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Als Lotti Pfeifer krank vor Liebeskummer auf Nortrum strandet, sind ein eigener Friseursalon und Stammkundschaft, die es gern bunt treibt, das Letzte, womit sie rechnet. Schließlich ist ihre Heimat doch Berlin und nicht eine verschlafene Nordseeinsel! Doch die Bewohner schließen sie rasch ins Herz. Mit einer Ausnahme: Fischer Fiete bleibt wortkarg, raubeinig und ihr gegenüber abweisend. Ausgerechnet Lotti soll nun aber als Stylistin tätig werden unddie bärbeißigen Fischer der Insel insexy Kalenderboys verwandeln. Da ist Ärger programmiert, denn Fiete hat wenig Lust, auf ihrem Friseurstuhl Platz zu nehmen. Doch die Liebe hat manchmal ganz eigene Pläne...
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INSELKÜSSE & STRANDKORBGLÜCK
BUCH VIER
Covergestaltung: Catrin Sommer, rausch-gold.com
Korrektorat: Ruth Pöß - Das kleine Korrektorat
_________________________
Anne Stevens
c/o Autorenbetreuung Caroline Minn
(Impressumservice)
Kapellenstraße 3
54451 Irsch
© Anne Stevens 2023
Alle Rechte vorbehalten.
Jede Verwertung oder Vervielfältigung des Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung des Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Erstellt mit Vellum
Was geschieht, wenn sich vier Autorinnen treffen, die die Leidenschaft fürs Schreiben und Reisen miteinander teilen? Sie planen eine gemeinsame Buchserie!
Über die Charaktere waren wir uns schnell einig, die Ideen für spannende Geschichten wurden geboren. Es fehlte nur noch der Schauplatz: Eine Nordseeinsel sollte es sein.
Schnell war uns klar, dass eine gemeinsame Reihe besondere örtliche Gegebenheiten braucht – und so erschufen wir „Nortrum“, eine Insel, auf der wir alles fanden, was wir für unsere jeweiligen Geschichten brauchten: Reetgedeckte Häuser, einen Hafen, ein Dorf, einen Surfstrand, Dünen, einen Leuchtturm und jede Menge skurrile Charaktere.
Wir hoffen, dass dir unsere Serie gefällt. Dass du lachen musst und berührt sein wirst, dass du mitfieberst und miträtselst, wohin das alles führen wird.
Jede Geschichte ist ein in sich abgeschlossener Roman, aber es erhöht das Lesevergnügen, wenn du mit dem ersten Teil beginnst.
Nimm also Platz, schnall dich an und lassen dich von unseren Geschichten nach Nortrum entführen, eine Insel, wie wir sie uns erträumt haben.
Deine
Karin Lindberg, Stina Jensen, Karin Koenicke und Anne Stevens
Als Lotti Pfeifer krank vor Liebeskummer auf Nortrum strandet, sind ein eigener Friseursalon und Stammkundschaft, die es gern bunt treibt, das Letzte, womit sie rechnet. Schließlich ist ihre Heimat doch Berlin und nicht eine verschlafene Nordseeinsel! Doch die Bewohner schließen sie rasch ins Herz.
Mit einer Ausnahme: Fischer Fiete bleibt wortkarg, raubeinig und ihr gegenüber abweisend. Ausgerechnet Lotti soll nun aber als Stylistin tätig werden und die bärbeißigen Fischer der Insel in sexy Kalenderboys verwandeln. Da ist Ärger vorprogrammiert, denn Fiete hat wenig Lust, auf ihrem Friseurstuhl Platz zu nehmen. Doch die Liebe hat manchmal ganz eigene Pläne...
»Hey Fiete!«, rief ich quer durch den Hafen und machte mir nicht die Mühe, von der sonnenbeschienenen Bank vor meinem kleinen Friseurladen aufzustehen – wie Fiete sich nicht damit aufhalten würde, sich zu mir herumzudrehen.
Dass sein von harter körperlicher Arbeit breiter Rücken, über dem sich der dunkelblaue Overall beachtlich spannte, plötzlich zu brummeln begann, wertete ich als Was willst du?, denn das war am wahrscheinlichsten.
Die Fischer waren keine Plaudertaschen. Das hatte Fiete, der mit seinen dreiunddreißig Jahren der jüngste Kapitän der kleinen Nortrumer Flotte war, bestens verinnerlicht.
Schade, denn ein freundliches Hallo Lotti, schön, dich zu sehen. Wie war dein Tag bisher? wäre mir eindeutig lieber gewesen. Doch schon bei dem Gedanken, diesen sonnigen Satz ausgerechnet dem wortkargen Fiete Olsen in den Mund zu legen, kollabierte mein Vorstellungsvermögen. Also gut: Dann hatte er eben Was willst du? gebrummt. Das traf sich, denn ich wollte tatsächlich etwas von ihm.
»Hast du Sprotten? Dann hätte ich gerne fünf.«
Nun fuhr Fiete doch herum und präsentierte mir seinen wuchtigen Brummbärenbart.
Wie es mich in den Fingern juckte, ihm eine Rasur zu spendieren. Zumal der Rest seines Körpers – soweit es sich mit Overall beurteilen ließ – durchaus sehenswert, um nicht zu sagen spektakulär war.
»Du fütterst das Vieh immer noch?«, wollte Fiete wissen.
Oberhalb seines Bartgestrüpps braute sich das zusammen, was man hier oben im rauen Norden gemeinhin als »Wetter« bezeichnete. Ein eigentlich neutraler Begriff, denn ich konnte mir kein Szenario denken, bei dem ich nicht von einer Konstellation aus Hochs und Tiefs und Luft und Temperatur umgeben war, die ja wohl irgendeinen Sammelbegriff brauchten. Nur verwandten die Fischer das Wort als Synonym für etwas Drohendes, Dunkles, das sich über dem Meer zusammenbraute und ihnen verbot, mit ihren Kuttern auszulaufen.
Tja, wenn man das wusste, litt Fiete gerade an akutem Wetter. Seine schönen sommersonnentagsblauen Augen schleuderten nach Leibeskräften Blitze in meine Richtung. Viel mehr war von seinem Gesicht nicht zu sehen. Wäre der Bart nicht, ich hätte Fiete mit seinen wilden, dunkelblonden Löwenlocken für einen der Surfertypen gehalten, die im Sommer am Südstrand kampierten.
»Lotti Pfeifer, das ist verboten«, dozierte er finster.
Ich stutzte. Nicht, dass die Information mir neu wäre. Aber dass Fiete meinen vollen Namen kannte? Interessant.
»Wenn ich mich nicht gekümmert hätte, wäre sie verhungert«, verteidigte ich mich.
Es stimmte. Angelika, eine magere Möwe, war eines schönen Nachmittags auf der Bank vor meinem Friseurladen notgelandet. Auf ihrem zerrupften Gefieder hatten rote Blutstropfen geglänzt, ein Flügel war definitiv angeschlagen gewesen. Dank mir – und Fietes Sprotten – ging es ihr wieder prächtig. Trotzdem ließ sie sich regelmäßig auf der Bank vor dem Laden nieder.
»Komm schon Fiete, ich will die Kleine nicht enttäuschen.«
»Eine Sie? Hast du nachgesehen?«
»Das muss ich nicht: weibliche Intuition. Wenn du nett bist und mir die Sprotten gibst, verrate ich dir ihren Namen.«
Fiete atmete tief ein, was seine Brust noch imposanter wirken ließ. »Ein ... Name?«
Wow, langsam fühlte es sich an wie ein richtiges Gespräch. Abgesehen von dem einen Mal, bei dem er mich regelrecht angeknurrt hatte, ich hätte seine Oma mit der neuen Frisur verunstaltet, hatte er nie so viel mit mir geredet. Ich war direkt ein bisschen aufgeregt, weil normalerweise nur ich sprach. Unsere Dialoge funktionierten in etwa so.
Ich: »Wenn ich nun doch länger auf Nortrum bleibe, bräuchte ich einen Namen für den Laden. Wie gefällt dir Zur Aufbrezlerei?«
Darauf Fiete: Ein übellauniges Grunzen, das unschwer als Nein zu identifizieren war.
Ich: »Mata Haari ist nicht schlecht. Oder was hältst du von Kopfsalat?«
Fiete steuerte ein tiefes Brummen bei.
Okay, das war tatsächlich etwas abgegriffen.
Also wieder ich: »Haarspalterei? Haar-a-kiri?« Anglizismen schieden aus, obwohl ich Pony & Clide, Well-Kamm oder Headhunter originell fand, doch die passten eher in mein altes Kreuzberger Umfeld. Mir hatte etwas der Insel Angemessenes vorgeschwebt, nordisch platt und markant. Und da war es mir (kleiner Friseurscherz am Rande) wie Schuppen aus den Haaren gefallen. »Was hältst du von Wächst ja wieder?«
Darauf hatte Fiete etwas so dunkel Grollendes aus seiner breiten Bärenbrust herausgerumpelt, dass ich sicher war, dass er es hasste.
Tja, was soll ich sagen? Damit war die Entscheidung gefallen. Auch wenn Fiete mich bei meiner artigen Danksagung für seine unschätzbar wertvolle Beratungsleistung angeschaut hatte, wie ... Hm, mir fehlen die Worte, aber Psychiatriepatienten dürfte diese Art Blick von der wöchentlichen Begutachtung durch ihren behandelnden Therapeuten bekannt sein.
Übrigens sah er mich gerade wieder so an.
»Du musst das Tier entwöhnen.« Fiete betonte die geschlechtsneutrale Umschreibung, als handele es sich bei Angelika um eine Sache. Dann legte er gewohnt wortgewaltig nach: »Drei.« Damit griff er in einen seiner Körbe mit fangfrischem Fisch, zog drei magere Sprotten – garantiert die mickrigsten aus dem ganzen Fang – heraus und gab sie seinem Faktotum Rou.
Der Junge war picklig, schmächtig und lernte nicht nur das Fischereihandwerk bei Fiete. Falls er nicht stumm geboren war, würde er als gelehrigster Non-Small-Talk-Schüler in die Annalen von Olsen & Söhne eingehen.
Stumm schlenderte Rou zu mir herüber. Stumm drückte er mir die Sprotten in die Hand. Und als er sich herumdrehte und abwandte, bemächtigte er sich exakt des Brummtons, den Fiete hören ließ, wenn er mich als verrückte Städterin abtat.
Ich zuckte die Achseln. So liefen die Gespräche mit den Fischern halt. Dann hielt ich nach Angelika Ausschau.
Als hätte sie es geahnt, setzte sie zur Landung auf der Armlehne meiner Bank an.
Ich hielt ihr die erste Sprotte hin. »Da schau«, imitierte ich eine Bühnenschauspielerin, die einer anderen in Zimmerlautstärke etwas zuraunte, »die hat der Onkel Fiete nur für dich gefangen.« Ich zwang mich, nicht zum Kutter hinüberzusehen und todernst zu bleiben.
Aber so angestrengt ich auch lauschte, Fiete brummte nicht. Dafür rumpelte und polterte er mit seinen Fangkisten herum, bevor er sich irgendwann räusperte. »Bis heute Abend bei der Versammlung, Lotti.«
Hektisch fuhr ich herum, aber Fiete war schon auf dem Weg in die Markthalle.
Mist! Das war so typisch. Dabei gingen mir tausend Dinge im Kopf herum. Regelrecht aufgeregt war ich. Da ließ er einfach so im Weggehen eine Bombe platzen und ich durfte mich mit der Frage herumärgern, ob das ein Scherz oder Fietes Ernst gewesen war. Zur Versammlung – ich? Ha!
Ich meine, diese Insel war ein Dorf. Kein bisschen weniger eingeschworen als Asterix‘ gallisches Örtchen. Gut, es gab mehr Wasser drumherum. Zumindest bei Flut. Ansonsten kümmerte sich Miraculix (in der Gestalt von Dr. Thore Mathiesen) um die Dörfler, über die Majestix (hier hieß der Bürgermeister Piepenbrock) regierte.
Fremde kamen – zu selten – und gingen. Weil die Insulaner das verinnerlicht hatten, trauten sie ihnen nicht. Manche Zuzügler gönnten sich hier ein Sabbatjahr. Andere lebten nur wenige Monate mit den Gezeiten, ehe sie wieder weggingen.
Entsprechend hängten die skeptischen Insulaner die Messlatte hoch. Nach dreißig Jahren auf Nortrum zählten Zugezogene als Neubürger. Weitere zwanzig Lenze und man durfte sich auf dem Friedhof beim Dorfanger zur ewigen Ruhe legen, ohne Gefahr zu laufen, dass der Boden nach dem Zuschaufeln gesalzen wurde. Allenfalls Kinder der Kindeskinder durften hoffen, zu den Versammlungen der Dörfler gebeten zu werden – ohne Stimmrecht, das verstand sich.
So weit war ich lange nicht. Zumal jeder auf Nortrum wusste, dass ich nur hier war, weil ich vor einem Jahr die Fähre nach Amrum verpasst hatte. Irgendeine – besonders dämliche – innere Stimme hatte mir damals eingeimpft, dass eine Insel für meine Liebeskummerheulattacken das passende Umfeld bot. Salzige Tränen, salziges Meer. Wie in einem Memoryspiel für Assoziationskünstler. Also hatte ich der Amrum-Fähre hinterher geflucht, mich aufs nächstbeste Boot geflüchtet und war auf Nortrum gestrandet.
Nicht der schlechteste Platz, um sich die Augen auszuheulen. Auch wenn am Wetter dringend nachjustiert werden musste, fand ich die Strände ebenso schön wie die der Karibik; soweit ich das von Postkarten beurteilen konnte.
Die Kunden waren auch nicht zu verachten. In Kreuzberg hatte ich jedenfalls nie erlebt, dass ältliche Damen mit Selbstgebackenem zur allwöchentlichen Wasserwelle erschienen wären.
Außerdem hielten die Ladys, wie ich meine fast rein weiblichen Kundinnen nannte, mir hier keine stundenlangen Vorträge über vegane Ernährung. Sie quälten sich auch nicht mit Erwägungen, ob man Kinder besser mit dem Lastenrad oder dem Bollerwagen zur antiautoritären Kita kutschierte.
Oh nein, meine Ladys philosophierten ausschließlich über das Gemeinwohl – unter besonderer Berücksichtigung pikanter Details, die Ehebrecher, Trunkenbolde und für ihre Nachlässigkeit bekannte Hausfrauen gemeinhin mit dem Wörtchen privat kennzeichneten.
Hatten sie alles durchgehechelt, marschierten sie mit ihrem geballten Wissen – nebst daraus resultierenden Mutmaßungen – zur Gemeindeversammlung und gaben schnippische bis vernichtende Kommentare ab.
Und nun würde sich der Kreis schließen. Ich durfte nicht nur ihrem zotigen Freitagsgesprächskreis in meinem Salon beiwohnen, sondern auch dem jüngsten Gericht. Ich sollte tatsächlich dazugehören! Ich!
Mir Berliner Stadtpflanze fehlten die Worte. Was zog man zu diesem Ritterschlag an? Und wieso hatte ich noch nicht kontrolliert, ob bei der letzten Lieferung des mordsteuren Friseurgroßhandels der schicke Jadegrünton mitgekommen war, der meine Augen so hübsch betonte?
Die elenden Touristen, die ständig jammerten, hier läge der Hund begraben, hatten ja keine Ahnung von der unterhaltsamen – und teils handgreiflichen – Strahlkraft einer Gemeindeversammlung. Gut, ich wusste das bisher auch nur vom Hörensagen. Aber immerhin kannte ich die Tagesordnung, die seit einer Woche neben den Pforten der Fischereimarkthalle aushing.
Top1: Heute würde das Todesurteil über Ole Kleinbrahm verhängt. Nie im Leben würden die Nortrumer seinem Antrag für einen Anbau an sein überkandideltes Grandhotel Kleinbrahm zustimmen. Schließlich brauchte niemand noch mehr Urlauber, die Sylt erwarteten, auf unserer Insel Kleinbullerbü bekamen und ihren Jahresurlaub nur naserümpfend und widerwillig absaßen.
Was wir brauchten und das so dringend wie die Sahara Regen waren nette Leute, die gern am Strand spazierten, dabei den schneidenden Wind um ihre Nasen genossen und anschließend die bodenständige Küche mit regionalen Zutaten würdigten.
Ein paar vernachlässigte Naturen, die den Urlaub nutzten und bei mir in einen neuen Haarschnitt investierten, wären mir willkommen. Aber vielleicht fand ich bei der Versammlung ja einen Dreh, um endlich mal ein paar der Männer für meine Dienste zu interessieren.
Vor freudiger Erregung sprang ich so ungestüm auf, dass Angelika hektisch in die Luft flatterte.
Oh Gott, manchmal war ich so ein Trampel. »Tut mir leid, Süße. Ich mache das mit ein paar Sprotten wieder gut«, rief ich gen Himmel und stürmte in den Laden.
Der Karton, der Unmengen an Silberweiß enthalten musste, stand seit einer Woche hinter dem Vorhang, der meine Schandecke verdeckte.
Mit fliegenden Fingern schlitzte ich ihn auf. Das rote Färbemittel war mitgekommen, blau und violett auch. Hm, mal sehen, ich grub tiefer .... kein Jadegrün.
»Elender Mist. Ist es denn zu viel verlangt, wenn ich erwarte, dass dieser bescheuerte Halsabschneider mir einmal, nur ein einziges Mal die komplette Lieferung schickt?«
Hinter mir erklang mildes Zungenschnalzen.
Ich schrak hoch, wirbelte herum und sah direkt in das faltige Gesicht von Alma Clausen.
»Na, na, welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen, min Deern?«
Nach ihr konnte man den Wecker stellen, Freitagsmorgens um Punkt neun trat sie zur Wasserwelle an. Nur war der Tag für mich gefühlt längst um.
Das war das Problem, wenn man seinen Friseursalon direkt an einem Hafen betrieb. Die Männer kamen vom nächtlichen Fang nach Hause, gähnten ausgiebig und freuten sich auf ihr Bett. Dummerweise war das Wort Feierabend in meinem Kopf unter der Rubrik Was man nachmittags tut abgelegt, so dass auch ich am liebsten hoch in meine Wohnung gegangen wäre, um ein Nickerchen zu machen.
Ich zauberte ein Strahlen auf mein Gesicht. »Tut mir leid, Alma. Ich ärgere mich so, weil schon wieder etwas fehlt.«
Das Lächeln der alten Dame verlor an Spannkraft. »Aber der Festiger ist hoffentlich da?«
Beinahe hätte ich gelacht. Der Festiger war das Thema, dem ich auf der Insel eine gewisse Berühmtheit verdankte - und meinen schlechten Ruf.
Das kam so: Nach meiner Ankunft auf der Insel war ich auf der Suche nach einem Zimmer tränenblind durchs Dorf gestolpert und erst nach mehrfachen Fehlversuchen in Almas Pension fündig geworden. Die hatte nicht nur ein freies Bett gehabt, sie besaß auch ein großes Herz. Rückblickend mochte es nicht schlau gewesen sein, ihr das Meinige auszuschütten. Aber mittlerweile hatte meine Lebensgeschichte auf der Insel sowieso die Runde gemacht. Wie schon immer meine Oma sagte: Schwamm drüber!
Jedenfalls hatte Alma mich nach zwei Tagen über alle relevanten Fakten seit meiner Geburt ausgehorcht und war außer sich geraten, als sie gehört hatte, dass ich nicht nur Friseurin gelernt, sondern auch einen Meisterbrief erworben hatte.
»Kindchen, das ist ja wunderbar.« Alma war in den Flur gestürmt und hatte zum Hörer gegriffen, um ihre drei engsten Freundinnen mit wachsender Begeisterung über meinen Beruf zu informieren.
Keine halbe Stunde später hatte – Alma inklusive - das Quartett um den Clausen’schen Küchentisch gehockt und mich angestarrt. Und verhört.
Ja, ich könne sehr gut mit Lockenwicklern umgehen, hatte ich beteuert. Und nein, ich hätte keine Allergie gegen Haarspray oder Shampoo. Ja, meine Scheren hatte ich aus unerfindlichen Gründen eingepackt. Nur beim Festiger Typ Silberweiß hatte ich passen müssen. Meines Wissens war der Trend, ältlichen Damen das Grauhaar mit einem Violettstich zu verunzieren, schon vor Jahren aus der Mode gekommen. Aber die Ladys waren von der Idee nicht abzubringen gewesen.
»Die Bärbel«, hatte die ehrwürdige Bürgermeistermutter Elsa Piepenbrock mir erklärt, »wollte das nie machen. Hat sich angestellt, als wären wir ein paar wildgewordene alte Schachteln.« Elsa hatte über Bärbels Renitenz regelrecht geschnaubt. Wo kam man schließlich hin, wenn ein junger Hüpfer von sechzig Jahren ein paar gestandene Frauen beschlaumeierte? Und mussten die Leute in einem Dienstleistungsberuf nicht sowieso tun, wie ihnen von der Kundschaft geheißen? Modetrend hin, violett her – sie hatten den Festiger gewollt. Und schicke Longbobs und Kurzhaarschnitte, die ich gekonnt mit Lockenwicklern in Form brachte, ehe ich sie mit Stylingprodukten betonierte, so dass sie die ganze Woche über hielten.
Gemäß meiner Devise leben und leben lassen hatte ich Alma natürlich zugestimmt, es war wirklich ihr gutes Recht, sich mit Farbe zu verwirklichen – bis die Ladys mir erklärt hatten, was sie nun von mir wollten.
Bärbels Friseursalon war seit Jahren verwaist. Haarschnitte gab’s jetzt nur noch dienstags, wenn (O-Ton Alma) »das schnippische Flittchen vom Festland« im Schönheitssalon von Oles Grandhotel ihre Scheren auspackte. Wickler brachte »das ordinäre Weib« nicht mit, den ersehnten Festiger auch nicht. Also hatten die Ladys in den säuerlichen Apfel gebissen und sich gegenseitig die Haare aufgedreht. Aber hübscher wäre es doch, so fanden sie, wenn ich den Laden übernähme und den begehrten Festiger bestellte.
Tja, was soll ich sagen? Nach einer Woche wusste ich, dass Heulen einen Menschen nur bedingt auslastete. Wirklich befriedigend war es nicht gewesen. So hatte ich mir das Etui mit meinen Scheren gegriffen und war in Bärbels verödeten Salon marschiert, den ich – so Alma – inklusive darüberliegender Wohnung für einen Spottpreis mieten konnte. Einzige Voraussetzung: Ich musste meinem Handwerk treu bleiben.
Hinter die mit Zeitungspapier verklebten Scheiben zu schauen, war einer Zeitreise gleichgekommen. Ach, was sage ich, es war ein Schock gewesen! Nie, noch nicht einmal im Lidschattenregal der Drogeriemarktfiliale am Kotti, hatte ich – von der Decke über die Wände bis runter zum Linoleum – eine solch schauderhafte Ansammlung von Rosétönen gesehen. Trockenhauben anno Wirtschaftswunderzeit und großgeblümte Frisierumhänge inklusive.
Dass mich ausgerechnet diese Scheußlichkeit in die Falle locken würde, hatte ich damals nicht kommen sehen. Aber dazu später mehr.
Erst mal musste ich Alma über die Versammlung ausquetschen. Nicht, dass Fiete mich hereingelegt hatte und ich heute Abend frisch ergrünt – irgendwo würde ich schon einen Rest Jadefarbe finden – in den Saal trat und die Einheimischen bei meinem Anblick peinlich berührt verstummten.
»Sag mal, soll ich etwas Besonderes mit deinem Haar machen, wo ihr doch heute Abend Versammlung habt?«, warf ich meinen Köder aus und dirigierte Alma auf den Barbershopstuhl, den ich günstig im Netz ergattert hatte.
Alma tätschelte mir den Arm. »Nee, min Deern, wo denkst du hin? Wo es heute um die Wurst geht, müssen wir seriös sein.«
»Die ... Wurst?« Meine Brauen wanderten gen Haaransatz. Herrgott, das wurde ja immer spannender.
»Jo, aber das erfährst du man alles am Abend, Deern. Du kommst schließlich auch.« Alma grinste mich an und dabei funkelte etwas Listiges in ihren Augen.
Mist, sie hatte meinen lahmen Horchversuch sowas von durchschaut. Aber immerhin hatte ich nun Gewissheit.
»Ihr ladet mich doch sonst nicht ein.« Ich begann, ihr das Haar auszukämmen, und hielt über den Spiegel Blickkontakt.
»Wohl wahr.« Mehr gab sie nicht preis, denn sie wusste, dass ich am Haken hing.
Als Nächste trudelte Janne Olsen ein. Sie war nicht nur Fietes Oma, sie gehörte auch zum Violett-Quartett.
Wie gesagt, Fiete hatte mir die Hölle heiß gemacht, als seine Oma das erste Mal mit dem neuen Look nach Hause gekommen war. Ich erinnerte mich heute noch so lebhaft an seine Predigt, weil ich die Hälfte seiner plattdeutschen Flüche hatte nachschlagen müssen, was ihnen ein wenig die Attraktion genommen hatte.
Ich begrüßte Janne und gleich darauf Elvira und Maria. Ihnen separate Termine zu geben, wäre vertane Liebesmüh. Sie trudelten zuverlässig freitags bis Viertel nach neun ein und plauderten bei Kaffee und mitgebrachtem Selbstgebackenem, bis auch die Letzte von ihnen fertig war und sie schnatternd und violett leuchtend meinen Laden verließen.
»Weiß sie es schon?« Wollte Maria wissen und deutete mit der freien Hand auf mich, bevor sie eine mächtige Tortenhaube auf meinem Kassentresen platzierte.
Die anderen wandten sich zu ihr um. Und als sie laut und einsilbig »Jo!« sagten, klang es verdammt nach Fiete.
Nicht, dass ich mir den kompletten Kopf grün gefärbt hätte. Dazu mochte ich mein Haar zu sehr. Es war wellig, stufig, dunkelblond, wurde im Sommer heller, hing mir bis zur Mitte des Rückens und ging vorn bis über die Schultern. Nur auf die beiden farbigen Strähnen kurz hinter den Ohren, die man nicht auf den ersten Blick sah und die meiner Frisur Pep verliehen, verzichtete ich nie.
Also was nun? Weiße Bluse? Blaues Shirt? Unschlüssig stand ich beim Spiegel, hielt mir abwechselnd die Oberteile vor die Brust und konnte mich nicht entscheiden. Es durfte auf keinen Fall aussehen, als wäre ich mir der Ehre dieser Einladung nicht bewusst, aber auch nicht overdressed.
Letztlich machte das himmelblaue Shirt das Rennen, weil ich dazu passende Ballerinas besaß. In Kombination mit meinem Jeansrock war es perfekt. Da die meisten Insulaner mich nur in meinen geliebten übergroßen Latzhosen kannten, würde ihnen klar sein, dass ich mir Mühe gegeben hatte.
Nachdem auch noch die Wimpern getuscht und die Lippen nachgezogen waren, besah ich mich kritisch und holte tief Luft. »Naive Bauernmalerei. Für jemanden, der seit der Ausbildung kaum mit Make-Up hantiert hat, hast du das gut hingekriegt, Lotti«, sprach ich mir selbst Mut zu.
Ich schnappte meine Schlüssel, hetzte die viel zu steile Stiege mit den ungleichmäßigen Stufen hinab und schlüpfte durch die Hintertür ins Freie.
Dabei flatterte es in meinem Magen vor freudiger Erregung. Meine Mundwinkel hoben sich von ganz allein.
Sonst hatte ich die Völkerwanderung zur Gemeindeversammlung, die traditionell im Spritzenhaus stattfand, weil das Haus der Gemeindeverwaltung für die Masse der Insulaner zu klein war, immer verstohlen von meinem Laden aus beobachtet. Und plötzlich gehörte ich dazu.
Grüßend reihte ich mich ein, suchte die Menge ab, fand Eva und beschleunigte meine Schritte, bis ich sie erreichte.
»Hey«, sie fiel mir um den Hals. »Was sagst du zu unserer Idee?«
Es gab eine Idee? Das wurde ja immer mysteriöser. Fragend sah ich sie an.
Eva interpretierte meinen Blick goldrichtig. »Deine Ladys haben dir nichts gesagt?«
»Nein! Aber offenbar weiß sonst jeder davon. Selbst Fiete hat mich eingeladen. Und jetzt erzähl, was ist los?« Ich fühlte, wie mein Herz schneller schlug. Was so ein kleines bisschen Rätselraten nach einem Jahr voller Beschaulichkeit und Ruhe doch ausrichtete.
Aber Eva schüttelte den Kopf. »Fiete weiß auch nicht, was wir planen. Dem habe ich gestern nur gesagt, dass er dich einladen soll, falls er dich zufällig sieht. Und was unseren Plan angeht ...« Sie brach ab und blickte sich beziehungsreich um.
Wir waren umringt von Leuten, die das leuchtend rot getünchte Spritzenhaus wie wir erreicht hatten und sich nun an der Tür stauten. »Sorry, Süße, dazu ist es ein bisschen spät. Du erfährst es gleich mit allen anderen zusammen.«
Na toll, und so etwas schimpfte sich Freundin. Genaugenommen war Eva sogar meine beste Freundin, seit sie vor einem halben Jahr mit einem Hochsteckgebilde à la Marge Simpson auf dem Kopf und Tränen in den Augen in meinem Salon erschienen war und lauthals geschnieft hatte: »Tu etwas! Nur darf es nicht lila werden.«
Weiß Gott hätte ich mir auf Anhieb ein Dutzend besserer Gesprächseinstiege vorstellen können – aber keine scheußlichere Frisur. Also hatte ich Eva in den damals frisch gelieferten Barbershopstuhl verfrachtet und sie mit Tee abgefüllt.
Nach fünf Minuten hatte ich gewusst, dass sie heiraten wollte. Eine weitere Viertelstunde und ich kannte die ganze haarsträubende Geschichte ihrer Brautfrisurenprobe bei der »Festlandtussi« in Ole Kleinbrahms Grandhotel, die haarscharf am Thema vorbeigearbeitet hatte. Eva hatte es romantisch und natürlich gewollt - und vom Festiger über das Spray die geballte Palette für adrette Betonfrisuren bekommen.
Zwei Stunden, drei Haarwäschen und ein Zauberkunststück mit dem Lockenstab später hatte sie mir ihre Liebe gestanden und erklärt, dass ich – samt besagtem Lockenstab – bei ihr einziehen dürfe, falls ihr Hannes nicht zur Trauung erschien.
Tja, so entstanden große Freundschaften.
Nur gerade war ich ein wenig unzufrieden mit Eva. »Ihr wollt da drinnen ja wohl keinen Werberummel für mich veranstalten?« Schließlich wusste sie, wie schleppend mein Laden lief.
Zwar kamen ständig Touristen auf die Insel, aber die stromerten nur stundenweise durch unser Städtchen und nahmen die nächste Fähre retour. Niemand, der bei Trost war, verplemperte einen Tagesausflug mit einem Friseurbesuch.
»Werbetrommel? Viel besser!« Eva klatschte in die Hände. »Wir haben einen Auftrag für dich. Genaugenommen sogar zwölf. Aber das erfährst du alles, sobald wir Ole Kleinbrahms Bauantrag abgeschmettert haben.« Damit hakte sie sich bei mir unter und zog mich mit sich durch den Saal.
Wo sonst die beiden Feuerwehrwagen und das Notarztauto von Thore Mathiesen parkten, reihten sich Stühle dicht an dicht. Vorn gab es ein mickriges Podest aus zwei aufgestapelten Europaletten, darauf eine Tischlerplatte, auf der wiederum ein Tischchen stand, hinter dem Bürgermeister Piepenbrock hockte.
Das versprach spannend zu werden, denn er war ein schüchterner Mann mit blassem Charakter. Insgeheim glaubte ich, dass seine Amtsbiografie begonnen hatte wie die so vieler Klassensprecher. Die Möglichkeit zum Nein verschlafen – zack, saß man in der Falle.
Eva kämpfte sich immer weiter vor.
»Nicht ganz nach vorn«, bat ich. »Ich bin hier nur geduldet.«
Sie lächelte mir verschwörerisch zu. »Vertrau mir, wenn ich dir sage, dass du uns hoch willkommen bist.« Wie ein bockiges Muli zog sie mich weiter, bis wir die erste Reihe erreichten, wo bereits vier violette Häupter leuchteten.
Evas Großmutter Elvira Hansen sprang auf. »Da seid ihr ja endlich. Wir mussten eure Plätze mit Zähnen und Klauen verteidigen.« Sie schloss ihre Enkelin in die Arme.
Dann sah sie mich anerkennend an. »Da brat mir doch einer `nen Storch. Die Deern hat Beine. Und sogar sehr hübsche.«
Ich fühlte, wie die Köpfe der Umsitzenden sich mir - genauer gesagt meinen Knien – zuwandten. Vielen Dank auch! Und das mir, wo ich so ungern die Aufmerksamkeit auf mich zog – und ob all der Andeutungen nervös genug war.
Zögerlich nahm ich Platz, spähte verstohlen über meine Schulter und saugte die Stimmung in mich auf. Bildete ich mir dieses wunderbare Wir-Gefühl nur ein? Lag hier tatsächlich ein Hauch von Gemeinschaft in der Luft? Oder war ich des Alleinseins nur so müde, dass ich begann, die Dinge seltsam zu verklären?
»Wo ist eigentlich dein Hannes?« In der brechend vollen Feuerwehrhalle war er nicht auszumachen.
»Irgendwo weit hinten. Ich hielt es für ratsam, nicht neben ihm zu sitzen. Wer weiß schon, ob sein Humor für unseren Plan reicht. Ehrlich gesagt rechne ich damit, dass ich mein Bettzeug beim Heimkommen im Wohnzimmer auf dem Sofa finde.«
War das ein Witz? Immerhin hörte Eva nicht auf zu grinsen.
Ich nahm erneut Anlauf und raunte: »Jetzt sag schon, was passiert heute Abend?« Dabei verflog mein wunderbares Hochgefühl. Was, wenn ich am Ende gar nicht eingeladen war, weil sie fanden, dass ich dazugehörte?
Diese ungute Vorahnung wurde durch die Erinnerung an eine Episode aus meiner Kindheit befeuert. Damals hatte mein kleiner Cousin darauf bestanden, einen Schulkameraden zu seiner Geburtstagsparty einzuladen. Auf den Einwand meiner Tante, dass er den Jungen gar nicht möge, hatte Benny nur die Achseln gezuckt und verschmitzt grinsend erklärt: »Aber wir brauchen jemanden zum Verkloppen!«
Okay, Lotti Pfeifer, du kriegst dich jetzt wieder ein.Als würden die Ladys zulassen, dass irgendwer ihre Silberweiß-Dealerin anrührt. Ich straffte die Schultern, sah mich erneut im Saal um und blieb mit dem Blick an Fiete hängen, der soeben hereinschlenderte. Irre lässig.
Ich hatte ihn noch nie ohne seinen Blaumann gesehen. Aber er konnte auch schick. Zu einem weißen, frisch gebügelten Hemd trug er eine Jeans, die für seine schmalen Hüften mehr tat als jeder Bühnenscheinwerfer. Zu schade, dass sein dichter Schopf und der Bart an einen mit viel Haar verkleideten Attentäter erinnerten. Ich konnte wirklich nicht ausschließen, dass ich mit dem Rasiermesser über ihn herfiel, sollte ich ihn je volltrunken am Wegesrand finden.
Gott, diese Augen. Sie waren hell und klug und interessiert und passten so gar nicht zu seinem wortkargen Naturell. Auf mich wirkte er wie jemand, der viel zu sagen hatte. Hm, vielleicht konnte er nicht gleichzeitig reden und gucken. Ich überlegte noch, welche Krankheit einen derartigen Multitaskingmangel auslösen könnte, als Fiete mich entdeckte.
Sein Blick bohrte sich pfeilgerade in meinen. So warm und intensiv, dass es mir durch und durch ging. Schlagartig fühlte sich mein Mund trocken an. Ich biss mir auf die Lippe und sah wieder nach vorn. Erst jetzt registrierte ich, dass mein Herz leicht aus dem Takt geraten war. Sehr seltsam. Nur konnte ich mich damit nicht befassen.
Eben erhob sich der Bürgermeister umständlich von seinem Stuhl und räusperte sich in ein Mikro, das mit schriller Rückkopplung antwortete. Ich zuckte zusammen und dabei hing ich an Piepenbrocks Lippen.
»Äh ... nun«, begann er, es folgte eine etwas flüssigere Begrüßung, ehe er abgehackt und zugleich gehetzt die Tagesordnung vortrug, die aus einem Punkt bestand: besagtem Anbau an das Kleinbrahm’sche Grandhotel. Der Kasten war den Insulanern nicht nur ein Dorn im Auge, weil er wie ein frisch aus dem All auf die Erde gekrachtes, futuristisches Stück Weltraumschrott die Landschaft verschandelte. Weit schwerer wog, dass nicht einer der Angestellten von Nortrum stammte. Ole Kleinbrahm hatte die komplette Mannschaft auf Amrum und dem Festland zusammengecastet, als wären die Insulaner für seinen Sterneschuppen nicht gut genug.
Nur ging mich all das eigentlich nichts an. Ich arbeitete nicht in der Tourismusbranche, mein Laden lag weit von Kleinbrahms Grandhotel entfernt. Ich wusste ja noch nicht einmal, wann mein Gastspiel auf der Insel enden würde. »Bist du wirklich sicher, dass es okay ist, wenn ich hierbleibe?«, wisperte ich Eva zu.
»In Ordnung? Du spielst eine tragende Rolle. Und jetzt hör auf zu schnattern. Sonst verpasse ich den Moment, in dem ich gegen Oles überkandidelten Anbau stimmen muss.«
Sie war aber auch optimistisch. Der Ole Kleinbrahm, den ich kannte, gab nie nach. Er ernährte sich praktisch von Extrawürsten. Noch ehe ich all meine Scheren in Bärbels ehemaligem Salon ausgebreitet hatte, war er in den Laden geschneit und hatte mich angebrüllt. Die Friseurin, die einmal pro Woche in seinem Hotel Haare schneide, reiche für eine Insel. Selbstherrlich hatte er mir geraten, von Nortrum zu verschwinden.
Nur sollte sich in der folgenden Diskussion zeigen, dass es auch für ihn Grenzen gab. Blinzelnd hörte ich zu, wie ein Anwohner nach dem anderen gegen seinen Anbau im Naturschutzgebiet mobil machte, bevor Bürgermeistermutter Maria ihm fröhlich lächelnd Auszüge aus der Gemeindeordnung um die Ohren haute und dann um Abstimmung bat.
Dass ihr verstummter Sohn dabei auf seinem Podest keine gute Figur machte – geschenkt. Eine Hand nach der anderen wurde hochgereckt und manifestierte das Aus für Kleinbrahms Pläne. Zu schade, dass unsere amtierende Inselklatschtante Marieke nicht da war, denn die hätte von dieser sensationell verbalen Hinrichtung monatelang gezehrt und immer neue Variationen der Geschichte zum Besten gegeben.
Dafür war Maria umso präsenter – und machte aus ihrem Herzen keine Mördergrube. »Da das geklärt wäre, haben wir ein weiteres Anliegen. Und zwar eins, von dem die ganze Insel und nicht nur Ole Kleinbrahm profitiert.«
Hinter seinem Tischchen begann ihr Sohn-Schrägstrich-Bürgermeister sichtlich zu schwitzen. Dass nun auch die restlichen Ladys vor dem Podest Aufstellung nahmen, so dass gerade noch sein Scheitel zu sehen war, tat ebenfalls nichts für seine Würde.
Himmel, hätte ich gewusst, wie es hier zuging, ich hätte schon vor Monaten Eintritt gezahlt, um dabei zu sein. Hibbelig rutschte ich auf meinem Stuhl herum.
Im Saal, in dem eben noch schadenfrohe Sprüche über Oles Niederlage geklopft worden waren, wurde es mucksmäuschenstill.
Janne Olsen, die offenbar genau darauf gewartet hatte, hielt ein Poster hoch. Ihr folgten Elvira Hansen und Alma Clausen mit weiteren Schwarz-Weiß-Bildern.
Und ich muss schon sagen, meine Ladys verstanden es, eine Party zu sprengen.
Alle Poster zeigten nackte Damen um die dreißig bis fünfzig. Nur spärliche Requisiten verdeckten pikante Körperteile.
Hier und da setzte Getuschel ein. Aber richtig laut wurde es dank Sven Sörensen. »Guter Gott, Alma, wenn du schon nackte Frauen zeigst, nimm wenigstens die Ausklappseite vom Playboy, damit ich ein bisschen Spaß habe, bevor ich mir zu Hause eine Predigt einfange.«
Daraufhin verhieß Hilde Sörensen ihrem Göttergatten mit nur einem Blick ein Nudelholz und Höllenqualen – und er schwieg.