Graf wider Willen - Toni Waidacher - E-Book

Graf wider Willen E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. »Nun mach' doch schon!«, drängte Felix, obwohl sein Vordermann ihn überhaupt nicht hören konnte. Indes wurde der Wagen vor ihm nicht schneller. Im nächsten Augenblick leuchteten sogar seine Bremslichter auf, und auf der Straße ging nichts mehr. Der übliche Feierabendstau war da! Felix Anders atmete auf, als er eine halbe Stunde später endlich vor dem Haus parkte, in dem er ein möbliertes Zimmer bewohnte. Der junge Student jobbte nebenbei in einer Fabrik, die Autozubehör herstellte, und an diesem Freitagabend wollte er sich nach der Arbeit eigentlich noch mit Freunden zum Tennis treffen. Doch irgendwie merkte Felix, dass er keine rechte Lust mehr hatte, als er aus dem kleinen Gebrauchtwagen stieg, den er für wenig Geld auf dem Schrottplatz gekauft und für viel Geld und viele Arbeitsstunden restauriert hatte. Zugegeben, schön war das Ergebnis nicht. Noch nicht, denn das Geld für die notwendige Lackierung musste erst noch verdient werden. und war sogar vom TÜV abgenommen. Der BWL-Student schloss die Haustür auf und ging in den zweiten Stock des Hauses in der Nürnberger Innenstadt hinauf. Die große Wohnung, im obersten Stockwerk, bot mehreren Burschen Platz. Insgesamt acht Zimmer waren möbliert vermietet, dazu gab es eine Gemeinschaftsküche sowie zwei großzügig ausgestattete Bäder. Indes waren es nicht alles Studenten, die hier wohnten. Außer Felix Anders fuhr noch Thorsten Bergmann jeden Morgen zur Uni – wenn er nicht, wie Felix auch, die eine oder andere Vorlesung sausen ließ, um sich ein bissel was dazuzuverdienen. Zwei Mitbewohner arbeiteten auf dem Bau, einer war Musiker am Theater und übte auf seiner Bratsche, wenn die anderen nicht da waren. Einer arbeitete als Lehrer, die letzten beiden waren Ingenieure auf Montage, die nur am Wochenende nach Hause kamen. Alles in allem war es eine bunt gemischte Truppe, und Felix hatte sich schon mehrmals gewundert, dass sie trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere gut miteinander auskamen. Ihre Vermieterin war Ilse Sander, eine gut situierte Witwe, deren Mann zu Lebzeiten durch den Handel mit Altmetall ein Vermögen angehäuft und das große Haus gekauft hatte.

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Der Bergpfarrer – 254 –

Graf wider Willen

Eine Zerreißprobe für Felix

Toni Waidacher

»Nun mach’ doch schon!«, drängte Felix, obwohl sein Vordermann ihn überhaupt nicht hören konnte.

Indes wurde der Wagen vor ihm nicht schneller. Im nächsten Augenblick leuchteten sogar seine Bremslichter auf, und auf der Straße ging nichts mehr.

Der übliche Feierabendstau war da!

Felix Anders atmete auf, als er eine halbe Stunde später endlich vor dem Haus parkte, in dem er ein möbliertes Zimmer bewohnte. Der junge Student jobbte nebenbei in einer Fabrik, die Autozubehör herstellte, und an diesem Freitagabend wollte er sich nach der Arbeit eigentlich noch mit Freunden zum Tennis treffen. Doch irgendwie merkte Felix, dass er keine rechte Lust mehr hatte, als er aus dem kleinen Gebrauchtwagen stieg, den er für wenig Geld auf dem Schrottplatz gekauft und für viel Geld und viele Arbeitsstunden restauriert hatte.

Zugegeben, schön war das Ergebnis nicht. Noch nicht, denn das Geld für die notwendige Lackierung musste erst noch verdient werden. Indes, der Wagen fuhr

und war sogar vom TÜV abgenommen.

Der BWL-Student schloss die Haustür auf und ging in den zweiten Stock des Hauses in der Nürnberger Innenstadt hinauf. Die große Wohnung, im obersten Stockwerk, bot mehreren Burschen Platz. Insgesamt acht Zimmer waren möbliert vermietet, dazu gab es eine Gemeinschaftsküche sowie zwei großzügig ausgestattete Bäder. Indes waren es nicht alles Studenten, die hier wohnten. Außer Felix Anders fuhr noch Thorsten Bergmann jeden Morgen zur Uni – wenn er nicht, wie Felix auch, die eine oder andere Vorlesung sausen ließ, um sich ein bissel was dazuzuverdienen. Zwei Mitbewohner arbeiteten auf dem Bau, einer war Musiker am Theater und übte auf seiner Bratsche, wenn die anderen nicht da waren. Einer arbeitete als Lehrer, die letzten beiden waren Ingenieure auf Montage, die nur am Wochenende nach Hause kamen. Alles in allem war es eine bunt gemischte Truppe, und Felix hatte sich schon mehrmals gewundert, dass sie trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere gut miteinander auskamen.

Ihre Vermieterin war Ilse Sander, eine gut situierte Witwe, deren Mann zu Lebzeiten durch den Handel mit Altmetall ein Vermögen angehäuft und das große Haus gekauft hatte. Frau Sander residierte im Erdgeschoss. Sie war eine angenehme Person, die nicht gleich mit der Kündigung drohte, wenn sich die Mietzahlung einmal verzögerte, und all ihre Mieter ins Herz geschlossen hatte.

Felix hatte sich in seinem Zimmer auf das Bett geworfen. Es stand am Fenster, weiterhin gab es einen Kleiderschrank, einen Tisch, zwei Sessel, und in der anderen Ecke hatte der Student seinen Arbeitsplatz. Der Schreibtisch bestand aus einer schlichten Holzplatte aus dem Baumarkt, die auf zwei Sägeböcken lag. Darauf stand ein Computer, im Regal darüber hatten etliche Bücher ihren Platz gefunden. Felix war kein Streber, aber er nahm sein Studium ernst. Ein knappes Jahr noch, dann war er fertig, und schon jetzt studierte er die Stellenanzeigen, in großen Wirtschaftszeitungen, um zu sehen, in welchen Branchen Leute mit seinem Studium gesucht wurden.

Frau Sander brachte jeden Tag die Post herauf und legte sie in der Küche ab. Von dort hatte der Student zwei Briefe mit in sein Zimmer genommen, die an ihn gerichtet waren. Dem ersten sah man auf den ersten Blick an, dass es sich um einen Reklamebrief handelte. Felix fragte sich, woher die Leute bloß immer die Namen und Adressen derjenigen bekamen, die sie mit diesen Schreiben nervten.

Der zweite Brief hatte ein Anwaltsbüro als Absender. Felix’ Herz schlug unwillkürlich schneller. Es war dieselbe Reaktion, die man hatte, wenn beim Autofahren plötzlich hinter einem ein Polizeiwagen auftauchte.

Man wusste ganz genau, dass man sich richtig verhalten und nichts falsch gemacht hatte, und dennoch bekam man ein schlechtes Gewissen.

Was konnte ein Rechtsanwalt von ihm wollen?

Der Student riss den Umschlag auf.

Vielleicht hast du ja geerbt, schoss es ihm durch den Kopf.

Gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass das ja völlig unmöglich war. Seit dem Tode der Mutter war er allein und ohne Verwandtschaft. Sein Vater war schon Jahre zuvor verstorben, aber weder er, noch die Mutter hatten dem Sohn etwas zu vererben gehabt, abgesehen von den persönlichen Dingen, die jeder Mensch zurücklässt, wenn er das Zeitliche segnet …

Also, das mit dem Erben war nichts, er hatte keine anderen Verwandten mehr!

Jedenfalls hatte er nie von solchen gehört, und es wäre sehr verwunderlich, wenn es doch welche geben sollte, und sie sich erst jetzt, zwei Jahre nach Mutters Tod, bei ihm meldeten.

Felix schüttelte den Gedanken an eine mögliche Erbschaft ab und konzentrierte sich auf den Inhalt des Schreibens.

Doch je mehr er las, umso größer wurden seine Augen. Sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen, und schließlich lachte er lauthals los.

»Das … das gibt’s ja gar nicht!«, japste er, nach Luft ringend.

Felix schaute auf den Absender. Doch, es schien sich tatsächlich um einen Rechtsanwalt und Notar zu handeln, wie im Briefkopf zu lesen war, und nicht um einen schlechten Scherz eines seiner Mitbewohner.

Noch einmal las er, ganz langsam und Wort für Wort.

»Entweder handelt es sich um eine Verwechslung, eine Namensgleichheit vielleicht«, sagte er zu sich selbst, »oder es ist der größte Schwachsinn, der mir je untergekommen ist.«

Lachend knüllte er den Brief zusammen und warf ihn in den Papierkorb unter dem Schreibtisch.

In dem Schreiben stand nicht mehr und nicht weniger, als dass er der Enkel des Grafen von Andersberg wäre, und dass sein Großvater den Wunsch habe, ihn kennen zu lernen!

*

Vierzehn Tage später dachte Felix längst nicht mehr an den Brief, der bereits im Altpapier gelandet war. Der Student hatte Besseres zu tun: nämlich mehrere Klausuren zu schreiben und nebenbei zu jobben.

»Hast du Lust, morgen mit ins Freibad zu fahren?«, fragte Thorsten Bergmann, als sie am Sonntagabend im Gemeinschaftsraum saßen und den Krimi im Fernsehen angeschaut hatten.

Damit hatte der Kommilitone indirekt gesagt, dass er am nächsten Tag die Vorlesung schwänzen wollte.

Felix Anders schüttelte den Kopf.

»Nee, lieber net«, antwortete er. »Ich geh’ morgen zwar auch net zur Uni, aber ich muss dringend an meiner Hausarbeit feilen. In drei Tagen ist Abgabetermin.«

Henrik Becker betrat das Zimmer und wedelte mit einem Briefumschlag.

»Der ist für dich«, sagte der Lehrer, an Felix gewandt. »Ich hab’ ihn eben aus dem Briefkasten geholt. Hat wohl in letzter Zeit niemand nach der Post geschaut, was?«

Er zuckte die Schultern und reichte dem Studenten den Brief.

»Der Absender ist übrigens ein Rechtsanwalt«, fügte Henrik hinzu und grinste. »Du hast doch wohl net was ausgefressen?«

»Felix doch nicht«, lachte Thorsten. »Der bekommt ja net einmal einen Strafzettel wegen Falschparkens.«

Felix hatte den Umschlag entgegengenommen und schaute auf den Absender. Tatsächlich – Dr. G. Wilde, Rechtsanwalt und Notar, stand dort, und wieder die Anschrift in München.

Komisch, was wollte der Typ bloß von ihm?

Das mit dem gräflichen Großvater hatte Felix nicht einen Moment geglaubt und auch jetzt schüttelte er ungläubig den Kopf.

Dr. Wilde kündigte seinen Besuch an, um mit ihm persönlich über die Angelegenheit zu sprechen. Schon am nächsten Tag, Felix solle sich ein, zwei Stunden am Vormittag freihalten. Falls der Termin nicht genehm wäre, bat man um Rückruf, die Telefonnummer stand im Briefkopf.

»Mensch, ein echter Graf in unsrer Mitte!«, johlte Henrik und verbeugte sich tief. »Haben Euer Hochwohlgeboren einen Wunsch? Euer Diener steht zur Verfügung.«

»Den hab’ ich«, grinste Felix, der den Mitbewohnern die Geschichte erzählt hatte, »eine neue Tüte Chips und ein Weißbier. Aber zackig!«

Bei Kartoffelchips und Hefeweizen redeten die jungen Männer die halbe Nacht über die Angelegenheit. Später waren noch Jens und Curt dazugekommen. Sie staunten nicht weniger als die anderen beiden, als sie von den ominösen Schreiben des Anwalts hörten.

»Vielleicht ist ja doch was dran«, meinte Curt Sommer. »Dann bist’ jedenfalls aus dem Schneider.«

Er lehnte sich zurück und breitete die Arme aus.

»Also, wenn ich mir das so vorstelle: ein Schloss, Dienerschaft und jede Menge Kohle. Also, Felix, wenn du net willst, ich bin sofort bereit, diesen alten Grafen als meinen Großvater zu nehmen.«

Solche und ähnliche Reden wurden geschwungen, jeder malte die Zukunft des Studenten in den schönsten Farben aus.

Allein Felix hatte da so seine Zweifel. Fünfundzwanzig Jahre war er der Sohn seines Vaters gewesen, trug er den Namen Anders.

Und das sollte von heute auf morgen vorüber sein?

Als er endlich schlafen ging, hatte Felix kein gutes Gefühl und wenn er an den bevorstehenden Besuch des Anwalts dachte, dann wurde dieses Gefühl keineswegs besser.

*

»Ich bin sehr froh, Hochwürden, dass Sie mich zu diesem Termin begleiten«, sagte Gerhard Wilde.

Der Anwalt saß am Steuer seiner Limousine, der Bergpfarrer neben ihm.

»Keine Ursache«, antwortete Sebastian Trenker. »Das bin ich dem Grafen schuldig. Wilfried von Andersberg zeigt sich nie kleinlich, wenn ich mich mit einer Bitte an ihn wende. Da ist es nur recht und billig, dass ich ihn in so einer wichtigen Angelegenheit unterstütze.«

Sie hatten München hinter sich gelassen und fuhren auf der Autobahn nach Nürnberg.

»Ich verstehe gar net, wieso der junge Graf auf mein erstes Schreiben gar nicht reagiert hat«, meinte Dr. Wilde. »Ich denke, jeder Mensch, der so eine Botschaft bekommt, muss hellauf begeistert sein.«

»Nun, vielleicht war Felix Anders der Meinung, jemand erlaubt sich einen dummen Scherz mit ihm.«

»Da könnten S’ freilich Recht haben. Deshalb bin ich Ihnen ja auch dankbar, dass Sie mitkommen. Einem Geistlichen wird er wohl net misstrauen. Ich bin jedenfalls gespannt, den Enkel des Grafen kennen zu lernen.«

»Ich auch«, nickte Sebastian. »Ich auch.«

Der gute Hirte von St. Johann lehnte sich entspannt zurück. Dass die Sache endlich ins Rollen gekommen war, ging auf seine Initiative zurück. Das Verhältnis zwischen Pfarrer und Graf war nicht nur von gegenseitigem Respekt geprägt, die beiden Männer verband auch eine langjährige Freundschaft.

Das Geschlecht derer von Andersberg residierte seit Jahrhunderten in dem gleichnamigen Schloss, hoch oben auf dem Andersberg, in der Nähe von Waldeck. Der kleine Ort und seine Bewohner gehörten schon immer zur Kirchengemeinde St. Johann, und Graf Wilfried saß seit über vierzig Jahren im Kirchenvorstand. Er war einer der wichtigsten Förderer sozialer Projekte und zeigte sich stets großzügig, wenn es darum ging, schnelle finanzielle Hilfe zu leisten.

Sebastian Trenker wusste um den alten Familienzwist, der den Sohn des Grafen aus dem Haus getrieben hatte. Richard von Andersberg war fortgegangen und hatte seinen Namen geändert. Jahrelang war es seinem Vater scheinbar gleichgültig gewesen, doch längst hatte der Bergpfarrer erkannt, dass hinter der zur Schau getragenen kühlen Maske Graf Wilfrieds doch ein sensibles Wesen steckte. Behutsam hatte Sebastian das Thema immer wieder angeschnitten, und zeigte sich der alte Graf zunächst auch widerspenstig, so gelang es dem Geistlichen aber doch, ihn umzustimmen. Auf Anraten Pfarrer Trenkers wandte Wilfried von Andersberg sich an den Rechtsanwalt und Notar Gerhard Wilde. Sie hatten früher einige Male miteinander zu tun gehabt, und Sebastian war von den Qualitäten des Anwalts überzeugt, so dass er ihn guten Gewissens empfehlen konnte.

Dr. Wilde sammelte zunächst einmal die Fakten und beauftragte dann einen Privatdetektiv, Hans Peters, der weitere Erkundigungen einzog. Da der Streit innerhalb der gräflichen Familie mehr als dreißig Jahre zurücklag, gestalteten sich die Nachforschungen schwieriger, als gedacht. Indes war der Mann sein Geld wert, denn es gelang Hans Peters herauszufinden, dass Graf Richard seit einigen Jahren nicht mehr lebte.

Diese Nachricht war für Wilfried von Andersberg ein Schock, und Sebastian verbrachte viel Zeit mit dem gebrochenen Mann, um ihm Trost zu spenden und ihn seelisch wieder aufzurichten.

Nun hatte Hans Peters aber noch mehr herausgefunden. Nämlich, dass der Grafensohn den Namen Anders angenommen hatte, verheiratet gewesen war und nebst der Witwe, auch einen Sohn hinterlassen hatte.

Es dauerte wiederum seine Zeit, bis der Detektiv genauer recherchiert hatte. Dann zeigte sich, dass die Frau des Grafensohnes ebenfalls verstorben war, deren Kind aber lebte und in Nürnberg studierte.

Die Tatsache, dass er zumindest einen Enkel hatte, richtete Graf Wilfried wieder auf. Zusammen mit Pfarrer Trenker berieten er und der Anwalt, wie es am besten sei, mit Felix Anders Kontakt aufzunehmen. Sebastian bot an, den Grafen nach Nürnberg zu begleiten und den jungen Mann zunächst einmal behutsam auf die Begegnung mit seinem Großvater vorzubereiten.

Doch dann wurde dieses Vorhaben durch ein Unglück vereitelt!

Graf Wilfried erlitt einen Schlaganfall und verbrachte längere Zeit im Krankenhaus. Inzwischen war er auf das Schloss zurückgekehrt, doch verbot ihm die Erkrankung, von der er sich nur schlecht wieder erholte, eine Fahrt nach Nürnberg.

Indes drängte die Zeit. Wilfried von Andersberg war überzeugt, nicht mehr lange zu leben, und wollte diese Welt nicht verlassen, ohne alles geregelt zu haben. Vor allem seine Nachfolge. Immerhin würde sonst ein Neffe, der Sohn seines verstorbenen Bruders, das Schloss samt Ländereien, der Fischzucht, der Jagd und dem landwirtschaftlichen Gut erben. Doch der Graf hatte kein gutes Gefühl bei dem Gedanken, dass Ralf von Andersberg Chef der Adelsfamilie werden sollte …

»Ich glaube, wir sind da«, sagte der Anwalt und riss Sebastian aus seinen Gedanken.

Der Bergpfarrer schaute aus dem Seitenfenster. Sie standen vor einem gut erhaltenen Bürgerhaus, das wohl in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts erbaut worden war. Es hatte mehrere Stockwerke, die Fassade war mit Traufen und Erkern verziert. Es war alt, aber hübsch anzusehen.

Die beiden Männer stiegen aus, und Gerhard Wilde schloss die Türen mit der Fernbedienung.

»Na, dann wollen wir mal«, meinte er und suchte nach dem Klingelknopf.

*

Felix hatte nicht besonders gut geschlafen, was wohl weniger an den Kartoffelchips und dem Hefeweizen am Vorabend lag, sondern vielmehr am bevorstehenden Besuch des Rechtsanwalts aus München.

Wenn der sich extra die Mühe machte, persönlich herzukommen, dann musste ja wohl doch etwas an der Sache dran sein.

Obwohl, er verstand es immer noch nicht. Die halbe Nacht hatte der Student wach gelegen und gegrübelt. Sein Vater hatte nie die leiseste Andeutung gemacht, und auch Henriette, seine Mutter, eine geborene Brunner, hatte nicht ein einziges Mal auch nur ein Wort darüber erwähnt, irgendwas in der Familie könne nicht stimmen. Auch nicht nach dem Tod des Vaters.

Entweder hatte sie nichts darüber gewusst, oder sie und ihr Mann hatten einen triftigen Grund gehabt, so verschwiegen zu sein.

Felix argwöhnte, dass er sich so langsam mit dem Gedanken vertraut würde machen müssen, dass er doch der Enkelsohn eines waschechten Grafen war, und dass sich unter Umständen sein ganzes bisheriges Leben von heute auf morgen ändern würde!