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Dieses Taschenbuch beschreibt Märchen und Sagen von Drachen. Drachen sind seit Jahrhunderten faszinierende Wesen in Mythen und Geschichten, die in vielen Kulturen auf der ganzen Welt verehrt wurden. Der Inhalt wird aus alten Quellen bezogen und neu veröffentlicht. Mit dem vorliegenden Buch lernt man mit den Sagen und die eigene Heimat besser kennen.
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Seitenzahl: 199
Veröffentlichungsjahr: 2025
Herausgeber
Erik Schreiber
Märchen Sagen und Legenden
Gudrun und Beowulf
Saphir im Stahl
Märchen Sagen und Legenden 6
e-book: 284
Titel: Gudrun und Beowulf
Erscheinungstermin: 01.03.2025
© Saphir im Stahl Verlag
Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
www.saphir-im-stahl.de
Titelbild: Franziska Wenzel
Lektorat: Peter Heller
Vertrieb neobook
Herausgeber
Erik Schreiber
Märchen Sagen und Legenden
Gudrun und Beowulf
Saphir im Stahl
Die Hegelingensage
Hagen
Zu Balian, der stolzen Burg des Königs Sigeband in Irland, ward das Sonnenwendefest gefeiert. Der Herrscher hatte die Edlen seines Reiches und noch manchen Degen geladen; man beging das Fest in Wonne bei Schmaus und Becherklang. Da war des Turnierens kein Ende, während treffliche Spielleute mit Saitenspiel und Gesang die Gäste ergötzten. Auch die Kinder waren frohen Mutes, die Knaben warfen Gere und schossen mit Bogen und Pfeilen, und die Königin Ute freute sich, dass ihr kleiner Sohn Hagen seine Gespielen an Kraft und Geschick übertraf. Jetzt stürmten die Knaben fort, die Geschosse wiederzuholen.
Der junge Königssohn war den anderen weit voraus und bemühte sich, den Ger aus der durchbohrten Scheibe zu ziehen. Da rief ein greiser Mann den Kindern zu, sie sollten eilends zurückkehren und sich bergen, es sei Gefahr für sie vorhanden. Er deutete nach oben, indem er hinzufügte:
„Ein Greif!“
Frau Ute blickte in die Höhe und sah hoch am Himmel einen dunklen Punkt, der ihr ungefährlich schien; aber er näherte sich mit der Schnelligkeit des Blitzes und ward immer größer. Jetzt hörte man ein Brausen wie Sturmwind und gewaltigen Flügelschlag.
Die anderen Knaben hatten sich geflüchtet; nur Hagen stand kühn mit dem Speer in der kindlichen Hand und schleuderte ihn dem entsetzlichen Vogel entgegen. Die Waffe prallte wirkungslos von dem Gefieder zurück, und im nächsten Augenblick hatte das Untier den Knaben mit den Fängen ergriffen, schwebte mit ihm in hoher Luft und verschwand bald in weiter Ferne.
So war die festliche Freude in Klage und Jammer verkehrt, denn wenn auch mancher Held gern den Kampf mit dem Greif gewagt hätte, so konnte er ihn doch mit dem besten Rosse nicht erjagen, und wohin er geflogen war, wusste niemand. Also schieden die Gäste von den leidvollen Wirten jeder in seine Heimat. Der König und die Königin blieben allein zurück und nur der herzzernagende Harm war ihr Gefährte, der auch jahrelang nicht von ihnen wich und ihnen das traurige Bild zeigte, wie der grimmige Räuber ihr süßes Kind mit Schnabel und Fängen zerriss.
Doch verhielt es sich anders mit dem Knaben. Der Vogel trug ihn über Länder und Meere bis in sein Nest, das er sich auf einem aus der Meerflut aufsteigenden Felsen erbaut hatte. Dort legte er seine Beute den jungen, nach Äsung gierigen Greifen vor und flog dann wieder nach neuem Raub aus. Die Jungen fielen nun sogleich über den vorgeworfenen Fraß her; aber schon hatte sich Hagen von der luftigen Fahrt erholt. Auf seine Verteidigung bedacht, wehrte er kräftig die hackenden Schnäbel ab, indem er die Vögel an den Hälsen ergriff und sie würgte, dass sie laut aufschrien. Endlich aber fasste ihn einer der Vögel, der schon flügge war, und trug ihn auf einen Baumast, um die leckere Beute allein zu verspeisen. Der Ast war jedoch zu schwach; er bog sich, brach und das Untier fiel mit dem Knaben in die unten wuchernden Dornhecken. Der Greif flatterte wieder empor, Hagen dagegen kroch in das Dickicht, wie sehr ihn auch die Dornen zerrissen, und gelangte in eine dunkle Höhle, wo er vor Entkräftung liegen blieb. Als er aus seiner Betäubung erwachte, sah er ein Mägdlein etwa seines Alters in einiger Entfernung stehen, das ihn mit Verwunderung betrachtete, aber sogleich tiefer in die Felskluft entfloh, sobald er sich aufrichtete. Er hatte in der Tat ein schreckhaftes Aussehen. Von den Schnäbeln der Vögel und von den Dornen war er am ganzen Leib wund und blutig, dazu waren seine Kleider zerrissen, sodass sie in Lumpen um ihn hingen. Indessen hinkte und kroch er, so gut er konnte, dem Mägdlein nach und gelangte in einen größeren Raum, wo er die flüchtige Maid nebst zwei Gefährtinnen erblickte. Sie schrien laut vor Schrecken, denn sie hielten ihn für einen bösen Zwerg oder ein Meerwunder, das sie nur verfolge, um sie mit Haut und Haaren aufzufressen. Als er ihnen aber sagte, er sei ein Königskind, von dem Greif geraubt und nur mit Not dem Ungetüm entronnen, wurden sie getrost, erzählten ihm auch ihre ganz ähnlichen Schicksale und teilten mit ihm ihre spärliche Kost, die aus allerlei Wurzeln und wild wachsenden Beeren bestand. Die eine Maid, die er zuerst erblickt hatte, nannte sich Hilde, eine Königstochter aus Indien, die zweite war Hildburg aus Portugal, die dritte stammte aus Isenland. Die Mägdlein pflegten den jungen Gefährten, sodass seine Wunden bald heilten. Er ging nun selbst auf Beschaffung der nötigen Kost aus und wagte sich tiefer ins Land, was jene aus Furcht vor den Greifen nicht taten. Er verfertigte sich einen Bogen und mit Fischgräten zugespitzte Pfeile, womit er kleineres Wild erlegte. Aus Mangel an Feuer mussten die Kinder das Fleisch roh verzehren; aber sie wuchsen bei solcher Kost kräftig heran und Hagen erreichte schon im zwölften Jahr fast männliche Größe.
Unterdessen waren die jungen Greife groß geworden wie die Alten. Sie flogen jetzt alle auf Raub aus und der Knabe durfte aus Furcht vor ihnen keine weiten Wanderungen mehr unternehmen, weshalb seine Jagdbeute spärlicher wurde. Dennoch wagte er sich eines Abends an den Strand des Meeres, wo ihn eine überhängende Klippe vor den grimmigen Feinden verbarg.
„Es atmet tief und mächtig
Der Ozean; sein Abgrund grollt;
Die Wogen lässig schäumen,
Die Wolken dunkel säumen
Das glühnde Abendsonnengold.
Er will nicht länger dulden
Der Endlichkeit umwallend Kleid;
Schon heben sich die Wellen,
Die Schranke zu zerschellen,
Die Form und Schönheit ihm verleiht.
Hinüber und herüber
Strebt er, im Zorn aufwallend, schön,
Der Himmel sein Gefährte,
Die dunkle Mutter Erde
Schaut ihn mit Lust von sichern Höhn.
Nur sie, der Erde Kinder,
Erbeben in dem rauen Spiel,
Treibend auf seinem Rücken;
Wie mag vor seinen Tücken
Sie bergen noch der lecke Kiel!“
Der Knabe sah mit Lust in seinem sicheren Versteck hoch über der schäumenden Brandung auf die wildbewegten Fluten, die bald dunkel wie die Nacht dahinrollten, bald von Blitzen durchglüht ihre Häupter emporhoben. Er hörte furchtlos den schmetternden Donner, das Heulen des Sturmes und des Meeres, dessen Gischt ihn oft durchnässte. Als er aber ein Fahrzeug erblickte, das mit den wilden Elementen in ungleichem Kampfe rang, da ward seine Seele von Furcht und Hoffnung bewegt, von Furcht, weil er dessen Untergang besorgte, von Hoffnung, weil er von ihm Rettung und Heimkehr zu den Eltern erwartete. Jetzt sah er es einem Felsenriff zutreiben – ein gellender Aufschrei, und der Ozean hatte Schiff und Mannschaft verschlungen. Sturm und Wellen tobten fort, bis der Morgen erschien, der, wie der Knabe glaubte, mit seinem freundlichen Licht die Elemente beruhigte. Am Strand lagen Schiffstrümmer und Leichname. Schon wollte Hagen aus seinem Versteck hervortreten, um nach Mundvorräten und Gewand zu spähen, da hörte er den Flügelschlag der Greife und gewahrte, wie sie von ihrem Felsenhorst herunterflogen, tote Menschen aufgriffen und damit in ihr Nest zurückkehrten. Während sie mit ihrem Fraß beschäftigt waren, verließ der Knabe seinen Schlupfwinkel, um gleichfalls etwas Essbares zu suchen. Er fand jedoch nur Holzwerk und einen ertrunkenen Mann in voller Rüstung mit Schwert, Bogen und einem Köcher voll scharf gespitzten Pfeilen. Er hätte laut aufjauchzen mögen, denn nun hatte er Waffen, wie er sie einst an seines Vaters Hofe gesehen hatte. Eilig legte er die Brünne des Toten an, bedeckte sein Haupt mit dem Helm, gürtete das Schwert um und nahm den Stahlbogen und die Geschosse mit scharfen dreikantigen Stahlspitzen zur Hand. Es war Zeit, dass er sich mit dem Rüstzeug versehen hatte, denn einer der Greife stürmte tönenden Flugs auf ihn nieder. Er zog die Bogensehne kräftig an und sein Strahl traf den argen Feind mitten in die Brust, dass er zappelnd dem Schützen vor die Füße fiel und verendete. Ein zweites Ungetüm hatte das gleiche Schicksal. Nun stürmten die drei übrigen Vögel auf ihn ein, aber er erlegte sie alle mit gewaltigen Schwertstreichen. Die abgehauenen Köpfe der toten Untiere brachte er seinen Freundinnen in der Felskluft. Sie hatten unter ängstlichen Sorgen um ihn die stürmische Nacht durchwacht, ihre Freude war daher um so größer, da sie nunmehr durch seinen starken Arm von ihren Verfolgern befreit waren. Die Mädchen begleiteten darauf ihren Helden nach der Stätte seines Sieges. Sie halfen ihm, das spukhafte Geflügel ins Meer wälzen und über den toten Recken, dessen Rüstung Hagen trug, nach frommer Sitte einen Hügel aufschichten. Vergebens suchten sie jedoch unter den Schiffstrümmern nach Speisevorräten; dagegen fanden sie eine wohlverwahrte Kiste mit Stahl, Stein und Schwefelfaden, was sie in den Stand setzte, Feuer anzuzünden. Freudig eilten die Mädchen in ihre Klause zurück, wo bald die Flamme lustig emporloderte, während Hagen mit Pfeil und Bogen dem Weidwerk nachging. Es währte nicht lange, so brachte er schon einen großen Rehbock heim, den er mit seinem Geschoss erlegt hatte. Er wurde zerstückt, ein Teil davon gebraten, und die vier Unglücksgefährten hielten eine Mahlzeit, die ihnen herrlich mundete.
Der junge Geselle ging nun täglich auf die Jagd, aber er erlegte nicht bloß scheues Wild, sondern auch Bären, Wölfe, Panther und anderes Raubzeug. Einmal sah er aus einem Versteck ein seltsames Untier vorüberrennen. Es war mit glänzenden Schuppen bedeckt, seine Augen glühten wie Kohlen und aus dem blutroten Rachen starrten grässliche Hauer hervor. Er sandte ihm einen scharfen Pfeil in die Seite; aber das Geschoss biss nicht ein und das Ungeheuer wandte sich sogleich gegen den Schützen. Ein zweiter Strahl blieb gleichfalls ohne Wirkung. Hagen griff zum Schwert; doch waren alle Streiche vergebens und er entging nur durch gewandte Sprünge den entsetzlichen Hauern. Fast erschöpft von dem langen Kampf sah er endlich seinen Vorteil und stieß dem wütenden Tier die Klinge in den gähnenden Rachen. Ganz entkräftet setzte er sich auf den noch zuckenden Körper. Er sehnte sich nach einem Tropfen Labung, aber da kein Wasser in der Nähe war, schlürfte er begierig das strömende Blut des Tieres. Da fühlte er, wie seine Leibesschwäche wich, wie eine ungewöhnliche Kraft ihn durchdrang. Er sprang auf, er wünschte sich einen Gegner, um auf Tod und Leben zu kämpfen; er hätte es jetzt mit allen Greifen und Riesen der Welt aufgenommen. Er zog sein Schwert und spaltete einem anrennenden Bären mit einem Hieb den steinharten Schädel, den Hals und die Brust. In gleicher Weise erlegte er zwei Panther und ein grimmiges Einhorn. Er war blutig vom Haupt bis auf die Sohlen und ganz verwildert, als er, den Bären auf den Schultern, in die Klause zu den Mädchen trat. Erst bei dem Anblick der sanften Hilde gewann er wieder die gewohnte Ruhe.
Noch manches Jahr verging den Siedlern am Felsengestade in der Einsamkeit. Sie hatten reichlich Nahrung, machten sich Kleider von Tierfellen und schmückten sich mit frischen, duftigen Blumen, dem einzigen Putz, den ihnen die gütige Mutter Natur darbot. Sie wünschten sich indessen in menschliche Gesellschaft zurück und schickten früh und spät sehnsuchtsvolle Blicke über das wogende Meer, ob nicht ein Rettungsboot dem Gestade sich nähere.
Eines Morgens, während der junge Held vom nächtlichen Jagen müde auf der Bärenhaut ruhte, standen die Gefährtinnen am Ufer und blickten über die bewegte Fläche. Da tauchte ein weißes Segel am Horizont auf und allmählich stiegen der Mast, das Takelwerk, das Verdeck aus den Wellen hervor. Nun blieb kein Zweifel, die Rettung, die Heimkehr war nahe. Sogleich eilten die Siedlerinnen nach der Höhle, nahmen vom Herdfeuer Brände, zündeten am Gestade ein richtig loderndes Feuer an, weckten auch den Genossen, der sein Schwert umgürtete, die Geschosse ergriff, die Bärenhaut umwarf und also seinen Gespielen zugesellte. Die Signale waren vom Schiff aber bemerkt worden; denn ein Boot wurde entsendet, das sich dem Gestade näherte.
„He, wer seid ihr, Pelzunholde?“, rief der Bootsführer, „seid ihr Menschen oder Meerwunder?“
„Wir sind arme, verschlagene Menschen“, antwortete Hagen, „nehmt uns auf um Gottes willen!“
Das Boot legte an und die Unglücksgefährten stiegen ein. Die Matrosen ruderten nach dem Schiff und sehr bald waren sie an Bord. Auch der Schiffsherr betrachtete die Geborgenen mit Verwunderung. Auf sein Befragen berichtete Hagen, wie er, gleich den Mädchen, von den Greifen aus dem elterlichen Haus geraubt worden sei, wie er darauf Waffen gefunden und die Vögel getötet habe. Auf weiteres Befragen sprach er von seinem Vater Sigeband, dem mächtigen König auf Burg Balian.
„Hei, junger Fant“, sprach der Schiffsherr, „du schlägst Greife wie Mücken. Aber du bist mir ein glücklicher Fang, denn ich bin der Graf, von dem dein Vater schon großen Schaden getan hat. Du sollst mir nun Geisel sein, bis ich für den Schaden reichlich Buße gewinne. Heda. Bootsleute, legt die Bärenhaut in Ketten und steuert gen Garadie.“
Kaum hatte der Graf diese Worte gesprochen, so geriet Hagen in Berserkerwut. Die Schiffsleute, welche ihn festnehmen wollten, schleuderte er mit riesiger Kraft über Bord ins Meer; das Schwert in der Rechten stürzte er auf den Schiffsherrn los, der bei dem Anblick der übermenschlichen Kraft des jungen Helden wie erstarrt stand. Schon schwebte die blitzende Klinge über seinem unbehelmten Haupt, da legte sich eine weiche Hand auf Hagens Arm und hemmte den tödlichen Streich. Ergrimmt kehrte sich der Held um, aber da blickte er in das milde, liebliche Angesicht seiner Gefährtin Hilde, und, wie von einem Zauber gebannt, wich der schreckliche Zorn von ihm. Da sprach nun Hilde sanfte Worte zur Sühne, die ein williges Ohr fanden. Hagen verhieß dem Grafen, Versöhnung zu stiften zwischen ihm und dem König, wenn er nach Balian steuere, und verpfändete dafür sein Haupt; jener gelobte, die Unglücksgefährten wohlbehalten nach der Heimat des jungen Helden zu führen.
Günstige Winde schwellten die Segel; das Drachenboot zog stolz durch das wogende Meer. Am zehnten Morgen stiegen ragende Türme und Zinnen aus den Wellen empor, dann die ganze Burg, der Strand und der von Barken und Schiffen wimmelnde Hafen. Das Schiff legte an, die Mannschaft stieg ans Land. Misstrauisch betrachtete das Volk die Zeichen und Gewänder der Leute von Garadie, mit denen stets Feindschaft gewesen war. Doch schienen sie nicht als Raubfahrer zu nahen, denn sie hatten die weiße Friedensfahne aufgerichtet. Sie sprachen auch friedlich, sicheres Geleit für eine Botschaft an König Sigeband begehrend. Als ihnen das gewährt ward, fuhren die Boten zur Burg, voran der kühne Hagen in seinem Bärenvlies mit den drei Mägdlein, die gleichfalls noch ihre rauen Gewänder trugen, desgleichen etliche Männer von Garadie. Der König und die Königin sahen vom Fenster herab die Fremdlinge; als sie aber Leute von Garadie erkannten, rief Sigeband nach seiner Rüstung; er sei, sagte er, nicht so alt, dass er nicht mit dem Schwert Rache an den Landesfeinden nehmen könne. Bevor er noch sein festes Sturmgewand angelegt hatte, traten die Gäste herein. Er wähnte, Raubfahrer hätten seine Burgleute überwältigt, und zog sein Schwert, um nicht Schmach zu erdulden. Darauf rief der junge Held:
„Kennst du mich nicht, lieber Vater? Ich bin es, dein lange verlorener Sohn Hagen.“
„Ungetreuer, falscher Verräter!“, rief der König. „Schleichst im Bärenfell herein und solltest einen Fuchspelz umhängen, da du mich mit arger List fangen willst; aber nun musst du sterben.“
Er erhob sein Schwert, aber Frau Ute warf sich zwischen Vater und Sohn.
„Er ist es“, rief sie, „unser lange beweintes Kind. Ich erkenne es an dem kleinen Mal, an seinen dunklen Augen und mir ruft es das Mutterherz zu: Es ist unser Sohn Hagen!“
Sie hatte ihn schon in die Arme geschlossen und bald ruhte der Held auch an der Brust des glücklichen Vaters. Große Freude und Wonne war im Königshaus.
„Ich bin so viele Jahre krank gewesen“, sagte Frau Ute, „und nun bin ich gesund geworden, des sollen sich Land und Leute erfreuen.“
Ein fester Friede ward mit dem Grafen von Garadie geschlossen und derselbe blieb als Gast bei der Feier, die man veranstaltete. Natürlich wurde auch der Mägdlein gedacht, der treuen Pflegerinnen des Königssohnes in seiner Verlassenheit. In fürstlichem Schmuck und umgeben von edlen Jungfrauen folgten sie der Königin zum Festmahl und später zu den Schranken, wo die Helden in Turnieren ihre Kraft und Kühnheit zeigten. Unter den Kämpfern sah man auch Hagen den Stein stoßen und den Speer schwingen, und er hatte vor allen die höchste Ehre, denn keiner vermochte sich mit ihm zu vergleichen. Da berief ihn der alte König zu sich auf den Thron und das Volk rief, der junge Held sei würdig, die Krone zu tragen, denn er werde mit starker Hand das Land vor Schädigung bewahren. Nach den festlichen Tagen blieb Hagen nur kurze Zeit ruhig im Vaterhaus; mit manchem kühnen Manne fuhr er hinaus in ferne Länder, bestand schwere Kämpfe und kehrte mit reicher Beute in die Heimat zurück. Da nun der hochbejahrte König von den Taten und dem Ruhm seines Sohnes hörte, übertrug er ihm nach dem Wunsche der Landherren die Verwaltung des Reiches. Frau Ute aber hieß ihren Liebling ein würdiges Weib zu wählen, auf dass er nicht einsam sei, wenn Gott sie und ihren Eheherrn zu sich entbiete. Hagen folgte bereitwillig dem Rat der Mutter; er wählte aber nicht die Tochter eines benachbarten Herrschers, sondern die schöne Hilde, die liebste Freundin, die ihm zuerst am Felsenstrand unter dem Greifenhorst erschienen war. Die edle Jungfrau ward bald sein Weib.
Frau Ute hatte noch die Freude, dass sie ein Enkelkind auf ihren Armen wiegte, ein Töchterlein, das nach seiner Mutter Hilde genannt wurde. Auch König Sigeband saß oft an der Wiege der kleinen Enkelin, summte alte Lieder und hatte große Wonne an dem Kind, das schon in früher Zeit ein Wunder von Schönheit war. Indessen sah er es nicht mehr zur Jungfrau erblühen, er und seine treue Lebensgefährtin wurden früher zu ihren Ahnen versammelt.
Auch Hagen hatte seine Freude an der Tochter, aber er war oft auswärts auf Heerfahrten und ließ sein Schwert nicht rasten. Im Kampfgetümmel war ihm wohl, da schallte weithin sein Schlachtruf, da fällte er Recken, die sich ihm entgegenstellten, da gewann er Sieg und Ruhm durch seine große Kraft. Er hieß der Schrecken der Könige, weil ihm kein Fürst Widerstand leisten konnte. Als die schöne Hilde erwachsen war, sah er in ihr das Ebenbild ihrer Mutter und wollte sie aus herzlicher Liebe nicht von sich lassen. Wohl warben um ihre Minne viele Fürsten, allein er forderte jeden Freier zum Kampfspiel mit Speer und Schwert, weil er die Tochter nur dem geben wolle, der ein besserer Kämpfer sei als er selbst. Wer aber das Spiel mit ihm wagte, der verlor den Sieg und manche auch das Leben. Der wilde Hagen, der Schrecken der Könige, ward auch ein Schrecken für alle Freier, sodass sein Haus bald recht öde wurde.
König Hettel von Hegelingen und seine Helden
In Danland auf Burg Matelane saß König Hettel von Hegelingen, ein weidlicher Degen, dem Nordland, Friesland und Dietmarsen untertänig waren. Fürstliche Helden umgaben und stützten seinen Thron in großer Zahl. Unter ihnen war besonders angesehen und von den Feinden des Königs gefürchtet der alte Wate, ein Mage des Fürsten, der auf Sturmland Krone trug, durch seltene Kühnheit und große Taten gewaltig, nicht minder der sangesreiche Horand und Frute, beide in Danemarken mächtig; auch Irold, der Schnelle aus Friesland, und Morung von Niflanden waren allezeit dem Reichsoberhaupt zu Dienst bereit.
Der junge König Hettel fuhr wohl öfters hinaus in blutigen Streit und feierte, wenn er mit Raub und Siegesruhm heimkehrte, Feste mit seinen Kämpfern. Da sprach einstmals beim frohen Gelage Morung von Niflanden:
„Herr, wohl ist dein Haus reich an Schätzen, und deine Hand spendet deinen Gesellen köstliches Gut; aber ungern missen wir eine holdselige Königin, die uns mit Met und feurigem Südwein die Becher fülle. Du solltest um Hilde, die königliche Maid auf Irland, werben; denn sie ist ob ihrer Schönheit und ihrer hohen Zucht in allen Landen berühmt.“
Da sprach der kühne Horand:
„Mit gutem Recht wird die Jungfrau gepriesen, aber ihr Vater, der wilde Hagen, lässt keinen genesen, der es wagt, um sie zu werben. Schon manchem weidlichen Degen hat er statt des ersehnten Brautringes den Tod gegeben.“
Das Lob der schönen Hilde machte im König den Wunsch rege, sie zu sich auf den Thron von Hegelingen zu erheben. Er forschte, wer für ihn die Werbung übernehmen wolle. Da rieten die Hofleute, er solle den alten Wate zum Boten wählen. Gar unlieb war dem Recken die üble Botschaft, doch verhieß er seine guten Dienste und meinte, wenn Horand und Frute ihn geleiteten, so möchte doch die Werbung gelingen.
Die Recken und mit ihnen Irold von Nordlanden waren sogleich zur Fahrt bereit. Sofort wurden stattliche Schiffe und Boote gerüstet und mit reicher Habe belastet, auch stiegen tausend gewappnete Männer an Bord. Als dies alles vollendet war, stachen die Schiffe in See. Von Norden her wehte günstiger Wind und führte sie durch die grauen Meereswogen gen Balian, die Feste, wo der wilde Hagen Hof hielt.
Mit Verwunderung sahen die Leute an Land die fremden Fahrzeuge, denn solche Pracht und Herrlichkeit hatte man im grünen Erin noch nicht erblickt. Die Mastbäume waren von glänzendem Zypernholz, die Segel von purpurner Seide, die Anker von lichtem Silber. Bootsleute in reichen Gewändern trugen Waren aus fernen Ländern aus den Laderäumen und breiteten sie vor der staunenden Menge aus. Die Schiffsherren boten reichen Schmuck und schönes Gewand zum Verkauf; denn sie sagten, sie seien Kaufleute und des Handels wegen hierhergekommen.
Als König Hagen die überraschende Märe von den reichen Gästen vernahm, ging er selbst mit Frau Hilde, seiner Ehegenossin, an den Strand, um die Fremden näher kennenzulernen und ihre reiche Ware zu besehen. Da trat Frute als ein Bittender zu ihm und flehte um seinen Schutz. Er sprach, sie seien nicht des Handels wegen gen Irland gefahren, sondern um eine sichere Freistätte vor ihrem Häuptling Hettel in Hegelingen zu finden, der sie aus ihren Burgen vertrieben habe und unerbittlich überall verfolge.
Darüber lachte der König, denn er wünschte schon lange, im Kampfspiel den Vogt von Hegelingen zu bestehen. Er hieß daher die Recken guten Mutes und seines Schutzes versichert sein und beschied sie zu sich auf die Burg. Die Herren säumten nicht, dem Befehle Folge zu leisten. Sie traten aber in Gewändern von Samt und Seide einher und trugen schwere Goldketten, an deren Enden Rubine und Demante blitzten. Sie brachten dem König herrliche Geschenke und auch der Königin übergaben sie Straußfedern, Blumen, künstlich aus Gold, Silber und Seide gefertigt, glänzende Gürtel und Spangen. Sie waren, wie es schien, mit unerschöpflichen Vorräten versehen, weshalb sie Hagen gern im Land behalten und mit Burgen begabt hätte, aber sie erwiderten, dass in Hegelingen ihre Frauen und Kinder wären, die sie wiederzusehen hofften. Indessen nahmen sie die Herberge an, welche ihnen Hagen nahe bei der Burg einräumen ließ, und ein großes Zelt für die Vasallen. Ferner waren am Strand allerlei Buden aufgeschlagen, wo die Waren von den Schiffen feilgeboten wurden. Da kauften denn Männer und Frauen schöne Stoffe und Kleinodien um geringen Preis, und die Armen erhielten Gewänder unentgeltlich. Solch großer Reichtum war in Irland noch nicht gesehen worden.
Frau Hilde, die Königin, trug Verlangen, die weidlichen Gäste im Frauensaal zu schauen, und als solches den Recken kund ward, säumten sie nicht, dem Begehren zu willfahren. Sie traten in die prächtige Halle, deren Decke auf Marmorsäulen ruhte. Da saßen viele Frauen in reichen Gewändern und unter ihnen die Königin und die minnigliche Maid, die mit freundlichem Gruß die Fremden empfingen. Diese aber wussten mit zierlicher Rede zu antworten, nur Wate sprach wenig und blickte oft zum Meer, wo sich die Schiffe auf den Wellen schaukelten.
„Gehe doch, Hilde“, sprach die Königin leise zur Tochter, „begrüße den Herrn mit einem Kuss.“
Die Jungfrau erschrak, denn der Held von Sturmland überragte zwar die Gefährten schier um eines Kopfes Höhe, aber er sah nicht lieblich aus mit der gekrümmten Habichtsnase, der kahlen Stirn und dem zum Teil ergrauten Bart, der breit auf die Brust herabfloss.
„Wohin schaut Ihr, Herr Wate?“, wendete sich die Herrin an den Recken. „Sind am Strand schönere Frauen als hier in der Halle?“