreißigsten Schwangerschaftswoche. Beim nächsten Frauenarzttermin wird neu entschieden, was zu tun ist – bis dahin soll ich möglichst liegen. Schau doch nur, was Miriam für ein wunderschönes Osterlamm für uns gebacken hat!«, lenkte sie ab, anscheinend wollte sie das Thema Liegen in der Schwangerschaft nicht weiter vertiefen.

»Zum Essen viel zu schade!«, lachte Charly.

»Soll ich Kaffee machen?«, fragte Miriam. »Passt wunderbar zum Osterlamm!«

»Ich muss dann«, sagte Robert. »Ist das in Ordnung, wenn ich jetzt fahre und euch Süßen alleine lasse?«

»Ich bin nicht süß«, widersprach Bell seufzend. »Ich bin eher so etwas wie ein prähistorisches Mammut. Aber klar, fahr nur, ich habe ja jetzt das Rundum-sorglos-Programm.«

Bell sah erschöpft und angestrengt aus, dachte Charly besorgt. Der Gegensatz zur quirligen Miriam betonte das auch noch. Diese schaltete nämlich sofort die Kaffeemaschine an, als würde sie das hier häufiger machen, und stellte das schmutzige Geschirr vom Osterfrühstück in die Spülmaschine. Obwohl es schon nach zwölf war, hatten die zwei Kleinen noch immer ihre Schlafanzüge an, die aussahen, als hätten sie sie mit Eigelb bekleckert.

»Ich liebe dich«, murmelte Robert.

»Komm gut wieder«, flüsterte Bell.

Er küsste erst den Mund und danach den Bauch seiner Frau und sagte so etwas wie »Benimm dich, Kleiner«. Dann drückte er noch Charly und sagt an ihrem Ohr: »Muntere sie ein klein wenig auf. Sie ist echt am Boden.«

»Ich höre, was ihr da redet«, sagte Bell vom Sofa aus und verdrehte die Augen.

Die kleine Hündin Calypso sprang wie ein Gummiball an Charly hoch.

»Tust du nicht«, erwiderte Robert. »Und ich hoffe, meine Hemden sind gebügelt, wenn ich in zwei Wochen wiederkomme …«

»Und wer soll das machen?«, fragte Charly augenzwinkernd und bückte sich nach Calypso. »Habt ihr vielleicht einen Mann eingestellt, der Hemden bügelt?«

»Ach, ihr Emanzen«, seufzte er nur. »Ich würde jetzt wirklich gerne fahren, wenn das für euch okay ist!«

»Ja. Bevor du noch weiteren Unsinn redest«, schlug Bell vor. »Verpfeif dich.«

Charly schaute zwischen Robert und Bell hin und her und sah, dass Bells Lippen die Worte »Ich liebe dich« formten. Auch Robert machte kurz einen Kussmund, der aber schnell verschwand, als er Charlys Blick bemerkte.

»Auch!«, schrie der Jüngste, Philip, auch genannt Poopy, weil er zur Welt gekommen war, als sein Vater auf einer Dienstreise in Amerika gewesen war und ständig nur nach seinem kleinen Scheißerchen gefragt hatte. Poopy hängte sich an Roberts Bein und ließ sich bis zur Haustür mitziehen. Eine Weile hörte man nur Gekreische, dann schlug die Haustür zu und Poopy kam wutentbrannt zurück, um daraufhin lauthals »Mimi« zu schreien und sich an Miriams Bein zu hängen.

»Poopy, mein süßer Mops«, antwortete Miriam. »Wenn du meine Jeans mit Schokolade beschmierst, fragen mich alle Leute, ob ich nicht richtig essen kann.«

Die anderen Kinder umringten die Frau.

»Fragen die dich das wirklich?«, fragte Franzi, die Neunjährige, und betrachtete interessiert die Jeans von Miriam.

»Ja. Die zählen immer nach, wie viele Finger die Schokoladen-Fingerabdrücke haben«, grinste Miriam und nahm Poopy ein Schokoei ab, das in seiner Hand weich geworden war.

»Echt?«, sagte Mathilde, die Dreijährige.

»Nein, Tilli, du Blödel«, sagte Franzi. »Die verarscht uns doch gerade.«

»Selber Blödel!«, schrie Tilli empört.

»Sagt ihr mal zu eurer Tante Hallo?«, fragte Bell kopfschüttelnd.

»Vielleicht erkennen sie mich nicht mehr«, überlegte Charly und zwinkerte den Kindern zu. »Nach drei Monaten ja auch schwierig.«

»Doch«, sagte Fynn, der Älteste der vier Kinder und mit seinen elf Jahren manchmal schon ein richtiger Klugscheißer. Er sah sie schräg an. »Du bist Tante Carlotta. Die, die immer arbeitet.«

»Charlotte. Tante Charlotte«, verbesserte Charly ihn und lachte über die Formulierung »die immer arbeitet«. Das war wohl der Gegensatz zur jüngsten Tante, »die immer lernt«.

»Du bist dicker geworden.«

»Hallo?«, machte Charly und stemmte die Hände in die Hüften. »Ich bin nicht dicker geworden.«

Bell musste lachen, und Charly stopfte ihr ein Kissen in den Rücken. »Daran musst du als Mutter noch arbeiten«, empfahl sie ihr. »Man sagt nichts über das Gewicht einer Frau, weißt du, Fynn.«

»Aber dein Busen ist dicker.«

»Nein, er ist nicht dicker, das sind …« Mist. Konnte man mit einem Elfjährigen über Push-ups reden? Bell und Miriam sahen sie aufmerksam an, als wären sie sehr gespannt auf die Erklärung.

»Sie sind in Form gepresst«, hörte sich Charly sagen, und Miriam und Bell lachten so laut, dass Charly einstimmen musste.

Fynn schnappte sich augenrollend ein rotes Osterei vom Frühstückstisch und rannte nach draußen, dicht gefolgt von Poopy im typischen Gang eines Kindes, welches noch nicht perfekt laufen konnte und außerdem eine dicke Windel zwischen den Beinen baumeln hatte.

»Halt, hiergeblieben. Erst mal die Windel«, lachte Miriam und schnappte ihn sich.

»Nicht ins Paddock!«, rief Isabelle ihren drei größeren Kindern nach. »Und nicht zur Pferdetränke! Und bleibt in …« Sie seufzte laut. »… Rufweite«, fügte sie leiser hinzu, aber die Kinder konnten sie schon nicht mehr hören.

»Und danke, Miriam. Was täte ich nur ohne dich.«

»Kein Problem. Bin gleich wieder da.«

»Ich geh nur schnell Händewaschen«, sagte Charly. Sie hatte Bell hier noch nie besucht, dachte sie zerknirscht, die letzten Wochen war so viel los gewesen! Vorsichtig machte sie auf der Suche nach dem Badezimmer eine Tür auf – Schlafzimmer, die nächste Tür – Speisekammer, und die übernächste Tür war dann tatsächlich die richtige. Das Badezimmer war frisch renoviert, weiße Fliesen und eine dunkelblaue Borte mit allerlei Seegetier. Auf den weißen Fliesen neben dem Waschbecken waren einige Handabdrücke zu sehen, entweder Erde, Nutella oder Schlimmeres, und auch das Handtuch war mehr braun als weiß. Sie sah sich nach einem frischen Handtuch um, dabei fiel ihr Blick auf den Wäschekorb. Hier türmte sich zwar frisch gewaschene, aber nicht zusammengelegte Wäsche, und der danebenstehende Wäschepuff quoll von ungewaschener Kleidung über. So viel zum Thema, dass Robert alles im Griff hatte. Sie warf das schmutzige Handtuch zur schmutzigen Wäsche und wusch sich die Hände.

Als sie zurück ins Wohnzimmer kam, lag Bell auf dem Sofa und starrte apathisch an die Decke. Mit einem Lächeln setzte sich Charly neben sie auf die Couch.

»Es ist traumhaft hier.«

Bell stöhnte und warf ihr einen schiefen Blick zu. »Momentan habe ich das Gefühl, dass es die totale Schnapsidee war!«

Das mit der Schnapsidee hatte Charly noch vor ein paar Wochen angemerkt, weil sie sich selbst nicht vorstellen konnte, so am Arsch der Welt zu wohnen.

»Das denkst du doch nur, weil du liegen musst«, widersprach sie.

»Ich habe ihm schon gedroht.«

»Wem?«

»Meinem Ungeborenen. Ich hab ihm gedroht, dass ich mich rächen werde, und zwar, wenn ich in die Wechseljahre komme. Ist schon beschlossene Sache, da werde ich das alles nachholen, und auch mal so richtig ätzend sein.«

Charly lachte nur, denn gleichzeitig streichelte Bell zärtlich ihren Bauch. Bell würde auch in den Wechseljahren nicht ätzend zu ihren Kindern sein können, egal, was sie jetzt ankündigte. Sie nahm sich vor, auf jeden Fall ein paar Bilder von Bells dickem Bauch zu machen. Wie wunderschön schwangere Frauen waren! Sie strahlten so viel Lebendigkeit aus, obwohl sie sich deutlich langsamer bewegten, oder, wie ihre Schwester, sich gar nicht so viel bewegen durften. Nebenbei erinnerte sie das natürlich daran, dass sie schon vierunddreißig war, und so etwas wie ein fester Partner oder eine eigene Familie nicht in Sicht. Ihre On-off-Beziehung zu Ben taugte jedenfalls nicht als Basis einer Familiengründung!

Ist auch gut so, beruhigte sie sich selbst. Das Leben von Bell war für sie selbst gerade nicht vorstellbar!

»Warte nur, wenn das Baby da ist, dann wird alles ganz anders«, sagte sie zu Bell und lächelte.

Bell ging voll in ihrer Mutterrolle auf. Deswegen hatte sie keine Zweifel daran, dass sie auch mit fünf Kindern alles bravourös meistern würde!

Ihre Schwester zog nur eine Augenbraue nach oben. »Kinder, zwei Pferde und zwei Ponys! Und mein Mann ständig auf Dienstreise?! Da wird nichts anders …«

Die Kinder kamen wieder hereingerannt, dicht gefolgt von der kleinen Calypso, die aufgeregt hin und her sprang. Die Kinder verschwanden in einem anderen Zimmer, aber Calypso nahm Anlauf und hopste zu den Frauen auf die Couch.

»Runter, Poooo!«

»Seit wann heißt sie Po?«, fragte Charly, stand auf, packte die kleine Hündin und setzte sie auf den Boden.

»Seit Poopy immer Poooo schreit, wenn er sie sieht. Du verstehst. Puuuuupi und Pooooo.« Bell grinste und zeigte dann auf den großen schwarzen Obi, der noch immer schwach wedelnd mitten im Zimmer stand. »Du wirst sehen, demnächst hat er für Obi auch einen tollen Namen gefunden.« Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. »Seit wir hier sind, ist Calypso total ungezogen.«

War Calypso jemals gut erzogen? Aber Charly verkniff sich ihren Kommentar.

»Auch die Kinder. Ich dachte, dass sie durch das gute Wetter die ganze Zeit draußen spielen und fröhlich und ausgeglichen sein würden. Aber seitdem ich liegen muss und mich dadurch so wenig um sie kümmern kann, eskaliert ständig der Streit.« Ihre Miene verdüsterte sich, weil Geschrei aus dem Kinderzimmer kam. So als hätten Fynn und Franzi die Worte gehört. Eine Weile hörte Charly den beiden Streithähnen zu, aber dann stand sie doch auf und ging zu ihnen ins Zimmer. Sie zerrten verbissen an einem Stofftier.

»Nimm es ihnen einfach weg«, hörte sie Bell schlecht gelaunt sagen. »Und dann raus hier. Ihr geht in den Sandkasten und sortiert euer Spielzeug. Wenn ihr damit fertig seid, dürft ihr wieder hereinkommen!«

Charly wiederholte die Anweisungen von Bell, da die Kinder gerade auf beiden Ohren taub zu sein schienen. Maulend verließen die zwei das Zimmer und warfen ihrer Mutter giftige Blicke zu.

»Wenn das Sandspielzeug nicht anständig sortiert ist, braucht ihr gar nicht wieder hier aufzuschlagen! Nach Farbe und nach Größe«, rief Bell ihnen hinterher.

»Nach Farbe und Größe?«, echote Charly verständnislos. Durchs Fenster sah sie, wie die zwei wütend zum Sandkasten liefen.

»Weil sie spätestens nach dem dritten Teil, das sie in die Hand haben, einfach zu spielen anfangen«, erklärte Bell ihr. »Natürlich sortieren die überhaupt nichts.«

Die zwei begannen tatsächlich, irgendwelche Fahrzeuge auf ein kleines Brettchen zu stellen, und Fynn nahm plötzlich die Schaufel und baute eine Straße für seine Autos.

Oje. Ob ich das mit den Kindern so hinbekomme?, dachte Charly. Tilli setzte sich gerade auf die Schaukel und begann, leicht hin- und herzuschwingen. Irgendwie hatte sie den Eindruck, dass sie nicht genügend Kinder-Kniffe auf Lager hatte, um diese Bande zu bändigen!

»Verstehst du jetzt, was ich mit Schnapsidee meine?«

Aus dem Nachbarraum hörte man, wie sich Miriam mit Poopy unterhielt und ihm irgendetwas von kleinen Feen erzählte, während Charly sich eine Antwort überlegte. Sie wusste, dass zumindest die letzte Schwangerschaft nicht geplant gewesen war. Und aus den Telefonaten mit Bell wusste sie auch, dass die vier Kinder sie manchmal an ihre Grenzen brachten. Was sie nicht wunderte, das ständige Durcheinandergerede, Geschreie und Gelache ließ ihren Kopf schon jetzt, nach nur einer Viertelstunde, summen.

»Tja, vielleicht brauchst du tatsächlich Hilfe. Zumindest am Anfang«, stimmte sie zu und schlug vor: »Vielleicht ein Au-Pair für die erste Zeit. Irgendwann werden die Kinder ja auch größer und vernünftiger.«

Bell hob als Antwort nur die Augenbrauen, als würde sie das stark bezweifeln.

»Oder vielleicht brauchst du eine Ganztagsbetreuung in Kita und Schule?«, fügte sie motiviert hinzu, lachte dann über den Blick von Bell. »Du siehst aus, als wärst du heilfroh, dass eine kinderlose Frau dir mal gute Tipps gibt.«

Bell stimmte in ihr Lachen ein.

Gerade fuhr Robert mit der roten Familienkutsche ziemlich schnell vom Hof, die beiden Schwestern sahen dem entschwindenden Auto hinterher. Hatte er erleichtert gewirkt?

»Er ist komplett am Ende«, sagte Bell. »Er wollte über Ostern unbedingt zu Hause bleiben, aber hat inzwischen sämtlichen Resturlaub aufgebraucht. Außerdem war die Dienstreise nach Asien schon geplant gewesen, da musste ich noch gar nicht liegen.«

»Der Umzug war einfach zu viel für dich«, sagte Charly und fügte schuldbewusst hinzu: »Tut mir leid, dass ich nicht helfen konnte. Ich hätte auch kommen sollen und die Ostervorbereitungen übernehmen.«

»Ach was. Tut einem Mann doch mal gut, wenn er sieht, was für ein Heidenspaß Eierfärben mit kleinen Kindern ist.« Zum ersten Mal grinste Bell entspannt. »Sind ja auch seine Kinder, da kann er sich auch mal reinhängen.«

Charly stand auf und begann Eierschalen vom Tisch zu wischen. »Du hast alles richtig gemacht«, sagte sie. »Schau, du hast sogar eine Freundin gefunden, die für dich deine Kinder wickelt.«

»Ja, die liebe Miriam. Ich habe sie gleich am Tag unseres Umzugs kennengelernt … aber die anderen Leute hier sind eher etwas – abweisend.«

»Ah.«

»Na ja. Vielleicht habe ich auch nur zu wenig Gelegenheit, um mich mit ihnen zu unterhalten. Ich habe Miriam in ihrer Bäckerei kennengelernt.«

»Momos Feenbäckerei«, sagte Charly, und bückte sich nach einem Schokoei, auf das sie fast getreten wäre.

»Hm. Ich war so fertig, nachdem die Umzugsfirma weg war! Die Kinder waren so schlimm, sie waren hungrig und müde und haben nur noch gestritten. Ich war zu keinem klaren Gedanken mehr fähig, und Robert hat gesagt, kauf ein paar Teilchen in der Bäckerei, dann machen wir erst mal eine Pause. Ich bin alleine mit dem Auto in den Ort gedüst, aber die Bäckerei war eine einzige Baustelle. Ich war so enttäuscht und hab mir nur die Nase platt gedrückt und gedacht: So ein Mist, jetzt muss ich weiterfahren. Aber dann hat Miriam mir die Tür aufgemacht.«

»Die Fee«, fügte Charly lächelnd hinzu.

»Ja. Sie hat ja noch gar nicht richtig eröffnet, aber war gerade dabei, neue Cupcakes auszuprobieren. Sie war von oben bis unten mit rosa Farbe besprenkelt und hat mir sofort Tee gemacht, einen Cupcake geschenkt und mich im Ort willkommen geheißen.«

»Sie scheint sehr nett zu sein.«

»Ist sie auch. Und wir sind uns ähnlich – sie kämpft gerade auch ziemlich.«

»Beziehungsprobleme?«

»Nein, eine Beziehung hat sie nicht. Sie renoviert die alte Bäckerei im Ort, um alles in zuckersüß-rosa-Cupcake-tauglich zu streichen. Sie hat echt ein Händchen dafür, aber da sie keine Hilfe hat, dauert das natürlich ewig …« Sie unterbrach sich, als die Tür zum Nachbarzimmer aufging und Poopy hereinstolperte und mit wackligen Schritten auf seine Mutter zukam.

»So. Kaffee ist fertig«, sagte Miriam betont munter.

»Wer möchte ein Stück Osterlamm?«

»Eigentlich kommt sie nur wegen unseres Nachbarn«, wechselte Bell das Thema und grinste.

»Klar. Ich wollte schon immer mal so einen richtigen Kerl abschleppen«, erklärte Miriam und lachte.

»Und er ist noch zu haben, hat Miriam gesagt«, sagte Bell. »Wenn ich ganz frustriert bin, dann stell ich mir vor, dass ich mit ihm durchbrenne.«

»So ein toller Kerl ist er?«, fragte Charly und schaute aus dem Fenster zu dem kleinen friedlichen Häuschen zwischen den blühenden Obstbäumen.

Die beiden lachten nur als Antwort, und Bell sagte: »Also, eigentlich kenne ich ihn gar nicht. Weil ich die ganze Zeit mit Stützstrümpfen im Haus herumwackle und auf dem Sofa liege. Und wenn ich ihm begegnen würde, würde er vermutlich die Polizei anrufen, um ihnen mitzuteilen, dass ein Elefant aus dem Zoo entlaufen ist.«

»Hallo, du siehst wunderhübsch aus!«, protestierte Charly energisch.

»Ja, wer sagt, dass es nicht wunderhübsche Elefanten geben kann?« Bell lachte. »Robert hält ihn für einen einsamen, ungesprächigen Einsiedler. Aber nett. Ich weiß nicht, woher er das wissen will, schließlich haben sie nur ein paar Sätze gewechselt. Aber du weißt ja, wie Männer sind. Man fragt ihn, über was sie sich so unterhalten haben, und er antwortet darauf: ›Unterhalten? Wir haben uns überhaupt nicht unterhalten.‹«

»Allein, dass man getrennt voneinander zur Mühle hinunterstarrt ist ja schon ein Zeichen für große Sympathie«, warf Miriam ein und grinste.

Sie stellte weiß gepunktete rote Becher auf den Tisch und schenkte dampfenden heißen Kaffee hinein.

»Mühle?«, fragte Charly.

»Du wirst begeistert sein«, sagte Bell. »Ich kann leider nicht mit dir runtergehen, aber du findest sie bestimmt selbst. Als Fotoobjekt ist das superschön. Es ist eine Mühle aus dem 18. Jahrhundert. Oder dem 19.? Keine Ahnung. Ist nicht mehr in Betrieb, aber es sieht da unten aus wie in einem Märchen. Wir wollten dort eigentlich die Ostereier verstecken. Und ein Picknick veranstalten. Leider ist mir jetzt diese Liegerei dazwischengekommen.« Sie sah wieder frustriert und verärgert aus.

»Da bin ich ja gespannt«, sagte Charly. »Aber wir können auch auf der Terrasse ein Picknick machen. Ich habe mir das gerade schon angesehen, das sieht sehr gemütlich aus. Mach dir mal keinen Kopf.«

»Ich war noch kein einziges Mal auf der Terrasse«, gab Bell zu.

»Wir machen es uns jetzt schön«, erklärte Charly bestimmt. »Dazu muss man hier keine großen Strecken zurücklegen …«

»Und wenn du zur Mühle willst, kann ich mit dir auch mal hingehen«, schlug Miriam vor. »Willst du Milch rein?«

»Hm.«

Mit einem Stöhnen ließ sich Obi neben sie fallen und sah treuherzig zu ihr nach oben. Charly beugt sich zu ihm herunter und tätschelt ihm den Kopf.

»Die Kinder können dir ja den Hof zeigen. Und lass dich nicht von ihnen überzeugen, dass wir zu wenige Tiere haben und du noch dringend irgendwelches Geflügel anschleppen musst. Momentan versuchen sie es mit allen Tricks.«

Auch wenn Bell das klingen ließ, als wäre es ein großes Problem: Charly war sich sicher, dass Bell die Erste wäre, die noch ein paar Küken anschleppte.

Aus weiter Entfernung schien sich ein Traktor dem Hof zu nähern. Alarmiert setzte sich Bell auf.

»Wieso arbeitet der eigentlich ausgerechnet am Ostersonntag? Du gehst jetzt raus, stellst dich dem in den Weg und sagst ihm, dass du ihm die Fresse polierst, wenn er noch einmal mit überhöhter Geschwindigkeit hier durchfährt.«

»Fresse polieren??«, fragte Charly entgeistert nach.

»Das ist der Anders. Der rast hier durch, irgendwann fährt er mir ein Kind über den Haufen. Jetzt lauf schon. Mit einem schönen Gruß von mir. Wenn ich wieder kann, hau ich ihm eine rein.«

»Du haust ihm eine rein?!«, echote Charly fassungslos, da ihre Schwester ein enorm friedlicher Mensch war. Vermutlich änderte sich das, sobald man Kinder hatte. »Ich soll ihm drohen?«

»Wenn du ihn kennengelernt hast, wirst du verstehen, was ich meine«, erklärte Bell düster.

Miriam lachte und stand mit auf. »Ich geh mit. Ich kenn ihn. Er ist ein entfernter Cousin meiner Mutter.«

»Oje. Du bist mit dem Idioten auch noch verwandt?«, fragte Bell ungläubig.

»Na ja. Angeheiratet«, relativierte Miriam das Verwandtschaftsverhältnis.

Sie liefen nach draußen. Die zwei großen Kinder saßen im Sandkasten und spielten, obwohl sie gerade noch gemault hatten, dass das alles Babykram und unter ihrer Würde sei. Der riesige Traktor fuhr so nah am Nussbaum vorbei, dass er einen Ast abriss. Mathilde saß noch immer auf der Schaukel, die im Nussbaum hing, und schwang sanft hin und her. Bell hatte eindeutig recht: In dem Tempo konnte der Bauer unmöglich über den Hof rasen!

*

Luca konnte sich noch genau an den Tag erinnern, an dem er das erste Mal mit seiner Großmutter ins Dorf gegangen war. Er war damals vielleicht acht Jahre alt gewesen, oder auch neun. Jedenfalls so alt, dass auch seine kleinen Brüder schon zu Fuß den Weg ins Dorf geschafft hatten. Alessandro, der Jüngste, war damals ungefähr vier gewesen, und er hatte zwar über den Hinweg gejammert, aber beim Rückweg war er klaglos an Großmutters Hand gelaufen. ›Da gibt’s Kinder‹, hatte Mattia gesagt, der Mittlere, als wäre das ein Wunder. Auch er selbst war erstaunt gewesen, er hatte sich nicht groß Gedanken darüber gemacht, aber in den Ferien, die sie bei ihrer Großmutter verbrachten, hatte es bis zu dem Zeitpunkt nur das Häuschen und den Garten gegeben. Und natürlich ihr Lager, gleich unten am Waldrand, wo sie in jeden Ferien mit viel Mühe so etwas wie einen regengeschützten Unterstand gebaut hatten. Die ersten Jahre nur regengeschützt, solange es nicht geregnet hatte, aber am Schluss hatte man tatsächlich bei strömendem Regen dort sitzen und das Prasseln der Regentropfen hören können. Manchmal hatten sie dort sogar mit ihrem Nintendo gespielt. Sie hatten zu dritt nur einen gehabt, und seltsamerweise hatte es nie Streit gegeben. Vielleicht, weil ihnen klar gewesen war, dass sich ihre Mutter unmöglich mehr als einen leisten konnte.

Luca goss noch einmal kochendes Wasser in den Filter und holte aus dem Hängeschrank die weiße Tasse mit den Blümchen und dem goldenen Rand, die es schon in seiner Kindheit gegeben hatte. Als er den Kühlschrank öffnete, um Milch herauszunehmen, sah er direkt vor sich, wie er damals mit seiner Großmutter durch das Dorf bis zu dem kleinen Kramladen gegangen war, den es inzwischen nicht mehr gab.

Die Kinder dort im Dorf waren vor ihrer Großmutter zurückgewichen, als wäre sie ein gefährliches Tier, und hatten gewispert. Jetzt bildete er sich ein, sie hätten etwas von einer Hexe gesagt. Aber vermutlich trog diese Erinnerung, und er reimte sich das alles nur im Nachhinein zusammen. Schlussendlich hatten sie sich doch alle drei mit den Dorfkindern angefreundet und den weiten Weg in Kauf genommen, um mit ihnen Völkerball zu spielen oder Seifenkistenrennen zu veranstalten.

Auch Miriam hatte er damals kennengelernt, aber sie war nur die kleine Schwester seiner Freunde gewesen. Ihre zwei großen Brüder waren ihm dagegen sehr gut in Erinnerung. Sie hatten genau die gleichen roten Haare wie Miriam, und er hatte unglaublich viel Zeit mit ihnen verbracht. Hauptsächlich beim Fußballspielen.

Luca schüttete Milch in den Kaffee und stellte sich mit dem Becher in der Hand ans Fenster. Er starrte hinaus, verwundert, woran er sich plötzlich erinnerte. Jetzt, wo er schon ein halbes Jahr hier war. Fast meinte er wieder, seine Großmutter im Garten zu sehen, wie sie mit einer Gartenschere die Rosensträucher bearbeitete und sich die abgeschnittenen Blüten in die Schürzentasche steckte.

Damals war das Leben einfach gewesen – für ihn zumindest. Erst jetzt verstand er, wieso seine Großmutter so selten ins Dorf gegangen war – dass sie die Dorfhexe gewesen war, mit der niemand Kontakt hatte haben wollen. Er hatte immer angenommen, dass die Jungs nicht mit zu ihm nach Hause gehen wollten, weil sie so lange durch den Wald marschieren mussten. In Wirklichkeit war es ihnen vermutlich verboten gewesen, mit ihm zu spielen.

Erst mit fast sechzehn Jahren war ihm aufgefallen, dass er nicht so richtig dazugehörte. Natürlich, er hatte nicht dauerhaft hier gewohnt, aber er hatte jede Ferien in dem Häuschen verbracht, nur seine zwei Brüder, er und seine Großmutter. Seine Mutter war nie mit dabei gewesen. Später hatte sie immer behauptet, die Großmutter sei ein verrücktes Huhn und dass sie es keine Sekunde mit ihr aushalten würde.

Inzwischen hatte er die Theorie, dass ihre Mutter manchmal einen räumlichen Abstand zu ihren drei Söhnen gebraucht hatte und sie nur Gründe erfunden hatte, um mal ein paar Tage allein in der ohnehin kleinen Wohnung zu sein. Sich vielleicht sogar mit Männern zu treffen, ohne sich Mühe geben zu müssen, es vor den Kindern geheim zu halten.

Er schenkte sich noch einmal heißen Kaffee nach, um sich anschließend vor seinen Computer zu setzen.

Seine Gedanken wurden durch Motorengeräusche unterbrochen. Ein Traktor düste gerade mit Vollkaracho den Weg entlang, und Luca stand auf, um zu sehen, ob sein Auto nicht doch irgendwo im Weg stand. Der Bauer ging kaum vom Gas, als er in den Hof hineinfuhr, und fast gleichzeitig sah er Miriam aus dem Haus stürmen, anscheinend, um den Bauern an der Weiterfahrt zu hindern.

Hinter ihm klingelte sein Festnetztelefon. Das war eine Seltenheit, die meisten Leute schrieben ihm E-Mails. Die Einzige, die regelmäßig anrief, war die Schwester seiner Großmutter, die eigentlich ständig bei irgendetwas Hilfe brauchte, vor allen Dingen bei Computerdingen. Er drehte sich nicht um, sondern wartete darauf, dass sich sein Anrufbeantworter einschaltete. Tatsächlich hörte er nach dem Piep seine Großtante.

»Es wird Zeit, dass du einen anständigen Spruch auf deinen Anrufbeantworter machst!«, schrie sie. Das war eines ihrer Probleme. Dass sie am Telefon immer brüllte, wahrscheinlich, weil sie sich nicht vorstellen konnte, dass er sie hörte, so weit weg wie er war. »Ich frag mich jedes Mal, mit wem ich da telefoniere!«

Das Problem hatte er bei seiner Großtante nicht. Auch ohne dass sie sich mit Namen meldete, war vollkommen klar, wer am Apparat war.

»Du müsstest schnell mal rüberkommen! Ich hab da ein Problem mit dem Computer, ich glaube, ich habe einen Virus drauf! Da geht gar nichts mehr!«

Das letzte Mal hatte sie den Rechner nicht eingesteckt gehabt. Das vorletzte Mal hatte sie die Steckdosenleiste beim Staubsaugen ausgesteckt. Und das vorvorletzte Mal hatte sie nicht den Rechner ein- und ausgeschaltet, sondern nur den Bildschirm.

Manchmal hatte er auch den Verdacht, dass sie sehr wohl kapierte, weshalb das alles nicht funktionierte, aber einfach Lust auf ein bisschen Gesellschaft hatte und ihn deswegen mit ihren Anrufen terrorisierte.

Bevor er nicht komplett aufgewacht war, würde er jedenfalls auf gar keinen Fall zu ihr rüberfahren! Stattdessen beobachtete er die zwei Frauen auf dem Hof, die sich dem Traktor in den Weg gestellt hatten.

Wenn er es sich genau überlegte, hatte sich Miriam zu einer tollen Frau entwickelt. Seit sie so häufig hier zu Besuch war, hatte er sich gefragt, woher er sie kannte. Als er sie vor ein paar Tagen in Lerchenbach getroffen

und sie ihn strahlend mit »Hallo, Luca« begrüßt hatte, hatten ihn ihre roten Haare auf die richtige Spur gebracht. »Wir müssen mal zusammen einen Kaffee trinken«, hatte sie gesagt. »Spätestens, wenn meine Tischchen draußen stehen.«

Vielleicht sollte er wirklich mit ihr mal einen Kaffee trinken, unabhängig von den Tischchen. Wenn sie sowieso hin und wieder hier heraufkam, konnte er sie genauso gut aufhalten und ihr einen Kaffee an seinem Tischchen anbieten.

*

Charly stellte sich in den Weg und winkte. Anders machte eine Vollbremsung. Er mochte zwischen sechzig und siebzig sein, war schlecht rasiert und hatte die finsterste Miene, die Charly je bei einem Mann gesehen hatte.

Der Traktor war ein blitzendes grünes Ungetüm, das aussah, als würde er gar nicht durch den Hof fahren können, ohne einen größeren Flurschaden zu hinterlassen.

»Sie müssen langsamer fahren!«, schrie sie gegen den Motorenlärm an.

»Was??«, brüllte der Mann zurück.

»LANGSAMER!«

»Keine Zeit!«, schrie der Mann.

»Anders!«, rief jetzt auch Miriam. »Die Kinder. Schalt doch mal den Motor aus!«

Widerwillig folgte Anders, seine Miene war noch immer grummelig.

»Die Kinder laufen hier herum!«, erklärte Miriam. »Du musst langsamer fahren, sonst sperre ich vorne die Straße mit einem Seil ab!«

»Ich darf da durchfahren. Da hinten sind meine Felder!«, brummte Anders undeutlich, und seine dicken Augenbrauen senkten sich grimmig über die Augen. »Das ist schon seit hundert Jahren so.«

Hundert Jahre? Da waren Veränderungen natürlich komplett ausgeschlossen!

»Das hat schon der Großvater von meinem Vater gemacht.«

»Ja, kann ja sein. Aber im Hof musst du trotzdem langsamer machen!«, sagte Miriam mit bestimmtem Tonfall.

Charly war froh, sie an ihrer Seite zu haben. Sie konnte nämlich nur daran denken, dass Bell ihr aufgetragen hatte, ihm die Fresse zu polieren, und sah sich schon mit der Faust ausholen … um Gottes willen!

»Ja«, sagte er schließlich, aber er wirkte nicht so, als hätte er vor, sich daran zu halten. »Und du, du wohnst jetzt auch da …?«

Hatte er gerade leise gesagt »bei den ganzen Weibern«?

»Nein. Ich wohne doch über der Bäckerei«, erinnerte Miriam ihn.

»Du bist doch das Mädchen vom Stefan. Und die Bäckerei, hat die nicht der andere geerbt?«

»Ich bin das Mädchen von der Karin«, verbesserte sie ihn mit einem Kopfschütteln.

»Haben die nicht geheiratet?«

»Stefan ist doch mein Onkel, das ist der Bruder von meinem Vater. Dem Michael.«

»Ah. Die sich mal geschlagen haben, um die Karin.«

»Keine Ahnung«, sagte Miriam, und sie klang ein bisschen verzweifelt. »Ich kann mir nicht vorstellen …«

»Er hat dem Stefan den Zahn ausgeschlagen«, erklärte Anders streng.

»Keine Ahnung«, wiederholte Miriam energisch und wurde ein bisschen rot, während Charly mit einem Grinsen kämpfte.

»Hat er. Bin mir ganz sicher«, erklärte Anders mit grimmiger Miene, als hätte auch Miriam vor, irgendjemandem einen Zahn auszuschlagen. »Das hat sich der Stefan richten lassen, aber das Teil vom Zahn, das fällt immer ab.«

»Oh«, machte Miriam nur.

»Und die Bäckerei, die hat der Michael geerbt?«

»Nein. Die hat doch die Tante Rosa geerbt. Aber ich darf da trotzdem wohnen.«

Anders nickte, als wäre ihm das alles gleichgültig, warf Charly noch einen sehr unfreundlichen Blick zu, und dann dröhnte wieder der Motor des Riesentraktors auf.

»Argh«, sagte Miriam, als er den Hof verlassen hatte. »Immer diese alten Geschichten. Genau aus diesem Grund wollte ich hier nicht mehr wohnen. Wenn man alle kennt, das kann unglaublich belastend sein.«

»Aber doch auch schön«, sagte Charly etwas wehmütig, da ihre Verwandtschaft eher überschaubar war.

»Tja«, Miriam klang nicht überzeugt. »Ich habe den Laden sozusagen umsonst bekommen, da darf man nicht meckern, oder?«

Sie sahen beide dem riesigen Gefährt hinterher, das wieder mit vollem Karacho den Feldweg entlangdüste. Der abgebrochene Ast des Nussbaums lag mitten im Hof, und Calypso begann daran zu zerren.

»Ob er das mit dem Tempo verstanden hat?«, frage Charly.

»Da liegt so ein Longiergurt irgendwo rum. Den spannen wir einfach vorne zwischen den Gartenzaun und der Scheune. Dann kann er nicht mehr durchrasen. Dann gewöhnt er sich schon dran.«

»Wenn du dann nicht Ärger mit deinen zahlreichen Verwandten bekommst …«

Miriam kicherte, stellte sich dann auf die Zehenspitzen und sah hinunter zu dem kleinen Häuschen am Wegesrand. Es lag wie ausgestorben da. Vor dem Waldrand mit seinen weiß blühenden Schlehen, den gelben Forsythien im Garten und den im bräutlichen Weiß erstrahlenden Obstbäumen sah es wie ein Postkartenmotiv aus.

»Ich muss ganz viel fotografieren«, meinte Charly, die neben ihr stehen blieb. Auf dem Birnbaum neben ihnen hatte sich ein Girlitz niedergelassen und trillerte ausgelassen. Im Nussbaum flötete eine Amsel eine melancholische Melodie. Für die Jahreszeit war es ungewöhnlich warm, und die Sonne machte richtig gute Laune. Charly ging näher zu dem umzäunten Garten. Die Forsythie war mit unglaublich vielen bunten Plastikostereiern geschmückt, die meisten hingen in Bodennähe. Anscheinend hatte Poopy die Hauptarbeit beim Aufhängen geleistet. Sie lehnte sich an den Holzzaun und betrachtete den ehemaligen Gemüsegarten. Inzwischen war er von Unkräutern überwuchert, in dem hohen Gras entdeckte sie Gruppen von knallroten Tulpen und tiefblauen Hyazinthen. Und zwischen dem Ehrenpreis bohrten sich riesige Rhabarberblätter aus dem Boden.

»Da kann man viel draus machen«, sagte Miriam. »Aber so viel Arbeit.« Sie seufzte. »Ich könnte auch aus der Bäckerei so irre viel machen, aber allein dieses Deckenstreichen …« Sie rollte mit beiden Schultern. »Diese Überkopfarbeiten machen mir die Schultern kaputt … ich hätte so viele Ideen für ein nettes kleines Café. Ich sehe richtig die Tischchen und die Stühle vor mir. Aber dann streiche ich wieder eine Decke …«, sie musste über sich selbst lachen, »und meine ganzen Pläne verschwinden.«

Charly ging ein paar Schritte unter dem Nussbaum hindurch Richtung Paddock. Der Platz lag verwaist vor ihnen, die Pferde mussten irgendwo auf der Koppel sein. Eine Bachstelze rannte mit aufgeregt wippendem Schwanz durch das Paddock und blieb hin und wieder knicksend stehen.

»Das erste Jahr wird hart, hat mir meine Tante gesagt. Das zweite Jahr wird fantastisch. Das dritte Jahr wird das Härteste. Denn dann wird die Motivation weg sein. Aber das musst du durchhalten, dann hast du’s geschafft.«

»Ehrlich?« Charly lachte, stützte sich mit beiden Armen auf die oberste Koppelstange und sah gedankenverloren über den leichten Hang hinunter zu dem Fluss. Dort unten, zwischen den vielen Weiden und blühenden Kirschbäumen, musste die alte Mühle sein. Sobald sie Zeit hatte, würde sie dorthin wandern und sie sich ansehen. Momentan sah es zwar nicht so aus, als würde sie viel Zeit haben, aber man durfte die Hoffnung nicht aufgeben.

»Keine Ahnung. Meine Tante hat halt auch ein Rad ab«, erklärte Miriam und schloss die Augen. Entspannt richtete sie ihr Gesicht Richtung Sonne. »Außerdem trinkt sie, glaube ich, viel zu viel.«

»Vielleicht muss man das auch, ab dem dritten Jahr.«

»Das befürchte ich auch.«

Miriam lächelte mit geschlossenen Augen, und Charly beschloss, dass diese Frau genau die richtige Freundin für ihre Schwester war. Sie hatte den gleichen Humor wie sie beide, sie war bereit, in eine Freundschaft zu investieren. Und versuchte, ihren Traum zu verwirklichen, so wie Bell.

»Ich will dir keine Angst machen«, fügte Miriam hinzu. »Aber ich hoffe, du lernst meine Verwandtschaft nicht kennen. Das nur so am Rande. Anders ist nämlich nicht der Schlimmste.«

Mathilde war neben ihnen aufgetaucht, setzte sich auf den untersten Balken des Koppelgatters und fing an, auf und ab zu wippen.

»Du hast noch mehr Verwandtschaft? Nicht nur Stefan, der hinter deiner Mutter her war und sich mit deinem Vater um sie geprügelt hat?«

Miriam lachte und verdrehte dabei die Augen. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass das mit dem ausgeschlagenen Zahn erfunden ist.«

»Ein Mythos«, schlug Charly vor. »Eine Legende.«

»Ja, davon gibt es in unserer Familie massenhaft, von diesen Legenden. Jedes Jahr werden sie absonderlicher!« Sie zog die Stirn kraus. »Mein Vater hat acht Geschwister. Ich weiß, das klingt unvorstellbar. Okay, es ist einfach unvorstellbar … Er ist der Jüngste, und alle haben ein Rad ab. Und alle sind hiergeblieben.« Sie warf Charly einen düsteren Blick zu. »Ich darf gar nicht darüber lästern, schließlich bin ich auch zurückgekommen.«

Eine Weile sahen sie zusammen der Bachstelze zu, die wieder und wieder knickste. »Eine andere Theorie von mir ist, dass das alles eine große Verschwörung gegen mich ist. Angezettelt von meiner lieben Tante Rosa. Das ist die älteste Schwester meines Vaters.«

»Verschwörung?«

»Ja. Weil meine Verwandtschaft nur das Bestreben hat, dass wir alle zusammen sind.«

»Vielleicht bist du ja auch hier, weil es so wunderschön ist?«, schlug Charly vor.

Mathilde fing an, unter ihr leise zu singen. »Elefant, –fant, –fant, kommt gerannt, –rannt, –rannt, mit dem langen, langen, langen, langen Rüssel.«

Das Rüssel klang wie Rüffel, und Charly beobachtete die Fliegen, die sich an der Holzwand der Scheune wärmten. Cupcake-Bäckerei in einem romantischen kleinen Dorf hörte sich auf jeden Fall wunderschön an, da konnte man die große weite Welt vielleicht auch vergessen. Selbst Tanten und Onkel, die sich dafür einsetzten, dass man wieder nach Hause kam, hatten für einen Städter wie Charly eine ziemlich anheimelnde Wirkung.

»Ja, für ein paar Tage«, stimmte Miriam zu.