8,99 €
»Tragen wir einen Dank davon für alle Mühe und Sorge, der uns selbst zu überdauern vermag, so ist es der für die Sammlung der Märchen«, so hat 1860 Jacob Grimm seines verstorbenen Bruders gedacht. Den Märchen verdanken die Grimms ihren Ruhm - dem meistaufgelegten weitestverbreiteten und bestbekannten deutschsprachigen Buch aller Zeiten. Indem sie auf der Suche waren nach dem echten und alten Volksmärchen, indem sie diesem sich, mit jedem Schritt ihrer Arbeit, zu nähern glaubten, schufen sie doch etwas anderes: eine ganz neue literarische Gattung, das Grimmsche Buchmärchen mit seinem kanonbildenden Repertoire und dem unverwechselbaren, fortan vorbildlichen Ton.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 395
Veröffentlichungsjahr: 2014
»Die hier durch einen Nachdruck in ihrer Originalgestalt wieder zugänglich gemachte ›Kleine Ausgabe‹ der ›Kinder- und Hausmärchen‹ der Brüder Grimm repräsentiert nicht nur das späteste Zeugnis der langen und wechselvollen Textgeschichte dieses Werks, sondern ist zugleich auch die letzte Veröffentlichung Wilhelm Grimms. Es mutet wie folgerichtig an, daß er sein großes Lebenswerk mit einer neuen Auflage des Buches abschließen sollte, das sein in jeder Hinsicht erfolg- und folgenreichstes war und ist, das seinen und seines Bruders Jacob Ruhm begründete und in alle Welt trug.
Wurde doch die Märchenausgabe zu Lebzeiten der Brüder Grimm insgesamt nicht weniger als neunzehnmal aufgelegt: Die sogenannte ›Große Ausgabe‹ erschien zwischen 1812/15 und 1857 siebenmal, die ›Kleine Ausgabe‹ zwischen 1825 und 1858 zehnmal […] Die ›Kinder- und Hausmärchen‹ sind das bestbekannte, meistübersetzte und wohl meistverbreitete deutschsprachige Buch aller Zeiten. Diesen ungeheuren Erfolg hat zumindest in den Anfängen der Wirkungsgeschichte die hier vorliegende ›Kleine Ausgabe‹ bewirkt.« Heinz Rölleke
Jacob (Ludwig Karl) Grimm, geboren am 4. Januar 1785 in Hanau, ist am 20. September 1863 in Berlin gestorben. Wilhelm (Karl) Grimm, geboren am 24. Februar 1786 in Hanau, ist am 16. Dezember 1859 in Berlin gestorben. Die beiden Begründer der modernen Germanistik und engagierten Demokraten gaben zwischen 1812 und 1815 die
GRIMMS MÄRCHEN
Kleine Ausgabe
Mit einem Nachwort von Heinz Rölleke
eBook Insel Verlag Berlin 2014
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des insel taschenbuchs 4508.
© Insel Verlag Frankfurt am Main 1985
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form
(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)
ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert
oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet,
vervielfältigt oder verbreitet werden.
Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr.
Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar.
Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn
Umschlag: bürosüd, München
Umschlagfoto: Antar Dayal/Getty Images
eISBN 978-3-458-75380-3
1. Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich
2. Marienkind
3. Märchen von einem, der auszog das Fürchten zu lernen
4. Der Wolf und die sieben jungen Geislein
5. Der treue Johannes
6. Der gute Handel
7. Die zwölf Brüder
8. Das Lumpengesindel
9. Brüderchen und Schwesterchen
10. Die drei Männlein im Walde
11. Die drei Spinnerinnen
12. Hänsel und Grethel
13. Von dem Fischer un syner Fru
14. Aschenputtel
15. Frau Holle
16. Die sieben Raben
17. Rothkäppchen
18. Die Bremer Stadtmusikanten
19. Die kluge Else
20. Daumesdick
21. Daumerlings Wanderschaft
22. Fitchers Vogel
23. Von dem Machandelboom
24. Dornröschen
25. Fundevogel
26. König Drosselbart
27. Sneewittchen
28. Rumpelstilzchen
29. Der Hund und der Sperling
30. Der Frieder und das Catherlieschen
31. Allerleirauh
32. Jorinde und Joringel
33. Hans im Glück
34. Der Arme und der Reiche
35. Die Gänsemagd
36. Die kluge Bauerntochter
37. Doctor Allwissend
38. Der Zaunkönig und der Bär
39. Die klugen Leute
40. Märchen von der Unke
41. Der arme Müllerbursch und das Kätzchen
42. Der Jude im Dorn
43. Vom klugen Schneiderlein
44. Schneeweißchen und Rosenroth
45. Die vier kunstreichen Brüder
46. Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein
47. Die weiße und die schwarze Braut
48. Die drei Faulen
49. Von dem Tode des Hühnchens
50. Die Sternthaler
Nachwort
In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat, lebte ein König, dessen Töchter waren alle schön, aber die jüngste war so schön, daß die Sonne selber, die doch so vieles gesehen hat, sich verwunderte, so oft sie ihr ins Gesicht schien. Nahe bei dem Schlosse des Königs lag ein großer dunkler Wald, und in dem Walde unter einer alten Linde war ein Brunnen: wenn nun der Tag recht heiß war, so gieng das Königskind hinaus in den Wald, und setzte sich an den Rand des kühlen Brunnens: und wenn sie Langeweile hatte, so nahm sie eine goldene Kugel, warf sie in die Höhe und fieng sie wieder; und das war ihr liebstes Spielwerk.
Nun trug es sich einmal zu, daß die goldene Kugel der Königstochter nicht in ihr Händchen fiel, das sie in die Höhe gehalten hatte, sondern vorbei auf die Erde schlug, und geradezu ins Wasser hinein rollte. Die Königstochter folgte ihr mit den Augen nach, aber die Kugel verschwand, und der Brunnen war so tief, daß man keinen Grund sah. Da fieng sie an zu weinen, und weinte immer lauter und konnte sich gar nicht trösten. Und wie sie so klagte, rief ihr jemand zu »was hast du vor, Königstochter, du schreist ja, daß sich ein Stein erbarmen möchte?« Sie sah sich um, woher die Stimme käme, da erblickte sie einen Frosch, der seinen dicken häßlichen Kopf aus dem Wasser streckte. »Ach, du bist's, alter Wasserpatscher«, sagte sie, »ich weine über meine goldene Kugel, die mir in den Brunnen hinabgefallen ist.« »Sei still«, antwortete der Frosch, »ich kann wohl Rath schaffen, aber was gibst du mir, wenn ich dein Spielwerk wieder herauf hole?« »Was du haben willst, lieber Frosch«, sagte sie, »meine Kleider, meine Perlen und Edelsteine, auch noch die goldene Krone, die ich trage.« Der Frosch antwortete »deine Kleider, deine Perlen und Edelsteine, und deine goldene Krone, die mag ich nicht: aber wenn du mich lieb haben willst, und ich soll dein Geselle und Spielkamerad sein, an deinem Tischlein neben dir sitzen, von deinem goldenen Tellerlein essen, aus deinem Becherlein trinken, in deinem Bettlein schlafen: wenn du mir das versprichst, so will ich hinunter steigen und dir die goldene Kugel wieder herauf holen«. »Ach ja«, sagte sie, »ich verspreche dir alles, was du willst, wenn du mir nur die Kugel wieder bringst.« Sie dachte aber, »was der einfältige Frosch schwätzt, der sitzt im Wasser bei seines Gleichen und quakt, und kann keines Menschen Geselle sein«.
Der Frosch, als er die Zusage erhalten hatte, tauchte seinen Kopf unter, sank hinab, und über ein Weilchen kam er wieder herauf gerudert, hatte die Kugel im Maul und warf sie ins Gras. Die Königstochter war voll Freude, als sie ihr schönes Spielwerk wieder erblickte, hob es auf und sprang damit fort. »Warte, warte«, rief der Frosch, »nimm mich mit, ich kann nicht so laufen wie du.« Aber was half ihm, daß er sein quack quack so laut nachschrie, als er konnte! sie hörte nicht darauf, eilte nach Haus, und hatte bald den armen Frosch vergessen, der wieder in seinen Brunnen hinabsteigen mußte.
Am andern Tage, als sie mit dem König und allen Hofleuten sich zur Tafel gesetzt hatte, und von ihrem goldenen Tellerlein aß, da kam, plitsch platsch, plitsch platsch, etwas die Marmortreppe herauf gekrochen, und als es oben angelangt war, klopfte es an der Thür und rief »Königstochter, jüngste, mach mir auf«. Sie lief und wollte sehen, wer draußen wäre, als sie aber aufmachte, so saß der Frosch davor. Da warf sie die Thür hastig zu, setzte sich wieder an den Tisch, und war ihr ganz angst. Der König sah wohl, daß ihr das Herz gewaltig klopfte und sprach »mein Kind, was fürchtest du dich, steht etwa ein Riese vor der Thür und will dich holen?« »Ach nein«, antwortete sie, »es ist kein Riese, es ist ein garstiger Frosch.« »Was will der Frosch von dir?« »Ach, lieber Vater, als ich gestern im Wald beim Brunnen saß und spielte, da fiel meine goldene Kugel ins Wasser. Und weil ich so weinte, so hat sie der Frosch wieder herauf geholt: und weil er es durchaus verlangte, so versprach ich ihm, er sollte mein Geselle werden, ich dachte aber nimmermehr, daß er aus seinem Wasser heraus könnte. Nun ist er draußen und will zu mir herein.« Indem klopfte es zum zweitenmal und rief:
»Königstochter, jüngste,
mach mir auf,
weißt du nicht, was gestern
du zu mir gesagt
bei dem kühlen Brunnenwasser;
Königstochter, jüngste,
mach mir auf !«
Da sagte der König »was du versprochen hast, das mußt du auch halten; geh nur und mach ihm auf«. Sie gieng und öffnete die Thüre, da hüpfte der Frosch herein, ihr immer auf dem Fuße nach, bis zu ihrem Stuhl. Da saß er und rief »heb mich herauf zu dir«. Sie zauderte, bis es endlich der König befahl. Der Frosch sprang von dem Stuhl auf den Tisch und sprach »nun schieb mir dein goldenes Tellerlein näher, damit wir zusammen essen«. Das that sie zwar, aber man sah wohl, daß sies nicht gerne that. Der Frosch ließ sichs gut schmecken, aber ihr blieb fast jedes Bißlein im Halse. Endlich sprach er »nun hab ich mich satt gegessen und bin müde, trag mich hinauf in dein Kämmerlein und mache dein seiden Bettlein zurecht, da wollen wir uns schlafen legen«. Da fieng die Königstochter an zu weinen, sie fürchtete sich vor dem kalten Frosch, den sie nicht anzurühren getraute, und der nun in ihrem schönen reinen Bettlein schlafen sollte. Der König aber ward zornig und sprach »wer dir geholfen hat als du in der Noth warst, den sollst du hernach nicht verachten«. Da packte sie ihn mit zwei Fingern, trug ihn hinauf und setzte ihn in eine Ecke. Als sie aber im Bette lag, kam er gekrochen und sprach »ich bin müde, ich will schlafen so gut wie du: heb mich herauf oder ich sags deinem Vater«. Da ward sie bitterböse, holte ihn herauf und warf ihn aus allen Kräften wider die Wand, »nun wirst du Ruhe haben, du garstiger Frosch«.
Als er aber herab fiel, da war er kein Frosch, sondern ein Königssohn mit schönen und freundlichen Augen. Der war nun nach ihres Vaters Willen ihr lieber Geselle und Gemahl. Da erzählte er ihr, er wäre von einer bösen Hexe verwünscht worden, und Niemand hätte ihn aus dem Brunnen erlösen können, als sie allein, und morgen wollten sie zusammen in sein Reich gehen. Dann schliefen sie ein, und am andern Morgen, als die Sonne sie aufweckte, kam ein Wagen heran gefahren mit acht weißen Pferden bespannt, die hatten weiße Straußfedern auf dem Kopf und giengen in goldenen Ketten, und hinten stand der Diener des jungen Königs, das war der treue Heinrich. Der treue Heinrich hatte sich so betrübt, als sein Herr war in einen Frosch verwandelt worden, daß er drei eiserne Bande hatte um sein Herz legen lassen, damit es ihm nicht vor Weh und Traurigkeit zerspränge. Der Wagen aber sollte den jungen König in sein Reich abholen; der treue Heinrich hob beide hinein, stellte sich wieder hinten auf und war voller Freude über die Erlösung. Und als sie ein Stück Wegs gefahren waren, hörte der Königssohn, daß es hinter ihm krachte, als wäre etwas zerbrochen. Da drehte er sich um und rief:
»Heinrich, der Wagen bricht.«
»Nein, Herr, der Wagen nicht,
es ist ein Band von meinem Herzen,
das da lag in großen Schmerzen,
als ihr in dem Brunnen saßt,
als ihr eine Fretsche (Frosch) wast (wart).«
Vor einem großen Walde lebte ein Holzhacker mit seiner Frau, der hatte nur ein einziges Kind, das war ein Mädchen von drei Jahren. Sie waren aber so arm, daß sie nicht mehr das tägliche Brot hatten und nicht wußten, was sie ihm sollten zu essen geben. Eines Morgens gieng der Holzhacker voller Sorgen hinaus in den Wald an seine Arbeit, und wie er da Holz hackte, stand auf einmal eine schöne große Frau vor ihm, die hatte eine Krone von leuchtenden Sternen auf dem Haupt und sprach zu ihm, »ich bin die Jungfrau Maria, die Mutter des Christkindleins; du bist arm und dürftig, bring mir dein Kind, ich will es mit mir nehmen, und seine Mutter sein und für es sorgen«. Der Holzhacker gehorchte, holte sein Kind und übergab es der Jungfrau Maria, die nahm es mit sich hinauf in den Himmel. Da gieng es ihm wohl, es aß Zuckerbrot und trank süße Milch, und seine Kleider waren von Gold und die Englein spielten mit ihm. Als es nun vierzehn Jahr alt geworden war, rief es einmal die Jungfrau Maria zu sich und sprach »liebes Kind, ich habe eine große Reise vor, da nimm die Schlüssel zu den dreizehn Thüren des Himmelreichs in Verwahrung: zwölf davon darfst du aufschließen und die Herrlichkeiten darin betrachten, aber die dreizehnte, wozu dieser kleine Schlüssel gehört, die ist dir verboten: hüte dich, daß du sie nicht aufschließest, sonst wirst du unglücklich«. Das Mädchen versprach gehorsam zu sein, und als nun die Jungfrau Maria weg war, fieng es an und besah die Wohnungen des Himmelreichs: jeden Tag schloß es eine auf, bis die zwölfe herum waren. In jeder aber saß ein Apostel, und war von Licht und Glanz umgeben. Es freute sich über all die Pracht und Herrlichkeit, und die Englein, die es immer begleiteten, freuten sich mit ihm. Nun war allein noch die verbotene Thür übrig, da empfand es eine große Lust zu wissen, was dahinter verborgen wäre, und sprach zu den Englein »ganz aufmachen will ich sie nicht, aber ich will sie aufschließen, damit wir ein wenig durch den Ritz sehen«. »Ach nein«, sagten die Englein, »das wäre Sünde: die Jungfrau Maria hats verboten, und es könnte leicht dein Unglück werden.« Da schwieg es still, aber die Lust und Neugier in seinem Herzen schwieg nicht still, sondern nagte und pickte ordentlich daran, und ließ ihm keine Ruhe. Und als die Englein einmal hinausgegangen waren, dachte es »nun bin ich ganz allein und könnte einmal hinein gucken, es weiß es ja niemand, wenn ich es thue«. Es suchte den Schlüssel heraus, und als es ihn in der Hand hielt, steckte es ihn auch in das Schloß, und als es ihn hineingesteckt hatte, drehte es auch um. Da sprang die Thüre auf, und es sah da die Dreieinigkeit im Feuer und Glanz sitzen und betrachtete alles mit Erstaunen, dann rührte es ein klein wenig mit dem Finger an den Glanz, da ward der Finger ganz golden. Da empfand es eine gewaltige Angst, schlug die Thür heftig zu und lief fort. Die Angst wollte auch nicht wieder weichen, es mochte anfangen, was es wollte, und das Herz klopfte in einem fort und wollte nicht ruhig werden; auch das Gold blieb an dem Finger und gieng nicht ab, es mochte waschen und reiben, so viel es wollte.
Gar nicht lange, so kam die Jungfrau Maria von ihrer Reise zurück. Sie rief das Mädchen zu sich und forderte ihm die Himmelsschlüssel wieder ab. Indem es den Bund hinreichte, blickte ihm die Jungfrau in die Augen und sprach »hast du auch nicht die dreizehnte Thür geöffnet?« »Nein«, antwortete es. Da legte sie ihre Hand auf sein Herz, fühlte wie es klopfte und klopfte, und merkte wohl, daß es ihr Gebot übertreten und die Thür aufgeschlossen hatte. Da sprach sie noch einmal »hast du es gewiß nicht gethan?« »Nein«, sagte das Mädchen zum zweitenmal. Da erblickte sie den Finger, der von der Berührung des himmlischen Feuers golden geworden war, und sah wohl, daß es gesündigt hatte, und sprach zum drittenmal »hast du es nicht gethan?« »Nein«, sagte das Mädchen zum drittenmal. Da sprach die Jungfrau Maria »du hast mir nicht gehorcht und hast noch dazu gelogen, du bist nicht mehr würdig im Himmel zu sein«.
Da versank das Mädchen in einen tiefen Schlaf, und als es erwachte, lag es unten auf der Erde, mitten in einer Wildniß. Es wollte rufen, aber es konnte keinen Laut hervorbringen: es sprang auf und wollte fortlaufen, aber wo es sich hinwendete, immer ward es von dichten Dornhecken zurück gehalten, die es nicht durchbrechen konnte. Mitten in der Einöde stand ein alter hohler Baum, das mußte seine Wohnung sein. Da kroch es hinein, wenn die Nacht kam, und wenn es stürmte und regnete, fand es darin Schutz. Aber es war ein jämmerliches Leben, und wenn es daran dachte, wie es im Himmel so schön gewesen war und die Engel mit ihm gespielt hatten, so weinte es bitterlich. Wurzeln und Waldbeeren waren seine einzige Nahrung: die suchte es sich so weit es kommen konnte. Im Herbst sammelte es die herab gefallenen Nüsse und Blätter und trug sie in die Höhle, die Nüsse waren im Winter seine Speise und wenn Schnee und Eis kam, so kroch es wie ein armes Thierchen in die Blätter, daß es nicht fror. Nicht lange, so zerrissen seine Kleider und ein Stück nach dem andern fiel vom Leib herab. Sobald dann die Sonne wieder warm schien, ging es heraus und setzte sich vor den Baum, und seine langen Haare bedeckten es von allen Seiten wie ein Mantel. So saß es ein Jahr nach dem andern und fühlte den Jammer und das Elend der Welt.
Einmal, als die Bäume wieder in frischem Grün standen, jagte der König des Landes in dem Wald und verfolgte ein Reh, und weil es in das Gebüsch geflohen war, das den hohlen Baum einschloß, stieg er ab, riß das Gestrüppe aus einander und hieb sich mit seinem Schwert einen Weg. Als er nun hindurch gedrungen war, sah er unter dem Baum ein wunderschönes Mädchen, das saß da und war von seinem goldenen Haar bis zu den Fußzehen bedeckt. Er stand still und betrachtete es voll Erstaunen, dann redete er es an und sprach »wer bist du? warum sitzest du hier in der Einöde?« Es gab aber keine Antwort, denn es konnte seinen Mund nicht aufthun. Der König sprach weiter »willst du mit mir auf mein Schloß gehen?« Da nickte es nur ein wenig mit dem Kopf. Der König nahm es auf seinen Arm, trug es auf sein Pferd und ritt mit ihm heim. Und als er in das königliche Schloß kam, ließ er ihm schöne Kleider anziehen und gab ihm alles im Ueberfluß. Und ob es gleich nicht sprechen konnte, so war es doch so schön und holdselig, daß er es von Herzen lieb gewann, und es dauerte nicht lange, so vermählte er sich mit ihm.
Als etwa ein Jahr verflossen war, brachte die Königin einen Sohn zur Welt. Darauf in der Nacht, als sie allein in ihrem Bette lag, erschien ihr die Jungfrau Maria und sprach »willst du die Wahrheit sagen und gestehen, daß du die verbotene Thür aufgeschlossen hast, so will ich deinen Mund öffnen und dir die Sprache wieder geben, verharrst du aber in der Sünde und leugnest hartnäckig, so nehm ich dein neugebornes Kind mit mir«. Da war der Königin verliehen zu antworten, sie blieb aber verstockt und sprach »nein, ich habe die verbotene Thür nicht aufgemacht«, und die Jungfrau Maria nahm das neugeborne Kind ihr aus den Armen und verschwand damit. Am andern Morgen, als das Kind nicht zu finden war, gieng ein Gemurmel unter den Leuten, die Königin wäre eine Menschenfresserin und hätte ihr eigenes Kind umgebracht. Sie hörte alles, und konnte nichts dagegen sagen, der König aber wollte es nicht glauben, weil er sie so lieb hatte.
Nach einem Jahr gebar die Königin wieder einen Sohn. In der Nacht trat auch wieder die Jungfrau Maria zu ihr ein und sprach »willst du gestehen, daß du die verbotene Thüre geöffnet hast, so will ich dir dein Kind wiedergeben und deine Zunge lösen: verharrst du aber in der Sünde und leugnest, so nehme ich auch dieses neugeborne mit mir«. Da sprach die Königin wiederum »nein, ich habe die verbotene Thür nicht aufgemacht«, und die Jungfrau nahm ihr das Kind aus den Armen weg und mit sich in den Himmel. Am Morgen, als die Leute hörten, daß das Kind abermals verschwunden sei, sagten sie laut, die Königin hätte es gefressen, und des Königs Räthe verlangten, daß sie sollte gerichtet werden. Der König aber hatte sie so lieb, daß er es nicht glauben wollte, und befahl den Räthen bei Leibes- und Lebensstrafe nichts mehr darüber zu sprechen.
Im dritten Jahre gebar die Königin ein schönes Töchterlein, da erschien ihr auch wieder Nachts die Jungfrau Maria und sprach »folge mir«. Sie nahm sie bei der Hand und führte sie in den Himmel und zeigte ihr da ihre beiden ältesten Kinder, die lachten sie an und spielten mit der Weltkugel. Als sich die Königin darüber freuete, sprach die Jungfrau Maria »willst du nun eingestehen, daß du die verbotene Thür geöffnet hast, so will ich dir deine beiden Söhnlein zurück geben«. Die Königin antwortete zum drittenmal »nein, ich habe die verbotene Thür nicht geöffnet«. Da ließ sie die Jungfrau wieder zur Erde hinabsinken und nahm ihr auch das dritte Kind.
Am andern Morgen, als es ruchbar ward, riefen alle Leute laut »die Königin ist eine Menschenfresserin, sie muß verurtheilt werden!« und der König konnte seine Räthe nicht mehr zurückweisen. Es ward ein Gericht über sie gehalten, und weil sie nicht antworten und sich nicht vertheidigen konnte, ward sie verurtheilt auf dem Scheiterhaufen zu sterben. Das Holz wurde zusammengetragen, und als sie an den Pfahl festgebunden war, und das Feuer rings umher zu brennen anfieng, da schmolz das harte Eis des Stolzes und ihr Herz ward von Reue bewegt, und sie dachte »könnt ich vor meinem Tode gestehen, daß ich die Thüre geöffnet habe«. Da kam ihr die Stimme, daß sie laut rief »ja, Maria, ich habe es gethan!« Und alsbald fieng der Himmel an zu regnen und löschte die Feuerflammen, und über ihr brach ein Licht hervor, und die Jungfrau Maria kam herab und hatte die beiden Söhnlein zu ihren Seiten, das neu geborne Töchterlein auf dem Arm. Sie sprach freundlich zu ihr »wer seine Sünde bereut und gesteht, dem ist sie vergeben«, und reichte ihr die Kinder, löste ihr die Zunge und gab ihr Glück für das ganze Leben.
Ein Vater hatte zwei Söhne, davon war der älteste klug und gescheidt, und wußte sich in alles wohl zu schicken, der jüngste aber war dumm, konnte nichts begreifen und lernen: und wenn ihn die Leute sahen, sprachen sie »mit dem wird der Vater noch seine Last haben!« Wenn nun etwas zu thun war, so mußte es der älteste allzeit ausrichten: hieß ihn aber der Vater noch spät oder gar in der Nacht etwas holen, und der Weg gieng dabei über den Kirchhof oder sonst einen schaurigen Ort, so antwortete er wohl »ach, Vater es gruselt mir!« denn er fürchtete sich. Oder wenn Abends beim Feuer Geschichten erzählt wurden, wobei einem die Haut schaudert, so sprachen die Zuhörer manchmal »ach, es gruselt mir!« Der jüngste saß in einer Ecke und hörte das mit an, und konnte nicht begreifen, was es heißen sollte. »Immer sagen sie es gruselt mir! es gruselt mir! mir gruselts nicht: das wird wohl eine Kunst sein, von der ich auch nichts verstehe.«
Nun geschah es, daß der Vater einmal zu ihm sprach »hör du, in der Ecke dort, du wirst groß und stark, und mußt auch etwas lernen, womit du dein Brot verdienst. Siehst du, wie sich dein Bruder Mühe giebt, aber an dir ist Hopfen und Malz verloren«. »Ei, Vater«, antwortete er, »ich will gerne was lernen; ja, wenns angienge, so möchte ich lernen, daß mirs gruselte: davon verstehe ich noch gar nichts.« Der älteste lachte, als er das hörte, und dachte bei sich »du lieber Gott, was ist mein Bruder ein Dummbart, aus dem wird mein Lebtag nichts: was ein Häkchen werden will, muß sich bei Zeiten krümmen«. Der Vater seufzte und antwortete ihm »das Gruseln, das sollst 〈du〉 schon noch lernen, aber dein Brot wirst du damit nicht verdienen«.
Bald danach kam der Küster zum Besuch ins Haus, da klagte ihm der Vater seine Noth und erzählte, wie sein jüngster Sohn in allen Dingen so schlecht beschlagen wäre, er wüßte nichts und lernte nichts. »Denkt euch, als ich ihn fragte, womit er sein Brot verdienen wollte, hat er gar verlangt das Gruseln zu lernen.« »Wenns weiter nichts ist«, antwortete der Küster, »das kann er bei mir lernen, thut ihn nur zu mir, ich will ihn schon abhobeln.« Der Vater war es zufrieden, weil er dachte »der Junge wird doch ein wenig zugestutzt«. Der Küster nahm ihn also ins Haus, und er mußte die Glocke läuten. Nach ein paar Tagen weckte er ihn um Mitternacht, hieß ihn aufstehen, in den Kirchthurm steigen und läuten. »Du sollst schon lernen, was Gruseln ist«, dachte er, gieng heimlich voraus, und als der Junge oben war, und sich umdrehte und das Glockenseil fassen wollte, so sah er auf der Treppe, dem Schallloch gegenüber, eine weiße Gestalt stehen. »Wer da?« rief er, aber die Gestalt gab keine Antwort, regte und bewegte sich nicht. »Gib Antwort«, rief der Junge, »oder mache daß du fort kommst, du hast hier in der Nacht nichts zu schaffen.« Der Küster aber blieb unbeweglich stehen, damit der Junge glauben sollte, es wäre ein Gespenst. Der Junge rief zum zweitenmal »was willst du hier? sprich, wenn du ein ehrlicher Kerl bist, oder ich werfe dich die Treppe hinab«. Der Küster dachte »das wird so schlimm nicht gemeint sein«, gab keinen Laut von sich und stand, als wenn er von Stein wäre. Da rief ihn der Junge zum drittenmal an, und als das auch vergeblich war, nahm er einen Anlauf und stieß das Gespenst die Treppe hinab, daß es zehn Stufen hinab fiel und in einer Ecke liegen blieb. Darauf läutete er die Glocke, gieng heim, legte sich, ohne ein Wort zu sagen, ins Bett und schlief fort. Die Küsterfrau wartete lange Zeit auf ihren Mann, aber er wollte nicht wieder kommen. Da ward ihr endlich angst, sie weckte den Jungen und fragte »weißt du nicht, wo mein Mann geblieben ist? er ist vor dir auf den Thurm gestiegen«. »Nein«, antwortete der Junge, »aber da hat einer dem Schallloch gegenüber auf der Treppe gestanden, und weil er keine Antwort geben und auch nicht weggehen wollte, so habe ich ihn für einen Spitzbuben gehalten und hinunter gestoßen. Geht nur hin, so werdet ihr sehen ob ers gewesen ist, es sollte mir leid thun.« Die Frau sprang fort und fand ihren Mann, der in einer Ecke lag und jammerte, und ein Bein gebrochen hatte.
Sie trug ihn herab und eilte dann mit lautem Geschrei zu dem Vater des Jungen. »Euer Junge«, rief sie, »hat ein großes Unglück angerichtet, meinen Mann hat er die Treppe hinab geworfen, daß er ein Bein gebrochen hat: schafft den Taugenichts aus unserem Hause.« Der Vater erschrak, kam herbei gelaufen und schalt den Jungen aus. »Was sind das für gottlose Streiche, die muß dir der Böse eingegeben haben.« »Vater«, antwortete er, »hört nur an, ich bin ganz unschuldig: er stand da in der Nacht, wie einer, der böses im Sinne hat. Ich wußte nicht, wers war, und habe ihn dreimal ermahnt zu reden oder wegzugehen.« »Ach«, sprach der Vater, »mit dir erleb ich nur Unglück, geh mir aus den Augen, ich will dich nicht mehr ansehen.« »Ja, Vater, recht gerne, wartet nur bis Tag ist, da will ich ausgehen und das Gruseln lernen, so versteh ich doch auch eine Kunst, die mich ernähren kann.« »Lerne was du willst«, sprach der Vater, »mir ist alles einerlei. Da hast du funfzig Thaler, damit geh in die weite Welt, und sage keinem Menschen, wo du her bist und wer dein Vater ist, denn ich muß mich deiner schämen.« »Ja, Vater, wie ihrs haben wollt: wenn ihr nicht mehr verlangt, das kann ich leicht in Acht behalten.«
Als nun der Tag anbrach, steckte der Junge seine funfzig Thaler in die Tasche, gieng hinaus auf die große Landstraße und sprach immer vor sich hin »wenn mirs nur gruselte! wenn mirs nur gruselte!« Da kam ein Mann heran, der hörte das Gespräch, das der Junge mit sich selber führte, und als sie ein Stück weiter waren, daß man den Galgen sehen konnte, sagte er zu ihm »siehst du, dort ist der Baum, wo siebene mit des Seilers Tochter Hochzeit gehalten haben und jetzt das Fliegen lernen: setz dich darunter und warte bis die Nacht kommt, so wirst du schon das Gruseln lernen«. »Wenn weiter nichts dazu gehört«, antwortete der Junge, »das ist leicht gethan; lerne ich aber so geschwind das Gruseln, so sollst du meine funfzig Thaler haben: komm nur Morgen früh wieder zu mir.« Da gieng der Junge zu dem Galgen, setzte sich darunter und wartete, bis der Abend kam. Und weil ihn fror, machte er sich ein Feuer an: aber um Mitternacht ging der Wind so kalt, daß er trotz des Feuers nicht warm werden wollte. Und als der Wind die Gehenkten gegen einander stieß, daß sie sich hin und her bewegten, so dachte er »du frierst unten bei dem Feuer, was mögen die da oben erst frieren und zappeln«. Und weil er mitleidig war, legte er die Leiter an, stieg hinauf, knüpfte einen nach dem andern los und holte sie alle siebene herab. Darauf schürte er das Feuer, blies es an und setzte sie rings herum, daß sie sich wärmen sollten. Aber sie saßen da und regten sich nicht, und das Feuer ergriff ihre Kleider. Da sprach er »nehmt euch in Acht, sonst häng ich euch wieder hinauf«. Die Todten aber hörten nicht, schwiegen und ließen ihre Lumpen fort brennen. Da ward er bös und sprach »wenn ihr nicht Acht geben wollt, so kann ich euch nicht helfen, ich will nicht mit euch verbrennen«, und hieng sie nach der Reihe wieder hinauf. Nun setzte er sich zu seinem Feuer und schlief ein, und am andern Morgen, da kam der Mann zu ihm, wollte die funfzig Thaler haben, und sprach »nun, weißt du was gruseln ist?« »Nein«, antwortete er, »woher sollte ichs wissen? die da droben haben das Maul nicht aufgethan, und waren so dumm, daß sie die paar alten Lappen, die sie am Leibe haben, brennen ließen.« Da sah der Mann, daß er die funfzig Thaler heute nicht davon tragen würde, gieng fort und sprach »so einer ist mir noch nicht vorgekommen«.
Der Junge gieng auch seines Weges und fieng wieder an vor sich hin zu reden »ach, wenn mirs nur gruselte! ach, wenn mirs nur gruselte!« Das hörte ein Fuhrmann, der hinter ihm her schritt, und fragte »wer bist du?« »Ich weiß nicht«, antwortete der Junge. Der Fuhrmann fragte weiter »wo bist du her?« »Ich weiß nicht.« »Wer ist dein Vater?« »Das darf ich nicht sagen.« »Was brummst du beständig in den Bart hinein?« »Ei«, antwortete der Junge, »ich wollte, daß mirs gruselte, aber niemand kann mirs lehren.« »Laß dein dummes Geschwätz«, sprach der Fuhrmann, »komm, geh mit mir, ich will sehen, daß ich dich unterbringe.« Der Junge gieng mit dem Fuhrmann, und Abends gelangten sie zu einem Wirthshaus, wo sie übernachten wollten. Da sprach er beim Eintritt in die Stube wieder ganz laut »wenn mirs nur gruselte! wenn mirs nur gruselte!« Der Wirth, der das hörte, lachte und sprach »wenn dich danach lüstet, dazu sollte hier wohl Gelegenheit sein«. »Ach schweig stille«, sprach die Wirthsfrau, »so mancher Vorwitzige hat schon sein Leben eingebüßt, es wäre Jammer und Schade um die schönen Augen, wenn die das Tageslicht nicht wieder sehen sollten.« Der Junge aber sagte »wenns noch so schwer wäre, ich wills einmal lernen, deshalb bin ich ja ausgezogen«. Er ließ den 〈! 〉 Wirth auch keine Ruhe, bis dieser erzählte, nicht weit davon stände ein verwünschtes Schloß, wo einer wohl lernen könnte, was gruseln wäre, wenn er nur drei Nächte darin wachen wollte. Der König hätte dem, ders wagen wollte, seine Tochter zur Frau versprochen, und die wäre die schönste Jungfrau, welche die Sonne beschien: in dem Schlosse steckten auch große Schätze, von bösen Geistern bewacht, die würden dann frei, und könnten einen Armen reich genug machen. Schon viele wären wohl hinein, aber noch keiner wieder herausgekommen. Da gieng der Junge am andern Morgen vor den König und sprach »wenns erlaubt wäre, so wollte ich wohl drei Nächte in dem verwünschten Schloß wachen«. Der König sah ihn an, und weil er ihm gefiel, sprach er »du darfst dir noch dreierlei ausbitten, aber es müssen leblose Dinge sein, und darfst das mit ins Schloß nehmen«. Da antwortete er »so bitt ich um ein Feuer, eine Drehbank und eine Schnitzbank mit dem Messer«.
Der König ließ ihm das alles bei Tag in das Schloß tragen. Als es Nacht werden wollte, gieng der Junge hinauf, machte sich in einer Kammer ein helles Feuer an, stellte die Schnitzbank mit dem Messer daneben, und setzte sich auf die Drehbank. »Ach, wenn mirs nur gruselte!« sprach er, »aber hier werd ichs auch nicht lernen.« Gegen Mitternacht wollte er sich sein Feuer einmal aufschüren: wie er so hinein blies, da schries plötzlich aus einer Ecke »au, miau! was uns friert!« »Ihr Narren«, rief er, »was schreit ihr? wenn euch friert, kommt, setzt euch ans Feuer und wärmt euch.« Und wie er das gesagt hatte, kamen zwei große schwarze Katzen in einem gewaltigen Sprunge herbei, setzten sich ihm zu beiden Seiten und sahen ihn mit ihren feurigen Augen ganz wild an. Ueber ein Weilchen, als sie sich gewärmt hatten, sprachen sie »Kamerad, wollen wir eins in der Karte spielen?« »Warum nicht?« antwortete er, »aber zeigt einmal eure Pfoten her.« Da streckten sie die Krallen aus. »Ei«, sagte er, »was habt ihr lange Nägel! wartet, die muß ich euch erst abschneiden.« Damit packte er sie beim Kragen, hob sie auf die Schnitzbank und schraubte ihnen die Pfoten fest. »Euch habe ich auf die Finger gesehen«, sprach er, »da vergeht mir die Lust zum Kartenspiel«, schlug sie todt und warf sie hinaus ins Wasser. Als er aber die zwei zur Ruhe gebracht hatte und sich wieder zu seinem Feuer setzen wollte, da kamen aus allen Ecken und Enden schwarze Katzen und schwarze Hunde an glühenden Ketten, immer mehr und mehr, daß er sich nicht mehr bergen konnte: die schrien gräulich, traten ihm auf sein Feuer, zerrten es auseinander und wollten es ausmachen. Das sah er ein Weilchen ruhig mit an, als es ihm aber zu arg ward, faßte er sein Schnitzmesser, »du Gesindel, fort mit dir«, rief er, und hackte auf sie los. Ein Theil sprang weg, die anderen schlug er todt und warf sie hinaus in den Teich. Als er wieder gekommen war, blies er aus den Funken sein Feuer frisch an und wärmte sich. Und als er so saß, wollten ihm die Augen nicht länger offen bleiben und er bekam Lust zu schlafen. Da blickte er um sich und sah in der Ecke ein großes Bett; »das ist mir eben recht«, sprach er, und legte sich hinein. Als er aber die Augen eben zuthun wollte, so fieng das Bett von selbst an zu fahren, und fuhr im ganzen Schloß herum. »Recht so«, sprach er, »nur besser zu.« Da rollte das Bett fort, als wären sechs Pferde vorgespannt, über Schwellen und Treppen auf und ab: auf einmal, hopp hopp! warf es um, das unterste zu oberst, daß es wie ein Berg auf ihm lag. Aber er schleuderte Decken und Kissen in die Höhe, stieg heraus und sagte »nun mag fahren, wer Lust hat«, legte sich an sein Feuer und schlief bis es Tag war. Am Morgen kam der König, und als er ihn da auf der Erde liegen sah, meinte er die Gespenster hätten ihn umgebracht, und er wäre todt. Da sprach er, »es ist doch Schade um den schönen Menschen«. Das hörte der Junge, richtete sich auf und sprach »so weit ists noch nicht!« Da verwunderte sich der König, freute sich aber und fragte, wie es ihm gegangen wäre. »Recht gut«, antwortete er, »eine Nacht wäre herum, die zwei anderen werden auch herum gehen.« Als er zum Wirth kam, da machte der große Augen. »Ich dachte nicht«, sprach er, »daß ich dich wieder lebendig sehen würde, hast du nun gelernt, was Gruseln ist?« »Nein«, sagte er, »es ist alles vergeblich: wenn mirs nur einer sagen könnte!«
Die zweite Nacht gieng er abermals hinauf ins alte Schloß, setzte sich zum Feuer und fieng sein altes Lied wieder an »wenn mirs nur gruselte!« Wie Mitternacht herankam, ließ sich ein Lärm und Gepolter hören, erst sachte, dann immer stärker, dann wars ein bischen still, endlich kam mit lautem Geschrei ein halber Mensch den Schornstein herab und fiel vor ihm hin. »Heda!« rief er, »noch ein halber gehört dazu, das ist zu wenig.« Da gieng der Lärm von frischem an, es tobte und heulte, und fiel die andere Hälfte auch herab. »Wart«, sprach er, »ich will dir erst das Feuer ein wenig anblasen.« Wie er das gethan hatte und sich wieder umsah, da waren die beiden Stücke zusammengefahren, und saß da ein gräulicher Mann auf seinem Platz. »So ist's nicht gemeint«, sprach der Junge, »die Bank ist mein.« Der Mann wollte ihn wegdrängen, aber der Junge ließ sichs nicht gefallen, schob ihn mit Gewalt weg und setzte sich wieder auf seinen Platz. Da fielen noch mehr Männer herab, die hatten neun Todtenbeine und zwei Todtenköpfe, setzten auf und spielten Kegel. Der Junge bekam auch Lust und fragte »hört ihr, kann ich mit sein?« »Ja, wenn du Geld hast.« »Geld genug«, antwortete er, »aber eure Kugeln sind nicht recht rund.« Da nahm er die Todtenköpfe, setzte sie in die Drehbank und drehte sie rund. »So, jetzt werden sie besser schüppeln«, sprach er, »heida! nun gehts lustig!« Er spielte mit und verlor etwas von seinem Geld, als es aber zwölf Uhr schlug, war alles vor seinen Augen verschwunden: er legte sich nieder und schlief ruhig ein. Am andern Morgen kam der König und wollte sich erkundigen. »Wie ist dirs diesmal gegangen?« fragte er. »Ich habe gekegelt«, antwortete er, »und ein paar Heller verloren.« »Hat dir denn nicht gegruselt?« »Ei was«, sprach er, »lustig hab ich mich gemacht. Wenn ich nur wüßte, was Gruseln wäre!«
In der dritten Nacht setzte er sich wieder auf seine Bank und sprach ganz verdrießlich »wenn es mir nur gruselte!« Als es spät ward, kamen sechs große Männer und brachten eine Todtenlade herein getragen. Da sprach er »ha ha, das ist gewiß mein Vetterchen, das erst vor ein paar Tagen gestorben ist«, winkte mit dem Finger und rief »komm, Vetterchen, komm!« Sie stellten den Sarg auf die Erde, er aber gieng hinzu und nahm den Deckel ab: da lag ein todter Mann darin. Er fühlte ihm ans Gesicht, aber es war kalt wie Eis. »Wart«, sprach er, »ich will dich ein bischen wärmen«, gieng ans Feuer, wärmte seine Hand und legte sie ihm aufs Gesicht: aber der Todte blieb kalt. Nun nahm er ihn heraus, setzte sich ans Feuer, und legte ihn auf seinen Schooß, und rieb ihm die Arme, damit das Blut wieder in Bewegung kommen sollte. Als auch das nichts helfen wollte, fiel ihm ein »wenn zwei zusammen im Bett liegen, so wärmen sie sich«, brachte ihn ins Bett, deckte ihn zu und legte sich neben ihn. Ueber ein Weilchen ward auch der Todte warm und fieng an sich zu regen. Da sprach der Junge »siehst du, Vetterchen, hätt ich dich nicht gewärmt!« Der Todte aber hub an und rief »jetzt will ich dich erwürgen!« »Was«, sagte er, »ist das mein Dank? gleich sollst du wieder in deinen Sarg«, hub ihn auf, warf ihn hinein und machte den Deckel zu; da kamen die sechs Männer und trugen ihn wieder fort. »Es will mir nicht gruseln«, sagte er, »hier lerne ichs mein Lebtag nicht.«
Da trat ein Mann herein, der war größer als alle andere, und sah fürchterlich aus; er war aber alt und hatte einen langen weißen Bart. »O du Wicht«, rief er, »nun sollst du bald lernen, was Gruseln ist, denn du sollst sterben.« »Nicht so schnell«, antwortete der Junge, »soll ich sterben, so muß ich auch dabei sein.« »Dich will ich schon packen«, sprach der Unhold. »Sachte, sachte, mach dich nicht zu breit: so stark wie du bin ich auch, und wohl noch stärker.« »Das wollen wir sehn«, sprach der Alte, »bist du stärker als ich, so will ich dich gehen lassen; komm, wir wollens versuchen.« Da führte er ihn durch dunkle Gänge zu einem Schmiedefeuer, nahm eine Axt und schlug den einen Amboß mit einem Schlag in die Erde. »Das kann ich noch besser«, sprach der Junge, und gieng zu dem andern Amboß, und der Alte stellte sich neben hin und wollte zusehen, und sein weißer Bart hieng herab. Da faßte der Junge die Axt, zerspaltete den Amboß auf einen Hieb, und klemmte den Bart mit hinein. »Nun hab ich dich«, sprach der Junge, »jetzt ist das Sterben an dir.« Dann faßte er eine Eisenstange und schlug auf den Alten los, bis er wimmerte und bat, er möchte aufhören, er wollte ihm große Reichthümer geben. Der Junge zog die Axt raus und ließ den Alten los. Der Alte führte ihn wieder ins Schloß zurück und zeigte ihm in einem Keller drei Kasten voll Gold. »Davon«, sprach er, »ist ein Theil den Armen, der andere dem König, der dritte dein.« Indem schlug es zwölfe, und der Geist verschwand, also daß der Junge im Finstern stand. »Ich werde mir doch heraus helfen können«, sprach er, tappte herum, suchte den Weg in die Kammer und schlief bei seinem Feuer ein. Am andern Morgen kam der König und sagte »nun wirst du gelernt haben, was Gruseln ist?« »Nein«, antwortete er, »was ists nur? mein todter Vetter war da, und ein bärtiger Mann ist gekommen, der hat mir da unten viel Geld gezeigt, aber was Gruseln ist, hat mir keiner gesagt.« Da sprach der König »du hast das Schloß erlöst, und sollst meine Tochter heirathen«. »Das ist all recht gut«, antwortete er, »aber ich weiß immer noch nicht, was Gruseln ist.«
Da ward das Gold herauf gebracht und die Hochzeit gefeiert, aber der junge König, so lieb er seine Gemahlin hatte und so vergnügt er war, sagte doch immer »wenn mir nur gruselte, wenn mir nur gruselte«. Das verdroß sie endlich. Ihr Kammermädchen sprach »ich will Hilfe schaffen, das Gruseln soll er schon lernen«. Sie gieng hinaus zum Bach, der durch den Garten floß, und ließ sich einen ganzen Eimer voll Gründlinge holen. Und Nachts, als der junge König schlief, mußte seine Gemahlin ihm die Decke wegziehen und den Eimer voll kalt Wasser mit den Gründlingen über ihn herschütten, daß die kleinen Fische um ihn herum zappelten. Da wachte er auf und rief »ach, was gruselt mir, was gruselt mir, liebe Frau! Ja, nun weiß ich, was Gruseln ist«.
Es war einmal eine alte Geis, die hatte sieben junge Geislein, und hatte sie lieb, wie eine Mutter ihre Kinder lieb hat. Eines Tages wollte sie in den Wald gehen und Futter holen, da rief sie alle sieben herbei und sprach »liebe Kinder, ich will hinaus in den Wald, seid auf eurer Hut vor dem Wolf: wenn er herein kommt, so frißt er euch alle mit Haut und Haar. Der Bösewicht verstellt sich oft, aber an seiner rauhen Stimme und an seinen schwarzen Füßen werdet ihr ihn erkennen«. Die Geislein sagten »liebe Mutter, wir wollen uns schon in Acht nehmen, Ihr könnt ohne Sorge fortgehen«. Da meckerte die Alte und machte sich getrost auf den Weg.
Es dauerte nicht lange, so klopfte jemand an die Hausthür und rief »macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da, und hat jedem von euch etwas mitgebracht«. Aber die Geiserchen hörten an der rauhen Stimme, daß es der Wolf war. »Wir machen nicht auf«, riefen sie, »du bist unsere Mutter nicht, die hat eine feine und liebliche Stimme, aber deine Stimme ist rauh: du bist der Wolf.« Da gieng der Wolf fort zu einem Krämer und kaufte sich ein großes Stück Kreide: die aß er und machte damit seine Stimme fein. Dann kam er zurück, klopfte an die Hausthür und rief »macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht«. Aber der Wolf hatte seine schwarze Pfote in das Fenster gelegt, das sahen die Kinder und riefen »wir machen nicht auf, unsere Mutter hat keinen schwarzen Fuß, wie du: du bist der Wolf«. Da lief der Wolf zu einem Bäcker und sprach »ich habe mich an den Fuß gestoßen, streich mir Teig darüber«. Und als ihm der Bäcker die Pfote bestrichen hatte, so lief er zum Müller und sprach »streu mir weißes Mehl auf meine Pfote«. Der Müller dachte »der Wolf will einen betrügen« und weigerte sich, aber der Wolf sprach »wenn du es nicht thust, so fresse ich dich«. Da fürchtete sich der Müller und machte ihm die Pfote weiß. Ja, so sind die Menschen.
Nun gieng der Bösewicht zum drittenmal zu der Hausthüre, klopfte an und sprach »macht mir auf, Kinder, euer liebes Mütterchen ist heim gekommen und hat jedem von euch etwas aus dem Walde mitgebracht«. Die Geiserchen riefen »zeig uns erst deine Pfote, damit wir wissen, daß du unser liebes Mütterchen bist«. Da legte er die Pfote ins Fenster, und als sie sahen, daß sie weiß war, so glaubten sie, es wäre alles wahr, und machten die Thüre auf. Wer aber hereinkam, das war der Wolf. Sie erschraken und wollten sich verstecken. Das eine sprang unter den Tisch, das zweite ins Bett, das dritte in den Ofen, das vierte in die Küche, das fünfte in den Schrank, das sechste unter die Waschschüssel, das siebente in den Kasten der Wanduhr. Aber der Wolf fand sie alle und machte nicht langes Federlesen: eins nach dem andern schluckte er in seinen Rachen; nur das jüngste in dem Uhrkasten das fand er nicht. Als der Wolf seine Lust gebüßt hatte, trollte er sich fort, legte sich draußen auf der grünen Wiese unter einen Baum und fieng an einzuschlafen.
Nicht lange danach kam die alte Geis aus dem Walde wieder heim. Ach was mußte sie da erblicken! Die Hausthür stand sperrweit auf: Tisch, Stühle und Bänke waren umgeworfen, die Waschschüssel lag in Scherben, Decke und Kissen waren aus dem Bett gezogen. Sie suchte ihre Kinder, aber nirgend waren sie zu finden. Sie rief sie nach einander bei Namen, aber niemand antwortete. Endlich als sie an das jüngste kam, da rief eine feine Stimme »liebe Mutter, ich stecke im Uhrkasten«. Sie holte es heraus und es erzählte ihr, daß der Wolf doch gekommen wäre und die andern alle gefressen hätte. Da könnt ihr denken, wie sie über ihre armen Kinder geweint hat.
Endlich gieng sie in ihrem Jammer hinaus, und das jüngste Geislein lief mit. Und als sie auf die Wiese kam, so lag da der Wolf an dem Baum und schnarchte, daß die Aeste zitterten. Sie betrachtete ihn von allen Seiten, und sah, daß in seinem angefüllten Bauch sich etwas regte und zappelte. »Ach Gott«, dachte sie »sollten meine armen Kinder, die er zum Abendbrot hinunter gewürgt hat, noch am Leben sein?« Da mußte das Geislein nach Haus laufen und Scheere, Nadel und Zwirn holen. Dann schnitt sie dem Ungethüm den Wanst auf, und kaum hatte sie einen Schnitt gethan, so steckte schon ein Geislein den Kopf heraus, und als sie weiter schnitt, so sprangen nach einander alle sechse heraus, und hatten nicht einmal